St. Jakob am Thurn liegt 10 Kilometer vom südlichen Stadtrand Salzburgs entfernt auf dem Thurnberg, dessen Siedlungsgeschichte bis in die keltische Zeit zurückreicht. 1238 übergab Ritter Wernher von Lengenfelden eine Kirche bei seinem Turm Vrimos dem Stift St. Peter, unter der Bedingung, in dieser Kirche das ewige Licht zu entzünden und allwöchentlich eine heilige Messe zu feiern.
Der Namen gebende, heute noch erhaltene und im Kern romanische Wohnturm ist seit dem 13. Jahrhundert der Stammsitz des Rittergeschlechts von Thum. Die Ritter von Thum bzw. Thurn gehörten bis ins 17. Jahrhundert zu den bedeutendsten Ministerialenfamilien des Erzstiftes Salzburg. Die von Jakob von Thurn gestiftete neue Kirche wurde 1324 zu Ehren der Heiligsten Dreifaltigkeit, Unserer Lieben Frau (heute Kopie des Gandenbildes von Maria Dorfen bei München, das im 18. Jahrhundert weithin verehrt und vielfach kopiert wurde)[2085] und des Apostels Jakobus des Älteren geweiht. Jakob von Thurn stiftete sie damit wohl auch seinem Namenspatron. Ob Jakob von Thurn ein Compostela-Pilger oder sogar Mitglied der Jakobsbruderschaft von Compostela war, wissen wir nicht.
Durch die Verleihung von Ablässen für die „Capella sita iuxta castrum quod vocatur Turris” (die „Kapelle, die neben jener Burg gelegen ist, die Turm heißt”) setzte wenig später eine starke Wallfahrtsbewegung ein. In diesem Zusammenhang kam es auch in St. Jakob am Thurn zur Gründung einer Jakobsbruderschaft, welcher die Fürsorge der Wallfahrer übertragen wurde.Diese Bruderschaft steht also ganz im Rahmen der mittelalterlichen Bruderschaftsgründungen, die auf soziale irdische Zwecke ausgerichtet waren: die Versorgung Zunftangehöriger, die Fürsorge für hilfsbedürftige Gruppierungen sowie – speziell bei den Jakobsbruderschaften – die Betreuung der Fernpilger.
Jakobus der Ältere war der Sohn des Fischers Zebedäus und Bruder des Evangelisten Johannes. Johannes, Petrus und er wurden wegen ihres missionarischen Eifers von Jesus als „Donnersöhne” bezeichnet. Jakobus erlitt um Ostern 44 als erster der Apostel in Jerusalem durch Herodes Agrippa den Märtyrertod. Sein Fest wird heute am 25. Juli gefeiert (ursprünglich war es der 27. Dezember).
Im 7. Jahrhundert entstand die Behauptung, Jakobus habe in Spanien gepredigt und sei dort begraben (z.B. Isidor von Sevilla, De ortu et obitu patrum: Pl 83, 151). Sie gilt heute als unhaltbar. Dennoch trug sie zur Entstehung des Heiligtumes St. Jakob in Compostela wesentlich bei. Die Wallfahrt zum Grab des Jakobus in Compostela setzte nach der Übertragung des Leichnams des Heiligen – im 9. Jahrhundert durch Bischof Theodomir von Iria – ein und war vom 10. bis zum 15. Jahrhundert weltberühmt. Eine Vielzahl von Jakobskirchen am Weg dorthin und an den Heeresstraßen der Kreuzfahrer entstanden; daneben Orden, Klöster, Hospize, Bruderschaften, Legenden und Lieder. Jakobus war zeitweilig der volkstümlichste Apostel. Er wurde Schutzheiliger im Kampf gegen den Islam (neben Michael), Patron Spaniens und Portugals, der Winzer und besonders der Pilger. So änderte sich auch seine Darstellung. War es zuerst Buch oder Rolle als Apostelattribut, wurde im 12. Jahrhundert die Darstellung als (Santiago-)Pilger mit der Muschel, zunächst auch mit dem Schwert, dann mit langem Pilgerstab üblich. „Jakobi” galt als Lostag, als Glückstag für die Ernte, und in den Alpen als Tag des Dienstbotenwechsels und Festtag der Hirten.
