Heutzutage, wo die meisten Almen aufgelassen sind, ihre Hütten verfallen, andere dagegen als Feriendomizil dienen oder für den Tourismus bewirtschaftet und vielfach durch moderne Verkehrswege erschlossen werden, umgibt das Almlied ein Hauch von Nostalgie. In eingängiger Harmonie gesungen, scheinen die Texte von einer vergangenen, ungestörten und unwiederbringlichen Idylle zu erzählen.[2420] Doch in Wirklichkeit gestaltete sich das Leben auf der Alm keineswegs geruhsam, obwohl die Sennerin[2421] im Vergleich zu einer Magd am Hof doch gewisse Vorteile genoss. Sie wurde nicht ständig beaufsichtigt und konnte daher, vor allem am frühen Nachmittag, auch ein wenig Freizeit verbringen. Die Mahlzeiten bereitete sie selbst zu, womit sich die bei Hof oft sehr dürftigen Portionen umgehen ließen. Andererseits gab es genug zu tun: Sennerinnen hatte das oft weit verstreute Vieh zu suchen, zu melken, Milch zu seihen, Butter zu rühren und Käse zu machen, und sie mussten alle diese Arbeiten in der Regel alleine verrichten. Allenfalls gab es auf der Alm noch eine zweite Sennerin (oft „Kuhdirn” genannt) und einen Halterbuam (Hüterbuam), der auf die Rinder, Schafe und Ziegen zu achten hatte. Von Zeit zu Zeit nur erschienen aus dem Tal der Bauer oder die Bäuerin, um nach dem Rechten zu sehen, oder der Säumer, ein Knecht, der dringend Benötigtes mitbrachte, vor allem aber die frischen Almprodukte abholen kam.
Enge kennzeichnete die Lebenswelt auf der Alm, und das spiegelt sich im Vokabular der Almlieder wider, die häufig mit einem kleinen Wortschatz das Auslangen finden.[2422] Die Sennerin erscheint darin fast immer anonym, als Repräsentantin oder Ideal eines Berufsstandes; selten wird eine konkrete Person namentlich angesprochen. Das Vieh, die Natur, das Tagwerk, die Kleidung, das Wetter gehören zum standardisierten Textgerüst, und sodann die willkommenste Abwechslung, der Besuch eines werbenden Mannes – manchmal handelt es sich dabei um den Jäger, öfter indes ist es der Wildschütz. Hier nun setzen zahlreiche romantische, zuweilen auch ekelhaft kitschige Geschichten an, die sich auf peinliche Weise mit vordergründigem Verhalten begnügen. Die bäuerliche Schicht wird als primitive Gesellschaft von Liebestollen entstellt, in der es die Geschlechter kaum erwarten können, einander im Sommer auf den Almen in beliebigem Partnerwechsel körperlich nahezukommen. Es geht nicht an, diese stumpfsinnigen Produkte einfach totzuschweigen; zu sehr haben sie das Bild vom Almleben negativ beeinflusst.[2423]
An der Lebenswirklichkeit gehen solche Vorstellungen völlig vorbei – für Abenteuer und Romantik blieb auf der Alm kaum Platz. Wohl wird es hier und da ein leichtfertiges Dirndl gegeben haben – manche Liedstrophen spielen darauf an.[2424] Doch in der moralbewussten Gesellschaft früherer Jahrhunderte lebte ein Mädchen, das sich bekanntermaßen mit mehreren Burschen zugleich eingelassen hatte, wie eine Ausgestoßene – kein Schicksal, das sich zu erstreben lohnte.[2425] Andererseits war es dem Gesinde aus finanziellen Gründen oft nicht möglich zu heiraten. Ein „Der Heiratsgeist” überschriebenes Lied, das 1913 im pinzgauerischen Bruck vom Salzburger Volksliedsammler Otto Eberhard aufgezeichnet wurde, thematisiert dies mit viel Humor.[2426] Heiratswillige Dienstboten waren vom Einverständnis des Bauern, des Pfarrers und der Gemeinde abhängig, die aber hier um das Auskommen des Ehepaares fürchten und vorzubeugen trachten, dass nicht später die Gemeinde für die Verarmten sorgen müsse. Nun droht der Knecht offen damit, sich im Falle der Verweigerung an das Kreisamt, also die höhere Instanz, zu wenden.
In Salzburg gab es Kreisämter nur unter der österreichischen Verwaltung, woraus hervorgeht, dass das Lied nach 1816 entstand bzw. ins Repertoire genommen wurde, als Salzburg im Zuge der Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen an Österreich gekommen war. Das Wort Gitscherl in der letzten Halbstrophe wurde nur in Tirol alternativ zu Dirndl gebraucht und besaß anderwärts einen pejorativen Anstrich, der jedoch im Lied nicht begegnet: Dies deutet auf eine Übernahme aus dem Tirolischen, wie sie im Pinzgau nicht selten war – so bilden der Pinzgau und das angrenzende Unterinntal eine so genannte „Schuhplattlerlandschaft”. „Der Heiratsgeist” gehört zur insgesamt relativ großen Gruppe der Dialoglieder, greift den häufig leicht stichelnden Tonfall der Gstanzl auf und unterstreicht eine typische Initialsituation des Singens, indem ein einzelner Vorsänger anstimmt und die übrigen Sänger nachziehen. Vielleicht liegt ihm ein heute nicht mehr bekanntes Schnaderhüpfel zu Grunde. In einen größeren Rahmen gestellt verrät das Beispiel überdies, welche Mobilität Volkslieder schon damals aufweisen konnten. Dass dabei Einzelheiten verändert, mitunter ganze Strophen ausgetauscht wurden, dass eine ursprüngliche Melodie durch eine andere ebenso gut auf den Text passende ersetzt wurde, zählt zu den typischen Merkmalen im Erscheinungsbild des Volksliedes.
Darüber, dass im Alpengebiet manche Männer ihre Partnerin auch nach mehreren zwar gemeinsamen, doch ledigen Kindern nicht verließen, staunte schon ein Reiseschriftsteller des späten 18. Jahrhunderts.[2427] Lebenslange Bindungen konnten außerehelich bleiben, zeitweilige langfristig bestehen, und als Sennerin auf der Alm war dann die Partnerin leichter zu besuchen denn als Magd auf dem Hof eines Bauern, der im eigenen wirtschaftlichen Interesse darauf achtete, eine allfällige Schwangerschaft zu verhindern. Umgekehrt wird manches Mal ein unrechter Bursch die Beziehung zu einer Sennerin hauptsächlich unterhalten haben, um sich bei Bedarf auf der Alm richtig satt zu essen oder der Bleibe und Unterstützung zu versichern, wenn er wildern ging und den aufmerksamen Jäger fürchten musste. Herbe Enttäuschungen waren die Folge.
