Karl Adrian (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
Ein neuer Brauch ist entstanden. Die Volkskundler werden ihn in 30, 40, 100 Jahren ähnlich ernst nehmen, wissenschaftlich abhandeln, rückschauend werten wie jetzt beispielsweise Adventkranz oder Christbaum, ebenfalls „neue“ Bräuche. Der Zeitraum von 50 oder 100 Jahren ist kulturgeschichtlich kaum bemerkenswert. In zweifacher Weise ist „Feuer in den Alpen“ geeignet, sich als Brauch, als spezieller Alpenbrauch, festzusetzen. Jetzt läuft vieles organisiert ab. Teile des Brauches werden sich verselbständigen, werden verändert werden, und vor allem erhält der Brauch eine gewisse Selbstverständlichkeit. „Feuer in den Alpen“ fügt sich geradezu ideal, harmonisch, widerspruchslos in den Kreis der Jahresfeuer ein, also der Feuer, die beispielsweise am 21. Februar, am ersten Fastensonntag (Fastenfeuer Funkensonntag, Scheibenschlagen), als Fridolinsfeuer, Osterfeuer, Maifeuer, Walpurgisfeuer, Veitsfeuer, Johannisfeuer, Michaelsfeuer, Martinsfeuer etc. je nach Region abgebrannt werden.
Jahresfeuer brennen jährlich an bestimmten Terminen, an einem konkreten Tag bzw. in der anschließenden Nacht. Nach volkskundlicher Deutung scheint der Grundgedanke im Abwehrzauber zu liegen. „Deshalb werden“, so laut dem Beitl-Lexikon,[4043] „die Feuer auf überragenden Höhen entzündet, daß sie möglichst weit ins Land hineinstrahlen; deshalb werden die Fackelläufe veranstaltet, daß jedes Feld bis zum letzten Winkel durchleuchtet, gereinigt werde; deshalb wirft man Scheite, schlägt Scheiben, rollt Räder zutal, daß der Abwehrsegen des neuen Feuers überall hindringe.“
Nach dem Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens (HDA)[4044] soll die brennende Flamme nicht nur verscheuchen, sondern auch verbrennen. Bei vielen Jahresfeuern ist dies durch das Verbrennen der „Hexe“, des „Dämons“, aber auch des Winters und des Todes gegeben. Eine Art Feuer-Therapie liegt beispielsweise dem Heiligen Feuer am Karsamstag zugrunde. Die reinigende Flamme wurde vorher geweiht. Das Feuer muß auf altertümliche Art gewonnen werden, und es soll nach Hause mitgenommen werden.
Jahresfeuer gehören wegen ihrer sehr unterschiedlichen Terminbindung, Vielfalt und Lebendigkeit zu den beliebten Forschungszweigen der Volkskunde. Das äußert sich in der Vielfalt der Literatur, speziell auch in der häufigen Dokumentation in den verschiedenen Volkskunde-Atlanten. Allein der Österreichische Volkskundeatlas unterscheidet auf seinen Karten noch sehr differenziert nach familienhaften Einzelfeuern, nach Feuern in Form christlicher Zeichen (Ostern, Herz-Jesu, Johannes, Peter und Paul), nach dem Gemeinschaftsfeuer der Burschen, nach Fackel- und Besenschwingen, Räderrollen, Scheibenschlagen, Puppenverbrennen usw. Richard Wolfram hatte den Bereich der Jahresfeuer zu einem seiner Forschungsschwerpunkte gemacht.
Die Feuer in den Alpen gehören nicht nur zum Komplex der Jahresfeuer, sondern fallen auch in den Bereich der sogenannten Notfeuer. Feuer in den Alpen vereinigt beide Bereiche. Dieses Zusammentreffen verstärkt die Bedeutung, die Lebendigkeit und Aktualität des Brauches. Das Notfeuer dient in erster Linie dem Reinigen und Heilen. Erst in zweiter Linie ist es als Mahn- und Wachfeuer zu deuten.