Drei bedeutende Ritterorden entstanden zu Ehren des Heiligen und übernahmen sozial- karitative Aufgaben:
Der Ritterorden des heiligen Jakobus vom Schwerte (auch von Compostela), wurde 1161 im spanischen León zum Kampf gegen die Mauren gegründet. Die Übernahme des Hospitals S. Marcos (León) brachte dem Orden laut päpstlicher Approbation von 1175 die Betreuung der Santiagopilger als neue Hauptaufgabe. Ursprünglich einziger spanischer Militärorden, widmete er sich seit ca. 1505 fast nur noch dem Hospitaldienst. Der Ritterorden vom heiligen Jakobus (von der Muschel), 1290 in Haag von Graf Florentinus von Holland gegründet und in der Reformationszeit untergegangen. Die Hospitaliter vom heiligen Jakobus (Jakobsbrüder), widmeten sich dem Brückenbau, dem Pilgerschutz und der Krankenpflege. Sie werden 1127 erstmalig erwähnt, vereinigten sie sich 1459 mit den Bethlehemiten.[2086]
Das Jakobsgrab in Compostela zählte im Mittelalter neben der Nikolauskirche in Bari (1087) und dem Grab der Heiligen Drei Könige in Köln (1164) zu den europaweit besuchten Fernwallfahrten. Jede Kirche, die Heiltümer besaß, trug diese oft bei jeder Messe, gemeinsam mit dem Allerheiligsten um. Von den Reliquientranslationen ausgehend entwickelten sich Formen festlicher Umzüge für die großen Kirchenfeste.[2087]
Wallfahrten wurden einerseits aus einem Wunsch heraus oder zum Dank „verlobt”, andererseits gehörten sie auch zu den Kirchenstrafen und wurden – ebenso wie die Ablässe – verordnet. Im Zuge der Wallfahrten kam es zu einem regen Kulturtransfer in Europa. Allerdings brachten sie auch Gefahren für die Reisenden mit sich, zogen Gesindel aller Art auf Wallfahrtsrouten und in die Kirchenorte an und führten oft zur Verarmung der Familien der Wallfahrer. Zurückgekehrte reiche Pilger stifteten oft Gnadenorte oder Bildnisse in Erinnerung ihrer Reise.
Nach dem Ende der Türkengefahr nahm der Wallfahrtszustrom immer mehr ab. Darin ist aber auch der Umschwung im Denken jener Zeit zu sehen. Denn, beeinflusst durch die Reformen Luthers, reformierte das Tridentinische Konzil auch die katholische Glaubenspraxis. Damit kamen Ablasshandel und die oft damit verbundenen Fernwallfahrten in ganz Europa ab.
Im Jahre 1476 soll es der Überlieferung nach im Zuge der Türkenbedrohung zur Bewaffnung der Jakobibruderschaft und damit zur Gründung der Jakobischützenvereinigung gekommen sein. Ob sie „Jakobibruderschaft” oder einfach „Bauernwehr” hieß, ist nicht bekannt. 1476 war das Jahr, in dem Erzbischof Bernhard von Rohr die Bewaffnung der Bauern als „Landfähnlein” anordnete – die Ritter von Thun standen in seinen Diensten.
In diesem Zusammenhang, 1476, soll auch eine Legende entstanden sein, die St. Jakob als Warner und Beschützer St. Jakobs am Thurn ausweist. Sie wird noch heute alljährlich beim Jakobischützentanz am letzten Sonntag im Juli aufgeführt. St. Jakob soll als Pilger mit Stab und Pilgermuschel am Hut nach St. Jakob gekommen und über die Wiesen und Felder des Thurnberges gelaufen sein. Ein Flurschützer stellte ihn zur Rede und wollte ihm zur Strafe seinen Hut abnehmen. Das mittelalterliche Recht kannte strenge, zeitlich geregelte, Betretungsverbote für fruchtende Felder und Wiesen. Der Pilgrim gab sich als Patron des Ortes zu erkennen und warnte seine Schützlinge vor den anrückenden Türken.[2088]
Auch in St. Jakob am Thurn hörte der Wallfahrtszuzug in der frühen Neuzeit auf. Erst im 18. Jahrhundert sollte es unter der gräflichen Familie Pla(t)z zu einem neuen Aufschwung im Ort kommen. Die nachtridentinischen Bruderschaften folgten ganz anderen Kriterien als die mittelalterlichen. Sie hatten in erster Linie einen Gebetszweck, der auch Titel der Bruderschaft war. Bruderschaften umfassten unterschiedliche Standesgruppen (die natürlichen Stände wie auch Ausbildungs- und Berufsgruppen; die Zünfte wandelten ihre alten Zechen und Bruderschaften vielfach in nachtridentinische Bruderschaften um).[2089]
