Bräuche sind Symbole einer persönlichen wie sozialen Ordnung, die wesentlich zum Identitätsgefühl, der seelischen Stabilisierung des Menschen beitragen und zwar unabhängig von konkreten Inhalten und Werten der jeweiligen Gesellschaft.
Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson erforschte als Erster, „wie der heranreifende Mensch zum konstanten Bewusstsein seiner selbst – seiner Stärken und Schwächen – gelangen kann“. Ich-Identität kommt ab der Pubertät zum Tragen: zu wissen, was man ist und will. Kulturelle Identität erwächst aus engen Beziehungen zu anderen Menschen und insbesondere aus gefühlsmäßig wichtigen Ereignissen.
Bräuche im Jahres- und Lebenskreis vermitteln individuelle Sicherheit und emotionale Vertrautheit, haben gruppen-, schichten- und gesellschaftserhaltende Funktion. Brauchtum schafft soziale Identität und festigt über symbolische Sichtbarmachung und möglichen Nachvollzug sonst ungreifbarer Werte den Zusammenhalt sozialer Gemeinschaften.
Das Studium der Zusammenhänge von Bräuchen und Identität erfordert geisteswissenschaftliches Denken, wie es seit jeher in der Kulturpsychologie und in der Psychotherapie üblich ist. Dabei formen und fördern Umgebungen, kulturelle Dinge und soziales Handeln von außen her innere Bilder, Gedanken und Werte, die dann wiederum durch entäußerte Gestaltungen und Handlungen bestärkt und aufrecht gehalten werden.
Für Ulrike Kammerhofer-Aggermann als Volkskundlerin sind Bräuche „ritualisierte, durchstilisierte Handlungen mit kommunikativem und identifikatorischem Charakter“. Es sind sinnbildliche Darstellungen abstrakter Inhalte, entsprechend an Zeit und Situation gebunden.
Bereits der Kinderpsychoanalytikerin Anna Freud fiel die Notwendigkeit von Sicherheit vermittelnden Wiederholungen im kindlichen Tagesablauf und bei der Bewältigung von Problemen auf. Die Psychiaterin Mara Selvini Palazzoli setzte Rituale erstmals in der klinischen Behandlung schwerer Störungen ein.
Sind Bräuche, Traditionen, Rituale subjektiv sinn- und ordnungsstiftend, erklärt sich damit ihr langes Überleben, und es wird klar, dass ein Unterlassen, Aufgeben oder Verbieten solcher Handlungen identitätsbedrohend wird, da es Sicherheit und Kontrolle über mögliche Gefahren der Welt entzieht. Der Streit über Art und Form von „Brauchtum“ ist damit mehr als eine Reflexion leerer Formalismen, sondern betrifft die Selbstdefinition von Gruppen und Personen.
Riten und Bräuche vermitteln auch in modernen Gesellschaften dort Geborgenheit und Sinn, wo Intellekt und Logik nicht mehr hilfreich sind. Es gehört allerdings, wie Ernst Eduard Boesch richtig beobachtet, zur Tragik menschlichen Strebens, dass dieselben Wirkmechanismen zur Sozialisation von Gewaltlosigkeit ebenso wie von Terrorismus taugen. Dieser „Preis der Freiheit“ sollte aber nicht den symbolischen Ausdrucksformen, etwa den Bräuchen, angelastet werden.
„Maximalen Erfolg mit der Sozialisation haben wahrscheinlich Gesellschaften mit sehr einfacher Arbeitsteilung und minimaler Wissensaufsplitterung. [...] jedermann ist im wesentlichen der, der er sein soll. [...] Das bedeutet allerdings keineswegs, dass das Individuum sich in seiner Identität glücklich fühlen muss.“[166]
Ulrike Kammerhofer-Aggermann stellt in „Bräuche stiften Identität“ wie schon im Kulturforderungskatalog der Alpenkonvention[167] die zwei Phänomene in einen Zusammenhang. Vor einem Kommentar dazu soll versucht werden, die Begriffe psychologisch zu fassen.