In einem Bericht aus dem Jahre 1696 (Reisikus, zitiert nach Beitl) lesen wir dazu: „[...] das so genannte Nodfyr oder Nothfeuer, welches auf sonderbare Art durch gewaltsame Bewegung oder Umdrehung aus einem Holtze und härnen oder andern dichten Stricke muß erzwungen, und mit Schwefel, Pech, Theer oder Wagenschmier und Buschwerk angezündet, auch zu voller Flamm aufgetrieben werden. Darauf soll das Schwein-, Kuh- und Schaff-Viehe mit Gewalt und Schlägen dreymal hindurchgejaget, um also von der ansteckenden Seuche befreyet zu seyn: diese nennt der Bauersmann das wilde Feuer, und stehet in der Meinung, es müsse durch ein Nothfeuer von der Herde abgetrieben werden.“ Das Notfeuer wurde und wird als Vorbeugung und Heilmittel gegen ansteckende Krankheiten von Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen angezündet.
Anfang dieses Jahrhunderts noch hat der bekannte Schweizer Volkskundler Richard Weiss die archaische Art vorgefunden, in der das Feuer gemacht, also entzündet wurde. Auf einer Alp (Alm), auf einer Viehtrift oder im Dorf wurde nach „altem Hirtenbrauch“ verfahren. Beim Feuerreiben wurde in der Rille eines Brettes ein Holzstück gerieben. Beim Feuerbohren wurde ein auf das Brett gestemmter Stab durch rasches Hin- und Herziehen eines um diesen geschlungenen dünnen Seils zum Glühen gebracht. Daran wurde Werg oder ähnlich leicht entflammbares Material entzündet. Die alte Bezeichnung nodfyr bedeutet ja Reibefeuer. Nach dem alten Schweizer Beleg haben alle Bauern Brennmaterial beigestellt, und sie haben mit Bürgermeister und Dorfältesten am Feuer teilgenommen. „In allen Gehöften waren die Feuer in Herd und Ofen gelöscht und wurden erst vom Notfeuer wieder entzündet.“ (Beitl, Lexikon). Wir können durchaus annehmen, daß die christliche Art, das Karsamstagfeuer mit nach Hause zu nehmen, auf uralten vorchristlichen Überlieferungen beruht. Die Kirche hat auch wieder geschickt ältere Glaubensvorstellungen und Rituale umgedeutet, verlagert, verchristlicht. Aus mehreren Regionen Mitteleuropas ist überliefert, daß für die feierliche Handlung Schweigen erforderlich war oder daß spezielle Sprüche gesagt werden mußten, daß die Handlung durch „keusche Jünglinge“ erfolgen mußte, daß neben dem Feuer auch Rauch und Asche als heilkräftig galten. Vorwiegend galt die Feuer-Kur bestimmten Tierkrankheiten wie beispielsweise dem Rotlauf bei Schweinen.
Hinweisen möchte ich auch auf den in weiten Teilen der Alpen, vor allem in Tirol, Salzburg, Steiermark noch immer sehr lebendigen Brauch, in den drei Rauhnächten am 24. und 31. Dezember sowie am 5. Jänner mit dem geweihten Rauch, mit Weihwasser und Kerze durch alle Räume des Hauses und Hofes zu gehen. Hier gelten die heiligen bzw. geheiligten (geweihten) Elemente Wasser und Feuer als Universalhilfsmittel gegen alle Arten von Seuchen, Krankheiten und Gefahren für Haus und Hof, von Menschen, Vieh und Hofflächen.
Vorerst sei zum Feuer in den Alpen angemerkt, daß es sich optimal in Neo-Hexenkulten, im Esoterik-Boom, bei New Age, aber auch bei nationalistischen Umtrieben einsetzen läßt. Ähnlich wie in Österreich deutsch-tümliche bis rechtsextrem-verdächtige Gruppen um Landsmannschaft und „deutsche Kulturwerke“ seit Jahrzehnten die Sonnwendfeuer für ihre Zwecke kultisch-national verwendet haben und weiterhin verwenden, wird es auch bei diesem sehr leicht adaptierbaren Alpenfeuer geschehen.
