Silvester war der 33. Papst und regierte von 314 bis 335 als Bischof von Rom. Sein Todestag am 31. Dezember 335 wurde namensgebend für den letzten Tag des Jahres. Allerdings gedenkt man bei der Silvesterandacht nicht des Heiligen, sondern hält Jahresrückschau. Dieser Papst ließ die Peters- und die Lateranbasilika erbauen. Das erste Konzil (Nizäa, 325) fand in seiner Amtszeit statt, er soll daran nicht teilgenommen haben.
Der Zeitgenosse Konstantins des Großen stand im Schatten des Kaisers, der kirchengeschichtlich wichtige Entscheidungen fällte. Umso fantasievoller ist die Legende, die Anfang des 5. Jahrhunderts in Rom formuliert wurde. Demnach habe Silvester nicht nur den Kaiser von Aussatz geheilt und getauft, sondern auch Wunder vollbracht. Es wird vom Drachen zu Rom, der Schlange unter dem Tarpejischen Hügel berichtet, die der Heilige unter Mitnahme des Allerheiligsten und mit Flüchen („Du vil unrainer Hunt!“) in einer Höhle eingeschlossen hatte, sodass das Untier, wie es wörtlich heißt, den Menschen nicht mehr schaden konnte.[864]
Die Römer waren es, die (seit 153 v.2 Chr.) den 1.1. als Beginn eines neuen Jahres festsetzten. Seit der Antike erstreben Menschen ein gutes Omen, denn wie der Anfang, so das Ganze, glaubte man. Sie verschenkten Münzen und Süßigkeiten, damit das neue Jahr reich an Wohlstand und Annehmlichkeiten sei.
Den Christen waren die „heidnischen Sitten“ ein Gräuel, gegen den ihre Prediger wetterten. Dennoch sind rund um den Jahreswechsel Orakel und Glückssymbole als „abergläubische Zusatzversicherungen“ nach wie vor beliebt.
Besonders gern gesehen sind zu Neujahr die Rauchfangkehrer. Aus erstarrtem Blei wird die Zukunft gedeutet, marzipansüße Fliegenpilze und Glücksschweinchen werden verspeist, vierblättriger Klee wird – ebenso wie Miniaturhufeisen – verschenkt. Wer mit einem Schweinsbraten als Festessen das Jahr beginnt, wird auch den Rest der Zeit nicht hungern.
Der „Heidenlärm“ – hervorgerufen durch pyrotechnische Gegenstände und oft gepaart mit nächtlichem Lichterzauber – wird entweder begrüßt oder als sinnlose Geldverschwendung kritisiert. Der Jahreswechsel hat das Jesuskind nicht nur zum Gnadenbringer, sondern auch zum Boten der Neujahrsglückwünsche werden lassen.
In der Zeit um 1900 waren Angehörige vieler Berufsgruppen zum „Neujahrwünschen“ unterwegs. Selbst Ordnungshüter fanden das Heischennicht unstandesgemäß. Noch in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts war es in Wien Brauch, dass Autofahrer Verkehrspolizisten beschenkten. Neujahrskarten gibt es noch, sogar elektronische, aber das Christkind darauf ist ebenso verschwunden wie ihr Antibrauch – sich mittels Erhebungskarten ungebetene Gratulanten fernzuhalten.
