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Die beiden Schlüsselfiguren der Ramingsteiner Hexenprozesse, die Bettelgretl und Joachim Grädenegger, haben wohl bei der Ramingsteiner Bettlerhochzeit ihre Fäden gezogen. Im Winter oder Fasching 1687/88 feierten im Lungauer Bergwerksort Ramingstein verarmte Jugendliche und dörfliche Außenseiter eine Faschingshochzeit. Im Hause der 20-jährigen Maria Trattnerin, einer verarmten Bergknappentochter, fand das Fest statt und die Gastgeberin, auch „Praunmaidl“ genannt, spielte die Braut. Der 17/18-Jährige bettelnde Bergarbeitersohn Joachim Grädenegger war der Bräutigam. Zeitgleich waren Faschingsfeste und andere Bräuche verboten worden, weil die Obrigkeit Zusammenrottungen der Bevölkerung und, damit verbunden, Kritik an ihrer Herrschaft sowie die Weitergabe protestantischer Lehren fürchtete.
Zwei Jahre später waren die meisten Festgäste auf höchstrichterlichen Befehl als Hexen unter dem Beil enthauptet und ihre Asche unter dem Hochgericht vergraben worden. Der Ulk der dörflichen „Underdogs“ hatte sich vor dem Gericht in ein satanisches Geschehen verwandelt. Der Teufel soll im Hochzeitsspiel die Rolle des Pfarrers eingenommen haben – was von vornherein als Spaß und Einbildung inszeniert worden sein dürfte.
Geplant war wohl eine Hochzeitsparodie, ein spielerischer Akt der Grenzüberschreitung, nach damaligem Brauch, der den herrschenden Konventionen spotten und der Belustigung dienen sollte. Denn die Salzburger Regierung drängte im 17. Jahrhundert unter anderem mit Macht darauf, die besitzlosen Unterschichten mit einem generellen Heiratsverbot zu belegen.
Die Hintergründe der Ramingsteiner Bettlerhochzeit sind in den Umständen der Zeit zu suchen. Seit dem Mittelalter betrieb man in Ramingstein Edelmetallbergbau. Um 1600 waren die Lager erschöpft und der Weltmarkt hatte sich verändert. So gerieten die 1615 verstaatlichten Ramingsteiner Hüttenwerke in die allgemeine Krise der Salzburgischen Montanindustrie. In die stolzen Knappensiedlungen, die im 16. Jahrhundert Hort des Protestantismus gewesen waren, zog das soziale Elend ein. Viele Bergleute wanderten ab und wer zurückblieb, musste den Verfall der Reallöhne und beständig sich verschlechternde Überlebenschancen in Kauf nehmen.
Zur frühneuzeitlichen Bergarbeiterkultur gehörten Spielbräuche ebenso wie feste religiöse Überzeugungen. Im 16. Jahrhundert, als das Montanwesen noch einen bedeutenden Einnahmeposten im Staatshaushalt darstellte, unternahm die Obrigkeit nichts gegen den Protestantismus. Seit 1620 verschärfte sich im Gefolge der Verstaatlichung des Bergbaus der gegenreformatorische Zugriff auf die Bergleute. Die Austreibung der Andersgläubigen kulminierte schließlich 1732 in der „Großen Emigration“.
Hexenprozesse und gegenreformatorische Sozialdisziplinierung gingen Hand in Hand. Im Gefolge des letzten großen europäischen Hexenprozesses (des „Zauberer-Jackl-Prozesses“ von 1676, ebenfalls gegen Bettler) kamen die Verfolgungen auch in den Lungau. Die Ramingsteiner Prozesse von 1688/89 bildeten den Höhe- und Schlusspunkt dieses staatlichen Terrors gegen Andersgläubige und Arme. In den Jahren 1686 bis 1691 wurden auch 60 bis 70 protestantische Dürrnberger Salzknappen des Landes verwiesen.
In die Ramingsteiner Hexenprozesse von 1688/89 wurden elf Personen, sieben Frauen und vier Männer, verwickelt – neun von ihnen, darunter fünf Frauen, wurden hingerichtet. Das Aufkommen der Hexenjustiz in Ramingstein traf mit zwei Entwicklungen zusammen: mit der schwieriger werdenden Nachbarschaft in einer verarmenden Berggemeinde und der Zunahme der Bettelei.
Unter den Opfern der Hexenprozesse waren junge, unverheiratete Männer mit Außenseiterstatus im Alter von 16 bis 30 Jahren, und Frauen, alle ohne männlichen Schutz, was im Falle der Hexenbezichtigungen sehr wichtig gewesen wäre. Drei von ihnen waren Witwen im Alter von 27 bis 52 Jahren, die beiden anderen ledige Knappentöchter. Die Prozesse zeigen, dass sich pubertäre Machtansprüche, Ängste, Denunziation und sexuelle Spannungen in diesem Milieu entwickelten.
