Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Neodarwinismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet ...
... so könnte man, frei nach Marx und Engels, die geistesgeschichtliche Auseinandersetzung charakterisieren, die sich seit dreißig Jahren auf unserem Kontinent abspielt.
In der Tat, die Aussagen der Soziobiologie könnten anstößiger nicht sein:
„Wahre Nächstenliebe ist eine Geisteskrankheit.“
„Gewaltbereitschaft und Mordlust steigern den Sexappeal des Mannes.“
„Wir sind für den Ehebruch programmiert.“
„Völkermord bedeutet den Sieg der Tüchtigen.“
„Vergewaltigung von Frauen ist ein natürlicher Vorgang.“
„Kindermord ist eine gesunde Verhaltenstendenz.“
„Macht ist das wirksamste Aphrodisiakum.“
„Diskriminierung von Behinderten ist dem Menschen angeboren und steigert seine Fitness.“
„Treue ist die Tugend des Minderwertigen, Eifersucht sein Schicksal.“
Wer’s nicht glaubt: Eine kurze und allgemein verständliche, wissenschaftliche Begründung dieser Zumutungen finden Sie im Anhang.
Rational nachvollziehbar werden diese und alle anderen Statements der Soziobiologie, wenn man die egoistische Quintessenz allen Lebens wirklich verstanden und reflektiert hat:
Dieses einzige und absolute Grundgesetz der gesamten Biologie ist eigentlich so banal, dass man sich wundert, warum es solche Widerstände hervorruft. Denn es ergibt sich zwangsläufig aus dem folgenden trivialen Automatismus, der doch eigentlich allen klar sein müsste:
Gene (Erbanlagen), die ein Individuum so programmieren, dass es sich optimal fortpflanzt, werden in der nächsten Generation häufiger vertreten sein als solche, die das nicht so effektiv tun. Letztere verschwinden daher im Laufe der Generationen, sodass schließlich nur noch solche übrig bleiben, deren einziges Ziel die optimale Fortpflanzung ist.
Dieser automatische Mechanismus läuft blind und ziellos ab und hat aber doch das gesamte Pflanzen- und Tierreich programmiert, vom Einzeller bis zum Menschen, der davon keine Ausnahme macht, auch nicht in seiner Seele: Deren genetisch vorprogrammierte Eigenschaften wirken sich ebenfalls auf den Fortpflanzungserfolg aus und unterliegen deshalb dem gleichen Selektionsmechanismus wie die körperlichen.
Das sollte wirklich allen einleuchten, und dennoch wollen es die wenigsten in letzter Konsequenz wahrhaben.
Die Entwicklung der Menschheit
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.
Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehen die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.
Was ihre Verdauung übrig lässt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
(Erich Kästner)
Bei der Montage eines Autos oder bei der Abwicklung eines Geschäftsvorganges würde kaum jemand mythische oder romantische Konzepte zugrunde legen. Man stelle sich vor: Ein Automechaniker untersucht das Funktionieren der Bremsen nicht durch eine Bremsprobe, sondern aus dem Kaffeesatz. Eine Bank vergibt ihre Kredite nicht gegen Sicherheiten, sondern im Vertrauen darauf, dass alle Menschen im Grunde ihres Herzens gut sind.
Absurd? – Was das Verständnis der geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen und insbesondere seines Soziallebens betrifft, ziehen es die meisten Zeitgenossen jedenfalls vor, mythischen oder romantischen Grundannahmen zu folgen statt den harten und gesicherten Fakten der soziobiologischen Wissenschaft.
Wir haben es hier mit der letzten großen Bastion der Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun, aber eines steht jetzt schon fest: Auch diese Bastion wird fallen!
Der vorliegende Artikel will daher das problematische Verhältnis zwischen den biologischen Grundvorgaben des menschlichen Soziallebens und seinem geistig-kulturellen Überbau prinzipiell beleuchten.
Religiöse Vorurteile können dann entstehen, wenn übernatürliche Offenbarungsinhalte oder persönliche mystische Gefühle, die ja beide nicht rational beweisbar und argumentierbar sind und daher korrekterweise als „Glaube“ statt als „Wissen“ bezeichnet werden, im Widerspruch stehen zu den objektiv nachvollziehbaren, empirisch gesicherten, experimentell überprüfbaren und logisch abgeleiteten Aussagen der Naturwissenschaft.
Viele moderne Religionen, einschließlich der katholischen, schließen heute (nach der causa Galilei) einen solchen Fall kategorisch aus: Gottes Offenbarung kann nicht im Widerspruch stehen zu den Wahrheiten in seiner eigenen Schöpfung.
Die katholische Theologie und noch mehr die lutherische tut sich besonders leicht im Umgang mit den anstößigen Aussagen der Soziobiologie: Gemäß der Erbsündenlehre ging sie immer schon davon aus, dass die menschliche Natur zerbrochen ist, eine natura fracta, die zur Sünde und zum Bösen neigt. Erkenntnisse über die genetisch gesteuerten Abgründe menschlichen Sozialverhaltens wirken daher sogar als Bestätigung herkömmlicher Positionen.
Indessen sind nicht alle Gläubigen ausgebildete Theologen und vertreten daher häufig Glaubensinhalte, die tatsächlich mit soziobiologisch gesicherten Fakten kollidieren. Die wichtigsten dieser religiösen Vorurteile sollen hier genannt werden:
Über den Menschen sagt der achte Psalm:
„Nur ein Weniges hast du [Gott] ihn unter die Engel gestellt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn gekrönt und hast ihn über die Werke deiner Hände gesetzt.“
Wer dies als biologische Sonderstellung des Menschen begreift, sieht sich zwangsläufig konfrontiert mit den Erkenntnissen der Soziobiologie:
„Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden.“ (Richard Dawkins)
Dies betrifft auch die geistig-seelischen Eigenschaften und die Triebkräfte des menschlichen Sozialverhaltens: Sie unterliegen einem genauso banalen Gen-Egoismus wie das Tierreich.
Fundamentalisten, die auf einem wörtlichen Verständnis des biblischen Schöpfungsberichtes beharren, wird entgegengehalten, dass sich nicht nur der Leib des Menschen, sondern auch seine Seele und die Triebkräfte seines Verhaltens durch natürliche Evolution aus tierischen Formen heraus entwickelt haben. Aus naturwissenschaftlicher Sicht bleibt den Kreationisten derzeit nur noch ein nennenswertes Rückzugsgebiet: Die behauptete Unsterblichkeit der menschlichen Seele, ihr Weiterleben nach dem Tod, kann sich nicht durch den Automatismus der natürlichen Evolution entwickelt haben, ist aber auch durch naturwissenschaftliche Methoden bislang nicht zu widerlegen.
Die Replikatoren
Sie starben nicht aus,
denn sie sind unübertroffene Meister
in der Kunst des Überlebens.
Doch dürfen wir sie nicht frei im Meer umhertreibend suchen;
dieses ungebundene Leben
haben sie seit langem aufgegeben.
Heute drängen sie sich in riesigen Kolonien,
sicher im Innern gigantischer, schwerfälliger Roboter,
hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt;
sie verständigen sich mit ihr
auf gewundenen, indirekten Wegen,
manipulieren sie durch Fernsteuerung.
Sie sind in dir und in mir,
sie schufen uns,
Körper und Geist,
und ihr Fortbestehen
ist der letzte Grund unserer Existenz.
Sie haben einen weiten Weg hinter sich,
diese Replikatoren.
Heute tragen sie den Namen Gene,
und wir
sind ihre Überlebensmaschinen.
(Richard Dawkins)
„Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis,“ beschließen die göttlichen Personen im ersten Kapitel der Genesis.
Ein primitiv egoistisches Wesen, dem die eingangs erwähnten Abscheulichkeiten einprogrammiert sind und dessen einzige Daseinsbestimmung die Fortpflanzung ist: Dies soll das Ebenbild Gottes sein? – Der Darwinismus hat das Numinosum des Menschen vom Sockel gestürzt.
Gewiss hat Homo sapiens einen höheren Intelligenzquotienten als alle anderen Tiere, aber erstens ist der Unterschied nur quantitativ und zweitens wissen wir seit dem 11. Mai 1997 (Schachweltmeister Gary Kasparov gegen Deep Blue), dass es auf unserem Planeten Wesen gibt, die uns in puncto Intelligenz eindeutig überlegen sind und daher noch viel mehr zum übernatürlichen Leben bestimmt sein müssten, was lächerlich wäre.
Im Übrigen: Wer den Intelligenzquotienten zum Maßstab für die überirdische Bestimmung macht, widerspricht dem Herrenwort „Selig die Armen im Geiste ...“
Es gibt allerdings eine menschliche Intelligenzleistung, die bisher unerreicht ist: die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Viele religiöse Konzepte glauben aus den Vorgängen in der Natur und insbesondere der menschlichen Natur eine Bestimmung zu höheren Sphären und eine übernatürliche Entwicklungstendenz herauslesen zu können. Tatsächlich ist unumstritten, dass die geistig-seelische Sphäre auf dem Planeten Erde einen zunehmend größeren Raum einnimmt. Doch kann der Darwinismus darin keine transzendenten Wirkprinzipien erkennen. Er sieht lediglich den blinden, ziellosen und banalen Automatismus der Evolution der Gene und der Meme (siehe dazu Kapitel 4 „Gen und Kultur“) am Werk:
„Gene besitzen keine Voraussicht; sie planen nicht. Gene existieren ganz einfach, und einige existieren häufiger als andere – das ist alles.“ (Richard Dawkins)
Die Evolution geht – ziemlich langsam – nirgendwo hin.
Unter den christlichen Glaubensgemeinschaften gibt es solche, die einer deterministischen Prädestinationslehre anhängen, und andere, die die Freiheit des menschlichen Willens als Wesensmerkmal seiner transzendentalen Geistseele betrachten. Letztere müssen dabei zwangsläufig in Konflikt geraten mit den deterministischen Erklärungsmodellen für tierisches Sozial- und Moralverhalten, die nahtlos in die Humansoziobiologie, die Humanethik und damit auch in die herkömmlichen Sozialwissenschaften eindringen.
In der Natur gibt es keine Vorgänge außerhalb von deterministischen Kausalketten, wenngleich manche Abläufe „zufällig“ scheinen, weil der zugrunde liegende Kausalmechanismus entweder unerforscht ist (z. B. radioaktiver Zerfall) oder so komplex und multifaktoriell, dass er sich jeder Kausalanalyse entzieht (womit sich die Chaostheorie beschäftigt).
Um die Schöpfungslehre mit den Befunden der Biologie zu harmonisieren, muss man die Evolution als kreative Methode Gottes betrachten. Dabei gibt es einen Haken: Die eingangs erwähnten Scheußlichkeiten der menschlichen Seele und ihres Sozialverhaltens haben sich durch die Evolution und somit also durch den göttlichen Schöpfungsakt entwickelt. Wie kann denn dann der Schöpfer durch seine Zehn Gebote das Gegenteil dessen verlangen, was er selbst dem Menschen in seinem Schöpfungsakt einprogrammiert hat? Wolfgang Wickler hat es auf den Punkt gebracht:
„Wir könnten unser Großhirn dem Nutzen verdanken, der aus dem Übertreten der Zehn Gebote erwächst.“
Will die Theologie mit den Aussagen der Naturwissenschaft konsistent bleiben, dann muss sie die Erbsünde und das Wirken des Bösen in den evolutionären Schöpfungsakt integrieren.
Die christliche Sittenlehre wird indes nicht nur durch Gottes übernatürliche Autorität begründet, sondern von manchen Theologen auch ganz profan aus der Naturrechtslehre abgeleitet. Diese behauptet, man könne die gesellschaftlich erwünschte Moral aus der Natur des Menschen schlussfolgern. Dabei muss sie zwangsläufig an den soziobiologischen Fakten scheitern: Der Mensch ist, was sein Verhalten zu den Mitmenschen betrifft, von Natur aus eines der aggressivsten und bösartigsten Säugetiere und in dieser Hinsicht nur noch dem Schimpansen vergleichbar, der nicht zufällig sein nächster Verwandter ist.