... legten den ersten Jänner als ersten Tag des Jahres fest – spätestens seit 153 v.2 Chr. begannen sie ihr Verwaltungsjahr mit dem 1.1. Jahrhundertelang war der erste Tag im Kalender aber keineswegs fixiert. Den älteren römischen Jahresanfang im März verraten unsere Monatsnamen September, Oktober, November und Dezember (als 7., 8., 9. und 10. Monat). Zu Ehren des Kalenderreformers Gaius Julius Cäsar (100–44 v.2 Chr.) wurde der Quintilis in Julius umbenannt. An den ersten römischen Kaiser, Augustus (63–14 v.2 Chr.), der für eine Korrektur der jahrzehntelang falsch berechneten Schalttage sorgte, erinnert der Augustus, der frühere Sextilis. Bis zur Kalenderreform Gaius Julius Cäsars im Jahr 45 v.2 Chr. rechneten die Römer mit einem Jahr von 355 Tagen. Die zwölf Monate hatten 29 oder 31 Tage – aus abergläubischen Gründen waren gerade Zahlen verpönt. Seit dem Jahr der Umstellung (oder Verwirrung – annus confusionis) zählt das Sonnenjahr 365 Tage, in jedem vierten kommt ein Schalttag (29. Februar) dazu, weil astronomisch ein Jahr 365,2425 Tage hat.[865]
Wer den Kalender wie festlegt und damit die Zeiteinteilung diktiert, ist eine Machtfrage. Das Jahr null (oder eins) wird meist rückblickend auf ein Ereignis fixiert, das der jeweiligen Geschichtsschreibung wichtig erscheint: Die Erschaffung der Welt (jüdischer Kalender, 3759 v.2 Chr.), die ersten olympischen Spiele (antike griechische Zeitrechnung, 776 v.2 Chr.), die Gründung Roms („ab urbe condita“, 753 v.2 Chr.), die Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina (622 n.2 Chr.), die Gründung der Republik nach der Französischen Revolution (1793 n.2 Chr.). Das wichtigste Ereignis für die Christen ist Christi Geburt. Allerdings hinkt ihre Zeitrechnung nach. Die berühmte seltene Konstellation von Jupiter und Saturn, nach der sich die Sternkundigen zum Besuch des neu geborenen Messias aufmachten, fand nach modernen Berechnungen im Jahr 7 v.2 Chr. statt. Der christliche Kalender basiert auf den Erkenntnissen des skythischen Mönchs Dionysius Exiguus, der im 6. Jahrundert lebte. Er war Abt und Kirchenjurist in Rom und errechnete, dass Jesus vor 532 Jahren geboren wurde und ließ die christliche Zeitrechnung mit dem Jahr eins beginnen. Doch so gut man sich auf die Zählung der Jahre verständigen konnte, so sehr variierte der Beginn. Erst 1691 verfügte Papst Innozenz XII. den Jahresanfang verbindlich für 1. Jänner. Man spricht von Stilen der Zeitrechnung:
Weihnachtsstil, Jahresbeginn am 25. Dezember, in Teilen Englands und Italiens üblich
Altrömisches Neujahr, Jahresbeginn am 1. März, bis ins Frühmittelalter, in Venedig bis 1797 üblich
Annunziationsstil, Jahresbeginn am 25. März (Verkündigung des Herrn), in vielen deutschsprachigen Gebieten, Teilen Englands, Teilen Italiens, Teilen Frankreichs im 1. Jahrtausend üblich
Konzeptionsstil, Jahresbeginn am 8. Dezember
„Anno Gratiae“, Jahresbeginn zu Christi Himmelfahrt
Jahresbeginn zu Ostern, in Köln und Frankreich ab dem 11. Jahrhundert üblich[866]
Das Konzil von Trient (1545–1563) hatte sich mit einer Kalenderreform befasst, Gregor XIII. (1572–1585) erließ 1582 die Bulle „Inter gravissimas“. Sie enthielt die Bestimmung, dass auf den 4. Oktober dieses Jahres unmittelbar der 15. folgen sollte. So kam die Kirchenlehrerin Teresa von Avila (1515–1582) um ihren Todestag. Sie starb in der Nacht des 4. Oktober, ihr Fest wird am 15. Oktober gefeiert. Die nicht katholischen Länder nahmen den nach einem Papst benannten Gregorianischen Kalender („Neuer Stil“) nur zögernd an (Deutschland und die protestantische Schweiz 1700, England 1751, Schweden 1753). In manchen orthodoxen Kirchen gilt noch immer im Alltag der Gregorianische Kalender, die Feiertage werden nach dem Julianischen berechnet.[867] Bis heute beginnt das Kirchenjahr am 1. Adventsonntag, am bürgerlichen Neujahrstag begehen die Katholiken das – allerdings nicht sehr populäre – Fest der Gottesmutter Maria.
