Die Natur hat vorgesehen, dass sich unser Leben in verschiedene Abschnitte unterteilt. Der letzte Lebensabschnitt beginnt mit Mitte 60. Ebenso natürlich ist es, dass mit hohem Alter der Körper nicht mehr so funktioniert wie in jungen Jahren. Zu den vermehrt auftretenden körperlichen Gebrechen kommt die Umstellung nach der Pensionierung und die damit zusammenhängende, vermehrte Freizeit hinzu. Später folgen der Tod von Freunden und Bekannten, vielleicht sogar des Ehepartners sowie der langsam einsetzende Verlust diverser Fähigkeiten und damit einhergehend das Auftreten verschiedener Faktoren und Gefühle wie Einsamkeit, Hilfsbedürftigkeit, Abhängigkeit, Nutzlosigkeit, Langeweile etc. Diese natürlichen, vorgegebenen Umstände lassen uns dem unausweichlich einsetzenden Alterungsprozess mit Sorge und Negativbewertung entgegensehen. Dabei sind die Gegebenheiten im hohen Alter durchaus nicht zur Gänze als negativ einzustufen. Der bittere Beigeschmack und der „Geruch des Todes“, den wir oft dem Zustand eines alten Menschen beimessen, beruhen vorwiegend auf mangelnder Kenntnis, übertriebenen Schilderungen oder resignierender Lebenseinstellung. Ein ebenso weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die Einweisung in die Geriatrie aufgrund dieser zunehmenden körperlichen und geistigen Schwächen die Endstation dieses letzten Lebensabschnitts darstellt.
Gerade das Gegenteil ist der Fall. Mit dem stetig wachsenden Anteil an Hochbetagten und der immer höheren Lebenserwartung nimmt die Bedeutung der Geriatrie zu. Doch das Image der Geriatrie ist nach wie vor noch nicht der Realität entsprechend. Die zahlreichen Vorurteile, gegen welche die geriatrischen Einrichtungen zu kämpfen haben, sind vielfältig. Die am weitesten verbreiteten sind allerdings, dass man geistig nicht mehr zurechnungsfähig ist, vor sich hin vegetiert oder dem Sterben nahe ist, wenn man eingewiesen werden muss. In Wirklichkeit sterben die wenigsten Patienten in der Klinik, sondern sie werden aufgenommen, um nach erfolgreicher Rehabilitation wieder entlassen werden zu können, zumal die Geriatrie ein Akutspital, aber kein Hospiz oder Pflegeheim ist.[2140]
„Geriatrie ist der Zweig der Medizin, der sich mit der Gesundheit im Alter sowie den präventativen, klinischen, rehabilitativen und sozialen Aspekten von Krankheiten beim älteren Menschen beschäftigt“, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Definition der so genannten Altersheilkunde. Dies bedeutet ferner, dass nicht nur medizinisch diagnostizierbare Krankheiten rehabilitiert oder messbare Faktoren vom geriatrischen Personal behandelt werden, sondern die Reichweite wird weit über die Klinikgrenze hinaus mit berücksichtigt, um eine erfolgreiche Heilung bzw. Besserung des Gesundheits- wie Allgemeinzustandes des Patienten gewährleisten zu können. Dieser diagnostische Prozess wird in der Geriatrie unter dem Begriff „Geriatrische Assessments“ zusammengefasst, was soviel bedeutet, wie „die Beurteilung der Fähigkeit eines Patienten in der Arena des Alltags zu funktionieren.“ Dies entspringt der ganzheitlichen Definition der Weltgesundheitsorganisation, die die Altersheilkunde als multiprofessionell beschreibt. So kann sich der Patient nach erfolgter Behandlung wieder in seinem Lebensraum zurechtfinden. Von daher kann bei der Geriatrie keinesfalls von „Endstation“ gesprochen werden.[2141]
Die Geriatrie ist eine medizinische Fachrichtung, die sich mit den Krankheiten des alten Menschen beschäftigt. Sie reicht von stationärer bis zur häuslichen Versorgung bzw. jener in Pensionisten- und Pflegeheimen. Die klinische Geriatrie setzt sich aus mehreren Bereichen zusammen und umfasst sowohl die Prävention und Erkennung, als auch die Behandlung mittels Innerer Medizin, Allgemeinmedizin, Nervenheilkunde, Physikalischer und Rehabilitativer Medizin. Ferner befasst sich die Geriatrie mit den Alterungsprozessen und den verschiedenen Aspekten der Erkrankungen alter Menschen. Der klinische Fachbereich unterteilt sich in die Akutgeriatrie und die geriatrische Rehabilitation.[2142]
Ziel ist je nach Krankheitsbild die Verbesserung des Allgemeinzustandes, die Erhaltung geistiger und körperlicher Fähigkeiten oder die Verhinderung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Speziell nach der geriatrischen Rehabilitation sollte der Patient wieder zu einer selbstständigen Lebensführung fähig sein.[2143]
Die Erfolgskriterien sind Lebensqualität, Kompetenz, Selbstständigkeit und Pflegefallverhinderung, welche durch die Behandlung eines speziell geschulten Teams und die weit reichende Sichtweise garantiert werden.[2144] Somit umfasst die Behandlung die ärztliche Diagnostik, Pflege, Krankengymnastik und Bewegungstherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychologische und Psychotherapeutische Behandlung, Seelsorge, Ernährungsberatung und soziale Betreuung.[2145]
Die Altersmedizin wird oft mit der Kinderheilkunde verglichen, da die ganzheitliche Betreuung während eines ganzen Lebensabschnittes notwendig ist. Der klassische Geriatriepatient leidet an seniler Demenz (intellektueller Abbau), Immobilität, Instabilität (Stürze) und Inkontinenz. Der geriatrische Patient ist gesundheitlich, geistig und sozial aus dem Gleichgewicht geraten und er findet sich aufgrund einer anderen Wertigkeit der Umstände nicht mehr ohne Hilfe in seinem Lebensraum zurecht.
Die Patientengruppen teilen sich grob gegliedert in allgemeingeriatrische und in psychogeriatrische. Die erste Gruppe definiert sich durch körperliche Gebrechen und Störungen der Funktionssysteme. Meistens sind die Krankheitsbilder altersbedingt und es besteht die Möglichkeit des Verlustes der Selbstständigkeit sowie erhöhte Hilfsbedürftigkeit. Bei der zweiten Gruppe kommen zu den Krankheitsbildern kognitive Defizite und wahnhafte Persönlichkeitsstörungen hinzu. Beiden gemeinsam ist die so genannte Multimorbidität, das heißt, dass körperliche, psychische und soziale Störungen in komplizierter Wechselwirkung auftreten.[2146]
Durch die im Alterungsprozess auftretenden geistigen Schwächen beginnt der Patient zunehmend in „seiner eigenen Welt“ zu leben, welche Außenstehenden nur schwer bis überhaupt nicht verständlich ist. Die häufigsten Diagnosen sind Demenz, Verwirrung, Agitation und Alzheimer. Die mit unter schwerwiegendste Krankheit ist die Demenz – übersetzt „der Geist ist weg“. Sie ist eine organisch bedingte, chronische, nicht heilbare und allgemeine Hirnleistungsschwäche, verbunden mit Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen. Es kommt zu kognitiven Defiziten, emotionellen Veränderungen, Depression und Aggression durch die Wahrnehmung dieser Defizite. Der Patient befindet sich in einem Teufelskreis. Die Verwirrung dagegen ist eine qualitative Bewusstseinsstörung und ist erkennbar an Desorientierung, Dämmerzustand, Delirium und psychomotorischer Unruhe wie allgemeinen, seelischen Erregungszuständen oder Bewegungsdrang. Aber auch die Agitation bedeutet Erregtheit. Es kommt zur körperlichen und/oder seelischen Unruhe mit oder ohne Aggression (schreien, beleidigen, schlagen, beißen, weglaufen, sich ausziehen, klopfen etc.). Bei der hirnorganischen Erkrankung Alzheimer kommt es zum Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. Im Gegensatz zur Demenz entwickelt sich hier der Verlauf der Krankheit langsam. Die klassischen Symptome sind der Verlust des „Ich-Bewusstseins“, Sprachzerfall, Wandertrieb, Veränderung der Persönlichkeit, Wahnvorstellungen, Depression und Aggression.[2147]
Jede Diagnose verändert den Patienten in einer bestimmten Form. Es ist schwierig, mit der neuen, veränderten Situation umzugehen. Wenn die geistige Schwäche nicht zu weit fortgeschritten ist, muss der Patient erst lernen, sich und seine verminderten Fähigkeiten neu zu organisieren. Kann er dies nicht mehr selbstständig, so ist er künftig auf professionelle Hilfe oder Unterstützung durch Angehörige angewiesen. Der Alterungsprozess und die damit einhergehenden Folgen verändern das Umfeld aller Betroffenen.