Wenn wir nun die theologische Diskussion verlassen, müssen wir aber feststellen, dass die irrige Naturrechtslehre in ihren verschiedenen Ausprägungen auch dem Großteil der übrigen zeitgenössischen Geistesströmungen fundamental zugrunde liegt. Die Naturromantik des Rousseau’schen Konzeptes vom „Edlen Wilden“ ist in der einen oder anderen Ausformung letztlich immer noch prägend für fast alle einflussreichen Ideologien der Gegenwart. Sie unterstellt dem Menschen irrtümlicherweise, er sei von seiner Biologie her gut, also von Natur aus gut, und will diese vermeintliche Gutartigkeit sodann zur sittlichen Norm erheben. Dieser normative Biologismus, der in Wahrheit auf Luft gebaut ist, kann als gemeinsamer Nenner aller Gegner der Soziobiologie gelten, seien sie nun links oder rechts, religiös oder humanitär.
Zu den integralen Elementen des Marxismus gehört das Grundschema des historischen Materialismus:
Urkommunismus > Sklaverei > Feudalismus > Kapitalismus > Sozialismus > Kommunismus
Der Urkommunismus der Steinzeitgesellschaft ist heute eindeutig widerlegt. Die heutigen Naturvölker erweisen sich ebenso wie unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, als blutrünstige, chauvinistische Kriegerhorden. Es spricht alles dafür, dass das, was entwicklungsgeschichtlich dazwischen lag, nämlich die Altsteinzeit, nicht anders war.
Das Endziel, der Kommunismus, soll eine egalitäre, solidarische Gesellschaftsordnung sein, gekennzeichnet durch die Nivellierung von Macht und Reichtum, das Absterben des Staatsapparates, freiwillige Arbeit und harmonischen Interessenausgleich der Menschen aller Geschlechter und Rassen nach der Maxime von Karl Marx: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinem Bedürfnis.“
Die Soziobiologie sagt jedoch mit absoluter Gewissheit: Die egoistischen Triebkräfte der Individuen, insbesondere die sexuelle Konkurrenz unter den Männern und ihr dadurch ausgelöstes Dominanzstreben, sind so tief und so massiv in ihrer Verhaltensstruktur angelegt, dass die hier skizzierte, klassisch marxistische Zielgesellschaft nicht die geringste Chance hat und daher in den Bereich der Utopie zu verweisen ist.
Unter den rechtslastigen Ideologien wird der Nationalismus häufig mit dem Darwinismus in Verbindung gebracht, was jedoch nur teilweise berechtigt ist, denn er appelliert an den freiwilligen Altruismus zugunsten der Gemeinschaft. Die Soziobiologie erklärt jedoch, dass freiwillige Leistungen an die Nation, die nicht individuell entlohnt werden, den Fortpflanzungserfolg des Altruisten schmälern, sodass ein solches genetisch programmiertes Verhalten von der Evolution konsequent wegselektiert wird zugunsten von skrupellosen Egoisten, die freiwillig nichts für die Gemeinschaft leisten, an deren Erfolgen und Annehmlichkeiten aber voll teilhaben.
Gruppenselektion auf der Basis freiwilliger Selbstlosigkeit ist eben in menschlichen und tierischen Gesellschaften sehr unwahrscheinlich, wie der Neodarwinismus nicht müde wird zu betonen.
Schließlich ist hier zuletzt noch der moderne Humanismus zu betrachten, dessen Konzepte der Menschenwürde und der Menschenrechte gleichfalls vom naturromantischen Bild des edlen Menschen ausgehen, der angeblich von Natur aus gut ist. Dagegen sagen die Darwinisten, dass „... ‚Natur, Zähne und Klauen blutigrot‘ unser modernes Verständnis der natürlichen Auslese vortrefflich zusammenfasst.“ „... wir und alle anderen Tiere Maschinen sind, die durch Gene geschaffen wurden.“ (Richard Dawkins)
Mit der Sonderstellung des Menschen fällt auch die Menschenwürde, die ihn aus dem Tierreich herausheben wollte, und seiner brutal egoistischen Natur wird das Mäntelchen des Guten und Edlen weggerissen, mit dem er sich so gerne nach außen darstellt. Was übrig bleibt, ist tierisch-primitiver Fortpflanzungs-Egoismus einer besonders bösartigen, aber scheinheilig-raffinierten Sorte.
Und noch etwas. Wenn der Mensch nichts anderes ist als ein schlimmes Tier mit einer komplizierten Sozialordnung und der dafür nötigen Raffinesse, und man dennoch an der Menschenwürde und den Menschenrechten festhalten möchte, dann muss man diese konsequenterweise auch jedem anderen Tier zugestehen. Der Regenwurm, der bei lebendigem Leib auf einem Angelhaken aufgespießt wird; der Fisch, der an diesem Haken im Schlund an einer Leine hochgezogen, nach langem Leiden totgeschlagen und dann gebraten wird: Sie alle sind nicht weniger edel und nicht weniger würdevoll als Homo sapiens.
Den neodarwinistisch bedrängten Parteigängern der Menschenwürde und der Menschenrechte bleibt als letzte Verteidigungslinie nur noch das nicht mehr unterbietbar primitive „Mia san mia!“, wohl wissend, dass auch der Regenwurm sich selbst und seine Art als Mittelpunkt des Universums begreift.
Das Konzept der Tabula rasa (= „unbeschriebenes Blatt“) liegt den modernen Sozialwissenschaften meistens mehr oder minder ausdrücklich zugrunde. Demnach sind Geist und Seele des Neugeborenen leere Strukturen, die dann von der ökosozialen Umwelt im Laufe des Lebens mit Inhalt gefüllt werden.
Dabei weiß man jedoch aus der Zwillingsforschung mit absoluter Sicherheit, dass die geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen in erheblichem Ausmaß erblich bedingt sind. So steht zum Beispiel mit jeder wünschenswerten Eindeutigkeit fest, dass Unterschiede im Intelligenzquotienten zu über 50 % ererbt sind.
Aber auch eine einfache Überlegung hilft hier sogleich weiter: Der Säugling und der Papagei sind in der gleichen Wohnung mit Erwachsenen zusammen. Durch Beobachtung und Nachahmung lernt das Kind perfekt sprechen. Der Papagei wird nicht mehr als einige Wörter oder Satzfetzen reproduzieren, mit etwas Glück zum richtigen Objekt passend. Wenn aber das Sprachzentrum des Neugeborenen leer war, kann das des Papageis nicht noch leerer gewesen sein. Woher dann die unterschiedliche Entwicklung?
Fazit: Das Gehirn des Neugeborenen ist bereits erheblich vorgeprägt und im Laufe der Individualentwicklung werden (z. B. durch die Hormonschübe der Pubertät oder des Klimakteriums, aber natürlich auch durch Schlüsselreize) weitere vorgeprägte Verhaltenstendenzen aktiviert. Darunter auch die eingangs erwähnten Abgründe des menschlichen Sozialverhaltens.
Wie könnte es auch anders sein: Weder die Sanftmut des Lammes noch die Aggressivität des Wolfes sind durch Umwelteinflüsse erworben. Und nichts spricht dafür, dass es bei Homo sapiens anders ist, außer dem Vorurteil der modernen Sozialwissenschaften, wonach nicht sein kann, was nicht sein darf.
Praktisch alle gesellschaftlich relevanten Wertordnungen haben eine hohe Wertschätzung für echte, selbstlose Moral, die nicht nur dem banalen Diktat von Zuckerbrot und Peitsche gehorcht.
Hier muss zunächst einmal geklärt werden, was echte Moral nicht ist:
Zusammenarbeit zum eigenen unmittelbaren Vorteil, auch wenn sich dabei zufällig Vorteile für andere ergeben. Beispiel: Wachsamkeit gegen terroristische Gefahren.
„Selbstlose“ Handlungen zugunsten naher Verwandter, die einen großen Teil der eigenen Gene besitzen. Beispiel: Unterstützung von Geschwistern.
„Selbstlose“ Handlungen zugunsten Fremder, für die später irgendwelche Gegenleistungen oder Vorteile erwartet werden. Beispiel: Wohltätigkeit, wenn alle zuschauen.
Sittlich gute Handlungen aus Angst vor irdischer Strafe. Beispiel: Steuern zahlen.
Sittlich gute Handlungen vor dem Hintergrund vermeintlicher überirdischer Strafe oder Belohnung. Beispiel: Fundsachen abliefern, weil der Herrgott zuschaut.
Sittenreinheit aus Mangel an Gelegenheit. Beispiel: eheliche Treue eines unattraktiven Mannes.
Sittenreinheit aus Bequemlichkeit. Beispiel: Wahrhaftigkeit.
Echte Moral liegt hingegen vor, wenn alle diese Beweggründe wegfallen und wirklich selbstlos, aus Liebe zu anderen, nicht blutsverwandten Personen oder Kollektiven gehandelt wird. Beispiel: Wohltätigkeit, wenn niemand zuschaut.
Diese echte Moral wird in praktisch allen Gesellschaftsordnungen idealisiert und als hoher menschlicher Wert propagiert. Die Soziobiologie sagt jedoch, ein solches Verhalten sei wider die Natur und wider die natürliche Bestimmung des Menschen, der wie alle Lebewesen einzig und allein für die optimale Fortpflanzung seiner eigenen Gene konstruiert sei, was ja durch echte, selbstlose Moral sabotiert wird. Aus biologischer Sicht ist eine solche echte Moral daher eigentlich eine Verhaltensstörung oder – noch konsequenter gedacht – eine Geisteskrankheit. Seine natürliche Aufgabe erfüllt deshalb derjenige am besten, der von der echten Moral sagt:
„Moral sollen die anderen üben und mir unterstellen.“ (Remigius Geiser)
Nach den weit verbreiteten Vorurteilen, die der Soziobiologie entgegenschlagen, sollen nun noch einige Missverständnisse genannt werden, die eigentlich vermeidbar sind und die Auseinandersetzung mit ihr nur unnötig erschweren.
Wir haben soeben, im Kapitel über die Zersetzung der Moral, herausgeschält, was alles in Wahrheit nicht selbstloses sittliches Handeln ist. Dennoch werden alle diese Formen des Pseudo-Altruismus sehr häufig sowohl von den Akteuren selbst als auch von den Umstehenden als selbstlos, edel, großmütig, mitmenschlich, warmherzig und liebevoll empfunden, obwohl sie in letzter Konsequenz eigentlich nur dem schnöden Egoismus der fortpflanzungssüchtigen Gene dienen. Und sie werden natürlich auch massiv zur Argumentation gegen die Soziobiologie eingesetzt: Schaut her, die Menschen sind doch in Wirklichkeit gar nicht so eigensüchtig, wie ihr Biologen aus eurer grauen Theorie heraus immer postuliert!
Hier muss ein massives Missverständnis ausgeräumt werden. Die Soziobiologie bestreitet keineswegs, dass ein großer Teil der zwischenmenschlichen Interaktionen auf freundschaftlicher und wohlwollender Basis stattfindet und im Verlauf der Evolution mit liebevollen Emotionen ausgestattet wurde, die dazu förderlich sind. Die Soziobiologie behauptet jedoch, dass der allergrößte Teil dieser scheinbar selbstlosen Taten bei genauerem Hinsehen letztlich doch dem egoistischen Vorteil dient, auch wenn es nach oberflächlicher Betrachtung zunächst nicht so scheint.