Im Jahreslauf der Römer kam verschiedenen Daten ominöse Bedeutung zu. Sie feierten Feste zu Ehren ihrer Gottheiten und befragten Orakel. Dieter Harmening, der als Professor für Volkskunde in Würzburg die theologische Aberglaubensliteratur des Mittelalters untersucht hat, nennt einige Termine: die Kalenden des Januar (1. Jänner), die Paganalien (Mäusetage im Jänner), die Spurcalien (Orakeltermine im Februar), der altrömische Jahresbeginn an den Kalenden des März (1. März), die Neptunalien (Wasserrituale am 23. Juli), die Volkanalien (Feuerzauber am 23. August), die Saturnalien (17. Dezember), die sich bis zu den Brumalien am 25. Dezember ausdehnten. Diese „Bromas“ werden als einmonatige Festzeit vor der Wintersonnenwende verstanden. Die Römer hatten sie aus dem Orient übernommen und pflegten sie bis weit in die christliche Zeit hinein, „so wird man einen unmittelbaren Bezug [des Verbotes durch Kaiser Karl den Großen] auf ein germanisches ‚Julfest‘, wie es manche Erklärer annehmen, ablehnen müssen.“[868]
Für die Römer war ein guter Anfang wichtig. „Ein gutes Omen“, sagt man noch heute, oder dass im Gegenteil etwas „unter einem schlechten Stern steht“. „Wie der Anfang, so das Ganze“, lautet das mehr oder minder ausgesprochene Motto. „Nichts, was an diesem Tag geschieht, kann ohne Vorbedeutung sein und alles, was man tut oder unterläßt, steht unter dem Aspekt der Repräsentation des kommenden Jahres im Tage seines Anfanges, ist omen principii“[869], schreibt Dieter Harmening. Das zuerst gehörte Wort galt als Vorzeichen, die Auguren zogen aus dem Vogelflug Schlüsse auf die Zukunft. Man bescherte einander süße Speisen – Datteln, Feigen, Honigkuchen – Kupfermünzen und Sparkassen, damit das kommende Jahr Annehmlichkeiten und Wohlstand bringe.[870] Die Neujahrsgeschenke nannten die Römer „Strenae“, eine Bezeichnung, die auf die immergrünen (Lorbeer-)Zweige zurückgeht, die sie einander ursprünglich schenkten. Gott Janus, dessen beide Gesichter in Vergangenheit und Zukunft weisen, galt auch als Schutzherr der Ein- und Übergänge. Deshalb schmückten die Römer Tore mit Kränzen, Zweigen und Lichtern. [871]
Wie wichtig und langlebig solche Vorstellungen waren, zeigt sich im (Zerr-)Spiegel der kirchlichen Polemik. Der Kanon des Konzils von Auxerre (573–603) kritisiert die Strenae, ebenso die andere Seite der Schenk-Augurien, die Verweigerungen. Wie man Geschenke als gutes Omen für das kommende Jahr sah, so hütete man sich, etwas aus dem Haus zu geben, denn das wäre ein schlechter Beginn gewesen. Die frühe Kirche rief dagegen zur Buße auf und zelebrierte Messen „zum Fernhalten vom Götzendienst“ (Ad prohibendum ad idolis). „Jene mögen Neujahrsgeschenke machen, ihr sollt Almosen geben. Jene mögen ins Theater eilen, ihr in die Kirche. Jene mögen sich berauschen, ihr sollt fasten“, predigte Augustinus (354–430) den Antibrauch.
