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Als die Nationalsozialisten am 12. März 1938 das erzbischöfliche Palais stürmten (Mena Macheiner)

Mena Macheiner, Schwester des ehemaligen Salzburger Erzbischofs Eduard Macheiner[5093], war von 1951–1986 Haushälterin im erzbischöflichen Palais. Heute lebt sie wieder in Seetal im Lungau, ihrem Geburtsort. 18-jährig hat sie den Anschluss Österreichs an Deutschland erlebt und dabei mit größtem Interesse die Erzählungen ihres Bruders, der damals in Salzburg erzbischöflicher Sekretär war, verfolgt. Sie gab Monika Brunner-Gaurek am 15. Juli 2004 in Bergheim ein Interview.

Frau Macheiner, Sie waren zur Zeit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am elterlichen Bauernhof in Seetal im Lungau tätig, haben sich aber bereits als junge Frau sehr für das politische Geschehen interessiert, welches Ihnen in Zeiten ohne Radio und Fernsehen vielfach von ihrem Bruder, der ja bereits in Salzburg war, zugetragen wurde. Schrecklich für ihn als jungen Priester und erzbischöflichen Sekretär war die antiklerikale Zeit des Nationalsozialismus und besonders der Sturm auf das erzbischöfliche Palais. Was ist Ihnen da noch aus seinen Erzählungen in Erinnerung?

Ja, damals habe ich mich über die politische Situation immer nur gewundert. Dass dieser Fanatismus nicht in Ordnung war, war mir immer schon klar. Man durfte aber nichts sagen. Der Bruder hatte uns bei seinen Besuchen in Seetal immer viel zu erzählen. Aber auch meine späteren Kollegen, als ich Haushälterin war, erzählten oft von diesem Schrecken, als die Nazi in das erzbischöfliche Palais kamen.

Bereits am 11. März abends marschierten sie in den Chiemseehof ein. Ein gewisser Gauleiter Wintersteiger[5094] war an der Spitze. Sie wollten auch gleich den Erzbischof vertreiben, denn die katholische Kirche passte denen gar nicht in ihre Ideologie. Allerdings war der Erzbischof Sigismund Waitz[5095] damals gerade in Bischofshofen in St. Rupert. Mein Bruder und die anderen Mitarbeiter des Erzbischofs ahnten schon Schlimmes und so fuhr mein Bruder spätabends noch mit dem Zug nach St. Rupert, um den Erzbischof zu warnen, er solle nicht nach Salzburg kommen. Telefonieren konnte man ja damals nicht mehr, das wurde alles abgehört. Doch der Erzbischof kam dann doch nach Salzburg. Wahrscheinlich wollte er sich auch nicht verstecken vor den Nazi. Mein Bruder und die anderen Beschäftigten mussten so schnell als möglich über Nacht alles Wertvolle aus dem Palais räumen. Sie ahnten wohl schon, was passieren würde. Das meiste kam in die Domoratorien, erzählte er mir immer. Er glaubt auch, dass in dieser wechselvollen Zeit viel weggekommen ist: Silber, Porzellan oder andere leicht transportierbare Sachen.

Wie lief dann der Sturm auf das Palais ab?

Mein Bruder kam abends von St. Rupert heim und ging gerade auf dem Kapitelplatz, da kam es ihm schon komisch vor, dass kein Mensch des Weges war. Plötzlich rannten die Hitlerjugend und Leute von der SA, allen voran der Karl Springenschmid[5096] die Herrengasse herunter und wollten ins Palais und den Erzbischof stürzen. Aber er war ja nicht da. So zogen sie wieder ab. Am nächsten Tag kamen sie allerdings wieder und schlugen im Palais die Fenster ein und wollten sich auch durch das große Tor Eintritt verschaffen. Damals gab es noch Diener im Palais, die versuchten die Rabauken abzuwehren, aber es war sinnlos. Alle, die sich im Palais befanden, auch der Erzbischof, wurden in dem Raum, der jetzt die erzbischöfliche Privatkapelle ist, zusammengetrieben und stundenlang verhört. Alle hatten große Angst und dachten, dass sie nun erschossen würden, weil sich die Eindringlinge so aggressiv verhielten.