Um den Patienten nach ihrer Erkrankung wieder ein selbstständiges Leben ermöglichen zu können, ist eine umfassende Diagnose notwendig. Dies betrifft allerdings nicht nur die medizinische Untersuchung, sondern vielmehr auch alle Aspekte, die mit dem Umfeld des Betroffenen zusammenhängen. Somit ist die körperliche, psychische und soziale Dimension in der Gesamtheit zu betrachten. Die Geriatrie hat daher nicht nur die Funktion, medizinische und rehabilitative Maßnahmen zu setzen, sondern fungiert im Speziellen auch als Schnittstelle zwischen dem Patienten und seiner Umwelt, indem sie als Einrichtung speziell geschulter Berufsgruppen aus mehreren Fachbereichen auch zukunftsorientierte Aktionen setzt wie Hilfsmittelversorgung, Unterkunftsadaptation, Pflegevermittlung, Unterstützungsmaßnahmen, Sozialindikation u. v. a. m.[2148]
Für die Anamnese, das heißt für die Sammlung von Informationen, gibt es keine einheitliche Vorgangsweise, dafür aber eine Reihe von spezifischen Untersuchungsstandards und anerkannten Testverfahren. Die medizinisch-psychiatrische Diagnostik wird unter Rücksichtnahme auf die Konsequenzen durchgeführt, die sich für den Alltag des Patienten ergeben könnten. Dies bedeutet, dass die Behandlung während des Aufenthaltes genau auf den Patienten und den Zeitpunkt der Entlassung sowie seine Stellung in der Gesellschaft abgestimmt ist. Um möglichst alle Gesichtspunkte im Blickfeld zu behalten, läuft ein geriatrisches Assessment mehrdimensional und multiprofessionell ab.[2149]
Recherchiert man nach Bevölkerungsstatistiken, so sieht man, dass die Lebenserwartung immer mehr nach oben ansteigt. So hat sich die Gesamtbevölkerung vom Zweiten Weltkrieg bis heute bereits verdoppelt und die Anzahl der über 60-Jährigen hat um 45 % zugenommen. Heute werden 90 % der Bevölkerung über 60 Jahre, was heute auch als nichts Besonderes gilt, und 45 % werden sogar über 80 Jahre alt.[2150] Speziell in Österreich zeigt die Statistik, dass 20,7 % älter als 60 Jahre sind. Prognosen für das Jahr 2030 erwarten einen Anstieg auf den Wert von 32,2 %.
An diesen wenigen Zahlen ist bereits zu erkennen, wie wichtig es ist, die „alte Generation“ mit zu berücksichtigen. Die Statistik verformt sich von einer Pyramide bereits zu einer Säule, da im Gegensatz zur Langlebigkeit der heutigen Gesellschaft die Anzahl der Geburten sinkt. Einige Soziologen sprechen bereits von einer Vier- bzw. Fünfgenerationengesellschaft.[2151] Die Weltgesundheitsorganisation teilt die so genannte dritte Generation in:[2152]
Alternde Menschen = 50 bis 60 Jahre
Ältere Menschen = 60 bis 70 Jahre
Alte Menschen = 75 bis 90 Jahre
Sehr alte Menschen = 90 bis 100 Jahre
Langlebige = über 100 Jahre
Im Gegensatz zu früher sind 100-Jährige heute keine Besonderheit mehr. Das Problem ist nur, dass jeder alt werden, aber niemand alt sein will, da das hohe Alter einfach mit negativen Faktoren verbunden ist wie Unbeweglichkeit, Verlassensein, Krankheit, Einsamkeit, Schwachsinn, Abhängigkeit etc. Mit zunehmenden gesundheitlichen Risiken ist der alte Mensch in einem Pflegeheim besser aufgehoben, da die Angehörigen oft selbst bereits in einem erhöhten Alter sind und die notwendige Pflege und Obsorge einfach nicht mehr zur Genüge leisten können. Moderne Pflegeheime bieten ausgezeichnete Pflege und kümmern sich individuell um jeden Bewohner. Die positive Entwicklung ist allerdings noch nicht bis zur letzten, ältesten Generation vorgedrungen. Vielmehr haben Alten- und Pflegeheime in ihren Augen noch immer einen schlechten Ruf; der Gedanke daran vermittelt ihnen das Gefühl des Abgeschobenwerdens. Dies weckt – im ohnehin bereits schwer zu verarbeitenden Alterungsprozess – ein Gefühl der Angst. Die Einweisung in die Geriatrie wird bei den alten Menschen oft gleichzeitig als der erste Schritt auf das „Abstellgleis“ im Zimmer eines Pflegeheims empfunden.
Der Wandel der Zeit brachte es nicht nur mit sich, dass die „neuen Alten“ langlebiger geworden sind, sondern es hat sich vielmehr die ganze Gesellschaftsstruktur geändert. In der modernen Zeit ist es einfach nicht mehr üblich (und von der Art der Wohnungen her auch nicht möglich), dass drei und mehr Generationen Tisch und Wohnung teilen, so wie es früher der Fall war. Aus finanziellen Gründen sind beide Teile der Kernfamilie – sowohl Mann als auch Frau – gezwungen, ganztags berufstätig zu sein. Es bleibt kaum noch Zeit für die Kinder, welche in den meisten Fällen in einem Hort untergebracht werden. Der Trend geht weg von der Groß- hin zur Kernfamilie. Der Wandel des Sozialnetzes untergräbt die Autorität der Familienältesten. Sie haben nicht mehr den Wert bzw. die Stellung des Familienoberhauptes, da sie nicht mehr für die Erhaltung der Familie mitsorgen können. Die Praxis zeigt, dass die alte Generation zwar so lange als möglich zu Hause versorgt wird, aber nur so lange, als es für alle Beteiligten das Beste und erträglich ist.
Der Schritt ins hohe Alter muss nicht immer ein negativer Schicksalsschlag sein. Mit einer angstfreien Lebenseinstellung kann der alternde Mensch seine Pensionsjahre gesund und lebenswert verbringen. Mit der vermehrten Freizeit nach der Pensionierung und der weit entwickelten medizinischen Unterstützung kann man sich alles erfüllen, für das man früher keine Zeit hatte. Das eigentliche Problem tritt dann ein, wenn der alternde Mensch zum Pflegefall wird. Das Pflegefallrisiko liegt bei den Personen
zwischen 70 und 75 Jahren bei 3,5 %
zwischen 75 und 80 Jahren bei 7,2 %
zwischen 80 und 84 Jahren bei 14 %
über 85 Jahren bei 31,1 %.
Von den über 65-Jährigen waren in Österreich innerhalb der letzten fünf Jahre 22 % hilfs- und pflegebedürftig und 7,1 % akute Pflegefälle.[2153] Die überproportionale Zunahme der Pflegebedürftigen und die Verminderung der Bevölkerungsanzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter werden im Laufe der nächsten Jahre zu einem Betreuungsproblem führen. Während im Jahre 1981 auf einen 70- bis 80-Jährigen fünf Personen kamen, welche um 25 Jahre jünger waren, ist die Zahl 2000 bereits auf zwei gesunken. Prognosen für das Jahr 2030 sagen eine Zahl von 1,3 voraus. Das heißt, dass jeweils vier berufstätige Menschen drei Pensionisten finanziell versorgen müssen. Dazu kommt die Tatsache, dass die moderne Familie weniger Kinder bekommt bzw. auch vermehrt kinderlos bleibt. Durch die erhöhte Lebenserwartung kann es in einer Familie bis zu fünf Generationen geben. Früher lebten höchstens drei Generationen in einem Haushalt zusammen. Heute leben laut Statistik 15 % der Pflegefälle alleine in einem Haushalt.[2154]
Die Weltgesundheitsorganisation definiert den Begriff des Alters als „Zustand verminderter Anpassungsfähigkeit an äußere und innere Reize und eingeschränkte Fähigkeit ein verlorenes Gleichgewicht wieder herzustellen.“[2155] In der Praxis bedeutet dies, dass der alternde Mensch mit erhöhter Pflegebedürftigkeit immer weniger im Stande ist, ein selbstständiges Leben zu führen und vermehrt auf Hilfe Dritter angewiesen ist. Dieser Umstand versetzt die Betroffenen in Angst und lässt sie über den Sinn des Lebens philosophieren. Das Leben ist aber noch nicht zu Ende, auch dann nicht, wenn man in eine geriatrische Einrichtung eingewiesen wird. Üblich ist es ohnehin, dass die Pflegebedürftigen so lange als möglich zu Hause versorgt werden.