Zwischen 1610 und 1760 erfolgten die meisten Bruderschaftsgründungen und Ausstattungen der Bruderschaften durch die Salzburger Erzbischöfe wie durch adelige, geistliche und weltliche Personen. 1754 unterstellte Erzbischof Sigismund von Schrattenbach (1753–1771) das neue Vikariat der Pfarre St. Jakob am Thurn mit allen pfarrlichen Rechten dem Patronat des Grafen Joseph Anton von Pla(t)z (1677 –1767). Bereits 1746 (anders: 1738) kam es zu einer großen Stiftung durch den gräflichen Hofmarksverwalter Johann Caspar Pichler. Er verstand es, der Kirche Reliquien des Heiligen zu verschaffen und Ablässe zu erreichen und stiftete die „spanischen Röckl und Hosen samt Huet und 2 Mohrenklaydl ... (nach Entwürfen des Malers Joh. Peter Hölzl) ... damit die St. Jakobs-Bruderschaft fremden Wallfahrern in der Tracht von St. Jakob im Compostela entgegen gehen könne” und richtet eine „Bruderschaftskammer” im Nebengebäude des Turm-Schlosses ein.[2090] Die „spanischen Röckl” sind offenbar Kostüme in barocker so genannter spanischer (Prozessions- bzw. Bruderschafts-)Tracht. Ihre Nachfahren dürften die heute noch gebrauchten schwarzen Prozessionsmäntel sein. Diese Mäntel, mit Jakobsmuscheln und dem „Kreuzschwert” besetzt, werden heute von den Baldachinträgern bei Prozessionen verwenden. Sie werden in der Pfarrkirche verwahrt. Das Kreuzschwert ist dem Schwert der Jakobsritter in Spanien nachempfunden und versinnbildlicht Frömmigkeit und Wehrhaftigkeit, es geht auf die „Jakobslilie”, das Märtyrersymbol zurück. Ob diese Mäntel in älteren ihr Vorbild haben und der oben erwähnte Graf Thurn Jakobsritter war, oder ob der Stifter Sympathie für oder Kenntnis von diesem Orden hatte, bleibt ungeklärt.
Die zwei „Mohrenklaydl” stellten offenbar die Ausstattung für sarazenisch-maurische „Gefangene” dar und wurden wohl auch für Prozessionen und Figurationen verwendet. Ob sie einen Hinweis darauf geben können, dass der Kirchengründer Jakob von Thurn Mitglied der Compostela-Bruderschaft oder Jakobspilger war oder ob sie nur allgemeine die Jakobslegende und die Maurenkämpfe der historischen spanischen Bruderschaften figurieren, bleibt leider offen. Die Kostüme sind zumindest ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bruderschaft des 18. Jahrhunderts in St. Jakob am Thurn eine Figuration in Prozessionen darstellte, oder sogar ein Spiel aufführte. Beides war gängige Praxis der Bruderschaften im 18. Jahrhundert.
1747 schenkte Erzbischof Jakob Ernst Graf Liechtenstein der Kirche zu Ehren seines Namenspatrons eine kunstvolle Elfenbeinstatuette. 1749 erhielt die Bruderschaft von Papst Benedikt XIV die „gewohnten Ablässe” und wurde 1751 feierlich eingeweiht.[2091] Das heißt, es kam in diesen Jahren zu einer Neuaufrichtung der nicht mehr bestehenden Bruderschaft nach nachtridentinischen Kriterien (freier Zugang für die Bürgerschaft, Unterstellung unter einen Bruderschaftsvorstand und den Ortsgeistlichen). Bei solchen Neuaufrichtungen, ebenso wie zu besonderen Kirchenjahren oder großen Jubiläen, erhielten die Bruderschaften besondere Ablässe für ihre Angehörigen vom Papst zugestanden. In den Hirtenbriefen von 1776 und 1782 unterzog Erzbischof Hieronymus das Ablasswesen einer Kritik und Erneuerung und schränkte es in der Folge stark ein.[2092]
Im „Hofmarschall-Diarium” des Erzbischofs Sigismund von Schrattenbach (1753–1771) wird für den 19. Mai 1766 berichtet: „Vor ½ 8 Uhr ging seine hochfürstliche Gnaden in den Saal (Mirabell) heraus und saheten an die St. Jakobibruderschaft von Thurn, welche mit ihren Fahnen, Standart, Trumbeln und Pfeifen in dem Hof sich präsidierten. Höchstselbe gabe auch allen die Benediction.“[2093] Ob bereits damals beide Traditionsstränge – jener der kirchlichen Bruderschaft, wie jener der Jakobischützen – vereint waren, oder ob die Bruderschaft gemeinsam mit der Schützenmusik auftrat, ist nicht zu klären. Der Wallfahrtszuzug nach St. Jakob am Thurn muss zu jener Zeit groß gewesen sein, da Gebetszettel mit der Ansicht des Wallfahrtsortes und dem Heiligen Jakob als Jakobspilger darüber gedruckt wurden.[2094]
Die Jakobibruderschaft muss – wie alle anderen Bruderschaften im Römischen Reich Deutscher Nation auch – mit den Verboten der Aufklärung um 1783 ihr Ende gefunden haben. Da unter Hieronymus Colloredo alle Bruderschaften in Christenlehrbruderschaften umgewandelt worden waren, deren Zweck einerseits die Bildung in der religiösen Lehre und andererseits die Wohltätigkeit war, dürfte es der Jakobibruderschaft ebenso ergangen sein.
