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Kapitel 2. Der Mensch und seine Bräuche

Inhaltsverzeichnis

2.1. Menschen und Bräuche. Ethnologisches Alphabet (Helga Maria Wolf)
2.2. Bräuche stiften Identität (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
2.3. Stiften Bräuche Identität? (Alexander G. Keul)
2.4. Alles hat seine Zeit (Johannes Neuhardt)
2.5. Gegenwart zwischen Religion und Kommerz (Hans Paarhammer)
2.6. Salzburger Brauchtumsvereine und ihre Anliegen (Harald Dengg)
2.7. „Abenteuer Archivrecherche“. Ein Überblick im Salzburger Landesarchiv zum Thema „Bräuche im Salzburger Land (1500–1900)“ (Gerda Dohle)

2.1. Menschen und Bräuche. Ethnologisches Alphabet (Helga Maria Wolf)

2.1.1. Kurztext

2.1.1.1. Ethnologisches Alphabet

Das Fach Volkskunde/Europäische Ethnologie lässt sich mit einem Fachwerkhaus vergleichen:

Bei seinem Umbau wurden einige Balken ersetzt, die früher als tragend galten. Fenster und Türen sind offen zu den Nachbardisziplinen, sodass frischer Wind hereinweht. Viele betreten das Haus, manches „Uralte“ kommt durch die Hintertür wieder. Das Fach(werk)gebäude wird revitalisiert, erweitert, doch ein solides Fundament bleibt unerlässlich.

Viele Bräuche scheinen aus einer Zeit zu stammen, in der die Welt angeblich noch in Ordnung war. Aber Bräuche kommen, gehen, ändern sich oder werden ganz neu erfunden. Sie fallen weder vom Himmel noch kommen sie aus der Volksseele. Wenn es den Menschen ein Bedürfnis ist, entstehen sie auch neu.

Das Ethnologische Alphabet richtet den Blick ebenso in die Vergangenheit wie in die Gegenwart und Zukunft sowie über Fach- und Konfessionsgrenzen hinweg. Von „Aberglaube“ bis „Zahlen und Zeiten“ wird hier eine Auswahl an Schlüsselbegriffen geboten, die im Zusammenhang mit Bräuchen wichtig sind. Detaillierte Angaben und weitere Informationen enthält „Das neue BrauchBuch“[40].

2.1.1.2. A wie „Aberglaube“, B wie „Bräuche“ ...

Vier Definitionen zum Thema „Bräuche“:

Harvey Cox, 1972: „Verleiblichte, soziale Phantasie.“[41]

Ingeborg Weber-Kellermann, 1985: „Formalisierte, ausgestaltete Handlungen [...] mit einer Rollenverteilung, einem Spielablauf, ausgeübt von Gruppen zu festgelegten Zeiten des Jahres oder bei speziellen Anlässen des familiären Lebens oder bei vereinsmäßigen, beruflichen oder politischen Zusammenkünften.“[42]

Martin Scharfe, 1991: „Vermittelte Handlungen, die in einer bestimmten sozialen Gruppe als verbindlich angesehen und von sich wiederholenden (sach- und termingebundenen) Anlässen provoziert werden und deren Ausübung nach Maßgabe ihrer Konformität und Verbindlichkeit sanktioniert wird.“[43]

Konrad Köstlin, 1999: „Verhalten oder Verhaltensmuster, das von einer Gruppe als richtig oder falsch angesehen wird, eine allen gemeinsame Regel, die von der Gruppe im Konsens getragen wird und die Konformität der Gruppe darstellt. Diese soziale Konformität gründet sich in der Moderne immer deutlicher auf eine ,historisch‘ genannte Tradition.“[44]

2.1.2. Langtext

Eine mosaikartige Auswahl einiger Schlüsselbegriffe, die im Zusammenhang mit Bräuchen von Bedeutung sind:

2.1.2.1. Aberglaube

Der Begriff enthält ein Werturteil, das ihn als abwegig oder gesetzwidrig vom „richtigen“ Glauben, wie ihn die Religionen lehren, unterscheidet. So definiert der Etymologie-Duden: „In religiöser Scheu und magischem Denken wurzelnder Glaube, Irrglaube“ und verweist auf die Bedeutung der Silbe „aber“ im Sinne von „verkehrt“. Die seit dem 15. Jahrhundert bekannte Zusammensetzung entspricht dem lateinischen „superstitio“ (ängstliche Scheu, Wahnglaube).[45] Vorsichtig gegenüber dem Terminus zeigt sich das 1974 erschienene Wörterbuch der deutschen Volkskunde: „In der Volkskunde vermeidet man im Allgemeinen den abwertenden Begriff Aberglaube und setzt dafür Volksglaube.“ Hier werden Martin Luther (1483–1546), der von „Afterglaube“ oder „Missglaube“ sprach, und Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) zitiert. Letzterer philosophierte in seinen „Maximen und Reflexionen“: „Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt.“[46]

Das mit zehn Bänden immer noch umfangreichste volkskundliche Standardwerk trägt den Titel „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ (HDA). Es wurde von dem Germanisten Eduard Hoffmann-Krayer (1864–1936) und dessen Schüler, dem Volkskundler Hanns Bächtold-Stäubli (1886–1941), herausgegeben. Von 1916 bis 1925 erarbeiteten sie eine Materialsammlung mit 600.000 Zetteln, die sie alphabetisch nach Stichworten ordneten. Schließlich sammelten sich 1,5 Millionen Karteikarten mit handschriftlichen Notizen und ausgeschnittenen Belegstellen an. Der erste Band erschien 1927, der zehnte 1942. 60 Jahre danach kam ein HDA-Reprint mit einem Vorwort von Christoph Daxelmüller, damaliger Volkskunde-Ordinarius in Regensburg, heraus. Er spricht kurz den Aberglauben des 20. Jahrhunderts an, der weit über die traditionelle Magie des Alltags hinausgeht, wie ihn das Tausende Spalten umfassende Nachschlagewerk beschreibt. Eine allgemeingültige Definition sei heute ebenso wenig möglich wie damals, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Frage des Standpunkts sei: „Aller Aberglaube ist alte Wissenschaft, alle Wissenschaft neuer Aberglaube [...]. Was heute Aberglaube ist, war einst Wissenschaft. (Franz Strunz) Glaube wird folglich dort zum bekämpfenswerten Aberglauben, wo neue erkenntnistheoretische Positionen erreicht sind.“[47]

Der Forschungsstand des HDA ist überholt. Ziel war damals, „die noch auffindbaren abergläubischen und magischen Praktiken ‚im Volke‘ zu dokumentieren und zu verorten. Gesucht wurden vor allem vorchristliche, namentlich germanische Spuren, die in der Lebenswelt der unteren Schichten vermeintlich in Form von Sprüchen, Sagen, Zeichen und Symbolen überliefert sind“, stellt der Berliner Ordinarius für Europäische Ethnologie, Wolfgang Kaschuba, fest. „Doch wird in diesen Befragungen stets nach Relikten gesucht, nach Einzelphänomenen, die scheinbar außerhalb aller sozialen und historischen Kontexte existieren. Es ist keine ethnographische Aufnahme von Lebenswelten, in denen sich Altes mit Neuem mischt, sondern eine Konstruktion von isolierten Brauchwelten, die abseits der Moderne durch die Zeiten dämmern.“[48]

2.1.2.2. Bräuche

Was Bräuche seien, dafür gibt es viele Definitionen. Häufig wurde zwischen „Sitte“ und „Brauch“ unterschieden oder Bräuche von „Brauchtum“ und „Folklore“ abgegrenzt, was mit gewissen Wertungen verbunden war. Heute hört man oft von „Ritualen“, wo früher von Bräuchen die Rede war. Nicht zuletzt dieses neu erwachte Interesse zeigt, dass Menschen offenbar Bräuche brauchen. Und dass es wahrscheinlich weniger auf Definitionen ankommt als auf die Tatsache, dass sie einfach (oder kompliziert) da sind.

2.1.2.2.1. Einige zeitgemäße Definitionen:

  • Harvey Cox, 1972: „Verleiblichte, soziale Phantasie“.[49]

  • Ingeborg Weber-Kellermann, 1985: „Formalisierte, ausgestaltete Handlungen [...] mit einer Rollenverteilung, einem Spielablauf, ausgeübt von Gruppen zu festgelegten Zeiten des Jahres oder bei speziellen Anlässen des familiären Lebens oder bei vereinsmäßigen, beruflichen oder politischen Zusammenkünften.“[50]

  • Martin Scharfe, 1991: „Vermittelte Handlungen, die in einer bestimmten sozialen Gruppe als verbindlich angesehen und von sich wiederholenden (sach- und termingebundenen) Anlässen provoziert werden und deren Ausübung nach Maßgabe ihrer Konformität und Verbindlichkeit sanktioniert wird.“[51]

  • Konrad Köstlin, 1999: „Verhalten oder Verhaltensmuster, das von einer Gruppe als richtig oder falsch angesehen wird, eine allen gemeinsame Regel, die von der Gruppe im Konsens getragen wird und die Konformität der Gruppe darstellt. Diese soziale Konformität gründet sich in der Moderne immer deutlicher auf eine ‚historisch‘ genannte Tradition.“[52]

2.1.2.2.2. „Sitte und Brauch“

Bräuche sind als konkrete Handlungsmuster bestimmten Normen – auch als „Sitte“, „ungeschriebene Gesetze“, Moral, Werte ... bezeichnet – zugeordnet. Normen werden heute oft als einengend erlebt, man verabschiedet sich davon und findet möglicherweise andere. Lange Zeit war „Sitte und Brauch“ als Begriffspaar untrennbar. Für die Unterscheidung galt das Modell „äußere Schale – verpflichtender Kern“. Die „Sitte“ stand unsichtbar und unbewusst, aber handlungsbestimmend über dem „Brauch“. Dieser wurde charakterisiert als „äußerlich sichtbar und sinnlich fassbar, extravertiert“. Praxis und Sprachgebrauch haben die Theorie überholt. Heute gilt: Brauch ist Form (Ritual) und Brauch ist Norm (Sitte). Die wichtigste Kraftquelle, die den Brauch speiste, war die Religion, die wiederum die Sitte/n beeinflusste. Seit der Antike bestimmte ein spiritueller Hintergrund die meisten Riten und Sitten: Dank, Opfer und Gedächtnis. Das Christentum hatte 2.000 Jahre Zeit, Bräuche zu formen.

2.1.2.2.3. Alte Bräuche

Viele Bräuche scheinen aus einer Zeit zu stammen, in der die Welt angeblich noch in Ordnung war. Aber Bräuche kommen, gehen, ändern sich oder werden ganz neu erfunden. Sie fallen weder vom Himmel noch kommen sie aus der Volksseele. Wenn es den Menschen ein Bedürfnis ist, entstehen sie auch neu. „Politiker sahen und sehen in Bräuchen oft eine Karte, die sie je nach ihren Interessen so oder anders ausspielen. Dabei kann es vorkommen, dass das Alter eines Brauches zur Trumpfkarte erklärt wird [...]“, stellt der Münchener Theologe Herbert Rauchenecker fest. „In der Zeit der Nationalsozialisten wurde durch die häufige Verwendung des Wortes ‚uralt‘ der Versuch unternommen, den Eindruck zu vermitteln, dass vor den Christen längst eine germanische Tradition existiert habe [...], die immer noch ungebrochen fortlebe.“[53]

Wenn daran etwas „uralt“ war, dann der Versuch, Identität durch Aufwärmen alter Bräuche herzustellen. Schon geschehen vor 200 Jahren, zur Zeit der entstehenden Nationalstaaten und Ende des 19. Jahrhunderts. Die frühe Volkskunde – gleichermaßen ein Kind der Romantik wie der Aufklärung – suchte nach dem Urzustand der eigenen nationalen Gesellschaft, wie der Schweizer Volkskunde-Professor Paul Hugger ausführt: „Die deutschen Volkskundler hofften, jene Lebensformen und Glaubensinhalte frühgermanischer Kultur erschließen zu können, die keine schriftliche Überlieferung festgehalten hatte. In Frankreich suchten die Folkloristen Analoges zur keltischen Vorzeit. In kühnem Sprung über Jahrhunderte und Jahrtausende nahm man dabei Kontinuitäten an, eine Kette der Überlieferung, zu der die Zwischenglieder allerdings weitgehend fehlten. Das Heidnische, Vorchristliche faszinierte, man vernachlässigte gänzlich den Umstand, dass zwischen jenem angenommenen oder erträumten Urzustand und der Gegenwart eine christliche Kulturphase lag. [...] Die Postulierung einer jahrtausendealten Kontinuität entsprang nicht reiner Fabulierlust, sondern war ideologisch motiviert und entsprach einem Bedürfnis der Zeit. Einerseits erfolgte es parallel zur Entstehung von Nationalstaaten und musste die Identität des Staates begründen helfen. Andererseits spielte die Rückorientierung auf einen ‚idealen‘ Urzustand eine wichtige Rolle in einer durch technischen Fortschritt, Individualisierung und gesellschaftlichen Umbruch verunsicherten bürgerlichen Gesellschaft.“[54]

Im New Age ist vermeintlich Uraltes wieder gefragt. Aus der Volkskultur bekannte Symbole scheinen zu Zeiten der Modernisierung und Verunsicherung stabilisierend-beruhigende Wirkung zu zeigen. Besonders aktiv sind Vertreter/innen der Psycho- und Esoterikszene, um Märchen, Mythen und Rituale neu zu entdecken. Unbelastet von wissenschaftlichen Erkenntnissen – dafür publikumswirksam – finden längst überholte Theorien und Irrationales wieder Interesse. Wobei nicht alles unter den Ideologieverdacht fällt, und manches nur gut gemeint – nach einer alten Weisheit das Gegenteil von „gut“ – ist. Herbert Rauchenecker berichtet aus der in den 1960er-Jahren entstandenen Münchener Trabantenstadt Neuperlach: Obwohl es bis dahin in dieser Gegend kein einziges Haus, folglich auch keine Traditionen gab, formulierte die 1980 gegründete Neuperlacher Trachtengruppe ihre Selbstdarstellung so: „Unser Ziel ist, die Sitten und Gebräuche in unserer Gegend zu erhalten und zu pflegen.“[55]

Für den unbefangenen Umgang mit Religion und Bräuchen im Zeichen der Remythologisierung signifikant erscheint „Mein Buch fürs ganze Jahr“. Die deutsche Psychologin Dagmar Müller, die sich u. a. der Wiederbelebung vorchristlicher Feste verschrieben hat, will darin allerdings „keine Vorgaben machen, wie diese oder jene Tradition zu verstehen sei, sondern anregen, das für sich selbst herauszufinden, so wie es für Ihren Weg förderlich ist.“ Die Quellen, aus denen die Autorin schöpft, sind

  1. der christliche Festkalender,

  2. „altes Brauchtum“ (keltisch-germanisch),

  3. Astrologie und

  4. das eigene unmittelbare Erleben (z. B. durch Fantasiereisen).[56]

2.1.2.2.4. Neue Bräuche

In der klassischen Definition von Josef Dünninger ist Brauch „gemeinschaftliches Handeln, durch Tradition bewahrt, von der Sitte gefordert, in Formen geprägt, mit Formen gesteigert, ein Inneres sinnbildlich ausdrückend, funktionell an Zeit oder Situation gebunden.“[57] Für neue Bräuche gilt eher, was Matthias Horx „das große Lebensstil-Experiment“[58] nennt: Der Einzelne entscheidet, was er tun will oder nicht tut. Er hat die Integrationsleistungen selbst zu vollbringen, die früher von äußeren Normen und Regeln garantiert waren. Bindungen müssen erarbeitet, geformt, gepflegt werden. Eine Kultur des Wählens ist gefragt ... Ein Teil der alten Rituale zerbricht mit der neuen Freiheit. Wenn sich keine passenden Rituale finden, schafft man sich neue.

