Der zentralen Lage entsprechend sind die Gasthäuser ein Treffpunkt aller Schichten, ein Kernpunkt der großen und kleineren Gemeinschaften; ein Ort, der traditionellerweise nicht nur Durst stillt und Gaumenfreuden beschert, sondern auch zur Geselligkeit animiert. Das Wirtshaus war auch stets Umschlagplatz für Lied- und Musikgut aus dem Volk und nicht unbegründet spricht der Musikwissenschaftler Prof. Franz Eibner davon, dass das Wirtshaus die „Hochschule der Volksmusik“ sei.
„Demnach könnte man behaupten, dass das Wirtshaus genau zur Volksmusik passt. Denn das Geheimnis dieser Musik liegt nicht unbedingt im fertigen, perfekt dargebrachten Produkt, sondern im situationsgebundenen Zusammenwirken all jener, die mitsingen, mitspielen, im Takt klatschen oder klopfen, pfeifen, mit ihren Schlüsseln scheppern oder sich sonst irgendwie zur Musik artikulieren.“[163]
Gerade hier sehen wir in unserer Zeit einen Ansatzpunkt, lebendiges Musizieren und Singen wiederum verstärkt mit Geselligkeit und Gastlichkeit unter einen Hut zu bringen. Musikberieselung aus der „Konserve“ ist in den Gaststätten nichts Neues, doch die Besinnung auf die „hausgemachte“ musikalische Unterhaltung könnte den Einheitsbrei aus dem Lautsprecher unterbrechen oder gar ablösen.
Neben dem großen Rahmen eines Volksmusik-Vortragsabends im Scheinwerferlicht (dessen Wirkung und Bedeutung zur Volksmusik-Verbreitung und öffentlichen Anerkennung nicht angezweifelt wird) suchten die Sänger und Musikanten stets die Geselligkeit einer Gaststube, um miteinander musikalisch zu kommunizieren. Diese Abende waren meist einem elitären kleinen Kreis vorbehalten. Um die Begegnung von Sängern und Musikanten in ungezwungenem Rahmen zu ermöglichen, wurde die Idee vom Sänger- und Musikantenstammtisch geboren.
Man sehnte sich nach einem Ort, wo Gleichgesinnte, Könner und Lehrlinge eine Gelegenheit zur Kontaktaufnahme finden, aus der sich von selbst ein musikalischer Dialog ergibt. Wer Volksmusik ernst nimmt und sie in ihrem personellem und regionalen Eigenleben weitertragen möchte, soll dort anknüpfen, wo erfahrene, meist ältere Sänger und Musikanten lebendige Zeugen abgeben. Unsere Volksmusik lebt auch heute vom Zuhören, Abschauen und Nachahmen. Der ideale Platz dafür war und ist das gastliche Haus, das Wirtshaus.
„Wieder aufspiel‘n und singen beim Wirt“ – diese Initiative setzte Philipp Meikl – Sänger, Musikant und freier Mitarbeiter des ORF-Landesstudio Salzburg – im Jahre 1992 in die Tat um und gewann als Partner die älteste Brauerei des Landes, das Hofbräu Kaltenhausen, die Wirtschaftskammer Salzburg und das ORF-Landesstudio Salzburg.
Volksmusik wurde in den letzten Jahrzehnten der Öffentlichkeit fast ausschließlich auf Bühnen präsentiert. Vom Neujahrssingen und Dreikönigssingen in der Kirche übers Frühlingssingen in der Turnhalle oder in der Aula der Universität, dem Herbstsingen im Vielzweckraum bis hin zum Adventsingen in der Kirche spannte sich der fast „heilige“ Rahmen der Volksmusik. Humor und Schmunzeln war nur bei mundartlich Vorgetragenem „erlaubt“. Ansonsten war „andächtige“ Stille gefordert! Dass dies auf den Charakter der Volksmusik und deren Interpreten abfärbte, lässt sich leicht erahnen. Originale oder sogenannte „Wildsänger“ oder Musikanten mit „schmutzigem Spiel“ waren äußerst dünn gesät.
Bei manchen Aktiven machte sich darob Unbehagen breit und so fiel die Idee von Hermann Härtel aus der Steiermark, der vom Singen und Musizieren im Wirtshaus redete, bei uns auf vorbereiteten Boden.