So könnten auch die oben genannten „Mohrenklaydl” mitsamt einem dazugehörigen Spiel oder Prozessionswagen dem 4. Hirtenbrief von 1779 bzw. dem Erlass vom 28. Mai 1784 von Erzbischof Hieronymus Colloredo zum Opfer gefallen sein. Der Hirtenbrief verbot „Passionsspiele und Mummereyen bey Charfreitags- und anderen Prozessionen”. Wiederholungen des Verbotes folgten 1784 und 1796. Vom Generale von 1784 waren die Bruderschaften schwer betroffen, deren Andachten vom Nachmittag auf den Vormittag der Feiertage verlegt wurden, denen damit auch Kutten und Stäbe für die Prozessionen, sowie die öffentlichen Auftritte in großen Prozessionen verboten wurden. Die Bruderschaftsangelegenheiten wurden 1787, 1789 und 1796 erneut geregelt. Einschränkungen und Teilverbote für Prozessionen ergingen auch 1780, 1782 und 1783.[2095]
Schon 1738 (andere Angabe: 1790) sollen sich die Jakobibrüder mit Prangstutzen und Trachten versehen haben. Offensichtlich formierten sie sich in einen Schützenverein mit Reitern, (der nicht den religiösen Verboten unterlag) und der dann tatsächlich auch im Jahr 1800 offiziell als „Jakobischützen” begründet wurde. Bei den Auftritten ritt auch ein Jakobidarsteller auf einem Rappen mit rotem Zaumzeug mit, der von den zwei Mohrenknaben geführt wurde – wie der heutige Verein berichtet. Bis 1881 blieb nur mehr die Teilnahme am Fronleichnamsumzug als Ausrückung übrig. Der Fahnenträger marschierte zu Fuß an der Spitze des Zuges, gefolgt von den (acht bis 20) Jakobireitern und einer weiteren Fahne. Vor dem Himmel gingen dann die restlichen Schützen und Jakobibrüder. Diese Reihung zeigt, dass dem Schützenverein von kirchlicher Seite keine besondere Bedeutung zukam, denn als Vorausgeleite gehen in den Prozessionen die „minderen” Teilnehmer, während die Honoratioren und wichtigen Gruppen der Gesellschaft auf den Himmel folgen bzw. den Himmel tragen.
Erst 1926 kam es unter Kuno Brandauer und Josef Fallnhauser zur so genannten Wiedergründung der Jakobischützen (Eintrag im Vereinsregister 1928, mit 26 Mitgliedern).[2096] Aus heutiger Sicht muss man diese Gründung eine Neuformierung unter anderen Bewertungen und Zielsetzungen nennen. Die Tracht, der Jakobischützentanz und die heutige Form des Prangstutzenschießens stammen aus jener Zeit. Die Besitzerin von Schloss Thurn, Gräfin Wurmbrand, stiftete nach der Vorlage der alten Fahne (vor 1540) eine neue Fahne. Leider wissen wir heute nicht, ob und woher die Erneuerer Kenntnis der alten Fahne hatten, oder ob bereits eine weitere Kopie jener historischen Pate gestanden hat.