Dass die Quantität neuer Bräuche zunimmt, zeigt das Forschungsprojekt „Alte und neue Bräuche in Pfarren“. Es beschäftigt sich mit dem Segment der religiösen Rituale im Jahreskreis der katholischen und evangelischen Kirchen. Die Auswertung umfasste pro Durchgang mehr als 35.000 Datenfelder. Nach der ersten Phase 1990/91 wurde 1997 ein Vergleich ermöglicht. 1990/91 antworteten 96,7 % der katholischen Pfarren im Stadtvikariat Wien. Bei den evangelischen Pfarrgemeinden betrug die Rücklaufquote 91,3 %. Nach sieben Jahren erhielten die Einsender Kopien ihrer Fragebogen mit der Bitte, sie zu aktualisieren. Diesmal kamen 75,5 % aus den katholischen Pfarren zurück, von den evangelischen Gemeinden beteiligten sich 57,1 %. 1999 konnte ich das Projekt in der Diözese Eisenstadt durchführen (Rücklaufquote: 77,33 %). 1990 berichteten 40 % der katholischen Pfarren in Wien von neuen, 14 % von abgekommenen Bräuchen. Im Burgenland standen 65 % Nennungen von neuen Bräuchen 38 % von abgekommenen gegenüber.[59]

2.1.2.2.5. Antibräuche

Antibräuche richten sich gegen Bräuche. Festgelegte Ordnungen reizen dazu, sie zu durchbrechen. Das besonders Feierliche verlockt zum Antibrauch. Häufig bestehen Antibräuche im Aufruf zur Nichtteilnahme, gepaart mit sozialem Engagement, z. B. zu Silvester zugunsten der Aktion „Brot statt Böller“ auf Feuerwerke zu verzichten. Der „Ball des schlechten Geschmacks“ und die Opernballdemo sind Antibräuche zum elitären Opernball. Wer einen Brauch stört oder ein Ritual durchbricht, signalisiert damit den Teilnehmenden etwas.

2.1.2.2.6. Missbräuche

Schriftsteller der Aufklärung, wie der als Verfasser der Eipeldauer-Briefe bekannte Joseph Richter (1749–1813), bemängelten die „katholischen Missbräuche“, die sich im Zuge ausufernder gegenreformatorischer Antibräuche verbreitet hatten. Ihre Schriften sind, ebenso wie Predigtliteratur und behördliche Verbote, hervorragende Quellen der Brauchforschung.[60] Was als Brauch und was als Missbrauch beurteilt wird, ist einerseits eine Frage der Deutungs- und Definitionsmacht, andererseits zeitgebunden. In einem bestimmten Umfeld konnte soziale Kontrolle sinnvoll erscheinen, die aus der historischen Distanz grausam und schädlich wirkt. Herbert Rauchenecker hat einige Negativaspekte von Bräuchen herausgearbeitet: Angstauslöser Krampus, Wahrheitsfeind Santa Claus, Zwangsinstrument Silvesterfeier („Keine Verabredung zu haben, ist für einen Heranwachsenden das Äußerste an Tragik“), Spaßverderber Festredner, Stressfaktor Weihnachtszeit, Fluchtanlass Feiertage, Aggressionsauslöser Karneval, Lebensverhinderer, Ankläger Rügebräuche ...[61]

Bräuche sind nicht nur schön, idyllisch, nostalgisch. Der deutsche Volkskundler Günther Kapfhammer hat in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts auf die „kontrovers zu diskutierende Innenansicht“ der Bräuche hingewiesen: „Wer sich mit Brauch beschäftigt, wird feststellen müssen, dass Zwang ausgeübt wird, Fremdbestimmung zur Regel gehört [...] und damit durchaus nicht immer dem verbreiteten Klischee entspricht, mit Brauch ließe sich besser und intensiver leben.“ Wenn Bräuche aber helfen sollen, besser und intensiver zu leben, müssen sie in Freiheit und mit Kreativität immer wieder neu brauchbar gemacht werden.[62]

2.1.2.2.7. Brauchtum

Utz Jeggle, damaliger Professor für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen, spricht zunächst dort von „Brauchtum“, wo es nach „Volkskultur aus zweiter Hand“ aussieht: „Brauchtum ist der sentimentalische Zustand des Brauchs.“ Der Begriff signalisiere die Ausgrenzung bestimmter tradierter Handlungsweisen aus dem Fluss des Alltags und ihre Zuweisung zu einem spektakulären Bereich, dem ein traditionelles Gehabe eigentümlich sei – wie Landbräuche, die man auf Heimatabenden vor Publikum aufführt. Als Kuriosität am Rande vermerkt er, dass ein Ausführender des Mitterndorfer Nikolausspiels in der Steiermark einen Besucher in schönstem Hochdeutsch aufforderte: „Stören Sie mich nicht in der Ausübung des Brauchtums!“ Der authentizitätsgläubige Exkursionsteilnehmer war daraufhin entsprechend verstört. „Brauchtum“/Folklore erscheint hier als bewusst gepflegte Aufführung, deren Sitz im Leben es ist, ein Wirtschaftsfaktor zu sein.[63] Vermummte Gestalten in zottigen Pelzen sind Teil des Tourismusprodukts „zur Anschauung freigegebene Einheimische“[64].

Konrad Köstlin schreibt: „Brauchtum lässt sich instrumentalisieren. Die ‚volkskulturellen Verbände‘ in Österreich pflegen dieses Brauchtum. Der Staat und die Bundesländer, auch die Kommunen unterstützen die Pflege des Brauchtums. Dem Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung ist ‚Volkskultur‘ eingeschrieben. In der Regierungserklärung des Kärntner Landeshauptmanns werden ‚Volkskultur‘ und moderne ‚Hochkultur‘ gleichgestellt.“[65] Ist das Spektakel der Nachbar des „Brauchtums“, so ist es beim Brauch die alltägliche Gewohnheit.

2.1.2.2.8. Wer braucht Bräuche ...

  • Gemeinschaften brauch(t)en Bräuche, um bestehende Ordnungen und Rollenbilder zu fixieren. Ein klassisches Beispiel waren die ländlichen Burschenschaften, welche die Umgangsformen zwischen unverheirateten jungen Frauen und Männern kontrollierten. Utz Jeggle formuliert: „Der Brauch bietet Formen und Formeln, um Zugehörigkeit zu dokumentieren und sich ihrer zu vergewissern. Der Kitt der Bräuche garantierte das Zusammenleben.“ Der Pädagoge Christoph Wulf, der an der FU Berlin ein großes Forschungsprojekt über Rituale leitete, sagte in einem ORF-Interview: „Rituale haben die anthropologische Bedeutung, Ordnungen herzustellen, damit Menschen miteinander leben können. Das Individuum wird in Institutionen – Familie, Schule – eingebunden und verhält sich dann dementsprechend. Die Rituale der Gruppe formen den Einzelnen. Andererseits bildet sich eine Gruppe durch Ritualisierung, durch Ausschluss und Einschluss.“[66]

  • Die Tourismusindustrie braucht Bräuche („Brauchtum“). In den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts stand eine große Werbekampagne der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung unter der Devise „Festland Österreich“.[67] Zwei Jahrzehnte später finden sich lokale Veranstaltungen und Inszenierungen wie der „Bauernherbst“ neben den Salzburger Festspielen in Hochglanzprospekten, die zu Hunderttausenden in aller Welt verteilt werden. Erlebnistage in (Freilicht-)Museen , die an regionale Traditionen anknüpfen, sind als kulturelle Ressourcennutzung – und nicht nur in der oft abschätzig betrachteten „Spektakelkultur“ – geschätzt. Jeggle nennt Schaubräuche die angemessene Form für unsere Tage: Das Publikum ist wichtiger als die Akteure.

  • Kirchen brauchen Bräuche. Abgesehen vom bewahrenden Aspekt können sie helfen, Feste so zu feiern, dass sie Außenstehende ansprechen.

  • Postmoderne Menschen brauchen Bräuche. Nicht Erstarrtes ist gefragt, sondern sehr persönliche Zeichen, die Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen in bewegten Zeiten Halt geben können. Die Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts wird als Risikogesellschaft (Ulrich Beck), Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze), Nonstop-Society oder Patchwork-Kultur charakterisiert. Matthias Horx spricht vom „Eklektizismus-Prinzip“ und der „Welt als Montage“. Was für Wohnen und Kleidung gilt, betrifft auch die Bräuche: Elemente, die dem Einzelnen geeignet erscheinen, werden je nach Situation ausgewählt, zusammengesetzt und wieder verändert.

  • Jeder hat seine Bräuche, auch wenn er sie nicht so nennt. Bräuche strukturieren den Alltag, und der ganze Alltag ist Brauch. „Der Alltag ist durch kleine Rituale strukturiert, von denen viele so selbstverständlich sind, dass man sie gar nicht als etwas Besonderes wahrnimmt. Dabei sagen sie schnell eine ganze Menge aus.“[68]

2.1.2.2.9. ... und wozu?

Das Zeitwort „brauchen“ (mhd. bruchen) ist mit dem lateinischen Ausdruck für „genießen“ verwandt. Die Grundbedeutung war „Nahrung aufnehmen“, „verwenden“. Der Wortsinn „nötig haben“ entwickelte sich im 17. Jahrhundert. „Brauch“, mit dem im Mittelalter noch ganz allgemeinen Sinn „Nutzen“, wurde im 16. Jahrhundert auf „Sitte, Gewohnheit einer Gemeinschaft“ eingeschränkt.[69] In der ursprünglichen Bedeutung sind Bräuche so lebensnotwendig wie das Essen. Beide befriedigen Grundbedürfnisse, beide zeigen sich in vielfältiger Gestalt, meist alltäglich, manchmal festlich.

  • Verbindliche Zeichen setzen

    Viele gemeinschaftliche Handlungen sind aus der Rechtsvolkskunde zu verstehen, u. a. Bräuche des Arbeitsanfangs und Arbeitsschlusses, Kaufakte, Heischen ... Dabei dienen temporäre Rechtszeichen (Maien, Kirtagbaum, Erntekranz ...) als Requisiten. Bräuche werden zum Ausdruck von Privilegien und Abhängigkeiten sowie „Indikatoren für die Intaktheit der Regeln“.[70] Der mittelalterliche Kommunikationsstil war ein demonstrativ-gestischer, bei dem mehr gezeigt als geredet wurde. Die öffentliche Kommunikation bestand aus einer unablässigen Folge ritueller Verhaltensweisen. Das durch die Teilnahme an Bräuchen zum Ausdruck gebrachte Einverständnis beinhaltete eine Verpflichtung für die Zukunft. Folgerichtig ergab sich ein beträchtlicher Zwang zum Mitmachen, weil dies die Zustimmung signalisierte. Der deutsche Historiker Gerd Althoff nennt vor allem drei Bereiche: rituelle Zustimmung, rituelle Ablehnung, rituelle Bitten.[71] Schenkrituale machen das Prinzip des „Do ut des“ deutlich: Wer ein Geschenk annimmt, geht dem Spender gegenüber eine Verpflichtung ein.

  • Gemeinschaft fördern

    Gemeinsames Essen und Trinken verbindet. Im Mittelalter versprach ein rituelles Festmahl Frieden und Unterstützung. Moderne Nachbarschaftsfeste steuern der Anonymität in Großwohnanlagen entgegen. An Schulen, die von Kindern verschiedener Herkunftsländer besucht werden, erwiesen sich Veranstaltungen mit den jeweiligen Tänzen und kulinarischen Spezialitäten als beste Hilfe bei Integrations- und Identitätsproblemen. In Zeiten der Flüchtlingsaufnahme sind sie oft die einzige Möglichkeit, einander ohne Sprachbarrieren näherzukommen. Dem gleichen Modell folgen multilinguale Kindergartenprojekte. Sie verbinden ungezwungen Bräuche verschiedenster Kulturen wie Ostern, das türkische Kinderfest Cocuk Bayrami und Buddhas Geburtstag.

  • Erinnerung wachhalten

    Persönlicher Termine wie Geburts- und Hochzeitstag und der Jahrestage wichtiger staatlicher oder politischer Ereignisse – 1. Mai, 26. Oktober – sowie religiöser Anlässe gedenkt man mit Bräuchen, Festen und Feiern. In jeder katholischen Messe wiederholt der Priester die Worte Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Vom Begründer der jüdischen Neuorthodoxie, Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888), stammt das Wort „Der Katechismus des Juden ist sein Kalender.“ Ein Katechismus zum Leben, nicht zum Auswendiglernen.[72]

  • Religiöse Komponente

    Ursprünglich hatten viele Bräuche einen religiösen Hintergrund. Die Völker der antiken Welt unterschieden nicht zwischen religiösen und profanen Festen. Auch ein Blick in unseren Kalender zeigt: Fast alle arbeitsfreien Tage sind kirchliche Feiertage. In einer OGM-Umfrage zu Ostern 2000 stand für 40 % der Österreicher/innen allerdings der Erholungs- und Freizeitaspekt im Vordergrund, nur 22 % betonten die religiöse Bedeutung. Als „wichtigstes Fest“ nannten 68 % Weihnachten und 12 % Ostern. Für 13 % bedeuteten kirchliche Feiertage „nichts Besonderes“.[73]

  • Strukturieren der Zeit – soziale Komponente

    Die Sabbatpraxis der Juden ist in historischen Texten seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. Nach den ältesten Quellen war der „siebente Tag“ primär eine soziale Einrichtung. Erst nach dem babylonischen Exil (587–539 v. Chr.) bezog man den Sabbat auf Jahwe und sah die Heiligung des Tags als Zeichen der Treue ihm gegenüber an.[74] Für die Christen war das Sonntagsgesetz Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321 von entscheidender Bedeutung: Arbeit, außer Feldarbeit, war am Sonntag verboten. Durch diese Regelung wurde der Herrentag der christlichen Kirche und deren Liturgie ehrend hervorgehoben und den Soldaten der sonntägliche Gottesdienst verordnet. Als Theodosius I. 380 das Christentum für alle Staatsangehörigen zur verpflichtenden Religion erklärte, wandelte sich die kirchliche Sonntagspflicht zum Staatsgesetz.[75]

    Der Kirchgang war früher in ländlichen Regionen zwar streng kontrolliert, der Messbesuch aber praktisch die einzige Freizeit der Knechte und Mägde – da waren sogar lange Predigten willkommen. Weit entfernt von 8-Stunden-Tag und 35-Stunden-Woche wurde die Sonntagspflicht so zum Sonntagsrecht. In der Nonstop-Gesellschaft arbeiten (1998) mehr als eine Million Österreicher/innen (27,6 % der Erwerbstätigen) am Sonntag, 15 % regelmäßig. Die Tendenz ist steigend: 1996 waren es 27,1 %, 1997 schon 27,2 %.[76] Diese Prozentsätze übertreffen den Messbesuch: 2002 nahmen nur 14 % der Österreicher/innen daran teil.

  • Kontrollierte Entgrenzung

    Als Gegenwelt zum Alltag erlauben Bräuche gewisse Ausschreitungen. Alkoholkonsum (auch erhöhter) ist bei Festen üblich. Im Kontext des Brauches werden Diebstahl (Maibaumstehlen ...), Gewalt (Kirtagrauferei ...) Sachbeschädigung (Walpurgisnacht ...) und Beleidigungen (Schandmai ...) akzeptiert: „Bestimmte Termine sind der Anlass für einen in Regelmäßigkeit und vorgegebenen Formen praktizierten Ausnahmezustand. Die von der Öffentlichkeit beklagten Ausschreitungen bezeugen, dass direkt in der Nachbarschaft [...] der Riese der Anarchie schlummert, der aber [...] so weit gebändigt ist, dass er sein Erwachen an bestimmte Termine und Formen hält. [...] Der Brauchtermin gestattet alle möglichen Grenzüberschreitungen, die sich uns als Sehnsucht, der ordentlich geregelten Welt tagweise zu entkommen, offenbart. Die Verbindlichkeit des kulturellen Regelwerks ist so beengend geworden, dass befreiende Akte unumgänglich erscheinen. So ist das Reglement der Bräuche eine Art doppelter Boden, der hinter den Alltagsregeln wirkt und sowohl die Enthemmung wie ihre Regelmäßigkeit garantiert“, schreibt Utz Jeggle.[77]

    Ein Beispiel dafür waren die Narrenfeste der Subdiakone (asinaria festa, festum stultorum, festum follorum, festum baculi), die im Mittelalter rund um den Neujahrstag stattfanden. Ein Narrenbischof regierte die verkehrte Welt. Geistliche tanzten und sprangen um den Altar, sangen Parodien auf Kirchenlieder und ahmten Tierlaute nach. Sie ließen sich auf Karren durch die Stadt führen und bewarfen die Passanten mit Unrat. Der Clemencic Consort hat im Fasching 2002 aufgrund bisher unveröffentlichter Manuskripte die Musik eines Eselsfestes aus dem 13. Jahrhundert im Wiener Musikverein rekonstruiert.[78]

  • Wirtschaftliche Aspekte

    Schon bei den antiken Wallfahrtsfesten gab es Kreise, die vom Fest profitierten. An katholischen Pilgern verdienen nicht nur die Kirche, sondern auch Devotionalienhändler, Wirte und andere. Feuerwehrfeste sind deklarierte Fundraising-Aktionen. Bei Einkaufsstraßen- und anderen Cityfesten liegt der Anlass zur Durchführung überhaupt in der Gewinnabsicht.