Es gibt mehrere Faktoren, welche die Langlebigkeit beeinflussen. Zum einen sei die Erblichkeit erwähnt. Von den wenigen über 100-Jährigen, welche es gibt, stammen zwei Drittel aus Familien mit überdurchschnittlich hoher Lebenserwartung. Ein weiterer Faktor ist das Nichtvorhandensein lebensbedrohlicher Risiken. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass Personen mit intakten Gehirngefäßen um viele Jahre älter werden. Dies ist auf die Förderung der Gehirnzellen zurückzuführen und könnte unter Umständen auch mit dem beruflichen Wandel im Industriezeitalter zusammenhängen. Mit der geistigen Pflege ist auch die körperliche Pflege zu erwähnen. Ausgewogene Ernährung, regelmäßiger Schlaf, Ruhe, frühzeitige Behandlung von Krankheiten, Bewegung, Vorsorge etc. führen ebenfalls zu einem höheren Lebensalter. Ebenso wichtig wie äußere Einflüsse sind die innere Einstellung sowie ein positives Selbstbild. Lebenszufriedenheit und geistiges Wohlbefinden erhöhen zusätzlich die Lebenserwartung.[2156]
Die Überlegungen die Altersstatistik betreffend stehen im Spannungsfeld sozialer Leistungsbreite und medizinischer Möglichkeiten einerseits und Unselbstständigkeit durch Überalterung und völliger Pflegebedürftigkeit andererseits. Dieses Problem zu lösen, wird zu einer der größten Herausforderungen der Ethik in der modernen Gesellschaft gehören.[2157]
Es ist schwierig, den Begriff der Wertigkeit in Bezug auf den alternden Menschen und seine Stellung in der Gesellschaft so zu definieren, dass er allgemein gültig ist. Man müsste dazu den Wert des Alters Länder, Kultur und Generationen vergleichend untersuchen. Dies würde unzählige empirische Studien voraussetzen. So gibt es zum Beispiel in den vorindustriellen Kulturen die Besetzung des Alters mit Weisheit, während Alter in den modernen Industriegesellschaften pflegebedürftig und senil bedeutet. Kinder nehmen die alte Generation oft als Abenteurer und als Familienoberhaupt wahr, für die pflegenden Angehörigen stellen sich die Älteren dagegen oft als zeitaufwendig und anstrengend dar. Die Reihe der Vergleiche bzw. Gegenüberstellungen könnte man unaufhörlich weiterführen.
Ein wesentlicher Aspekt für die Einreihung in das Wertesystem ist vor allem auch das Geld. Eine menschenwürdige Pflege ist kostspielig. Die Frage, wohin mit dem Pflegebedürftigen, stellt sich dann, wenn die Pflege zu Hause nicht mehr finanzierbar ist.[2158] Dabei müssen wir in unserem Land noch von Glück reden, da wir finanzielle und soziale Unterstützung aus öffentlicher Hand bekommen. Aus diesem Grund hat die ältere Generation in der Öffentlichkeit auch manchmal den Ruf der „Sozialschmarotzer“. Für die Betroffenen selbst kommt auch dieser Ruf als erschwerend hinzu. Es ist in unserer Gesellschaft üblich, dass wir unsere Wertigkeit nach dem Entgelt einstufen, das heißt, je mehr wir bezahlt bekommen, desto mehr sind wir wert. Da der alte Mensch ohnehin schon weniger Geld zur Verfügung hat, arbeitet die neue Situation an seinem Selbstwertgefühl. Wird er dann auch noch von seiner Familie in einem Alten- oder Pflegeheim untergebracht, fühlt er sich zusätzlich abgeschoben und nichts mehr wert.
Daher muss ganz klar festgestellt werden, dass die Unterbringung in einer geriatrischen Pflegeeinrichtung überhaupt nichts mit der Abwertung der Person in der Gesellschaft zu tun hat. Sie spiegelt im Gegenteil die Bewertung des alten Menschen als schützenswertes Leben. Oftmals ist dies der letzte Ausweg für die Familien, dem pflegebedürftigen Angehörigen ein würdiges und erträgliches Lebensende zu bereiten. Auffallend ist jedoch, dass die Überlegung, wo man den Pflegebedürftigen am besten aufgehoben wissen will, beim Vorhandensein von finanziellen Ressourcen größer ist als bei geringerer materieller Sicherheit. So stellt sich die Frage nach häuslicher Pflege in den ländlichen Gebieten erst gar nicht, da dies eine Selbstverständlichkeit ist. Besonders bei den Landwirten ist dies auch der Fall, da der alte Mensch, auch wenn er schwer pflegebedürftig ist, in der Wertigkeit das Familienoberhaupt ist. Gründe der Überlegung sind hier vielmehr, ob die Zeit und der zusätzliche Arbeitsaufwand geleistet werden können.
Die Stellung von pflegebedürftigen alten Menschen ist auch Thema der Sozialpolitik. Sie hat das Ziel, die personale Identität und Autonomie alter Menschen zu sichern. Zusammengefasst ergibt das die Aufgabe, den alten Menschen infrastrukturelle Möglichkeiten zu schaffen, damit sie sich in der Gesellschaft integrieren und autonom handeln können. Betrachtet man den gesamten EU-Raum, ist die Wertigkeit der Alten in den skandinavischen Ländern am höchsten, während sie in Südeuropa und Irland am niedrigsten ist. Durchschnittswerte finden sich in den mitteleuropäischen Ländern. Gemessen wurde dieses Ergebnis aus folgenden Kriterien:
Anzahl der Versorgten im Heim- und ambulanten Sektor,
Infrastrukturelle Kriterien bzw. Koordination der Dienstleistungen,
Höhe der Sozialabgaben und anderer öffentlicher Abgaben,
Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt, gemessen an der erwerbstätigen Bevölkerung,
Prozentzahl der Einpersonenhaushalte bzw. Durchschnittsgröße der Mehrpersonenhaushalte.
Ob jedoch gesellschaftlich, familiär oder politisch betrachtet, die soziale Stellung der alten Generation hat einen Wertungswandel durchlaufen. Auf den Punkt gebracht waren in der vorindustriellen Gesellschaft die Kenntnisse und Erfahrungen alter Menschen in allen Lebensbereichen (das heißt sowohl in Religion, Beruf als auch Familie) eine Bereicherung für die jüngeren Generationen und hatten handfesteste Bedeutung für den Alltag. Dadurch war eine starke familiäre Bindung gegeben. Die Alten hatten die angesehene Funktion des Familienoberhauptes und verkörperten Tradition und Erfahrung. Die Industrialisierung brachte schließlich einen Wandel und zugleich eine Änderung der Familienstruktur. Durch das Leistungsprinzip erfolgte die Trennung von Arbeit und Familie und der alte Mensch verlor seine soziale Bedeutung als Oberhaupt. Traditionelles Erfahrungswissen wurde durch den Fortschritt verdrängt. Die Aufgaben der Großfamilie übernahmen fortan öffentliche Einrichtungen, der alte Mensch hatte seine angesehene Stellung im Alltag von Familie und Gesellschaft verloren.[2159]
Wie bereits erwähnt, geht die demografische Entwicklung in Richtung Überalterung der Bevölkerung. Auch diese Langlebigkeit und der Geburtenrückgang wirken sich auf den Stellenwert der alten Menschen in der Gesellschaft aus. Alle angeführten Faktoren gemeinsam führen vermehrt zu Generationenkonflikten. Die Alten sind den Leistungsnormen nicht mehr gewachsen und müssen den Jungen schneller weichen. Der Erfahrungsvorsprung der Alten wird durch den schnellen Fortschritt nahezu bedeutungslos, zumal sich damit kein Geld verdienen lässt. Prognosen befürchten, dass die arbeitende Bevölkerung die Alten und deren Pflege bald nicht mehr finanzieren kann.[2160]
Der sich anbahnende Generationenkonflikt, die verminderte Wertung und die Stereotypisierung als pflegebedürftig und geistig abgebaut veranlassen viele alte Menschen mittlerweile, ihre Krankheit und Hilfsbedürftigkeit so lange als möglich zu verschweigen, auch weil sie Angst davor haben, in eine geriatrische Einrichtung abgeschoben zu werden. Es gibt mehr verwahrloste, vereinsamte alte Menschen, welche eigentlich der Hilfe bedürften, als man sich vorstellen kann. Dabei stellt sich die Frage, was für den Betroffenen besser ist: unversorgt und unter lebenswidrigen Umständen zu Hause dahin zu vegetieren oder in einem Heim die nötige Hilfe zu bekommen, auch wenn es nicht die eigenen vier Wände sind.