Die Hexenprozesse waren politische Methode und Sozialdrama. Sie stellten das Böse in Reinkultur dar, gaben ein Schauspiel und demonstrierten die Macht der Obrigkeit wie der Kirche. Auch den Angeklagten, denen die Ausweglosigkeit bewusst war, gaben sie eine Bühne ab, auf der sie sich als anders, aber bedeutsam zeigen konnten. Nur so lassen sich die auch im Hinblick auf Folterungen übersteigerten Aussagen erklären. Heute ist festzustellen, dass die Prozesse die „Hexen“ erst erzeugten und diese Vorstellung Eingang ins Innenleben der Angeklagten fand, die überwiegend – auch körperlich gezeichnete – Parias einer verarmten Dorfgemeinschaft waren.
Den Beginn der Hexenjustiz in Ramingstein bildete der Prozess gegen den jungen Bettler Joachim Grädenegger, der am 5. Juni 1688 auf dem Pflegschaftssitz Schloss Moosham wegen Diebstahl und Zauberei angeklagt wurde und sich öffentlich damit gebrüstet hatte, er könne fliegen. Ebenfalls angeklagt waren seine weiblichen Bettlerkumpaninnen, die Bettelgretl und die „Praunmaidl“. Damit nahm die Obrigkeit eine im Vorgehen gegen landesfremde Bettler entwickelte und in den „Zauberer-Jackl-Prozessen“ verfeinerte Politik der Verteufelung unerwünschter Bettlerscharen auf.
Die Bettelgretl, als typisches Beispiel, wurde von der Inquisition zur Hexe gemacht, demnach verhielt sie sich auch so – gnadenlos die ihr zuerkannte Macht gegen die von ihr verachteten Mitangeklagten ausspielend und voller Spott und Hohn gegen ihre schwachen Richter. Aus jener „Expertensituation“, in der die BettlerInnen durch obrigkeitliches Prozesskalkül und die populäre Gerüchteküche immer stärker mit der Hexerei behaftet worden waren, erwuchs die Versuchung der verachteten Betroffenen, wenigstens diese Rolle in ihrer aussichtslosen Situation aufzugreifen. Dies erklärt, weshalb die Geständnisse der Angeklagten so leicht zu erlangen waren.
Gleichzeitig waren diese Schauprozesse Machtdemonstration der Obrigkeit und damit Mittel im Bemühen, Sicherheit und Rekatholisierung wieder herzustellen.
Als uns, den Querschlägern, im Herbst 2003 das Angebot gemacht wurde, gemeinsam mit MOKRIT, dem Regisseur Gerard Es und dem Autor Mark Ubl eine neue Fassung der 1998 uraufgeführten „Bettlerhochzeit“ für Sommer 2004 zu erarbeiten und die Aufführungen am Jagglerhof in Ramingstein live mit Liedern und Stücken zu unterstützen, zögerten wir nicht einen Augenblick und sagten sofort zu. Uns reizten der Stoff und das Stück, das in seiner barocken Fülle an Charakteren, Situationen und Gefühlen eine breite Palette von Anregungen und Anknüpfungspunkten für Lieder, Stücke und Klänge bot. Wir sahen unsere Rolle in der Produktion von Anfang an ähnlich der des Chores im griechischen Theater: Wir wollten nicht nur die Handlung des Stückes musikalisch untermalen, sondern auch deren Inhalte auf einer abstrakteren, allgemein gültigen Ebene reflektieren, Parallelen zur Gegenwart beleuchten und Grundlegendes herausarbeiten.
Als dann fast ein Jahr später, am 1. August 2004, die letzte Zusatzvorstellung der „Bettlerhochzeit“ mit dem Schlussakkord unseres Liedes „1000 Foia“ zu Ende ging, standen wir etwas verloren und mit zweigeteilten Gefühlen auf unserer Heubühne am Jagglerhof. Einerseits waren wir sehr stolz, Teil dieses mit reihenweise ausverkauften Vorstellungen, insgesamt weit über 3.000 Besuchern und immens positiven Reaktionen von Publikum und Presse auch sehr erfolgreichen Projekts gewesen zu sein, andererseits war uns klar, dass dies das Ende einer weiteren, sehr intensiven und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit den Theaterleuten von MOKRIT war.[208] Wir haben in diesen drei Sommerwochen die „Bettlerhochzeit“ wirklich miteinander gelebt und gefühlt und haben dadurch eine sehr schöne und sehr intensive Zeit miteinander verbracht. Von hier aus noch einmal ein wirklich tief empfundenes Danke an alle Beteiligten an diesem wunderschönen Projekt, es war ein ganz besonderes Erlebnis für uns.