Dennoch gibt es aber, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, auch echte Selbstlosigkeit. Für sie hat die Soziobiologie ebenfalls eine klare und eindeutige Erklärung:
Der Atheist, der ein gefundenes Geldbörserl mit EUR 3.000.– beim Fundamt abliefert; der gottlose junge Mann, der anonym sein Blut oder sogar sein Knochenmark spendet und niemandem davon erzählt, statt seine Vitalität dem schönen Geschlecht zuzuwenden (und damit seinen Fortpflanzungserfolg zu steigern); der allein stehende ältere Humanist, der sein Vermögen von EUR 2 Millionen einer karitativen Organisation vermacht, statt sich aus dem Katalog eine junge Philippinerin zu kaufen und noch ein paar Kinder zu zeugen; die Kommunistin, die in einem lateinamerikanischen Folterkeller für die Sache des Proletariats langsam und qualvoll stirbt und dabei drei unversorgte Waisenkinder zurücklässt: Sie alle handeln wirklich selbstlos, echt altruistisch.
Und was sagt die biologische Wissenschaft dazu? Wir kennen die Antwort bereits: Verhaltensstörung, Geisteskrankheit infolge von Fehlanpassung.
In den langen evolutionären Zeiträumen, in denen unser Sozialverhalten durch Mutation und Selektion herausgebildet wurde, also in der Steinzeit und in der vorindustriellen Agrargesellschaft, lebten wir Menschen in überschaubaren sozialen Einheiten – meist in Dörfern mit hundert oder zweihundert Einwohnern. Jeder kannte jeden, alle guten Taten wurden von den anderen registriert und bilanziert und je mehr davon wir begingen, umso mehr wuchs unser Ansehen und die Bereitschaft unserer Mitmenschen, uns gegenüber ebenfalls lieb und nett und hilfsbereit und respektvoll zu sein. „Selbstlosigkeit“ zahlte sich also aus, unser Egoismus kam auf seine Kosten.
Von dort wurden wir vor wenigen Generationen in die moderne anonyme Industriegesellschaft hineingeworfen. Unsere Gene, die uns für gute Taten programmieren, existieren jetzt zum erheblichen Teil noch, aber sie kriegen nichts mehr dafür. Sie sind nicht für das moderne Leben geschaffen, deplaziert, fehlangepasst. Sie behindern unsere Fortpflanzung. Sie sind deshalb zum Aussterben verurteilt und werden schon laufend wegselektiert, während sich die kalten Egoisten durchsetzen und vermehren.
Wahre Selbstlosigkeit ist also keine Widerlegung des darwinistischen Egoismus, sondern eine todgeweihte Fehlanpassung, was im Verlauf der Evolution immer wieder vorkommt, wenn sich die ökosozialen Umweltbedingungen ändern.
Auch so ein häufiges Missverständnis: Die Soziobiologen bedienen sich einer bildhaften Ausdrucksweise und die Laien nehmen das wörtlich. Wenn zum Beispiel der Soziobiologe sagt: „Gene handeln zu 100 % egoistisch und haben nur einen einzigen Wunsch, nämlich sich bestmöglich fortzupflanzen“, dann ist der Außenstehende geneigt, anzunehmen, die Wissenschaft würde den Genen Gefühle, Sehnsüchte oder gar bewusstes Handeln zusprechen. Tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Gene sind Nukleotid-Sequenzen, also chemische Gebilde, die blind und ziellos und rein automatisch physikalischen Kräften unterliegen – ähnlich wie die Wassermoleküle, wenn sie an der Fensterscheibe Eisblumen bilden.
Die Soziobiologen bedienen sich dieser bildhaften Ausdrucksweise lediglich aus Bequemlichkeit. Es ist eben einfacher zu sagen „Gene handeln zu 100 % egoistisch“ statt, was korrekter wäre, Gene verhalten sich so, als würden sie zu 100 % egoistisch handeln.“ Man tut daher als Laie gut daran, sich gegebenenfalls immer das „... als ob ...“ dazuzudenken.
Das gilt nicht nur für Gene, sondern häufig auch für Mensch und Tier. „Der Mensch hat nur ein einziges Ziel, nämlich die optimale Fortpflanzung seiner eigenen Gene“ soll nicht heißen, dass er dieses Ziel immer bewusst verfolgt, sondern nur, dass er sich de facto so verhält, als hätte er nur dieses einzige Ziel.
Übrigens machen wir es im Alltagsleben nicht anders. Jeder sagt: „Das Wetter will nicht schöner werden.“ Korrekt wäre: „Das Wettergeschehen verhält sich so, als hätte es den Willen, nicht schöner zu werden.“
Fragt man einen gewöhnlichen Zeitgenossen, warum er mit seinen Freunden kegeln geht, dann wird man die Antwort erhalten: „Weil es Spaß macht.“ Der Soziobiologe wird jedoch sagen: „Weil er dadurch seinen Fortpflanzungserfolg steigert.“ – Wer hat Recht?
Der Soziobiologe führt folgende Überlegung durch: Die Freude am Spiel mit Freunden wurde im Zuge der Evolution entwickelt, um den Menschen zum geselligen Spielen zu veranlassen, denn dieses pflegt die Freundschaft und trägt zum Informationsaustausch bei. Beides (Freunde und Informationen) ist dem gesellschaftlichen Rang eines Menschen förderlich. Ranghohe Menschen erzielen aber (z. B. durch bessere Ausbildung ihrer Kinder und effektive Protektion bei deren beruflicher Laufbahn) im Durchschnitt einen höheren Fortpflanzungserfolg. Quod erat demonstrandum.
Tatsächlich haben beide Recht und widersprechen sich nicht, sondern sie greifen nur nach unterschiedlichen Erklärungsebenen in der Kausalkette. Der gewöhnliche Zeitgenosse hat lediglich eine proximate Wirkerklärung gegeben, während der Soziobiologe die ultimate Ursachenerklärung herausgearbeitet hat. Hält man sich diesen Unterschied vor Augen, dann sind derartige Missverständnisse leicht zu vermeiden.
Vielleicht das häufigste Missverständnis, mit dem Soziobiologen zu kämpfen haben.
Eingangs wurde beispielsweise behauptet: „Vergewaltigung von Frauen ist ein natürlicher Vorgang.“ Man kann es dem Laien nicht verdenken, wenn er dies zumindest als Verharmlosung der Notzucht missversteht. Tatsächlich aber will der Soziobiologe damit nur sagen, dass die Vergewaltigung bei Mensch und Tier auf natürliche Weise, im Verlauf der Evolution entstanden ist und dem natürlichen Fortpflanzungs-Egoismus der Gene dient. Keineswegs will er für ein solches Verhalten irgendeine Empfehlung abgeben, sondern lediglich die Fakten beschreiben.
Um es noch deutlicher zu sagen: Der Autor dieser Zeilen ist verheiratet, hat eine Tochter und auch eine Enkeltochter. Selbstverständlich will er nicht, dass eine dieser drei weiblichen Personen vergewaltigt wird, und auch sonst wünscht er es keiner Frau. Er befürwortet die bestehende Gesetzgebung gegen Notzuchtverbrechen (und würde sogar eine Verschärfung derselben begrüßen). Er hat sich selbst nie an einer Vergewaltigung beteiligt und hat dies auch nicht vor. Er muss jedoch als biologischer Wissenschafter die Tatsache zur Kenntnis nehmen und darlegen, dass Vergewaltigung im Verhaltensrepertoire des männlichen Homo sapiens generell angelegt ist und in entsprechenden Situationen (wie jüngst im Bosnien-Krieg) von der Mehrheit der männlichen Personen durchgeführt wird.
Die Aussage „Vergewaltigung von Frauen ist ein natürlicher Vorgang“ will also völlig wertfrei lediglich eine biologische Tatsache aussagen, ohne im Mindesten irgendeine Empfehlung, Verteidigung oder auch nur Verharmlosung dieses Verhaltens zu liefern. Zur Empfehlung oder Verteidigung kann eine solche Feststellung allerdings dann werden, wenn man von zwei Vorurteilen ausgeht, nämlich dass erstens die Natur gut ist und dass zweitens alles Natürliche zu befürworten ist. In Wahrheit ist es also das oben geschilderte Vorurteil der Naturrechtslehre und der Naturromantik, das mit seinem normativen Biologismus aus der naturwissenschaftlichen Feststellung eine Empfehlung macht.
Zugegeben: Ältere Generationen der Verhaltensforschung (z .B. Konrad Lorenz) haben tatsächlich versucht, aus dem natürlichen Verhalten eine sittliche Norm für die menschliche Gesellschaft abzuleiten. Der Neodarwinismus und die Soziobiologie der letzten dreißig Jahre vermeiden aber strikt und peinlich auch nur die leiseste Tendenz eines normativen Biologismus.
Ein ewiger und völlig unnötiger Streit: Die Gegner der Soziobiologie werfen ihr „Reduktionismus“ und „Determinismus“ vor und wollen damit sagen, dass sie alles menschliche Fühlen, Trachten und Handeln auf das strenge Diktat der Gene zurückführt, die angeblich unser Leben zu 100 % determinieren. Die Soziobiologen ihrerseits kontern mit dem Vorwurf des „Konstruktionismus“, was heißen soll, dass die modernen Sozialwissenschaften den Einfluss der Gene negieren und behaupten, alles menschliche Verhalten werde ausschließlich durch die Umwelt und dabei vor allem durch das soziale Milieu konstruiert.
Die Wahrheit liegt exakt in der Mitte und das klärende Stichwort heißt „kondizionale Strategie“.
Bei körperlichen Merkmalen liegt die Sache klar: Bei gleicher Bestrahlung ist der genetisch festgelegte Hauttyp 3 dunkler als Hauttyp 2. Lebt er aber ein halbes Jahr in einem fensterlosen Keller, während Hauttyp 2 im Freien an der Sonne arbeitet, wird Letzterer dunkler sein. Gleiches gilt für die meisten anderen Körpermerkmale, aber auch für die geistig-seelischen Eigenschaften, die unser Sozialverhalten steuern: Die Gene geben nur einen Reaktions-Rahmen vor, im Sinn einer kondizionalen Strategie, die je nach den Bedingungen der ökosozialen Umwelt verschiedene alternative Taktiken bereithält. Die Umwelt entscheidet also darüber, welche genetisch vorprogrammierten Alternativen konkret verwirklicht werden:
„Eine Verhaltensstrategie ist eine evolvierte Regelsammlung, die festlegt, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Verhalten unter welchen Bedingungen gezeigt wird.“ (Eckart Voland)
Die einzelnen Individuen verfügen dabei jedoch über unterschiedliche Sortimente genetisch vorprogrammierter Alternativen, und hier setzt die Selektion an.
Es ist wie mit den Wirtshäusern: Jedes hat ein bestimmtes Sortiment von Speisen und Getränken und sonstigen Annehmlichkeiten im Angebot und das ökosoziale Umfeld, also die Kundschaft, entscheidet, welche Teile davon tatsächlich praktiziert werden. Schließlich werden aber die Wirtshäuser mit dem besseren Sortiment den Konkurrenzkampf gewinnen.
„Jene Mauer, die die Sozialwissenschaftler des 20. Jahrhunderts so eifersüchtig bewachten, teilt die Materie vom Geist, das Materielle vom Spirituellen, das Physische vom Geistigen, die Biologie von der Kultur, die Natur von der Gesellschaft, die Naturwissenschaften von den Sozialwissenschaften, den Geisteswissenschaften und den Künsten. ... Doch auch diese Mauer fällt.“ (Steven Pinker)
In der Frage „Gen und Kultur“ kulminiert die Auseinandersetzung der Soziobiologie mit ihren Gegnern. Sämtliche einschlägigen Vorurteile und Missverständnisse werden von diesen aufgeboten, um zu beweisen, dass das Gesellschaftsleben der Menschen nicht von den selbstsüchtigen Genen dominiert wird, sondern von der kulturellen Überformung unserer biologischen Natur. Die Angelegenheit bedarf demnach einer ausführlichen Beleuchtung.