Das Almleben schloss also das Erlebnis körperlicher Liebe durchaus mit ein, stand aber der Freizügigkeit grundsätzlich fern. Der Obrigkeit war die Realität freilich immer ein Dorn im Auge, zumal im kleinen geistlichen Fürstentum Salzburg, das bis 1803 einen souveränen Staat bildete, dessen Bevölkerung mustergültig auf die Sittsamkeit bedacht sein sollte. Nicht anders ist ein Gesetz der Salzburger Regierung aus dem Jahr 1736 zu erklären, wonach auf den Almen nur mehr Sennen beschäftigt werden durften. Der eigentümliche „Versuch” wurde 1767 wieder aufgegeben.[2428] Der Laibacher Naturforscher Hacquet, ein der Aufklärung zugeneigter Literat, mokierte sich über die in seinen Augen anachronistische Maßnahme: „Hier im [damals salzburgischen] Zillerthale hat man beynahe das schöne Geschlecht von den Alpen [Almen] verbannet, indem man in die Alpenhütten, wo Käse und Butter gemacht werden, nur Mannsbilder nimmt, um alle Zusammenkunft des Menschengeschlechts nach heuchlerischer Besorgnis zu verhüten; welches doch der Natur der Sache so gemäß wäre; und dermalen in Abgang fröhlicher Mägdchen das geschieht, was uns das Buch des Propheten Ezechiel lehret. Besonders sollen die weissen Ziegen vor allen den Vorzug haben. So einen schändlichen Schiffbruch leiden oft die Gesetze, welche von blödsinnigen Menschen gemacht werden, die wider das Natürliche handeln, und so werden auch niemals solche bestehen oder gehalten werden.”[2429]
Eng dem Almlied verbunden ist das Wildschützenlied, das denselben Lebensraum berührt. Sennerinnen boten manchem Schütz Unterschlupf, sie konnten den Jäger in die Irre führen oder ihm mit wichtigen Hinweisen dienen. Niemand sonst verfügte über einen vergleichbaren Einblick in das Geschehen auf der Alm. Das Wildern war ein verbreitetes Delikt, das die Obrigkeit selbst unter Androhung und Verhängung strenger Strafen vergeblich zu unterbinden suchte. In den österreichischen Erbländern drohte dem Wildschütz im 18. Jahrhundert bei Waffengewalt sogar die „Peinliche Halsgerichtsordnung” (der Tod durch den Strang), im Erzstift Salzburg die einem Todesurteil gleichzusetzende Abschiebung auf venezianische Galeeren. Nachweislich wurden notorische Täter im Wiederholungsfall zu mehrjähriger Festungshaft verurteilt.[2430]
Die Häufigkeit von Verordnungen gegen das Wildern und die jeweilige Ausführlichkeit der gesetzlichen Bestimmungen zeigen, wie brisant das Delikt von den Behörden eingeschätzt wurde. Ein Auszug aus der „Jaeger=Ordnung in Oesterreich ob der Ennß”[2431] verdeutlicht dies und enthält nicht von ungefähr – bevor die Wildschützen behandelt werden – das Gebot, abgeworfene Geweihe unverzüglich beim Forstamt abzugeben; ein Geweih gefunden zu haben, war wohl eine bei Verhören oft vorgebrachte Ausrede für den Besitz von Jagdtrophäen. Doch die bäuerliche Schicht betrachtete die Jagd – die ihnen per Gesetz ausnahmslos untersagt war – als herkömmliches Recht, und den Behörden gelang es über Jahrhunderte nicht, diese Form der „Aufsässigkeit” als Verbrechen hinzustellen. Die Bevölkerung auf dem Land stellte sich hinter die „Rebellen in den Bergen”,[2432] weil man ihr Tun nicht als widerrechtlich, die Gesetze hingegen als Eingriff in die soziale Privatsphäre empfand. Nicht zuletzt sorgten Wilderer für eine Begrenzung der Wildschäden, was ihnen bei den Bauern zusätzliche Sympathien einbrachte. Auch Sennerinnen konnten aus der Bekanntschaft mit Wildschützen einen Vorteil ziehen, weil der Wilderer frisches Fleisch beibrachte.[2433]
Um die rüden, aber gestellt anmutenden Texte der älteren Wildschützenlieder zu verstehen, ist ein historischer Exkurs unabdingbar.[2434] „Wildern war ein Usus, dem fast jedermann nachkam, ein trotzig aufrechterhaltenes bäuerliches Gewohnheitsrecht, dessen schon seit Jahrhunderten betriebene Kriminalisierung nach wie vor als staatliche Willkür, als illegitime Beschneidung bäuerlicher Rechte wahrgenommen wurde”, schreibt Norbert Schindler in seinem jüngst erst erschienenen Buch über das Wildern im späten 18. Jahrhundert in Salzburg.[2435] Im Pfleggericht Golling geriet damals, statistisch gesehen, etwa jeder vierte erwachsene Mann wegen Wilderei mit dem Gesetz in Konflikt. Mehrfach betreten wurden Wirte, Wirtssöhne und Metzger, vier Fünftel der Fälle aber entfielen auf Angehörige der ländlichen Schicht. Hier waren es vor allem die hofbesitzenden Kleinbauern sowie nachgeborene Bauernsöhne und Knechte, die des Wilderns bezichtigt wurden. Einen geringen Anteil nahmen schließlich Jäger (!) ein, die ihre Autorität und Kenntnis illegal nutzten.
Die Überführung der Täter gestaltete sich – hatte man sie nicht auf frischer Tat ertappt – meist schwierig, da vor Gericht hartnäckig geleugnet wurde. Im Übrigen unterschied sich das Täterprofil dahingehend, dass Kleinbauern, wie auch Angehörige der besitzlosen Unterschicht, aus wirtschaftlicher Not wilderten, die nachgeborenen Söhne und Knechte (eine ineinander verschränkte Gruppe) dagegen aus Trotz, Übermut und sozialem Rollenspiel. Die meisten Angeklagten standen im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren und waren ledig, indes wurden auch Fälle aktenkundig, die verheiratete und bis zu siebzigjährige Wilderer betrafen. Doch nur die Jungen waren flink genug, um im steilen Hochgebirge auf die wendigen Gämsen zu wildern, wobei dann der Jagderfolg als herausragende Leistung galt und die Trophäen entsprechende Bewunderung hervorriefen. Selbstverständlich reizte es den selbstbewussten Wilderer auch, die landesfürstlichen Jäger zu übertölpeln. Gewalt wurde aber zwischen Jägern und Wilderern für gewöhnlich umgangen. Begegnete man sich dennoch unverhofft, fielen selten Schüsse – wenn sich der Wilderer nicht widerstandslos ergab, kam es vielmehr zu wüsten Prügeleien, die oft mit schweren Verletzungen endeten.
Dass bereits zu dieser Zeit, am Ende des 18. Jahrhunderts, in Salzburg verbreitet Alm- und Wildschützenlieder gesungen wurden, belegt 1796 der Topograph Lorenz Hübner, wenn er in einer kurz gefassten Bestandsaufnahme der salzburgischen Volkslieder „eigentliche Lieder oder Gesänge nennt, die theils [...] und zwar meistens einen erotischen Inhalt, oder auch das Wildschießen, das Alpenleben, das Soldatenleben, und dergleichen Gegenstände zum Stoffe haben. Diese Lieder sind alle gereimt, und werden gemeiniglich von mehreren Personen zugleich gesungen, worunter jemand vorsingt.”[2436] Hübner gibt wenige Beispiele, von denen er zudem lediglich die Texte mitteilt. Darunter befinden sich je ein Alm- und ein Wildschützenlied.[2437] Das Almlied zählt zur Untergruppe der „Hüterbualieder”, weist aber nicht den für diese Lieder typischen Text auf. Während die meisten „Hüterbualieder” über das harte Regiment der Sennerin und die beschwerliche Arbeit auf der Alm Klage führen, beschreibt der Halterbua hier die Schönheiten des Daseins auf der Alm und preist seine Freiheit mit einigen Seitenhieben auf die Religiosität im Tal. Eine Beziehung zu einer Sennerin braucht er nicht zu seinem Glück.
Die Hüter=Beicht.
I.
Lustig ist's auf da hech, hech,
Daus han i schon probiescht,
Der Goaßna schreyd Dech! Dech!
Der Melcher Butta riescht.
Der Hieta hat a schwarzö Pfoad,
Er treibt dö Küe schön auf die Woad,
Stats mueß i bissai nachi schaun,
Alloan war ean nit z'traun.2.
Da fahr i schön stat aufn
Großen Roßkopf zu,
Dabey kann ich vaschnaufn
Es geht nit rösch dö Kue.
Und wann i aufi kim auf d'Hech,
Siech i ara zwao, droi Rech
I schau schau mas kam gnueg an,
Sö springan glei davon.3.
Aft nim i halt mein Büderl her,
Und streich mas auf a Brad;
I' saug, es segn' mas Gott da Herr;
Dabey leid i koan Rath.
Wassa ist dös rarist hier,
Ist ma liaba als a Krueg voll Bier,
Wann si nida lögt dö Kue
Lög i mi a dazue.4.
S'bethen han i oft betracht
Han i vagessn schia.
Han den ganzen Suma Kreuz koans gmacht
Mag sein a mai a zwia.
Thue erstlich auf mein Gott vytraun
Auf d'Scharckruck und auf d'Wuschzuhau.
Schun leibm wa, woi gau koans z'Alm,
That glei a Kue awalgn.5.
Mitn Kirchngehn hauts gau koan Nauth
Danauchs schön Weitta ist;
Wann oana a guete Moaning haut,
Bei Blaudan ist umsist.
Wann da Hüeta Obach geid,
Wann Gott von hachn Himel steigt,
In die priesterliche Händ
Macht ea sein Compliment.6.
Wanns a mai gen Hörist geht
Das Muichl wiescht sehr kloan,
Fa Sima gwiß koa Mensch aufsteht,
Woas denna nit waus thoan.
Ist's Weitta schö, lög ich mi in d'Sunn
Und drah mi vamsla um und um.
Wann da Melcha kocht dö Straubn
Thant d'Hüeta Leis' aklaubn.7.
