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7.6. Alpenländische Masken. Salzburger Perchten- und Schauspielmasken im „Wiener Volkskundemuseum“ (Franz Grieshofer) - Langtext

Im 1. Jahrgang der neu gegründeten „Zeitschrift für österreichische Volkskunde” veröffentlicht Wilhelm Hein den Text des Krimmler Hexenspiels. In einem kurzen Vorspann schildert Hein die Umstände, die zum Fund der Textbücher geführt hatten:[456] „Als ich im Jahre 1893 eine Wanderung durch die Thäler Salzburgs und Tirols machte, um nach hölzernen Gesichtslarven für alte Volkstänze und Volksschauspiele zu fahnden, gelang es mir in der Prettau und in Krimml auf Textbücher zu stoßen, welche noch in der letzten Zeit Verwendung gefunden hatten. ” Über sein Ersuchen hatte am 2. Februar 1894 in Johann Auer's Gasthaus eine Aufführung des Krimmler Hexenspieles stattgefunden. „Die Schauspieler trugen”, wie er schreibt, „Holzmasken, welche ein Krimmler Holzschnitzer verfertigt hatte; nur der Darsteller der Bäuerin zog es vor, eine gekaufte Papierlarve zu verwenden, da ihm, wie er meinte, diese besser stehe.” Wilhelm Hein gelingt es, im Anschluss an die Aufführung die Holzmasken der Schauspieler zu erwerben, denn in dem zitierten Bericht steht zu lesen: „Die Holzlarven, welche zur Verwendung kamen, sind mittlerweile Eigenthum des k.k. naturhistorischen Hofmuseums geworden. Abgebildet sind hier die Nase des Vorläufers, und die Masken des Bauern, Teufels und Bajazzos, sowie der Hexe mit dem Kopftuch (vgl. Abb. 3–7).”

Wilhelm Hein (1861–1903) – Orientalist und Semitist, also Sprachwissenschaftler – war seit 1887 in der anthropologischen Abteilung des nachmaligen Naturhistorischen Museums (zuvor k.k. naturhistorisches Hofmuseum) beschäftigt. Neben seinen Forschungen in Südarabien lenkte Heins Vorgesetzter Franz Heger sein Interesse auch auf die „österreichische Ethnologie”. Innerhalb der Anthropologie folgte man damit einem Trend, der sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt abgezeichnet und in anderen europäischen Ländern zur Gründung ethnographischer Museen geführt hatte. Die Entdeckung der Naturvölker und fremder Kulturen weckte das Interesse an der Exotik der heimischen Kultur. Besonders die Maskensammlungen, die Forscher von Expeditionen bzw. Mitglieder des Herrscherhauses von ihren Weltreisen aus Übersee mitgebracht hatten, ließen den Wunsch nach Vergleichsmaterial aus den eigenen Regionen wach werden. Richard Andree hatte dafür mit seiner Arbeit über „Die Masken in der Völkerkunde” eine erste zusammenfassende Übersicht geliefert.[457] Als 1893 die Anthropologische Gesellschaft eine Reihe Fotografien von angeblichen „Perchtenmasken” erhielt, die der Direktor des Salzburger Museums Carolino Augusteum, Alexander Petter, eingesandt hatte, beauftragte Heger, der auch Sekretär der Anthropologischen Gesellschaft war, Wilhelm Hein zu näheren Nachforschungen in Salzburg und Tirol. Über seine Reise und die dabei getätigten Maskenankäufe hielt Wilhelm Hein in der Monats-Versammlung am 8. Mai 1894 ein Referat, das in den Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft abgedruckt wurde und hier im Wortlaut wiedergegeben werden soll, da es einen aufschlussreichen Einblick in die Anfänge der Volksschauspielforschung und in die Frühgeschichte der Maskensammlungen gibt:[458]

