Prof. Alfred Winter (Salzburger Landesbeauftragter für kulturelle Sonderprojekte bis 2011, Gründer des Vereins Tauriska zur Förderung eigener Kultur- und Regionalentwicklung in der Region Nationalpark Hohe Tauern) gab Marina Wimmer am 18. Juni 2002 ein Interview.
Sie haben die Idee „Tauriska“ geboren, um welche Idee handelt es sich hierbei?
Wie man den Nationalpark Hohe Tauern vor 20 Jahren durchsetzen wollte, glaubte man, dass das in erster Linie ein ökologisches Projekt sei, und ich meinte eher, dass dies ein kulturelles sei, weil es die Menschen betrifft. Ökologie heißt die Natur bewahren, aber ich muss die Natur ja nicht vor sich selbst bewahren, sondern die Natur erfordert den Eingriff des Menschen – man muss die Menschen richtig beeinflussen, dass sie mit der Natur richtig umgehen und mit dem Lebensraum, der sie umgibt. In den Hohen Tauern war es so, dass es nicht nur ein hartes Naturschutzgesetz geben soll oder den Kampf mit den Menschen dort, die geglaubt haben, sie würden wie Indianer in amerikanischen Reservaten behandelt; sondern, dass ich mich um die Menschen kümmern muss, auf die eingehen muss und ich meinte, dies ginge mit einer speziellen Kulturarbeit, die in diesem Ausmaß vorher nicht möglich war.
„Tauriska“ waren ein keltisches Volk in den Alpen, die im Südabhang der Tauern gelebt haben. So wie Michail Gorbatschow damals „Perestroika“ – Neugestaltung – gesagt hat, meinte ich, brauchen wir für diese neue Kulturarbeit ein Schlagwort, haben „Tauriska“ verwendet und begonnen, über die Jahre in fast jeder der Nationalparkgemeinden Kulturvereine zu gründen und haben so versucht, unterschiedlichste Elemente originaler Volksmusik wieder zu aktivieren – wie spezielle Musizierwochen –, aber auch völlig neue Akzente zu setzen – mit Sommerakademien mit Musik, Malerei, Literatur. Und so sind über die Jahre wunderbare Aktivitäten zustande gekommen. Eine Umfrage aus 1994 hat besagt, dass von 1.000 Befragten 83 % meinten, dass es durch diese spezielle Kulturarbeit gelungen sei, den Nationalpark Hohe Tauern zu einer nahezu 100-prozentigen Anerkennung bei der Bevölkerung zu bringen, die vorher sehr dagegen war. Und die noch viel schönere Antwort war, dass diese 83 % auch meinten, dass die Lebensqualität dieser Region durch die Kulturarbeit nachhaltig verbessert wurde.
Die Idee dahinter ist, den Menschen zu zeigen, wie man einen Kulturverein gründet und wie man Aktivitäten selbst in die Hand nimmt, um etwas zustande zu bringen. Da ist uns die Philosophie von Leopold Kohr – ein in Salzburg geborener Philosoph („Small is beautiful“), ein Oberndorfer, der in England und Amerika sehr berühmt geworden ist – sehr wichtig, die besagt, dass die kleine Einheit einer Region ihr Selbstbewusstsein schärfen muss, die eigenen Ideen und Innovationen erforschen, zustande bringen und etwas daraus machen muss: Also, dass man nicht immer darauf wartet, bis ein großer Staat etwas tut, sondern dass man in der eigenen Region mit viel Selbstbewusstsein die eigenen Produkte der Landwirtschaft zu erkennen beginnt. Man hat zum Beispiel im Pinzgau 128 unterschiedliche Käsesorten gehabt, und das war alles verkommen und da hat die Biobauernbewegung, die wir auch sehr nachhaltig unterstützt haben, wieder begonnen, selbst Käse zu machen. Heute weiß man gar nicht mehr, wer die Urheber vor 20 Jahren waren – das ist aber gut so, denn die Kulturarbeit und alles, was wir geholfen haben, vom Zaun zu brechen, ist Alltag geworden.
Welche Visionen verbinden Sie mit Ihren Kulturinitiativen?
Diese „Tauriska-Geschichte“ hat dazu geführt, dass wir in Neukirchen – neben vielen Kulturzentren – die „Leopold-Kohr-Akademie“ in einem altem Stall gegründet haben, wo es sehr viele Kurse für diese regionale Kulturarbeit – vom Computerkurs für Bäuerinnen bis zum Musikkurs, Ausstellungen und Sonstiges – gibt und ausgehend von dort haben – vor ca. fünf Jahren (Stand 2003) – andere Regionen im Land gemeint: „Mein Gott, warum passieren diese Dinge immer nur im Pinzgau und nicht sonst wo auch?“
Aus „Tauriska“ ist das Projekt „Schatzkammer Hohe Tauern“ geworden, wo es einerseits darum ging, Altes, Vergessenes und Verschüttetes (manchmal auch absichtlich Verschüttetes) wieder zu entdecken und etwas daraus zu machen, andererseits aber nicht nur zurückzuschauen, sondern auch Initiativen, Innovationen und Talente unserer Tage zu entdecken und denen zu helfen, etwas zustande zu bringen und Projekte, die unmöglich erscheinen, zu verwirklichen.