Der Erzbischof wurde zuerst unter Hausarrest gestellt und kam später nach St. Peter. Mein Bruder kam nach Seekirchen, wo er in den Kriegsjahren sein Doktorat machte. Im Palais hatten die Nazi dann eine Niederlassung. Es wurde einiges umgeräumt. Wir haben Anfang der 1970er-Jahre, als das Palais umgebaut wurde, am Dachboden einmal einen Zettel gefunden von einem Fremdarbeiter, der im Palais für die Nazi arbeiten musste. Er hat das aufgeschrieben und den Zettel versteckt. Er wurde ausgeforscht, und beim Domjubiläum 1974 war er da.

Auch die Domherren wurden aus ihren Häusern am Mozartplatz vertrieben, die wohnten dann im Haus des Weihbischofs am Kapitelplatz. Erschossen oder verletzt wurde Gott sei Dank niemand.

Auch andere kirchliche Institutionen wurden geschlossen, Klöster, im Franziskanerkloster wurden viele Bücher verbrannt, dort war ja dann die Gestapo. Auch am Residenzplatz hat man Bücher verbrannt. Da war auch wieder der Springenschmid dabei, den habe ich nach 1945 aber mit der brennenden Kerze bei Wallfahrten vorangehen sehen. Na ja, es hat viele Wendehälse gegeben. Ja, auch das Borromäum und das Priesterhaus und das Loretokloster hat man geschlossen. Was dann dort drinnen war, weiß ich nicht mehr.

Hat der Erzbischof damals versucht, mit den Nationalsozialisten zu verhandeln?

Ja, soviel ich weiß, hat der Weihbischof Johannes Filzer[5097], der hatte ein paar Freunde, die bei den Nazi waren, im Auftrag vom Erzbischof versucht, einzulenken, und mit dem stellvertretenden Gauleiter Wintersteiger gesprochen. Aber es nützte nichts. Der Erzbischof Waitz war anfangs ja gar nicht so ein Gegner von den Nationalsozialisten. Sie meinten alle anfangs, dass die Nazi immer noch besser sind als die Kommunisten und wollten kooperieren. Das ging aber nicht lange.

Aber Erzbischof Waitz hat sich ja dann 1941 in einem Hirtenbrief vom Regime distanziert mit den Worten: „Wo es sich um irdische Dinge handelt, können wir dulden und schweigen. Wo es aber um den Glauben geht, dort gibt es kein Weichen, sondern nur ein Stehen oder Sterben.“

Ja, das war ja auch so eine Sache, der Hirtenbrief kam Mitte Oktober 1941 heraus und Ende Oktober starb er. Davor hat er heftig gegen die Nazi gepredigt. Am Abend vor seinem Tod hat er die Hitlerregierung als „Räuberstaat“ bezeichnet. Das erregte Aufsehen und es ging das Gerücht herum, dass er von den Nazi vergiftet worden wäre, denn die haben ihn ja gefunden. Sie wollten ihn wegen seiner Aussagen am Morgen nach dieser Predigt abholen. Aber angeblich war das doch nicht so, er war ja schon knapp 80 Jahre, soweit ich mich erinnere. Wahrscheinlich hat er die schreckliche Seite des Regimes erkannt und das hat ihn so aufgeregt. Er wurde nach dem Hirtenbrief auch von allen Seiten angegriffen.

Es gab dann zwei Jahre keinen Erzbischof, nur den Weihbischof Johannes Filzer und dann kam 1943 der Andreas Rohracher[5098] Der wurde damals ganz groß gefeiert, vor allem viel Jugend war da. Die Euphorie für die Nazi war damals nicht mehr so groß und ich erinnere mich noch, dass die Freude in der Bevölkerung groß war, dass es wieder einen Erzbischof gab. Rohracher war sehr beliebt.

Ich habe gelesen, dass es bereits am 23. Mai 1934 ein Bombenattentat auf das erzbischöfliche Palais gab?

