Welche Bedeutung haben Bräuche für die überregionale Kulturarbeit?
Derzeit gibt es im Rahmen der EuRegio eine Arbeitsgruppe Kultur, die sich mit Bräuchen in den einzelnen Teilbereichen beschäftigt, wie zum Beispiel mit der Mundart. Wir versuchen die Stellen zu koordinieren und die Dinge, die für die Region als Ganzes interessant sind, auch gemeinsam zu erhalten. In unserer EuRegio sind die drei Teilregionen Traunstein-Chiemgau, das Berchtesgadener Land und das Land Salzburg auf einer gemeinsamen Basis, wo Akteure von allen Seiten an einen Tisch gebracht werden, um Probleme, Themen und Inhalte zu besprechen.
In welcher Form (Inhalte, Aufgaben, Ziele) kommen Bräuche in der überregionalen Kulturarbeit der EuRegio vor?
Die EuRegio versucht als grenzüberschreitende Einrichtung im bayrisch-österreichischen Grenzraum, die für die Regionen grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu koordinieren, zu intensivieren und zu initiieren. Das Ziel ist letztlich, die Region – wenn man die wirtschaftliche Ebene betrachtet – im Standardwettbewerb der Regionen in Europa gemeinsam stark zu machen. Allgemein ist die Hauptzielsetzung, das „Halbkreisdenken“, das sich seit der Grenzziehung von 1816 auf beiden Seiten entwickelt hat, wieder schrittweise rückgängig zu machen. Als Geschäftsführer bin ich der Hauptkoordinator, der aus allen Bereichen die Zusammenarbeit fördert.
Die Idee dazu gibt es schon sehr lange: Sie geht zurück auf die Zeit Ende der 1950er-Jahre, als die EUREGIO im deutsch-holländischen Raum entstanden ist. Und im Zuge des EU-Beitrittes am 1. Jänner 1995 hat man sich Gedanken gemacht, ob man diese EUREGIO-Idee auch in unserem Raum installieren oder verwirklichen kann.
Es gibt bei EuRegio kein überregionales Kulturkonzept, sondern es gibt gemeinsame Aktivitäten im kulturellen Bereich, wie zum Beispiel die „EuRegio Kulturerlebnis-Karte“, auf der alle gemeinsamen Museen, die es in der Region gibt, auf einer Karte zusammengefasst und mit notwendigen Informationen versehen sind. Genauso gibt es Aktivitäten im Bereich der Mundart, wo man versucht, verschiedene Mundartdichter diesseits und jenseits der Grenze zusammenzuführen, gemeinsame Lesungen zu veranstalten und der Bevölkerung näherzubringen. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass man aufgrund der verschiedenen Verflechtungen das möglichst gemeinsam macht. Bräuche haben sich – zum Beispiel das Thema Krampus- und Perchtenlauf – im bayrischen Nachbarraum in eine andere Ecke weiterentwickelt; deswegen finde ich es spannend, dass man Dinge für den Raum gemeinsam macht. So unterschiedlich sind die Bräuche wahrscheinlich nicht, aber es gibt so viele Facetten und Nuancen, dass es interessant ist, über den Zaun hinüberzuschauen. Ich denke, dass die Bevölkerung das wahrnimmt und schätzt.
Wir haben ein Interview mit Sepp Forcher gehört, der ja fast der Inbegriff unserer Region ist und acht Jahre Hüttenwirt am Untersberg war, wo er den perfekten Überblick gehabt hat und der – für mich – zwei wichtige Dinge gesagt hat. Er hat zum einen gesagt, dass das, was man der Bevölkerung vermitteln soll, nicht dieser Kunstbegriff des ländlichen Raumes ist, sondern das ist eigentlich unsere Heimat, die wir damit meinen. Und das zweite ist, dass man den Grenzraum so bekannt und transparent machen muss, dass der Bürger die Möglichkeit hat, sich das Richtige herauszusuchen. Warum soll es nicht für einen Elsbethner, Gollinger etc. interessant sein, zu Brauchtumsveranstaltungen nach Traunstein oder Freilassing zu kommen und umgekehrt? Da sind im kulturellen Bereich noch so viele Möglichkeiten offen. Die Leute interessieren sich ja nicht nur für Lenny Kravitz-Konzerte, sondern es gibt auch viele, die sich für den volkstümlichen Bereich und die volkskulturellen Gegebenheiten interessieren und damit beschäftigen. Deshalb ist es wichtig, solche Dinge zu machen.
Inwieweit verstärkt sich die Sehnsucht nach überregionalen Bräuchen im Zusammenhang mit EuRegio und EU?