7.6.1. Wilhelm Hein: Tänze und Volksschauspiele in Tirol und Salzburg[459]

„In der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien 1892 hatte das Museum ‚Ferdinandeum' in Innsbruck eine Teufelslarve von Sterzing aus dem XVI. oder XVII. Jahrhunderte, sowie eine Teufelsmaske mit Doppelkopf aus dem Oetzthale von gleichem Alter zur Schau gestellt; aus der Sammlung Sr. Excellenz des Herrn Hans Graf Wilczek war ebenfalls eine Teufelsmaske von Tirol mit Flügeln, Doppelkopf und beweglichem Rachen zu sehen, die in hohem Masse die Aufmerksamkeit der ähnliche Erzeugnisse aus den verschiedensten Theilen der Erde, namentlich an die bek fand zum weiteren Verfolge seiner Studien über die Verwendung dieser Larven ein ausgezeichnetes Material in den Abbildungen, die sich auf das ‚Schempartlaufen' in Nürnberg bezogen und von welchen Herr Professor J. Flüggen in München 20 Blätter in Aquarell, Herr C. Trau in Wien acht colorirte Stiche ausgestellt hatten; auch die k. k. Hofbilbiothek war durch ein Schempart-Buch vertreten. Der Fachkatalog der Abteilung für deutsches Drama und Theater, Wien 1892, gibt darüber auf S. 12 folgende Aufklärung: ‚Das Schempartlaufen (Scheme = Maske) blühte Mitte des XV. Jahrhunderts als Fastnachtscherz zu Nürnberg und war ein Privileg der Metzger und Messerschmiede, die das Recht, dergleichen Aufzüge anzustellen, gegen Entgelt auch an andere Personen überlassen. 1539 fand der letzte Schempart statt. Ausser den costümirten Figuren erscheinen auf Wägen fastnachtspielartige Darstellungen, z.B. die Altweibermühle, der Teufel, der Frauen frisst, etc.' Zu Beginn des Jahres 1893 erhielt die Anthropologische Gesellschaft in Wien vom Director des Museums ‚Carolino- Augusteum' in Salzburg, Herrn Regierungsrath Dr. Alexander Petter, eine Reihe Photographien von angeblichen ‚Perchtenmasken' aus dem Herzogthum Salzburg, welche das genannte Museum erworben hatte. Diese Larven zeigten mit den oben erwähnten Teufelsmasken, sowie mit einigen Vermummungen der Schempartläufer von Nürnberg eine ausserordentlich nahe Verwandtschaft, die es für wünschenswerth erscheinen liess, dem ideellen Zusammenhange nachzuforschen und ferner zu ergründen, ob und inwieweit derartige Masken in Salzburg und Tirol Verwendung fänden. Der Secretär unserer Gesellschaft, Herr Custos Franz Heger, beauftragte mich, in Würdigung der Bedeutung dieser durch die Masken angedeuteten Volksschauspiele und Tänze für die heimische Ethnographie, dem eventuell noch heutigen Bestehen derselben meine Aufmerksamkeit zu widmen. Zu diesem Zwecke unternahm ich in der Zeit vom 11. September bis 14. October 1893 eine Reise nach Salzburg und Tirol, deren vorläufige Ergebnisse hier kurz skizzirt werden mögen.

Mein erster Besuch galt dem Museum ‚Francisco-Carolinum' in Linz, wo die Herren: Verwaltungsrath Josef Straberger und Andreas Reischek in der liebenswürdigsten Weise sich mir zur Verfügung stellten; ihnen verdanke ich manchen kostbaren Wink. Ein besonderes Augenmerk richtete ich in diesem Museum auf die reichhaltige und höchst bemerkenswerthe Sammlung von Bauchranzen, die mit den zierlichsten Ornamenten in Metalldrähten, buntem Leder und Pfauenfederstickerei verziert sind; solche Gürtel waren mir bereits auf der ethnographischen Ausstellung in Prossnitz, Juli 1893, aufgefallen. Leider sind die Provenienzangaben ziemlich unsichere, da sie zum grössten Theile von Antiquaren erworben wurden. Dasselbe gilt in Bezug auf die ‚Perchtenmasken', die ich nachher im Museum ‚Francisco-Carolinum' in Salzburg (sic!) besichtigte. Herr Regierungsrath Petter hatte die Liebenswürdigkeit, mir einen der Bauernantiquare, welche für die städtischen Antiquare die Streifzüge von Hof zu Hof machen, zu nennen. Nachdem ich in Salzburg drei Thierlarven mit beweglichem Unterkiefer und eine Teufelsmaske auf dem bezeichneten Wege erworben, die Privatsammlung des Fräuleins Marie Eysn besichtigt und einen Ausflug zu den Todtenbrettern bei Piding in Bayern unternommen hatte, besuchte ich den Bauernantiquar Leppacher in Buch [Anm.: Puch bei Hallein], von dem ich weitere Winke erhielt, die mich nach Tirol verwiesen. In Hallein besichtigte ich die kleine, aber sehr hübsche Sammlung der Sternbräuin Marie Unterholzer, die mit vielem Verständnisse die verschiedenen Erzeugnisse bäuerlichen Hausfleisses erwirbt; namentlich sind die Stickereien in dieser Collection bemerkenswerth.

