Wenn Søren Kierkegaard recht hat: „Das Christentum ist Jesus und sonst nichts!”, ist beizufügen, dass er damit die Aussage des heiligen Paulus im Römerbrief auf den Punkt gebracht hat, der da sagt (Römer 10,8): „Wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr' und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt', so wirst du gerettet werden.”
In dieser Kurzformel des Glaubens ist klar begründet warum die Jesus-Schar, die „Leute vom neuen Weg” wie sie in der Apostelgeschichte (9,2) genannt werden, es nicht nur bei dem „Sch'ma Israel”, dem aus Deuteronomium 6,4 stammenden täglichen Gebetsaufruf Israels belassen konnten: „Höre Israel dein Gott ist ein einziger Gott.” Dieser einzige Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, der uns am Herzen des Vaters ruhend Kunde davon brachte, dass „Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn in sie hineingesandt hat” (Jo 3, 16). „Am dritten Tage auferstanden von den Toten”, das ist die Botschaft, die die verschreckte Jüngerschar, nachdem sie sich nach der Katastrophe des Karfreitags zerstreut hatte, wieder Tritt fassen ließ. Er lebt, er hat sich sehen lassen, er ist mitten unter uns.
Mit dieser Botschaft geht das Christentum in die Welt und sagt und lebt, dass damit alle widergöttlichen Mächte, auch die Gewalt des Todes entmachtet sind. Denn er ist (Apk 1,18): „Der Erste und der Letzte und der Lebendige. Er hat die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.” Ist dieses Geschehen aber in das Bild zu bringen? So sehr es richtig ist, dass das Geschehen von Golgotha, die Kreuzigung Jesu am Karfreitag im hellen Rampenlicht der Geschichte stattgefunden hat und alle Ereignisse im letzten Lebenstag dieses Jesus von Nazareth in ihrer historischen Abfolge genau ermittelt werden können, so sehr gilt für die Auferstehung, dass sie nicht mehr mit den Maßstäben von Raum und Zeit messbar ist. Denn mit der neuen Seinsweise, die der erhöhte Herr, der am Kreuz Gehangene, in seinem verklärten Geist-Leib nunmehr besitzt, sind alle Schranken unserer irdischen Existenz hinfällig geworden. Wann und wo kann ich nur bei der Kreuzigung fragen aber wann und wo war Auferstehung? Es gibt niemanden, der sich in der Bibel als Augenzeuge dessen bezeichnet hätte. Es ist wie beim Einschlagen einer riesigen Bombe, deren Detonation niemand überlebt. Ich kann nur nachher, wenn ich den Kraterrand, den diese Bombe hinterlassen hat, entlang gehe, ermessen, wie gewaltig dieser Einschlag gewesen sein muss.
Der erhöhte Herr – er geht durch Raum und Zeit, wie es ihm beliebt. Er erscheint Einzelnen und dann wieder ganzen Gruppen. Manche täuschen sich in ihm (wie etwa Maria von Magdala, die ihn mit dem Gärtner verwechselt und ihn erst an seiner Stimme erkennt). Wieviel Zeit trennt uns also von diesem Ereignis? Es ist hier und jetzt. Wir müssen das Rad der Geschichte nicht um 2000 Jahre zurückdrehen, dass wir sozusagen an diesem „Kraterrand der Auferstehung” entlang spazieren könnten. Der deutsche Bibelerklärer und Theologe Alfred Wikenhauser hat dies einmal treffend formuliert: „Der für mich am Kreuz gestorben ist, lebt jetzt als Auferstandener in mir.”
Dies ist Kernbotschaft christlichen Glaubens für alle Jahrhunderte. Es gibt keine andere Weltanschauung, die in einer so radikalen Form den Kampf mit dem Tod aufgenommen hätte. Denn in der Jesusbotschaft hat das Leben das letzte Wort und nicht der Tod. „Ich bin die Auferstehung und das Leben” (Joh. 11, 25). Jesus sagt nicht „Ich habe das Leben”, sondern „Ich bin es”. Keine Macht der Welt kann dieses Leben stoppen oder zum Erlöschen bringen. Es ist nicht abhängig von irdischer Wirklichkeit, von den Kräften meines Leibes oder Geistes, von all den Befindlichkeiten, die ich im Laufe meines Lebens durchmachen muss. „Wenn Du mit dem Mund bekennst und mit dem Herzen glaubst”, das hat Paulus richtig gesehen. So verläuft christliche Glaubensverkündigung.
Es kann kein Zweifel bestehen: Der Mensch macht sich mit Zeichen viel mehr verständlich als mit Worten. Symbole legen Erfahrungen fest. Sie bestimmen die Konstanten. In diesem Zusammenhang darf wohl festgestellt werden: Kein Zeichen besitzt ein größeres Deutungspotential als das Kreuz, denn dieses vereint und grenzt ab zugleich. Es teilt die Welt in links und rechts, oben und unten, senkrecht und waagrecht. Längst bevor dieses Zeichen für den christlichen Glauben bestimmend geworden ist, stand das Kreuz in Verbindung von Mensch, Welt und Gottheit. Noch in Verbindung mit dem alten ägyptischen Sonnensymbol, dem Kreis, begegnet uns das Kreuz im frühen Christentum, denn Christus ist die wahre Sonne und deshalb ist die Kreuz/Kreiskombination eines der aussagekräftigsten Symbole. Nächstenliebe und Gottesverehrung sind in dieser Botschaft gleichermaßen inbegriffen, denn Kreuz- Deutungen sind kaum Grenzen gesetzt bis zu der Perversion, die das Kreuz in den Kulten der Satanisten einnimmt. Man sieht, das Kreuz trägt schwer an seiner Last.