  • Leib und Seele ansprechen

    Der Theologe Harvey Cox führte 1972 in seinem Werk „Das Fest der Narren“[79] die „Wiedergeburt des Geistes der Festlichkeit und der Phantasie“ zu einem Gutteil auf die Hippiebewegung der 1960er-Jahre und die New-Age-Welle zurück. Inzwischen sind „ganzheitliches“ Denken und Fühlen nicht nur für jugendliche Menschen wichtig geworden. Dies holt auch Bräuche von Randbereichen in die Mitte des Lebens. Für die Veranstalter der alten Feste war es selbstverständlich, alle Sinne anzusprechen, Rationales und Emotionales zu verknüpfen. Meister dieser Gesamtkunstwerke waren seit der Gegenreformation die Angehörigen der Gesellschaft Jesu. In der katholischen Reformation wurden z. B. Fronleichnamsumzüge, Lieder, (Krippen-)Spiele vom Jesuitenorden so geschickt inszeniert, dass sie rasch populär wurden und heute als „Volksbräuche“ gelten. Zum Mysterium gesellte sich Segen für den Alltag, vom frommen Volk teils mit Zauberglauben verbunden.

  • Lebenshilfe

    Bräuche und Rituale haben das Leben der Menschen von der Geburt bis zum Tod begleitet und der Begrenztheit des Lebens eine Perspektive gegeben. In der modernen Gesellschaft dominieren Allmachtsfantasien und der Wunsch nach Kontrolle über das Leben. In der Industriegesellschaft mit ihren komplizierten Strukturen sind Rituale zum Bedarfsartikel geworden. So bietet der Franziskanerpater Richard Rohr z. B. Initiationsrituale für Männer an und erfreut sich einer wachsenden Fangemeinde.[80]

    Der 1992 verstorbene, große österreichische Denker und Nationalökonom Friedrich August von Hajek sah in Bräuchen eine Überlebenshilfe. Der Theologe Herbert Rauchenecker nennt eine Reihe von Braucheigenschaften, die „zur Lebensbewältigung und zur Lebensfreude beitragen können“: Ein Kind, dessen Geburtstag gefeiert wird, fühlt sich geliebt und ermutigt. Wer sich über die Schultüte freut, hat weniger Angst vor dem neuen Lebensabschnitt. Ein Leichenmahl kann die Trostlosigkeit mindern.[81]

2.1.2.3. Cityfeste

Diese neuen Feste unterscheiden sich grundsätzlich von alten Bräuchen durch: professionelle Planung und Durchführung, breites Programm, Marketing, Medienpräsenz, Prominenz und Sponsoren. Die früher unumgänglichen Aspekte Tradition/Gemeinschaft/Religion spielen keine Rolle. Zeichnete bei alten Bräuchen eine Gruppe (Burschenschaft, Feuerwehr ...) für die Ausrichtung verantwortlich, so sind es bei Cityfesten meist Organisationen (politische Parteien, Kaufleute einer Einkaufsstraße ...), die sich professioneller Hilfe bedienen. Bei alten Bräuchen kam dem Publikum bei der Vorbereitung und Durchführung eine bestimmte Rolle zu. Die engere oder weitere Bindung zum Brauchgeschehen war durch eine festgelegte Rollenverteilung bestimmt. Bei den neuen (City-)Festen der Erlebnisgesellschaft ist das Publikum an der Vorbereitung nicht beteiligt, kann/soll aber bei der Veranstaltung selbst aktiv werden. Viele Events leben geradezu von der Aktivierung der Teilnehmer (Marathon, Tanz, Speakers Corner, Karaoke, Kinderprogramme ...). Prominente Personen/Politiker sind sowohl Publikum als auch Akteure.

Das Programm der neuen Bräuche ist breit gefächert – von jeder Art Kultur über Sport, Kinderprogramme, folkloristische Elemente bis zu Animationsangeboten ... Im Mix liegt der Erfolg. Essen und Trinken (am besten gratis) steigern das Vergnügen. Während alte Bräuche meist an Kalendertermine gebunden sind, entstehen neue nach Anlässen. Für öffentliche Events bieten sich öffentliche Areale an. Alte Bräuche hatten religiöse, ökonomische, psychologische Motive, hinter neuen stehen meist wirtschaftliche, politische oder kulturelle Gründe. Das Publikum soll sich unterhalten, aber auch kaufen, wählen ... Die Zahl der Zuschauer steigert sich um ein Vielfaches, wenn das Ereignis entsprechendes Medienecho findet. Es scheint, als würden Ereignisse überhaupt erst zu solchen, wenn Fernsehteams oder die „Seitenblicke-Society“ auftauchen.

Es gibt heute keinen Grund, kein Fest zu feiern – und es gibt immer mehr Feste. Ihre „Sprache“ versteht jeder. Wer will, gehört dazu, doch niemand ist verpflichtet, daran teilzunehmen. Das alte Gesetz des „schon immer so“ löst sich in ein Bündel von Einzelmotiven auf, die Bräuche zwar instabil machen, dem Einzelnen aber Wählbarkeit, Ablehnungsmöglichkeit und die Chance zum Erfinden von immer Neuem geben.

2.1.2.4. Dorf

Das althochdeutsche Wort „Dorf“ bedeutete „bäuerliche Siedlung“ bzw. „Acker“. Im 16. Jahrhundert wurde daraus der wenig schmeichelhafte „Tölpel“ abgeleitet.[82] Wolfgang Kaschuba charakterisiert die Zeit um 1800, als die Volkskunde entstand: „Verbindendes Element ist in gewisser Weise ein ‚provinzieller Charakter‘ des Alltagslebens: 90 % der Bevölkerung wohnen auf dem Lande in kleinen Dörfern, die großen Städte zählen kaum 10.000 Einwohner, drei Viertel der Menschen leben von der Landwirtschaft. Lokal übergreifende Medien in Form von Büchern und Zeitungen gibt es erst in Ansätzen, nicht zuletzt deshalb, weil sich erst jetzt in einem breiteren Publikum Lesefähigkeit und deutsche Hochsprache durchzusetzen beginnen. Jene bürgerlichen Zirkel, die sich damals für Trachten, Bräuche, Märchen usw. interessierten, mussten nicht lange suchen, um das ‚einfache Volksleben‘ zu finden. Sie wollten sich der Geschichte vergewissern, um die Gegenwart nicht an eine ungewisse Zukunft zu verlieren.“[83]

Neuere Forschungen strafen romantische Vorstellungen von einer geschlossenen Bauerngemeinschaft Lügen. Es hat immer Arme und Reiche, soziale Schichten und Interessensgruppen, Meinungsbildner und Randständige, Angepasste und Aufmüpfige mit ihren spezifischen Kulturen gegeben. Die Dorfwelt war und ist nicht die heile Welt. Allzu oft wandelt sich die viel gelobte Gemeinschaft in soziale Kontrolle. Die sich als Gemeinschaft gebärdende dörfliche Gesellschaft legte unerbittlich fest, was normal war und schuf sich so ihre Außenseiter, betont Utz Jeggle: „Jede Integration bedeutet auch eine Distinktion, jede Zusammengehörigkeit das Ausgrenzen von Nicht-Zugehörigen. Der Code der Bräuche hat keine Esperanto-Tendenz im Grenzüberschreiten, sondern setzt bewusst Grenzen, die ein- und ausklammern. Indem sie einen Platz in der sozialen Topographie einräumen, weisen sie einen solchen auch zu.“[84]

Die Gegenüberstellung von Dorf und Stadt ging nicht wertfrei vor sich, Deutung und Erkenntnis waren und sind zeitgebunden. Während die einen Dorf als Synonym für Rückständigkeit sahen, feierten Literaten der Jahrhundertwende die „Entdeckung der Provinz“. Für Peter Rosegger und Hermann Bahr wurde das Ländliche damit kulturell nobilitiert.[85] Die nostalgische Begeisterung für „Bauernmöbel“ und aus dem Zusammenhang gerissene, umfunktionierte Arbeitsgeräte (Bügeleisen mit „Bauernmalerei“ ...) reicht bis in die Gegenwart.

Wolfgang Kaschuba weist darauf hin, dass im Dorf Tradition und Kontinuität nicht nur deshalb erhalten geblieben sind, weil man bewusst an ihnen festhalten wollte, sondern mehr noch, weil man offenbar den Anschluss verpasst hätte. Bei Studien aus den 1950er- und 1960er-Jahren stieß der Forscher auf „tief verwurzelte ländliche Minderwertigkeitskomplexe“.[86] Seither haben sich kulturelle Bewertungen wieder geändert: Was an den Rand der Moderne abgedrängt schien, steht heute vielfach im Mittelpunkt von fortschrittsskeptischen Vorstellungen eines ökologischeren, sozialeren, menschlicheren Lebens. „Region“, der von gemeinsamen Merkmalen geprägte Bereich, wird als abgegrenzter Identifikationsraum verstanden. Regionalismus als politisch-kulturelle Einstellung gilt als Gegenentwurf zur Globalisierung. Kommunikationstechniken ermöglichen völlig neue Formen regionaler Kompetenz. Die Kontraste verwischen sich, das „flache Land“ holt auf. Matthias Horx spricht z. B. von „Provinzsinglisierung“: „In einem agrarisch geprägten Flächenstaat wie Bayern stieg die Anzahl der Einpersonenhaushalte 1993 auf eine Rekordmarke von 34 Prozent, dabei waren die Ledigen mit 46 Prozent die größte Gruppe.“[87]

2.1.2.5. Echt oder schlecht?

„Echt ist das, was ‚Teil von uns‘ ist, und dieses Eigene ist bedroht“, weiß der Trendforscher Matthias Horx. Die Wirtschaft begegnet dem Gefühl der Bedrohung mit dem „Mythos Authentic“. Retrotrend, Purifikation, Patina-Stil, Regionalismus, Nostalgievarianten sind weitere Stichworte dazu. Sie alle versprechen, das Bedürfnis nach dem unverwechselbaren Ich-Sein zu stillen: „Etwas haben (eine gewachsene Geschichte, eine Eigenschaft), das andere nicht haben und per definitionem nicht haben können – man könnte authentisch auch mit Eigen-Sinn übersetzen“, schreibt Horx und: „Authentizität ist etwas Scheues, wenn man zu sehr darauf starrt, läuft sie davon oder beginnt zu flimmern. Wenn man sie zu objektivieren versucht, verblasst sie vor dem geistigen Auge zu einem vagen Schein.“[88]

Eigen-sinnige Nostalgiker sind nicht erst eine Erscheinung der jüngsten Jahrhundertwende. Die Brüder Grimm zählen ebenso dazu wie die Anhänger der Heimatschutzbewegung, die sich 1904 in Dresden und 1912 in Österreich organisierte. Sie wollten auf den Gebieten Ortsbild- und Landschaftspflege, Denkmal- und Naturschutz und „Volkskultur“ eine „Linie zwischen dem guten Eigenen und dem schlechten Fremden“ ziehen. Das Steirische Heimatwerk kreierte in den 1930er-Jahren wappenschildförmige Etiketten, um „guten und bodenständigen Geschmack breitenwirksam zu vermitteln.“[89] Ein Teil der volkskulturell Engagierten folgt nach wie vor dieser Linie. Mit Akribie werden Fakten gesammelt und Kriterien aufgestellt, wo die Grenze zwischen echt und unecht verlaufe. Man will sich, seine Produkte und Produktionen abgrenzen vom Unechten, worunter das Schlechte, Minderwertige, Kitschige verstanden wird. Für Bräuche wünscht man sich ein akademisches Echtheitszertifikat. „Umadum im Alpenland tragt ma heut dei Dirndlgwand [...] Aufm Tanzbodn und im Stall, anziagn kann mans überall / außerm Stadel vom Herrn Moik tragts dös ganze Volk. / Du bist echt, dös siagst sofort, hast dafür an Doktorhuat / Edelweiß und Stöckerlschuah ghörn da net dazua [...]“, sang 1999 der Weyregger Kinderchor für Gexi Tostmann.

Die solcherart Geehrte studierte Volkskunde und ist Eigentümerin einer alteingeführten Trachtenfirma im Salzkammergut und in der Wiener Innenstadt. Durch ihre Arbeit und in zahlreichen Publikationen zeigt sie kreative und individuelle Trachtenmode. So zitiert sie u. a. die Herausgeberin einer der in der Nachkriegszeit beliebten Trachtenmappen, die meinte, zur „Echtheit der Tracht“ gehöre die „Echtheit der Träger“, Trachtentragen erfordere „aufrechte Gesinnung und Zucht“. Gexi Tostmann hält dem entgegen: „Das stellt mich vor ein Problem. Ich bin eine begeisterte Dirndl- und Trachtenträgerin, womit aber soll ich meine Echtheit beweisen? [...] Mit solchen Klischees wird die bunte, oft Lebensfreude versprühende, manchmal auch Armut und Kargheit signalisierende bodenständige ‚Volkstracht‘ verlogen.“ Sie erinnert sich an die Tanzunterhaltungen ihrer Mädchenzeit im Ausseerland, „während das ‚echte‘ Volkstanzen eher einem hehren Lämmerhüpfen glich.“[90]

Der Etymologie-Duden führt das Wort „echt“ auf ein mittelhochdeutsches Substantiv zurück, das „Recht, Gesetz, Ehevertrag“ bedeutete, und verweist auch im Artikel „Ehe“ auf dieses Wort (e, ewa). Weiter heißt es: „Heute ist ‚echt‘ meist nur Gegenwort zu ‚falsch, künstlich, nachgemacht‘.“[91] Es geht ursprünglich um Rechte, Gesetze, aber – Ehe – auch um Leben. Ordnung soll ins Leben gebracht werden, Grenzen sollen schützen. „Echt“ und „recht“ auf der einen Seite, „schlecht“ auf der anderen. Beim Kauf von Wertgegenständen, wie Schmuck oder Orientteppichen, dienen Kriterien für das Echte zweifellos dem Konsumentenschutz: Der Interessent soll vor Ramsch bewahrt werden. Beim Kunstwerk und der Abgrenzung zur Fälschung kommt noch der Mythos des Originals dazu.

Aber wer bestimmt die Kriterien „echter Bräuche“ und welche Interessen werden dabei verfolgt? Kommerzielle (z. B. Tourismus)? – Idealistische (z. B. Bewahren von Kulturgütern)? – Ideologische? Ist der Nikolo im Ornat aus der Pfarrkirche „echter“ als ein anderer? Auf manchen Weihnachtsmärkten erklingt Volksmusik über Lautsprecher, Duftwolken ätherischer Öle umwehen die Besucher und die Produkte vom Bauernhof tragen ihr Ablaufdatum auf dem Etikett. Sind sie deshalb „echter“ als der moderne Adventzauber? Wenn der, die oder das „Letzte/Alte ...“ aus der anonymen Alltäglichkeit ins TV-Scheinwerferlicht gerückt oder „echte Volksmusikanten“ ins hoch technisierte Studio gestellt werden, verfremdet die Ent- und Neukontextualisierung. Kommunikation und Reflexion führen zu Veränderungen.

Worin liegt die Faszination des Echten im Zeitalter des „zweiten Universums“ (Sammelbegriff für das Entstehen einer künstlichen Wirklichkeit durch Medien, Simulationstechniken, Themenparks, künstliche Freizeitparadiese, Computernetze etc.)? „Fast immer erzeugen schnelle Technologieschübe ‚Wertebeben‘. Fast immer ‚wehrt‘ sich die Gesellschaft gegen Innovation. Fortschritt und Wandel sind begleitet von Angst- und Fluchtreflexen. Mindestens die Hälfte aller großen Trends sind ‚Retro-Trends‘, also Trends, deren Hauptfunktion eine ‚Bewältigungsoperation‘ in unserer Kultur ausdrückt“, weiß die Trendforschung.[92] In der Erlebnisgesellschaft steigt der Wert des Abenteuers. Urlaubsorte schmücken ihre Angebote mit dem Prädikat „echt“ und inszenieren – mehr oder minder gekonnt – nostalgische Scheinwelten: Vermeintlich unberührte Landschaften bevölkert von urtümlich-kernigen Burschen und jungen Frauen, die den Gästen herzlich zugetan sind. Und „natürlich“ dürfen die entsprechenden „echten“ Bräuche nicht fehlen.