D' Hüeta sant woi frischi Leut,
Daus han ich gsecha schon,
Wanns glei a schöni Sendin geid,
Es greifts do koanna an.
A' d' Menscha denk i gau nie dran,
Mecht schiech thoan a nit, wann is han,
Lustig ist woi d' Hüeta=Beicht,
In Himel kömans leicht.8.
Da Hoamat bleib i niema mer
Es kommt dö Frühlingszeit;
Sist ist ma ja dö Zeit vui z'lang;
Beyn Mahn han i koan Schneid.
Sieß Kasn ist gau koan Gsah,
Wanns saua ist, geids Speakas au.
Von Bodenschotten woaß i schon,
Wern d'Fackl foast davon.9.
Lustig ist's halt auf da Hech
Daus han i gsecha schan;
Bai i den hachen Huet aufsetz
So steht da Himmel an.
D'Engeln han i oft gheascht schreyn,
Es wiescht ea halt recht lustig seyn.
Schwarze Pfoadn sand betrogn,
Sist war i längst schon ob'n.
Das Wildschützenlied beginnt ebenfalls mit einem „Lob” des Almlebens und schildert in der ersten Strophe die Vorfreude auf das Almfahren, ein in vielen Almliedern verbreitetes Topos. Kurz, in zwei Zeilen nur, wird der Besuch der Sennerin beschrieben – der Wildschütz nimmt diese Liebschaft also nicht weiter ernst, seine Leidenschaft gilt vielmehr der Jagd, und munter wagt er sich ins „Gamsgebirge”, wo er tatsächlich zwei Gämsen erlegt. Doch der Jäger kommt ihm auf die Schliche. In einer Prügelei (geschossen wird also nicht!) überwältigt der Schütz den Jäger und demütigt in tief: er zwingt den Kontrahenten, für ihn die Beute ins Tal zu tragen. Diese Schmach wird den Jäger schweigen lassen und das Erlebnis macht den Schütz so mutig, dass er sich's auch mit einer Schar Jäger aufzunehmen traute. Beim sonntäglichen Kirchgang will er seinen Triumph öffentlich auskosten.
Der Wildbretschütze.
1.
Lustig ists im Frühling, Juhei sa sa sa!
Die Vögel so schön singen, die Hahna pfalzen a,
Es ist so schön appa, send d' Alma so grün.
Fahren schon die Sendinen gen Alm mit den Kühn.2.
Es ist ja viel lustiger den Summer bey da Höh,
Da Hoam giebst ja gar koan Freund, send nix als häufig Flöh!
Da Hoam bleib i niema mehr, mag's seyn wie da wöll,
Kein Mensch mag mi dahalten, kein Teufl in da Höll.3.
I geh halt aft der Alm zue, wo öttla Hütten send,
I waß schon wo ich einkehrn muß, wer mi zam besten kennt.
Die Sendin do war hübsch und fein, sie muß mein eigen seyn.
Mecht köma wann i wollt, so gabs ma an Brantwein.4.
Aft geh i von der Hütten weck und aufi nach der Püersch,
I schau a Boisel hin und her, und sach ein gstreiften Hirsch,
Da han i halt mein Büchsl spannt, und ließ es wacka knalln,
Das Hirschl reißt den Kopf in d' Höch, und ist bald nieder gfalln.5.
So bald i s' Hirschl an han bracht, laßt's mir ja no koan Rueh,
Mach meinen Weg no weita fort dem hohen Gamsbirg zue.
So bald i bin aufi kema, han i mi nieda glegt,
Untern Kopf an großen Stoan, die Erden zan an Bett.6.
So bald i mi han schlafen glegt, gehn mir die Augen zue.
Und gschlafn han i die ganze Nacht mit einer süßen Ruh.
So bald i wieder auf bin g'wacht, scheint mir die Sunn schon her;
Aft spring i halt auf meine Füß, und schauat hin und her.7.
Aft sach ich ein Kartl Gams, Bue das Ding juheisasa.
Gfreute mi wohl sehr, und war wohl so viel rar,
I spann mein Büchs, und schieß fein hurtig drein:
Zwoa Gams sant husig gfalln, das Ding das that mi gfreun.8.
Aft waid i halt dö Gamsböck aus, schaut mir da Jaga zue,
Und sagt gschwind: „verfluchter Kerl!” was ich da machen thue.
Ich bsinn mi aber nit lang, und nimm ihn bey dem Kragn.
Wart du Jäger, jetzt will i di recht jagerisch daschlagn.9.
Wart, Jäger, jetzt mueßt du mir gen die Gamsböck tragn.
Und wirst du mirs nit husig thuen, so will i di daschlagn.
Der Jäger nahm die Gamsböck auf, daß ihm der Ruck hat kracht,
Und i bin ganga hinten nach, und han mi schier z'todt glacht.10.
Ich kei mi nix um d' Jage, um dena sechs und neun,
Und wann i in die Kirchen geh, so laß i's grad brav schreyn.
Herz und Curasch haben's oanawegs nie ghabt.
Drum fürcht i a koan Jaga, wann mi glei oana datapt.
Eine „Aufsässigkeit” gegen die Oberschicht, besonders die Beamten, begegnet nicht nur im älteren Wildschützenlied, sondern auch in zahlreichen Schnaderhüpfeln und weiteren Liedern. Die darin geäußerte Kritik ging so weit, dass in Salzburg 1775 mit einer Verordnung gegen das Singen so genannten „Spottlieder” dagegen eingeschritten wurde: „Da bey öffentlichen Lustbarkeiten und Tänzen auf dem Lande die Bauernbursche unter anderen oft verschiedene auf geistliche und weltliche Obrigkeiten, dann Gerichts= und Jägereysverwandte abzielende spöttische Gesänge und Lieder den Spielleuten anzugeben pflegen, und hiedurch gemeiniglich ihren gegen dieselben hegenden Haß abzukühlen suchen; so wird den nachgesetzten Obrigkeiten aufgetragen, daß sie nicht allein die, welche dergleichen Spottlieder angeben, und absingen, sondern auch die Wirthe und Gasthälter, welche diese Ungebühr wissentlich gedulden, und keinen Einhalt oder Abboth thun, nicht minder auch die Spielleute, die solchen Vorsängern willfahren, und darnach die Tänze anspielen, förmlich zu Rede stellen, und diese Vernehmungen ungesäumt an den Hofrath zu dem Ende einschicken sollen, damit von dort aus die Strafe entweder an Leib oder Geld in verhältnißmäßigem Grade bestimmt, und solche insonderheit gegen die nachsichtigen Wirthe und Hausväter mit empfindlichem Zusatze geschärfet werde.”[2438]
Mit Ausnahme der Beschwerden äußernden „Hüterbualieder” ist die ältere Schicht der Almlieder von einer mehr oder weniger stark ausgeprägten erotischen Symbolik durchzogen.[2439] Grün zum Beispiel ist nicht nur die Farbe des Hoffens und Wachsens, sondern auch der jungen Triebe und der aufkeimenden Liebe.[2440] Auch Gegenstände, die im Text genannt sind, können – namentlich wenn sie handlich und fest sind – erotisch konnotiert werden, ebenso Eierspeisen, denen im Aberglauben eine erregende Funktion zukam.[2441] Meist ist es nur ein Detail, eine einzige Zeile oder Strophe im Lied, die solchen Bezug freisetzt. Wenn aber die frühen Überlieferungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert kaum je solche „Anzüglichkeiten” aufweisen, deutet dies keineswegs darauf hin, dass Liedtexte damals davon freigehalten waren, sondern unterstreicht vielmehr, dass die aus der Geistlichkeit, der Lehrer- und Beamtenschicht stammenden Volksliedsammler damals teils aus Prüderie, teils aus Vorsicht vor der Zensur solche Textstellen entweder nicht aufzeichneten oder aber durch eigene harmlose Formulierungen ersetzten.