Das Problem der adäquaten Versorgung von pflegebedürftigen alten Menschen stellt sich dann, wenn der Betroffene seinen Lebensalltag nicht mehr selbstständig oder ohne Gefahr für sich selbst bewältigen kann. Das hört sich logisch an, bringt aber eine Fülle von Problemen mit sich, über die ein Gesunder im Alltag nicht nachdenkt – wie Rechnungen begleichen, Heizmaterial besorgen, Treppen benützen, den Heimweg wieder finden, auf das Trinken nicht vergessen, von einem Ort zum anderen kommen, ohne Verletzung ein Küchenmesser benützen, aus der Badewanne wieder herauskommen etc. Natürlich sind das alles keine lebensnotwendigen Dinge, denn man muss sich ebenso wenig waschen oder umziehen, als man aufräumen oder abspülen muss. Auf diese Art und Weise verwahrlosen aber viele alte pflegebedürftige Menschen zu Hause, da sie kein soziales Gefüge mehr haben. In den meisten Fällen bekommen diese Personen erstmalig Hilfe im Zusammenhang mit der Einweisung in eine geriatrische Klinik und dabei stellt sich oft die Frage, wie jene Personen in diesem Zustand überhaupt zu Hause überleben konnten. Andere Personen leben in einem Familienverband und werden von der Familie eingewiesen. In beiden Fällen allerdings ist es schwer zu entscheiden, ob sie nach erfolgreicher Behandlung wieder nach Hause entlassen oder in eine andere Einrichtung verlegt werden sollen, sofern sie pflegebedürftig sind. Durch die vielfältig gegebene Hilfe kann man auf keinen Fall behaupten, dass die Geriatrie ein „Sprungbrett ins Aus“ ist. In manchen Einzelfällen kann es aber vorkommen, dass sich die Pflegebedürftigen aufgeben, wenn sie ihre gewohnte Umgebung verlieren.
Doch nicht nur die Entscheidung darüber, ob man Pflegebedürftige wieder nach Hause nehmen soll oder nicht, ist problematisch, sondern die Pflege an sich kann auch zu unerwarteten Problemen führen. In einer geriatrischen Einrichtung ist das Personal speziell geschult, Angehörige dagegen stehen vor einer vollkommen neuen Situation und müssen unter Umständen ihr ganzes Leben umstrukturieren. Die Pflege zu Hause ist kostspielig, zeitaufwendig und arbeitsaufwendig. Oft leidet das Privat- und Familienleben darunter. Somit ist das am besten Gemeinte nicht immer das tatsächlich Beste für die Betroffenen.
Aufgrund der kontinuierlich ansteigenden Zahl der alten, pflegebedürftigen Menschen und deren immer höher werdendes Alter nimmt auch der Stellenwert und die Wichtigkeit der Altenpflege immer mehr zu. Es gibt bereits unzählige Konzepte von Qualitätssicherung, Methoden der Pflege und Theorien zum Umgang mit dem alten Menschen. Eine der bekanntesten ist die so genannte Pflege nach Prof. Erwin Böhm. Seine Pflegephilosophie nennt er „Pflege mit der Hand in der Hosentasche“. Damit meint er, dass der Pflegende nichts tun sollte, was der Pflegebedürftige noch selber erledigen kann. Er soll ihn lediglich dabei unterstützen, die nötigen Ressourcen der Selbstpflege und Selbstfürsorge wieder zu finden.[2161] Ähnliches wurde auch bei der Definition der geriatrischen Assessments angesprochen. Der Patient soll in der Geriatrie wieder so weit rehabilitiert werden, dass er zu einer selbstständigen Lebensführung in Stande ist, sofern bzw. so weit dies aufgrund seiner Krankheit möglich ist.
Böhm betont, dass der Mensch als soziales Wesen andere Menschen braucht, um etwas über sich selbst zu erfahren. Selbstverwirklichung und das Erleben von Ich-Wichtigkeit sind nur über den Mitmenschen möglich. Der Mensch braucht Bewunderung und Bestätigung und ist somit ohne andere eigentlich nicht lebensfähig. Daher legt Böhm in der Altenpflege vor allem großen Wert auf die Beziehungspflege zwischen den alten pflegebedürftigen Menschen und denen, die sie umsorgen. Speziell auf das Altenheim zugeschneidert hat Böhm ein Reaktivierungsmodell, in welchem die Patienten die Aktivitäten des Alltags selbst verrichten sollen. Böhm bemerkte bei seinen Beobachtungen rasch, dass nur jene Tätigkeiten bei den Patienten wieder aufgerufen werden konnten, die sie früher bereits einmal ausgeübt hatten. Somit kam die Biografiearbeit hinzu. Ziel ist es, die Normalität des Alltags wieder herzustellen. Dazu muss man die Psychobiografie kennen, das heißt die individuelle und seelische Lebensgeschichte des Betroffenen. Dazu gehören vor allem auch die positiven sowie negativen Erlebnisse und Ereignisse, die den jeweiligen Menschen geprägt haben.
Der Wandel der Zeit und die Modernisierung brachten viele Veränderungen mit sich. Im Hinblick auf den letzten Lebensabschnitt hat sich nicht nur die medizinische Situation verbessert, was die Lebenserwartung alter Menschen beträchtlich erhöht, sondern auch die Einstellungen zum Älterwerden haben sich geändert. Zum einen hat der alte Mensch einen anderen Stellenwert bei der jüngeren Generation als früher und zum anderen hat der alte Mensch selbst ein ganz anderes Selbstwertgefühl. Die heutigen Senioren genießen ihren letzten Lebensabschnitt und nehmen sich vom Leben, was es ihnen bietet. Sie sind selbstbestimmter und kämpfen für ihre Stellung in der Gesellschaft – zum Beispiel durch die Gründung von Seniorenräten.[2162]
Dieser Selbstsicherheit steht als natürliche Gegebenheit der biologische Alterungsprozess gegenüber. Mit zunehmender Krankheit verliert der alte Mensch immer mehr von seinem Selbstbewusstsein. Dieses wird verdrängt von Ängsten der Trennung, Isolation, Ungewissheit, Abhängigkeit, Hoffnungslosigkeit, vor Schmerzen, Misstrauen und schließlich vor dem Tod. Gerade die Kriegsgeneration wurde durch viele negative Ereignisse geprägt, die vielleicht bei den alten Menschen selbst bereits in Vergessenheit geraten sind, doch sie formten ihren Charakter. Durch diese Prägung und ein gewisses Maß an Selbstbestimmtheit lassen sich pflegebedürftige alte Menschen nicht von vornherein helfen. In vielen Fällen verfallen sie in Depression oder Resignation. Doch nur ein gesunder Geist hat auch einen gesunden Körper. Um alten und kranken Menschen zu helfen, muss man zuerst mit psychologischen Mitteln Vertrauen, Hoffnung, Sicherheit, Integration, Zuversicht, Unabhängigkeit, Selbstwert und Wohlbefinden aufbauen. Erst wenn der Pflegebedürftige wieder mehr Lebensfreude und Zuversicht hat, kann ihm auch medizinisch geholfen werden.
Da die alte Generation bereits im letzten Abschnitt lebt und auf das vergangene Leben zurückblicken kann, ist es bei der Mobilisierung und Rehabilitation fördernd, auf kulturgebundene Erfahrungen wie Weltanschauung, Glauben oder Religion und auf lebensgeschichtliche Erfahrungen einzugehen.[2163] Der alte Mensch hat sich individuell nach Lebensstil und Lebenserfahrung gewisse Fertigkeiten angeeignet. Wenn man diese wieder in Erinnerung ruft und ausübt, erhält der Pflegebedürftige wieder einen Teil seines Selbstbewusstseins zurück. Wieder nützlich zu sein, selbstständig etwas ausführen zu können und das Gefühl gebraucht zu werden, verdrängen dann die Ängste des Altwerdens.