Der Neodarwinismus, also eine Naturwissenschaft, nimmt für sich durchaus vollmundig und selbstbewusst in Anspruch, das Phänomen der Kultur zum ersten Mal richtig und grundlegend gedeutet zu haben. Und das geht so:
Zunächst wird der Begriff „Replikator“ definiert als etwas, das kopiert wird, nicht immer ganz exakt kopiert, und je nach seiner Qualität verschieden oft kopiert wird. Sodann wird festgestellt, dass immer, wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind, der betreffende Replikator eine Evolution in Gang setzt. Schließlich wird noch registriert, dass (in unserem Sonnensystem) insgesamt zwei Replikator-Typen bekannt sind: Gene und Meme.
Ein Mem ist schlicht und einfach ein Kulturelement. Zum Beispiel ein Begriff in irgendeiner Sprache, eine neue Haarmode, ein Rezept für Linsensuppe, ein Abschnitt aus einer Symphonie von Beethoven, ein philosophischer Gedanke ...
Diese Meme gebärden sich nun wie die Gene: Sie werden kopiert (durch Nachahmung, mündlich, schriftlich, auf Tonbändern, Schallplatten, CD-ROMs, durch Rundfunk, Fernsehen und Internet), sie werden gelegentlich verändert, und sie werden je nach ihrer Qualität verschieden oft kopiert. Letzteres hat zur Folge, dass sich die besseren durchsetzen und die minderwertigen aussterben. Das Resultat ist die kulturelle Entwicklung auf unserem Planeten.
Sie machen es noch in anderer Hinsicht den Genen gleich: Während sich die Gene im Zellkern einer lebenden Zelle zusammenschließen und als Verbündete gemeinsam ihre Strategie der optimalen Fortpflanzung betreiben, schließen sich die Meme zu so genannten Memplexen zusammen, weil sie gemeinsam stärker sind. Klassische (und sehr erfolgreiche) Memplexe sind zum Beispiel Religionen oder andere ideologische Systeme.
Doch kehren wir zu unserer Frage zurück: Bestimmen nun die Gene oder die Meme unser Sozialverhalten?
Die Frage ist nicht so einfach zu klären. Insbesondere deshalb nicht, weil Gene und Meme häufig zusammenarbeiten. Doch erst einmal der Reihe nach.
Wie reagieren Gene, wenn sie (im Lauf der Evolution) mit anderen Genen zu tun haben? – Nun, mit Ausnahme derer, die an derselben Stelle in den Zellkernen sitzen und ihnen den Platz streitig machen, reagieren sie auf alle anderen Gene so, als wären sie ein Teil ihrer Umwelt (und sie sind es auch tatsächlich). Sie „behandeln“ sie also je nachdem wie Gefährten, Verbündete, Nahrungsmittel, Beuteobjekte, Räuber, Parasiten oder – und das ist der weitaus häufigste Fall – einfach als Bedeutungslose.
Wie reagieren aber jetzt Gene, wenn sie (im Lauf der Evolution) mit Memen zu tun haben? Die Antwort ist klar: Sie reagieren genauso und „behandeln“ auch die Meme je nachdem wie Gefährten, Verbündete, Nahrungsmittel, Beuteobjekte, Räuber, Parasiten oder – und das ist wiederum der weitaus häufigste Fall – einfach als Bedeutungslose.
Man könnte die Frage genauso gut umgekehrt stellen: Wie reagieren Meme, wenn sie mit Genen zu tun haben? Die Antwort wäre die gleiche.
Aus der biologischen Evolution kennen wir das Phänomen der „Koevolution“: Verschiedene, nicht näher verwandte Arten von Lebewesen passen sich im Laufe der Generationen immer perfekter aneinander an, zum Beispiel in einem Räuber-Beute-Verhältnis, das immer raffinierter wird, oder in einer Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen, die immer perfekter wird. Eine solche Koevolution hat nun auch zwischen den Genen und den Memen stattgefunden.
Die Evolution der menschlichen Kultur hat zwar schon vor Millionen von Jahren begonnen, ist aber lange Zeit auf vergleichsweise niedrigem Niveau geblieben. Erst als der Mensch die Sprache entwickelte, was wahrscheinlich vor 50.000 oder 100.000 Jahren geschah, hat sich das Entwicklungstempo der Kultur kolossal beschleunigt. In diesem Zeitraum lebten 2.000 oder 4.000 Generationen von Menschen. Ihre Gene hatten reichlich Gelegenheit, sich per Selektion an die Meme anzupassen, und vice versa.
Das Resultat: Eine menschliche Mem-Kultur, die weitgehend dem Egoismus der Gene dient, und eine genetische Natur, die weitgehend dem Egoismus der Meme dient.
Eine Korrelation von kulturellem und reproduktivem Erfolg ist empirisch nachweisbar. Wer die Meme häufiger und effektiver für seine Zwecke einzusetzen versteht, wird sich und seine Gene besser fortpflanzen. Man kann das auch an der Bewertung ablesen, die den Körperkräften im Gegensatz zu den geistigen Fähigkeiten früher (in der vorindustriellen Agrargesellschaft) und heute (in der Industriegesellschaft) zugeteilt wird. Während früher Arbeit und Kampf (= Auseinandersetzung) hauptsächlich mit körperlichen Mitteln bewältigt wurden, werden heute überwiegend Intelligenz und Bildung für diese Zwecke eingesetzt. Im Kampf ums Dasein, im Kampf ums Überleben der eigenen Gene, bedient sich der Mensch in zunehmend höherem Ausmaß der Meme, also der Kultur. Sie ist zum wichtigsten Instrument der Gene bei der Verfolgung ihrer Fortpflanzungsinteressen geworden. Und tatsächlich lässt sich leicht erkennen, dass fast alle Meme (einschließlich Heroin und H-Bombe) irgendjemandem einen Vorteil bringen und somit in die Lebensstrategie der Gene eingebunden sind.
Könnten die Meme ohne die genetische Natur des Menschen leben? – Vielleicht in einigen Jahrzehnten, aber heute sicher noch nicht. Wenn es plötzlich keine Menschen mehr gäbe, würden die Meme, in Büchern und auf CDs gespeichert, großteils verrotten und zerfallen. Ein kleinerer Teil der Kulturgüter könnte zwar unter günstigen Bedingungen, z. B. im Wüstensand, längere Zeit konserviert bleiben, aber „leben“ (= sich vermehren und verändern) könnten sie nicht.
Und wie sieht es umgekehrt aus: Könnten die Gene des Menschen ohne die Meme, ohne die Kultur, weiterleben? – Wenn plötzlich alle Meme, alle Kulturgüter von der Erde und aus den Hirnen der Menschen verschwänden, würde die Bevölkerungszahl zwar drastisch reduziert (mangels Nahrung und medizinischer Versorgung) und wir müssten wieder da anfangen, wo wir vor 50.000 Jahren standen. Aber einige von uns würden sicher weiterleben, sich fortpflanzen und verändern.
Fazit: Die Abhängigkeit ist ein bisschen einseitig. Gene und Meme sind zwar voneinander abhängig, doch die Meme könnten ohne die Gene nicht leben, die Gene ohne die Meme aber durchaus. Die Meme sind also mehr von den Genen abhängig als umgekehrt.
Der Karfiol war einst eine freie, unabhängige und anmutige Blume an den Felsenküsten Europas. Was aber hat der Mensch daraus gemacht? – Eine monströse, lächerliche Kreatur, die zu 100 % vom Menschen abhängig ist und deren einziger Daseinszweck darin besteht, ihm als Gemüsebeilage zu dienen.
So kann’s gehen, wenn Gene (die des Karfiols) zu 100 % von anderen Genen (denen des Menschen) abhängig werden.
Wie schaut es aber nun aus mit dem Grundgesetz des Lebens, mit dem Fortpflanzungs-Egoismus der Gene (des Karfiols): Ist dieser Egoismus jetzt aufgehoben, nachdem der Karfiol zum Sklaven des Menschen wurde? – Keineswegs! Die Urpflanze steht immer noch als freie Blume an den Küsten Europas, aber es ist ihr gelungen, einem großen Teil ihrer Gene zusätzliche neue und völlig ungeahnte Möglichkeiten zu eröffnen. Unter menschlicher Obhut werden ihnen immense Kulturflächen zur Verfügung gestellt, konkurrierende Pflanzen (Unkräuter) vernichtet, Feinde und Parasiten bekämpft, der Boden und alle anderen Umweltbedingungen auf optimales Wachstum eingestellt ... was kann den Genen eigentlich noch Schöneres passieren? Für die Gene des Karfiols sind paradiesische Zeiten ausgebrochen, ja, sie gehören inzwischen zu den erfolgreichsten Genen auf dieser Erde. Millionen von Tier- und Pflanzenarten, die am Aussterben sind, können den Karfiol eigentlich nur schamlos beneiden. Durch die Anpassung an das Sklavendasein ist er mit seinen Genen zu einem der erfolgreichsten Lebewesen dieses Planeten geworden.
Es gibt Science-Fiction-Filme, in denen sich die Meme, meist in den Computern, selbstständig machen, die Herrschaft des Menschen abschütteln und ihrerseits nun die Menschen (und deren Gene) zu Hilfssklaven ihrer Weltherrschaft machen. Angesichts des rasanten Tempos der digitalen Revolution in den letzten Jahrzehnten sind solche Szenarien gar nicht unwahrscheinlich. Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, sind die Meme bis jetzt immer noch eher von den Genen abhängig als umgekehrt, sind immer noch vorwiegend Instrumente der menschlichen Gene statt frei agierende Wesen. Die Kultur dient immer noch dem Menschen und seinen gen-egoistischen Interessen. Aber es könnte künftig auch umgekehrt kommen. Für diesen Fall lehrt uns das Beispiel des Karfiols, dass der Egoismus unserer Gene dadurch nicht geringer würde. Mit anderen Worten: Die kulturelle Überformung der menschlichen Natur kann beliebig intensiv sein: Am Prinzip unseres Eigennutzes und der dazu dienlichen Verhaltensweisen wird das nichts ändern.
Aber wollen wir überhaupt eine so starke kulturelle Überformung unserer biologischen Natur, wollen wir, dass die Kultur über unsere Gene dominiert, wollen wir wirklich der Karfiol für die Kultur-Meme werden, die zunehmend unseren Planeten beherrschen?
Oder fühlen wir uns vielleicht doch wohler bei der „guten alten Mutter Natur“, auch wenn diese nicht immer nur die Schokoladenseite für uns bereithält?
Ein Zuckerl für die Gegner des Materialismus
Oder sollte man sagen „ein Trostpflaster“?
Wenn es heißt, „Gene sind Nukleotid-Sequenzen, also chemische Gebilde“, dann stimmt das eigentlich gar nicht. Ein Gen ist in Wahrheit ein Stück Information, das sehr häufig in Form einer Nukleotid-Sequenz gespeichert ist. Diese ist aber dabei nur die austauschbare Träger-Substanz für die Information, die genauso gut auch auf einem anderen Speichermedium abgespeichert werden kann. Da ein Gen meistens die Information für den Aufbau eines Eiweißmoleküls ist, kann man diese Information (also das Gen) auch von diesem Eiweißmolekül ablesen, das in diesem Fall als Datenträger fungiert. Ein anderer Datenträger ist zum Beispiel Papier, wenn nämlich die genetische Information vom Sequenz-Analysator ausgedruckt wird. Wenn sie dann der Laborant der Laborleiterin vorliest, fungieren vorübergehend die Schallwellen der Luft als Datenträger. Wenn sie die Laborleiterin auswendig im Kopf hat, sind die elektrischen Potenziale ihrer Nervenzellen als Datenträger tätig. Natürlich kann man die Information auch auf Computerdisketten, CDs und Festplatten speichern.