Wie Rituale in der Wirklichkeit aus zweiter Hand entstehen, zeigt die Gattung des Reality-TV, auch „Echtmenschen-Fernsehen“ genannt. Nicht verfilmte Literatur oder Drehbücher werden in Szene gesetzt, sondern die Beobachtung „ganz normaler“ Leute in ihrem vermeintlichen Alltag. Dutzende Kameras verfolgen wochenlang den Tages- und Nachtablauf der Kandidaten. Das Publikum wird Zeuge jeder Banalität, sowohl in Fernsehsendungen als auch via Internet. Es bestimmt auch, wer letztlich in der Gruppe überlebt und wer sie verlassen muss. Vorbild dieses Fernsehformats war die Realityshow „Big Brother“ des deutschen Privatsenders RTL II. Die österreichische Variante „Taxi Orange“ wurde fast von jedem Zweiten in der Zielgruppe der 12- bis 29-Jährigen regelmäßig gesehen. Bei den 12- bis 49-Jährigen lag der Marktanteil bei 38 %. Im Durchschnitt sahen 654.000 Personen die ORF-Realitysoap im Hauptabendprogramm.

Erscheint es zunächst müßig, die Frage „echt oder unecht?“ zu stellen – immerhin sind die bei Bräuchen handelnden Personen Menschen aus Fleisch und Blut und keine Avatare –, so ist sie doch keineswegs überholt, sondern zeitgeistig. Das Interesse an Authentischem überschreitet die Grenzen der Fachdisziplinen. In der non-direktiven Gesprächstherapie nach Carl Rogers (1902–1987) ist Echtheit neben Wertschätzung und Empathie einer der Schlüsselbegriffe: Der Berater spielt dem Klienten gegenüber nicht die Rolle des distanzierten Experten, sondern bringt auch seine Gefühle in das Gespräch ein. Worte und Nonverbales stimmen überein (Kongruenz). Agiert jemand (z. B. in einer Familie) ständig inkongruent, wissen die anderen nicht, woran sie sind. Es kommt zum Effekt des Doublebind, einer Ursache von Schizophrenie.[93] Von seiner Funktion abgespaltenes „Brauchtum“, vor Publikum dargeboten, erscheint inkongruent. Wie fühlen sich die brauchtümlich Agierenden in ihrer Rolle? Können sie die Trachten(ver-)kleidung nach der Vorführung ablegen wie ein Theaterkostüm? Wer weiß, dass er als Ausübender der Tourismusindustrie zahlenden Gästen etwas vorspielt, ist nicht im Gewissenskonflikt und somit „echt“. In der non-direktiven Beratung ist Spontaneität wichtig. Spontaneität gilt auch als Kriterium „echter“ Volksmusik. Nicht-wertendes, einfühlsames Verstehen fremder Erlebniswelten wäre nicht nur für Therapeuten, sondern auch für volkskundliche Beobachter empfehlenswert.

2.1.2.6. Feste und Feiern

„Fest“ oder „Feier“, das kann einen Unterschied machen, obwohl beide Worte denselben Ursprung haben und meist synonym verwendet werden. Im Etymologie-Duden liest man, dass Feier vom lateinischen Wort „feriae“ – Festtage, geschäftsfreie Feiertage, Ruhetage – kommt, von dem sich auch unsere Ferien ableiten. Das lateinische Substantiv stammt aus der Sakralsprache und bedeutete ursprünglich „die für die religiösen Handlungen bestimmten Tage“. Das Adjektiv „festum“ hieß „die für religiöse Handlungen bestimmten Tage betreffend, festlich, feierlich“. Im Deutschen findet sich „festum“ seit dem 13. Jahrhundert als Lehnwort. Hier wird auf das seit dem 18. Jahrhundert in der Studentensprache üblich gewordene Wort „Fete“ verwiesen.[94] Dabei bahnt sich ein Bedeutungswandel an: einerseits „Feier“ mit dem Anklang an das Religiöse, Ehrwürdige, Zeremonielle, andererseits „Fest“ als das eher Profane, Fröhliche, Spontane. Oft schließen sich Feste der (offiziellen) Feier an: Das Hochzeitsfest der Trauung, das Promotionsfest der akademischen Feier, das Volksfest der Eröffnungszeremonie. Dennoch bedingen beide Elemente einander. Das zeigen Redewendungen wie: „Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.“

Die einzige Landesausstellung, die 2002 in Österreich zu sehen war, fand im oberösterreichischen Stift Waldhausen unter dem Titel „Feste feiern“ statt. Im Werbetext hieß es: „Was wäre ein Leben ohne Fest? Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr würde vergehen, unser Alltag wäre eintönig, es gäbe nur wenig, worauf wir uns freuen könnten.“ Ein umfassendes Begleitprogramm ermöglichte den Vereinen des Landes, „ihre ganz individuellen Feste in Waldhausen zu feiern. Zu diesem Zweck wird im ehemaligen Stiftsgelände ein Pavillon errichtet, der über die notwendige technische Infrastruktur verfügt. Volkskulturelle Feste und Brauchtumsveranstaltungen werden genauso auf dem Programm stehen wie Musik, Theater, Spiel und Tanz.“ In den fünf Monaten der Ausstellungsdauer waren 75 Feste vorgemerkt.

Der Theologe Harvey Cox bezeichnet Festlichkeit als sozial anerkannte Gelegenheit für den Ausdruck von Gefühlen, die normalerweise vernachlässigt werden. Er nennt drei Elemente: die festliche Bejahung, den Exzess und den Kontrast zum Alltag.[95] „Saure Wochen! Frohe Feste!“ Prägnanter könnte kein Werbetexter den Sinn alter und neuer Bräuche ausdrücken als Johann Wolfgang von Goethe in seinem „Schatzgräber“. Feste akzentuieren den Alltag und den Lebenslauf, sie geben dem Zeitbrei die Würze. Sie sorgen für den Rhythmus, den Menschen brauchen wie Atmen, Herzschlag, Spannung und Entspannung. Der zielgerichteten Arbeit steht das zweck-lose Fest gegenüber. Das Alltagsleben entfremdet, das Fest macht Arbeitstiere wieder zu Menschen.

Das Denkmodell des französischen Ethnologen und Anthropologen Claude Lévi-Strauss lässt sich auf die Festkultur anwenden. Er sucht nach strukturellen Gesetzmäßigkeiten und schreibt 1955: „Die Gesamtheit der Bräuche eines Volkes ist stets durch einen Stil gekennzeichnet; sie bilden Systeme. Ich bin davon überzeugt, daß die Anzahl dieser Systeme begrenzt ist und daß die menschlichen Gesellschaften genau wie die Individuen – in ihren Spielen, ihren Träumen, ihrem Wahn – niemals absolut Neues schaffen, sondern sich darauf beschränken, bestimmte Kombinationen aus einem idealen Repertoire auszuwählen, das sich rekonstruieren ließe.“ Er wollte nicht nur ein Ordnungsschema erstellen, sondern auch Entwicklungsmöglichkeiten Raum lassen, die sich spontan ergeben.[96]

Es gibt keinen treffenderen Vergleich für Feste und Bräuche als den mit der Sprache: Sprache lebt und Feste leben. Es entstehen ständig neue Ausdrucksformen. Manches wird importiert, das eine kommt, das andere geht. Nicht alles gefällt allen. Einzelne, Familien, Gruppen haben ihren eigenen Sprachschatz und ihr eigenes Ritual-Repertoire. Aus einem beschränkten Alphabet lassen sich ein umfassender Wortschatz und unendlich viele Sätze (Brauchhandlungen) zusammenstellen. Sie folgen einer bestimmten Grammatik und Logik. Der kommunikative Code ist von Eingeweihten entzifferbar und macht die Entzifferer zu Eingeweihten. Grundlegende Symbole finden sich in allen Kulturen und Religionen: Licht, Wasser, Feuer, Musik, Blumen, Duft – ob Weihrauch oder Räucherstäbchen. Feste/Bräuche sprechen sämtliche Wahrnehmungskanäle an: sichtbar, hörbar, spürbar, Bewegung, Geschmack, Geruch. Man merkt, dass es sich zumeist um Feste für alle Sinne, um Bräuche für Leib und Seele handelt, deren Elemente in einer bestimmten Dramaturgie folgen.

  • Licht

    Eine ganze Reihe Feste/Bräuche spielt mit dem Licht als optisch attraktivem Darstellungsmittel. Feuer, Kerzen, Fackeln, Laternen unterscheiden sich vom alltäglichen Beleuchtungszweck. Feuerbräuche haben ihren archaischen Reiz in Zeiten des Stroms aus der Steckdose nicht eingebüßt. Dazu kommt viel Neues, von selbst gestalteten Kerzen für Familienfeste bis zu Kerzen und Fackeln als Demonstrationsrequisit.

  • Kleidung/Verkleidung

    Kleidung ist Schmuck und Schutz. Sie zeigt Zugehörigkeit und macht Eindruck. Sie verbirgt oder verdeutlicht Gefühle. Sie kann in Hochstimmung versetzen oder demütigen. Von der Zeit Karls des Großen bis zum Barock mussten sich die Untertanen an Kleiderordnungen halten. Bauern durften nur minderwertige, ungefärbte Stoffe verwenden. Verkleiden verändert die Identität. Es macht den Reiz des Faschings und der Masken aus, in eine andere, bunte Haut zu schlüpfen, und sei es nur für einen Abend. Jugendliche definieren ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Szenen durch Kleidung bestimmter Marken. Demonstrative Umzüge in bestimmter Kleidung – Uniform, Tracht – stimulieren das kollektive Bewusstsein. Oft drücken schon Kleinigkeiten wie Accessoires oder Abzeichen Gruppenzugehörigkeiten aus.

  • Geräusche

    Böllerschießen, Glockenläuten oder lautstarkes Begrüßen eines neuen Jahres ...: Freude spielt bei Lärmbräuchen ebenso eine Rolle wie Angst. Akustische Signale akzentuieren den Ablauf. Der gute (passende) Ton hängt von der Festzeit ab. Deutlich wird das im Wechsel von den Glocken zu den Ratschen vor Ostern und dem Jubel der Orgel und Glocken in der nächtlichen Feier. Feiern und Ehrungen bedürfen der musikalischen Umrahmung. Im Bierzelt spielt die Blaskapelle. Tänze zur Musik vermitteln Lebensintensität.

  • Symbole und Rituale

    Symbole geben dem Festgeschehen Sinn, sie verweisen auf den Lebenszusammenhang und die Geschichte, die dahinter steht. Rituale sind „Symbole in Aktion“, sie werden beschrieben als „expressive institutionalisierte Handlung oder Handlungssequenz“. Beispiele dafür sind Festreden, Gebete, Predigten, Sprüche, Lieder, Wettkämpfe, Tänze, Umzüge, Heischen, Spenden, Essen, Trinken.

  • Dramaturgie

    Feste/Bräuche werden inszeniert. Ein typisches Unterscheidungsmerkmal zum Alltag besteht darin, dass dieser eher unreflektiert gelebt wird und das Fest durch bewusste Gestaltung und (zumindest teilweise) bewusstes Mitfeiern gekennzeichnet ist. Beliebiges Aneinanderreihen von sinnlichen Effekten, Symbolen und Ritualen macht noch lange kein Fest. Die Illusionsmanager in Disneyland wissen, wie sie ihre Show wirkungsvoll gestalten: Anfang und Ende werden mit Ritualen markiert. Umzüge strukturieren Zeit und Raum, verschiedene Schauplätze werden ausgewählt, Symbole rufen Assoziationen hervor. Wiederholungen, Kontraste, Harmonie, Uniformität werden nach genauen Spielregeln eingesetzt, ebenso komische Elemente wie Spott, Scherze oder Parodie. Und die Mission des Unternehmens lautet: „to make people happy“.

2.1.2.7. Germanen und Kelten

„Die Kelten sind, nach dem die Germanen für viele nicht mehr ganz salonfähig scheinen, unsere mittel- und westeuropäische Vergangenheit, deren Spuren wir in der Landschaft finden, deren Werke wir in den Museen bestaunen und von denen wir uns wünschen, sie hätten uns sozusagen noch posthum als ihre geistigen Kinder adoptiert.“ So formuliert Helmut Birkhan, Professor an der Universität Wien, in seinem Werk „Kelten. Bilder ihrer Kultur“ die Faszination, die seit Jahrhunderten von deren archaischer, aber vergleichsweise rückständiger Kultur ausgeht. „Nicht erst seit es eine Kelten-Esoterik gibt [...], vor 200 Jahren auf dem Höhepunkt der Ossian-Schwärmerei haben die Kelten schon einen ganz ähnlichen Zauber ausgeübt [...]. Die Griechen und Römer hat an den Kelten fasziniert, dass dieses ‚Barbarenvolk‘ augenscheinlich in eben jener Kultur steckte, die Homer und andere große Sänger als ihre eigene heroische Vorzeit besungen hatten.“[97]

Die Sehnsucht nach dem „Urzustand“ der eigenen Kultur, nach „uralten“ Bräuchen und Mythen fand lange Zeit in der germanischen Lebenswelt ihre Erfüllung. Schon im 12. Jahrhundert wurde den Deutschen empfohlen, sich nicht mit den Römern zu identifizieren, sondern die Germanen als Vorläufer des Deutschtums heranzuziehen.[98] Deutscher Patriotismus fand sich in maria-theresianischer Zeit in den Liedern der Volkskomödie. So schrieb Philipp Hafner (1735–1764), der es wie kaum ein anderer verstand, seinen Zeitgenossen aufs Maul zu schauen, das Stück vom kroatischen Bauern, der wegen seiner Nationalität von der angebeteten Wienerin abgewiesen wird.[99] Die frühen Volkskundler (und nicht nur diese) wurden zu wilden Fantasien angeregt, denen die Ideologien auf dem Fuß folgten.