Wesentliche Teile der neuen Regionalkultur-Szene sind überaus anfällig für diese „Ur“-Rituale und Mythen. Damit läßt sich spielend auf germanische oder keltische Riten bauen. Und immer wieder liegt nahe, daß sich findige Köpfe der um innovative Spezialgags bemühten Touristikwirtschaft dieses Themas annehmen. Ich habe mehrmals darauf hinweisen können, wie eine der innovativsten Tourismusorganisationen zumindest der Alpen, die „Tirol-Werbung“, bereits im Marketingleitbild für 1988/1989 die „postmaterielle Mystik der Tiroler Berge“ der Totalvermarktung preisgegeben hat, und wie das darauf folgende Leitbild für 1991 bis 1993 den Ton diffiziler wählt, die Vermarktung des Mythos subtiler vorantreibt. Einem angeblichen Megatrend folgend, werden geschickte Formulierungen in die weltweite Tourismusindustrie gesandt: „Ethische Orientierungen nehmen zu. Vom Kulturellen zum Kultischen: von der Immanenz der Kultur könnte sich die Gesellschaft verstärkt zur Transzendenz der Religionen bewegen. Die Zukunftsbewältigung erfordert viele ethische Entscheidungen: daher suchen die Menschen verstärkt esoterische Orientierungen.“ (Tirol-Werbung, Marketingleitbild 1991–93)
Wie Brauchtum und Kult dann in der Alltagspraxis derselben Tirol-Werbung im Zuge des laufenden Pressedienstes vermarktbar gemacht sind, und wie in der Deutung sehr eigenwillige Rückschlüsse (fast im Sinne der deutschen, nationalsozialistischen Ideologie) gemacht werden, zeigen die folgenden Zitate: Beim touristischen Anpreisen des Imster Schemenlaufes wird kurzgeschlossen: „Dieser sicherlich bedeutendste Fasnachtsbrauch des gesamten Alpenraumes reicht zurück auf den keltischen Wachstumskult ...“ (Tirol-Werbung, 12. Jänner 1992) Das Blochziehen in Fiß (Tirol) „ist ein besonders anschaulicher Fruchtbarkeitskult: Mit dem Blochpflug rissen die Ahnen im Frühling die Erde auf, um zu säen.“ (Tirol-Werbung, 25.11. 1993)
„Das grundlegende Standardwerk für den modernen Heiden“ soll das Buch „Im Tanz der Elemente“ sein, ein Werk über „Kult und Ritus der heidnischen Gesellschaft“, verfaßt von Björn Ulbrich, in Österreich über den sattsam bekannten Verlag des Michael Damböck in Ardagger vertrieben. Am Prospekt ist der Feuerspruch als Einladung zum Bezug deutliches Indiz für eine spezielle Sorte neuer Brauchtums- und Ritualideologien: „Wir stoßen unsere Fackeln tief in das Reisig des Feuerstoßes. Stimmen flüstern sich knackend zu und weiten sich prasselnd aus, die Trommeln raunen um letzte Geheimnisse. Eine heiße, unbändige Gewalt löst sich wie ein Geburtsschrei von der Erde und schießt in die Weiten des Himmels. Was sich in Jahrtausenden aufgespeichert hat, wird opfernd hingerissen in das Zentrum der Sonne. Gleißendes Feuer erhellt, durchwärmt, verbrüdert. Wir reichen uns die Hände – Wintersonnenwende! Heilsamer Lichtritus der Ahnen [...]“
Ich denke, daß hier der Spielraum sichtbar ist. Ich denke auch, daß einige Formulierungen, wie sie bei der Schilderung der Feuer in den Alpen anzutreffen sind, nahe kommen an diese Sprache. Noch mehr denke ich, daß dieser Feuerspruch zumindest ebenso tauglich wäre für ein Marketingleitbild irgendeiner Tourismusindustrie für 1994 bis 1995. Wie sehr solche Bereiche wie „Kultplatz“ und „Hexen“ und „Rituale“ wirksam werden und sogar bei an sich geschätzten Forscher/innen beliebig und hier frauenrechtlerisch, fast pseudo-matriarchal genutzt werden, mag ein Zitat aus Heide Göttner-Abendroth „Die tanzende Göttin“ verdeutlichen. Für ein Ritual, zu vollführen zu Lichtmeß (Brigid/Lucia), wird unter anderem empfohlen: „Der Höhepunkt des Rituals ist die Versammlung um einen brennenden Kamin, wo wir das Feuer der Brigid, das Feuer der Neuschöpfung, schüren. Auf dem Feuer siedet der Kessel mit einem heißen, glühenden Getränk – es ist der Kessel des Windes, des Geistes, des Rauches, der poetischen Exstase, der Kessel der Inspiration, zugleich ein Symbol der Göttin selbst [...] laßt uns Kerzen oder Windlichter in die Mitte tragen und dort im Schnee niederbrennen: die ersten Feuerkeime, Hoffnung auf neues geistiges und spirituelles Wachstum [...].“ (Göttner-Abendroth, Tanzende Göttin)
Spirituelle Inhalte, sehr alte Riten, in Verbindung mit uralten Erfahrungen, mit mündlicher Überlieferung sind tatsächlich sehr prägend für die Volks-Kultur. Es geht einem durch Mark und Bein. Es ist die latent vorhandene Suche nach den Wurzeln. Umso dramatischer sind Fehltritte, Mißdeutungen, vor allem aber politische Vereinnahmung. Das gilt auch für den Tourismus.