Die Idee wurde in viele andere Teile des Landes gebracht, zum Beispiel ist in Hintersee ein tolles Kulturzentrum – das Agrikulturzentrum mit vielen anhängenden Initiativen – entstanden. Das letzte große Projekt wurde letzten Sommer umgesetzt, nämlich der Teufelsgraben in Seeham – eine sehr schöne Naturgegebenheit, wo es eine Schlucht gibt und einen Wasserfall. Früher gab es dort 15 Mühlen, heute ist noch eine Kugelmühle, die von den Bauern vor Jahren renoviert worden ist, vorhanden und es gibt noch eine große bewohnte Mühle, die am Zusammenfallen war und von uns renoviert wurde – somit zu einem Schatzkammerprojekt wurde – und jetzt wieder voll aktiv ist. Es gibt im dortigen Biobauernverein rund 120 Mitglieder, die zum Teil wieder Getreide anbauen und das dort vermahlen – sie ist nicht nur eine Schau- und Museumsmühle, sondern eben auch eine wirtschaftlich tätige. Weiters gibt es im Umkreis einen Bauern, der Präzisionsarmbrüste macht und einen Armbrustschießstand etc. hat. All das und die vielen Dinge, die sich noch dadurch ergeben haben, ergeben also ein wunderschönes Projekt, das wir letzten Sommer eröffnet haben.
Und so ergibt eben ein Projekt das nächste. Jetzt (2002) sind wir dabei, Georg Rendl, den Dichter („Die Glasbläser von Bürmoos“) vielgestaltig zu entdecken, also nicht nur seine Literatur und Malerei, sondern auch sein Umfeld. Weiters starten wir in zwei Jahren das große Projekt „Mitteleuropäischer Lebensraum Salzach – die Salzach mit allen Sinnen wiederentdecken“. Früher hat ja der Mensch mit der Salzach viel mehr gelebt, nicht nur gefischt, sondern auch Holz und Salz transportiert und die Menschen haben auch wegen der Salzach da gelebt. Mit diesem Projekt wollen wir die Salzach von Kunst und Kultur bis zur Ökologie wirtschaftlich entdecken und es wird eine große Ausstellung im Haus der Natur und im Salzburger Museum Carolino Augusteum (heute Salzburg Museum) geben, das vor seiner Übersiedelung zum ersten Mal seit 60 Jahren mit dem Nachbarn, sprich Haus der Natur, kooperiert.
Welche/s Kulturprojekt/e wurde/n von der Bevölkerung in der Region am besten angenommen?
Es liegt sehr viel an der Öffentlichkeitsarbeit und ob man sozusagen eine ungewöhnliche Idee hat. Zum Beispiel wie wir die „Szene“ gegründet haben, da haben viele gesagt: „Wieso brauchen wir so etwas?“, das war ungewöhnlich für Salzburg, aber die jungen Leute haben es doch gebraucht und man hat gesehen, dass das ein einschlagender Erfolg war, aber es dauert eine Zeit, bis sich das bei den Menschen durchsetzt. Auch da ist alles Entwicklung. Schwierigkeiten gab und gibt es genug: Zum Beispiel haben wir 1967 in unserer Jugendbewegung die erste Umweltschutzdemonstration am Alten Markt gemacht. Oder 1975 habe ich mit Herbert Fux eine Aktion gestartet, weil die Freisaalgründe durch den Bau der Freisaaluniversität verschüttet werden sollten und das wäre ein Anschlag auf diesen Grüngürtel Salzburgs gewesen.
Welches Projekt konnten Sie bislang noch nicht umsetzen und warum?
Für nächstes Jahr, 2003, kommt ein Barockfest. Nächstes Jahr wird der Erzbischof Paris Lodron gefeiert und da versuchen wir etwas Ähnliches wie vor fast 18 Jahren auf die Beine zu stellen, wo wir den Erzbischof Wolf Dietrich mit einer großen Ausstellung, aber auch mit vielen Konzerten, Festivals gefeiert haben und einen Tag gemacht haben „Barock und Renaissancefest“, wo sich Leute Kleider geschneidert haben und die ganze Stadt voller Leute mit barocken Gewändern war. Außerdem haben wir den Einzug des Wolf Dietrich nachgestellt, das wollen wir dieses Mal nicht machen, sondern lustige Dinge, viele Konzerte und vielleicht auch einen Barockball im Festspielhaus.
Das Zweite ist, dass wir uns um Weltmusik kümmern wollen und da hat Direktor Haas von der Universität Mozarteum [Anm. der Redaktion: Roland Haas, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg 2000–2005] eine lustige Idee gehabt: und zwar kümmern wir uns ja viel mehr um die Ethnomusik der Indianer und die der Iren, die aber eh aus Afrika kommt und um afrikanische, asiatische als um die europäische Urmusik. Und deshalb müssen wir uns um die Wechselwirkung von europäischer und außereuropäischer Musikentwicklung und Kultur kümmern und da hat Rektor Haas gemeint, dass Europa ein christlich orientierter Kontinent ist, aber wie wäre es, wenn man im Marienlied – das es ja weltweit gibt, von Georgien, Armenien, sogar unter den Muslimen, bis Lateinamerika – in zwei Jahren die Weltmusik zum Thema machen würde und die verschiedensten Exponenten herbeiholt.
Projekte, die nicht verwirklicht werden konnten, gibt es auch, aber ich muss sagen, dass die Trefferquote keine schlechte ist – ich kann mich nicht beschweren. Es gibt Projekte, die manchmal auch etwas länger dauern – es ist alles Entwicklung, man selbst auch, und da muss man schauen, wie man die Dinge hinbekommt, die man so vorhat.