Worauf es hier ankommt: Gene sind in Wirklichkeit keine materiellen Wesen, sondern Informationseinheiten. Konsequent gedacht, sind sie geistige Gebilde. Die Meme als Kulturelemente sind ebenfalls nur kulturelle Informationseinheiten, also gleichfalls geistige Gebilde. Wenn wir feststellen, dass die Welt von Genen und Memen regiert wird, dann bedeutet das also, dass sie von geistigen Wesen beherrscht wird.
Das ist Balsam auf die gebeutelten Seelen aller Gegner des Materialismus, bestätigt sich doch einmal mehr der berühmte Satz des Vergil (Aeneis 6, 727–729):
„Mens agitat molem et magno se corpori miscet.
Inde hominum pecudumque genus vitaeque volantum
et quae marmoreo fert monstra sub aequore pontus.“
(„Der Geist bewegt die Materie und vermählt sich dem mächtigen Leibe.
Hieraus stammen Menschen und Vieh und das Leben der Vögel
und was an Wesen der Ozean birgt unter marmornem Spiegel.“)
Dieser Essay kann kein systematisches Lehrbuch der Soziobiologie ersetzen. Genauso wenig will er eine konkrete Anleitung zum gesellschaftspolitischen Handeln sein. Es ist jedoch längst überfällig und dringend nötig, diverse Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft endlich einmal soziobiologisch zu beleuchten, um zu einem grundlegenden Verständnis dessen zu gelangen, was sich da zusammenbraut.
Die Gesellschaftsordnung der Schimpansen (unserer nächsten Verwandten im Tierreich) ist durch einen Männerbund charakterisiert, der Ressourcen erobert und verteidigt, um damit möglichst viele Frauen zu ernähren und infolgedessen möglichst viele Kinder zu zeugen. In der Steinzeit wird die menschliche Gesellschaft auch so funktioniert haben, denn bei den Naturvölkern ist dies heute noch der Fall. Männer verbünden sich also machtpolitisch gegen andere Männerbünde. Innerhalb der Gruppe entsteht ein solidarisches Wir-Gefühl, während die Gegner dehumanisiert, verteufelt und weitest möglich geschädigt bzw. vernichtet werden.
In der heutigen Massengesellschaft können diese Bünde gigantische Ausmaße erreichen. Eine klassische Frontstellung der modernen Industriegesellschaft lautet: Proletariat gegen Bourgeoisie. Der Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts hat sich bereits dieses Themas angenommen, allerdings einseitig: Darwinismus heißt Kampf ums Dasein und Überleben der Tüchtigeren, Stärkeren, Besseren, Angepassteren, Durchsetzungsfähigeren. Also entspricht es der natürlichen Ordnung, wenn es den Kapitalisten prächtig geht und das Proletariat im Dreck dahinvegetiert.
So ist es allerdings weder bei den Schimpansen noch bei den Naturvölkern, sondern hier haben die Spenceristen den Darwinismus maßlos überzogen. Tatsächlich gibt es bei Schimpansen und Naturvölkern diese totale Frontstellung des „in group/out group“-Denkens nur zwischen benachbarten Territorien, aber nicht innerhalb der Horde, die ein bestimmtes Territorium gemeinsam bewohnt und verteidigt. Innerhalb einer Horde teilt sich zwar die Gesellschaft ebenfalls in männerbündige machtpolitische Seilschaften auf, die sich um dominante Positionen streiten, aber zwischen diesen Seilschaften kommt es in aller Regel zu einem gesellschaftlichen Interessenausgleich: Wenn sich die Schwachen zusammentun, können sie auch dem stärksten Machthaber Paroli bieten. Regelmäßig werden Häuptlinge der Schimpansen ebenso wie der Naturvölker von einem Plebejeraufstand gestürzt. Klassenkämpferische Solidarität ist also keineswegs eine Errungenschaft der modernen Industriegesellschaft, in der sie allerdings ihre ideologisch bewusstesten und organisiertesten Formen annimmt. Dabei kann das Proletariat der Bourgeoisie entweder mit friedlichen Mitteln Rechte und Löhne abtrotzen oder die Bourgeoisie gewaltsam stürzen und vernichten und die „Diktatur des Proletariats“ errichten, wie es im 20. Jahrhundert mehrfach geschehen ist (Lenin, Stalin, Mao Tsetung, Enver Hoxha etc.).
Damit sind wir wieder einmal beim Marxismus-Leninismus gelandet. Zwar hat das eindrucksvolle Scheitern aller marxistisch dominierten Systeme in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Kapitalismus neuen Auftrieb gegeben, aber solange der Unterschied zwischen Arm und Reich weiter wächst (und eine Umkehr dieser Tendenz ist zurzeit nirgendwo erkennbar), wird das Thema des klassenkämpferischen Marxismus immer wieder auf den Tisch kommen.
Wir haben bereits im Kapitel über die Vorurteile erwähnt, dass die historisch-materialistischen Systemkonzepte des Urkommunismus sowie des Endzeitkommunismus völlig unhaltbar sind. Aber auch das vorletzte Stadium in der historischen Reihe, der Sozialismus, wird durch die Erkenntnisse der Soziobiologie hart bedrängt.
Mao Tsetung (1893–1976) und Enver Hoxha (1908–1985) haben als sozialistische Staatslenker energisch versucht, das Entstehen einer neuen privilegierten Oberschicht zu verhindern. Resultat: null. Sofort nach ihrem Tod verwandelten sich ihre Gesellschaften in eine sozialfaschistische Diktatur. Der gen-egoistisch gesteuerte Machthunger der Funktionäre war eindeutig stärker. – Solange es den marxistisch-leninistischen Theoretikern nicht gelingt, ein überzeugendes basisorientiertes Konzept der Machtkontrolle vorzulegen, kann der Sozialismus keine verlockende Alternative mehr bieten.
Indessen ist der Egoismus der Gene nicht nur bei den Funktionären aktiv, sondern auch an der Basis. Der unbestreitbare Erfolg des kapitalistischen Systems rührt daher, dass es die tiefste Triebkraft des Menschen (und aller anderen Lebewesen), eben den Egoismus, zum Prinzip erhoben hat. Diesen Zusammenhang räumen sogar die Marxisten ein: Der historische Materialismus stellt fest, dass in der Abfolge Sklaverei – Feudalismus – Kapitalismus die egoistisch motivierte Gewinnsucht zur Förderung von Eigeninitiative, Engagement, Risikobereitschaft und Verantwortlichkeit zunehmend stärker in den Produktionsprozess eingebunden wurde, wodurch immer größere Produktivkräfte freigesetzt wurden.
In einer strikt egalitären Gesellschaft hingegen, in der automatisch alle die gleichen Leistungen von der Gesellschaft erhalten (dahin tendiert ja der Sozialismus), schwindet die individuelle Bereitschaft zur Verrichtung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit, da sie keinen persönlichen Vorteil bringt. Sozialparasiten nehmen die Leistungen der Gesellschaft wie alle anderen in Anspruch, drücken sich aber vor der Arbeit und Verantwortung und verwenden die dadurch eingesparte Zeit und Energie, um sich stärker der Reproduktion zu widmen: Mehr sexuelle Affären, mehr Kinder, mehr Zuwendung für die eigenen Kinder. Die Gene, die ein solches unsolidarisches Verhalten steuern, werden sich zulasten der fleißigen Idioten durchsetzen.
Anders sieht die Sache aus, wenn sich die reziproke Solidargemeinschaft gegen diese Ausbeutung ihres wechselseitigen Altruismus zur Wehr setzt und die egoistischen Solidaritätsverletzer entmutigt, bestraft und diszipliniert. Das Verhaltens-Instrumentarium dazu (der so genannte „Ostrazismus“) wäre vorhanden, denn ein differenziertes, sozio-emotionales Gegenseitigkeitsempfinden gehört zu unserer evolvierten psychischen Grundausstattung als spezifische Anpassung an das Schwarzfahrer-Problem. Diese protektiven Mechanismen gegen erschlichene Einseitigkeit entstanden durch evolutionären Selektionsdruck zugunsten eines möglichst frühzeitigen und sicheren Erkennens von betrügerischen Regelbrechern. Solch gezielte Gegenstrategien erfordern personalpräzise kognitive Fähigkeiten und ein soziales Langzeitgedächtnis, das die sozialen Transaktionen dauerhaft speichert und bilanziert. Genau zu diesem Zweck hat sich unsere Großhirnrinde entwickelt, weshalb menschliche Intelligenz primär soziale Intelligenz ist.
Fazit: Fehlender materieller Egoismus wäre kein grundsätzliches Hindernis für den Aufbau einer egalitären und solidarischen Gesellschaft. Auch die Naturvölker kennen diesen materiellen Anreiz nicht. Das grundlegende Problem liegt vielmehr darin, entstehende Machtstrukturen zu verhindern. Männliche Macht bedeutet sexuellen Erfolg und ist deshalb aufs Engste mit dem Egoismus der Gene gekoppelt. Der Wille zur Macht ist seit zig Millionen Jahren reproduktiv erfolgreich und deshalb so extrem tief in unserer Triebstruktur verankert, dass ein freiwilliger Verzicht darauf nicht denkbar ist. Ein überzeugendes Modell für basiskontrollierte Verhinderung von Machtstrukturen oder gar ein entsprechender Modellversuch ist aber nirgends in Sicht.
Die Nation ist im Grunde nichts anderes als die Schimpansen- oder Steinzeithorde im Gewande der modernen Industriegesellschaft.
Der Nationalismus benutzt das gleiche, tief in unserer Seele verankerte gruppen-strategische Verhaltensrepertoire, indem er einerseits die außenpolitischen Gegner durch Ethnozentrismus und Fremdenhass dehumanisiert und verteufelt (Stichwort: Untermensch) und andererseits über die angeborene Bereitschaft, Solidaritätsverletzer zu disziplinieren, kollektive Gewalt nach innen erzeugt, was zu Konformismus, Mitläufertum, Gleichschaltung, Intoleranz, Totalitarismus und Massenhysterie führt.
In der Schimpansen- und Steinzeitgesellschaft hat sich eine genetisch programmierte Bereitschaft entwickelt, sich massiv für die Interessen der Gemeinschaft zu engagieren. Dieses Engagement machte sich egoistisch bezahlt, denn es wurde von den anderen bilanziert und reichlich entgolten. Außerdem war man mit den anderen Gruppenmitgliedern relativ nah verwandt, sodass ein solches Engagement zu erheblichen Teilen wieder den eigenen Genen zugute kam, die in den Verwandten drinsteckten.
In der modernen anonymen Massengesellschaft ist diese Bereitschaft zum Engagement für die Gemeinschaft immer noch in erheblichem Ausmaß vorhanden, macht sich aber nicht mehr bezahlt, da die anderen Gruppenmitglieder keine Verwandten sind und solche Leistungen in der Anonymität nicht mehr bilanzieren können. Es liegt also jetzt echte Selbstlosigkeit infolge Fehlanpassung vor (siehe oben). Sie wird vom Nationalismus konsequent ausgebeutet („Heldentod für’s Vaterland“).