So kennzeichnet denn auch das 1819 aus dem Salzburgischen für die vom Sekretär der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Joseph von Sonnleithner, in den österreichischischen Erbländern der Monarchie initiierte großflächige Volksmusiksammlung eingesandte Liedgut eine deutliche Zurückhaltung in Hinsicht auf Erotik und Kritik. Die beiden Almlieder in diesem Bestand, das „Lied einer Sendinn: Juhey, was soll mir einer geben” und das „Alpe-Lied: Auf d Allma gehen wir aufi, weil s Wetter is so schön”, wurden von Vikar Joseph Waldmann aus Krimml übermittelt,[2442] entstammen indes nicht dem alpenländischen, sondern urbanem Lebensraum. „Juhey, was soll mir einer geben” beschreibt aus der Sicht der Sennerin das Almleben, zu dem selbstverständlich auch die nächtlichen Besuche ihres Burschen gehören (in Strophe 5 heißt es: „Mein Bue ist oft zu mir hergangen; / er schlaft bey mir, macht mir Visitt [...]”), und zählt zu den zahlreichen im Volksmund aus Singspielen und Volksstücken übernommenen Auftritts- bzw. Rollenliedern.
Bei „Auf d Allma gehen wir aufi” handelt sich ebenfalls nicht um ein typisch pinzgauerisches, sondern ein damals schon nachweislich weit verbreitetes, in etlichen Varianten handschriftlich und auch gedruckt überliefertes Lied. Das Lied schildert in der von Waldmann mitgeteilten Variante zunächst den Weg auf die Alm als Wanderung zur Liebsten, um daran drei gstanzlartige Texte auf das Almleben anzuschließen, wovon ein Gsätzl – die vierte Strophe bildend – offenbar zusätzlich aufgenommen wurde, da es in den sonstigen Fassungen nicht aufscheint. In diesem Einschub werden Zillertal und Pinzgau als die südwestlichen Gegenden des vormaligen salzburgischen Territoriums genannt, eine jener nicht selten begegnenden Floskeln, die ein regionales Feld der Überlieferung abstecken hilft. Erotische Anspielungen finden sich nur in Strophe 2: „Weil i aufi bi kemma, da brummelt scho der Stier. / Die Senderinn thut melken, es ist ja nimmer früh. / Die Senderinn thut melken, die Sonn, die scheint so hoas, / auf d Allma gehen wir aufi, frogn, wie die Sendin hoast.”
„Der frische Wildbrätt-Schütz”, das einzige Wildschützenlied im Salzburger Anteil der so genannten „Sonnleithner-Sammlung”, wurde vom Schullehrer Franz Wegmayer aus Taxenbach eingesandt.[2443] Strophe 5 und 6 tragen durchaus erotischen Gehalt, wenn man die diversen Nebenbedeutungen der Worte berücksichtigt: „Die Sendrinn nimmt mi bey der Mitt, juhe, / und fürt mi eine in die Hütt, juhe” sowie „Da kocht sie mir 6 Eyr in Schmalz, huhe, / auf daß ich beßer wier zum Pfalz, juhe”.[2444] Abschließend wechselt das Lied wieder zum Dialog zwischen Wildschütz und Sennerin zurück, wobei einmal mehr die Jagd auf Gämsen als besondere waidmännische Leistung erscheint.
Dasselbe Lied wurde unter dem Titel „Der Wüldtbratschitz und d' Schwoagaren” mit erheblichen textlichen und melodischen Veränderungen [2445] auch in das erste gedruckte Salzburger Volksliederbuch aufgenommen, das Vinzenz Maria Süß – der Gründer und erste Direktor des Museums Carolino Augusteum in Salzburg – 1865 in Salzburg publizierte.[2446] Nach der Zubereitung des Eierschmarren beschäftigen sich zwei eingeschobene Strophen mit der Nächtigung: „Wiar i 's Oar=Schmålz gess'n hån, Juhe! / Åft weist's ma's Bött en Heu obm ån, Juhe! / Mia schlaofn fuscht hinz auf'n Morg'n, / Um's Aufstehn muaß dö Schwoagren sorg'n. [...]” und „Wia da hellö Taog ånbråch, Juhe! / Dö Schwoagren auf von Schlaof erwåcht, Juhe! / Steih auf! steih auf! mein liaba Bua, / Und geih na glei en Gambsbirg zua. [...]”, worauf auch – nach der „Tour” ins Gamsgebirge – die letzte Strophe zurückkommt: „Und wånnst du miar a Gambsei bringst, Juhe! / A zwo, drei Liadlan a no singst, Juhe! / Åft kimmst zo miar e's Naochtquatia, / I hån di gao so gean ba mia. [...]”.
Dieselbe Melodie wurde nach Süß auch für ein anderes in seinem Liederbuch abgedrucktes Wildschützenlied verwendet, nämlich „Dö Senden und da Wüldtbratschitz”.[2447] Hier lacht sich die Sennerin einen flinken Wildschütz an, bewirtet ihn, ehe der Bauer auftaucht, den „Buam” vertreibt und damit die weitere Zweisamkeit unterbindet. Melodien weltlicher Lieder waren, sofern die Textstruktur entsprechend passte oder aber sich leicht adaptieren ließ, grundsätzlich austauschbar. Eine dem Lied „Auf d Allma gehen wir aufi” nahestehende Melodie unterlegt Süß sowohl dem Text des Wildschützenliedes „Lustög auf dar Ålma” als auch jenem des Almliedes „Hiatz kimmt dö schenö Früahlengs=Zeit” und ebenso der „D' Hüata=Beicht en Pinzga”, einer kaum veränderten Fassung des 1796 bei Hübner als Textbeispiel benutzten Liedes.[2448] Wie nahe sich das Almlied und das Wildschützenlied früher standen, zeigt also nicht nur das häufige Vorkommen der Sennerin in Wildschützenliedern, sondern auch die Übernahme von Melodien an. Süß trägt diesem Umstand insofern Rechnung, als er für sein Liederbuch eine gemeinsame Abteilung „Aus dem Wildschützen= und Alpen=Leben” vorsah, die insgesamt elf Lieder umfasst.
Durchwegs umkreisen sie die bereits skizzierten Inhalte: den Alltag auf der Alm, den Wildschütz auf der Jagd, die Liebe zwischen Sennerin und Schütz, und die diversen Störfaktoren: vor allem den Jäger, dann auch den Bauern, das Leben im Tal oder das Wetter. Eines darunter, „D' Senden und da Hüata=Bua”, erzählt den gescheiterten Versuch einer Sennerin, den Hüterbua – der in diesem Fall schon sechs Sommer Hüterbua, also erwachsen ist – zum Beischlaf zu bewegen.[2449] Mit erstaunlicher Phantasie wird trotz des Sujets jeder Anflug von Lüsternheit vermieden und eine poetische Distanz gewahrt. Ein anderes Lied, „Da Wüldschitz”, stellt dagegen eine Parodie dar;[2450] der prahlerische, aber tollpatschige Wildschütz lässt sich sogar von der Sennerin die Gämsen zutreiben, um dann irrtümlich die Sennerin zu erlegen: „Åft send i und d' Senden a Greisl auffö g'stieg'n, / Haot ma d' Senden åft dö Gambsei zuaha trieb'n. / I nahm 's Stutzei hea, und hån frisch übag'spånnt, / Und schoiß d' Senden staot'n Gambsbock z'såmm” (Strophe 4).
Voraussetzung für eine solch parodistische Behandlung des Stoffes war ein bestimmter Abstand zu der in den Texten der älteren Alm- und Wildschützenlieder geschilderten Lebenswelt, der offenbar um die Mitte des 19. Jahrhunderts zugleich mit einer Aufgabe vieler bäuerlicher Brauchformen zugunsten modernerer, aus der Stadt auf das Land getragener kultureller Werte eintrat.[2451] In der handschriftlichen Liedersammlung von Franz Lackner, zusammengetragen etwa zwischen 1850 und 1880 im Oberpinzgau, tritt dieser Wandel nicht allzu deutlich hervor.[2452] Denn Lackner, dessen umfangreiche Sammlung in Vielem das Pendant zum Liederbuch von Vinzenz Maria Süß bildet, hat einen Großteil seines diesbezüglichen Liedgutes aus älteren Quellen, darunter aus dem Liederbuch von Süß und bis in den Pinzgau bekannten Liedern des Tirolers Christian Blattl, übernommen. So ist unter anderen das Lied „Ich bin a frischer Wildbrätt-Schütz” wiederum enthalten, das offenbar zu den im Salzburgischen verbreitesten Liedern zählte. Hier sind die Abweichungen zur bei Süß veröffentlichten Fassung gering, das Lied steht aber, so wie im Bestand der „Sonnleithner-Sammlung”, im 6/8-Takt – ein Einblick in den faszinierenden Variantenreichtum der Überlieferung im Volk tut sich auf. Das „Almlied. In der Frühlingszeit, wo sich alles freut” (Nr. 47 der Sammlung) fällt schon aufgrund seiner teilweisen Neigung zum Hochdeutschen aus dem Rahmen:
Almlied.