Menschen sind es gewohnt, ihr Leben selbstständig zu führen und darüber zu entscheiden. Im Laufe des Lebens haben sie einen individuellen Lebensstil entwickelt und gewisse Fertigkeiten erlernt. Mit zunehmendem Alter werden sowohl körperliche Bewegungen als auch funktionelle Tätigkeiten erschwert. Durch Verlustängste und verstärkte Krankheit stirbt der geriatrische Patient oft einen „sozialen Tod“, lange vor seinem physischen. Rein körperlich wirkt der Pflegebedürftige abgebaut, das Kurzzeitgedächtnis funktioniert kaum noch, ausgesprochene Wörter sind unzusammenhängend und die Sprache ist nur schwer verständlich. In Folge tritt kaum noch jemand in Kontakt mit dem Betreffenden, der aber nach wie vor das Bedürfnis hat, seine Gefühle auszudrücken, die Nähe eines Menschen zu spüren oder einfach mit jemandem in Beziehung zu treten. Die natürliche Reaktion auf diese Vereinsamung ist Teilnahmslosigkeit oder verstärkte Unruhe, um Aufmerksamkeit zu erwecken, sozialer Rückzug und weitere Vereinsamung, vermehrte Desorientierung und zugleich erhöhte Pflegebedürftigkeit.[2164]
Jedes Individuum trägt grundsätzlich die Möglichkeit zur konstruktiven, persönlichen Entwicklung und damit zur selbstständigen Bewältigung seiner Probleme in sich. Die persönliche Entwicklung ist aber nur in einer zwischenmenschlichen Beziehung möglich, die entwicklungshemmend oder -fördernd sein kann.[2165] Um die persönliche Entwicklung des Patienten positiv zu beeinflussen, haben die geriatrischen Einrichtungen die so genannte Animation eingerichtet. Dabei werden in der Therapie die persönliche Lebensgeschichte und die Lebensgewohnheiten in die Pflege mit einbezogen. Durch regelmäßige, kurze Einzelgespräche wird das Vertrauen zum Patienten hergestellt. Durch das Gefühl, dass sich jemand für den Betroffenen interessiert und er wahrgenommen wird, hebt sich sein Selbstwertgefühl. Er ist bereit, über seine Biografie zu sprechen. Da der Patient dazu während seines gesamten Aufenthalts Zeit hat, etwas zu erzählen, fühlt er sich nicht unter Druck gesetzt und er kann ohne Angst und Stress über sein Leben berichten. Verschlechtern sich seine Stimmungsbilder und damit zusammenhängend sein Gesamtzustand, kann man anhand der gewonnenen Kenntnisse über die Biografie Emotionen wecken und steuern.[2166] Zusätzlich wird dem Patienten durch täglich stattfindende Gruppenarbeiten das Erleben von Gemeinschaft ermöglicht. In den Gruppensitzungen wird durch verschiedene Aktionen Alltag hergestellt. Durch verbale und nonverbale Kommunikation bekommt der Pflegebedürftige sein Wir-Gefühl zurück. Durch unterschiedliche Stimuli werden die Sinne und der Bewegungsapparat aktiviert. Um den Patienten nicht unter Druck zu setzen, erfolgt die Animation individuell abgestimmt auf den Patienten durch Dinge, die er gerne macht, die ihm leicht fallen oder seinem Charakter entsprechen. So werden Spaziergänge, Kirchenbesuche oder Ausflüge gemacht und Feiern organisiert, bei deren Vorbereitung (z. B. auch beim Kochen) mitgeholfen werden kann.[2167]
Sozialwissenschaftlich betrachtet definiert sich der Begriff des Alters durch das biologische und das soziale Alter. Ersteres wird auch kalendarisches Alter genannt und ist offensichtlich erkennbar. Es zeigt sich durch körperliche Veränderungen wie Falten in der Haut, Verfärbung der Haare, zunehmende Immobilität etc. Das soziale Alter unterteilt das Leben in Abschnitte wie Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, Pensionierung und Greisenalter. Es wird durch soziale Bedürfnisse und nicht durch persönliche Interessen geprägt. Das heißt, an jeder Altersstufe haften gewisse Vorstellungen, welche in der modernen Gesellschaft vorwiegend funktional sind, so dass ein Schüler zum Beispiel unter Lerndruck steht, während ein Berufstätiger möglichst hohe Leistungen zu erbringen hat. Mit erhöhtem biologischem Alter lässt diese Funktionsfähigkeit nach. Aus diesem Grund wird der alte Mensch als leistungsunfähig, hilfsbedürftig, abhängig und passiv stereotypisiert.[2168]
Somit ist das Altern nicht nur ein biologischer Prozess, sondern auch ein soziales Schicksal. Am besten erklärt werden kann diese Gegebenheit anhand der so genannten Rollentheorie, wonach gewisse Aufgaben und Erwartungen einer bestimmten Rolle zugeschrieben werden. Diese wiederum ist an Verhaltensvorschriften gebunden, welche von der Gesellschaft definiert werden. Demnach haften an jeder Altersrolle bestimmte gesellschaftliche Erwartungen. Tatsache aber ist, dass die konkrete Alterssituation von der Lebenslauferfahrung jedes einzelnen Individuums abhängt.[2169]
Unsere Gesellschaft etikettiert auch die alten Menschen, das heißt, es werden ihnen alle Merkmale des Altseins und Altwerdens förmlich als Stigmata auferlegt. Die Beurteilung bzw. Einstufung als „alt“ bringt für den alten Menschen völlig neue Erwartungen an sein Rollenverhalten. Diese eingeschränkte Altersrolle formt in der Folge ein negatives Selbstkonzept.[2170]
Die „neuen Alten“ sind „junge Alte“. Sie lassen sich nicht mehr so leicht in ein gewisses Rollenbild drängen. Die über 60-Jährigen sind rüstiger als früher und stellen sich der neuen Herausforderung. Zunehmend wird die alte Generation als neue Verbrauchergruppe entdeckt, was noch nicht bedeutet, dass sie auch als mündig angesehen wird. Allerdings hat noch kaum jemand Erfahrung mit der Verlängerung des dritten Lebensabschnittes um 20 bis 30 Jahre und keiner wissen kann, ob die gewonnenen Jahre auch gesunde Jahre sein werden.[2171]
Unterschiedliche Studien haben bekräftigt, dass das Glück und die Zufriedenheit alter Menschen vom Grad ihres aktiven Einflusses auf ihre Umwelt und von ihrem Gebrauchtwerden abhängen. In der modernen Gesellschaft erfährt der alternde Mensch einen Rollenverlust. Er wird aus der Familie und seinem sozialen Umfeld ausgegliedert und erleidet somit einen Funktionsverlust, wodurch er sich überflüssig fühlt.[2172] Diese Verluste rufen Ängste hervor. Der alte, pflegebedürftige Mensch möchte sein Recht auf ein würdiges und akzeptiertes Leben geltend machen.
Auch wenn mit erhöhtem Alter körperliche Leiden zunehmen, ist Altern trotzdem keine Krankheit. Alte Menschen werden zu Unrecht mit Vorurteilen behaftet und aus dem Alltag ausgeschlossen. Dabei ist der Umgang mit alten Menschen nicht schwieriger als jener mit Kindern. Ihre Bedürfnisse lassen sich im Grunde auf die notwendigsten zusammenfassen, nämlich auf jene der Grundbedürfnisse. Eines davon ist das Bedürfnis nach Kommunikation, selbst wenn der Pflegebedürftige selbst nicht mehr in der Lage ist, sich mitzuteilen. Kommunizieren bedeutet ferner, Signale zu senden und zu empfangen. Für alte Menschen heißt Leben auch Bewegung und zur gleichen Zeit Beobachtung und Wahrnehmung. Manche Dinge, die für uns selbstverständlich und automatisiert sind, fallen den alten Menschen bereits schwer und oftmals können sie alltägliche Dinge überhaupt nicht mehr verrichten. Somit ist der Pflegebedürftige auf Fremdhilfe angewiesen. Für den Pflegenden ist die Hilfe in den unterschiedlichen Lebenslagen Gewohnheit, aber von den alten Menschen wird sie als entwürdigend empfunden. Er hat das Bedürfnis, sich wieder selbstständig waschen, anziehen, ernähren oder die Toilette besuchen zu können. Ebenso nicht mehr selbstverständlich ist es, im hohen Alter ruhen und schlafen zu können. Als menschliche Individuen wollen alternde Personen sich auch beschäftigen, sich nützlich fühlen. Sie wollen sich in ihrem persönlichen Lebensbereich sicher fühlen und ihre sozialen Bereiche abgesichert wissen.[2173]
Je älter eine Person ist, desto höher wird zudem das Bedürfnis nach den eigenen vier Wänden. Immerhin finden 80 Prozent der Tagesaktivitäten bei alten Menschen in der Wohnung statt. Der Großteil der alten Menschen lebt in der eigenen Wohnung und nicht in einem Altenheim. Die Haushaltstechnik hat sich bereits so weit entwickelt, dass die Alten in vielen Alltagsbereichen von Hilfe unabhängig sind. Zusätzlich werden die Anbieter von mobilen Hilfsdiensten und Hauskrankenpflege immer mehr.[2174]
Auf den Punkt gebracht hat der alte pflegebedürftige Mensch nur das Bedürfnis, ein selbstständiges und abgesichertes Leben zu führen, so wie er es Zeit seines Lebens gewohnt war und so wie dies auch für die Jungen ein Bedürfnis ist. Der Unterschied ist nur, dass die Jungen sich ein Leben nach ihren speziellen Bedürfnissen einrichten können, pflegebedürftige Menschen können dies nicht mehr und sind daher auf die Hilfen Jüngerer angewiesen. Dieser Umstand versetzt sie in eine Abhängigkeit. Sie haben Angst davor, dass jemand über ihr Leben in dem Maße bestimmt, wie sie es selbst nicht für richtig halten, sich aber dagegen nicht zur Wehr setzen können. Doch die größte Angst, die ein pflegebedürftiger alter Mensch, der bereits auf Fremdhilfe angewiesen ist, haben kann, ist, dass ihm auch noch seine Freiheit genommen und er von seiner Familie aufgegeben wird. Dies ist der Fall, wenn er in einem Pflegeheim untergebracht wird. Dass dies für ihn selbst die beste Lösung ist, ist meist nicht relevant. Daher hat sich in den Köpfen vieler Alter auch das Bild der „Endstation“ im Zusammenhang mit der Einweisung in die Geriatrie manifestiert.