An alle Wirtshäuser wurden Fragebögen zum Thema Musik, Lied und Tanz in der Gaststätte verschickt. Anfang der 1990er-Jahre war Musizieren und Singen in den Gasthäusern meist nur mehr bei Hochzeiten üblich. Und dies in trommelfellzerfetzender Lautstärke. Das spontane Singen und Musizieren ohne Anlass war immer seltener zu hören. Außerdem hatten die meisten Blasmusikkapellen und Chöre bereits eigene Räumlichkeiten für Probenzwecke errichtet und waren nicht mehr auf das Wirtshaus angewiesen. Die Rücklaufquote der Fragebögen war beachtlich. Doch den Sprung zur Durchführung eines monatlichen Stammtisches trauten sich anfangs nur fünf Wirte im Land Salzburg zu. Heute (2003) gibt es in Stadt und Land Salzburg in 25 Wirtshäusern einen fixen monatlichen Musikantenstammtisch.
Für das erprobte Rezept[165] „Salzburger Musikantenwirt“ nehme man folgende Zutaten:
Einen begeisterungsfähigen Wirt oder eine Wirtin,
eine Hand voll Sängerinnen und Sänger, Musikantinnen und Musikanten,
eine Gaststube voll zechwilliger Gäste mit „tiefkulturellem“ Hunger.
Man koche nun den Wirt oder die Wirtin in einigen Vorgesprächen so lange weich, bis sich das Aroma der Spendierfreudigkeit voll entfalten kann. Man muss diesen Vorgang sehr sorgfältig durchführen, da es immer wieder Sorten von Wirten und Wirtinnen gibt, deren Aroma sich vorschnell entfaltet und nach der ersten Verkostung umso rascher verduftet. Nach dem Weichkochen stellt man sie nun an einem vorher bestimmten Termin in die Gaststube. Diese füllt man nun mit den zechwilligen Gästen bis knapp unter den Rand auf. Um aus den eher bescheidenen Zutaten eine exklusive Art von Hausmannskost zu kreieren, dem ganzen Gericht den sprichwörtlichen Pfiff zu verleihen, mische man nun fein dosiert die Sänger und Musikanten darunter. Diese können einerseits als Frischfleisch eingekocht werden; die richtige Würze und den Schmelz auf der Zunge beim Genießen wird man jedoch nur in Verbindung mit den gut abgelagerten Sängern und Musikanten erhalten. Das Ganze lässt man nun einige Stunden – meist bis zur Sperrstunde – köcheln und wärmt dies jeden Monat einmal auf. Es ist hier ähnlich wie mit einem guten Gulasch: Durch oftmaliges Aufwärmen wird es immer besser.
Bis heute (2003) – der 1. Stammtisch fand 1992 statt – gibt es in Stadt und Land Salzburg in 25 Wirtshäusern einen fixen monatlichen Musikantenstammtisch. Es gibt immer wieder neue interessierte Gastwirte, die Freude am Musizieren und Singen in ihrem Lokal haben. Einige dieser Wirte sind selbst Musikanten oder erlern(t)en – angeregt durch den Stammtisch – ein Instrument (z. B. die diatonische Harmonika). Besonders engagierte Wirte, die ihr Haus als Musikanteneinkehr betrachten, erhalten die Auszeichnung „Der Salzburger Musikantenwirt“. Diese Auszeichnung wird in einer kleinen Feierstunde mit Lied, Musik und auch Tanz von einer bedeutenden Persönlichkeit des öffentlichen Lebens (Landeshauptmann, Landesrat, Bürgermeister, Polizeidirektor) dem Wirt oder der Wirtin in Form einer Urkunde und eines Emailschildes, welches beim Hauseingang Verwendung findet, verliehen. Das Fernsehen („Salzburg heute“) und die Salzburger Printmedien berichten von jeder Verleihung. Im Hörfunk gibt es Interviews von den verschiedenen Stammtischen. Somit hat jeder Wirt die Gelegenheit, für sein Haus und seinen Musikantenstammtisch kostenlos Werbung zu machen.
Rund ein bis zwei Auszeichnungen werden pro Jahr vergeben; bis 2003 wurden 14 Wirte ausgezeichnet. Zu den Wirtshäusern und somit gastlichen Häusern werden auch Schutzhütten und höchstgelegene Gastbetriebe gezählt. Wöchentlich erstellen wir einen Musikantenstammtischkalender, der in verschiedenen Zeitungen erscheint. Täglich werden die Stammtische auch in den diversen Radiosendungen angekündigt. 1993 stellten wir das Wirtshausliederbuch „Frau Wirtin, was san ma denn schuldig?“ als Unterstützung für textunkundige Stammtischbesucher vor.
