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Woran denken wir, wenn wir den Begriff Dorf hören? An eine abgelegene bäuerliche Idylle in den Bergen, ein „Heidi-Land“? An Karl Heinrich Waggerls und Peter Roseggers Geschichten von der „fröhlichen Armut“, in der frühere Generationen ihr Leben in der räumlichen Abgeschiedenheit verbracht haben? An Heimatfilme aus den 1950er-Jahren, die eine „heile Welt“ dargestellt haben? Oder eher an die von Felix Mitterer geschaffenen Bilder der Vermarktung von Heimat, wie sie in den vier Teilen der „Piefke Saga“ dargestellt worden sind? Was ist das Dorf jenseits der Klischees und Mythen?
Lebensstile, die städtisch geprägt sind bzw. auf ländlich-bäuerlichen Traditionen und Werten beruhen, sind in den letzten Jahrzehnten in stärkere Berührung gekommen als dies früher der Fall war. Der soziale Wandel fordert die Anpassungsfähigkeit der Menschen, da bewährte Handlungsmuster in Zweifel gezogen werden.
Wissenschaftliche Grundlagen, die der Veränderung von Lebensbedingungen in ländlichen Räumen nachgehen, sind gefragt, wie öffentliche Diskussionen der Regionalentwicklung, Dorferneuerung und Erwachsenenbildung zeigen. Es gilt, eine Balance zwischen Tradition und Aufbruch zu finden. Unter „Mehr zum Thema“ lesen Sie das Ergebnis einer ausführlichen Theoriendiskussion, der Beleuchtung von Schulen und Denkern aus verschiedenen Fachbereichen, die sich des Themas angenommen haben und eine Reihe von empirischen Befunden aus dem Forschungsfeld Lebensbedingungen in ländlichen Räumen.
Vieles das sich in den letzten Jahren in den Dörfern geändert hat, ist grundsätzlich auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Vor allem in abgelegenen Dörfern treffen Veränderungen auf verfestigte Traditionen und Beharrung. Der soziale Widerstand ist gegeben.
Sinkende Einwohnerzahlen, Abwanderung, das Verschwinden von Infrastruktureinrichtungen (auf Grund mangelnder Auslastung und nicht mehr zu tragender sozialer Kosten) sind Merkmale für „strukturschwache“ Gemeinden. Gestiegenes Interesse und die Notwendigkeit zu höherer Bildung, auch ein verbreiterter sozialer Zugang zu den Bildungseinrichtungen, machen ein Pendeln großer Teile der Bevölkerung notwendig, um adäquate (angemessene) Arbeitsplätze zu finden. In Dörfern mit vielen Pendlern trifft man tagsüber nur mehr wenige Menschen an: Nichterwerbstätige, Frauen, Kinder unter 10 Jahren, ältere MitbürgerInnen. Die Tendenz geht in Richtung „Dorf mit Öffnungszeiten“.
Man kann das Dorf als solches als gefährdet ansehen und ein Verschwinden der Dörfer oder einen durchgängigen Verstädterungsprozess feststellen. Trotzdem zählen im Bundesland Salzburg nach wie vor mehr als 100 der 119 Salzburger Gemeinden zur Kategorie „Dorf“.
Neben infrastruktureller Basisversorgung (Gemeinde, Kindergarten, Volksschule …) sind es vor allem Konsum-, Kultur-, und Freizeiteinrichtungen, die von den BewohnerInnen eines Ortes oder einer Region als unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität angesehen werden. Lokale bzw. regionale Vollversorgung wird aber in einzelnen Orten zunehmend schwieriger.
Die immobilen Teile der Dorfgemeinschaft werden immer kleiner, der Motorisierungsgrad steigt stetig weiter. Viele Entschlüsse, kleine Handwerksbetriebe zuzusperren, sind Folge dessen, was „wirtschaftliche Strukturbereinigung“ heißt. Weit schwieriger als Kunden zu finden, ist es Nachfolger zu finden. Weitere Strukturveränderungen stellen die Schwächung der Ortszentren und das Ausfransen der Ortsränder dar. Die alten Ortskerne, um Kirche, Friedhof, Wirtshaus, Kramer, Schule, Gemeindeamt und Feuerwehrzeugstätte angeordnet, erfahren eine Art „Venezianisierung“. Eng zusammengebaut, mit dem Auto schwer erreichbar, kaum Angebote an Parkplätzen, laufen sie den geänderten Nutzungsgewohnheiten der VerbraucherInnen zuwider.
Die dichten sozialen Netze, das Miteinander der Generationen, kurz die soziale Nähe, die nach wie vor im Lebensraum „Dorf“ besteht, ist der große Pluspunkt. Landschaftliche Schönheit und gute Luft wiegen viele strukturelle Nachteile des Lebens abseits der Hauptadern des Geschehens auf, sind aber allein schlussendlich doch zu wenig.
Das Leben in den Dörfern hat sich verändert. Zweifellos haben die dörflichen Alltagszusammenhänge an Funktionen für ihre Bewohner eingebüßt. Die dörfliche Lebenswelt ist nicht mehr der alleinige Erfahrungsrahmen für Heranwachsende wie noch vor einer oder zwei Generationen.
Soziale Kontakte finden nicht mehr hauptsächlich oder sogar ausschließlich in der Verwandtschaft oder Nachbarschaft statt. Man ist nicht mehr darauf angewiesen, sein Leben mit denen zu teilen, die sich in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden. Individuelle Netzwerke entstehen weitgehend nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, nicht der Notwendigkeit. Trotzdem sind Dörfer kein Auslaufmodell.
Dörfer sind in der Überschaubarkeit ihrer Strukturen ein ideales Feld für die mitverantwortete Gestaltung von Lebensraum. Die veränderten sozialen Bedürfnisse, aber auch die persönlichen Kapazitäten der dort lebenden Menschen müssen Grundlagen für kommunale Entscheidungen sein. Dann werden Dörfer trotz aller strukturellen Schwierigkeiten und bei allen Widersprüchen dörflicher Lebenswelten weiterhin von Bedeutung für eine Vielzahl ihrer BewohnerInnen sein. Die Menschen in den Dörfern haben es in der Hand, ihre soziale und individuelle Identität in einem überschaubaren lokalen Handlungsrahmen zu definieren. Dann sind Dörfer für die „Village People“ Sinn-Provinzen im besten Sinne des Wortes.