Die Einweisung in eine geriatrische Einrichtung soll dem Patienten nicht das Gefühl geben, er sei an der Endstation seines Lebens angelangt. Der Aufenthalt in der Geriatrie soll dazu dienen, genau das Gegenteil zu erreichen, nämlich den alten Menschen wieder zu mobilisieren, damit seine Pflegebedürftigkeit verringert, verzögert oder gar verhindert wird. In den meisten Fällen kann zwar eine völlige Wiederherstellung des Gesundheitszustandes nicht mehr erreicht werden, aber es wird versucht, den Patienten möglichst selbstkompetent, selbstbestimmt und sicher in sein gewohntes Leben zu entlassen.[2175]
Die geriatrische Rehabilitation umfasst nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch eine durchdachte Entlassungsvorbereitung. Dabei deckt ein multiprofessionelles Team alle Lebensbereiche ab. Im Bereich der Pflege wird die so genannte aktivierende Pflege angewandt, wonach der Patienten nur unterstützt wird, dabei aber die Gelegenheit hat, ausreichend Eigenaktivität zu entfalten. In der Ergotherapie wird überprüft, ob der Einsatz von Hilfsmitteln tatsächlich zu einer Verbesserung der Alltagsfunktion führt. Dazu gehören vor allem Gehstöcke, Badewannenlifter, verlängerte Schuhlöffel etc. Doch auch das Einbeziehen des Alltags erzielt spielerisch große Ergebnisse. Zum Beispiel die Fertigstellung eines Werkstücks demonstriert dem Patienten seine persönlichen Fähigkeiten und liefert einen wesentlichen Motivationsschub. Mit der Pflege und Ergotherapie verschmilzt die Logopädie. Sie verbessert das Schlucken, die Nahrungsaufnahme und die Kommunikation. Letztendlich wird in der Physiotherapie die Mobilität gefördert. Durch gezielte Bewegungstherapie wird Kraft, Koordination und Ausdauer trainiert. Neben den körperlichen Behandlungen wird der Patient außerdem psychologisch betreut. Im Hinblick auf das Organisatorische stellt die Sozialarbeit die Schnittstelle zwischen dem Patienten und seinem sozialen Umfeld dar. Der Patient bzw. die pflegenden Angehörigen erhalten hier unterschiedliche Informationen über Unterbringungsmöglichkeiten, Heilbehelfe, Behördengänge, finanzielle Unterstützung etc.[2176]
In der Rehabilitation älterer Menschen steht nicht nur der Patient im Vordergrund, sondern wesentlicher Bestandteil sind auch seine Angehörigen und Freunde. Diese können entscheidend zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes beitragen, indem sie als vertraute Personen den Patienten Mut zusprechen. Oftmals sind die Patienten auch hauptsächlich auf deren Hilfe angewiesen. Daher werden die pflegenden Angehörigen ausreichend informiert, wie sie mit den Defiziten der Patienten umgehen sollten und welche Hilfsmittel und Organisationen ihnen zur Verfügung stehen. Des Weiteren besteht bei den Angehörigen oft die Angst, mit der Pflege zu Hause überfordert zu sein.[2177] Aus diesem Grund finden in der Geriatrie auch ausführliche Angehörigengespräche mit allen Berufsgruppen statt, um sowohl für die Patienten als auch für die Angehörigen die bestmögliche Pflegevariante auszuwählen und vorzubereiten.
Die Geriatrie zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie aufgrund des erhöhten Pflegebedarfs der Patienten besonderes Augenmerk auf jeden Einzelnen hat. Jeder Patient wird als Individuum mit persönlichem Lebenslauf betreut und rehabilitiert. Der Lebenslauf eines Menschen ist für seinen Gesundheitszustand nicht unwesentlich. Besonders bei alten Menschen zeigt sich, wie Regierungsform, Erwerbsarbeit, soziale Schicht, Lebensstil etc. ihr Leben und ihren Charakter geprägt haben. Im Alter verstärken sich auch die geschlechts- und klassenspezifischen Unterschiede. Somit stehen Lebenslauf und Altersphase im engen Zusammenhang. Bei der geriatrischen Rehabilitation wird darauf besonders Rücksicht genommen, da man den Patienten nur helfen kann, wenn man sich auch in seine Lage versetzen kann. Viele Patienten, die sehr schwer pflegebedürftig sind, können sich selbst nicht mehr mitteilen. Hier ist es umso wichtiger, zu erkennen, was ihn geprägt haben könnte, um seine Wünsche zu erraten. Auch die gesundheitlichen Risikofaktoren können für den Gesundheitszustand ausschlaggebend sein – wie Rauchen, Alkohol, schwere körperliche Arbeit etc. Auch Handlungskompetenzen, die man durch eventuelle Führungspositionen im Erwerbsleben erlernt hat, haben Einfluss auf andere Lebensbereiche. Personen, die es von Kriegszeiten her gewohnt waren, zu kommandieren, werden es den Pflegenden nicht unbedingt leichter machen, sich helfen zu lassen.[2178]
Es wurde erwiesen, dass sich die Zufriedenheit im Alter mit der Kontinuität erhöht. Der Mensch beginnt bereits im mittleren Erwachsenenleben damit, er nimmt immer weniger schwerwiegende Veränderungen vor. Je mehr die Alterssituation der bereits gelebten Situation im mittleren Lebensalter entspricht, desto mehr steigt die Lebenszufriedenheit. Somit ist Stabilität einer der wichtigsten Faktoren bei der geriatrischen Rehabilitation.[2179]
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Genesung oder Stabilisierung des Gesundheitszustandes eines geriatrischen Patienten nur dann herbeizuführen ist, wenn man nicht nur medizinisch vorgeht, sondern auch das gesamte soziale Umfeld der Patienten betrachtet. Eine erfolgreiche Rehabilitation setzt zwar bei der gesundheitlichen Versorgung an, umfasst aber auch den persönlichen Lebenslauf bzw. Lebensstil des Patienten. Von diesem Wissen ausgehend, kann umfassend seine Entlassung und Wiedereinführung in die Gesellschaft vorbereitet werden.
Nachdem in den vorhergegangenen Kapiteln erläutert wurde, was den geriatrischen Patient ausmacht und wie ihm in einer geriatrischen Einrichtung geholfen werden kann, wenden wir uns nun dem zu hinterfragenden Begriff des „Sprungbrettes“ zu. Aus dem bisher Angeführten wird deutlich, dass sich das schlechte Bild der Geriatrie deutlich gewendet hat. Durch die medizinische Versorgung, die Rehabilitation und durch die Entlassungsvorbereitung wird versucht, den Patienten auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten. Ziel ist es, dass sich der Patient nach seiner Entlassung in „der Arena des Alltags“ wieder zurechtfinden kann.
Aufgrund des hohen Alters bedeutet die Entlassung zugleich den ersten Schritt in den letzten Lebensabschnitt. Da die Planung dafür etwas Endgültiges hat, soll dieser Schritt sowohl überlegt und zukunftsorientiert als auch realistisch sein. Grundsätzlich gibt es ohnehin nur zwei Möglichkeiten: Altenheim oder Pflege zu Hause. Doch sollte bei den Überlegungen auch mit in Betracht gezogen werden, dass Pflege nicht gleich Pflege ist. Alleine zu Hause zu leben und Hilfsdienste in Anspruch zu nehmen, kostet Geld und Angehörige zu pflegen, kostet Nerven und Zeit. Am wichtigsten ist es, sich bewusst zu werden, dass sich durch die häusliche Pflege eines Angehörigen sowohl das eigene Leben als auch die Lebensbedingungen des gesamten sozialen Umfeldes ändern werden.