1.
In der Frühlingszeit. wo sich alles freut,
Treibt man Küh und Kalm auf die hohe Alm,
Da kriegt d' Senderin glei an frischen Muth,
Sagt'n Hansl daß 'r an Juhschrei thut.2.
Wann der Hütta treibt Küh und Kalm juche!
Gibt die Send'rin glei der Kalm an grünen Klee,
Denn der Hansl, der woaß ja zu jeder Zeit,
Was die Senderin am besten freut.3.
Wann die Kuehl scherzen, lustig umma springa
Und die Sendrin thut a lustigs iedl singa,
O so lacht mir's Herz ja recht freudenvoll,
Deßhalb s' Alpelebn gfallt mir wohl.4.
O ihr Leute in den groß= und kleinen Städten,
Die am Almleben gar koa Freud nut hätten,
Ihr genießt die Welt ja nur krat halb und halb,
Weil enk s' Almleben nit recht gfallt.5.
Wenn der Hütta=Bua, der das Horn hat kricht,
Gleich wohl einö blaset, daß es Echo spricht,
Treibt ma Küh und Kalm, was nur ist auf d' Alm,
Oft laß i a stats mein Büchserl knalln.6.
Und wia mir die Küh von d' Alm heim haben triebn,
Ist die Senden a nit gern hintn bliebn,
Denn die Kuhl werden all mit Kränz geziert,
Die die Senderin von Alm hiamführt.7.
Und dahoam haben wir die Kuehl im Stall eintriebn,
Aber d' Senderin, die ist heraust geblieb'n,
Schaut zum letzten Male noch hinauf auf d' Alm,
Denn dahoam da wills ihr gar nit gfalln.
Das – im Übrigen dichterisch wenig überzeugende – Lied umgreift damit den gesamten Almsommer, den es in verklärender Weise als Alpenidylle charakterisiert. Der Alltag im Almleben, die Kontakte zwischen Sennerin, Halterbua und Wildschütz werden ausgeklammert. Zusehends verquickte sich während des 19. Jahrhunderts die Thematik der Alm- mit jener der Heimatlieder. Vom einstmals gleich der Tracht „national” verstandenen Alpengemälde hatte sich das Heimatlied einesteils zum vaterländischen, mithin politischen Lied, andernteils zur beschaulichen bis rührseligen Landschaftsbeschreibung gewandelt und zog damit das Almlied in seinen Bann. Besonders die zahlreichen damals in den Städten gegründeten Heimatvereine, die sich in größerem Ausmaß aus Zuwanderern rekrutierten, pflegten dieses Repertoire und trugen es auf ihren Ausfahrten der ländlichen Bevölkerung zu.[2453] Vielfach fanden diese Lieder, die landschaftliche Schönheiten und historische Bedeutung eines Ortes oder einer Gegend umschreiben, über Druckschriften weite Verbreitung, manchmal gelangten sie aber über einen lokal begrenzten Rahmen nicht hinaus. „Uebern Einberg zum Tabor”[2454] konnte im Rahmen der 2001 vom Salzburger Volksliedwerk im Lammertal unternommenen Feldforschung sowohl in einem Liederbuch des P. Albert Eder OSB (dem späteren Abt von St. Peter und Erzbischof von Salzburg, angelegt zwischen 1845 und 1849 während seiner Zeit als Kooperator in Abtenau) als auch in den kurz nach 1900 geschriebenen Liederheften der Katharina Scheffbenker (vulgo „Ischler Kathi”, einer Sennerin auf der Postalm, die Winter verbrachte sie in Radochsberg) festgestellt werden.[2455] Wegen der ins Religiöse gewendeten Dichtung könnte Eder nicht nur Überlieferer, sondern eventuell auch Autor dieses Liedes sein, von dem lediglich der Text erhalten ist.
Uebern Einberg zum Tabor.
1.
Schön sind Einbergs Höhen
Herrlich seine Flur,
Dorthin will ich gehen
Auf des Alpwegs Spur! Jenen Weide-Triften
Mit den reinern Lüften
Sehnt mein Herz sich froh entgegen
Mit der Pulse schnellern Schlag
Drum dorthin mich ziehts
Hin zur Höh – zum Wolkensitz!2.
O wie blinkt der Himmel
Am Rindskogel mild,
Fern vom Weltgetümmel
Welch ein freundlich's Bild!
Lüfte kräftig hauchen
Alphüttdächer rauchen
In des Lienbachs grünem Schoose
Und am Ladnberg wonniglich!
Drum mich freuts zu gehen
Wo die Alpenlüfte wehn.3.
Durch Moosbergs Gefilde
Geh ich zur Thurnau
Nebnbei lächelt milde
Ringbergs Blumen-Au
Tabors Gipfel winket,
Eh' die Sonne sinket,
Noch zu schaun im Abendlichte
Hin ins traute Thal Abtnau!
Drum von dort ich schau
Hin ins traute Thal Abt'nau!
Auch andere, in Wirtshäusern übliche Lieder geben sich im Vergleich zu früher geradezu verschämt, so zum Beispiel „Bald i auf die Alma geh'”, das in den zwanziger und dreißiger Jahren im „Mohrensitz” in der Salzburger Judengasse gesungen wurde.[2456]
Bald i auf die Alma geh'.
1.
Bald i auf die Alma geh',
Do hab i schon a Schneid,
Da seh' i meine Sennerin,
Da hab i halt a Freud.
Jetzt geh' i in die Hütt' hinein
Und frag, wie ihr's dort geht;
/: Ja, ja sagt sie, dös freut mi schon,
Die Küh' sind alle schön. :/ (Jodler.)2.
Sie führt mi in d' Stub'n nei
Und setzt mi auf die Bank,
Sie bringt mir gleich a Schmalzkoch her,
A frische Milch zum Trank;
Sie setzt sich neben meiner her
Und trinkt mir fleißig zua,
Was willst du lieber Hansel mehr
Du bleibst mei lieber Bua. (Jodler.)3.
Itz nimm i meine Mütz'n her
Und sag' aft Lisl mei,
Gib mir die schneeweiß Handl her,
Und laß die Buab'n sei,
Itz tummel i meine Hax'n hin,
Geh schroff den Gamsberg an,
A Gamsl, ja, dös schieß i mir,
A Madl hab i schon. (Jodler.)
Das Almleben gerät zum Sinnbild des Eskapismus, das der Hektik und dem unaufhaltsamen Fortschritt im „Tal” des Alltags eine „heile Welt” entgegenhält. Sofern sich im Lauf des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Erotik verringert, spielen – neben dem bis zum Revolutionsjahr 1848 unerbittlichen Zugriff der Zensur – zwei annähernd zeitgleiche Entwicklungen ineinander: Einesteils hatte sich über das städtische Bürgertum, das aus Naturbegeisterung in so genannte Touristenclubs (Vereine, die Wanderungen und Touren organisierten) die ländlichen Gebiete erkundete, ein neues Liedgut verbreitet, das die landschaftlichen Schönheiten idealisierte und nebenher ihres lebensweltlichen Bezugs entkleidete. Andernteils war das gesellige Leben auf der Alm lange nicht so reglementiert wie noch im Jahrhundert davor, als so genannte „Winkltänze”, nicht gemeldete Tanzvergnügen, allenthalben streng verboten waren. Allerdings vermochten die Behörden die gesetzlichen Bestimmungen gerade an abgelegenen Orten kaum je zu kontrollieren, und im Übrigen bot es wohl eher einen zusätzlichen Reiz, heimlich in einem kleineren Kreis zusammenzukommen. Im Lungau war es geradewegs Brauch, sich am 25. Juli, dem Jakobstag, auf den Almen zum Tanz zu treffen.[2457]
Als sich im 19. Jahrhundert die rigorosen Bestimmungen lockerten, nahm die Zahl der gemeinsamen Abende zu: die „Almblitz” entstanden. Oft wurde dabei bis in die Morgenstunden „geschatzt”, mit Instrumenten – oft standen nur Mundharmonika („Fotzhobel”), Maultrommel oder Kamm zur Verfügung – musiziert, gesungen und getanzt, so dass man ohne Schlaf ans Tagwerk ging. Sensibel spiegelt das Liedgut solche Vorgänge. Nun stand die Geselligkeit im Vordergrund, der Wunsch, kurzfristig der Realität zu entfliehen, und was vordem die Texte der Almlieder prägte, wurde nun entweder zu einem Gerüst, das phantasievoll weitergesponnen wurde, oder aber die älteren Almlieder wurden durch andere, aktuellere, einfach ersetzt.