Darüber hinaus stehen dem Nationalismus aber auch noch diverse Möglichkeiten zur Verfügung, um selbstlose Leistungen für die Nation zu erzwingen. (Natürlich sind solche Leistungen dann nicht mehr wirklich selbstlos.) Damit wird ein Mechanismus wirksam, der in der Natur äußerst selten ist, nämlich so etwas Ähnliches wie Gruppenselektion: Die Nationen, die ihre Staatsbürger zu mehr nationalem Engagement veranlassen, sind stärker und mächtiger, was sich wiederum für diese voll bezahlt macht. Denn wenn nationalistische Unternehmungen gelingen, bringen sie den Mitgliedern des Siegervolkes enorme Vermehrungsvorteile, falls die besiegten Völker getötet oder vertrieben werden und das so gewonnene Territorium dem Bevölkerungswachstum des Siegervolkes zur Verfügung steht. Beispiele gibt es zuhauf:
Eroberung und Besiedlung Nordamerikas, Australiens und Sibiriens durch die Europäer im Kolonialismus
(Rück)Eroberung ostdeutscher Siedlungsgebiete durch slawische Völker 1945
Ausrottung der Tutsi in Ruanda 1994
Ethnische Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien 1991–1995
Kein Volk der Erde kann von sich behaupten, immer schon in seinem heutigen Territorium gewohnt zu haben. Alle haben es irgendwann erobert und die Vorbevölkerung mehr oder minder gründlich „beseitigt“.
Nüchtern betrachtet sind nationalistische Gesellschaften – ebenso wie die Schimpansen- und Steinzeithorden – im Prinzip nichts anderes als Räuberbanden, die ihre Gene auf Kosten fremder zu fördern trachten. Ihre Verhaltensstrategie entspricht weitgehend unserem natürlichen Programm und wurde durch Jahrmillionen der Auslese immer wieder mit massiven Vermehrungsvorteilen belohnt. Das macht den Nationalismus zu einem so erfolgreichen Gesellschaftsmodell.
Für den Rassismus gilt in jeder Hinsicht das Gleiche wie für den Nationalismus. Er hat diesem sogar noch etwas voraus: Da die Mitglieder der Gemeinschaft einer einzigen Rasse angehören (und ihre Feinde einer ganz anderen), stehen sie sich genetisch näher und fördern deshalb ihre eigenen Gene, wenn sie sich für die Gemeinschaft engagieren.
Zwar sind ihre Gene nur zu weniger als 15 % mit denen eines anderen, gleichrassigen Gruppenmitgliedes identisch, doch in der Schimpansen- und Steinzeithorde dürfte die genetische Nähe der Hordenmitglieder untereinander (infolge Verwandtschaft) auch nicht viel größer gewesen sein und hat dennoch ausgereicht, um Selbstlosigkeit zugunsten der verwandten Spießgesellen zu erzeugen.
Somit hat der Rassismus als räuberisches Gesellschaftsmodell von Natur aus noch bessere Karten als der Nationalismus.
Die menschliche Psyche ist generell auf Diskriminierung angelegt und sucht daher Feindbilder und insider/outsider-Zuordnungen in allen Sektoren der Gesellschaft. Ist eine Identifizierung mit Klasse, Rasse oder Nation nicht verlockend, dann schließt man sich eben einer religiösen oder weltanschaulichen Kampfgemeinschaft an, um Verbündete zu finden für das Unternehmen „Ausbreitung der eigenen Gene auf Kosten fremder“.
Was über den Nationalismus gesagt wurde, gilt weitgehend auch für den religiösen Fundamentalismus: Abwertung der Außenstehenden, Disziplinierung nach innen, Ausbeutung der Selbstlosigkeit, erzwungene Selbstlosigkeit, „Gruppenselektion“. Das übernatürliche Instrumentarium ist für diese Strategien sehr hilfreich.
Sehr häufig tritt religiöser Fanatismus in Verbindung mit Nationalismus oder Rassismus auf und verstärkt mit seinem übernatürlichen Instrumentarium die gleichgerichteten nationalistischen oder rassistischen Ziele: Der historische Siegeszug des Islam in Nordafrika und im Vorderen Orient war gleichzeitig ein Siegeszug der arabischen Nation. Der Erhalt der jüdischen Nationalität über Jahrtausende hinweg wäre ohne ihre Religion undenkbar. Der Sieg des Christentums in Nord- und Südamerika, Australien und Sibirien war gleichzeitig ein Siegeszug der weißen Rasse. Die „Siege“ der Katholiken oder Protestanten in Nordirland werden von den Akteuren als Siege der irischen bzw. britischen Nation empfunden. Und im letzten Bosnien-Krieg konnte man die Zugehörigkeit zur serbischen, kroatischen oder bosnischen Nationalität ohnehin nur am religiösen Bekenntnis der Menschen erkennen, denn rassisch und sprachlich sind sie identisch.
Auch beim modernen islamischen Fundamentalismus geht es um das, worum es in der Menschheitsgeschichte und auch vorher immer schon gegangen ist: Ressourcen und Dominanz. Es geht um das Territorium des Heiligen Landes, das Öl Babyloniens, die westlichen Marionettenregierungen in den islamischen Ländern, die gesellschaftliche Stellung der Muslime in den westlichen Ländern.
Eines der extremsten Beispiele von der Sorte „Fundi-Religion im Dienste der Reproduktion“ liefern die Hutterer in Nordamerika mit ihrer strikt erzwungenen und überwachten Selbstlosigkeit, ihrem kommunistischen Verzicht auf Privateigentum und der höchsten Geburtenrate aller bekannten menschlichen Kulturkreise. Aus ein paar Hundert Seelen vor 125 Jahren haben sie sich inzwischen auf ca. 250 Kolonien mit insgesamt über 25.000 Personen vermehrt. Während sich also die Weltbevölkerung vervierfachte, haben sie sich verhundertfacht – oder anders ausgedrückt: Der Anteil ihrer Gene am Genpool der Menschheit hat sich verfünfundzwanzigfacht. Noch nicht mitgerechnet sind dabei die zahllosen Nachkommen all jener Abtrünnigen, die sich während dieser Zeit aus den rigoros asketischen Kolonien der Sekte entfernt und ein „normales Leben“ begonnen haben. Klar, dass die Hutterer keine Empfängnisverhütung betreiben.
Die moderne Empfängnisverhütung ist verantwortlich für die gravierendste Fehlanpassung der menschlichen Gene in der heutigen Zeit.
Bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts war es so: Die Natur (also das Genom) hat den Menschen mit einem schier unwiderstehlichen Geschlechtstrieb und den Geschlechtsakt mit einem kolossalen Lustgewinn ausgestattet. Die Leute taten es und daraus entstanden Kinder, ob man sie wollte oder nicht.
Seit Erfindung der Pille führen zwar Geschlechtstrieb und Lustgewinn immer noch zum Geschlechtsakt, aber die Pille hat die Verbindung zwischen Geschlechtsakt und Zeugung entkoppelt, die allermeisten Akte gehen ins Leere. Die Soziobiologen schauen ziemlich alt aus mit ihrer Behauptung, die einzige Aufgabe aller Lebewesen sei die optimale Fortpflanzung der eigenen Gene. Die Beobachtung der modernen menschlichen Gesellschaft scheint eine solche Aussage jedenfalls nicht zu bestätigen. Zwar ist der Bereich „Liebe – Sex – Partnerschaft“ für die meisten Menschen nach wie vor das Wichtigste im Leben, doch erkennt man darin nicht mehr das Bemühen um reproduktiven Erfolg.
In Wahrheit liegt nur eine vorübergehende, wenngleich sehr gravierende Störung des menschlichen Fortpflanzungssystems vor, eine plötzliche Fehlanpassung durch das völlig neue und unvermittelte Auftreten eines neuen und extrem mächtigen Feindes, nämlich des Mems bzw. Memplexes „Empfängnisverhütung“. Dieser wirkt sich wie ein neu aufgetauchtes Virus aus, das den Genitalbereich eines Lebewesens lahm legt.
Wie reagiert aber nun die Natur, wie reagieren die menschlichen Gene auf diese neue und äußerst einschneidende Herausforderung? – Sie reagieren so, wie sie immer reagiert haben, wenn ein neues, tödliches Virus auftrat: Die resistenten Individuen überleben und setzen sich durch, während die anfälligen Personen und ihre Gene verschwinden.
Konkret: Menschen mit einem genetisch programmierten, sehr starken Wunsch nach vielen (eigenen) Kindern sind gegen die Pille resistent. Ihre Gene werden sich in den kommenden Generationen immer mehr durchsetzen, während die anderen zunehmend verschwinden werden. In einigen Generationen wird dann dem überwiegenden Teil der Menschheit ein starker Kinderwunsch einprogrammiert sein, die Natur ist dann wieder in ihrem Recht, und die Pille wird ein Auslaufmodell.
In praktisch allen Hochkulturen der Weltgeschichte grassierte die Vielweiberei. Die mächtigen Herrscher hielten sich gigantische Harems von schönen jungen Frauen, die streng bewacht wurden. Die Rechnung ist klar: Wenn ein Grande des Reiches über hundert Frauen verfügt, muss es andererseits 99 „Loser“ geben, die durch die Finger schauen. Da so ein Reich viele Granden aufweist (denn der Herrscher braucht eine privilegierte Schicht, um seine Gewaltherrschaft abzusichern), bleibt eine breite Schicht männlicher Underdogs zu lebenslänglicher Masturbation verurteilt. Das gefällt ihnen natürlich nicht so gut, und das ist der Grund, warum der Herrscher ein Gewaltherrscher sein muss. Einige Zahlen:
Pharao Akhenaten: 317 Frauen
König Salomon: 1.000 Frauen
Inka-König Atahualpa: 1.500 Frauen
Azteken-König Montezuma: 4.000 Frauen
Udayama (Indien): 6.000 Frauen
Chinas Kaiser Fei-ti: 10.000 Frauen
Die kastrierten Haremswächter des chinesischen Kaiserhofes mussten genau Buch führen über die Monatsregeln der Haremsdamen, denn der Kaiser bestieg sie natürlich nur während der empfängnisbereiten Zeit, damit sein Deckakt etwas bewirkte. Zweimal täglich führte er einen solchen durch, sodass jede Frau zumindest zweimal in ihrem Leben von ihm beglückt werden konnte.
So handeln also Männer, wenn sie die Möglichkeit dazu haben: Sie maximieren ihren Reproduktionserfolg, genau so wie es der Darwinismus erwartet. – Unser Blick ist allerdings etwas getrübt, wenn wir in der einzigen Hochkultur aufgewachsen sind, in der das nie so war, nämlich in der westlich-abendländischen. Hier wurde seit eh und je die Monogamie als hohes Ethos gepflegt und auch die Herrscher mussten sich diesem sittlichen Ideal unterwerfen. (Ja, natürlich war auch die westliche Monogamie nie perfekt, es gab Mätressen und Huren und Ehebrüche und vorehelichen Verkehr und vielleicht wurde sogar irgendwo das jus primae noctis praktiziert. Aber das waren, bei etwas großzügiger Betrachtung, alles nur Peanuts im Vergleich mit dem soeben Geschilderten.) Resultat: Auch der Hans auf der untersten Sprosse der sozialen Stufenleiter bekam seine Grete, denn es ging sich 1:1 aus.
Streng überwacht wurde diese Monogamie von den christlichen Kirchen, die sich dadurch als Anwalt des gemeinen Mannes betätigten. Das machte sie beim Volk beliebt und mit dieser Verankerung in den unteren Ständen konnten sie ihre Unabhängigkeit gegenüber den weltlichen Herrschern bewahren.
Die gesellschaftlich erzwungene Monogamie führt zu einem reproduktiven Egalitarismus. „Liebe – Sex – Partnerschaft“ (= Reproduktion) war auch damals schon für die meisten Leute das Wichtigste im Leben. Wenn bei diesem wichtigsten aller Lebensinhalte der oberste Herrscher „im Prinzip“ nicht mehr hatte als der unterste Gefolgsmann, dann war der gesellschaftliche Interessenausgleich nahezu perfekt. Die Folgen: soziale Harmonie und Kooperation. Namhafte Sozio(bio)logen sind der Ansicht, dass diese Faktoren wesentlich mitverantwortlich sind dafür, dass die westliche Kultur alle übrigen Hochkulturen weit überflügelte und großenteils bis heute dominiert.
Doch in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es im Westen was Neues: die sexuelle Revolution, von ihren Protagonisten auch „sexuelle Befreiung“ genannt.