Für die Kirchenlehrer waren die antiken Gottheiten Erfindungen menschlicher Fantasie, Feste zu ihren Ehren folglich Dämonenverehrung. (Die euhemeristische Erklärung, wonach die Götter von Herrschern, Heroen und weisen Lehrern erdacht worden seien, hatte der griechische Schriftsteller Euhemeros aus Messene um 330 v.2 Chr. in einem Reisebericht formuliert.) Generationen christlicher Missionare lieferte die Homiliensammlung des Caesarius von Arles (470–542) Argumente gegen „Sittenverderbnis, heidnische Gewohnheiten und Aberglauben“. Dabei stützte sich der gallische Mönch vor allem auf die Schriften des heiligen Augustinus: Janus sei ein heidnischer Herrscher gewesen, den seine ungebildeten und eingeschüchterten Untertanen wie einen Gott verehrten. Sie hätten ihn mit zwei Gesichtern dargestellt, von denen eines in das alte und eines in das neue Jahr blicke. So ein Geschöpf sei kein Gott, sondern ein Monstrum. (Monstrosität zählte neben Obszönität und Luxuria, der Schwelgerei, für die Kirchenväter zu den Signalfloskeln des Heidentums.) Dem hielten die neu bekehrten Christen entgegen, sie wollten gar keinen Götzendienst treiben, sondern nur den Anfang eines neuen Jahres feierlich begehen.
Für die Interpretation der Bräuche (nicht nur zu Neujahr) ist interessant, was Dieter Harmening aus diesem Einwand folgert: Die Begehung des Festes durch Gelage, Gesänge, Umzüge und Vermummungen sei für die Akteure zunächst einmal Ausdruck der Freude. Der mythische Ursprung und Sinn entstehe erst später durch ideologisch motivierte, „historische“ Rückprojizierung: „Man wird annehmen dürfen, daß ein Gutteil dessen, was in der Folge im Volk selbst an Vorstellungen über den ‚Sinn‘ dieser Begehung zutage tritt, Rücklauf der Belehrung ist.“[872] Den protestantischen Predigern wollte Martin Luther (1483–1546) verbieten, „das Neujahr auszuteilen auf der Kanzel“[873].
Das gute Omen des Anfangs ist der gemeinsame Nenner der bis heute üblichen Vorstellungen zum Jahreswechsel. „Wer hoch schmauset, dem gebricht es das ganze Jahr nicht“. Wer jetzt Geld hat, hat es das ganze Jahr. Man soll nicht hinfallen, sich schön anziehen, nichts flicken oder ausleihen, fröhlich sein und es sich überhaupt gut gehen lassen. Der Analogieschluss zum Glück, zu dem nach landläufiger Meinung Gesundheit, Geld und Liebe gehören, liegt nahe. Die bäuerliche Bevölkerung war in ihrem Überleben von der Natur abhängig, und diese sollte durch eine Reihe abergläubischer Zusatzversicherungen beeinflusst werden. Da die Fruchtbarkeit des Bodens, der Nutztiere und der Familie den Wohlstand begründete, sah man in Tieren, die sich stark vermehren, und in grünenden Pflanzen Glücksbringer. Darüber schrieb Sebastian Brandt (1458–1521) 1494 in seinem „Narrenschiff“: „Und wer nit etwas nuwes hat / und nun das nuw jor singen gat / und grün tannris steckt in sein huus / der meint, er lebt das jor nit uss.“[874]
Zahlreich sind die Interpretationen der Neujahrssymbole, hier eine Auswahl:
Klee galt wegen seines kräftigen Wuchses als Sinnbild der Lebenskraft. Das Ungewöhnliche (vierblättriger Klee) ließ ihn noch wertvoller erscheinen und nährte die Hoffnung, dass Seltenes andere Seltenheiten anziehe. Populär-magische Praktiken und Berührungszauber sollten die Wirkung des Anblicks steigern: Den Vierklee muss man auf ungewöhnliche Weise erworben – zufällig gefunden oder geschenkt bekommen – haben. Dann hilft er, drohende Gefahren vorauszusehen, sodass man ihnen entgehen kann. Christlich interpretiert wollte man im Klee das Zeichen des Kreuzes erkennen. Nach einer Legende habe Eva einen vierblättrigen als Erinnerung aus dem verlorenen Paradies mitgebracht.[875] Sankt Patrick soll als Missionar um 433 den Iren das Wesen der Dreifaltigkeit anhand eines Kleeblattes erklärt haben, das deshalb zum Wahrzeichen des Landes wurde. Später meinten die Engländer: „Ein Blatt für die Hoffnung, eines für den Glauben, eines für die Liebe – und Gott fügte noch eines für das Glück hinzu.“[876]