In Radstadt bekam ich die ersten sicheren Nachrichten von einem alten Perchtenlaufen und es glückte mir durch Vermittlung des Herrn Leonhard Huber, den Anführer des letzten Perchtenlaufens, das in Radstadt, Schladming, Altenmarkt und Flachau im Jahre 1850 stattfand, den Schalieterer-Bauer Michael Winter in Altenmarkt zu einer ausführlichen Schilderung dieses eigenartigen Aufzuges zu bewegen. Die Hauptrolle spielten dabei die ‚schönen Perchten', etwa sechs an der Zahl, von welchen der Anführer als ‚Vorpercht' auftrat; den Zug beschloss der ‚Nachpercht'. Als Kopfbedeckung trug jeder ‚schöne Percht' eine sogenannte ‚Perchtenkappe', die in ein an 2–3 Meter hohes Rahmenwerk aus Holz auslief; das auf der Vorderseite mit den Merkzeichen irgend eines Erwerbszweiges (Ackerbaupercht, Jagdpercht), mit Spiegeln, Gold- und Silberketten und künstlichen Blumen verziert, auf der Rückseite mit seidenen Tüchern behängt war. Eine derartige Kappe hatte den Werth von fl. [Anm.: Gulden] 600. Ausserdem gab es ‚schiache Perchten', die in Gestalt von Teufeln mit Larven aus Ziegenfell allerlei Unfug trieben. An dem Zuge betheiligten sich die Vertreter aller Berufsarten: es gab da Kaufleute, Schuster, Schneider, Fleischer, Hirten u.s.w., selbst der Kapuziner fehlte nicht, der, die Beichte hörend und Beichtzettel vertheilend, unmittelbar vor zwei Teufeln einherschritt, welch' letztere die Unbussfertigen ergriffen und für die Hölle bereit hielten. Der Schneider trug eine ‚Schar' [Anm.: Schere] aus Holz, die aus einer Anzahl von Brettchen bestand, welche sich um Charniere drehten; mit dieser Schere zwickte der Schneider entfernt stehenden Personen die Hüte von den Köpfen ab. Viele Heiterkeit erregte die ‚Putzmühl', in welche gegen gutes Entgelt alte Weiber hineingegeben wurden, die in kurzer Zeit als junge Mädchen wieder zum Vorschein kamen. Bemerkenswerth ist, dass jeder schöne Percht von einem hübschen Mädchen begleitet sein musste, dass aber dieses Mädchen stets ein verkleideter Bursche war, der sich so schön herauszuputzen verstand, dass die Leute vermeinten, nicht nur ein Mädchen, sondern sogar einen Engel vom Himmel zu sehen. Am ersten Pfingsttage Abends beim ‚Anklöckeln' kamen die Perchtenkappen ebenfalls in Verwendung, nur hatte jede Haube ein Licht, da der Umzug bei Nacht stattfand. Das Perchtenlaufen ist auf die Faschingszeit beschränkt.[460]

In St. Johann im Pongau fand ich in dem Aichmeister Josef Felber einen Mann, der sich alle erdenkliche Mühe gab, meine Studien zu fördern; ihm bin ich vor Allem zu großem Danke verpflichtet. In St. Johann fand das letzte Perchtenlaufen Sonntag den 21. Februar 1892 statt, über welches sich ein guter Bericht nebst einer anschaulichen Illustration im ‚Neuigkeits-Weltblatt' vom 3. März 1892 findet.

Herr Felber führte mich zu einigen Darstellern von schönen Perchten, welche aber, bis auf zwei, ihre Kappen bereits vollständig zerlegt hatten. Von dem Gollehen-Bauer Bartlme Hutter in der Gemeinde Einöden erwarb ich eine der beiden noch übrigen Kappen; beim Landbürgermeister von St. Johann, Herrn Anton Hutter in Maschl Nr. 11, erhielt ich eine schiache Perchtenlarve; auch die lange, ausstreckbare Schneiderscheere kam nach längerer Zeit in meinen Besitz. Das vorletzte Perchtenlaufen fand in St. Johann im Pongau im Jahre 1869 statt; von diesem dürften kaum mehr Ueberreste vorhanden sein.[461]