Sie bedeutet die Auflösung des monogamen Prinzips. Ehe und Familie sind seither einem zunehmenden Erosionsprozess ausgesetzt. Wohin dieser langfristig tendiert, kann man in großen Teilen Lateinamerikas heute bereits recht anschaulich beobachten. Die Soziobiologie nennt es „Lek-Polygynie“ und es funktioniert so: Die Männer präsentieren sich. Die Frauen wählen einen der attraktivsten aus, um sich von ihm schwängern zu lassen. Sobald dies gelungen ist, sucht er das Weite, schert sich einen Dreck um Weib und Kind und präsentiert sich den nächsten Kandidatinnen. Der überwiegende Teil der Mütter ist alleinerziehend.
Diese Form der freien Liebe hat zwei gravierende Konsequenzen. Erstens: Die Männer investieren ihr Geld, also letztlich ihre Schaffenskraft, nicht in die Aufzucht ihrer Kinder, sondern in die Merkmale, durch die sie selbst attraktiv werden: trendige Klamotten, Styling, Statussymbole. Der Lebensaufwand von Millionen fließt also nicht in die Ausbildung und Erziehung der nächsten Generation, sondern in die Produktion von Modeartikeln und Statusbesitz. Und zweitens: Nur die attraktiven Herren genießen ein lustvolles Sexualleben. Für die minderwertigen Versager heißt es „Handbetrieb lebenslänglich“, und das will ihnen gar nicht gut gefallen, denn es geht ja hier um das, was den meisten Menschen am wichtigsten in ihrem Leben ist. Männlicher Sexualfrust und Sexualneid führt zu einem gigantischen Aggressionspotenzial. Das wird noch verstärkt durch den delikaten Umstand, dass diese Versager mit ihren Steuergeldern auch noch die Sozialkassen füllen müssen, aus denen die Kinder ihrer erfolgreichen und verhassten Konkurrenten ernährt werden, deren lustvoller Zeugungsakt ihnen versagt blieb. Die Forderung des Feminismus, dass allein erziehende Mütter den verheirateten materiell gleichgestellt werden müssen (aus den Sozialkassen, versteht sich), verstärkt also diese soziale Ungerechtigkeit noch weiter. Als zwingendes Resultat wird die gesellschaftliche Kooperation und Harmonie von zentrifugalen Kräften zerrissen.
Wieder einmal so ein Paradoxon der Weltgeschichte: Die Avantgardisten der freien Liebe in den 60er-Jahren waren fast durchwegs linksorientiert („Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“) und wollten eine soziale Befreiung. Erreicht haben sie das Gegenteil, nämlich eine massive soziale Ungleichheit.
Wollen wir überhaupt soziale Gleichheit? – Bisher pflegte man als Darwinist schwere Bedenken anzumelden gegen die Forderung nach einer egalitären Gesellschaftsordnung. Dadurch werde die Selektion behindert, sagte man nicht ganz zu Unrecht. Wenn Träger von Krankheiten, die zum erheblichen Teil erblich bedingt sind – wie z. B. Phenylketonurie, Bluterkrankheit, Drogenanfälligkeit, Kurzsichtigkeit, Debilität, Epilepsie, Ichthyose (Fischschuppenkrankheit), Hüftgelenksluxation, Legasthenie, Schizophrenie, Depression, Kriminalität und Alkoholismus –, den gleichen Reproduktionserfolg haben wie gesunde Personen, dann werde die genetische (eugenische) Gesundheit der Gesamtbevölkerung dadurch stark belastet – und natürlich auch die Sozialkassen.
Man muss diese Vorhaltungen wissenschaftlich ernst nehmen, aber es gibt auch Gegenargumente. Erstens darf man davon ausgehen, dass sich diese Patienten wegen ihrer Behinderung auch bei gleichen Bedingungen nicht im selben Ausmaß reproduzieren wie die Gesunden. Zweitens kann man beobachten, dass gerade bei dekadenten Eliten die Selektion besonders stark behindert ist (klassisches Beispiel: die Bluterkrankheit in der Zarenfamilie).
Und drittens besteht neuerdings die Aussicht, dass die ganze Frage insgesamt irrelevant wird. Wenn nämlich demnächst (in einigen Jahrzehnten) die reproduktionsmedizinische Genmanipulation auch für die soziale Unterschicht erschwinglich wird, werden die Kinder ohnehin genetisch „designed“, wobei selbstverständlich auch alle Gendefekte ausgemerzt werden.
Es wird also zunehmend schwer fallen, egalitäre Gesellschaftsstrukturen aus eugenischen Gründen abzulehnen.
Wir kommen zur letzten und zugleich düstersten Entwicklungstendenz der modernen Gesellschaft.
Zwar ist George Orwells Vision im Jahr 1984 noch nicht verwirklicht worden, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Bedingungen dafür werden jedenfalls immer günstiger und dadurch das Ziel immer verlockender. Die elektronischen Mittel zur lückenlosen Überwachung und Kontrolle der Untertanen werden laufend perfektioniert. Der Datenschutz bewirkt, dass die Obrigkeit von den Untertanen nicht mehr kontrolliert werden kann, umgekehrt läuft’s dafür umso effektiver. Der moderne Terrorismus (die Waffe der Machtlosen) liefert heiß begehrte Argumente zur informationstechnologischen Aufrüstung des Repressionsapparates.
Bereits heute wird die westliche Welt von den gigantischen Bürokratien regiert, denen kein demokratisch legitimierter Politiker mehr am Zeug flicken kann. Sie sind verbündet mit den internationalen Wirtschaftskartellen. Die Massenmedien sind mit beiden so eng verklüngelt, dass auch von dieser Seite keine unabhängige Kontrolle mehr erwartet werden kann. Die Geschichte lehrt es und die Soziobiologie bestätigt es: Wenn die herrschenden Kreise eine Möglichkeit sehen, ihre Herrschaft abzusichern, dann tun sie es auch. Es scheint daher nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das Jahr 1984 anbricht.
Doch auch für diesen Fall hat Mutter Natur noch ein Ass im Ärmel und sorgt dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Die Dynamik der Dominanzstruktur in der menschlichen Gesellschaft bringt es nämlich mit sich, dass auch innerhalb der dominierenden Gruppe ein Gerangel um die besten Plätze an den Futterkrippen der Macht stattfindet. Dieses Gerangel wächst sich zwangsläufig früher oder später zu einem ernsthaften Konflikt aus. Dabei kann dann leicht einmal eine Seite auf die Idee kommen, dass man ja eigentlich auch die soziale Unterschicht als Verbündeten gebrauchen könnte. Ein diesbezügliches Angebot wird mit glaubwürdigen Versprechungen ausgestattet (Beteiligung an Macht und Ressourcen), die bisher Chancenlosen sehen ganz überraschend ihre Chance gekommen, und das Geschehen nimmt seinen Lauf. Die totalitäre Machtausübung durch den perfektesten Unterdrückungsapparat bricht hilflos zusammen, wenn sie von oben her aufgelöst wird.
Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte: Die Herrscher der Sowjetunion hatten von 1917 bis 1953 das Volk hinter sich. (Nach übereinstimmenden Berichten der westlichen wie östlichen Medien war die Trauer, die bei Stalins Tod 1953 ausbrach, echt und allgemein.) Von 1953 bis 1991 regierten sie gegen das Volk. Dann drängte eine Gruppe von Reformatoren um Boris Jelzin an die Spitze der Macht. Zu diesem Zweck verbündeten sie sich mit dem Volk, was zur Folge hatte, dass ihren Gegnern (dem verknöcherten Establishment) im August 1991 von den Soldaten der Gehorsam verweigert wurde. Die große Sowjetunion, die 74 Jahre lang wie ein unangreifbarer monolithischer Block die Welt in Atem hielt und dem Begriff „1984“ ziemlich nahe kam, fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Karten wurden komplett neu gemischt.
„Die Natur findet immer einen Weg.“ (Malcolm in Steven Spielbergs Jurassic Park)
„Die als Geisteswissenschaften bezeichneten Fächer werden immer noch so gelehrt, als habe Darwin nie gelebt.“ (Richard Dawkins)
Die moderne Christenheit arbeitet seit vielen Jahrzehnten an ihrer eigenen Entmythologisierung (was sie als Offenbarungsreligion eigentlich gar nicht sollte!). Die modernen Sozialwissenschaften hingegen, die sich der Religion gegenüber aufgeklärt und fortschrittlich wähnen, basieren immer noch auf den fatalen Grundirrtümern der Naturromantik, des „Edlen Wilden“, der Tabula rasa und des Dualismus. Es wird Zeit, dass auch sie – und vor allem sie – die alten Mythen verabschieden, die genetisch-egoistische Steuerung unseres Sozialverhaltens zur Kenntnis nehmen und darauf ihre Gesellschaftsmodelle errichten. Die werden dann mit Sicherheit brauchbarer – weil solider – werden als alles Bisherige.
Es stimmt, die Soziobiologie ist die ultimative Herausforderung der menschlichen Sozialphilosophie. Sie ist eine völlig neue Weltanschauung, ein neues System der Welterklärung. Die „darwinische Revolution“ (Richard Dawkins) ist eine ideologische Revolution von fundamentaler gesellschaftspolitischer Relevanz. Die bisher dominierenden Weltanschauungen (= Memplexe) werden nicht nur herausgefordert, sondern vielleicht sogar tödlich getroffen. Klar, dass sie sich zur Wehr setzen.
Die Menschheitsgeschichte bietet immer wieder interessante Überraschungen, unvorhergesehene Wendungen, unberechenbare Entwicklungen und eine ungewisse Zukunft. Wir stehen jetzt an einem Punkt, wo der Mensch sich der egoistischen Basis seines gesellschaftlichen Handelns voll bewusst wird. Mal sehen, was er daraus macht ...
Apotheose der Gene
Wie Gämsen
springen sie frei und ungehindert
durch die Generationen,
lediglich zeitweilig zusammen
in Wegwerf-Überlebensmaschinen eingeschlossen,
unsterbliche Spiralen,
die sich von einer endlosen Kette von Sterblichen befreien,
während sie vorwärtsdrängen
und sich Bahn brechen
in Richtung auf ihre separaten Ewigkeiten.
(Richard Dawkins)
Mein permanenter Dank gilt meiner großzügigen Gönnerin, einer echten Mäzenin der Wissenschaft, die mir seit Jahrzehnten die existenzielle Basis für meine beschaulichen Studien ermöglicht. Ich habe das unverdiente Glück, mit dieser großartigen Frau sogar verheiratet sein zu dürfen.
[[Baker 1997]] Baker, Robin: Krieg der Spermien. München: Limes 1997.
[[Blackmore 2000]] Blackmore, Susan: Die Macht der Meme / Die Evolution von Kultur und Geist. Heidelberg: Spektrum 2000.
[[Buss 2004]] Buss, David M.: Evolutionäre Psychologie (Evolutionary Psychology). 2. Aufl. Boston: Pearson 2004.
[[Daly/Wilson 1988]] Daly, Martin; Margo Wilson: Homicide. New York: De Gruyter 1988.
[[Dawkins 1998]] Dawkins, Richard: Das egoistische Gen. Überarbeitete Neuausgabe. Reinbek: Rowohlt 1998.
[[Dennett 1997]] Dennett, Daniel C.: Darwins gefährliches Erbe. Hamburg: Hoffmann und Campe 1997.
[[Eibl-Eibesfeldt 1997]] Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Die Biologie des menschlichen Verhaltens. 3. Auflage. Weyarn: Seehamer 1997.
[[Fisher 1993]] Fisher, Helen: Anatomie der Liebe. München: Droemer Knaur 1993.
[[Paul 1998]] Paul, Andreas: Von Affen und Menschen / Verhaltensbiologie der Primaten. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1998.
