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8.18. Die Wallfahrt zu Sankt Leonhard (Anton Heitzmann) - Langtext

Die Wallfahrt zum Heiligen Leonhard von Tamsweg fußt auf einer Ursprungslegende, die schließlich zum Bau der gotischen Wallfahrtskirche führte. Eine Pergamenturkunde, die bis zu ihrem Verschwinden in jüngster Vergangenheit in der Sakristei aufbewahrt worden war, überliefert diese Legende. Demnach soll eine unscheinbare Leonhardsstatue im Jahr 1421 aus der Pfarrkirche in Tamsweg wiederholt verschwunden sein. Jedes Mal fand man sie auf einem Baum auf einer Anhöhe am Fuß des Schwarzenbergs (heute „Ursprung” genannt) wieder. Als die Figur zum dritten Mal verschwand, wurde der Beschluss gefasst, die Statue sicher in einer Truhe zu verwahren. Drei Priester legten je ein Schloss an und behielten ihre jeweiligen Schlüssel bei sich. Zusätzlich waren noch drei Laien anwesend, nämlich Mert Strasser aus Sankt Michael, der Schulmeister von Tamsweg, Leonhard Feuerbeck, sowie der Schmied Christian, der für die Sicherheit der Truhe verantwortlich war.[1897] Von Montag bis Donnerstag zu Pfingsten blieb die Truhe stehen.

Am darauf folgenden Morgen jedoch fand man die Statue erneut auf dem Baum, ohne dass die Truhe in irgendeiner Form beschädigt worden war. Das Motiv der „wundersamen Rückkehr” ist das häufigste, das in Zusammenhang mit einer Ursprungslegende überliefert ist. Im Lungau finden wir das Rückkehrmotiv auch in Mariapfarr, wo der Kultgegenstand vom Dorfbrunnen in Althofen immer wieder zu seinem angestammten Platz zurückgekehrt sein soll, bis man an der Stelle die Kirche von Mariapfarr errichtete. Ignaz von Kürsinger berichtet 1853 von einer Erinnerungstafel am Weg zur Leonhardskirche, die nach dem Depositorium für die Böller stand, die bei großen Festen hier abgefeuert wurden.

Die Gnadenstatue von Sankt Leonhard, eine bäuerliche Schnitzerei, entstand um 1420, dürfte also noch sehr jung gewesen sein, als sie zum Kultgegenstand wurde. Die Annahme, dass ein Heiliger in seinem Bild genauso gegenwärtig sei wie in seinem Grab oder in seiner Reliquie, führte zu den „Gnadenbildern”, also Wallfahrtsorten, die aufgrund eines Gnadenbildes von sich aus zu wirken begannen.[1898] Der Heilige Leonhard hatte bis ins 11. Jahrhundert nur lokale Bedeutung, erfreute sich aber ab dem 12. Jahrhundert besonders in Bayern, Schwaben und Österreich außerordentlicher Beliebtheit als Patron der Gefangenen sowie später der Pferde und des Viehs im Allgemeinen. Weiters gilt er als Schutzheiliger der Bauern, Bergleute, Böttcher, Butterhändler, Fuhrleute, Hammer- und Kupferschmiede, Kohlenträger, Lastträger, Obsthändler, Schlosser, Schmiede, Stallknechte und Wöchnerinnen. Bereits im 12. Jahrhundert wurde er unter die 14 Nothelfer aufgenommen und ersetzte dort in vielen Regionen den Heiligen Cyriakus. Die Wandlung vom Gefangenen- zum Viehpatron, wie sie zum Teil auch in Tamsweg beobachtet werden kann, fand im 16. Jahrhundert statt und entstand aus einer Umdeutung seines Attributs, der Gefangenenkette. Ursprünglich war der Heilige Leonhard als Befreier und „Kettenlöser” der Gefangenen sowie Schutzpatron aller von Teufel und Geistern Gefangener, also der Geisteskranken (Legende von der Schlange in der Legenda aurea). Als Viehpatron wurde er im 18. Jahrhundert in Süddeutschland und Österreich zum populärsten Heiligen als „Eisenherr”, „Viehherrgott” oder „Bayerischer Herrgott”; allein in der Erzdiözese Salzburg sind ihm 18 Kirchen und Kapellen geweiht (z.B. Retabel von 1480 in Morzg).