In der Umgebung von Saalfelden ging ich den dortigen Todtenbrettern nach, besuchte sodann in Innsbruck die Landesausstellung und das Museum ‚Ferdinandeum', wo ich die bekannten Teufelsmasken wieder sah. In Sterzing forschte ich vergeblich nach Larven und begab mich darauf über Bruneck und Taufers in das Ahrnthal [Anm.: heute Südtirol = Alto Adige/Italien; ein einstiger Saumweg führt heute noch vom Ahrntal über das Krimmler Tauernhaus in den Pinzgau], wo ich endlich einem Theile der jetzt in Salzburg befindlichen ‚Perchtenmasken' auf die Spur kam. Herr Karl Fulterer, Factor in Steinhaus, gab mir die gewünschten Aufklärungen, wonach diese Masken nichts Anderes als Schauspielermasken sind. Im Ahrnthale wurden vor etwa 20 –30 Jahren sehr häufig einige Fastnachtsspiele aufgeführt, darunter das Nikolausspiel, das Faustspiel, das Soldatenspiel, das Rupertusspiel und das Hexenspiel. Der Bauer Pacher in Steinhaus, dessen Vater und Bruder die Hauptarrangeure des Nikolausspieles waren, hatte den Antiquar Leppacher von Buch, in dessen Begleitung sich als Führer der Mineraliensammler Rupert Wechselberger von Krimml befand, zu den verschiedenen Bauern, die ihre Masken noch hatten, geführt, und auf diese Weise kamen sie fast alle aus dem Ahrnthale über den Krimmler Tauern nach Salzburg. In Krimml fand ich an dem leider schon verstorbenen Glockerwirth Johann Auer und an Rupert Wechselberger treue Berather. Von letzterem erhielt ich einige Textbücher (Hexen-, Nikolaus- und Faustspiel), wovon zwei bereits Herr Dr. Josef Patzau in Wien besass, der sie mir aber in der liebenswürdigsten Weise überliess. Auch von Fräulein Regina Steger in Kasern (Prettau) bekam ich ein Textbuch zum Faustspiel, wodurch ich in Stand gesetzt wurde, manche wichtige Varianten und Ergänzungen zu notiren.[462]

Auf der Rückreise setzte ich mit der thatkräftigen Unterstützung des Herrn Felber meine Studien in St. Johann im Pongau fort und erhielt in Salzburg vom Scriptor der Landesbibliothek, Herrn Dr. Anton Hittmair, ein dankenswerthes Verzeichniss der Literatur über Perchtentänze.

In Linz beendete ich meine Forschungen, wo ich an Frau Elise Lázár eine ausgezeichnete Vermittlerin für meine Ankäufe fand.