Die Geschichte dieser Fahne ist jedenfalls interessant: Das Vorbild zur Fahne der Jakobischützen – wie auch zu einem Holzschnitt von Jörg Kölderer (Hofbaumeister und -maler Kaiser Maximilian I.), vor 1540 – fand Friederike Zaisberger in den Depots des SMCA auf der Festung Hohensalzburg. Sie „besteht aus einem gelbseidenen Blatt, in das ein nach links (heraldisch rechts) steigender schwarzer Löwe und acht waagrechte schwarze Flammen eingesetzt sind. Unterhalb des Löwen ist ganz klein das Wappen der Stadt Salzburg eingestickt. Nach Angabe der Österreichischen Kunsttopographie XVI, 1919, S. 317 und Fig. 417 stammt die Fahne aus dem Thurm in St. Jakob am Thurn, der zu Jörg Kölderers Zeit im Besitze der Erbschenken von Salzburg, der Familie Thurn zu Neubeuern war. Diese Fahne aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist zweifellos eine der ältesten Fahnen überhaupt."[2097] Die heute noch verwendete Fahne von 1926 entspricht dieser Beschreibung. Jene von 1966 ist ihr sehr ähnlich, doch sind die Flammen zu geraden Strahlen verändert und der Heilige Jakob anstelle des Wappens eingestellt.
Die Uniformen von 1926 wurden laut Kuno Brandauer „der Überlieferung angepasst”. Sie sollen jenen folgen, die 1738 angeschafft worden waren – so geht es aus dem Falter „Jakobikirtag” des heutigen Vereines hervor.[2098] Dass sie wohl Neuerfindungen im Volkstumsgeiste Brandauers waren, und alle beliebten Elemente von Brandauers Trachtenerneuerung aufnahmen, zeigt die Art der Kostüme. Elemente früherer Schützentrachten sind darin sicherlich auch enthalten. Auf die ursprünglichen Bruderschaftsmäntel „Hispanischen Röckl”, in der Art der schwarzen Himmelträgertrachten, ging Brandauer nicht ein. Die heutige Tracht besteht aus einem schwarzem Hut mit rotem Federbuschen, einem weißen Hemd mit schwarzer Halsbinde, einer weißen Weste, dem roten, knielangen Schützenmantel (eigentlich einem Gehrock nach Art des frühen 18. Jahrhunderts) und einer schwarzen Kniebundhose. Dazu gehören noch weiße, grob gestrickte Stutzen mit seitlichen roten Maschen und schwarze, knöchelhohe Schuhe. Die Tracht stellt also eine Mischung aus Rokoko-Kleidung der Bauern wie Schützen und Volkstrachtvorstellungen der 1920er Jahre dar. Den Gruppenmitgliedern und der Bevölkerung ist sie heute längst wieder zur „Tradition” geworden.
Nach dem „Anschluss” Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland änderten sich auch für die Jakobischützen die Rahmenbedingungen grundlegend. Mit Bescheid vom 1. Juni 1939 wurde von der Behörde des „Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände” dem Verein zwar weiterhin die Ausübung seiner Tätigkeit erlaub, er wurde jedoch unter die Aufsicht und Kontrolle des „zuständigen Hoheitsträgers der NSDAP, bzw. dessen Beauftragen” gestellt”.[2099] Im Zusammenhang damit stehen auch die neuen Vereinsstatuten, die ebenfalls die rigide Kontrolle durch die damaligen staatlichen Organe festschreiben. So konnten diese Vereinsstatuten nur mit Zustimmung der NSDAP geändert werden.[2100] Das Jahr 1944 brachte abermals grundlegende Veränderungen in der Vereinsstruktur, denn im März dieses Jahres wurden von der zuständigen Behörde des Reichsstatthalters in Salzburg die Statuten der „Purcher und Thurnberger Bauernschützenkompagnie” mit Sitz in Puch genehmigt.[2101] Die „Jakobischützen. zu St. Jakob am Thurn” verloren ihre Eigenständigkeit, denn sie wurden Ende April 1944 aus dem Vereinskataster gelöscht.[2102] Der Einfluss des Funktionärs Kuno Brandauer auf diese außergewöhnliche Beibehaltung eines Vereines wird daraus ersichtlich.
Wann die Wiederbegründung nach 1945 erfolgte, ist unklar, doch 1947 wurde der Schützentanz wieder aufgeführt. 1976 feierten die Jakobischützen ihr 500-jähriges Bestehen.[2103] Seit 1956 gehören die „Thurnberger Pfeiferlbuam” dem Verein an, seit 1958 findet die erneuerte Form des Schützentanzes statt und seit 1990 wird auch ein Pferd in den Umzügen eingesetzt. Der heutige Verein besteht aus 66 Männern und zwei Frauen (Marketenderinnen), das älteste Mitglied ist 74 Jahre alt, das jüngste 15; der Altersdurchschnitt beträgt 41 Jahre.