Die Wirtsleute laden in regelmäßigen Abständen (meist monatlich) oder nur ein paar Mal während des Jahres Sing- und Musiziergruppen in ihr Gasthaus ein. Eingeladen sind alle Gastgewerbebetriebe des Bundeslandes Salzburg, gleichgültig welcher Größe, die
dem spontanen Musizieren und Singen dem Vorzug gegenüber der Musik aus dem Lautsprecher geben;
örtlicher Musik, Volkstanz- oder Gesangsgruppen eine Heimstatt geben und sie besonders fördern und betreuen;
den Gast zur musikalischen Betätigung in geselliger Runde ermuntern oder durch (volks)musikalische Eigeninitiative der Wirtsleute für „hausgemachte Unterhaltung“ sorgen;
speziell in ihrer Berg- oder Schihütte zum gemeinsamen Gesang anregen und die „Gitarre an der Wand“ zu neuem Leben erwecken;
anlässlich von Hochzeiten in ihren Räumlichkeiten eine Tanzmusik ohne Verstärker fördern und somit einen besonderen Beitrag zur traditionellen Musizierpraxis ihrer Landschaft leisten.
Als Dankeschön für einen klingenden Abend stellt sich der Wirt mit einer kleinen Jause und Getränken bei den Aktiven ein.
Die Träger der Aktion „Wieder aufspiel‘n und singen beim Wirt“ – das Hofbräu Kaltenhausen, die Wirtschaftskammer Salzburg und das ORF-Landesstudio Salzburg – zeichnen vorbildliche Gastbetriebe mit dem Prädikat „Salzburger Musikantenwirt“ aus. Es handelt sich dabei um Gastronomiebetriebe im Lande, welche als Musikanteneinkehr eine lange Tradition aufweisen oder sich erst in jüngerer Zeit der Aktion angeschlossen haben. Letztlich entscheidet für die Auszeichnung die „Annahme“ des jeweiligen Gastronomiebetriebes (Gasthaus, Hotel, Restaurant, Berggasthof, Schutzhütten ...) durch die aktiven Sänger und Musikanten, die ihre Ansprüche unmittelbar erfüllt oder weniger erfüllt wissen.
Die feierliche Überreichung der Auszeichnung geschieht in Form eines öffentlichen Abends durch Repräsentanten des Landes, der Wirtschaftskammer oder des ORF-Landesstudios Salzburg. Sichtbare Zeichen sind eine gerahmte Urkunde und eine Emailtafel zum Anbringen neben dem Hauseingang:
„Hier in diesem Lokal sind Sänger und Musikanten gerne gesehen!
Selber aufspiel‘n und singen ist erwünscht!“
In Salzburg finden derzeit (2003) an 18 Tagen im Monat regelmäßige Musikantenstammtische statt. Daran sind 25 Gasthäuser beteiligt. Darüber hinaus gibt es Gasthäuser, welche nur ein- oder zweimal im Jahr einen Musikantenstammtisch abhalten. 14 Gastronomiebetriebe wurden bislang mit dem Prädikat „Salzburger Musikantenwirt“ ausgezeichnet.
Die Termine der monatlich regelmäßigen Musikantenstammtische werden in Sendungen des ORF-Landesstudios Salzburg angekündigt und in Salzburger Printmedien publiziert. Somit bleibt die Information über die jeweiligen Stammtische im Fluss. Jedes Gasthaus, das eine Plattform für ungezwungene musikalische Begegnung bietet, wird monatlich beworben. Von den Stammtischen und Auszeichnungen gibt es laufend Berichte in „Radio Salzburg“ und „Salzburg heute“ (Fernsehen).
Die Idee „Wieder aufspiel‘n und singen beim Wirt“ soll der Volksmusik einen guten Dienst erweisen, das freie Miteinander-Musizieren ermöglichen, Improvisationsraum schenken, das Erlebnis des selbst produzierten Tons vermitteln, jungen Sängern und Musikanten ein Forum geben, ältere zum Vortrag bitten, nicht „bühnenreife“ Volksmusik zur eigenen Unterhaltung und Freude der Ausführenden zum Klingen bringen. Diese Aktion kann in vielfacher Weise Erfolg und Freude bringen: dem Wirt, seinen Gästen, den Sängern und Musikanten und letztlich unserer heimischen Musik und ihrer Überlieferung.