Am 2. Februar 1894 fand in Johann Auer's Gasthaus in Oberkrimml eine Aufführung des Hexenspieles statt, welcher ich beiwohnte. Die Leitung desselben ruhte in den Händen des Herrn Rupert Wechselberger, dem sowie allen Darstellern für die tadellose Durchführung ihrer Rollen uneingeschränktes Lob gebührt. Die Masken waren von einem Krimmler geschnitzt worden und wurden mit jenen für das Nikolausspiel von mir erworben. Als ein bezeichnendes Symptom muss ich anführen, dass der Darsteller der ‚Bäuerin' die Holzmaske verschmähte und seine Rolle in der ‚schöneren' Papierlarve spielte, wobei er thatsächlich sehr viel Anklang fand. Das Hexenspiel geht in den Hauptzügen auf ein Fastnachtsspiel von Hans Sachs: ‚Der Teüffel mit dem alten Weyb' aus dem Jahre 1545 (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Nr. 31 und 32, S. 59–69) zurück und wurde in neuerer Zeit von Johann Nestroy als Zauberspiel mit Gesang und Tanz in einem Acte unter dem Titel ‚Der gemüthliche Teufel, oder Die Geschichte vom Bauer und von der Bäuerin' in eine moderne Gestalt gebracht. (Johann Nestroy's gesammelte Werke, herausgegeben von Vinc. Chiavacci und Ludw. Ganghofer, Stuttgart 1891, S. 261–287.) Nach dem Hexenspiele wurde der Pinzgauer ‚Perchtentanz' aufgeführt, von dem der ‚Vorläufer' (eine bei den Spielen ständige Figur, welche zu Beginn die nöthigen Erklärungen gibt und für die Spieler Platz macht) sagte, dass er aus den Zeiten der Römer stamme. Gute Abbildungen (nach einer Photographie) finden sich in Prof. Eduard Richter's ‚Das Herzogthum Salzburg', Wien 1881, S. 103, und im XII. Bande der Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereines, S. 180. Die Bezeichnung ‚Perchtentanz' ist nicht ganz zutreffend, da die mit Federkronen geschmückten vier Tänzer ‚Tresterer' genannt werden;[463] Perchten' heißen blos die zwei alten, hässlichen, mit Besen bewaffneten Gestalten, welche ehemals zum Gefolge der Tänzer gehörten (vgl. Ignaz v. Kürsinger, Ober-Pinzgau, Salzburg 1841, S. 166). Ich sah diese Perchten nicht mehr. Nach Joh. Nep. v. Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, Zürich 1857, S. 46, tritt die Perchtl der Tiroler Sagen in einer doppelten, ja dreifachen Beziehung auf: ‚einmal als Seelenführerin der ungetauften Kinder, dann, gleich der Hulda, als Spinnefrau und endlich noch als eine fast legendenhafte Gestalt des christlichen Mythus'. Als Seelenführerin der Kinder zieht sie zu Gömnachten, dem Vorabende des Heiligen Dreikönigstages, der daher auch Perchttag heisst, ‚als ein uraltes Mütterlein, runzelvoll und weisshaarig und gebeugten Rückens' an der Spitze des Zuges der ungetauften Kinder über Berg und Thal. ‚Uralt ist ihr Gewand und zerschlissen von langem Wandern, hie und da durch kleine Holzkläppchen (Kloben) zusammengehalten'. So wurde sie zum Kinderschreck einerseits, andererseits zu einem hässlichen, hexenhaften Wesen; als solches fehlte sie nicht beim Imster Schemenlaufen (eine Nachahmung des Nürnberger Schempartlaufens). ‚Da erscheint sie in zerlumpten Kleidern, als eine Hexe, und so wurde ihr Name zum Schimpfwort: ‚Du bist eine Perchtl!' heisst so viel wie: ‚Du bist eine Schlampe!'' Im salzburgischen Lande gibt es auch noch Brotperchten, das sind hässlich vermummte Gestalten, die in der Faschingszeit für sich oder für Andere betteln gehen; jetzt wird ihnen nach dem Vagabundengesetze nach und nach das Umherziehen von der Behörde immer mehr eingeschränkt, so dass es wohl bald keine Brotperchten geben wird. Der Begriff ‚Percht' ist ein sehr wechselnder: Im Pongau gibt es beim Perchtenlaufen sogar schöne Perchten – und diese bilden bei demselben die Hauptsache; in diesem Falle ist es vorläufig noch gar nicht ausgemacht, dass der Name Percht mit der Seelenführerin oder der Spinnfrau Perchta zusammenhängt. Es ist hier nicht meine Aufgabe, das gesammte Material vorzulegen und daraus die endgiltigen Schlüsse zu ziehen – das behalte ich einer ausführlichen Monographie vor. Doch darauf will ich mit Nachdruck verweisen, dass aus dem oben Gesagten zur Genüge hervorgeht, dass die unter dem Namen ‚Perchtenmasken' bekannt gewordenen Larven zum grossen Theile Schauspielermasken sind, so der Lucifer, der Teufel, der Höllengesandte, der Klaubauf, welche alle in dem Nikolausspiele vorkommen. Die Thierlarven mit den beweglichen Kiefern weisen zunächst nach einigen Faschingsaufzügen, wie sie in Brixlegg, Imst und Nürnberg, auch in Lienz und vielleicht noch in anderen Orten stattfanden; dann scheinen sie aber in zweiter Linie auch Schauspielermasken zu sein, nachstehendem Programme zu ersehen ist, das ich von Herrn Rupert Wechselberger mit der Bitte erhielt, es zu veröffentlichen:

Volkstheater
  Am Krimmler Achenthal!
  den 5. August 1894
  im Tauernwierthshaus
  des Anton Hofer.

Program
  in 5 Aufzügen

1. Vorstellung, die Esels Hex
  mit den Teifl im Korbe.

2. Einmarsch der Thiere mit
  Musig u. einen Liad.

3. das Hiertenmädchen mit
  den Alpen Streischen.

4. die Schleifferbanda
  im Hochgebierge.

5. der Alt herstamente Pinzgauer
  Berchtentanz aufgeführt von
  zwei Persohnen u. Endet mit den
  Schuhblatlertanz
  Anfang 9 Uhr Abents
  der direkter Rup Wechselberger.