Kommen die Begriffe auch in der Psychologie vor, und wenn ja, in welchem Kontext? Die größte Suchmaschine für psychologische Fachliteratur im deutschsprachigen Raum ist der PSYNDEX des ZPID (Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation). Eine Titel- und Stichwortsuche für den Zeitraum 1977 bis Ende 2001 (25 Jahre) ergab für Brauch 17 meist inhaltsleere Treffer (vom Typ „ich brauch mehr Geld“). Fünf hingegen erschienen thematisch relevant, davon behandelten zwei Arbeiten den „Brauch des Menschenopfers“, „Fest/Brauch“ aus einem Religionspsychologie-Lexikon, die Wirklichkeitskonstruktion bei Immigranten[168] und die Wirksamkeit eines griechischen Familienbrauchs zur Minderung von Schuldgefühlen nach Todesfällen.[169]
Wie sieht es mit dem zweiten Terminus aus? Identität ergab im selben Suchzeitraum 3.626 Treffer und wird geradezu als Modewort verwendet. Eine gemeinsame Suche Brauch und Identität liefert in PSYNDEX nichts, Identität und Volkskunde führt zu einem Artikel von Ueli Gyr (1988) über Touristenkultur und Reisealltag. Etwas ergiebiger sind Identität und Ritual – zehn Fundstellen, darunter Waren und Gebet in Pfingstkirchen Ghanas, Reisestile im Tourismus, Familienmythen und therapeutisches Ritual[170] oder Identität, Kirmesgesellschaft und Männergesangsvereine in Hessen.[171]
Während Brauch psychologisch gar nicht rezipiert wurde, leidet Identität nach Meinung des Kulturpsychologen Jürgen Straub (1991) unter einer Inflation von Definitionen, die sie für viele Forscher zur Hülse, zur Floskel macht. Nach Straub (2000) sollte dies aber nicht zur Aufgabe, sondern zur Präzisierung des Konstrukts führen. Identität als Begriff, so Karl Haußer in Identitätspsychologie (1995), geht historisch auf den Psychoanalytiker Erik H. Erikson zurück, der fallreich und anschaulich der Frage nachging, „wie der heranreifende Mensch zum konstanten Bewusstsein seiner selbst – seiner Stärken und Schwächen – gelangen kann“[172], auch über die frühe Kindheit hinaus. Erikson unterscheidet, aufbauend auf Sigmund Freuds Libidomodell, acht Phasen: Urvertrauen, Autonomie, Initiative, Leistung, Identität, Intimität, Kreativität und Ich-Integrität. Ich-Identität kommt ab der Pubertät zum Tragen – zu wissen, was man ist und will. Erst im reifen Alter kann Ich-Integrität erreicht werden – die Persönlichkeit wird authentisch, findet ihren eigenen Platz in Welt und Kultur.
Die akademische Psychologie, die sich ab 1945 mehrheitlich kognitiv nennt, betreibt präziser, aber eingeengter Selbstkonzept-Forschung. Sigrun-Heide Filipp (1980) meint, dass deren innerer Zusammenhalt schwächer sei als der von Eriksons Konzepten. James E. Marcia ordnet Erikson entwicklungspsychologisch ein und definiert Identität als „eine innere, selbstkonstruierte, dynamische Organisation von Trieben, Fähigkeiten, Überzeugungen und individueller Geschichte“[173]. Haußer betont, dass Fremdbestimmung von Identität nicht möglich sei. Die wesentliche Auskunft gebende Instanz ist immer das Subjekt selbst, das seine Identität aktiv konstruiert[174] und meistert. Biografische Anthropologie[175] und „Identitätspsychologie“ (Haußer) suchen nach Zusammenhängen zwischen Lebensgeschichte als Herangetragenem und Verarbeitetem und ihrer Bedeutung für das individuelle Selbstgefühl, für die Selbstdarstellung eines Menschen im sozialen Gefüge.