Die Brüder Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859), die zu den Ahnherren des Faches zählen, waren Germanisten. Sie sahen im „Singen und Sagen im Volk“ Überlieferungen eines „Volksgeistes“, der für sie deutschen Nationalgeist verkörperte. Ihre Auffassung eines „Deutschtums“ baute auf der Vorstellung unveränderlicher Kulturgüter auf. „Dass ihre Dokumente, die Volkslieder und Volksmärchen, oft weniger dem Volke von den Lippen abgelauscht als vielmehr von den Lehrern oder Pfarrern als Gewährsleuten zusammengetragen worden sind, dass es sich vielfach um Neu- oder Nachdichtungen bürgerlicher Romantiker handelt, dass sie nicht die Variationen der Stoffe über die Zeit untersuchen, sondern an feste, stabile Form glauben, in der sich ‚Kontinuität‘ auch inhaltlich erhalten habe, tritt gar nicht in ihr Problembewusstsein. Sie finden eine Tradition, die sie zugleich auch selbst erfinden,“ weiß Wolfgang Kaschuba und folgert: „Der Nationalismus benötigt Ursprungsmythen und Gemeinschaftsgefühle, um der Geschichte Zukunftsvisionen abzuringen.“[100] Die weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert ist bekannt – und im Sammelband „Völkische Wissenschaft“, einer kritischen Schrift zur NS-Zeit, detailliert nachzulesen.[101]

Der Berliner Journalist Rüdiger Sünner hat in seinem Film bzw. Buch „Schwarze Sonne“ Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik dargestellt. Er erinnert daran, dass der „Germanische Frühling“ als neuheidnischer Aufbruch Jahrzehnte vor der Jahrhundertwende begann: „Ein anschauliches Beispiel dafür liefert etwa der österreichische Schriftsteller Guido von List (1848–1919), dessen Bücher später einigen Einfluss auf völkisch-germanische Gruppen sowie auf Himmler und Hitler haben werden. Bereits um 1870 durchstreift er die Wälder seiner Heimat, um sich fernab der Städte in den Zauber von Burgruinen, geheimnisvollen Plätzen und Kultstätten zu versenken, von wo er sich neue Kraft und Inspiration erhofft. [...] Dazu zählen unterirdische Höhlen und Gangsysteme, ,heilige Berge‘, alte Brunnen, Hünengräber und Steinsetzungen, bei denen er zuweilen ganze Nächte verbringt, um nach einigen Flaschen Rotwein im Rauschen der Bäume die Stimmen von Göttern zu hören. [...] List kümmert sich nicht um Genauigkeit, sondern ist rauschhaft besessen von der Rekonstruktion einer ehemaligen ‚Wotansreligion‘, in der er das älteste und erhabenste Glaubenssystem der gesamten Menschheit zu sehen glaubt. Die einsamen Exkursionen dehnen sich bald zu rituellen Feiern aus, bei denen auch Freunde und Interessierte anwesend sein dürfen.“[102]

In Sünners Recherchen begegnet die Sommersonnenwende – bis in die Gegenwart – immer wieder als herausragender Termin solcher Feste. So schreibt er über neogermanische Gruppen: „In z. T. altertümlichen Trachten treffen sie sich an ‚heiligen Plätzen‘, um bestimmte heidnische Hauptfeste zu feiern [...]. Dass es keinen Beweis dafür gibt, dass sich an dieser Stelle eine germanische Kultstätte befunden hat, interessiert die wenigsten. Als Wikinger, Hexen oder Schamanen verkleidet, steigern sie sich mit ekstatischer Trommelmusik in die Vorstellung einer heidnischen Urzeit hinein [...]. Trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtung haben all diese Gruppen das gemeinsame Ziel, die keltisch-germanische Glaubenswelt Europas wiederzubeleben, die durch den jüdisch-christlichen Monotheismus brutal ausgerottet worden sei.“[103] Der renommierte Keltologe Helmut Birkhan führt aus, dass es zwei keltische Kalendersysteme gegeben habe, von denen eines von den bronzezeitlichen Vorsiedlern übernommen worden sein dürfte. Bei beiden spielten aber weder die Sonnenwenden noch die Tagundnachtgleichen eine Rolle.[104]

2.1.2.8. Heimat

„Heimat“, „Ordnung“ und „Sicherheit“ sind nach Meinung der Österreicher/innen Ende 2001 die sympathischsten Worte. Das Linzer IMAS International hatte schon im August 2000 tausend Befragten 34 Begriffe vorgelegt – die Genannten erhielten wiederholt die höchste Zustimmung. 1997 bezeichneten sich in einer IMAS-Umfrage 52 % der Österreicher/innen als heimatverbunden.

Aus dem „Wörterbuch der deutschen Volkskunde“: „Heimat (ahd. Heimoti, Gut, Anwesen). Die Landschaft mit ihren Menschen, die uns durch Geburt und Jugend (Heimatland, Heimattal, Heimatdorf, Heimatstadt) vertraut sind oder mit der uns späteres Schicksal, Ehe und Familie, Freundschaft, Beruf und geistiges Dasein eng verbinden (Zweite Heimat, Wahlheimat). Neben Heimatland und Heimatort nennt das Grimmsche Deutsche Wörterbuch als engsten Begriff der Heimat ‚das elterliche Haus und Besitztum‘. [...] In deutschen Liedern erscheint das Wort Heimat kaum vor dem 19. Jahrhundert, dem wir dann die Erweiterung, Bereicherung und zuletzt die im 20. Jahrhundert erst vollendete nationale und fast religiöse Erhöhung des Begriffes verdanken.“[105]

Spätere Volkskundler sprechen nicht ohne Polemik von „Heimattümelei“. Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts bereiteten Reinhard Johler, Herbert Nikitsch und Bernhard Tschofen vom Institut für Volkskunde (heute: Institut für Europäische Ethnologie) der Universität Wien die Ausstellung „Schönes Österreich. Heimatschutz zwischen Ästhetik und Ideologie“ vor. Sie luden jede der 2.333 österreichischen Gemeinden schriftlich ein, ihnen „ein Stück Heimat“ zu schicken. Mehr als 250 „typische“ Leihgaben trafen ein. „Bereits mit den ersten Einsendungen begann sich ein eindeutiges Schwergewicht bei den Symbolen der traditionellen Kultur (bis hin zum Wappenteller und zum druckfrischen Heimatbuch) abzuzeichnen. Das [...] verweist auf die Tatsache, dass sich lokale Identität heute mehr denn je in überlieferten historischen und kulturellen Besonderheiten suchen und (er-)finden lässt“, schrieben die Gestalter im Begleitbuch über all die Postkarten, Ortspläne, Wimpel, Gedenkmünzen, Festschriften, Tourismusprospekte und Fotocollagen.[106]

„Jeder Mensch hat eine Heimat“, ist der Schauspieler Tobias Moretti überzeugt. „Wer diesen Begriff verleugnet, verdrängt etwas, oder er lügt.“[107] Der Schriftsteller Jean Améry (1912–1978) übertitelte einen autobiografischen Essay: „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ Seine Antwort: „Er braucht viel Heimat“. Dem steirischen Volkskundler Hanns Koren (1906–1985) wird das Zitat zugeschrieben, Heimat sei nicht Enge, sondern Tiefe. Der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) sprach vom Umbau der Welt zur Heimat. Die neuere Volkskunde, die sich von der Altertumswissenschaft zur Kulturanalyse entwickelt hat, meint, dass es sich bei der Heimat um eine überschaubare Nah-Welt mit offenem Horizont handle.[108]

1980 formulierte der Zukunftsforscher John Naisbitt in seinen „Megatrends“ den „Neuen Regionalismus“. Schon in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entdeckten das Elsass, das Baskenland und die Algarve ihre Dialekte und regionalen Folkloretraditionen. Bauern und Hippies marschierten gegen Truppenübungsplätze und Tourismusprojekte. Heute gibt es kaum eine Region, die nicht ihre Käsemarken entwirft, ihre Regionalförderungen intensiviert und ihre Eigenheit betont. Trendguru Matthias Horx fragt, was wäre, „wenn die Globalisierung den Regionen neue Chancen gäbe und der kosmopolitische Bürger der Zukunft mehr denn je wüsste, wo seine Heimat liegt?“ [109] Eine österreichische Supermarktkette warb im Frühjahr 2000 – von Plakatwänden bis Plastiktragtaschen – mit dem Slogan „Das ist Heimat“ für ihre Lebensmittel.

2.1.2.9. Innovative Ideen

Im Epilog zu seinem Buch „Die acht Sphären der Zukunft. Ein Wegweiser in die Kultur des 21. Jahrhunderts“ schreibt Horx: „Vor uns liegt eine offene Zukunft [...]. Schichten von Neuem und Überkommenem überlagern sich. [...] Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sucht nach einer neuen Mixtur aus Individualismus, Freiheit und Verantwortlichkeit [...].“[110]. Die „neue Mixtur“ des Lebensstils spiegelt sich auch in Bräuchen zu traditionellen Festterminen: Bei meiner Umfrage über alte und neue Bräuche in Pfarren war 1990/91 die wichtigste Erkenntnis, dass 40,4 % der Pfarren von neuen Bräuchen wussten, während nur 14,1 % vom Abkommen alter Bräuche berichteten. Bei der Einführung zeigten sich drei Tendenzen:

  • Innovation: nach eigenen Ideen, Modellen aus Werkbüchern oder Behelfen bzw. aus sozialer Notwendigkeit (z.  B. Flüchtlings- und Obdachlosenprojekte).

  • Revitalisierung: Man erinnerte sich alter (eigener oder fremder) Bräuche und erfüllte sie mit neuem Leben, aktualisierte Formen und Inhalte (z.  B. Fastentücher, Fußwallfahrten).

  • Restauration althergebrachter oder wiederentdeckter Frömmigkeitsformen.

Der Brauch-Begriff umfasst im Verständnis der Einsender auch neue Feste, Sozialaktionen und Freizeitaktivitäten der Gruppen. Die Innovationen sind charakterisiert durch soziales Engagement, man beweist Solidarität mit Randgruppen, Fremden und Schwachen. Sie betonen das Positive: Partnerschaft statt Patenschaft, Hilfe zur Selbsthilfe statt Almosen, Opfer aus Nächstenliebe statt Kasteiung aus Selbsthass.[111] Das trifft sich mit den Aussagen des deutschen Theologen Hermann Kochanek über die Kirche in der Erlebnisgesellschaft. Sie habe über Jahrhunderte die Erlebniswelt der Menschen von der Wiege bis zur Bahre geprägt: „Das gesamte Kirchenjahr stellte ein breites Spektrum an Festen und den damit verbundenen Erlebnissen zur Verfügung. Kirchweih, Prozessionen und Wallfahrten hatten und haben einen hohen Grad an Erlebnisqualität. Aus unserer Zeit lassen sich weitere Phänomene nennen: Pfarrfeste, Seniorennachmittage und Familienkreise, Jugendtreffs, liturgische Nächte, Pfarrdiscos [...]“[112].

2.1.2.10. Kirchenjahr und Bräuche

Der Begriff „Kirchenjahr“ taucht erstmals 1589, in der „Postille“ von Johannes Pomarius, Wittenberg, auf. Er bezeichnet den im Lauf der Zeit aus Herrenfesten und Heiligenfesten zusammengewachsenen liturgischen Jahreszyklus. Theologisch handelt es sich um die „Ausweitung der Osterfeier über das Jahr hin“.[113]

Der deutsche evangelische Theologe und Psychotherapeut Hans Gerhard Behringer versteht den Jahreskreis als Lebenshilfe und spricht von der „Heilkraft der Feste“. Dabei verweist er auf die Dramaturgie der Festkreise: Vorbereitung/Ouvertüre – Höhepunkt/Feiern – Ausklang/Freudenzeit/Nachspiel – Ende. Neu feiern zu lernen, bezeichnet Behringer als Wiedergewinnung einer verlorenen Dimension und den Jahreskreis als bewusstseinserweiternden, therapeutischen Weg: „Das Jahr bietet mit seinen Festen eine bunte Palette der Vielfalt von Lebenssituationen, Freuden und Krisen. [...] Das Kirchenjahr ist ein Kreis, der sich alljährlich wiederholt. Das bedeutet, dass im Lauf eines Jahres alle Punkte durchlaufen werden. Auch das Gegensätzliche, das Ungeliebte wie das Geliebte, das Dunkle und das Helle kommt vor. [...] Jeder Aspekt unseres Lebens, jede Regung unserer Seele, alle freudigen und schweren Erfahrungen und die damit verbundenen Inhalte und Emotionen, alles ist in diesem Kreis des Jahres repräsentiert“:[114]

  • Advent & Weihnachtsfestkreis

    Advent: Vorbereitung

    Weihnachten: Licht in der finstersten Zeit

    Silvester und Neujahr: Abschied und neue Chance

    Dreikönig: Auf dem Weg

  • Fastenzeit & Osterfestkreis

    Fastenzeit: Vorbereitung

    Karwoche: Abschied nehmen

    Ostern: Sieg des Lebens

    Christi Himmelfahrt: Ein neuer Anfang

    Pentecoste (50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten): Zeit der Freude

    Pfingsten: Fest der Freiheit

  • Mariä Himmelfahrt: Mitten im Sommer

  • Kirtag: Für Leib und Seele

  • Erntedank: Lebensdank

  • Allerheiligen, Allerseelen: Woher? Wohin?[115]

2.1.2.11. Lebensfreude – Lebenshilfe

Ich persönlich sehe „Volkskultur“ zwischen den beiden Polen Lebensfreude und Lebenshilfe. Glaubt man den Beschreibungen, dann kann kaum etwas mehr Freude, Spaß oder Lust hervorgerufen haben als die alten Feste. Bei vielen neuen Bräuchen ist es ähnlich. Traditionelle Rituale waren aber auch fähig, Lebenshilfe zu leisten. Zwischen Lebensfreude und Lebenshilfe liegt nicht weniger als das ganze Leben – und das ist von der „Volkskultur“ allein nicht zu bedienen. Die drei Bereiche (1) Europäische Ethnologie/Volkskunde, (2) Theologie/Religion/Spiritualität und (3) Psychologie/Beratung/Therapie überschneiden sich in vielfältiger Weise. Gemeinsam ist ihnen der Mensch im Mittelpunkt. Alle drei haben Methoden und Möglichkeiten, sich ihm hilfreich zu nähern. „Humanistische Ethnologie“ wäre ein Weg, den sie abschnittweise gemeinsam gehen könnten.

2.1.2.11.1. Humanismus

In der Geistesgeschichte ist Humanismus neben Renaissance und Reformation die dritte große Bewegung der abendländischen Neuzeit. Die Humanisten griffen auf die Werke altgriechischer und -römischer Schriftsteller zurück. Vom Italien des 13. Jahrhunderts bis ins barocke Frankreich wirkten die Gedanken des Humanismus. 1843 übernahm Karl Marx das Wort, das nach 1933 zunehmend mit Humanität gleichgesetzt wurde. Für die von der Stoa geprägten griechisch gebildeten Römer des zweiten und ersten vorchristlichen Jahrhunderts war „humanitas“: „die volle Entfaltung der sittlichen Anlagen des Menschentums, wie sie die Menschheit durch Ausbildung der persönlichen Kräfte des Einzelnen und durch sinnvolle Gestaltung des Gemeinschaftslebens zu erzielen vermag.“[116] Humanitäre Forderungen wie Menschenliebe, soziales Verständnis oder Hilfsbereitschaft decken sich mit dem Gebot der christlichen Nächstenliebe (caritas).

2.1.2.11.2. Humanistische Psychologie

Humanistische Psychologie und Psychotherapie versteht sich, so einer der Begründer dieser Richtung, Abraham Maslow, 1969, als „dritte Kraft“ neben Psychoanalyse und Behaviorismus. Eine Wurzel liegt im Existenzialismus, der die Grundbefindlichkeit eines Menschen durch seine Entscheidungsfreiheit definiert. Zentrale Aussagen beziehen sich auf (1) Angst und Freiheit, (2) Wahl und Entscheidung, (3) Verantwortlichkeit, (4) Gegenwärtigkeit, (5) In-der-Welt-sein. Die zweite Wurzel ist die humanistische Philosophie des 18. bis 20. Jahrhunderts. Sie betont, dass der Mensch seiner Bestimmung nachkomme, wenn er sich in seinem Leben verwirkliche. Maslow zeigt das im Modell der Bedürfnispyramide, deren Spitze die Selbstverwirklichung darstellt (Selbsterhaltung – Sicherheit – Kontakt und emotionale Geborgenheit – Anerkennung – Selbstentfaltung). Eine dritte Wurzel bildet die Gestaltpsychologie, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte. Sie lehrt, dass jeder Mensch nur in seiner Gesamtheit und Verschiedenheit erkannt werden könne.

Die humanistische Psychologie verbindet die Aspekte (1) Entscheidungsfreiheit/Verantwortung, (2) Selbstverwirklichung und (3) „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Sie sieht den Menschen als agierendes (nicht wie die Psychoanalyse als abreagierendes oder wie der Behaviorismus als reagierendes) Wesen. Humanistische Psychotherapierichtungen stellen den Menschen und seine Selbstverwirklichung ins Zentrum der therapeutischen Arbeit. Ziel ist, die Persönlichkeit wachsen und reifen zu lassen. Dazu gehört das Erkennen und Fördern der Möglichkeiten und Fähigkeiten und die Sinnerfüllung des individuellen Lebens. Die Entwicklung in eine für den Klienten positive Richtung wird unterstützt und gefördert. Von den Therapeutinnen/Therapeuten der personzentrierten Psychotherapie verlangt ihr Begründer Carl Rogers als Grundhaltungen: Empathie (urteilsfreies und feinsinniges Eintreten in die Wahrnehmungswelt des Klienten), Wertschätzung (nicht besitzergreifende Anteilnahme) und Authentizität. Sie schaffen das Klima, in dem die Person, die Hilfe sucht, diese für sich finden kann.[117]

2.1.2.11.3. Humanistische Ethnologie

Helmut Paul Fielhauer (1937–1987) beantwortete die viel zitierte 68er-Frage „Wem nützt Volkskunde?“ in dem Sinn, dass Volkskunde als „kritische Kulturwissenschaft mit vorsätzlich gesellschaftspolitischer Stellungnahme zugunsten der Benachteiligten, Hilflosen und Unmündigen“ sinnvoll sei. Sein Vermächtnis hat er so formuliert: „Von der Theorie und Empirie zur Praxis. Wir haben mit unserer Erfahrung im Umgang mit Menschen und ihrer Dingwelt auch gelernt, dass ‚die da unten‘ ihre ihnen immer wieder vorenthaltene Identität finden können, wenn wir sie auf die Beurteilung des eigenen Lebenszusammenhanges ansprechen.“[118] Der Schritt vom gesellschaftskritischen Ansatz zum Menschen, der Hilfe sucht, erscheint legitim. Es geht um den/die konkrete/n Einzelne/n in der individuellen Lebens- und Beziehungswelt.