Der Heilige Leonhard, dargestellt in schwarzem Abtgewande (Flocke) mit Buch (Kennzeichen des Abtes), Kette und Abtkrümme, lebte im 6. Jahrhundert, er entstammte einem fränkischen Adelsgeschlecht, lebte am Hof des Frankenkönigs und soll Schüler des Bischofs Remigius von Reims gewesen sein. Ihm wird die Gründung des Klosters Saint Léonard-de-Noblat (bei Limoges), dessen Abt er war, zugeschrieben. Er ist am 6. November 559 in hohem Alter verstorben. Dieser Tag wird auch als sein Festtag von der Kirche gefeiert.

Nach dem Ereignis der Ursprungslegende mehrten wunderbare Geschehnisse die Begeisterung des Volkes, dem Heiligen eine Kirche zu bauen. So sollen sich innerhalb einer Woche, nachdem die Leonhardsstatue zum vierten Mal aus der Pfarrkirche verschwunden war, drei wundersame Heilungen (eine Blindenheilung, zwei Heilungen von Gelähmten) ereignet haben. Bei sieben weiteren auffälligen Begebenheiten soll der Heilige Leonhard Hilfe gebracht haben: zwei Gefangenenbefreiungen, die Heilung eines Tobsüchtigen, eine Blindenheilung, die Heilung eines schwerkranken Kindes, eine Kindesauffindung und die Hilfe für ein Ehepaar in finanzieller Not. Schon 1424 und 1425 hören wir von Grundschenkungen zur Kirche. Mangels schriftlicher Quellen ist der genaue Zeitpunkt des Baubeginns nicht mehr zu ermitteln, jedenfalls wurde das Gotteshaus 1433 geweiht.

Der Baumeister Peter Harperger aus Salzburg sowie der Weihbischof Johannes Ebser sind im Fresko an der nördlichen Chorwand verewigt, ein Unikum für eine gotische Landkirche. Hervorzuheben sind die Glasfenster aus Wiener und Salzburger Werkstätten zwischen 1433 und 1450; weithin einzigartig ist das berühmte, von Erzbischof Johannes II. von Reisberg (1429–1442) gestiftete Goldfenster. Die Reste des spätgotischen Flügelaltares von 1460 (des Meisters von St. Leonhard) zeigen auch die Wunder des Heiligen Leonhard (heute über der Sakristeitür). Die wesentlichen Bauetappen der Kirche und ihrer Innenausstattung (1. Hälfte des 15. Jahrhunderts und 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts) zeigen uns heute die zwei Höhepunkte der Leonhardverehrung. Besonders die kostbare gotische Ausstattung verweist auf eine weitreichende Bedeutung der Leonhardi-Wallfahrt. So ist auch aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert an den Chorwänden eine Sammlung von Bildtaten der Wunder und des Lebens des Heiligen Leonhard erhalten. Votivtafeln aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert zeigen das Vertrauen der Wallfahrer in den Heiligen. Eine weitere Legende überhöht noch die Bedeutung der Wallfahrt: der Tuffstein („Tof”) aus dem die Kirche gebaut ist, soll aus einem Steinbruch des Schwarzenberges oberhalb der Kirche stammen, der sofort nach dem Kirchenbau versiegte. Tatsächlich stammte dieses Baumaterial aus dem hinteren Weißpriachtal.