Während das Almlied einem Verniedlichungsprozess unterlag, trat für das Wildschützenlied gerade das Gegenteil – eine Dramatisierung – ein. Hier blieb der Bezug zur Lebenswelt insofern erhalten, als das Wildern nach wie vor ein verbrecherisches Delikt bedeutete, wenngleich es nur mehr selten unter die „sozial bedingte Kriminalität” gerechnet werden kann. Ein Wilderer galt nicht länger als Rebell wider die von der Obrigkeit vorgesehenen gesellschaftlichen Vorrechte, dafür haftete ihm das romantische Image des wagemutigen Gesetzesübertreters, eines Symbols für die Freiheit in den Bergen an. Ein demonstratives Widersetzen gegen die Staatsgewalt wandelte sich zum standesbewussten „Spiel mit dem Feuer”. Geschichten über Wilderer, die von Jägern betreten und erschossen wurden, machten in Erzählungen und Liedern die Runde.[2458] Christa Ruehs hat in mehreren Veröffentlichungen über das Wildererlied[2459] verschiedene Topoi herausgearbeitet, allerdings ohne eine historische Schichtung zu bedenken. Ruehs geht von einem Mythos des „edlen Wilderers” aus, eben jener Idealisierung, die im 19. Jahrhundert kristallisierte und bis heute als stimmungsvolles Alpenkolorit einwirkt. In der charakteristischen Zeichnung des „edlen Wilderers” überlagern sich ältere und jüngere Motive:
Der „edle Wilderer”
(1) leistet Widerstand gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit
(2) besiegt die Jäger (Organe des Gesetzes)
(3) verspottet die Jäger
(4) setzt sich für die Armen ein
(5) lebt der Freiheit in den Bergen
(6) besitzt übernatürliche Fähigkeiten
Motive (1) bis (4) bestimmen bereits das ältere Wildschützenlied, sie werden aber im Sinne des romantischen Klischees und der Mythifizierung zunehmend transformiert, Motive (5) und (6) treten im 19. Jahrhundert hinzu und unterstreichen den wachsenden Verlust an Realitätsbezug. Vor allem die Lieder über Matthäus Klostermayer vulgo „Boarisch Hiasl” (1736–1771), der 1770 unter Aufbringung von 300 (!) Soldaten gefangen genommen und ein Jahr später öffentlich hingerichtet wurde, geben hier frühe Beispiele. Im Anschluss an Ruehs hat Gerlinde Haid einen umgrenzten Bereich – einen Teil der den „Boarisch Hiasl” betreffenden Lieder österreichischer Überlieferung näher untersucht[2460] und dabei vier Liedtypen festgestellt: das Auftrittslied, das historische Volkslied (Heldenballade), das mit dem Namen „Hiasl” ergänzte ursprüngliche Wildschützenlied (das sich inhaltlich wiederum der Heldenballade annähert) und die Schwankballade. Es handelt sich durchwegs um bereits im 18. Jahrhundert gebräuchliche Formen des Volksliedes, die aber allmählich erst für das Wildschützenlied adaptiert werden, als es seine frühere Existenz als musikalischer Ausdruck eines bäuerlichen Protestaktes eingebüßt hatte. Einem solchen Modell, das später dem „Hiasl” gleichsam unterstellt wurde, folgt auch das bei Süß enthaltene Lied „Da Wüldschitz”,[2461] das hier einer bei Haid wiedergegebenen Variante gegenübergestellt sei.[2462]
Da dem Boarisch Hiasl zugleich die Aura des „edlen Räubers” zuwuchs, der die Reichen bestehlend, die Armen beschenkend für Gerechtigkeit sorgt, verschränken sich anhand seiner Person verschiedene Gestehungsmuster des Volksliedes. Die neu geschaffenen „Wildschützenballaden” des späten 19. Jahrhunderts zeigen dagegen grundsätzlich ein schematisches Handlungsgerüst: der Wildschütz besucht die Sennerin, wird freundlich aufgenommen, erhält Speis und Trank, bleibt über Nacht, schläft bei der Sennerin im Bett und bricht im Morgengrauen zum Wildern auf. Manchmal kehrt er auf dem Heimweg noch einmal zurück.[2463] Lieder dieser Art, die wie zum Beispiel in Oberbayern mit Georg Jennerwein,[2464] im Salzkammergut mit Johann Klackl,[2465] in der Steiermark mit Jakob Rosenblattl[2466] einem bestimmten Wildschütz gewidmet wurden, finden sich in Salzburg nicht. Liedtexte aber, die hier während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nachweislich kursierten, lassen einen deutlichen Verfall der dichterischen Qualität erkennen, so zum Beispiel das „Schützenlied” von Franz Stöckl
Schützenlied.
1.
Auf'n Hahnpfalz san ma ganga,
In Regen und in Schnee,
Und mir hab'n so schön g'jodelt
Da drob'n auf da Höh. (Jodler.)2.
A Hirsch hat zwoa Gwichtl,
Da Jaga zwoa Hund,
Und mei Diandl hat a G'sichtl,
Wia a Kugl, so rund. (Jodler.)3.
Ja 's Hirscherl im Tal
Und das Gamsl auf'n Spitz,
Und a lustig's Leb'n
Hat allweil nur der Schütz. (Jodler.)
und der „Wildschützen=Marsch” von Josef Hadrawa.[2467] Selbst wenn man konzediert, dass jede Zeit und weiter jedes Milieu sich seine spezifischen Formen der Unterhaltung schafft, die zu untersuchen sich jedenfalls immer lohnt, so halten doch derartige Produkte anspruchsvolleren Kriterien nicht stand.
In der Singbewegung der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts setzte sich, gefördert durch das Wirken herausragender Persönlichkeiten wie Kiem Pauli oder Tobi Reiser im Dienst der Volksliedpflege, ein neues musikalisches Ideal durch: der enge dreistimmige Satz, in dem drei solistische Singstimmen sich in einem relativ knapp bemessenen Intervallrahmen fortbewegen. Daran orientieren sich spätere Publikationen, so zum Beispiel das von Cesar Bresgen veröffentlichte Liederbuch „Fein sein, beinander bleiben”, worin das damals im Land Salzburg verbreitete Liedgut sachkundig zusammengefasst ist.[2468] Almlieder erhielten dadurch einen veränderten, sanften Ausdruck, der uns heute von vielen Tonaufnahmen her vertraut ist und ein liebliches-verklärtes Gefühl unterstützt. Doch zuweilen verstört dieses musikalische Ambiente, sofern es auf Reste des ursprünglichen Almliedes trifft und im Text lebensnahe Momente anklingen, zu denen die stimmige Harmonie nicht recht passen will, und auch dem Wildschützenlied wird inhaltlich mit dem von Drei-, Viergesängen und Chören erstrebten Wohlklang nicht unbedingt entsprochen.
Verwendete Literatur:
[Aberle 2001] Aberle, Andreas (Hg.): Es war ein Schütz. Von Wilderern und Jägern. 5. Aufl. Rosenheim 2001.
[Brednich 1973] Brednich, Rolf W.: Erotisches Lied. In: Brednich, Rolf Wilhelm; Röhrich, Lutz; Suppan, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Volksliedes. Bd. I: Die Gattungen des Volksliedes. München 1973 (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 1/I), S. (575)–615.
[Deutsch 1986] Deutsch, Walter: Das Almlied. In: Der Niederösterreicher. Vierteljahresschrift für zeitgemäße Volkskultur- und Brauchtumspflege 7 (1986), S. 114–123.
[Deutsch/Haid/Zeman 1993] Deutsch, Walter; GHaid, Gerlinde; Zeman, Herbert: Das Volkslied in Österreich. Ein gattungsgeschichtliches Handbuch. Wien 1993. (Bes. der Abschnitt „Almlied”, S. 93–108.)
[Girtler 1998] Girtler, Roland: Wilderer. Rebellen in den Bergen. 2. erg. Aufl. Wien [u. a.] 1998.
[Grininger 1997a] Grininger, Hubert: Da Weg zu mein Dirndl is stoani ... Liebe und Eros in der alpenländischen Volksmusik von 1800 bis zum Austropop. Graz 1997.
[Grininger 1997b] Grininger, Hubert: I bin die Sendarin und du mei Schitz. Eine besondere Konstellation von Liebe, Abhängigkeit und Eros. In: Steirisches Volksliedwerk (Hg.): Weiblichkeit und Erotik in der Volksmusik. Gnas 1997 (Sätze und Gegensätze 5), S. 7–21.