Heute wirkt der Verein bei kirchlichen und regionalen Festen, bei Brauchtumsveranstaltungen und Schützenfesten mit. Das Hauptfest des Vereines wie des Dorfes ist der „Jakobi-Kirtag” am 25. Juli. Bei der kirchlichen Feier am Vormittag wird der „Thurnberger Jaggei”, die Heiligenstatue, in feierlicher Prozession um das Hauserfeld getragen. Dazu spielt die Pucher Musik, die roten Jakobi-Schützen schießen und die schwarz bemäntelten Jakobi-Brüder tragen den goldenen Baldachin. Am Nachmittag wird vor einer großen Besucherzahl der Jakobischützentanz aufgeführt.[2104] Zu den Vereinsaufgaben zählen auch die Pflege der Kameradschaft und sozial-karitative Tätigkeiten.
An Ämtern und Funktionen gibt es den Hauptmann, der auch Obmann ist, den Oberleutnant und Obmann-Stellvertreter, Fähnrich, Schützenmeister, Schriftführer, Zahlmeister, zwei Hellebardiere als Fahnenbegleiter, den Trommler, vier Pfeifer, zwei Marketenderinnen, zwei Schinangl oder Jungmänner und die Schützen.
Heute besitzt der Verein die Fahne von 1926, die eine Nachbildung jener von 1540 sein soll. Sie wird heute als Reiterstandarte verwendet. Weiters eine Fahne von 1966, die Landsknechtstrommel in einer Form des 16. Jahrhunderts – mit einer Abbildung des Heiligen -, Blockflöten für die Pfeifer und die Stahlrohr-Prangstutzen, die 10 bis 15 kg wiegen.[2105] Protokolle und Aufzeichnungen gibt es seit dem Jahre 1926.
Zu den Neuerungen Kuno Brandauers gehört offenbar auch der Jakobischützentanz, denn vor Brandauer gibt es dafür keine Zeugnisse. Laut Kuno Brandauer soll der Tanz 1929 „erstmals wieder zur Aufführung gelangt sein”. Die von Kuno Brandauer genannten überlieferten Nachrichten der Altbauern von Point, Kalchgrub und Wildlehen sind heute nicht mehr vorhanden und daher nicht nachvollziehbar. Möglicherweise waren Erinnerungen oder Hinweise auf ein älteres Legendenspiel vorhanden. Der Jakobischützen-Tanz trägt – wie etwa auch die „Wilde Jagd”, deren Herkunft auch über Brandauer hinaus nicht dokumentiert ist[2106] 23 – ganz die Handschrift Kuno Brandauers. Auch bei der „Wilden Jagd” hat Brandauer Formen des in der Renaissance üblichen Handwerker- und Bergmannstanzes mit Ideen des ideologisch im NS-Regime entwickelten „germanischen Männerrundtanzes” (Brandauer war in engem Kontakt mit Richard Wolfram)[2107] mit Sagen und Bräuchen der Region zu einem neuen Medley vermischt und auf die Bedürfnisse der wurzelsuchenden Gruppierungen jener Zeit zugeschnitten. Genauso scheint dies hier der Fall zu sein. Denn religiöse Bruderschaften des Mittelalters wie des Barock kannten keine Tänze. Sie brachten Spiele und szenische Bilder über Heiligenlegenden zur Aufführung und kannten Grabtheater und pompöse Geleite. Die Schützenkompanien des 19. Jahrhunderts veranstalteten offizielle Bestschießen, marschierten in Prozessionen und profanen Festumzügen auf, aber auch sie kannten keine Tänze.