Zu Anfang des Christentums war es eine Frage der Klugheit, die Darstellungen des Glaubensinhaltes so zu verschlüsseln, dass Nichtchristen nicht ohne weiters den Sinn der Darstellungen erkennen konnten. Nur den Eingeweihten, den durch die Taufe „Dazugehörenden”, die um den geheimen Sinn des Lebens wissen, war die ganze Tragweite dieser Bilder verständlich. So ist es naheliegend, dass die Auferstehung in Spiegelgeschichten erzählt wurde. Dazu gehört die Geschichte des Propheten Jona, der aus dem Bauch des Fisches errettet wird, es ist das Bild für den siegreich aus dem Grab lebendig hervorgestiegenen Jesus. Die Auferweckung des Lazarus wurde im altkirchlichen Verständnis der biblischen Texte als Vorwegnahme der Auferstehung Jesus gedeutet. Somit gilt das Bild der Auferweckung des Lazarus als Inbegriff christlicher Hoffnung. Nur Jesus ist die Macht gegeben über Leben und Tod. Dieser auferstandene Herr hat die Macht, am Leben zu halten und in das Leben zurückzurufen. Auch wenn wir allem Augenschein nach ohnmächtig dem Tode zutreiben – diese Szene ist auf dem Boden der Goldgläser dargestellt, die man zu hunderten in den Katakombengräbern gefunden hat. Es waren beliebte Geschenke, auch zu Familienfesten und zu Neujahr.
Als weiteres verschlüsseltes Bild der Auferstehung der Kunst der alten Kirche kommt das Lamm in Betracht, so wie es in der geheimen Offenbarung Kap. 21 uns vor Augen gestellt wird. In zahlreichen Kirchen – am schönsten wohl in dem Kuppelmosaik von San Vitale in Ravenna aus der Zeit um 547 – tritt es uns vor Augen. Das Lamm ist der strahlende Zenit der Kuppel und des gesamten Weltalls. Auf Christus hat der Vater all unsere Sünde geworfen und deshalb hat er in stellvertretendem Leiden die Welt errettet (vgl. Jesaia 53). Fragt man nach einem gültigen Zeugnis bildlicher Darstellung der Auferstehung aus der Frühzeit des 2. Jahrtausends in unserem Lande, so muss man zu den Spitzenwerken der Buchmalerei greifen. Um 1050 hat ein gewisser Custos Berchthold in Salzburg eine Evangelien-Handschrift angefertigt, die bis 1933 im Besitz der Erzabtei St. Peter verwahrt wurde; heute befindet sie sich in der Pierpont Morgan Librery in New York. In diskret verhaltener Aussage ist die Auferstehung hier nur in der Botschaft der Engel greifbar. Wie in der alten Kirche überhaupt, ist das Ereignis selbst hier nicht in das Bild gesetzt.
Das Grab ist offen, der Deckel zur Seite gerückt, man sieht die beiden Binden, so wie es im Johannes-Evangelium beschrieben wird, eine Binde für den Kopf zur Seite gelegt. Der Engel sagt zu den Frauen: „Er ist nicht hier”. Die Frage: „Wo ist er dann?”, drängt sich unweigerlich auf. Das ist schwer in Worte und in Formeln zu fassen. Hier geht es um Erfahrung; der Engel sagt den Frauen etwas, aber sie müssen IHN selber erleben. Durch die Worte der Boten werden sie offen für eine Erfahrung, die ihren eigenen persönlichen Horizont übersteigt. Auch wir hören etwas wie die Frauen, aber wir müssen das, wovon diese Worte sprechen, in unserem Leben selbst als Wahrheit erfahren.
Die Auferweckung des Lazarus begegnet uns im Salzburger Totenbuch in einer Federzeichnung (um 1150). In großer Innigkeit umfangen die knienden Schwestern Martha und Maria die Füße des erhöht vor der Grabkufe stehenden Herrn.