Die Brücke von der humanistischen Ethnologie zur Psychotherapie liegt in der Ähnlichkeit der Ziele. Beide Disziplinen wollen entwicklungsfördernd sein. Sie können Hilfestellung geben, wenn positive Affekte verstärkt und Angst bewältigt werden oder Neues entstehen soll. Sie kennen die durch Feiertage hervorgerufenen „Stresskurven“ von Kindern und jungen Eltern und sind in der Lage, Rituale für Familien als Erlebnisgemeinschaften zu erstellen. Humanistische Denkmuster können Netzwerke schaffen, die es ermöglichen, besser und intensiver zu leben.

  • Beispiel: Lebenserinnerungen

    Als „Oral History“ oder „Geschichte von unten“ haben narrative Interviews in die Kulturwissenschaften Einzug gehalten. Die Volkskunde kennt ähnliche Methoden der Feldforschung. Die Psychotherapie weiß, dass das Reden über persönliches Erleben nicht nur Plauderei, sondern Befreiung und Entlastung sein kann. Die ehemalige Leiterin des Ausbildungsinstituts für systemische Therapie und Beratung in Meilen, Rosmarie Welter-Enderlin, war überzeugt, dass aus Familiengeschichten Zukunft entsteht: „Das Erzählen von Geschichten besänftige die Welt, schreibt der Dichter Peter Bichsel. Unabgeschlossene, nicht erzählte Geschichten können hingegen Generation um Generation wie schwere Steine am Hals hängen. [...] Wenn Klientinnen und Klienten uns Geschichten erzählen (‚narrativieren‘ heißt das neudeutsche Wort dafür), legen sie damit Teile eines Puzzles vor, aus dem wir gemeinsam ihre Lebensthemen und Bedeutungsstrukturen erschließen können. Darin sind Entwürfe für ihre einmaligen Lösungen angelegt. Weil es ihre eigenen und nicht die Lösungen von Experten sind, lassen sich daraus autonome, zu ihnen passende Wirklichkeiten gestalten.“[119]

  • Beispiel: Brauchberater

    Im weiten Feld des „High Touch“ (analog zu Hightech benennt dieser Begriff den Boom der heilenden und pflegenden Berufe im Technikzeitalter) entstehen neue Profis der Emotions-Dienstleistungsbranche. Sie erfordert hohe soziale, psychologische, ethnologische und theologische Kompetenz. In England bietet die Organisation „Humanists“ seit Jahren Alternativen zu kirchlichen Ritualen an, von der Initiation bis zur Bestattungsparty. In den USA kümmert sich der MC (Master of Ceremonies) darum, dass man z. B. Hochzeiten „richtig“ feiert.[120] In Deutschland gibt es Ausbildungen zum professionellen, überkonfessionellen Ritenbegleiter. Die freien Theologen erfreuen sich zu Lebenswendepunkten (Geburt, Heirat, Beerdigung) großer Nachfrage. Ihre Arbeitsgemeinschaft entwickelt und gewährleistet Qualitätsstandards für diese sehr persönliche Form der Dienstleistung. Das Honorar eines freischaffenden Münchener Bestattungsredners liegt bei 130 €, während sich die katholische Kirche mit weniger als einem Zehntel dessen zufrieden gibt.[121] Den Klienten bieten die Profis Entlastung, Befreiung von lästigen Konventionen und Entfaltung der Kreativität. Aus dem Fundus traditioneller Elemente wird gemeinsam ausgewählt, weggelassen und weiterentwickelt, was individuell angemessen erscheint. „Sie bestimmen selbst, ob der Ritus weltlich oder religiös gestaltet wird. Im Mittelpunkt stehen Sie und Ihre Gäste“, liest man auf der Homepage Arbeitsgemeinschaft Freier Theologen (Stand: Zitat von 2002).

  • Beispiel: Eventkultur

    Zu den neuen Berufen des 20. Jahrhunderts zählen die Eventmanager, die auch als Braucherfinder tätig werden. Sie organisieren in großem Rahmen Ähnliches, was Brauchberater für einen kleinen Kreis anbieten. Weil es aber mit Massenveranstaltungen alten Stils nicht getan ist, spielen auch bei den Festen für viele individuelle Emotionen eine Rolle. „‚Wir arbeiten an Emotional-Events‘, beschreibt Agenturleiter Andreas Hladky die sich selbst gesteckte Aufgabe. ‚Wir versuchen, Inhalte auf emotionaler Ebene zur vermitteln. Wir wollen, dass sich die Leute gut fühlen und dass sie Freude haben‘ [...] Der Trend geht in Richtung Gefühl und Erlebnis. ‚Wir arbeiten mit Objekten, Kostümen, Musik – mit allem, was ein Ereignis lebendig macht.‘“, lässt „Die Presse“ den Chef der Agentur Hallamasch, die das gleichnamige multikulturelle Fest ausrichtet, zu Wort kommen. Anlass des Interviews im Oktober 2001 war das 5-Jahres-Jubiläum der Firma.

  • Beispiel: Heimat

    Der langjährige Wiener Ordinarius Konrad Köstlin hat schon 1982 auf die enge Verbindung zwischen Volkskunde (im speziellen Fall: Folklorismus) und Therapie (Psychoanalyse) hingewiesen: Von beiden verspreche man sich Identität, Orientierung in der Verunsicherung. Das Fach Volkskunde sollte im Rückblick auf die Vergangenheit Identität stiften und auch heute gelte: „Therapiert werden soll die Entfremdung, unter der die Menschen leiden“. Heimatbewusstsein, wie es die traditionelle Volkskunde suggerierte, diente der Stabilisierung des Selbstverständnisses. Die Verheißung des ursprünglichen, einfachen Lebens habe ihre Entsprechung in der Individualtherapie: „Beide versprechen Wege des zu sich selbst-Findens.“[122] Der Wiener Theologe und Therapeut Peter F. Schmid verwies in einem Vortrag auf die Sehnsucht vieler nach überschaubaren Gemeinschaften, die „Heimat“ bieten, um Pessimismus, Ängsten und Sinnkrisen zu entkommen.

2.1.2.12. Milieu

Der Etymologie-Duden definiert: „Umwelt, Lebensumstände: Im 19. Jahrhundert aus gleichbed. frz. ‚Milieu‘ entlehnt. Aus frz. ‚mi‘ mitten, mittlerer und ‚lieu‘ Ort, Stelle, Lage, Umstand, usw.“[123] Im Wörterbuch der Rechtschreibung zeigt sich hingegen ein abwertender Beiklang: „Schweiz. auch für: Dirnenwelt [...] milieubedingt, milieugeschädigt, Milieuschaden [...].“ Der deutsche Sozialforscher Gerhard Schulze hat dem Wort seine neutrale Bedeutung zurückgegeben. 1985 veröffentlichte er die Ergebnisse einer in Nürnberg durchgeführten Untersuchung unter dem Titel „Die Erlebnisgesellschaft“. Schulze teilt die Bevölkerung je nach Lebensstil in fünf Milieus ein, nennt aber keine Prozentanteile. Im Zusammenhang mit Bräuchen ist dieser Ansatz interessant, da sich die Frage stellt, welche Feste wie für wen inszeniert werden. Weil die Interessen verschieden sind, kann es keine „Bräuche für alle“ geben. Ein Musikantenfest ist etwas anderes als das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Das Donauinselfest, das größte Open-Air-Festival Europas, umfasst eine Reihe differenzierter Angebote.

  • Niveaumilieu

    Menschen über 40 mit Studium oder Matura, gehobenem Einkommen, gediegener Kleidung und Wohnung, im Wahlverhalten eher rechtsliberal. Beruflich als „Kopfarbeiter“ tätig. In ihrer Freizeit bevorzugen sie klassische Musik, lesen gern anspruchsvolle Literatur und „verachten“ Fernsehen.

  • Integrationsmilieu

    Menschen über 40 mit Matura, leben in stabiler Ehe, besitzen ein Reihenhaus mit kleinem Garten, fahren einen Mittelklassewagen, politisch eher rechts stehend. Beruflich als Beamte oder Ähnliches tätig. In der Freizeit bevorzugen sie Grillpartys, gehen gelegentlich ins Theater, sind Mitglied einer Buchgemeinschaft und mögen Fernsehshows.

  • Harmoniemilieu

    Menschen über 40. Die Mietwohnung in einem Altbau wird mit „Kristallglas und gefütterte Pantoffeln“ charakterisiert. In der Freizeit bevorzugen sie Blasmusik und Heimatfilme. Sie sehen viel fern und essen am liebsten Hausmannskost, was sich in sichtbarem Übergewicht niederschlägt.

  • Selbstverwirklichungsmilieu

    Menschen unter 40 mit Studium oder Matura, politisch im linksliberal-grün-alternativen Spektrum zu finden, in sozialen oder Lehrberufen tätig. In der Freizeit pflegen sie einen großen Freundeskreis, interessieren sich für Psychotherapie, Jazz, Kino, Zenbuddhismus, Yoga und lieben vegetarisches Essen.

  • Unterhaltungsmilieu

    Menschen unter 40. Beruflich z. B. als Industriearbeiter tätig. In der Freizeit sind sie viel unterwegs, treiben Sport, surfen, fahren Motorrad, besuchen Discos und Rockkonzerte. Wenn sie fernsehen, dann am liebsten Krimiserien und Autorennen. Sie trinken gern harte Getränke und Bier. In dieser Gruppe findet man viele Raucher und Politikverdrossene. Es ist diejenige, der Schulze in Hinkunft kulturelle Dominanz zuschreibt.

Für die Menschen der Erlebnisgesellschaft ist ihr Leben ein Erlebnisprojekt. Sie haben die Wahl und entscheiden sich für die Möglichkeit, die ihnen mehr davon verspricht: Konsumartikel, Essgewohnheiten, Partnerwahl, Beruf, Freizeit, Feste ...[124] Seit Schulzes Untersuchung ist Zeit vergangen, es sind allenthalben neue Erlebniswelten entstanden. Matthias Horx spricht schon vom „Hipness-Überdruss“, Genuss, Konsum und Lust machen allmählich keinen richtigen Spaß mehr.[125] Das kann nicht ohne Auswirkungen auf das Kaufverhalten bleiben. Der „brave Endverbraucher“ wandelt sich zum „Erfahrungs-Pionier“ und zum neuen Konsumenten, den es als Typus gar nicht mehr gibt, weil sich so viele Trends überlagern. Horx’ Zusammenstellung der zentralen Wertschöpfungsketten bringt für die Brauchforschung hilfreiche Kategorien.[126] Unter anderem widerlegt sie Kontinuitätstheorien. Denn Bräuche sind ein Spiegelbild der Kultur, und diese fußt auf der Wirtschaft. Ohne Sprünge geht es in keinem Bereich. Schon die derzeitige Schwellensituation zwischen postindustrieller Kultur und Wissensökonomie fordert Veränderungen. Umso mehr kann die Perspektive der Gegenwart den Rückblick (Rückgriff) auf archaische, agrarische Kulturen erschweren bis unmöglich machen. Vieles, was seinen selbstverständlichen Sitz im Leben hatte, ist im veränderten Kontext unverständlich geworden.

Agrarische Kultur Industrielle Kultur Post­indus­trielle Kultur Wissensökonomie
Angebot Güter Produkte Dienst­leistungen Erleb­nisse
Ökono­mische Funktion Ernten / Extrahieren Produzieren Liefern Inszenieren
Zentrale Eigen­schaft natürlich standardisiert kunden­orientiert persönlich
Charakter des Distri­buteurs Händler Produzent Anbieter Arrangeur
Charakter des Käufers Markt Verbraucher Kunde Gast
Nachfrage­faktoren Gebrauchs­wert Qualität Nutzen Sensation

2.1.2.13. New Age

New Age oder „neues Zeitalter“ ist ein astrologischer Begriff. Jedes zweite Jahrtausend beginnt demnach ein sogenanntes Weltenjahr. Dem Zeitalter der Fische, dessen Anfang ungefähr mit Christi Geburt zusammenfällt, folgt das Zeitalter des Wassermanns. Wann der Übergang erfolgte, wird nicht genau gesagt. Er könnte vor 200 Jahren gewesen sein, als man den Uranus – den für den Wassermann zuständigen Planeten – entdeckte. Oder in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als das amerikanische Hippiemusical „Hair“ das „Age of Aquarius“ als Hoffnung für die von Industrialisierung bedrohte Erde pries und als Gegenwelt Liebe, Glück und Harmonie mit der Natur predigte. Das erste New-Age-Zentrum gründeten die Psychologen Michael Murphy und Richard Price 1962 in Kalifornien. Spätestens in den 1980er-Jahren hatte die Bewegung den Rest der Welt erfasst.

Überzeugte „New Ager“ versprechen sich von ihrer Heilslehre nicht nur Selbsterlösung, sondern durch die „sanfte Verschwörung“ (Marilyn Ferguson) eine neue Epoche der Menschheit. Alles sei im Wandel, das soziale, kulturelle und psychische Weltsystem längst aus den Angeln geraten. Nichts sei mehr, wie es einmal war, alles werde besser. Überall sei Heil, man/frau müsste nur in der Lage sein, es wahrzunehmen und sich (etwa in kostspieligen Seminaren) zu eigen zu machen. Der Journalist Lukas Lessing, der nach eingehenden Erfahrungen 1993 einen kritischen Ratgeber für den „Einkauf im spirituellen Supermarkt“ geschrieben hat, zitiert die Prophetin Ferguson: „Nicht durch Revolution oder Proteste, sondern durch die Selbständigkeit wird der alte Slogan zur überraschenden Tatsache: Alle Macht dem Volke, [...] einer nach dem anderen“. Lessing ergänzt: „‚Das Volk‘ soll kein mystischer Begriff sein, kein sozialwissenschaftlicher Terminus und kein philosophisches Etikett, das Volk ist nichts mehr als die Summe der Individuen, die sich dazu zählen. Niemand von denen soll sein Heil aus einer politischen Bewegung beziehen, niemand von einem Guru, niemand von einer bestimmten Religion, sondern nur aus sich selbst. Nirgendwo sonst her als aus der eigenen Kraft. Ein wunderbarer Gedanke, rein und glänzend wie ein Solitär. Und leider in der Praxis auch fast so selten anzutreffen. Der Haken an der Sache ist: Wer diese Kraft nicht besitzt, bleibt auf der Strecke.“[127]

Wer sich um die viel zitierte Jahrtausendwende mit Europäischer Religionsethnologie beschäftigt – mit der Bräuche oft verknüpft sind –, trifft den christlichen Glauben nur als Teilaspekt an: Kirchliche Symbole sind in die profane Welt abgewandert, religiöse Elemente in die Werbung, Schmuckkreuze in die Mode, vieles findet sich im esoterischen Bereich. Mythen, Mystik und Mystifikationen begegnen uns auf Schritt und Tritt. Mit dem größeren Horizont wandelt sich die postmoderne populäre Religiosität. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner spricht von einer „Dispersion des Religiösen“. Menschen, deren Lebensgeschichten nicht unterschiedlicher sein könnten, finden gleichermaßen Gefallen am Übersinnlichen:

  • Wohlsituierte Akademiker hoffen auf Instant-Erleuchtung.

  • Leser auflagenstarker Boulevardblätter vertrauen auf deren astrologische Ratschläge.

  • Zahnärzte wie Friseure registrieren Terminwünsche, die mit den Mondphasen zusammenhängen.

  • Reisen zu „Kultplätzen“ zählen zum touristischen Standardangebot.

  • Priester schwingen Pendel, christliche Verlage produzieren für neuheidnisch orientierte Leserkreise.