Relevant für volkskundliche Fragen ist, dass – wie schon Erikson betonte – Identität wesentlich aus Objektbeziehungen (ein psychoanalytischer Terminus, der vor allem Sozialkontakte meint) erwächst und zentral mit eigenen und fremden Gefühlen sowie mit Werten/Standards zu tun hat. So ist es für ein Kind weniger wichtig, seine Körpergröße in Zentimetern zu erfahren, aber sehr interessant, diesen Wert mit eigenen und elterlichen Gefühlen („schon so groß“, „Du bist größer als Dein Bruder“) in Bezug zu setzen. Auch Wolfgang Berg betont die emotionale Verankerung der Identität: „Für die kollektive Identität ist die emotionale Komponente nicht hoch genug einzuschätzen. Je mehr Affekte investiert werden, desto mehr wird eine Situation an Bedeutung gewinnen: Acht Personen im Lift, nach zwei Minuten ist die Fahrt vorbei. Sind die gleichen Personen 10 Stunden lang in einem Lift eingesperrt: eine Schicksalsgemeinschaft!“[176] Die Bedeutung der umgebenden Gesellschaft und ihrer Wirtschaft unterstreichen Joana Breidenbach und Ina Zukrigl: „Ende des 20. Jahrhunderts werden Klasse und Nation als primäre Bezugspunkte von Identität von neuen kollektiven Kategorien, wie Grüne, Computer Kids und Skins allmählich verdrängt. Die insbesondere in den alten Industrienationen zu verzeichnende Pluralisierung der Lebenswelten geht mit einem spezifischen Konsumverhalten einher“[177].
Ohne hier weiter die vielen Facetten, Stufen, Rollen und möglichen Brüche der Identitätsentwicklung nachzuzeichnen, sollte klar geworden sein, dass Identität die Persönlichkeit, ihre gelebte Geschichte, die Sozial- und Umweltverhältnisse als Ganzes meint, was den mathematisch-nomothetischen Reduktionisten vor eine unlösbare Aufgabe stellt. Werteskalen und -schemata bleiben entsprechend dürr und trocken.[178]
Das Studium der Zusammenhänge von Bräuchen und Identität erfordert geisteswissenschaftliches Denken, wie es in der prozess-, phänomen- und geschichtsorientierten Kulturpsychologie[179] und in der psychotherapeutischen Reflexion üblich ist. Dabei formen und fördern Umgebungen, kulturelle Dinge (Artefakte) und soziales Handeln von außen innere Bilder, Gedanken und Werte, die wiederum durch äußere Gestaltungen, Arrangements und Handlungen bestärkt und aufrecht gehalten werden. Psychoanalytiker sprechen von Externalisierung und Internalisierung.
Kammerhofer-Aggermann kennt als Volkskundlerin verschiedene Definitionen für Brauch. Ihnen gemeinsam sei, dass es sich um „ritualisierte, durchstilisierte Handlungen mit kommunikativem und identifikatorischem Charakter“[180] handle. Manfred Becker-Huberti zählt in seinem populärwissenschaftlichen Brauchbuch[181] folgende Merkmale auf: „Bräuche sind geschichtlich gewachsen. [...] Bräuche geben Sicherheit. [...] Brauchtum passt sich an. [...] religiöse Dimension [und] Fehlentwicklungen.“ Wesentlich sei die Symbolik, die sinnbildliche Darstellung abstrakter Inhalte, funktionell an Zeit und Situation gebunden.
Im Alltag setzt die Psychotherapeutin Hildegard Ressel[182] an: „Jeder von uns hat bestimmte Gewohnheiten ritualisiert, ohne dass ihm dies je bewusst wird. Unter Ritual versteht man das Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung, so das Lexikon. Wir benutzen diesen Begriff fast nur noch im Zusammenhang mit bestimmten traditionellen, kollektiven Verhaltensweisen, zum Beispiel im kirchlichen, religiösen Bereich. Unbewusst scheinen wir aber eine Menge Verhaltensweisen nach einer persönlichen Ordnung festgelegt zu haben und messen dem eine größere Bedeutung bei, als uns klar ist oder wir mit purer Gewohnheit erklären können. Bewusst wird uns das erst dann, wenn jemand diese Ordnung stört. Besonders empfindlich für derartige Störungen sind wir in Momenten, in denen wir versuchen, Übergänge zu bewältigen, zum Beispiel von der Nacht zum Tag, der vor uns liegt, [...] Hier begegnen wir der Bedeutung, die Rituale in früheren Kulturen hatten. Mit Hilfe von kollektiven und individuellen Riten begegneten frühere Völker Veränderungen, deren Macht sie nicht einschätzen konnten und denen sie sich ausgeliefert fühlten.“
Ressel knüpft bei Anna Freud (1980) an, der als Kinderpsychoanalytikerin die psychische Notwendigkeit von Sicherheit vermittelnden Wiederholungen im kindlichen Tagesablauf und bei der Bewältigung von Problemen auffiel. Anna Freud hat die Funktion der Abwehrmechanismen für die Entwicklung des Ich nie gering geschätzt. Statt Wiederholungen als „infantil“ abzustempeln und ab einem gewissen „Reifealter“ zu verbieten, sollten sie auch über den therapeutischen Bereich („Regression im Dienste des Ich“) hinaus akzeptiert werden. Lebenshilfebücher[183] beackern dieses Gebiet, das sogar in der neu entstandenen gesundheitspsychologischen Forschung noch Grauzone ist.