Feuer in den Alpen verbindet auf nahezu vollkommene Art das Neuaufleben uralter, archaischer Feuerkulte mit aktuellen Anliegen, mit politischem Engagement im Sinne von Ökologie, Umweltschutz, Regionalkultur. Älteste Mythen und Rituale können hier auf solche Weise aktualisiert werden, daß sich Links-Grüne einerseits als Repräsentanten einer alpinen Roots-Cultur fühlen können, daß sie „Heidnisch-Kultisches“ wiederaufnehmen können, ohne die verchristlichten Feuerkulte übernehmen zu müssen. Distanz und ungeheure Nähe wollen hier vereint sein: und das alles einem guten Zweck dienend, der Umwelt, der Alm, den Alpen, der Ökologie. Auch das neue „Heidentum“ repräsentieren. Ich wollte und will auf das hinweisen, was für mich an der ganzen Euphorie (der ich selbst auch agierend, mitveranstaltend, mitwirkend verfallen bin) gefährlich, übersensibel, aber auch anrüchig wie mitreißend zugleich sein kann.
Am Vorabend des Johannestages lodern im ganzen Lande Hunderte von Feuern auf; auf Bergen und Felsköpfen, wie auf ebenem Felde werden sie entzündet, das Volk nennt sie zumeist Johannesfeuer, weniger gebräuchlich ist die Bezeichnung Sonnwendfeuer. Die vielen Berg= und Ortsnamen, welche Dr. Prinzinger in seiner Abhandlung über den „vorchristlichen Sonnendienst im deutschen Südosten“[4046] anführt, geben Zeugnis davon, wie tief dieser Brauch im Volke wurzelt. Es gibt eine Anzahl Sonnwendberge, =kogel, =steine, =bühel, =peunten, ferner Simetsberge und Simetskogel, Feuerhörner, =kogel und die sehr zahlreichen Feuerpalsen und Feuergüter, die Brennbühel, Brennkogel, weiter die Feuersangberge, =lehen, =wiesen und =güter weisen gleichfalls auf diese Sitte. Von allen diesen schreibt der vorgenannte Verfasser: „Diesen Bergen und Büheln, Gütern, Alpen und Wiesen ist gemeinsam, daß die hochgelegenen einen großen Umblick und gleichzeitigen Einblick in die umliegenden Täler, die niedrigern den Überblick des Tales, in dem sie liegen, gewähren; denn hier brannte, wie aus dem Namen zu schließen, je nach der Jahreszeit und Witterung höher oder tiefer, an den der Sonne geweihten Tagen (am Sonnabend und Sonntage) und zu den Sonnwendzeiten das heilige Feuer, das Sinnbild des wohltätigen Tagesgestirns.“
Während des Tages schleppen die Buben schon das Holz an die Feuerstelle, alte Besen, die abgedorrten Prangstauden, Klaubholz und Scheitholz wird zu einem mächtigen Stoß aufgetürmt. In manchen Orten steckt man, leider jetzt immer seltener, eine mit Stroh umwundene Stange in den Stoß, die am obern Ende eine in Lumpen gehüllte und mit Stroh ausgestopfte Gestalt trägt. Manchmal waren es deren sogar zwei, der Hansl für die Buben und die Gretl für die Mädchen. Bei Eintritt der Dunkelheit wird der Holzstoß entzündet, züngelnd lodern