  • Kurse über Tao und Reinkarnation gehören zum gängigen Angebot katholischer Bildungshäuser und Hochschulen; Pfarren bieten unverkrampft Yoga und Zen-Meditationen an.

Matthias Horx nennt ein Kapitel seines Trendbuchs für die späten 1990er-Jahre „Wie die Gläubigen aus den Kirchen ausziehen und sich unsere Gesellschaft langsam, aber sicher spiritualisiert.“ Er schreibt über die Pseudo-Säkularisierung: „Die siegreiche Devise ‚Wo wir (die Institution, die Norm) war, soll Ich werden‘ erzeugt auch ein ‚Egoisieren‘ des Glaubens. Bildlich gesprochen: Statt in der Kirche vor dem Altar zu knien, bauen wir uns zu Hause eine Kultstätte. Statt der christlichen Bilder inszenieren wir eine private Ikonographie mit ‚persönlichen Devotionalien‘. Statt eines einzigartigen Gottes basteln wir uns einen Instantgott.“ Als „Boom-Sektoren im Glaubens-Supermarkt“ nennt der Trendforscher Sterbe-Spiritualismus (Die Umdeutung des Todes zu einem transitorischen Erlebnis findet in der westlichen Welt immer mehr Anhänger. Der Tod wird aparter Teil der Erlebniskultur.), Wunderheilen, Glauben als Lebenshilfe, Rückkehr der Rituale, Schuld, Sekten, Businessreligion, spiritualisierte Waren.[128] Ein neues Zeitalter brauche eine neue „spirituelle Intelligenz“.

Horx schreibt: „Unsere Seele bekommt in einer technisierten Welt viele Reize aber wenig Futter. Die ungelöste Frage der Transzendenz ist besonders für das ‚vollentwickelte Ich‘ eine potentielle Quelle des Unglücks und ein ständiger Ansporn zur Suche. Aber dies muss nicht in den Varianten des Urintrinkens, Pendelns und Wasserader-Suchens geschehen. [...] Menschen ohne spirituelle Intelligenz erkennt man oft an ihrem Hang zur Maßlosigkeit. Sie verwechseln sich leicht mit dem Universum und ihre Erlebnisse mit der Welt. [...] Spirituelle Intelligenz befähigt zum Umgang mit den anderen, den abgewandten Dingen der Existenz: Demut und Niederlage, aber auch mit grundlegenden Energien wie Vertrauen und Liebe. Sie verankert das Selbst in einer soliden mentalen Ordnung, in der Selbstverantwortung erst möglich wird“[129].

Das Angebot des spirituellen Supermarkts ist unüberschaubar. Man kann auswählen und kombinieren, was einem gerade passend erscheint. Nicht nur die Weltreligionen sind unter den Anbietern, auch religiöse Sondergruppen und neuheidnische Kulte. Noch nie war Geheimwissen so offenkundig wie heute. Geschätzt ein Drittel aller neu erscheinenden Bücher ist esoterisch beeinflusst. Mit Prophezeiungen lassen sich Bestseller machen. Aus welcher Zeit und Quelle sie stammen, spielt keine Rolle. Alles fließt, Grenzen schwinden, der Weg ist das Ziel ... Letztlich entzieht sich die unübersichtliche Materie mit Versatzstücken aus aller Welt der Analyse, um die sich aufgeklärte Kreise seit mehr als zwei Jahrhunderten bemüht haben. War es vergebliche Mühe? „Aufklärung schlägt stets um in Mythologie“, schrieben die Sozialphilosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1942 in ihrer „Dialektik der Aufklärung“.

2.1.2.14. Oral History

Zu den Erweiterungen der Volkskunde in Richtung Europäische Ethnologie in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts zählte die Methode der Oral History. Auch Anthropologen, Ethnologen und Historiker bedienen sich dieser Mischform zwischen offenem und geschlossenem Interview. Bei der „erzählten Geschichte“ geht es um Alltägliches, lebensgeschichtliche Erfahrungen, „Geschichte von unten“, Biografien der „kleinen Leute“. Die Erforschung der Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten stellte die Historiker vor Quellenprobleme. Die Angaben, die sie über diese Gruppe fanden, wurden nicht von den Betroffenen, sondern von Experten gemacht. Sie entsprachen nicht dem Selbstverständnis der Menschen, die sich kaum schriftlich artikulieren konnten. Die Auswertung mündlicher Überlieferung sollte dem Mangel abhelfen.[130] Volks- und Völkerkundler konnten dagegen schon auf Erfahrungen bei Feldforschungen zurückblicken, wobei die Wirkung solcher Gespräche auf die Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden und „Gewährspersonen“ nicht zu unterschätzen ist.

2.1.2.15. Pest

„Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr!“ lautete das Standardgebet der Menschen bis ins 17. Jahrhundert. Das aus dem Osten stammende Lothringische Kreuz mit drei Querbalken wurde in populärer Weise mit den drei Schreckensbegriffen umgedeutet. Von 1348 bis 1666 gab es in Europa kaum ein Jahrzehnt ohne Pestseuchen. Die Sterblichkeit lag bei 25 bis 95 %. Hier half nur noch Beten. Der Sozialhistoriker Arthur E. Imhof hat der Alltagsbewältigung früherer Generationen einige Bücher gewidmet und erklärt, „weshalb wir uns heute so schwer damit tun“. Seine Überlegungen sind für die Beschäftigung mit alten Bräuchen anregend (mit denen wir uns ebenfalls oft schwer tun). Er macht bewusst, wie gefährdet und unsicher das Leben des Einzelnen war und welche wichtige Rolle verlässliche soziale Netzwerke spielten.

Erst die steigende Lebenserwartung ermöglichte Individualität. Erleben ist wichtig geworden, nicht das bloße Überleben. Heute „lohnt“ es sich, in ein Menschenleben zu investieren, früher war das persönliche Wohlbefinden vergleichsweise unwichtig. Ständig bedroht, hoffte man auf das Jenseits, was starke Wirkungen auf das diesseitige Leben zeigte. „Verzweiflung verwandelte sich in Heilsgewissheit, die zur Stabilität auch im Psychischen führte“, schreibt der Historiker. „Jedes Stück Vergangenheit ist so einmalig, dass daraus kaum jemals Rezepte für gegenwärtige und zukünftige Probleme abzuleiten wären. Sehr wohl aber bin ich der Meinung, dass Nachdenken über die Welt sowie über das Handeln unserer Vorfahren relevant für unsere eigenen Tage ist. Wir müssen zuerst verstehen, was wir uns durch die selbst herbeigeführten Veränderungen eigentlich eingehandelt haben, bevor wir die negativen Aspekte, die sie meist auch mit sich brachten, erfolgversprechend angehen können.“[131]

2.1.2.16. Rituale

Etymologisch leitet sich „Ritual“ vom lateinischen „ritus“ ab. Das Wort bezeichnete „Brauch“ im Sinne eines präzise geformten und tradierten Verhaltensmusters und zugleich das, was in Gebrauch war. Das ursprünglich religiöse Werte- und Ordnungssystem vermittelte Respekt vor den Regeln sozialen Zusammenlebens. Rituale als feierliche Bestätigungen des gesellschaftlichen Konsenses beschworen „communitas“, Gemeinschaft.[132]

„Die Wiederkehr von Kulten und Ritualen ist nur zu verstehen durch ihre Funktion als Heilmittel gegen das Chaos der Welt“, schreibt der Philosoph Norbert Bolz in seinem 1997 erschienenen Buch „Die Sinngesellschaft“. „Die entscheidende Leistung von Ritualen ist, dass sie die Erwartung erfüllen, Komplexität zu reduzieren und durch die Verwendung von stereotypen Mustern eine schnelle Erkennbarkeit ermöglichen. Damit bieten sie Sicherheiten an, die man offensichtlich in der menschlichen Kommunikation braucht“, sagt Gerd Althoff. Der Historiker aus Münster zählt Rituale zu den anthropologischen Konstanten. Es gibt keine Kultur ohne Grüßen oder Rangordnungsverhältnisse, die sich beispielsweise in der Sitzordnung eines Galadiners widerspiegeln.[133] Die Meinungsforscherin Helene Karmasin erklärte in einem ORF-Interview am Beispiel des gemeinsamen Sonntagsessens das Positive am Ritual: Ein wöchentlicher Fixpunkt begleitet einen durch das Leben und vermittelt die Sicherheit, dass es noch Liebe und Ordnung gibt. Karmasin spricht vom „Mythos der Wiederkehr“.[134]

Vor zwei Jahrzehnten begaben sich Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten und ihre Klientinnen/Klienten fasziniert in die Welt der Mythen und Märchen. Zu den Pionieren dieser Bewegung zählt Ingrid Riedel. Die Theologin und Psychologin meint, ähnlich breites Interesse gelte in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts der Wiederentdeckung der Rituale: „Noch vor zehn Jahren versuchte man alles Rituelle abzustreifen, zugunsten von Spontanem. Ritualisiertes galt als steif, hohl, muffig, ja verlogen. Heute suchen gerade junge Leute betont die feierliche und traditionsgebundene Form. Was geht da vor?“ Zunächst einmal ein Bedeutungswandel: Ein Begriff ist aus dem religiösen in den weltlichen Bereich abgewandert.

Heute meint man damit Gemeinsames und ganz Persönliches, Altes und Neues, symbolische Gebärden und Handlungsvollzüge, Zeremonien und Alltagsgewohnheiten. „Ritus = Set von überlieferten oder neu entwickelten Verhaltensregeln“, definierte die Familientherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin. Mit der Umprägung hat der Begriff seine Trennschärfe verloren. Die Wiederentdeckung der Rituale ist ein Nostalgiephänomen: „Heimweh nach Struktur in einer Zeit, die immer mehr chaotische Umbrüche nach sich zieht; Heimweh nach Tradition in einer Zeit zunehmenden Traditionsverfalls; Heimweh nach den großen Symbolen der Seele, nach ihrer Verleiblichung vor allem, angesichts einer immer abstrakter und vermittelter werdenden Welt; Heimweh nach Wiederbeseelung des Lebens, nach Sinnerfahrung, und last not least: Heimweh nach der Kindheit.“[135]

Buchtitel wie „Alltagsrituale. Wege zur inneren Quelle“, „Die Welt der Rituale“, „Die Kraft der Rituale“, „Kinder brauchen Rituale“, „Rituale neu erschaffen – Elemente gelebter Spiritualität“, „Geborgenheit finden, Rituale feiern“, „Rituale für die Lebensmitte. Dem Leben Tiefe geben“, „Rituale für den Alltag“ oder „Alte Rituale – neue Rituale“ zeugen von starkem Publikumsinteresse. Mit großer Offenheit überwinden solche Bücher Konfessions- und Fachgrenzen. Sie wecken Verständnis und ermutigen, Religion mit allen Sinnen zu praktizieren. Der Theologe und Therapeut Anselm Grün OSB bezeichnet aufgrund seiner spirituellen Erfahrung Rituale als „Wege zu mehr Lebensfreude“. Er fasst ihre Wirkung in 12 Punkten zusammen: „Sie sind ein Spiel. Sie sind zweckfrei. – Sie feiern unser Leben, weil es wert ist, gefeiert zu werden. – Sie zeichnen sich durch Phantasie und Kreativität aus. – Sie sind Ausdruck der menschlichen Freiheit. Sie führen zur Erfahrung innerer Freiheit. – Sie sind wichtig, um die eigene Identität zu entdecken. Wer seine Identität entdeckt hat, hat Lust am Leben. – Sie schaffen einen Raum der Stille. Sie sind Unterbrechungen des Alltags. – Sie atmen einen Hauch von Schönheit und Ästhetik. – Sie stiften Ordnung im Chaos unserer Welt. – Sie verbinden die Menschen miteinander. – Sie haben heilende Wirkung. – Sie stiften Sinn.“[136]

2.1.2.17. Symbole

Ursprünglich meinte „Symbol“ die auseinandergebrochenen Teile eines Ganzen. Durch Zusammenfügen (griechisch „symballein“) konnte es als Erkennungszeichen dienen. Der Besitzer eines Teiles wies sich als Bote, Gastfreund oder Vertragspartner aus. Für den antiken Menschen war ein Symbol nicht nur der sichtbare Teil eines Ganzen, sondern es stand für das Ganze, das unsichtbar blieb.

Im Symbol scheint die ganze Realität auf. Es enthält das, was es darstellt. Das Symbol teilt sich mit. Symbole geben dem Festgeschehen Sinn, sie verweisen auf den Lebenszusammenhang und die Geschichte, die dahinter steht. Einfache (elementare) Symbole (auch Ursymbole genannt, z. B. Wasser, Feuer) sind der allgemeinen Erfahrung zugänglich und brauchen nicht erklärt zu werden. Persönliche Symbole sind nicht allgemein zugänglich (z. B. bestimmte Blumen, die man einander schenkt; gruppenspezifische Zeichen). Wofür ein Symbol steht, ist nur im Kontext verständlich. Die Deutung erfolgt aufgrund kultureller und individueller Erfahrung. Symbole sind ambivalent/mehrdeutig (Feuer wärmt und zerstört, Wasser erfrischt und vernichtet). Um die Sprache der Symbole zu verstehen, muss man sie erlernen, z. B. die Umgangsformen anderer Kulturen.[137]

2.1.2.18. Tradition

Viele Traditionen stehen dem Zeitgeist entgegen, weil sie untrennbar mit Institutionen verbunden sind. „Wo Institution war, soll Ich werden“, charakterisiert der Trendforscher Matthias Horx den Lebensstil der Jahrtausendwende. „Diese unwiderstehliche Formel erzwingt eine soziokulturelle Revolution von geradezu ungeheuerlichen Ausmaßen. In Jahrhunderten gewachsene Selbstverständlichkeiten werden innerhalb weniger Generationen hinweggewischt. Entlastende Rituale zerbrechen, Kräfteverhältnisse geraten aus der Balance. Komplexitäten wuchern in heutige Biographien unaufhaltsam hinein.“ Was für Traditionalisten erschreckend klingen mag, ist für den Beobachter der modernen Alltagskultur „schlichtweg das unserer Kultur innewohnende Evolutionsprinzip“.[138]

Im deutschsprachigen Raum bestünden besonders starke Vorbehalte gegen Neues und Modernes, konservative seien oft mit antiliberalen Positionen verbunden, stellt die Politologin Gesine Schwan fest. Die Ursache sieht sie in der Geschichte: Neues wurde hierzulande oft nicht im Sinn von Selbstbestimmung, sondern – wie in den napoleonischen Kriegen – im Zusammenhang mit Fremdherrschaft erfahren. Dann geschehe es leicht, „Aufklärung und Reform in die Schublade ‚flach, oberflächlich, materialistisch, rationalistisch‘ zu packen und dagegen Irrationalität, das Dunkle und Geheimnisvolle hochzuloben. Wenn sich das mit einer pessimistischen Sichtweise paart, entsteht der Nährboden für nationalistische und rechtsextreme Positionen und der scharfen Feindbilderklärung.“[139]

Im 19. Jahrhundert hoffte man, Tradition werde wie eine Klippe funktionieren, an der sich die aufbrandende Moderne brechen sollte. Die mythenarchäologische Volkskunde hatte noch lange danach Konjunktur. Erst in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts fragte die Münchner Schule nach einem „Volksleben“, das ausdrücklich von den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Gesellschaftsverhältnissen, dem Einfluss von Herrschaft und Recht, Wandlungen und Brüchen in seiner kulturellen Tradition geprägt war. In detaillierten Einzelstudien wurde Geschichtliches genau datiert und lokalisiert. Seither sollte kein Brauch mehr „in grauer Vorzeit“, auf zeitlose Mythologien gegründet, beginnen.