Auf den erhofften Reichtum spielt die große Zahl der Pilzsporen oder Fischschuppen an, die an glitzernde Münzen erinnern. Der Fliegenpilz mit dem getupften Hut gilt als besonderer Glückspilz. Zu Neujahr bäckt oder kauft man Biskuitfische. Sie sollen beim Schwanz angebissen werden, damit alles, was man unternimmt, gut vorangeht. Nach einer anderen These handelt es sich dabei um eine Unterscheidung zu jüdischen Bräuchen: Am Neujahrsfest Rosch-ha-Schana wird der Kopf eines Fisches gegessen – ein Sinnbild dafür, dass man am Anfang und nicht am Ende des Zeitabschnittes steht. Der Fisch ist eines der ältesten Symbole für Christus. Die ersten Christen bezeichneten ihre geheimen Versammlungsräume mit zwei überschneidenden Bogen, die rasch in die Wand geritzt werden konnten.[877] Der deutsche Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann sieht im Fisch ein archetypisches Symbol, das den Vorgang beschreibt, durch den ein Mensch in seine eigene Tiefe hinabgeworfen wird, um aus dem „Urmeer“ des Unbewussten noch einmal geboren zu werden: „Es ist von erheblicher Bedeutung, daß die frühe Kirche gerade dieses Symbol [...] aus dem Erbe der ägyptischen Religion aufgegriffen und auf Christus übertragen hat, indem sie das griechische Wort für Fisch (IchThYS) in die Anfangsbuchstaben von ‚Jesus Christus, Gottes (Theou) Sohn (Yios), Retter (Soter)‘ auflöste.“[878]
Schweinsbraten ist eine klassische Festtagsspeise, zu Neujahr serviert man geschmückte Sauschädel und Schweinshaxen. Wer da Schwein hat, wird das Jahr über genug zu essen haben. „In aller Frühe soll man noch in den nüchternen Magen einen Schweinsrüssel, oder doch etwas vom Schwein essen, das bringt Glück, weil der Rüssel immer vorne ist“, erklärt Leopold Teufelsbauer, ein einflussreicher geistlicher Volksbildner im Niederösterreich der Zwischenkriegszeit.[879] Leopold Schmidt (1912–1981), langjähriger Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde, erwähnt, dass den Ortsarmen etwas vom traditionellen Schweinskopf am Mittagstisch zustand: „An diesem ersten größeren Essen am Neujahrstag sollten alle teilhaben.“[880] Außerdem sagte man dem Tier, das nach der Trüffel schnüffelt, die Fähigkeit nach, verborgene Schätze aufzuspüren. Nach einer anderen Theorie kommt das Glücksschwein von einem Kartenspiel, bei dem das As „Sau“ genannt und so abgebildet wurde.[881] Dieter Harmening weist darauf hin, dass das Schwein in römischen Zeugnissen als Wetterprophet vorkommt und auch andernorts als Orakeltier bekannt ist. Er äußert die Vermutung, dass an den Spurkeltagen (Dies spurci) Umzüge mit Schweinen und Schweineorakel angestellt worden seien und erinnert daran, dass die kirchliche Superstitionenkritik im europäischen Frühmittelalter Nichtchristliches als etwas „Schweinisches“ empfunden habe: „Das gehört ganz in den Umkreis der Metapher vom Heiden als im Schlamme wühlendem Schwein ... Spurcitiae meint den heidnischen Kult ganz allgemein.“[882]
Der Teil galt fürs Ganze (Pars pro toto). Das Hufeisen als Teil des Statussymbols Pferd wurde (wie der Glückstaler) zum Zeichen des Reichtums. Es wird mit der Öffnung nach oben aufgehängt, „damit das Glück nicht ausrinnt“. Wie beim Kleeblatt gilt, dass man es gefunden haben soll, damit es als Amulett wirken kann.