"Entre"

Wilhelm Hein, der selbst in der Stadt Salzburg im Antiquariat Weiniger vier Masken erstand, gibt hier Aufschluss über die Ankaufspraxis der Museen mittels „Bauernantiquare”, die als Zulieferer der städtischen Antiquare fungierten. Bedeutsam für die Volkskunde in Wien wird die Begegnung Heins mit Marie Eysn. Er besichtigt ihre ethnographische Privatsammlung und profitiert von ihren Kenntnissen und Verbindungen zu wichtigen Gewährsleuten. Auf diesem Weg gelangt Hein zu Informanten über das Perchtenlaufen von Radstadt/Altenmarkt und St. Johann. Marie Eysns, von Hein mit den Auskünften anderer Gewährsleute, festgehaltene Auskünfte zählen heute zu den wichtigen Quellen über die Entwicklung dieser Großbräuche. Wilhelm Hein nützte außerdem die Gelegenheit zum Ankauf des Tafelaufsatzes einer „Schönpercht”, einer Teufelsmaske und einer Streckschere. Interessant ist in diesem Zusammenhang sein Hinweis, dass die Perchtenkappen auch beim „Anklöckeln” in Verwendung standen, „nur hatte jede Haube ein Licht, da der Umzug bei Nacht stattfand.” Haben wir es hier mit Vorläufern der „Glöcklerkappen” zu tun?

Im Ahrntal verfolgt er die Herkunft der Masken, die ihm Direktor Petter im Carolino Augusteum gezeigt hatte. Schließlich gelangt Hein nach Krimml, wo er einige Schauspieltexte, unter anderem auch den vom „Hexenspiel”, zur Verfügung gestellt bekommt. Wie oben bereits erwähnt, wohnt er am 2. Februar 1894 einer Aufführung des Hexenspieles und im Anschluss daran der Aufführung des Tresterertanzes bei.

Bemerkenswert an den kurzen Ausführungen Heins ist auch, dass er intuitiv zwischen der Percht als Seelenführerin und Spinnfrau und den „Schönperchten” beim Perchtenlauf unterscheidet. Für ihn scheint es jedenfalls „noch gar nicht ausgemacht, dass der Name Percht mit der Seelenführerin oder der Spinnstubenfrau Perchta zusammenhängt.” Heute wissen wir, dass es sich bei der „P(B)ercht” um eine seit der Antike bekannte mythische Gestalt handelt, die im Mittelalter eine christliche Umdeutung zur „Frau Welt” bzw. zur Domina und Luxuria, also zu jenen in den Lasterlehren „verteufelten” Gestalten erfährt, auf die der Namen von Epiphanie (ahd. peraht = hell, glänzend) übertragen wird. Solcherart wird der Name zum Synonym für alles Hässliche, Teuflische bzw. für jene Brauchgestalten, die am Perchtentag erscheinen.[464] Und Wilhelm Hein nimmt in seinem Bericht auch noch eine weitere Klarstellung vor, wenn er unter Hinweis auf die Masken im Carolino Augusteum ausdrücklich festhält, dass es sich bei vielen Masken, die unter dem Begriff „Perchtenmasken” in den Sammlungen der Museen verwahrt wurden, um Schauspielmasken handelt.

Er selbst überantwortet die von ihm erworbenen Masken und Kostüme, nachdem er sie sorgfältig inventartisierte, in die Sammlung der anthropologischen-ethnographischen Abteilung des k.k. naturhistorischen Hofmuseums . Doch wenige Jahre später finden sich diese Objekte im Schauraum des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien. Wie war es dazu gekommen?

Mit seinem Kollegen, dem Indologen Michael Haberlandt (1860–1940), hatte Wilhelm Hein noch im Jahr 1894 den Verein für Volkskunde und im Jahr darauf das Österreichische Museum für Volkskunde und als wissenschaftliches Organ die Zeitschrift für österreichische Volkskunde gegründet.[465] Voller Stolz präsentierten sie die ersten Erwerbungen in einer Ausstellung 1897 in den Schauräumen des Börsegebäudes in Wien (im nachmaligen Museum für angewandte Kunst). Zu dieser ersten Dauerausstellung erschien von Michael Haberlandt ein Katalog, der sämtliche 3.866 Schaustücke anführt, dazu die ausgestellten Stuben und die 1896 erworbene große Jaufenthaler-Krippe. 11 Im Abschnitt „Masken aus Volksschauspielen von Salzburg und Tirol” werden die im Besitz des Museums befindlichen Masken nach einer kurzen Einleitung, in der betont wird, dass die geschnitzten und bemalten Larven echte Erzeugnisse der primitiven Volkskunst, die zur Aufführung der überall verbreiteten und mannigfaltigen Volksschauspiele dienten und dienen, aufgezählt:

2098: „Teufelsmaske” mit Schnabel, die Zunge aus Eisen, der Unterkiefer beweglich. Salzburg.

