Mit Karl Adrian (17. 02. 1861–14. 10. 1949) wurde in Salzburg der Denkmalschutzgedanke auch auf immaterielle Dinge und Handlungen übertragen. Am 18. September 1913 legte Adrian nach mehreren Sitzungen zum Thema „Sitte und Brauch in unserm Heimatlande“ eine „zusammenfassende Darstellung“ vor, die eigene Darstellungen und ältere Landes- und Volksbeschreibungen verband.[1964] Vielfach erinnert sie uns an die topografisch-statistischen Volksbeschreibungen der Aufklärungszeit, die dem Streben nach Verbesserung der staatlichen Wirtschafts- und Sozialaufgaben entsprangen. Adrian zählt darin „zur Zeit noch als festgewurzelt“ zu betrachtende, „im Abnehmen begriffene“ und „fast oder gänzlich erloschene“ sowie erst kürzlich auf Initiative von Einzelpersonen „wiedererneuerte“ Bräuche auf (z. B. Unkener Stelzentanz durch Franz Eder, vulgo Peschbauer; Aperschnalzen in der Umgebung Salzburgs).
Vereinzelt erfahren wir daraus die Initiatoren von Bräuchen, die heute als „uralt“ und „immer schon da gewesen“ gelten. Adrians Unterteilung der Sitten und Bräuche umfasst: „A. Sitte und Brauch im öffentlichen Leben S. 772–774“, „B. Sitte und Brauch im Kreise der Familie S. 775–776“ und „C. Sitte und Brauch in Beziehung auf das kirchliche Leben S. 776–78“, „D. Taufe S. 776“, „E. Hochzeit S. 779; (S. 778 fehlt in der Zählung)“ „F. Begräbnis S. 880“, „G. Unsere Volksspiele S. 880“ „H. Der Tanz S. 882“ sowie „I. Der Gruß S. 882“.
In früheren Jahrhunderten war es üblich, daß die Stadtbläser oder „Turner“,[1966] wie sie genannt wurden, bei weltlichen und kirchlichen Festen vom Turme des Rathauses ihre Weisen ertönen ließen. Noch bis zum Jahre 1772 hatten sie täglich morgens 5 Uhr und abends 9 Uhr im Sommer, im Winter um 6 und 8 Uhr, mit Zinken und Posaunen den Morgen- und Abendgruß vom Rathausturme zu blasen. Doch, gleichwie in andern Städten, verlangten sie vom Rate hierin eine Erleichterung, die ihnen auch zuteil wurde, indem sie forthin nur mehr am Sonntag, Dienstag und Donnerstag nach 12 Uhr mittags, am Montag und Mittwoch von Ostern bis Herbstruperti um 9 Uhr, im Winter um 8 Uhr abends ihren Chor anzustimmen brauchten.
Diese Sitte ist längst erloschen; doch fehlte es nicht an Versuchen, von Zeit zu Zeit sie neu aufleben zu lassen. Zu diesen kann man auch das Weihnachtsblasen zählen, das, ursprünglich von privater Seite angeregt, später vom Verein Heimatschutz übernommen wurde, um ihm einen dauernden Bestand zu sichern. So ertönen nun durch eine Reihe von Jahren am heiligen Abend vom Vorwerk der Festung Hohensalzburg, der Katze,[1967] die lieblichen Weihnachtsweisen. Dieser Platz ist für eine solche Veranstaltung besonders geeignet; der Zuhörer, der sich auf dem Kapitelplatz befindet, hat ein Bild vor sich, das sich kaum schöner gestalten könnte. Die vieltürmige Feste Hohensalzburg, der prächtig gegliederte Turm von St. Peter, die massigen Formen des Domes, das alles übergossen vom Silberlichte des Mondes und geschmückt mit dem weißen Atlaskleid des Winters, macht auf den Beschauer einen stimmungsvollen Eindruck.
Sobald die Aveklänge der großen Domglocke verhallt sind, setzen die Bläser ein und von der Höhe herab grüßen traute, liebe Weihnachtslieder. Zur Einleitung wird die Weise des naiven, uralten Liedes: „In dulci jubilo nun singet und seid froh“ geblasen; hierauf folgt in dreimaliger Wiederholung das altsalzburgische „Stille Nacht, heilige Nacht“ und den Beschluß macht die liebliche Weise: „Schlaf wohl, du Himmelsknabe du!“ Tausende lauschen den Klängen und es herrscht eine lautlose Stille auf dem weiten Platz, so sehr nimmt die Musik die Herzen gefangen. Ist das Blasen vorüber, so eilt die Menge in froher Weihnachtsstimmung nach Hause und hundertfach wiederholt sich der Ausspruch: „Aber schön war es heuer wieder!“
Diese Sitte hat sich nun schon von der Stadt zum Teil auch über das Land verbreitet und im Jahre 1922 wurde in Hallein, Maxglan, Liefering, Radstadt, Bischofshofen, St. Veit i. Pg., Lessach im Lungau und in vielen anderen Orten geblasen. Es ist dies zugleich ein Beweis, daß sich ein wertvoller, bereits verloren gegangener Brauch unter günstigen Umständen wieder erneuern ließe.
[1964] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24.01.1912, S. 931 und Beilage B, S. 770–885.
[1965] [Adrian 1924], S. 27–29.
[1966] Im Volksmund heißt der Turm häufig der Turn, z. B. St. Jakob am Turn, daher Turner.
[1967] Im Jahre 1923 wurde ferner geblasen vom Kapuzinerberg, vom Rainberg, vom Rathausturm und um Mitternacht von den Türmen der Andräkirche.