Der Wirt des Landgasthofes „Haushofer“ in Brunn bei Straßwalchen, der sich seit 1992 an der Aktion „Wieder singen und aufspielen beim Wirt“ beteiligt, schreibt anlässlich seines 100. Stammtisches im September 2000 Folgendes: „Die Idee fand bei mir im Jahr 1992 offene Ohren und mit verschiedenen Musikerfreunden (er zählt sie namentlich in seinem Schreiben auf) begannen unsere ersten Musikantenstammtische. Durch Mundpropaganda und Verlautbarungen in ‚Radio Salzburg‘ wurde unser Stammtisch rasch zum Treffpunkt junger und alter Musiker. Erste Auftrittsmöglichkeiten bei uns sind vielen Musikern heute noch in guter Erinnerung, wobei es nicht um absolute Perfektion gegangen ist, sondern Stücke wurden probiert oder neue Gruppen haben sich hier zusammengefunden. 1994 erhielten wir die Auszeichnung ‚Salzburger Musikantenwirt‘. Die Musikanten spielen ohne Gage, werden aber von mir mit Speisen und Getränken verpflegt!“
Der 100. Musikantenstammtisch beim Gasthof „Haushofer“ wurde ausgiebig gefeiert und dauerte drei Tage lang. Die Ursache für die Beliebtheit dieses Stammtisches liegt darin, dass der Wirt auf das Gleichgewicht von Geben und Nehmen achtet. Die Erfahrung zeigt, dass bei den Wirten, die das Kommen der Sänger und Musikanten mit Speis und Trank honorieren, der Platz in der Gaststube am Stammtischtag zu eng wird.
Adi Jüstel, der Wirt des „Altstadtkellers“ in der Stadt Salzburg, betreibt seit Mitte der 1990er-Jahre einen wöchentlichen Stammtisch. Er ist Jazzmusiker, hat nun selbst eine kleine Hausmusik und ist seit 30 Jahren Wirt und Musikant in einer Person – und das mit Leib und Seele. Zur Feier des 200. Stammtisches kamen die alten Größen der österreichischen Jazzszene genauso wie bekannte Interpreten aus dem Bereich der Volksmusik. Die ganze Nacht wurde mitsammen improvisierend musiziert.
Hier wurde einmal mehr die grenzüberschreitende „Urkraft“ unserer Volksmusik (ohne genaue Definition und pflegerische Richtigkeit) spür- und erlebbar. Durch die musikverständige Persönlichkeit des Wirtes Adi Jüstel lösten sich mancherorts bestehende starre Abgrenzungen zwischen den einzelnen Musikrichtungen wie selbstverständlich auf. Dieses positive Beispiel sei dazu angetan, auf andere ebenso positiv schillernd abzufärben.
Der Gasthof „Zu den 3 Brüdern“, bei Ortskundigen und Einheimischen besser bekannt als „Heisnwirt“, in Reit bei Unken, ist an der Aktion „Wieder singen und aufspielen beim Wirt“ beteiligt. Durch die Initiative einer Nachbarin angeregt und als musikalisch aktive Wirtsleute von der Idee sofort begeistert, richteten Cilly und Gerhard Faistauer einen monatlichen Musikanten-Frühschoppen am ersten Sonntag im Monat ein.
In der heutigen Jugendkultur hat Volksmusik wenig bis keinen Platz – Betroffene erzählen sehr selten ihren gleichaltrigen Mitschülern und Freunden, dass sie in dieser Musiksparte aktiv tätig sind. Die Idee der Wirtsleute (war und) ist, dass Familien und junge Musikant/innen und Sänger/innen die Möglichkeit bekommen, sich außerhalb der Nachtstunden zu treffen und miteinander musikalisch zu kommunizieren. So entstand hier der Musikantenstammtisch mit dem wahrscheinlich niedrigsten Durchschnittsalter der Aktiven. Auch treffen hier immer wieder musikalisch aktive Familien aufeinander, die dieses unkomplizierte Singen und Musizieren (auch aus pädagogischen Gründen) sehr schätzen.
Zu den Jungen gesellen sich gerne die ganz Alten, so auch der Seniorwirt „Heisn-Ferdl“ (86 Jahre), der sein Lebtag gerne gesungen hat. Auch hier zeigt sich die Kraft der Volksmusik – sie ist imstande, Generationen zu verbinden und ins Gespräch zu bringen.
[162] Kapitel 4, 6 und 7 von Roswitha Meikl
[164] Günther Nenning hat diesen Begriff für die Volkskultur als Gegenstück zur Hochkultur beim 1998 stattfindenden österreichweiten Symposium in Salzburg „Mit allen Sinnen“ ins Leben gerufen.
[165] Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass unser Rezept allgemeine Gültigkeit für das Weiterleben von Volkslied und Volksmusik hat. Es ist dies eine weitere Möglichkeit, Musik hautnah zu erleben. Es ist hier so wie im Leben auch: Der eine besucht ausschließlich die verschiedensten Gourmettempel (und damit meine ich im übertragenen Sinne die Musik auf Bühnen), während andere die musikalische Hausmannskost im einfacheren Lokal bevorzugen. Beides hat in unserer Zeit seine Berechtigung und dient dem gegenseitigen Verständnis auf musikalischer Ebene.