[HaidG 1985] Haid, Gerlinde: Der „boarische Hiasl“ in Österreich. In: Scheck, Wolfi; Schusser, Ernst (Bearb.): Volksmusik in Oberbayern. Festschrift für Wastl Fanderl. (München) 1985, S. 189–199.
[HaidG 1983] Haid, Gerlinde: Erotische Volkslieder, in: Sänger- und Musikantenzeitung 26 (1983), S. 218–244.
[HaidG 1981] Haid, Gerlinde: „Ich hab’s nur zum Andenken dem Klackl erdicht“. Ein Ischler Wildschützendrama und sein Fortleben im Liede. In: Sänger- und Musikantenzeitung 24 (1981), S. 71–87.
[Kundegraber 1974] Kundegraber, Maria: Der Wirklichkeitsgehalt der Almlieder. In: Sänger- und Musikantenzeitung 16 (1974), S. 45–50, 71–73.
[PeterI 1953] Peter, Ilka: Gaßlbrauch und Gaßlspruch in Österreich. Mit einer Verbreitungskarte von Gaßlreimformen. Salzburg 1953.
[Posch 1983] Posch, Andreas: Wildschützenlieder, in: Sänger- und Musikantenzeitung 26 (1983), S. 3–14.
[Röhrich 1967] Röhrich, Lutz: Liebesmetaphorik im Volkslied. In: Wilgus, D. K.; Sommer, Carol (Hg.): Folklore international. Essays in Traditional Literature, Belief, and Custom in Honor of Wayland Debs Hand. Hatboro/Pennsylvania 1967, S. 187–200.
[Ruehs 1984a] Ruehs, Krista: Auch „böse“ Menschen haben ihre Lieder: Zur Rezeption von Wilderern in österreichischen Volksliedern des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 29 (1984), S. 32–57.
[Ruehs 1984b] Ruehs, Krista: „So weit der Himmi blau is, so weit geht a mei Reich“. Phantastische Wildererlieder und ihre historische Interpretation. In: Beiträge zur historischen Sozialkunde 14 (1984), Heft 2, S. 64–70.
[SchindlerN 1989] Schindler, Norbert: Die Mobilität der Salzburger Bettler im 17. Jahrhundert. In: Beiträge zur historischen Sozialkunde 19 (1989), Heft 3, S. 85–91.
[SchindlerN 1997] Schindler, Norbert: Mehrdeutige Schüsse. Zur Mikrogeschichte der bayerisch- salzburgischen Grenze im 18. Jahrhundert. In: Salzburg Archiv 23 (1997), S. 99 –132.
[SchindlerN 2001a] Schindler, Norbert: Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte. München 2001.
[Schweitzer 2003] Schweitzer, Marianne: Themen und Motive in steirischen und kärntnerischen Almliedern. Dipl.-Arbeit Universität Mozarteum Salzburg 2003.
[SeifertM 2001] Seifert, Manfred: Wildschützenlieder: Romantik und Realität. Aspekte des Funktions- und Repertoirewandels einer Liedgattung. In: Jahrbuch ÖVLW 36/37 (1987/88), S. 129–141.
[Steirisches Volksliedwerk 1997] Steirisches Volksliedwerk (Hg.): Weiblichkeit und Erotik in der Volksmusik. Gnas 1997 (Sätze und Gegensätze 5).
[SuppanW 1983b] Suppan, Wolfgang: Rechtsgeschichte im Volkslied – Rechtgeschehen um das Volkslied. In: Kocher, Gernot; Hasiba, Gernot D. (Hg.): Festschrift für Berthold Sutter zum 60. Geburtstag. Graz 1983, S. 353–379.
[SuppanW 2000b] Suppan, Wolfgang: Rechtsgeschichte im Volkslied – Rechtsgeschehen um das Volkslied. In: Suppan, Wolfgang: Werk und Wirkung. Musikwissenschaft als Menschen- und Kulturgüterforschung. Teil 1. Tutzing 2000 (Musikethnologische Sammelbände 15), S. 198–225.
[Walleitner 1965] Walleitner, Josef: Wildern im ehemaligen Erzstift Salzburg. Volkskundliche Studie. (Salzburg) [1965].
[Waß 1994] Waß, Barbara: „Für sie gab es immer nur die Alm...“. Aus dem Leben einer Sennerin. 2. Aufl. Wien [u. a.] 1994 (Damit es nicht verlorengeht ... 16).
[Zack/Geramb 1919] Zack, Viktor; Geramb, Viktor von: Die Lieder vom Boarischen Hiasl in Deutschösterreich. In: Bayerische Hefte für Volkskunde 6 (1919), S. 1–34.
[2420] Vgl. einführend den Abschnitt „Almlied” (S. 93–108) in: [Deutsch/Haid/Zeman 1993], worin kurz auch auf das Wildschützenlied eingegangen wird.
[2421] Auch Schwaigerin/Schwoagerin (von Schwaigen) genannt.
[2422] Vgl. dazu [Kundegraber 1974].
[2423] Zum Beispiel in einem nachgestellten Gstanzl – sein Text schließt eine mundartliche Entstehung aus: „Auf der Alm / da läßt sich's lieben / denn im Herbst / wird abgetrieben”, und detto in dem Spruch „Auf der Alm, da gibt's ka Sünd / weil die Männer müde sind”. – „Auf dar Alm, da gibt's koa Sünd” lautet die letzte Zeile aller Strophen des Liedes „Von dar Alm ragt ein Haus”, abgedruckt bei Werle, Anton: Almrausch. Almlieda aus Steiermark. Graz 1884. S. 273. – Filme mit Sujets, die zum Alpen-Kitsch tendieren, sind zum Beispiel „Auf der Alm da gibts ka Sünd” (Österreich 1950, Regie: Franz Antel, gedreht in den Ateliers in Salzburg-Parsch sowie im Salzkammergut), „Die Liebesprobe (Wilderernacht)” (Österreich 1951, Regie: Karl Leitner, teils gedreht in Lofer), „Echo der Berge (Der Förster vom Silberwald)” (Österreich 1954, Regie: Alfons Stummer, gedreht u. a. im Land Salzburg), „Die Sennerin von St. Kathrein” (Österreich 1955, Regie: Herbert B. Fredersdorf, gedreht in den Ateliers in Salzburg-Parsch, Außenaufnahmen u. a. im Land Salzburg) etc. Eine Übersicht bei [Strasser 1988]; zum Hintergrund [Strasser 1993], bes. Kap. 5 „Weißes Rössl im Alpenglühn. Salzburg als Heimatfilm-Hochburg der Fünfziger”, S. 123–214, darin vor allem „Der Berg ruft. Salzburg im Alpin-Film”, S. 172–177, sowie Kap. 7 „Agenten, Sex und Horror-Rummel. Die mageren siebziger Jahre”, S. 330–385, darin vor allem „Sex alpin von lüsternen Pärchen. Sexfilme mit Salzburg-Kolorit”, S. 357–364, und „Totengräber der Filmkultur: Salzburgs Billigschnulzen”, S. 364–368.
[2424] Zum Beispiel heißt es in der sechsten Strophe eines 1803 in Neuberg an der Mürz aufgezeichneten Liedes: „Bue! d' Schwaigerinnen seint gar falsche Huren, du dörft es ja wohl glauben / Wenn ien der Recht' nit kemma thut, thut ien ja bald ainer taugen”, zitiert nach: [Grininger 1997b], S. 11f. Zum Thema „Liebe auf der Alm” vgl. ebenda, S. 11–13. Aus Salzburger Überlieferung sind mir keine derartig derben Texte bekannt.
[2425] „[...] eine mit mehrern vertraute Dirne wird von der ganzen Gemeinde verachtet und nur bey großem Mangel an Arbeitsleuten gleichsam mit Wiederwillen in Dienst genommen”, berichtet [Spaur 1800], S. 243.
[2426] [Eberhard/Rotter 1933], S. 25f.
[2427] „Die Bekanntschaft und der Genuß beyder Liebenden mag noch so lange gewährt haben, so dörfen sie sich doch nicht darüber hinaussetzen. Sehr selten läßt ein Bauernjunge sein Mädchen sitzen, wenn er es auch erst nach 2 bis 3 Kindbetten heyrathen kann.” – [Riesbeck 1783]. Bd. 1, S. 151.