Über die Dauer des Kirchenbaues sind keine zuverlässigen Quellen vorhanden, allerdings wird von einer unglaublich kurzen Bauzeit berichtet, die Anlass zur Entstehung von sagenhaften Spekulationen, wie der „Ochsenlochsage”, führte. Das Ochsenloch ist eine höhlenartige Felsöffnung in der Nähe der Kirche, die vielleicht auf die Zeit des Goldbergbaus zurückzuführen ist: „Als vor vierhundert und so viel Jahren der Bau der Kirche durch Gläubige begonnen, und jeder durch Hand- und Spanfrohnen die Baumaterialien zuzuführen bemüht war, da kamen zwei schwarze stattliche Ochsen aus dieser Felsöffnung hervor, welche täglich zur bestimmten Stunde aus dem Felsenloche hervorkamen, und die schwersten Spannfuhren verrichteten. Sie hatten eine solche Kraft und Stärke, dass sechs Lungauer-Ochsen das nicht zu ziehen im Stande waren, was diese zwei Wunder-Ochsen allein zogen. Als der Kirchenbau vollendet war, so zogen diese zwei schwarzen Ochsen wieder in ihr Felsenloch ein, und seither hat sie kein menschliches Auge mehr gesehen. Die Ochsen, so erzählt die Sage, waren so gescheite Thiere, dass, wenn es am Vortage eines Sonn- oder Feiertages vom Kirchthurme zu Tamsweg um 1 Uhr Mittags Feierabend läutete, sie mitten im Zuge stehen blieben, und keinen Schritt mehr gezogen haben, d. h. sie machten selbst Feierabend”.[1899]

Am 20. September 1433 konnte der Bischof von Chiemsee und Salzburger Weihbischof Johannes Ebser die Kirche einweihen. Das Bauwerk, das mit seinem 55 m hohen Turm weithin die Landschaft beherrscht, zog nun viele Wallfahrer an, wie die einst viel zahlreicheren Votivgaben bezeugen. 1441 wurde nach einem Streit zwischen Tamsweg und Mariapfarr die Wallfahrtskirche dem Pfarrsprengsel von Tamsweg zugewiesen. Schon 1434 ist eine Bruderschaft der „Kramer” urkundlich erwähnt, die 1460 als „Corporis-Christi- und Sankt-Leonhards-Bruderschaft” aufscheint und zu ihrer Blütezeit 4.766 eingetragene Mitglieder aufwies. Zwischen 1430 und 1495 wurden der Wallfahrtskirche Sankt Leonhard acht Ablassbriefe verliehen (d.h. dass alle Wallfahrer unter bestimmten Vorschriften diese Ablässe bzw. Nachlässe ihrer Sünden erreichen konnten), die die Attraktivität der Wallfahrt erheblich steigerten.

Diverse Reliquien erhöhten noch die Anziehungskraft des Gotteshauses, obwohl natürlich die Leonhardsstatue das Zentrum der Verehrung bildete. In der Monstranz, die im Tabernakel des Gnadenaltars aufbewahrt wird, befinden sich Knochensplitter des Heiligen Leonhard. Eine weitere Monstranz beinhaltet ein winziges Holzpartikel, das vom Kreuz Christi stammen soll. An den Seitenaltären sieht man Reliquiare mit Knochenpartikeln unbekannter Herkunft und am Hochaltar befinden sich drei Nägel, die das Heilige Kreuz berührt haben sollen. Wie die meisten Leonhardskirchen war auch die Wallfahrtskirche Sankt Leonhard bei Tamsweg mit einer Eisenkette umschlungen. Wann sie mit diesem Fassadenschmuck ausgestattet und wann ihr diese Kette abgenommen wurde, ist nicht mehr eruierbar. Bekannt ist jedoch, dass sie bei einer Visitation im Jahr 1613 noch vorhanden war. Neben der Statue des Heiligen Leonhard war im Volksglauben auch der am Kirchenportal befestigte frühgotische Bronzehandgriff in Form eines Löwenkopfes von Bedeutung. Der Löwenkopf wurde von jenen Pilgern geküsst, die sich von Geistern verfolgt fühlten, da er alle dämonischen Gewalten von der Kirchenschwelle fernhält. Lange verbreitet war auch der Brauch, dass Frauen diesen Türgriff küssen, um von Gespensterfurcht frei zu bleiben.[1900] Der Name Leonhards wurde bereits in der Legenda aurea (1263 –1273), der ersten Sammlung von Heiligenviten und -legenden, mit dem Löwen (Tapferkeit, Klugheit, Kraft und Wachsamkeit, Furcht vor dem Lärm der Welt) in Verbindung gebracht.