Nicht nur Dinge, auch bestimmte Personen wurden als glückbringend angesehen. So besagt die Meinung vom Angang zum Anfang, dass es besser sei, als erstes ein Kind zu sehen als einen alten Menschen. Schüler wussten solche Erwartungen für sich zu nützen: In aller Früh fanden sie sich – in der Hoffnung auf milde Gaben – bei den Honoratioren mit Glückwünschen und Ansingeliedern ein.[883] Leopold Schmidt erwähnt, dass die von Kindern dargebotenen Sprüche und Lieder im Schülerbrauchtum des 16. Jahrhunderts wurzeln. „Den Neujahrswünschen, die sich auf Grund alter Formeln immer wieder zeitgemäß erneuerten, hatte man mit Gaben zu antworten.“[884] Mit der Idee des glückbringenden Kindes bzw. der Vorstellung vom besonderen Geburtstag, der als Anfang das ganze Leben in sich trage, hat auch das „Neujahrsbaby“ zu tun. 22.000 Österreicher/innen haben am 1. Jänner Geburtstag. Fiel dieser auf einen Sonntag, so sprach man ihnen früher Macht über Geister und Schätze zu. Die Neujahrsbabys des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts kommen in den Genuss, in den Tageszeitungen gefeiert und von Sponsoren mit Sachspenden bedacht zu werden. Deshalb „geschehen riskante Manipulationen“, kritisierte ein Gynäkologe, „Eigentlich dürfte nur alle zwei bis vier Jahre ein Kind in der ersten Minute des neuen Jahres geboren werden“[885].
Der Rauchfangkehrer konnte das Vermögen anderer schützen, indem seine Tätigkeit Häuser vor dem Abbrennen bewahrte. Leopold Schmidt schrieb 1935: „Am Neujahrstag, aber auch sonst gilt der Rauchfangkehrer als besonderer Glücksbringer. Die am meisten angewendete Form, sein glückbringendes Erscheinen abzuwarten, besteht darin, sobald er sichtbar wird, schweigend an einen Knopf zu greifen. Jedoch auch schwierigere Arten sind, zum Teil scherzweise gebraucht, bekannt, so die Bedingung, daß man nacheinander drei Rauchfangkehrer sehen müsse, danach sieben Schimmel.“[886]
Kombinierte Darstellungen von Glückssymbolen – wie ein Rauchfangkehrer, der auf einem Schwein reitet, das ein Kleeblatt im Rüssel trägt – finden sich oft auf Kalendern (z. B. Kalenderblätter, mit denen Rauchfangkehrer gratulieren kommen) und Glückwunschkarten. Neujahrskarten gab es schon im ausgehenden Mittelalter, allerdings mit rein christlicher Symbolik. „In den Neujahrsbriefen, die man sich im 14. und 15. Jahrhundert in adeligen und geistlichen Kreisen sandte, verband man nicht selten persönliche Wünsche mit Darstellungen des Jesuskindes als Bote für ein glückliches Jahr [...]. Auf kolorierten Holzschnitten, aber auch Kupferstichen [...] erscheint das Jesuskindlein als Neujahrskünder [...]. Wünsche für das kommende Jahr, gerne in Spruchbänder gesetzt, belegen die terminliche Verwendung als Neujahrsgeschenke.“ Noch im 18. Jahrhundert zeigt sich das Jesuskind als segenbringendes Sinnbild auf Neujahrszetteln, allerdings hat sich die Darstellung geändert und die Passion wird angedeutet.[887]
Die große Zeit der Glückwunschkarten war das 19. Jahrhundert. Die Wiener Billetterzeuger waren weltberühmt für ihre gemalten oder handkolorierten Produkte. Mit der Weiterentwicklung der Drucktechnik – 1797 erfand Aloys Senefelder in München den Steindruck, 1816 entwickelten die Drucker Engelmann und Lasteyrie die Chromolithografie, 1852 baute Georg Sigl in Wien die erste Lithografische Schnellpresse – konnte man Neujahrskarten in größeren Auflagen schneller und billiger herstellen.[888] Das ermöglichte immer weiteren Kreisen, sich damit bei wohlhabenden Bürgern einzustellen. Der Antibrauch ließ nicht lange auf sich warten: An der Wohnungstür befestigte Enthebungskarten, die man gegen eine Spende für karitative Zwecke erhielt, sollten ungebetene Gratulanten fernhalten. Dies war ab 1814 in Klagenfurt, ab 1829 in Wien, Pfarre Schottenfeld, und anderen Städten üblich.[889]