die Flammen empor und verzehren die Puppe, greller Feuerschein leuchtet weit hinaus in die Gegend und fröhliches Treiben entwickelt sich überall, denn sobald das Feuer ziemlich niedergebrannt ist, beginnt das Feuerspringen; gesprungen wird meist paarweise über das Feuer. Daß der Brauch des Sonnwendfeuers auch in der Stadt einst heimisch war, darüber schreibt Zillner in dem Werke „Die österreichisch=ungarische Monarchie“, Band Salzburg=Oberösterreich, folgendes: „Im XVI. Jahrhundert zündete man die Sonnwendfeuer noch auf dem Hauptplatze der Stadt Salzburg an und 1568 zahlte die Stadtkammer für das ‚Sunwendtfeuer auf dem Protmarkte 5 Gulden, 2 Schilling, 10 Pfennig.‘“[4047]
Auf dem Kapitelplatz, an der Stelle, wo ihn heute die schöne Marmorschwemme schmückt, befand sich einst ein von wildem Gebüsch umrandeter Tümpel. Dort wurde laut alter Kapitelprotokolle der Feuertanz[4048] der Reisigen des Domkapitels gehalten. Es war dies ein besonderes Vorrecht der kapitlischen Beamten und Dienerschaft. So heißt es im Kapitelprotokoll vom 18. Juni 1537: „Heute hat ein ehrwirdigs Kapitl iren Dienern zu dem Suntwentfeuer und Tanz bei der Swem die Anzahl Wein wie vergangenen Jahrs zu geben, des heurigen nicht verdigen Weins.“
Mit dieser Feier verband sich alljährlich Trinkgelage, Schmaus, Spiel und Tanz. Es gab wohl Jahre, wo es mit dem Wein etwas knapp ging, dann erhielten die Diener eines ehrwürdigen Kapitels dafür ein entsprechendes Trinkgeld. Nachdem es bei dieser Unterhaltung auch nicht an Ausschreitungen fehlte, so wurde sie zeitweilig auch wieder verboten oder der Tanz zum mindesten in einen geschlossenen Hof verwiesen. Das ganze 16. Jahrhundert hindurch berichten die vorerwähnten Kapitelprotokolle wiederholt von dieser Volksbelustigung. Im Jahre 1577 wurden sogar drei Eimer Wein gespendet, „aber der Tanz soll verboten sein, weil dermalen ohnehin alle öffentlichen Freuden und Tänze verboten sind“. Im Jahre 1582 waren wieder bessere Zeiten, da gab es dreieinhalb Eimer Wein für die Kapiteldienerschaft, „doch daß sie keinen Rumor anfangen, sondern sich exemplarisch und züchtig verhalten“. Auch Erzbischof Wolf Dietrich war dem fröhlichen Treiben nicht abgeneigt, 1589 lesen wir: „Die reisigen Diener des Kapitels bitten um Erlaubnis, daß sie das Fest des heiligen Johannes des Täufers wieder nach altem Brauch mit einer gehörigen Mahlzeit feiern dürfen. Es werden ihnen fünf Gulden zu geben bewilligt, mit der Erinnerung, daß sie sich züchtig und friedlich dabei verhalten und zu Ungnad und Straff keine Ursach geben.“ Erst durch den Dombrand (1598) fand diese Veranstaltung auf diesem Platze ein Ende, da derselbe jahrelang mit Schutt und Trümmern vom Abbruch des alten und Baue des neuen Domes belegt war.