So wie Sigmund Freud als Angehöriger einer kulturellen Minderheit einen klaren Blick für die „Psychopathologie des Alltagslebens“ in Wien hatte, fiel die soziale Wirkung von Gewohnheiten und Ritualen zuerst den Ethnologen und den Psychotherapeuten, beides Grenzgänger der jeweiligen Alltagskultur, auf. Hier soll auch deren wichtiger Beitrag umrissen werden. Die Mailänder Psychiaterin Mara Selvini Palazzoli (1982) war mit ihren Kollegen nicht nur Begründerin der systemischen Familientherapie, sondern führte 1974 Rituale in die klinische Behandlung von Magersucht ein. Ihr therapeutisches Ritual war „eine Aktion oder eine Reihe von Aktionen, die mit verbalen Äußerungen einhergehen und die ganze Familie einbeziehen“ [184]. So wurde etwa einer Familie verschrieben, gemeinsam die Sedativa des „kranken“ und „bösen“ Sohnes im WC hinunterzuspülen und ihn dabei „offiziell“ für gesund zu erklären. Palazzoli und ihre Kollegen „betonten, dass die Kraft des Rituals darin bestehe, dass es dem analogen, nichtverbalen Kode [irratio: Gefühl, Vorstellung – Anm. des. Verf.] näherstehe als dem digitalen Kode [ratio: Denken, Verstand – Anm. des Verf.].“[185]
Roy A. Rappaport[186] unterscheidet sechs Aspekte des Rituals: Wiederholung, Tun (nicht nur Sagen oder Denken), besonderes Verhalten und Stilisierung, Ordnung, sinnträchtiger Präsentationsstil (Inszenierung und Fokussierung) und kollektive Dimension (soziale Bedeutung). Sally F. Moore und Barbara G. Myerhoff (1977) meinen, dass es in den ethnologisch beforschten Gesellschaften viel mehr religiöse Bedeutung habe als bei uns, wo säkulare Rituale überwiegen. Onno van der Hart (1983) weist auf die Strukturparallele zwischen Ritualen in der Anthropologie und Familientherapie hin. Ein Ritual kann auch „leer“ sein, wenn es für die Erfahrung der Teilnehmer nicht passt. Rituale, so Moore und Myerhoff (1977), definieren die Realität, laufen aber außerhalb der „gewöhnlichen“ Realität ab. In ähnlicher Weise definiert Mircea Eliade (1998) den Mythos als beispielhaft für das Jetzt, indem er Ereignisse „in illo tempore“ lebendig macht. Beispielgebung, oft sogar das Miteinschließen von Widersprüchen (bei Eliade „coincidentia oppositorum“) liefert jede gelungene Therapie. Evan Imber-Black et al. (2001) arbeiten dabei ganz selbstverständlich mit familiären Traditionen und Ritualen, für die sich auch Volkskundler interessieren würden.