Da weiß ich von meinem Bruder nichts, allerdings eine spätere Kollegin, die 1934 schon im Palais tätig war, erzählte das immer wieder. Es wurden Bomben beim hinteren Tor, wo man in den Garten kommt (Eingang Kapitelgasse), gelegt, alle fürchteten sich sehr. Es entstand Sachschaden, aber kein Personenschaden. Damals war aber noch der Erzbischof Ignazius Rieder[5099] Das war die Zeit, als auch der Dollfuß[5100] ermordet wurde, das war schon eine furchtbare Zeit damals. Man durfte nichts sagen, konnte nicht einmal seinem Nachbarn trauen. Eine schlimme Zeit.



[5093] Eduard Macheiner: 83. Salzburger Erzbischof von 1969–1972. Eduard Macheiner (geboren am 18. Juli 1907 in Fresen bei Ranten, Steiermark; gestorben am 17. Juli 1972 in Salzburg) wurde 1932 zum Priester geweiht und war von 1963–1972 Weihbischof von Salzburg. – Vgl. http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.m/m006369.htm

[5094] Durch den Anschluss wurde der Salzburger Dipl.-Ing. Anton Wintersteiger zunächst Gauleiter, bereits im Mai wurde er durch Dr. Friedrich Rainer (bis 1941) abgelöst. Ab 1941 war (bis Mai 1945) Dr. Gustav Scheel Gauleiter. – Vgl. Kerschbaumer, Gert: Rekonstruktion und Dokumentation. In: Haas, Walburga (Hg.): Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Referate, Diskussionen, Archivmaterial. Bericht zur Tagung am 18. und 19. November 1994 in der Salzburger Residenz. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 8). Salzburg 1995/96, S. 255–358, bes. S. 329.

[5095] Sigismund IV. Waitz (1864–1941): 80. Salzburger Erzbischof von 1934–1941. Erzbischof Waitz weigerte sich 1938, zum Empfang Adolf Hitlers zu gehen. Der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Kirche kulminierte erstmalig im Oktober 1938, Anführer dabei war Karl Springenschmid. 1937 berief Waitz eine Diözesansynode in Salzburg ein. – Siehe auch: Dopsch, Heinz; Hans Spatzenegger (Hg.): Geschichte Salzburgs. Band 2, Teil 3. Salzburg 1991, S. 1486f.

[5096] Karl Springenschmid (geboren am 19. März 1897 in Innsbruck; gestorben am 4. März 1981 in Salzburg): Lehrer, Schriftsteller, Kulturpolitiker. Er galt ab 1936 als der Chefideologe des Salzburger Nationalsozialismus bzw. des bis 1938 verbotenen Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB). Nach 1938 leitete er den NSLB sowie als „Gauwalter“ das „Gauamt für Erziehung“ und das „Gauschulungsamt der Dienststelle Alfred Rosenberg“. Als Landesrat für Erziehung und Volkspropaganda – ab 1941 als Regierungsdirektor – hatte er großen Einfluss, ihm waren viele weitere Dienststellen unterstellt und er war maßgeblich für die Indoktrination der Bevölkerung verantwortlich. Am 30. April 1938 organisierte er auf dem Salzburger Residenzplatz die einzige große offizielle Bücherverbrennung in Österreich. Ab 1942 war er als Soldat eingerückt wegen Differenzen mit dem Gauleiter Dr. Gustav Schlegel. Zwischen 1945 und 1952 lebte er versteckt und wurde danach freier Schriftsteller. – Vgl. Kerschbaumer, Gert: Springenschmid. In: Haslinger, Adolf; Peter Mittermayr (Hg.): Salzburger Kulturlexikon. Bd. 2. Salzburg 2001, S. 480f.

[5097] Johannes Filzer: Weihbischof, Kapitelvikar in der Sedisvakanz 1941–1943.

[5098] Andreas II. Rohracher (1892–1976): 82. Salzburger Erzbischof von 1943–1969, war die dominierende kirchliche und beratende Gestalt in Salzburg im Jahre 1945.

[5099] Ignaz Rieder: 79. Salzburger Erzbischof von 1918–1934.

[5100] Engelbert Dollfuß (1892–1934): Christlichsozialer Politiker, von 1932–1934 Bundeskanzler und Außenminister. Er schuf mit der Maiverfassung 1934 einen autoritären Ständestaat, nachdem er bereits 1933 das Parlament ausgeschaltet hatte. Dollfuß wurde 1934 beim nationalsozialistischen Juliputsch ermordet.

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