Das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ erklärt: „Unter Orakel verstehen wir jeden Brauch, mit Hilfe eines außerhalb der menschlichen Willenstätigkeit erfolgten Begebnisses, das als Zeichen oder Antwort aufgefasst wird, [...] Verflechtungen von Geschehnissen zu enthüllen, um demgemäß sein Verhalten einzurichten.“[890] Im Alten Testament war es nichts Böses, das Los zu werfen, um den Willen Gottes zu erkunden – ähnlich wie in frommen Kreisen das „Bibelstechen“ gepflegt wird, um aus der Heiligen Schrift eine aktuelle Weisung zu erhalten. Seit dem Mittelalter interessierte man sich vorwiegend für weltliche Dinge: Wetter, Glück oder Hochzeit. Dieter Harmening verweist auf die Wichtigkeit des Neujahrestages als Orakeltag für die Griechen und Römer und auf für alle diese Termine ähnliche oder identische prognostische Praktiken: „Sie sind nicht an einen beliebigen Kalendertag, sondern an den Jahresanfang, wo der auch immer gesetzt sein mag, gebunden. Sie folgen entweder der kalendarischen Verschiebung des Jahresbeginns oder fixieren durch Verhaftung an anderen Terminen ein älteres Neujahrsdatum. Daten des Klimajahres (Sonnenwende) und Naturjahres (Frühlingsbeginn) kommen hinzu.“[891] Hierzulande erwartete man Vorzeichen für das neue Jahr schon am 30. November (Andreas), an den Adventsonntagen, am 4. Dezember (Barbara), 13. Dezember (Lucia), 21. Dezember (Thomas), 24. Dezember (Heiliger Abend) oder 6. Jänner (Dreikönig).[892]
Das bekannteste Orakel ist heutzutage das Bleigießen: Ein Glückssymbol aus Blei wird geschmolzen und das flüssige Metall in kaltes Wasser gegossen. Gemeinsam versucht man, aus der eigenartigen Form die Zukunft zu deuten. Nach Thomas von Aquin (1225–1274), der eine umfangreiche Theorie des „Aberglaubens“ aufbaute, wäre das Bleigießen zu den verbotenen Arten des Losens zu zählen. Sein Argument: Es ziele auf die Entdeckung verborgener, zukünftiger Sachen, die Gott allein wisse. In den kirchlichen Verboten wird das Bleigießen aber nicht erwähnt. Es dürfte aus der griechischen Orakelpraxis übernommen worden sein. Ein bekanntes Orakel und eine alte Methode, strittige Fragen zu entscheiden, ist das Werfen einer Münze. Die Ansicht, dass der Kopf gewinnt und die Zahl verliert, geht auf die Römer zurück. Ihre Münzen trugen das Porträt des Kaisers – den Kaiser an seiner Seite zu wissen, konnte nur gut sein ...
Vorwürfe gegen den „Heidenlärm“ zum Jahreswechsel gehören zu den Klassikern der kirchlichen Paganienpolemik. Ebenso die Rechtfertigung, dass man ja nur seine Freude ausdrücken wolle. Der Kirchenlehrer Petrus Chrysologus (380–450) wetterte: „Doch es mag jemand einwenden ... es ist dies nur der Ausdruck der Freude über die neue Zeit [...] es ist ja die Absicht, den Jahresanfang zu feiern, nicht eine anstößige Handlung des Heidenglaubens! Mensch du täuscht dich! Das sind keine Scherze, sondern Verbrechen!“[893] Das Fest der Kalenden des Januar wurde von den frühen Kanzelpredigern im Sinne der euhemeristischen Erklärung als Menschenwerk aufgefasst, das der Verehrung der Dämonen diene.