Da gibt es zwei Aspekte: Der eine ist, dass seit dem EU-Beitritt Österreichs auch gewisse Fördermittel seitens der EU zur Verfügung gestellt wurden, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Speziellen unterstützen; das ist natürlich ein gewisser Anreiz für die Institutionen sich zusammenzufinden oder zusammenzuraufen. Darüber hinaus erkennt man immer mehr, dass man nicht aneinander vorbeiarbeiten kann, wenn es um Infrastruktur geht – wie zum Beispiel Sporteinrichtungen, Sozialeinrichtungen. Da macht es ja keinen Sinn, zum Beispiel in Salzburg ein großes Fußballstadion zu bauen und in Freilassing auch noch eines. An diesem Beispiel sieht man, dass ein gemeinsamer Handlungsbedarf bei so großen Infrastrukturprojekten gegeben ist.
Auch im Verkehrsbereich – der soll ja an der Grenze nicht haltmachen – muss man die Dinge miteinander verflechten, um effizient arbeiten zu können. Es ist ja so, dass Grenzen immer Nähte sind zwischen zwei Staaten, wo sich die Dinge unterschiedlich entwickelt haben. Und wenn man jetzt einen gemeinsamen Binnenmarkt hat, Grenzkontrollen abbaut und den Bürger immer mehr ermuntert, sein Leben über die Grenze hinweg auszurichten, dann muss man auch dafür Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen und Grundvoraussetzungen auch einigermaßen zusammenpassen – das ist der Anspruch, den wir mit EuRegio versuchen zu unterstützen.
Wir sehen es nicht zwingend als unsere Aufgabe, für alle Lebensbereiche der Mediator zu sein und sämtliche Aktivitäten und Aktionen der Bevölkerung klarzumachen, das ist Aufgabe der zuständigen Einrichtungen – wir können aber gerne unterstützen oder auch einmal, wenn man ein gemeinsames Projekt macht, eine gemeinsame Medieninformation herausgeben. Aber in der Regel soll es so sein, dass wir nur versuchen, die zuständigen Einrichtungen zu koordinieren.
Mit der EuRegio wurde ein Kulturraum neu bewertet. Welche Auswirkungen hat diese Neubewertung?
Ich würde nicht sagen, dass es eine Neubewertung des Kulturraumes ist. Aus meiner Sicht ergibt sich ein Kulturraum aus den gewachsenen, geschichtlich und historisch bedingten Gegebenheiten und Voraussetzungen, die da sind und Beziehungen, die im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten entstanden sind. Da muss man – glaube ich – nichts neu bewerten oder neu definieren, sondern eher dahin kommen, dass man den Raum wieder als Ganzes betrachtet und da ist man gerade im kulturellen Bereich nicht sehr weit voneinander entfernt, weil auch ohne EuRegio die kulturellen Beziehungen über die Grenze hinweg traditionell sehr gut sind.
Die Stärke einer Region besteht in ihrer Vielfalt. EuRegio will nicht alles gleich machen, sie soll nur das Bewusstsein für den anderen wecken, für seine Eigenheiten, für seine Besonderheiten, die aber auch vollständig anerkennen und da – wenn man in den administrativen Bereich schaut mit Verordnungen und Verwaltungsvorschriften oder Ähnlichem –, wo es Sinn macht, die Dinge leicht zu machen und damit abzustimmen, muss man das anstreben. Aber gerade im Kultursektor sollen – finde ich – die vielen Besonderheiten, die es hier in der Region gibt und die gemeinsame Wurzeln haben, bewahrt und nicht gleichgemacht werden.
Der Raum Bayern, Salzburg, Berchtesgadener Land, Traunstein hat intensive, historische Gemeinsamkeiten. Bayern hat einmal zu Salzburg gehört, war aber nie österreichisch, weil zu der Zeit Salzburg noch selbstständig war; umgekehrt haben Teile von Salzburg zu Bayern gehört und aus dem heraus ist dieses Gemeinsamkeitsgefühl entstanden. Das Erzbistum Salzburg hat zum Beispiel einmal bis zum Chiemsee gereicht, das ist eigentlich mehr oder weniger der Raum, der unsere EuRegio jetzt ausfüllt. Dazu kommt, dass Berchtesgaden, wenn man sich das auf der Karte einmal ansieht, eigentlich in der Mitte vom Land Salzburg liegt – so ungefähr zumindest. Und das alles bedingt eine sehr starke Verflechtung miteinander, einen sehr starken Interessensausgleichsbedarf. Das kann in anderen Regionen wieder ganz anders sein – das kommt aus der Region selbst.