Im Großarlertal ist mit der Sonnwendfeier auch das Sonnwendklöcken[4049] verbunden, und zwar ist der Brauch auf den Almen zu Hause. Die männlichen Almbewohner richten sich schon vorher zu diesem Zwecke ihre Hochzeitspeitschen zurecht. Nach getaner Arbeit steigen dann am Sonnwendabend drei oder vier Burschen auf einen Palfen oder kleineren Kogel und stellen sich zum Zweier= oder Dreierklöcken auf. Beim Zweierklöcken hat die Einserpeitsche den tieferen, die andere den höheren Ton. Der mit der Einserpeitsche beginnt. Vorerst macht er einige kräftige Schwünge, bis er in den Takt kommt, dann klockt er sein Gesetzel herunter. Genau so folgt dann die Zweierpeitsche; erst beim zweiten Klöcken schnalzen beide zusammen, wobei der Einser beginnt, der Zweier fällt nach einigen Takten ein, der Rhythmus dürfte der 7/8 oder 9/8 Takt sein.
Das Dreierklöcken bei drei verschiedenen Peitschentönen geht in ähnlicher Weise vor sich, die Dreierpeitsche setzt als letzte ein. Dieser Peitschendreier hat viel Verwandtes mit dem Dreierjodler und mag immerhin von ihm abgeleitet sein. Bei klarem Wetter schallt die Antwort vom benachbarten Palfen oder Gipfel, es sind die „Nachbarsalmlötter“, die dort ihre Kunst üben, und dabei will eine Partei die andere übertreffen im Taktmaß und der Reinheit des Klöcktones. Nach Erlahmen der Kräfte finden sich die Sonnwendklöcker in einer Almhütte zu einigen Frackeln Schnaps und zur frohen Unterhaltung ein.
An dem Abend steigt der „Wuschzner“[4050] auch auf die Berge, um heilkräftige Kräuter zu sammeln, und man gräbt so viel Sonnwenddisteln (Carlina acaulis) mit den Wurzeln aus, als Bewohner im Hause sind. Die Disteln werden dann mit Moos und etwas Erde zwischen die Stämme der Hauswand eingesetzt. Soviel nun von ihnen bis zur nächsten Sonnenwende absterben, ebensoviele Todesfälle oder andere Veränderungen ereignen sich in diesem Hause.
Zwischen den Sonnwendfeuern der Schuljugend und jenen der Erwachsenen ist wohl zu unterscheiden.
Die Buben des Dorfes errichten schon lange vor Johannes Holzstöße und schaffen dazu grünes Reisig (Taxach) herbei. Sorgsam werden die gesammelten Vorräte zugedeckt und vor neugierigen Suchern verborgen. Kommt nun der Sonnwendtag, so wandern die Buben gleich nach dem Mittagessen in Gruppen zu ihren Holzstößen. Der „Habmoar“[4051] der Gruppe entzündet feierlich unter tiefem Schweigen der Umstehenden den Holzhaufen. Anfangs darf er hoch und fest brennen; ist jedoch viel Glut angesammelt, so kommt wieder dürres Holz darauf und darüber grünes Reisig. Dies hat den Zweck, das Feuer stark zum Rauchen zu bringen, denn darin setzt die Jugend ihren größten Stolz. Jene Gruppe, deren Feuer am stärksten raucht, erringt sich die Achtung aller übrigen. Sobald das Feuer kleiner geworden ist, umtanzen es die Buben und üben sich auch für spätere Zeiten im Feuersprung.
Erschallt nun von den Häusern im Dorfe die Eßglocke herauf, so eilt die junge, lustige Gesellschaft nach Hause zu den Sonnwendkücheln, die an diesem Tage auf keinem Tische fehlen dürfen. Nach dem Abendessen brennen die Erwachsenen ihre Feuer. Der Dorfälteste oder der Gemeindevorstand entzündet den großen Holzstoß. In vergangenen Zeiten wurde Weihkraut, etwas Salz und eine Handvoll Getreide ins Feuer geworfen und zugleich die Sonn= oder Wetterbitt gesprochen.
Damit ist der ernste Teil der Feier beendet. Die älteren Leute lagern sich in der Nähe des Feuers und schmauchen aus ihren silberbeschlagenen Holzpfeifen. Die Burschen und Mädchen aber treten zum Spiel „Hinteres Paarl herfür“ an. Bub und Mädel fassen sich abwechselnd an den Händen und bilden einen Kreis um das Feuer. Ein Überzähliger tritt in den Kreis und macht den Ausschreier. Er bezeichnet irgend ein Paar als das hinterste. Die Angerufenen stellen sich nun innerhalb des Kreises so auf, daß das Feuer zwischen ihnen liegt. Hierauf beginnt der Ausschreier:
I alloan, du alloan,
hintas Paarl herfürtoan.