Hat der Patient das Glück, zu Hause von seinen Angehörigen gepflegt zu werden, befinden sich diese in einer völlig neuen, unvorhergesehenen Situation, mit der sie in den meisten Fällen zuerst nicht umzugehen wissen. Neben dem psychischen Leid, welches der pflegende Angehörige für sich verarbeiten muss, kommt der Druck hinzu, die pflegerische Situation nach der bevorstehenden Entlassung sicherzustellen. Der Angehörige muss lernen, seelische Distanz zu wahren und verletzende Verhaltensweisen des Patienten nicht ernst zu nehmen. Er muss Verluste als krankheitsbedingt akzeptieren, aber dabei nicht alles aufgeben. Da der Patient die Realität nicht mehr bewahren kann, muss dies nun der Angehörige übernehmen. Er darf aber nicht vergessen, sich persönliche Freiräume zu schaffen und angebotene Hilfe anzunehmen.[2180]
Der durchschnittliche Angehörige geriatrischer Patienten ist im Mittel 61 Jahre alt (zwischen 30 und 84). Dabei gibt es mehr weibliche Angehörige als männliche. Im Verwandtschaftsverhältnis sind die pflegenden Frauen meist die Ehefrauen und die pflegenden Männer die Söhne. Laut Studie leisten die Ehepartner eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, während andere Angehörige diese nur zu 13 Prozent übernehmen. Vorzugsweise übernehmen die weiteren Familienmitglieder die Pflege nur stundenweise, helfen dafür bei der Wäsche etc. Da die Pflege zu Hause sehr anspruchsvoll ist und auch eine psychische Belastung für die Angehörigen darstellt, sollten sie immer auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, an Selbsthilfegruppen pflegender Angehöriger teilzunehmen. Statistisch zeigen pflegende Angehörige ein erhebliches Ausmaß an sozialer Isolierung, depressiven Störungen und Körperbeschwerden. Die Belastungsverarbeitung wird durch die Art der Beziehung zum Patienten bestimmt.[2181]
Die eigentliche Pflegeproblematik – sowohl für das geschulte Personal in einer geriatrischen Einrichtung als auch für pflegende Angehörige – ist das, durch ihr Krankheitsbild vorgegebene, abnorme Verhalten der pflegebedürftigen Alten. Um sich auf den Patienten einstellen zu können, muss man die genaue Diagnose kennen. Der Demenzpatient ist unheilbar krank. Daher ist das oberste Ziel, seine Verhaltensstörungen positiv zu beeinflussen. Der häufigste Fehler ist die Überschätzung, das heißt, ein „Nicht-Können“ wird als ein „Nicht-Wollen“ fehlinterpretiert. Dadurch wird der Betroffene überfordert und er reagiert mit Sekundärsymptomen wie Unruhe, Gereiztheit, Traurigkeit, Angst, Verunsicherung, Schuldgefühlen, Resignation etc. Defizite Demenzkranke gehören gefordert, aber nicht ersetzt. Der verwirrte Patient dagegen unterliegt oft Vorurteilen. Oft werden rein altersbedingte Reaktionen als Verwirrtheit etikettiert. Daher sollte bei Verwirrtheitszuständen der Auslöser ausfindig gemacht werden. Oft kann die Verwirrtheit durch das Absetzen nicht verträglicher Medikamente beseitigt werden. Ebenso sollte man beim agitierten Patienten die Ursachen für seine Gefühlserregungen herausfinden. Diese können unter anderem durch einen Ortswechsel oder Veränderungen hervorgerufen werden. Ein solcher Patient bedarf einer 24-Stunden-Betreuung oder der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt. In beiden Fällen soll sein Bewegungsdrang eingeschränkt werden. Der agitierte Patient ist besonders schwierig zu betreuen, da er sich gegen die Pflege wehrt, unberechenbar und aggressiv ist und nur Gewohntes zulässt. Der Alzheimer-Patient verliert zwar sein Gedächtnis, aber nicht seine Gefühle. Daher ist es wichtig, ihm Zuwendung, Verständnis und Akzeptanz entgegenzubringen. Er darf weder unterfordert noch bevormundet werden, sondern er ist auf Starthilfen angewiesen. Erkennt er zum Beispiel eine Zahnbürste nicht mehr, sollte man ihm zeigen, für was man diese braucht, ihn aber selbst die Zähne putzen lassen. Im Gegenzug dazu sollte er aber auch nicht überfordert werden, sondern er braucht Erfolgserlebnisse. Hilfreich ist die Anregung von Hobbys und Lieblingsbeschäftigungen. Da er sich nicht mehr ausdrücken kann, muss man im Umgang mit dem Patienten seine Gestik und Mimik deuten. Es ist von Vorteil, angemeldeten Besuch auf mögliche Situationen vorzubereiten.
Und letztendlich kann sich der sterbende Mensch im Zustand des sanften Entschlafens oder im Leidenszustand befinden. Der Umgang mit dem Sterbenden erfordert besonders viel Zuwendung. Er sollte nicht isoliert werden.[2182]
Der schwierige Umgang mit den alten pflegebedürftigen Patienten überfordert viele Angehörige, zumal die Kinder der Patienten meist selbst schon im pensionsfähigen Alter und von schlechtem gesundheitlichem Zustand sind. Ebenso stellt das räumliche Umfeld oft ein Problem dar. Viele alte Menschen leben in kleinen Wohnungen, die für Rollstühle nicht zugänglich sind. Viele Altbauten haben keinen Lift und sind noch mit Holz oder Kohle zu beheizen. Ebenso haben viele noch die Badezimmer am Gang und diese können meist nicht pflegegerecht umgebaut werden. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden sollte.
Die Entscheidung darüber, ob ein Patient in einem Altenheim oder zu Hause gepflegt werden soll, hängt von sehr vielen Faktoren ab – wie zum Beispiel dem Grad der Pflegebedürftigkeit, den finanziellen Ressourcen, der Erwerbstätigkeit der pflegenden Angehörigen, den räumlichen Gegebenheit etc. Gerade in den ländlichen Gebieten stellt sich oft die Frage nach einem Pflegeheim überhaupt nicht, denn alleine aus Kostengründen können Landwirte sich kaum ein Altenheim leisten, ohne dass ihr Hof in Gefahr geraten würde.
Eine andere Perspektive stellen jene Patienten dar, welche keine Angehörigen haben. Sie sind alleinige Entscheidungsträger, soweit sie dazu noch im Stande sind. Auch wenn diese Personen zu Hause vereinsamen, sind die eigenen vier Wände doch noch ihr wichtigstes Gut, welches sie, so lange es möglich ist, nicht aufgeben möchten. Solange ein Leben zu Hause aufgrund des Grades der Pflegebedürftigkeit sinnvoll und vertretbar ist, gibt es für solche Leute eine Menge an Hilfen. Alleine in der Stadt Salzburg gibt es derzeit elf Anbieter von Haushaltshilfe bzw. Hauskrankenpflege. Dazu kommen andere Institutionen wie Sozialmedizinische Dienste, Essen auf Rädern, Beratungsstellen, Übergangspflege, Stadtteilarbeiter, Tageszentren, Kurzzeitpflege etc. Noch nicht mitberücksichtigt sind hier die Heilbehelfe, welche den Pflegebedürftigen den Alltag erleichtern sollen, wie Notfallspiepser, Badewannenlifter, Gehbehelfe etc. Alle diese Hilfsmittel und Hilfsdienste sind finanziell auch erreichbar, so dass sie auch von Pflegebedürftigen mit weniger Pension in Anspruch genommen werden können.
