Dr. Josef Doblhofer, Sterbebegleiter in einem Projekt der Salzburger Diakonie, gab Alexander G. Keul 2004 ein Interview.
Jemand erhält in der Klinik die Krebsdiagnose: „Sie sind schwer krank, haben Metastasen.“ Und dann geht er nach Hause, weiß, er ist todkrank, und es ist niemand da, der ihn irgendwie institutionell begleitet. Das ist ein Mangel, an dem Sterbebegleitung und Hospizbewegung mit ihrem Service ansetzen.
In meiner oberösterreichischen Verwandtschaft waren Onkeln und Cousins Leichenbestatter, mein Großvater hat die Särge noch selber gemacht. Meine Mutter war Hebamme und wir haben unmittelbar neben dem Krankenhaus gewohnt. Ich habe dann Kunstgeschichte studiert und mit 25 war meine Devise: Nur nichts Soziales! Aber mit 45 hat sich das sehr geändert, aber ohne weiß Gott irgendwelche traumatischen Erlebnisse, einfach so. Ich hab’ mein Praktikum und meine Ausbildung in der Hospizbewegung Salzburg gemacht, hab’ immer wieder Menschen begleitet, von 31-Jährigen bis zu 90-Jährigen.
Mein Arbeitgeber ist der Diakonieverein Salzburg, der neben Hauskrankenpflege und Hausbetreuung jetzt auch seelisch-emotionale Betreuung anbietet. Ich organisiere Leute, die interessiert und qualifiziert sind, Menschen zu besuchen, zu begleiten, ihnen ein- oder zweimal in der Woche Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Sie treten nicht in Konkurrenz zu Putzfrauen oder Pflegediensten.
Je exponierter der Mensch ist, je mehr Energie er braucht, sich seelisch im Sterben neue Räume zu erschließen, desto behindernder kann dauernde Medizin rundherum wirken. Unsere Tätigkeit besteht auf Wunsch des Kranken darin, gemeinsam mit dem Hausarzt, der Hauskrankenpflege, den Nachbarn, der Verwandtschaft ein „Radl“ zu bilden, damit der Kranke/Sterbende möglichst nicht allein ist.
Es ist unser absolutes Ziel, mit unseren Menschen früher als „drei Wochen vor dem Tod“ in Berührung zu kommen. Wir beginnen mit den Kontakten oft schon lange vorher. Wir erfüllen das Bedürfnis der Alten, mit Menschen einer anderen Generation in Kontakt zu treten. Die Betreuungsperson mit Hospizausbildung bleibt dabei konstant – zu Hause, im Krankenhaus, im Altenheim, im Hospiz – als echte Langzeitbetreuung.
Das geht über ein Jahr, besteht aus etlichen Wochenenden, von Gesprächsführung über Krankheitsbilder, Medizinisches, Spirituelles und natürlich dem eigenen Tod, eigener Trauerarbeit, mit Todesbildern anderer Kulturen. Ein Beispiel: Muslime wollen manches nicht, was wir wollen, zum Beispiel keine Kerzen.
Im Landeskrankenhaus liegt der Aufbahrungsraum im schiachsten Teil des Krankenhausgeländes, begehbar über die triste Tiefgarage, Kellerasseln und Spinnen beim Zugang. Wenn Angehörige den Verstorbenen noch einmal sehen wollen, bringen Zivildiener den Leichnam dorthin. Wenn die Leute nicht so viele Tränen in den Augen hätten, müssten Sie über die lieblose Umgebung erschrecken. Überhaupt wird das Sterben, werden die Verstorbenen immer noch viel zu sehr versteckt. Angeblich fahren die Bestatter schon mit hellen Autos in die Klinik, damit sich niemand mehr mit dem Tod beschäftigen muss.
Ich glaube, es ist ein Trend, der kommerziell herbeigeschrieben und -geredet wird. Schauen Sie einmal nach unter www.urne.ch. Ein wichtigerer Punkt im Aufbruch zu einer neuen Sterbe- und Bestattungskultur waren die Aidskranken. Da ist eine Altersgruppe gestorben, die ganz andere Bedürfnisse hatte. Ansonsten erlebe ich kleine Individualisierungen – statt Verdi in der Aufbahrungshalle eigene Musik- oder Textwünsche – und weniger Priester, weil die Zahl der Personen ohne religiöses Bekenntnis steigt.
Ich würde mir ein Pickerl auf jedem Kliniktelefon wünschen mit der Nummer vom Hospizbegleitdienst. Nicht nur der Sterbende, auch die Angehörigen gehören betreut, denn die Pflegenden haben alle Hände voll zu tun, sind eh unterbesetzt. Gesellschaftlich wird der Gedanke an den Tod immer noch in die letzte Minute verdrängt, werden die Leute dann so abrupt mit dem Tod konfrontiert, dass die Angehörigenarbeit sehr wichtig wird. In der Leistungsgesellschaft gibt es keine Schonung, keine Aufmerksamkeit, keinen Platz für einen gesunden Trauerprozess, wie ihn früher die schwarze Binde signalisiert hat. Ohne Verarbeitung und Anteilnahme droht aber am Ende die Depression. Eine Aufgabe unserer Bewegung ist daher auch das Totengedenken, das Erinnern, die gemeinsame Reflexion.