Die Palette der vielen Votivgaben reicht von Wachsgaben über Naturalien (Flachs, lebende Tiere) bis hin zu Eisenvotiven. Viele dieser Gaben wurden eingeschmolzen oder verkauft, sodass nur mehr ein kleiner Bruchteil erhalten ist, wie z. B. zwei große Opferkerzen aus dem Jahr 1610. Auf der einen Kerze ist eine gotische Monstranz abgebildet, auf der anderen das Bild des Heiligen Leonhard. An beiden ist darunter das Wappen der Freiherren von Khuenburg als Allianzwappen mit jenem der Herren von Wolkenstein abgebildet. Aus den Buchstaben lässt sich erkennen, dass diese Kerzen von Georg Freiherr von Khuenburg und seiner Gemahlin Sophia, Gräfin von Wolkenstein, gestiftet wurden. Im Gegensatz zu anderen Leonhardskirchen sind in Tamsweg keine Eisenvotive mehr vorhanden, jedoch haben sich 164 „kleinere” (22 davon hinter dem Altar) und 26 „große” Votivbilder im Altarraum erhalten. Interessant ist, dass diese Bilder, die bis auf zwei oder drei Ausnahmen aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen, als Auftragsarbeiten von Angehörigen der Maler- und Mesnerfamilie Lederwasch in Tamsweg angefertigt wurden. Die Familie wird bereits im 16. Jahrhundert erstmalig genannt, von 1635 weg stellten sie Mesner und Organisten der Wallfahrtskirche. Maler dieser Familie gestalteten unter anderem Fresken, Altarbilder und die Fassungen von Statuen in der Wallfahrtskirche um 1730.

Als besondere Kostbarkeit hat sich eine aus Silber gegossene, zum Teil ziselierte Votivfigur des Heiligen Leonhard mit Krone, Kette und Schloss erhalten. Die Büste auf einem schwarzen Holzpostament stammt aus dem 17. Jahrhundert und trägt ein Augsburger Beschauzeichen.

Die Wallfahrer, die nach Sankt Leonhard Votivgaben mitbrachten oder stifteten, konnten ihrerseits Devotionalien als Andenken erwerben. Unweit vom Anstieg zur Kirche befand sich das „Betenmacherhaus” (Rosenkranz-Erzeuger; zu jener Zeit waren Rosenkränze unter anderem aus gedrechselten Holz-, Bein- und Perlmuttkugeln), dessen Besitzer Georg Schöller sich 1678 beim Marktgericht eine Klage einhandelte, weil er Waren führte, für die er keine Genehmigung hatte. So wurde ihm aufgetragen, „...bei seiner Betenwar [Rosenkränze], Büchl [Wallfahrts- und Gebetbücher], Gsanger [Liederdrucke], Klotzen [gedörrte Birnen] und Nussen zu bleiben”.[1901] Wallfahrtsbildchen sind seit dem 18. Jahrhundert erhalten.

Die Wallfahrt zum „Großen Sankt Leonhard” ob Tamsweg (zum Unterschied von dem „Kleinen” ob Murau) ist nie abgebrochen, wenn sie auch von ihrer einstigen großen Bedeutung viel eingebüßt hat. 1479 steht bei einem Wallfahrtsversprechen eines Linzer Bürgers Sankt Leonhard an dritter Stelle der ostalpinen Wallfahrtsorte. Davon sind wir heute weit entfernt. Der Terminkalender der Leonhardsmesnerin weist in drei Jahren 61 Wallfahrten auf (1994: 20, 1995: 19, 1996: 22), denen im gleichen Zeitraum 459 Führungen (davon 134 Schülerführungen) gegenüberstehen. Wenn auch manche dieser Gruppen ihre Reise nach Sankt Leonhard unter dem Aspekt der Wallfahrt gesehen haben mögen, so ist doch erkennbar, dass heute die Leonhardskirche bevorzugt wegen ihrer kunsthistorischen Bedeutung aufgesucht wird.[1902] Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts war der Kreuzweg, der vom Fuße des Hügels bis nach St. Leonhard führt, in der Karwoche rege besucht. Ignaz von Kürsinger hat dessen Errichtung vom Jahre 1691 an geschildert. Als Hauptstück fungierte damals das vom Halleiner Bildhauer Georg Mohr erbaute Heilige Grab.



[1897] [Hatheyer 1955], S. 214; [Dehio 1986], S. 427–431.

[1899] [Neuhardt 1995], S. 8f.; [Kürsinger 1853], S. 279f.

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