Diese Meinung wird durch Text- und Ablaufelemente des Tanzes untermauert, wie durch Kommentare ganz in der Diktion und Bewertung des frühnazistischen „Gebirgstrachten”-Geistes. Die Reverenz, mit der das Spiel beginnt, war geradezu ein Tick von Kuno Brandauer und prägt alle seine Inszenierungen, denen er damit eine historische Bedeutung verleihen und womit er ein „geziemendes” Verhältnis zwischen Volk und Obrigkeit vorgeben wollte. Dem Geist des „1. Österreichischen Gebirgstrachtenvereines” entsprechen die Worte des Ansagers in Figur 1 und 9 sowie der stets „Heimat/Hoamatland” monierende Duktus ganz in der Vereinssprache jener Zeit. „Türkenspäher” und „Mohrentäter” ließen sich problemlos in die ausgrenzende biologistische Ideologie übernehmen. Der Schlangltanz in Figur 3 wie die gesamte Gliederung in Figuren entspringen dem Dürrnberger Schwerttanz. Bereits Gustav Gugitz hat 1958 Bedenken gegen die damalige Praxis des Jakobischützentanzes angemeldet, er nannte ihn ein „mixtum compositum” und bezweifelte, dass er seit 1738 aufgeführt würde.[2108]
Der Platz wird von vier Mann, den „Ansagern” abgesteckt.
Figur 1: Reverenz
Ansager: „Unseren Gruß zuvor! Die Thurnberger Schützen wollen heut´ den Gästen zur Ehr´ und Aufmerksamkeit ihren Tanz aufführen in der schön´ alten Tracht vom Jahr siebzehnhundert und dreißig und acht!”
Kommando: „Schützen habt acht!”Figur 2: Eintanzen (Tor)
Ansager: „Die Reihn und Rotten sind gericht, dem Fähnlein nicht der Mut gebricht, zu heben mit dem Tanze an: auf ihr Schützen, drauf und dran, ziehet aus dem Turm hervor über d´Brucken durch das Tor!”
Kommando: „Tor auf!”Figur 3: Schlangltanz
Ansager: „Ei, wer kommt uns da entgegen aus fremdem Land, auf Büßerwegen, ein Wandersmann in brauner Kutt´ mit Pilgerstab und breitem Hut. Sanktus Jakobus, hispanischer Gast, das Ziel der Wanderung g´funden hast.”
Kommando: „Auf zur Roas!”Figur 4: Kreuz
Ansager: „In Berg und Tal erschallt dein Wort, Vrimoos (die alte Ortsbezeichnung) ist dein heil´ger Ort, dem du deinen Nam´ hast geben und der Einöd erst das Leben; dein Zeichen sich zum Himmel reckt. Das Kreuz wird nunmehr aufgesteckt!”
Kommando: „Steckt das Kreuz!”Figur 5: Turm
Ansager: „Den Lueg ins Land zu unserem Schutz lasst uns erbaun dem Feind zum Trutz, die Mauern halten tausend Jahr – die Heimatliab bleibt ewig war und braust heran der Feinde Sturm, unwandelbar steht unser Turm!”
Kommando: „Baut den Turm!”Zwischenspiel zur Legende des heiligen Jakobus (nur selten aufgeführt)
Der Hauptmann: „Du Flurbot luag und schau net lang zua, da rennt do wer durch die greane Flur!”
Der Flurbot hält den heiligen Jakobus auf: „Her mit Dein Huat so broad! Du hast gefrevelt an Woad und Troad! Wer zertrampelt ein Greanwachs guat, der hat verwirket seinen Huat.”
St. Jakobus: „So Du mir lassest meinen Hut, dann nehm ich den Thurn in meine Hut. Und Euch alle, meine Schützen, will ich beschirmen und beschützen!”
Der Flurbot: „Wer bist du, der mir sein Straf verwehrt? Und Schirmherrschaft über den Thurn begehrt?”
St. Jakobus: „Aus Spanien komm ich in Eil gerannt – St. Jakobus der Heidenfeind, so bin ich genannt.”
Der Flurbot: „Jetzt kenn i Di, unser Schutzpatron! So knia i vor Dir als Dein treuer Sohn.” St. Jakobus: „Als Warner komm ich. Gib sogleich vom Kirchturm her den Glockenstreich! Der Türken Späher schleicht herein, der weist die Heiden auf Salzburg hinein.”
Der Hauptmann: „Der Glockenstreich vom Kirchenturm. Insa Glockn, die läut Sturm! Trummla schlag an! Lärman! Lärman! Der Türkenspächer kummt heran!”Figur 6: Die Wehr
Ansager: „Sankt Jakobus schon, der Mohrentäter, zeigt sich der Christenheit als Retter. Wie ein Pilgrim fechten kann, als wäre er ein Rittersmann. Stolz flattert unsre Fahn´ im Heer, die Türkenflut bricht an der Wehr!“
Kommando: „Zur Wehr!”Figur 7: Die Gasse
Ansager: „Nach den rauhen Sturmeszeiten lasset uns zum Frieden schreiten; der Lenz zieht auf den Winter ein, wer will da noch zaghaft sein und nicht nach dem Glücke greifen, wenn´s an uns vorbei will streifen?”