Sind Bräuche, Traditionen, Rituale subjektiv sinn- und ordnungsstiftend, erklärt sich das lange Überleben von für Außenstehende irrelevanten Mustern, und es wird klar, dass ein Unterlassen, Aufgeben oder Verbieten solcher Handlungen identitätsbedrohend wird, da es Sicherheit und Kontrolle über mögliche Gefahren der Welt („das lauernde Chaos“ bei Ernst Eduard Boesch 2000) entzieht. Der Streit über Art und Form von Brauchtum ist damit mehr als eine Reflexion leerer Formalismen, sondern betrifft die Selbstdefinition von Gruppen und Personen. Riten und Bräuche vermitteln auch in modernen Gesellschaften dort Geborgenheit und Sinn, wo Intellekt und Logik nicht mehr hilfreich sind. Oder wollen Sie lieber Angehörigen eines gerade Verstorbenen mittels Sterbetafel einer Versicherung klarmachen, dass Menschen nun eben alle sterblich sind?
Neben der Vermittlung individueller Sicherheit und emotionaler Vertrautheit hat das Brauchtum gruppen-, schichten- und gesellschaftserhaltende Funktion. Der Sozialpsychologe Henri Tajfel (1978) definierte Soziale Identität als Festigung des Selbstwertgefühls durch Zugehörigkeit zu Gruppen mit einer klar identifizierbaren Symbolik. Er nennt das auch „Herstellung positiver Distinktheit“, was stark an Pierre Bourdieu (1982) erinnert. Brauchtum schafft in diesem Sinne Soziale Identität und festigt über symbolische Sichtbarmachung und möglichen Nachvollzug sonst ungreifbarer Werte den Zusammenhalt sozialer Gemeinschaften.
Nicht alle Wissenschaftler sind uneingeschränkt Befürworter des Rituals. So weist der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim (1998) darauf hin, dass Rituale angenehm vereinfachend und entlastend wirken, zugleich aber das selbstständige Denken blockieren und im Dienst der Unbewusstmachung von Problemen stehen können. Am Beispiel des Männerhauses in Papua-Neuguinea belegt er Zusammenhänge zwischen Ritualen, falschem Wissen und Herrschaft. Dieser Aspekt sollte bei der Funktion von Bräuchen kritisch beachtet werden, es wäre aber des Guten zu viel, wollte man nach Art früher Aufklärer „das Kind mit dem Bad ausschütten“. Es gehört, wie Boesch (2000) richtig beobachtet, zur Tragik menschlichen Strebens, dass dieselben Wirkmechanismen zur Sozialisation von Gewaltlosigkeit ebenso wie von Terrorismus taugen. Dies sollte aber nicht den symbolischen Ausdrucksformen, wie etwa den Bräuchen, angelastet werden. Sie sind, für sich betrachtet, in der Mehrzahl ebenso wenig gut oder böse wie ein Schuh oder ein Sonnenuntergang. Erst das Individuum, die Gruppe oder die Gesellschaft unterlegt und lädt sie mit Bedeutungen.
Zusammenfassend lässt sich die identitätsstiftende Wirkung von Bräuchen, bei uns meist säkularisierten Ritualen, auch psychologisch begreifen und bestätigen. Öffnet sich Psychologie zum Projekt, das auch Alltag, Artefakte, Sinn und Symbole, geschichtliche und ökologische Einbettung des Menschen mit einschließt,[187] dann kann sie als Kultur- und Ökopsychologie gleichberechtigt mit Volkskunde als empirische Kulturforschung die „Volkskultur in der Moderne“[188] studieren. Der dazugehörige Brauch hieße Interdisziplinarität, und er wäre kein leeres Ritual.
Literatur
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[166] [BergerPL/Luckmann 1980], S. 175.
[172] [Rattner 1995], S. 564.
[173] [Marcia 1980], S. 159.
[174] vgl. [BergerPL/Luckmann 1980].
[175] Vgl. [Maurer 1981].
[177] [Breidenbach/Zukrigl 1998], S. 174.
[180] Persönliche Mitteilung von Ulrike Kammerhofer-Aggermann. Salzburg, 13. März 2002.
[181] [Becker-Huberti 2001], S. 17.
[182] [Ressel 1995], S. 7 f.: Hervorhebungen Autor.
[183] Z. B. [Biziou 2000].
[184] [Selvini Palazzoli 1982], S. 274.
[185] [Imber-Black/Roberts/Whiting 2001], S. 18.
[186] [Rappaport 1971], zit. nach [Imber-Black/Roberts/Whiting 2001].
[187] [Bruner 1997].
[188] [Jeggle 1986b]. – [Köstlin 2000].