Das großartigste und bis heute niemals wieder erreichte Bild des Auferstandenen findet sich auf dem Isenheimer-Altar des Mathis Gotthart Nithart, genannt Grünewald. 1513 erhielt er für das Antoniterkloster in Colmar den Auftrag, den großartigsten Flügelaltar der deutschen Spätgotik herzustellen. Für die Gestalt des Auferstandenen greift er dabei auf die Darstellungsform zurück, die schon um die Mitte des 14. Jahrhundert in Italien sich herausgebildet hat: Christus schwebt über dem Grab. Das Körperhafte der Christusgestalt ist durch das Licht in das Schwerelose aufgehoben. Der Auferstandene hebt beide Hände empor, deren Wunden zu Quellen des Lichtes und zu Zeichen des Heiles gewandelt sind. Durch die Arme entsteht ein Halbkreis, der das Licht um das Haupt Jesu herum gegen die heftigen Bewegungen des Gewandes abgrenzt. Gleich einer riesenhaften Sonne drängt das Licht in die Nacht und verbindet sich mit dem Leuchten des verklärten Leibes. Er ist die strahlende Sonne der am jüngsten Tag kein Abend folgen wird. Dieser hat alle Nacht vernichtet und tritt nun in diese Welt ein. Es ist das unerreicht großartige Zeichen der Hoffnung das uns alle einlädt: „Lass dich darauf ein, aus dieser Botschaft zu leben.”
Fast genau 100 Jahren später hat im Dom zu Salzburg der aus Florenz stammende Maler Arsenio (Donato) Mascagni dasselbe Thema auf dem Altarblatt des Hauptaltares behandelt. Auch dieser Auferstandene ist durchgeistigt und hat einen schwerelosen Schwebezustand erreicht. Die manieristisch langgezogenen Gestalten der Engel, die ihn begleiten und die Wächter, die um das Grab herum schlafend sitzen, sollen bis zu dem abgebrochenen Siegel des Grabdeckels minuziös genau darstellen, was sich ereignet hat. Unwillkürlich zieht das sehr flächig gehaltene Bild den Blick des Besuchers (besonders bei passendem Licht) nach oben. Dieses 1626 gemalte Auferstehungsbild gilt als das großartigste Zeugnis dieser Epoche in Österreich.
1775 erhielt der Tiroler Künstler Martin Knoller den Auftrag, die große Mittelkuppel der Stiftskirche von Neresheim (bei Ulm) mit einem Fresko zu schmücken. In kraftvollem sieghaftem Pathos schreitet der Auferstandene aus dem leeren Grab hervor und tritt in das lichtvolle Zentrum des göttlichen Urgrundes. Es ist Theaterdonner, der hier ein letztes Mal in der Großartigkeit des späten Barock Triumphe feiert. Das ist Kunst, die zu Propagandazwecken des Glaubens missbraucht wurde.
Das 19. Jahrhundert hat zahlreiche Auferstehungsbilder geschaffen. In der sehr rückwärtsgewandten Auffassung kopiert man damals „deutsche Stile” früherer Jahrhunderte. Jede eigene Gestaltungsabsicht ist aufgegeben. Es ist ein idealisiertes Heilandsbild, das als sentimental- süßliche Andachtskunst serienmäßig hergestellt wurde. 1891 hat die Wallfahrtskirche in Kevelaer (Rheinland) dieses Altarbild bestellt.
In den Kirchen des Ostens sieht das Auferstehungsbild ganz anders aus. Es ist das „Hinabgestiegen in das Reich des Todes”, das hier zur Sprache kommt. Die Auferstehung wird also in den Heilswirkungen für die ganze Menschheit erfahren. Christus steht auf den zerbrochenen Toren der Unterwelt, als lichtvolle Gestalt reicht er dem ersten Adam die Hand, der zweite Adam, das Haupt der zweiten Schöpfung, ist hier das Bildzentrum. Die Auferstehung ist kein Ereignis, das auf Jesus und sein persönliches Schicksal beschränkt bleiben könnte. Der Herr des Lebens, der am Kreuz tot war, steigt in die Todesnacht der Unterwelt und bricht die Fesseln des Todes, die seit Adam auf die Erlösung auf das „bei Gott Sein” warten. Er nimmt sie mit sich und entreißt dem Tod seine Beute. Zwischen dem Todesruf „Es ist vollbracht” des Karfreitags und dem Auferstehungsjubel „Licht Christi” der Osternacht steht dieses Osterbild der Ostkirche. In vielen russischen Ikonen ist diese Darstellung sehr vertraut. Die Brücke zwischen dem Reich des Todes und dem Bereich des Lebens ist das Kreuz: Das Zeichen des Todes ist zum Weg des Lebens geworden.
Die großartige Bildgeschichte der Auferstehung Christi, die sich über mehr als 1000 Jahre im westlichen Abendland erstreckt, ist im 20. Jahrhundert abgelaufen. Die Grauen der beiden Weltkriege und das hernach um sich greifende Elend der Flüchtlinge und des Hungers haben zu tief empfundenen Darstellungen des leidenden Christus geführt. Über ein Bild der Auferstehung wagte man sich im herkömmlichen Sinne nicht mehr. Deshalb sei an dem Schluss dieser Ausführungen stellvertretend für viele andere das großartige Bild des Pariser Malers Alfred Manessier (1911–1993)gestellt. Auferstehung heißt, sich dem Licht aussetzen, auch wenn man fast blind wird davon. Davon spricht dieses Bild: es ist die leuchtende Sonne, ein Traum-Bild „was sucht ihr denn Lebenden bei den Toten” (Lk 24,5). Dieses Bild heißt an das Leben glauben. „Leben heißt sich wandeln und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben” (J.H. Kard. Newman). Davon spricht dieses Bild.