Kommando: „Zur Gasse!”Figur 8: Der Ring
Ansager: „Wollen wir nicht mehr verweilen und dem Glück geschwind nacheilen, Jakobus, großer Wetterherr, gib, dass die Sonne wiederkehr´ und´s Hoamatland zum Blühen bringt! Auf Ihr Brüder, schließt den Ring!”
Kommando: „In den Ring!”Figur 9: Der Dank
Ansager: „Die Thurnberger Schützen danken mit Freid, dass Ihr, liebe Gäst´, gekommen seid und uns tatet die Ehre schenken, mit Fleiß wir darum ein Gläslein schwenken. Auf Euer Wohl ein Schützenheil!”
[2084] Der Beitrag ist unter Mitarbeit von Katharina Habetseder, Cornelia Maier und Oskar Dohle entstanden.
[2085] [Neuhardt 1982], S. 61; [Kermauner 1990]; [Buchmayr 1953]; [Weidl 1988].
[2086] [Lexikon für Theologie 1957]. Bd. 5, S. 834.
[2087] [Kammerhofer-Aggermann 2002a]; [Lexikon für Theologie 1957]. Bd. 8, Sp. 834; [Klausner 1954]. Bd. 3, Sp. 149 und Bd. 4, Sp. 1426; [Beissel 1976], S. 130 und S. 199f.
[2088] [Neuhardt 1982], S. 82.
[2089] [Klieber 1999], S. 571ff.
[2090] [Neuhardt 1982], S. 82.
[2091] [Neuhardt 1982], S. 82.
[2092] [Schöttl 1939], S. 121f.
[2093] Freundliche Mitteilung des „Verein der Jakobischützen zu St. Jakob am Thurn” im Brief vom 20.1.2003; vgl. zu allem: [HörmannF 1996], S. 484f.
[2094] [Neuhardt 1982], S. 82: Gebetszettel von St. Jakob am mit Kupferstich von Matthias Pock, Salzburg 1778.
[2095] [Kammerhofer-Aggermann 2004]; [Hübner 1793], S. 386.
[2096] Vgl. [Kerschbaumer 1996b]; [Kammerhofer-Aggermann 1996a].
[2097] [Zaisberger 1996d], S. 169.
[2098] Faltblatt „St. Jakob am Thurn. Jakobikirtag. o. O o. J, o. Impressum. Autor des Gedichtes „Da Schützentanz” in Fallnhauser. Der Text zur Geschichte des Vereines ist o.A.
[2099] SLA, RSTH I/3 V 306.
[2100] Satzungen der „Jakobischützen e. V. zu St. Jakob am Thurn”, Gau Salzburg; SLA, RSTH I/3 V 306.
[2101] Amtsvermerk, 30.3.1944; SLA, RSTH I/3 V 306.
[2102] 19 Mitteilung des Landrates des Kreises Hallein an den Reichsstatthalter, 24.4.1944; RSTH I/3 V 306. Herrn Dr. Oskar Dohle, SLA, sei herzlich für die Beratung und Aktendurchsicht gedankt.
[2103] [HörmannF 1996], S. 484f.
[2104] Der Jahrlauf in St. Jakob am Thurn. „Als Handschrift gedruckt für die Thurnberger Pfeiferlbuam”. o.O., o.J.
[2105] Wir danken dem „Verein der Jakobischützen zu St. Jakob am Thurn” herzlich für die Beantwortung unserer Fragen, alle zur Verfügung stehenden Informationen und die überlassenen Abbildungen (20.1.2003).
[2106] Vgl. dazu [Freudl 2002] und [Grieshofer 2002].
[2107] Vgl. [Kammerhofer-Aggermann 1996b], S. 399–400: Richard Wolfram und Otto Höfler auf der einen Seite gelten als die „germanischen Männerbündler“ unter den Ritualisten der Wiener Mythologischen Schule, die ins „Ahnenerbe der SS Heinrich Himmlers“ gehörten; Georg Hüsing, Karl von Spieß und Karl Haiding auf der anderen Seite gelten als die Laich-(Rundtanz)-Forscher von Seiten des Amtes Rosenberg.
[2108] [Gugitz 1958]. Bd. 5, S. 199 f.