Offenbar ist man die Geister, die man damals rief, bis heute nicht losgeworden. Nach wie vor hält sich zäh die Meinung, Neujahrsschnalzen, Böllerschießen, Glockenläuten, das Knallen der Sektkorken oder pyrotechnischer Artikel diene dazu, böse Geister zu vertreiben. Doch mehr als die dämonologische Interpretation der Kirchenväter leuchtet eine psychologische Deutung ein, wie sie der Züricher Ordinarius Paul Hugger vertritt: „Die Freude des Menschen am Lärm, der Knall nicht zuletzt auch als Bestandteil einer Urmusik. Im Lärmmachen, im ekstatischen Knallen liegen Lebenslust und Lebensbejahung. Die jungen Burschen – und sie sind ja meist als Brauchträger genannt – können so überschüssige Kräfte abbauen, in Übermut und Überschwang, auch imponieren, und das nicht zuletzt vor den zuschauenden Mädchen. Was heute das knatternde Motorrad leistet, geschah hier mit natürlichen Lärminstrumenten.“[894] Der deutsche Theologe und Psychotherapeut Hans Gerhard Behringer fragt, ob der Lärm der Neujahrsnacht nicht eher Unbehagen und Angst übertönen solle: „Man sagt, man wollte böse, alte Geister vertreiben. Heute glauben wir (angeblich) an solche Geister nicht mehr. Was aber wollen wir vertreiben? Besinnlichkeit, bilanzierende Gedanken, Fragen oder Zweifel? [...] Ängste, Schuldgefühle und Bedauern über manches Versäumte, schief Gegangene im alten Jahr?“[895]
Den alten Römern galt die Lampe als Symbol des Lebens. Zu ihren traditionellen Neujahrsgeschenken zählten Öllampen mit entsprechenden Inschriften und Bildern der Victoria oder Fortuna. Feuerwerke als moderner Silvester-Lichtbrauch kamen im 20. Jahrhundert auf. Wenn es die finanzielle Situation erlaubt, versprüht man heute lieber Lamettaströme und Feuerräder, statt sich mit dumpfem Geknalle zufrieden zu geben. Die Nachfrage nach Feuerwerkskörpern steigt von Silvester zu Silvester. Doch während sich die einen an den vergänglichen Kunstwerken erfreuen, finden das andere eine sinnlose Geldvernichtung und motivieren zum Antibrauch. Erstmals 1987 rief die Katholische Jugend zur Aktion „Brot statt Böller“ auf. Der Jahresausklang soll in maßvollem Rahmen gefeiert und mit Geld Gutes getan werden, statt es zu verpulvern.
[864] [Harmening 1979], S. 148 f. – [Fichtinger 1983].
[865] [Harmening 1979], S. 117–154. – [Adam 1979], S. 235.
[868] [Harmening 1979], S. 143 f.
[870] [Kleiner Pauly 1964], Bd. 3, Sp. 57.
[871] [JohlerB 1999], S. 38.
[872] [Harmening 1979], S. 117–154.
[873] [Bieritz 1987], S. 195.
[874] [Fuhrmann/SchneiderA 1936], S. 58.
[875] [Brasch 1975], S. 15.
[876] [Potter 1994], S. 95 und S. 192.
[877] [Oesterreicher-Mollwo 1990], S. 53. – [Winnekes 1989], S. 19.
[878] [Drewermann 1992], S. 128.
[879] [Teufelsbauer 1935], S. 27.
[880] [Schmidt 1981], Bd. 2, S. 173.
[881] [Becker-Huberti 1998], S. 165.
[882] [Harmening 1979], S. 151–154.
[883] [Gugitz 1949], Bd. 1, S. 1–7.
[884] [Schmidt 1981], Bd. 2, S. 173.
[886] [Schmidt 1940], S. 40.
[887] [Czapka 1998], S. 74 f.
[888] [Klein 1976], S. 62 und S. 122.
[889] [Kraus 1839], S. 68.
[890] [Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1987], Bd. 6, Sp. 1256.
[891] [Harmening 1979], S. 212.
[892] [Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1987], Bd. 6, Sp. 1269.
[893] [Harmening 1979], S. 191 und S. 122.
[894] [Hugger 1997], hier S. 17 f.
[895] [Behringer 1997], S. 77.