[2428] Sittenordnung von 1736, siehe: [ZaunerJT 1785] (ab Bd. 4 unter dem Titel Sammlung der wichtigsten Salzburgischen Landesgesetze). Bd. 3, S. 131–137: 136; [Hübner 1793], S. 460, Fußnote.
[2429] [Hacquet 1784]. Tl. 1, S. 157.
[2430] Vgl. „Erneuerung und Verschärfung des Wildschützenpatents” vom 15. Hornung (Februar) 1754, zitiert nach: [Kaiserl. Königl. Theresianisches Gesetzbuch 1789], S. 324–330; zur Gesetzgebung im Erzstift Salzburg siehe [SchindlerN 2001a], S. 14–20.
[2431] [Codicis Austriaci 1704], S. 510.
[2432] [Girtler 1998]. Girtler bietet hier eine Art „Kulturgeschichte” des Wilderns und zeigt auf, wie nachhaltig Einstellungen früherer Zeit noch im 20. Jahrhundert nachwirkten. Minder schlüssig, doch als versuchte anthropologische Bestimmung des Wilderers von forschungsgeschichtlichem Interesse ist die Darstellung bei [Walleitner 1965].
[2433] [Grininger 1997b], S. 19.
[2434] Vgl. dazu allgemein [Ruehs 1984a]. Die Tauglichkeit von Volksliedern als rechtsgeschichtliche Quelle generell prüft kritisch [SuppanW 1983b], S. 353–379. Ebenso in: [SuppanW 2000a], S. 198–225.
[2435] [SchindlerN 2001a]. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich insbesondere auf die Seiten 55–67 und 98f.
[2436] [Hübner 1796]. Bd. 2, S. 392f.
[2437] [Hübner 1796]. Bd. 2, S. 685–687 bzw. S. 395f.
[2438] Verordnet am 6. November 1775. Zitiert nach: [ZaunerJT 1785]. Bd. 1, S. 200f.
[2439] Für eine allgemeine Kennzeichnung siehe [Brednich 1973] sowie [HaidG 1983]. Ebenso ist Erotik in den Gasslreimen enthalten, vgl. dazu [PeterI 1953].
[2440] [Schweitzer 2003], S. 6f., S. 157–159.
[2441] [Kundegraber 1974], S. 49.
[2442] [Haid 2000b], S. 319f. bzw. 323–325.
[2443] [HaidG 2000b], S. 340–342.
[2444] Eine ähnliche Strophe – es handelt sich demnach offensichtlich um eine so genannte „Wanderstrophe”, die im Laufe der Zeit in mehrere Lieder integriert wurde – weist das von Konrad Mautner mitgeteilte Lied „Und hiazt san mas ge wiedarum dahin!” auf: „Daß kocht wirschd, das is schan was alts, / Sie schlagt ma sechs Oar in a Schmalz, / daß i stark wir zan Pfalz”; vgl. [MautnerK 1919], S. 163f.
[2445] Gerlinde Haid fasst folgendermaßen zusammen: „Die Melodie wird ganz ähnlich jener in der Sonnleithner-Sammlung geführt, doch werden die ersten drei Takte wiederholt und den folgenden 2 Takten wird ein neuer Text unterlegt, sodaß der insgesamt zwölftaktigen Melodie vierzeilige Strophen (und nicht zweizeilige wie in der Sonnleithner- Sammlung) zugeordnet sind. Außerdem ist die Melodie bei Süß im 2/4-Takt. Nur die Strophen 1, 2, 5 und 6 der Fassung in der Sonnleithner-Sammlung finden sich auch bei Süß. Insgesamt verzeichnet er 8 vierzeilige Strophen, die inhaltlich – ebenso wie die vorliegende Version – die Begegnung zwischen Wildschütz und Sennerin zum Gegenstand haben.” – [HaidG 2000b], S. 341.
[2446] [SüßMV 1995], S. 76f. bzw. S. 315f.
[2447] [SüßMV 1995], S. 75f. bzw. S. 315f.
[2448] [SüßMV 1995], S. 66–69 und S. 79–81 bzw. S. 307–309.
[2449] [SüßMV 1995], S. 72–74 bzw. S. 313–315.
[2450] [SüßMV 1995], S. 75 (nur mit Text, ohne Melodie wiedergegeben).
[2451] Über die Tendenz bäuerlicher Schichten, sich in ihrer Freizeitgestaltung dem Bürgertum anzunähern, berichtet – mit bedauerndem Unterton – Vinzenz Maria Süß im Vorwort seiner Salzburgischen Volks-Lieder mit ihren Singweisen: „Die alten Kirchensänger sind außer Gebrauch gekommen, und die Gesangbücher derselben, noch die reichsten Fundgruben alter Lieder, liegen wie im Grabe in einem Winkel des Hauses, preisgegeben dem vernichtenden Zahne der Zeit. Die Quellen mündlicher Ueberlieferungen versiegen noch schneller. Neue Sitten und Gebräuche, veränderter Geschmack etc. haben die alten Tänze verscheucht und mit diesen auch ihre treuen Aliirten, die Tanzlieder und Weisen. Selbst Sprache und Ausdruck haben sich gleich der Gewandung geändert und verfeinert, sind wie man zu sagen pflegt herrischer geworden, offenbar eine Folge der verbesserten Schulen, so wie der sich jährlich progressiv vermehrenden Fremden=Besuche, die man in früherer Zeit nicht gekannt hat und die nun manches Neue in unsere fernsten und engsten Thäler verpflanzen.” – [SüßMV 1995], S. (V)f.
[2452] Zur Sammlung Lackner vgl. [Hummer 1984].
[2453] Vgl. dazu [HaidG 1991].
[2454] Einberg, ein Gipfel der Osterhorngruppe zwischen dem Lammertal und dem Salzkammergut; Tabor, biblisch, Ort der Verklärung Christi.
[2455] Musikarchiv der Erzabtei St. Peter in Salzburg bzw. Archiv des Oberösterreichischen Volksliedwerkes, HL/11/A 1–3. Näheres zu diesen Liederbüchern siehe [Petermayr 2001].
[2456] [Obereder], S. 17. (Die Sammlung enthält nur Liedtexte, keine Melodien.) Obereder war damals im Ersten Österreichischen Reichsverband für alpine Volks- und Gebirgs-Trachten-Erhaltungs-Vereine in führender Position tätig, der seinen Sitz im Gasthof „Zum Mohren” hatte.
[2457] Es handelt sich um das so genannte „Jaggosen” oder „Jakobsen”; vgl. dazu [Hübner 1796]. Bd. 2, S. 537 sowie [Kürsinger 1981], S. 773.
[2458] Eine Sammlung von „romantischen” Wilderergeschichten enthält das Buch von [Aberle 2001].
[2459] [Ruehs 1984b]; [Ruehs 1984a].
[2460] [HaidG 1985]. Haid beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf Aufzeichnungen in der Sammlung von Karl Liebleitner (Wien, Österreichisches Volksliedwerk, Zentralarchiv), wogegen wieder andere Lieder bei [Zack/Geramb 1919] veröffentlicht sind. Daraus lässt sich der außergewöhnliche Bekanntheitsgrad dieser Thematik ermessen.
[2461] [SüßMV 1995], S. 66–68 bzw. S. 307–309.
[2462] [HaidG 1985], S. 189–199, S. 196.
[2463] [Grininger 1997b], S. 18.
[2464] Der Wilderer Georg Jennerwein, Holzknecht in Westerhofen bei Schliersee, wurde am 6. November 1877 auf dem Peißenberg bei Tegernsee vom Jäger Pfederl, einem Kriegskameraden, erschossen. Sein Schicksal wird im Lied „Es war ein Schütz in seinen schönsten Jahren” (auch: „Jennerwein=Wildschützenlied”) geschildert.
[2465] Der Wilderer Johann Klackl, Zimmermann aus Bad Ischl, wurde am 26. Juli 1891 auf dem Ahornfeld beim Ausweiden eines erlegten Rehs von einem Unbekannten erschossen. Vgl. [HaidG 1981].
[2466] Der ehemalige Jäger (!) und Wilderer Jakob Rosenblattl wurde 1872 in Aschbach vom Jäger Heider erschossen, ein diese Begebenheit aufgreifendes Lied findet sich handschriftlich im Steirischen Volksliedwerk, 96 / A 184614 (aufgezeichnet 1913).
[2468] [Bresgen 1947]. Bresgen hat darin zahlreiche Alm- und Wildschützenlieder aufgenommen.