2099: „Teufelsmaske” mit Rüsselnase, mit einem Horn. Salzburg.

2100: „Maske” mit Ziegenhörnern. Von den Bergknappen in Rauris bei ihren Spielen benützt. Geschenk von Frl. Anna Zillner.[466]

2101: "Maske”, der so genannte „Musikant”, mit blasenden Lippen, zwischen welche gewöhnlich eine Trompete gesteckt wird. Salzburg.

2102: „Thiermaske” mit Lederhaube, sehr altertümlich. Salzburg. „Thiermaske” (Schwein). Salzburg. „Teufelsmaske” mit vergoldeter Nase. „Thiermaske” mit gedrehtem Rüssel und Hirschgeweih „Teufelsmaske” mit Glasaugen.[467] Salzburg. „Halbmaske” (Unterkiefer fehlt). Salzburg. „Teufelsmaske”, vielleicht der „Klaubauf” aus dem Nikolausspiel. Salzburg. „Thiermaske”, Schafbock mit Hörnern. Salzburg. „Hexenmaske” aus dem Hexenspiel. Salzburg. Geschenk des Herrn Fritz Minkus. „Lucifermaske” mit vergoldeter Krone und fein geschnitztem Bart; eine der schönsten Luciferlarven, welche uns erhalten sind. Salzburg. Geschenk von Frl. Marie Eysn. „Huttlerlarve” aus Zirbenholz. Mühlau bei Innsbruck. „Teufelsmaske” mit Warzen. Salzburg. „Warzenteufelsmaske”. Salzburg. „Teufelsmaske” mit Schweinsohren. „Goliathmaske”, aus einem Passionsspiel. Brixlegg. Eisstock zum Eisschiessen. Oberkrimml. Maschkastock, bei Faschingsumzügen gebraucht. Pernegg bei Horn, Niederösterreich.

Nach Krippenfiguren, einer Erntekrone aus Galizien und diversen Faschingsutensilien werden noch angeführt:

2127: „Holzlarve” mit Kopftuch für einen Huttlerläufer. „Thaur” bei Innsbruck. „Costüm” eines Perchtentänzers. Oberkrimml im oberen Pinzgau. Haube mit Hahnenfedern und bunten Bändern. Anzug aus rotgeblumten Stoffe mit Silberborten. Rotgestreifte Strümpfe. Stiefel aus rotem und schwarzem Leder. „Costüm” eines Huttler- oder Zottlerläufers. „Rum” bei Innsbruck. Hut mit Fuchsschwanz. Holzlarve mit Kopftuch. Kleidung (Rock und Hose) mit Behang von Fransen aus gefärbten Leinenstreifen, teilweise in so genannten flachen Knoten geknüpft. Zinngürtel

Und zuletzt noch: Faschingspeitsche. Liefering in Salzburg. Geschenk des Frl. Marie Eysn.