Nun springen beide zugleich, der Bursch herüber, das Mädchen hinüber. Hierauf kommt das nächste Paar und so springen sie weiter, bis das Radel, die Anzahl der Paare, fertig ist.
Treffen nach einem gelungenen Radel die gleichen Paare zusammen, so bedeutet dies, daß die Beiden einander fürs Leben bestimmt sind. Verdirbt aber ein Bursche durch einen mißglückten Sprung das Radel, so wird von vorne angefangen; der Ungeschickte wird arg verspottet und muß den Ausschreier machen. Gut gelungene Sprünge werden von den Zuschauern immer belobt und manch altes Väterchen denkt dabei zurück an die Zeit, in der er sich beim Feuersprung seine Frau geholt hatte.
Im Pongau und Lungau ist mit dem Sonnwendfeuer zugleich auch das „Scheibenschlagen“ verbunden. Dasselbe ist nur dort möglich, wo von der Hochfläche, auf der das Feuer brennt, eine Lehne steil abfällt. Am Rande der Fläche ist ein etwa meterhoher Pfahl eingerammt und auf demselben vom Boden aus ein Holzladen schräg aufgenagelt. Der Scheibenschlager hat eine mehrere Meter lange, am Ende dünnere Haselnußstange; das Ende steckt er in das Loch der Scheibe, die aus einem Fichtenladen gebohrt ist, geht dann zum Feuer und entzündet sie, bis sie ganz in Flammen gehüllt ist. Hierauf tritt er an den Rand der Fläche und schwingt kreisend die Scheibe in der Luft, bis sie vollständig durchglüht erscheint, und nun schlägt er sie kräftig auf den Laden auf, so daß sie abspringend im weiten Bogen wie ein leuchtendes Meteor in die Tiefe fliegt, dabei sagt er zugleich seinen Scheibenspruch. Die gewöhnliche Form des Scheibenspruches, wie er zum Beispiel in Dorfgastein üblich, ist folgende:
„Sonnwendscheibm schein,
wenns schön ist
soll’s dem (der) N ... sein!“
Dabei wird der Name genannt, dem oder der der Scheibenschläger die im Sonnenwend= oder Johannesfeuer glühend gemachte Holzscheibe widmete, so zum Beispiel Vater, Mutter, Lehrer usw. usw. Die Scheiben werden schon im Winter vorgeschnitten; so sollen vor mehreren Jahren die Burschen in Muhr im Lungau gegen 300 Scheiben zum Schlagen vorbereitet haben. In der Umgebung Radstadts rollen sie übrigens auch Feuerräder über die Lehnen hinab.
Nicht nur dem Feuer, auch dem Wasser weihte man in dieser geheimnisvollen Nacht eine gewisse Verehrung. Wie man anderwärts Quellen und Brunnen beleuchtete, so ließen die Laufener Schiffleute vor vielen Jahren lohende Feuer die Salzach hinabschwimmen. Sie fertigten sich dazu eigene Kistchen an, deren Boden wurde mit Lehm ausgekittet. Darauf häuften sie mit Fett getränktes Reisig und mischten Pech, Baumharz und andere leicht brennbare Stoffe darunter. Am Abend wurde das Ganze angezündet, dann schwammen viele Dutzende solch kleiner Schiffchen die Salzach hinab, was einen ebenso eigenartigen, als hübschen Anblick bot.
[4042] [HaidH 1994], Auszug: S. 99–106.
[4045] [Adrian 1924], S. 149–155.
[4046] Anm. Adrian: [Prinzinger 1880].
[4047] Anm. der Redaktion: Karl Adrian liefert hier, wie auch an weiteren Stellen, keine weiteren Belege.
[4048] Anm. Adrian: Nach dem Aufsatz von [Greinz 1923].
[4049] Anm. Adrian: Nach Mitteilung des Herrn Schulleiters Fiala in Au bei Großarl.
[4050] Anm. Adrian: Wurzelgraber.
[4051] Anm. Adrian: Der Anführer, eigentlich der beste Ranggler.