Laut Hochrechnung der Salzburger Landesregierung leben im Bundesland Salzburg rund 20.000 hilfs- und pflegebedürftige Personen. 55 % davon leben alleine. Um diese zu unterstützen, gewährt das Land Salzburg als Hilfestellung Geld-, Dienst- und Sachleistungen. In den meisten Fällen werden jene Leistungen als Pflegepaket in Anspruch genommen. Im Bereich der Haushaltshilfe wird zu 88 % die Abnahme schwerer Arbeiten gefordert, gefolgt von Hilfe beim Einkaufen und Kochen. Die Hauskrankenpflege übernimmt zu 80 % Versorgetätigkeiten, wiederum gefolgt von der Hilfe bei der Körperpflege und bei der Hilfsmittelbeschaffung.[2183]
In der Grauzone befinden sich jene pflegebedürftigen alten Menschen, die weder Angehörige haben noch Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Es leben mehr Personen einsam und verwahrlost zu Hause, als man annehmen möchte. Jene Personen haben meist auch keine sozialen Kontakte und es würde nicht auffallen, wenn sie sterben. Verwahrloste, pflegebedürftige alte Menschen werden durch die Einweisung in die Geriatrie zuerst einmal auch sozial betreut. Dabei fällt dann auf, in welchen häuslichen Zuständen diese Personen bisher gelebt haben. Zu ihnen gehören Vereinsamte, Sammler oder psychisch Kranke. Die Schwierigkeit bei diesem Personenkreis ist, dass sie uneinsichtig gegenüber ihrer Krankheit sind und mit allen Mitteln nach Hause drängen. Solange sie noch mobil sind, können sie in keinem Pflegeheim untergebracht werden. Manche Hilfsdienste bezeichnen diese Alten als „wohlstandsverwahrlost“. Hier trennen sich die Meinungen, denn während die eine Seite behauptet, sie hätten ein Recht auf ihre Freiheit, fragt sich die andere Seite, was denn das für eine Freiheit sei, wenn Personen im eigenen Müll ersticken und jegliche medizinische Hilfe ablehnen. Doch die Frage, welche Versorgung für jene Randgruppe zielführend ist, wird in diesem Sinne nie geklärt werden können.
Der letzte Ausweg für überforderte Angehörige oder unversorgte Pflegebedürftige ist die Unterbringung in einem Altenheim. Diesen Schritt zu wagen, ist für die meisten Betroffenen ein schwerer Schicksalsschlag, da sie das Gefühl von Freiheitsentzug bekommen. Mit der Einweisung in ein Pflegeheim ist für viele Pflegebedürftige das Leben zu Ende. Dabei sind die geriatrischen Langzeiteinrichtungen um vieles besser als ihr Ruf. Wenn die alten Menschen erst einmal ihr Zimmer bezogen haben, welches zumeist mit ihren persönlichen Gegenständen eingerichtet werden kann, lernen sie rasch die Vorzüge solch einer Einrichtung kennen und sehen, dass dieser Lebensschritt nicht das Ende bedeutet.
Geriatrie – Sprungbrett ins Aus? Diese Frage kann mit Sicherheit verneint werden! Die Geriatrie hat bei weitem einen schlechteren Ruf als sie verdient. Es gibt kaum eine vergleichbare Einrichtung, in der man sich so herzlich und individuell um das Wohl der Patienten kümmert. Die alten Menschen werden in die Klinik eingewiesen, rehabilitiert und versorgt und danach vorbereitet und informiert wieder entlassen. Es wird nach allen heutigen Kenntnissen der Versorgungsmöglichkeiten von allen Berufsgruppen das Bestmögliche für den Patienten vorbereitet. Von daher könnte man fast behaupten, dass einem pflegebedürftigen alten Menschen nichts Besseres passieren kann, als dass er in die Geriatrie eingewiesen wird.
Natürlich sieht es in der Praxis anders aus. Es ist auch verständlich, dass sich alte Menschen Sorgen machen, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen in eine Krankenanstalt eingewiesen werden müssen, ohne dass sie wissen, was anschließend mit ihnen geschehen soll und inwiefern sie wieder ihre gewohnte Mobilität oder ihren früheren geistigen Zustand zurückerhalten werden. Hinzu kommen existentielle Sorgen und das Gefühl, zu viele Dinge noch nicht erledigt zu haben.
Die Altenpflege wird aufgrund der immer höheren Lebenserwartung und der steigenden Anzahl der pflegebedürftigen Alten zu einem zentralen Thema. Dies zeigt sich alleine an dem fehlenden Pflegepersonal. Auch hat man sich früher nie Gedanken über Qualitätssicherung, Pflegeplanung, Pflegemodelle, Dokumentationen, Pflegestandards, Heilbehelfe, Notversorgung, geriatrische Ambulanzen etc. gemacht. Daher ist das Thema Hospiz immer häufiger im öffentlichen Munde. Aufgrund der sehr weit fortgeschrittenen medizinischen Möglichkeiten können früher unvorstellbare, lebenserhaltende Maßnahmen getroffen werden. Inwiefern diese in einem überdurchschnittlichen Alter sinnvoll sind, wird nach wie vor von allen Seiten diskutiert. Fazit ist, dass der Altensektor ein wachsender ist und dies auch bleiben wird, da das Ansteigen des Lebensalters auch weiterhin prognostiziert wird. Alleine aus diesem Grund werden auch die geriatrischen Einrichtungen aus ihrer Notwendigkeit heraus mitwachsen und an Bedeutung gewinnen müssen. Und auch der Ruf der Geriatrie wird sich über die Jahre durch bessere Kenntnis in der Öffentlichkeit verbessern und die pflegebedürftigen Alten werden die Hilfe zu schätzen wissen!
Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Gepflegt zuhause. Die professionelle Pflege in den eigenen vier Wänden. Salzburg 2003.
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Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003.
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[2140] Brodbeck, Martin: Geriatrie bekommt mit neuem Verein eine Lobby. In: Basler Zeitung. 20. November 2002, Nr. 271, S. 28.
[2142] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 1.
[2143] Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003, S. 3.
[2144] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 2.
[2145] Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003, S. 3.
[2146] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 4.
[2147] Hafner, Manfred; Andrea Meier: Geriatrische Krankheitslehre. Teil I: Gerontopsychiatrische und neuropsychologische Syndrome. Bern 1993.
[2148] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 15.
[2149] Luksch, Christian: Das geriatrische Assessment. In: Arge geriatrisches Assessment: Geriatrisches Basisassessment – Handlungsanleitungen für die Praxis. Schriftreihe Geriatrie Praxis. Wien 1997.
[2150] Bartels, Olaf: Langlebigkeit aus der Sicht des Arztes. Nürnberg 1994.
[2151] Majerus, Mill: Soziologische Überlegungen zum altern. Luxemburg 2003, Art. 195.
[2153] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 6.
[2154] Erhart, Christa: Gerontologie – Geriatrie. Salzburg 1997, S. 7.
[2156] Bartels, Olaf: Langlebigkeit aus der Sicht des Arztes. Nürnberg 1994.
[2157] Bartels, Olaf: Langlebigkeit aus der Sicht des Arztes. Nürnberg 1994.
[2158] Hoffmann, Barbara: Was ist uns der alte pflegebedürftige Mensch wert? Stuttgart 2002.
[2159] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 3.
[2160] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 5.
[2161] Pfusterer, Karin; Astrid Vogelauer: Das Psychobiografische Pflegemodell nach Böhm. In: http://members.aon.at/altenpflege-privat/Ethik_Religion/kap6/seite2
[2162] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 12.
[2163] Lindinger, Angela; Evelyn Müller; Theresia Schachinger; Kathrin Wallner: Animation. Ein wichtiger Teil psycho-geriatrischer Pflege. Salzburg 1996, S. 4.
[2164] Lindinger, Angela; Evelyn Müller; Theresia Schachinger; Kathrin Wallner: Animation. Ein wichtiger Teil psycho-geriatrischer Pflege. Salzburg 1996, Folder.
[2165] Lindinger, Angela; Evelyn Müller; Theresia Schachinger; Kathrin Wallner: Animation. Ein wichtiger Teil psycho-geriatrischer Pflege. Salzburg 1996, S. 5.
[2166] Lindinger, Angela; Evelyn Müller; Theresia Schachinger; Kathrin Wallner: Animation. Ein wichtiger Teil psycho-geriatrischer Pflege. Salzburg 1996, S. 10.
[2167] Lindinger, Angela; Evelyn Müller; Theresia Schachinger; Kathrin Wallner: Animation. Ein wichtiger Teil psycho-geriatrischer Pflege. Salzburg 1996, S. 13.
[2168] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 7.
[2169] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 7.
[2170] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 10.
[2171] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 11.
[2172] Horschk, Roswitha: Strukturwandel des Alters. München 1997, S. 7.
[2173] Das Pflegemodell nach Monika Krohwinkel. In: www.vision-altenpflege.de
[2174] Museum der Arbeit (Hg.): Späte Freiheiten – Geschichten vom Altern. Hamburg 2003, S. 3.
[2175] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003, S. 1.
[2176] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003, S. 3.
[2177] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003, S. 5.
[2178] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003, S. 6.
[2179] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003, S. 6.
[2180] Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003, S. 6.
[2181] Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003, S. 8.
[2182] Klinger, Kerstin: Gesichtspunkte der Gesprächsführung mit Angehörigen von Patienten der Geriatrie. Salzburg 2003, S. 7.
[2183] Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Gepflegt zu Hause. Die professionelle Pflege in den eigenen vier Wänden. Salzburg 2003.