Auf einem Foto, das die frühere Präsentation der Masken zeigt, sind fast alle der angeführten Masken zu sehen.[468] Zusammen mit den von Wilhelm Hein erworbenen Masken des Hexen- bzw. des Nikolausspieles aus Krimml und den Tafelaufsätzen der Schönperchten aus St. Johann, die spätestens ab 1901 in die Schausammlung des Österreichisches Museums für Volkskunde integriert waren, ergibt das eine ansehnliche Kollektion an hölzernen Masken. Dank der Aufzeichnungen von Wilhelm Hein sind die Masken, die zum überwiegenden Teil aus dem Land Salzburg stammen, sehr gut dokumentiert. Das trifft auch auf die Tiroler Fasnachtsmasken zu, da Wilhelm Hein auch über „Das Huttlerlaufen”, dem er selbst beiwohnte, in der Zeitschrift für Volkskunde 1899 einen Bericht schrieb.[469] Von ihr besitzt das Österreichische Museum für Volkskunde nicht nur eine Anzahl von Objekten, darunter eine Perchtenlarve aus Rauris mit der Inventarnummer 19,[470] sondern auch wichtige Arbeiten zum Perchtenbrauch. Wie Leopold Schmidt in einer ersten Übersicht über die Maskenforschung in Österreich darlegt, beendete Marie Eysn,[471] die 1903 den bekannten Geografen und Ethnologen Richard Andree[472] heiratete, jedoch sehr bald ihre Kooperation mit dem „Wiener Museum” und suchte die Zusammenarbeit mit dem Ethnographischen Museum in Berlin.[473] Trotzdem konnte das Volkskundemuseum in Wien in den folgenden Jahren die Sammlung an geschnitzten Masken kontinuierlich erweitern, unter anderem mit einer Kollektion von „16 Holzlarven aus Salzburg” (Inv. Nr. 5442–5457) und vier Teufelsmasken (Inv. Nr. 7693–7696) von Anton Zell aus Salzburg, weiters eine „Schönperchtenmaske” aus Goldegg (Inv. Nr. 40.831)[474] oder eine Klaubaufmaske aus dem Besitz des Bauern Josef Katschthaler in Kötschachtal, die von einem Badgastein zum Einsatz gekommen war (Inv. Nr. 48.453).[475] Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den Groteskmasken, die Michael Haberlandt bei einem Antiquitätenhändler in Kitzbühel kaufte, um Fälschungen, die nie im Einsatz waren, sondern nur mehr für den Handel hergestellt worden waren. Diese Masken, wobei eine davon vom Erwerber noch voller Stolz in seinem großen Werk über die Österreichische Volkskunst[476] abgebildet wird, fehlen bei Leopold Schmidt. In seinem Buch „Perchtenmasken in Österreich”, in dem 59 der wichtigsten Exemplare aus der Maskensammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde vorgestellt werden, liefert der langjährige Direktor und vorzügliche Brauch- und Volksschauspielkenner nicht nur ein Resümee zur Maskenforschung, sondern zieht damit auch eine vorläufige Summe der Maskensammlung im Österreichischen Museum für Volkskunde in Wien.[477]



[456] [Hein 1895]. Der Verein „Deutsche Heimat” brachte das Hexenspiel auch in einer kleinformatigen gedruckten Version heraus: [Verein „Deutsche Heimat”].

[458] Anm.: Diese Tätigkeiten gehören zu den Vorläufern des heutigen „Wiener Volkskundemuseums” – eigentlich „Österreichisches Museum für Volkskunde in Wien”, das 1896 vom 1894 gegründeten „Verein für österreichische Volkskunde” begründet worden ist, lange Zeit aber nur in Privatsammlungen bzw. (Dauer-)Ausstellungen in and Museen oder Ausstellungsgebäuden bestand. So ist etwa das „Museum für Kunst und Industrie” als Vorläufer der heutiger Museen zu verstehen: Technisches Museum, das Museum für angewandte Kunst (heute MAK) und das Österreichische Museum für Volkskunde. Siehe: [SchmidtL 1960], S. 18–29.

[461] Anm. im Originaltext: Für den Pongau verdanke ich die besten Empfehlungen Herrn Andreas Huber von Radstadt Hausdiener am k.k. naturhistorischen Hofmuseum.

[462] Vgl. dazu weitere Texte zur Schauspielforschung in Krimml: [Haberlandt 2002]; [Schuhladen/Haberlandt/Wolfram 2002]; [HartmannAu 2002].

[463] Anm. im Original: Zwei vollständige Tresterer-Costüme konnte ich ankaufen.

[464] Aus der umfangreichen Perchtenliteratur seien hier nur zwei Arbeiten angeführt: [RumpfM 1991]; [HutterE 1994a].

[466] Anm.: Tochter des Arztes und Begründers der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Franz Zillner.

[467] Anm. im Original: Die Larven haben gewöhnlich offene Augenlöcher, durch welche ihre Träger hindurch schauen können.

[468] Vgl. [HutterE 1994a], S. 53.

[470] [HutterE 1994a], S. 49, Abb. 2.

[471] Geb.: 11.11.1847 in Horn, NÖ – gest.: 13.1.1929 in Berchtesgaden; sie lebte ab ca. 1874–1903 in der heutigen Epenstein am Giselakai in Salzburg; von 1903–1919 in München, danach in Berchtesgaden.

[472] Geb.: 1835 in Braunschweig; 1893 verwitwet, heiratete ermutlich 1903 Marie Eysn; vermutlich gest. München 1912.

[473] [SchmidtL 1955a]. Darin besonders [SchmidtL 1955b].

[474] Vgl. [HutterE 1994a], S. 49, Abb. 1.

[475] Vgl. [HutterE 1994a], S. 53, Abb. 3.

[476] [HaberlandtM 1911], S. 149ff., Abb. 56.

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