Der Ethnologe Hans Moser prägte für die Vermittlung und Vorführung der „Volkskultur aus zweiter Hand“ den Fachterminus Folklorismus. Er bewies, dass die „sichernde“ Volkskunde des 19. und 20. Jahrhunderts vermeintliche Traditionen selbst erfunden hatte, bevor sie diese – mit Ge-brauchs-anleitungen versehen – dem „Volk“ wieder zurückgab.[140] „Indem die Volkskunde Traditionen fand, erfand sie diese zum Teil auch, sie selbst wurde zur Produzentin von Traditionalität“, formuliert Wolfgang Kaschuba.[141]

Tradition gibt Sicherheit. Es lässt sich z. B. beobachten, dass Migranten, die in „zwei Welten“ leben, Traditionen in einer Weise hochhalten, wie sie das in ihrer Heimat nicht getan hätten. Bekanntes und alle Jahre wieder Bestätigtes kann zur Kommunikationsbasis werden. Tradition kann entlasten, weil man nicht ständig alles neu erfinden muss – aber auch belasten. Der Soziologe Max Weber sah 1964 „Tradition und Gemeinschaft“, die zeitliche und soziale Stabilität für einen Brauch als bestimmend an. „Schon immer“ heißt aber nicht mehr automatisch auch „für immer“. Statt von Gemeinschaften spricht man lieber vom „Kreis von Menschen, denen man sich zugehörig fühlt.“ Sie erweisen sich als brüchig. Brauchtumspflege um jeden Preis, wenn die wirtschaftliche, soziale, religiöse Basis weggefallen ist, wird schwierig sein.

Manche Bräuche, die besonders ehrwürdig wirken, sind erst wenige Jahrzehnte alt, wie das Erntedankfest mit der typischen Erntekrone oder Volkstanzfeste aus den 1930er-Jahren. Andererseits wird aus einmaligen Ereignissen durch Wiederholung schnell ein neuer Brauch – nach dem Motto: „Beim zweiten Mal ist es schon Tradition, beim dritten Mal nicht mehr abzuschaffen.“ So schrieb eine Tageszeitung: „Tradition hat inzwischen auch das Halloween-Fest auf der Grinzinger Himmelswiese. Heuer, im zweiten Jahr [...]“[142]. „Die einzige Möglichkeit, Traditionen weiterzuführen[,] ist die ständige Erfindung neuer Dinge“, stellt Robert Davidson fest. Der kanadische Haida-Künstler gestaltet Gebrauchsgegenstände – wie Teetassen – in einer originellen Kombination von modernem Design und traditioneller „Volkskunst“. Damit gelingt ihm, was der Komponist Gustav Mahler (1860–1911) forderte: „Tradition besteht im Bewahren des Feuers und nicht im Anbeten der Asche.“

2.1.2.19. Übergangsbräuche

Neben den Bräuchen im Jahreskreis spielen Übergangsriten im Lebenslauf eine Rolle. Der belgisch-französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873–1957) hat für die Schwellenfeste im Lebens- und Jahreslauf den Begriff „Rites de Passage“ geprägt. Er unterschied drei aufeinanderfolgende Zustände: (1) Trennung – die Phase der Ablösung vom vorherigen Zustand; (2) Schwelle/Zwischenstufe/Liminalität – die gefährliche Phase zwischen „schon“ und „noch nicht“, problematische Zeit der Rollenlosigkeit, in der die neue Identität angeeignet werden soll; (3) Umwandlung/Wiederaufnahme – die Phase der Neuintegration.[143]

Es erhebt sich die Frage, ob van Genneps Drei-Stufen-Modell aus dem Jahr 1909 (deutsch: 1986) den komplexen gesellschaftlichen Strukturen nach der Jahrtausendwende noch angemessen ist. Die Übergänge haben zugenommen, sind aber immer weniger eindeutig geregelt. Der Marburger Brauchforscher Andreas C. Bimmer nennt als Beispiel die Einschulung: Für das Kind wird nur eine seiner vielen Teilwelten neu. Schulbeginn ist kein Eintritt in eine neue gesellschaftliche Sphäre (mehr). Außerdem: Nichts beginnt ohne Vorlauf und nichts ist ohne Konsequenz. Indessen haben popularisierte Formen und Vorstellungen der „Rites de Passage“ Eingang in die Lebenshilfe-Literatur gefunden. Übergangsriten als kulturelle Bewältigungsstrategien sind von zentraler Bedeutung für moderne Lebenswelten. Viele neue Rituale sind Übergangsbräuche. Sie markieren Phasen, die im Leben früherer Generationen keine Rolle spielten, wie Führerscheinerhalt, Übergang in eine offene Zukunft, Trennung, Berufswechsel oder Pensionierung.[144] Als ein bekannter ORF-Journalist beschloss, Politiker zu werden, gab er ein „Scheidungsfest“.

Lebensgeschichtliche Übergänge sind von gemischten Gefühlen begleitet. Es herrschen Hoffnung, Erwartung und Freude, Unsicherheit, Angst und Zweifel. Die eigene Person muss neu definiert werden. „Wir können uns ein Menschenleben als eine Reihung von sieben bis neun Entwicklungskurven vorstellen: Kindheit, Jugend, Ausbildung, Suche nach Position, Familiengründung, Reifung, Sinnsuche, Ruhefindung. All diese Phasen menschlichen Lebens haben ‚ihre Zeit‘ und ihren ganz spezifischen ‚I-Punkt‘“, schreibt Matthias Horx. „In archaischen Gesellschaften wird der Übergang vom Jugend- zum Erwachsenendasein mit Ritualen markiert und gefeiert. In der christlichen Kultur entsprechen Taufe, Konfirmation und Heirat diesen Transitstellen. Dies ist kein anthropologischer Zufall, sondern entspricht der Logik kurvenlinearer Evolutionsprozesse. Man markiert gewissermaßen den Innovationspunkt (Initiationspunkt), um auf ihn aufmerksam zu machen und bevorstehende Wandlungen zu antizipieren.“[145]

2.1.2.20. Volks...

Das 1974 erschienene „Wörterbuch der deutschen Volkskunde“ listet auf: Volksbotanik, Volksbrauch, Volksbuch, Volksdichtung, Volksetymologie, Volksfest, Volksfrömmigkeit, Volksgeist, Volksglaube, Volkskleid, Volkskunde, Volkskunst, Volkslied, Volksmärchen, Volksmedizin, Volksmusik, Volksnahrung, Volksrecht, Volkssage, Volksschauspiel, Volksspiel, Volkssprache, Volkstanz, Volkstrauertag, Volkstum.[146]

Die Begriffe Völkerkunde und Volkskunde traten Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland im Zusammenhang mit der Aufklärung auf. In der Anfangszeit wurden sie, wie auch „Ethnografie“, eher assoziativ, metaphorisch und synonym gebraucht. Ebenso undifferenziert war das Forschungsinteresse der Bevölkerungswissenschaften. Personen- und Viehzählungen fielen darunter wie auch Reiseliteratur über die Merkwürdigkeiten von Land und Leuten, Märchen und Mythologisches. Interessierte Bürger beschäftigten sich in Laienzirkeln mit diesen Themen – fasziniert von exotischen Ländern wie von der eigenen Überlieferung, die sie in der bäuerlichen Kultur zu erkennen glaubten.

„Es ist ein Versuch, sich der Geschichte zu vergewissern, um die Gegenwart nicht an die Zukunft zu verlieren. Dieses Ahnen der neuen Zeit verbindet sich aber auch mit der Erwartung einer nationalen Zeit.“, stellt Wolfgang Kaschuba fest. „Der Nationalstaat erscheint als die Verwirklichung der deutschen Geschichte, wobei als Grundlage dieser deutschen Nation ‚das Volk‘ beschrieben wird, verstanden als eine Abstammungsgemeinschaft, die in der Geschichte wurzelt. Wenn in diesem Zusammenhang von ‚Volks-Kunde‘ die Rede ist, meint dies ein kultur- und stammesgeschichtliches Konzept, das die geschichtliche Begründung der nationalen Volkwerdung liefern soll. So veröffentlicht im Jahr 1810 Friedrich Ludwig Jahn, der Initiator der deutschen Turnerbewegung seine Kampfschrift ‚Deutsches Volksthum‘.“ Für den Turnvater war Volk die „höchste und grösseste und umfassendste Menschengesellschaft“, zusammengehalten durch die „Einungskraft des Volksthums“, denn darin „waltet des Volks ursprünglicher Urgeist“. Um den vermeintlichen Dreiklang von Volkstum, Deutschtum und Nation historisch begründen zu können, forderte er „Volksthums-Bücher“, die jene Wurzeln in graue Vorzeiten zurückverfolgen sollten.

Anders als Jahn hatte die bürgerliche Kulturbewegung der Romantiker keine politischen Interessen. Ihnen galten Gefühle, Individualität und Natürlichkeit, das Einfache und Echte als wichtig. Ihr Vordenker war der Philosoph Johann Gottfried Herder (1744–1803). „Herders Volk ist ein ideales Volk, mehr romantische Idee als soziale Wirklichkeit. [...] Die Vorstellung vom Volkscharakter wird zu einer zentralen Kategorie der frühen ethnologischen und anthropologischen Debatten des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, von der aus sich leicht eine Brücke schlagen lässt zu jenem Nationalcharakter, der bei Jahn oder in der Reiseliteratur [...] beschrieben wird.“[147] Wilhelm Heinrich Riehl sprach 1858 erstmals von „Volkskunde als Wissenschaft“.

Die Erforschung von Land und Leuten durch die Aufklärer hatte finanz- und gesundheitspolitische Gründe. Ihr Interesse, dem „Volk“ bessere Lebensbedingungen zu schaffen, hat Ähnlichkeit mit der humanistischen Ethnologie. Andererseits führte die romantisch-retrospektive Altertumskunde – der „Volksgeist“, den Herder und andere in Liedern und Märchen zu erkennen glaubten – lange vor und in der NS-Zeit zu einer Volkstumsideologie. Mit der Folge, dass „Volk“ zu einem Unwort geworden ist.

Die wissenschaftliche Volkskunde hat sich, so der ehemalige Passauer Ordinarius Walter Hartinger, längst von jenem idealistischen Kulturbegriff verabschiedet, der „Kultur als Summe von positiven Wertsetzungen und in Reibung zum Bereich der Zivilisation gesehen hatte.“ Feststehe auch, dass „Volkskultur“ als Ausbund des Guten, Dauerhaften und Schönen seit den 1960er-Jahren nachhaltig in Zweifel gezogen wurde. „Volk“ sei jetzt mit „breiter Masse“ und „Kultur“ mit „durchschnittlicher Alltagswirklichkeit“ gleichzusetzen.[148] „Volkskultur ist das, was die Menschen, die dieses Wort verwenden, darunter verstehen wollen“, wurde 1999 auf einem Symposion in Wien formuliert. Das könne die Kultur des Autofahrens oder des Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln ebenso sein wie der Umgang der Generationen, Alkoholgenuss, Ethnofood oder Lifestyle.

2.1.2.21. W-Fragen

Die sechs „journalistischen W“ – wer? was? wann? wie? wo? warum? – eignen sich zum Be- (und Hinter-)fragen von Brauchhandlungen. Nimmt man noch die fünf Sinne – in der psychologischen Schule des NLP als Wahrnehmungskanäle visuell, akustisch, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch genannt – dazu, ergibt sich ein Raster, nach dem sich Bräuche katalogisieren lassen. Allerdings scheitert dieses theoretische Modell an der vitalen Vielfalt des Brauchgeschehens. Die Fülle des Lebens passt nicht in eine Tabelle, Fragen ist trotzdem sinnvoll.

2.1.2.22. Zahlen und Zeiten

„Es ist schwer zu sagen, ob das Hantieren mit Zahlen zunächst eine Notwendigkeit der Alltagspraxis war, oder ob die Priester und Kultdiener als erste die Zahlen erfunden haben, um die Zeit für ihre Opferfeiern und Festriten ablesen zu können. Jedenfalls wurde das religiöse Leben wie die Alltagswelt von den Zahlen bestimmt. In vielen Kulturen wurde die Berechnung des Kalenders als ungemein wichtige Aufgabe empfunden“, beginnt der Religionspädagoge Otto Betz seine Abhandlung über „Das Geheimnis der Zahlen“.[149] Zahlenmystik und -symbolik sind Themen, denen man – einmal aufmerksam geworden – auf Schritt und Tritt begegnet. Dazu braucht man sich nicht auf das unsichere Terrain der magischen Orte mit ihren angeblichen Vernetzungen zu begeben oder zu versuchen, die Symbolik mittelalterlicher Kathedralen zu interpretieren. Bibel und Bräuche haben da schon vieles zu bieten: die Dreifaltigkeit, die Heiligen Drei Könige, die drei „virgines capitales“, die vier Evangelisten, die Zehn Gebote, die zwölf Apostel, die 14 Nothelfer, die 40 Tage der Fastenzeit, vierzigstündiges Gebet, das österliche Triduum, die 50 Tage der Pentekoste, die Zahl der Pflanzen im Kräuterbuschen zu Mariä Himmelfahrt, der 11.11. als Faschingsbeginn, die vier Wochen des Advents, Weihnachten mit seiner Oktav …

Zahlen und Zeiten sind typische Bedingungen, die bei Bräuchen und magischen Praktiken verlangt werden (je obskurer, umso wirksamer erscheint der Zauber). Kräuter sammelt man in den ersten Stunden des Tages, Bleigießen soll man zwischen Silvester und Neujahr um null Uhr. Sogar Messen müssen an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten (am Sonntag, Punkt Mitternacht, vor Sonnenaufgang ...) zelebriert werden. Freilich werden die „heiligen Zeiten“ aufgeweicht, wenn im Weihnachtsland Tag für Tag Tannenduft versprüht und „Stille Nacht“ gespielt wird, wenn man das ganze Jahr über Krapfen isst oder wenn es im Fasching gefärbte Eier und Schokoladehasen und zum Schulbeginn Christbaumbehang im Supermarkt zu kaufen gibt.



[47] [Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1987], Bd. 1, S. XXVI (Vorwort Christoph Daxelmüller).

[53] [Rauchenecker 1998], S. 18–19.

[56] [MüllerD 1998], S. 9–15.

[58] [Horx 1995], Bd. 2, S. 56–81.

[61] [Rauchenecker 1998], S. 35–40.

[62] [WolfHM 1992], S. 300 f.

[73] [Format] 17 (2000).

[74] [Maur 1983], Bd. 1, S. 28 f.

[76] [Kathpress] (1999-04-10).

[83] [Kaschuba 1999], S. 24–30.

[85] [Feurstein 1995], S. 198–207.

[87] [Horx 1995], Bd. 2, S. 37.

[88] [Horx 1995], Bd. 2, S. 131–157.

[89] [Feurstein 1995], S. 15 und S. 23.

[90] [Mölkerstiege] H. 75 (1999), zum Firmenjubiläum 1999. – [Tostmann 1998], S. 40–43.

[92] [Horx 1995], Bd. 2, S. 131–157.

[94] [Duden Etymologie 1963], S. 161 und S. 164.

[95] [Rauchenecker 1989], S. 14–22.

[100] [Kaschuba 1999], S. 34–36.

[102] [Sünner 1999], S. 16 und S. 172.

[103] [Sünner 1999], S. 16 und S. 172.

[104] [Birkhan 1997], S. 785 f.

[106] [Feurstein 1995], S. 198–207.

[107] [TV-Media] 4 (2000).

[109] [Horx 1999], S. 25 f.

[110] [Horx 1999], S. 288.

[113] [LThK 1957], Bd. 6, Sp. 225.

[114] [LThK 1957], Bd. 6, Sp. 225.

[116] [dtv-Lexikon 1968], Bd. 9, S. 81.

[117] [Frenzel 1992], S. 21–29.

[118] [FielhauerHP 1987], S. 17 und S. 377.

[120] [Horx 1995], Bd. 2, S. 115.

[124] [Schulze 1992]. Zusammenfassung nach [HollA 1994].

[125] [Horx 1995], Bd. 2, S. 36.

[126] [Horx 1999], S. 210.

[127] [Lessing 1993], S. 11–21.

[128] [Horx 1995], Bd. 2, S. 100–129.

[129] [Horx 1999], S. 164 f.

[131] [Imhof 1984], S. 19 f.

[134] Ö1-Sendung zum Nationalfeiertag am 26.10.2000.

[135] [Kaschuba 1999], S. 184 f. – [Welter-Enderlin 1999], S. 188. – [Riedel 1997].

[136] [Grün 1997], S. 146–156.

[138] [Horx 1995], Bd. 2, S. 23.

[139] „Salzburger Nachtstudio“, Ö1, 10.01.1996.

[141] [Kaschuba 1999], S. 82 f.

[142] [Kurier] (1999-10-27).

[145] [Horx 1999], S. 22.

[147] [Kaschuba 1999], S. 13, S. 22, S. 26, S. 34.

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