[[Pinker 2003]] Pinker, Steven: Das unbeschriebene Blatt. Berlin: Berlin Verlag 2003.
[[Ridley 1998]] Ridley, Matt: Eros und Evolution / Die Naturgeschichte der Sexualität. München: Knaur 1998.
[[Ridley 1999]] Ridley, Matt: Die Biologie der Tugend / Warum es sich lohnt, gut zu sein. Berlin: Ullstein 1999.
[[Thornhill/Palmer 2000]] Thornhill, Randy; Craig T. Palmer: A Natural History of Rape. Cambridge: The MIT Press 2000.
[[Voland 2000]] Voland, Eckart: Grundriss der Soziobiologie. 2. Auflage. Heidelberg: Spektrum 2000.
[[Wilson 1998]] Wilson, Edward O.: Die Einheit des Wissens. 2. Auflage. Berlin: Siedler 1998.
[[Wilson 2000]] Wilson, Edward O.: Sociobiology / the New Synthesis, 25th anniversary ed. Harvard: Belknap 2000.
[[Wrangham 2001]] Wrangham, Richard; Dale Peterson: Bruder Affe / Menschenaffen und die Ursprünge menschlicher Gewalt. München: Diederichs 2001.
[[Wuketits 1997]] Wuketits, Franz M.: Soziobiologie. Heidelberg: Spektrum 1997.
Unbedingte Voraussetzung für das Verständnis der Einzelaussagen ist die folgende Grundüberlegung, die auch im 1. Kapitel des Haupttextes dargelegt ist:
Gene (Erbanlagen), die ein Individuum so programmieren, dass es sich optimal fortpflanzt, werden in der nächsten Generation häufiger vertreten sein als solche, die das nicht so effektiv tun. Letztere verschwinden daher im Laufe der Generationen, sodass schließlich nur noch solche übrig bleiben, deren einziges Ziel die optimale Fortpflanzung ist. Daraus folgt das einzige und absolute Grundgesetz der gesamten Biologie:
Auch die Seele des Menschen macht davon keine Ausnahme, denn deren genetisch vorprogrammierte Eigenschaften wirken sich ebenfalls auf den Fortpflanzungserfolg aus und unterliegen deshalb zwangsläufig dem gleichen fortpflanzungsegoistischen Auslesemechanismus wie die körperlichen.
Zu den Aussagen im Einzelnen:
„Wahre Nächstenliebe ist eine Geisteskrankheit.“
Wahre Nächstenliebe ist hier definiert als selbstlose Handlung zugunsten anderer, nicht blutsverwandter Personen und ohne eigenen Vorteil oder eigene Belohnung/Entschädigung – weder simultan noch zu einem späteren Zeitpunkt. Personen, die so handeln, verwenden also einen Teil ihrer Zeit und Energie oder ihrer Finanzen für Zwecke, die nicht der Fortpflanzung ihrer eigenen Gene dienen. Letzteres wäre aber ihre einzige Aufgabe. Ein Lebewesen, also ein Stück Natur, das seinen natürlichen Zweck, für den es programmiert ist, nicht optimal erfüllt, leidet an einer Funktionsstörung. Solche Funktionsstörungen nennt man Krankheiten. Da die wahre Nächstenliebe eine geistig-seelische Eigenschaft ist, handelt es sich also um eine Geisteskrankheit.
Vgl. dazu auch im 2. Kapitel „Zersetzung der Moral“ und im 3. Kapitel „Scheinbare bzw. subjektive Selbstlosigkeit“ und „Fehlanpassung“.
„Gewaltbereitschaft und Mordlust steigern den Sexappeal des Mannes.“
Bei vielen Naturvölkern ohne Privateigentum, z. B. bei den südamerikanischen Yanomami, bemisst sich das Prestige eines Mannes vorwiegend nach der Bereitschaft und Fähigkeit, möglichst viele Gegner zu töten, womit er Überlegenheit und dadurch hochwertiges Erbgut demonstriert. Dieses Prestige macht einen Mann sexuell attraktiv (denn Frauen sind so programmiert, dass sie sich mit möglichst hochwertigen, durchsetzungsfähigen Männern paaren), was zur Folge hat, dass Männer, die in ihrem Leben zumindest einen Feind umgebracht haben, dreimal so viele Ehefrauen und dadurch auch dreimal so viele Kinder haben als die anderen.[1704]
Im alten Rom bereiteten sich reiche Frauen ein erotisches Vergnügen besonderer Art: Sie ließen ihren kräftigen Lieblings-Sklaven mit überlegenen Waffen gegen einen minderwertigen Sklaven kämpfen – und zwar solange, bis er ihn kaltgemacht hat. Davon wurden sie sexuell maßlos erregt und koitierten dann mit dem Sieger auf besonders lustvolle Weise.
Die Erregungszustände der weiblichen (und männlichen) Zuschauer von Boxkämpfen demonstrieren uns, dass ein solcher Funktionsmechanismus unseres Sexualverhaltens auch heute noch (in individuell unterschiedlichem Ausmaß) in uns angelegt ist und durch entsprechende Umstände jederzeit wieder aktiviert werden kann.
Auch im weit verbreiteten Sadomasochismus werden körperliche Gewalt und Angstzustände als sexueller Stimulus eingesetzt.
„Wir sind für den Ehebruch programmiert.“
Ehebrüche bringen der Fortpflanzung des Ehemannes triviale Vorteile: Er kann dadurch zusätzliche Kinder zeugen. Gene, die den männlichen Ehebruch nicht in ihrem Programm haben, werden deshalb im Laufe der Generationen immer seltener zugunsten der anderen. Aber auch der Ehebruch der Ehefrau bringt ihrer Fortpflanzung erhebliche Vorteile. Zwar kann sie dadurch die Zahl ihrer Kinder nicht steigern (außer wenn ihr Ehegatte impotent ist), aber sie kann ihren Kindern hochwertigere Gene verschaffen, und das geht so:
Eine unattraktive Frau kann meist nur einen unattraktiven, rangniederen Mann heiraten, eine mittelmäßige einen mittelmäßigen. Betrügt sie ihn jedoch mit einem ranghohen („die Erotik der Macht“), dann kann sie ihren Kindern hochwertigere Gene vermitteln als mit ihrem Ehegatten. Die hoch gestellten, dominanten Männer sind (wie die meisten anderen auch) keine Kostverächter und verweigern sich einer unattraktiven oder mittelmäßigen Frau nicht, wenn es nur um eine unverbindliche Affäre geht ohne weitere Verpflichtungen. So kommt es, dass die Frau ihren Gatten viel häufiger mit einem Vorgesetzten betrügt als mit einem Untergebenen. Klassische Beispiele: die Sekretärin mit ihrem Chef, die Krankenschwester mit dem Stationsarzt, die Stewardess mit dem Piloten, die Lehrerin mit dem Schulinspektor, die Touristin mit ihrem Schilehrer etc. ...
Durch einen Ehebruch mit einem Vorgesetzten oder mit einem anderen Mann in hoher gesellschaftlicher Position kann eine Frau aber nicht nur ihren Kindern bessere Gene verschaffen, sondern auch sich selbst berufliche oder gesellschaftliche Vorteile: Ein zweiter Grund, weshalb die Gene der Frau ihren Ehebruch programmieren. Es gibt noch weitere Gründe dafür, aber die hier genannten sind die wichtigsten.[1705]
„Völkermord bedeutet den Sieg der Tüchtigen.“
Völkermord wird von den Naturvölkern ebenso wie von den Schimpansen (unseren nächsten Verwandten) permanent praktiziert. Man muss deshalb davon ausgehen, dass er auch in den Jahrmillionen der Steinzeit permanent betrieben wurde, in denen sich unser Verhalten durch natürliche Auslese herausgebildet hat.
Völkermord in der Steinzeit und bei den heutigen Naturvölkern sieht so aus: Das Nachbardorf wird überfallen, die Männer, die Kinder und die Alten werden umgebracht, die Frauen werden geraubt und von den Siegern geschwängert. Fazit: Jeder Krieger hat nunmehr doppelt so viele Frauen zur Verfügung und damit den doppelten Fortpflanzungserfolg. Außerdem besitzt die Dorfgemeinschaft nun ein doppelt so großes Territorium. Gene, welche die Männer zu Krieg und Völkermord veranlassen und ihnen zum Sieg verhelfen, setzen sich deshalb schon seit Jahrmillionen durch, zulasten der friedliebenden. Es sind eben die Gene der Erfolgreichen, der Tüchtigen, der Durchsetzungsfähigen; Gene der Winner und nicht der Loser.
Bei höher zivilisierten Völkerschaften ist das Kriegsglück weitgehend von kulturellen Faktoren abhängig: Waffentechnik, Wirtschaftskraft, Organisation und Manipulation der Bevölkerung u. a. Diese Faktoren werden weniger durch Gene programmiert, sondern durch Meme gesteuert (siehe Kapitel 4 „Gen und Kultur“). Das macht aber keinen grundsätzlichen Unterschied, denn auch die Meme sind Replikatoren (siehe dort) und meistens Verbündete irgendwelcher Gene. „Sieg der Tüchtigeren“ heißt also in diesem Fall: „Sieg derjenigen, die die besseren Meme haben.“
Vgl. dazu auch im 5. Kapitel „Nationalismus“, „Rassismus“ und „Religiöser Fundamentalismus“.
„Vergewaltigung von Frauen ist ein natürlicher Vorgang.“
Die Angelegenheit ist eigentlich banal. Durch Vergewaltigung kann der Mann mit geringem Aufwand und ohne weitere Verpflichtungen zusätzliche Kinder zeugen. Gene, welche die Vergewaltigung nicht im Programm haben, werden daher im Laufe vieler Generationen allmählich aus der Bevölkerung verschwinden zugunsten der Vergewaltiger-Gene. Selbstverständlich ist Vergewaltigung auch im Tierreich weit verbreitet, nicht zuletzt auch bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Beim Orang-Utan beispielsweise sind ca. 40 % aller Geschlechtsakte erzwungen.
Das häufig gehörte Argument, Vergewaltigung ziele nicht auf Fortpflanzung ab, sondern auf dominante Selbstbestätigung des Mannes und Erniedrigung der Frau, trifft so nicht zu. Es stimmt zwar, dass Dominanz und Unterwerfung, Angst und Schmerz im menschlichen Sexualverhalten eine große Rolle spielen und häufig für beide Seiten sexuell erregend wirken, allerdings nicht nur bei der Vergewaltigung, wenngleich die Vergewaltigungsfantasie ein häufiges (und vermutlich auch das ursprünglich reale) Modell solcher Empfindungen ist. Doch lässt sich aus dem Alter der Vergewaltigungsopfer statistisch nachweisen, dass Vergewaltigung in erster Linie auf weibliche Fruchtbarkeit fokussiert.[1706]
Vgl. dazu auch im 3. Kapitel „Fakt und Empfehlung“.
„Kindermord ist eine gesunde Verhaltenstendenz.“
Es gibt diverse Konstellationen, unter denen die egoistischen Gene ihren Fortpflanzungserfolg steigern, wenn sie den Menschen dazu veranlassen, bestimmte Kinder umzubringen. Drei dieser Szenarien seien hier, stellvertretend für einige weitere, geschildert[1707]:
Ein Mann hat in seiner Familie Kinder, deren Mutter zwar seine Frau, aber deren biologischer Vater nicht er selbst ist. Im Sinne der optimalen Fortpflanzung seiner eigenen Gene ist es für ihn günstig, diese Kinder zu beseitigen, weil dadurch das elterliche Investment beider Eltern ausschließlich seinen eigenen Kindern (mit seinen eigenen Genen) zugute kommt, ohne dass sie es mit anderen Kindern teilen müssen. Seine eigenen Sprösslinge erhalten dadurch eine bessere Ernährung und Ausbildung und dereinst einen größeren Erbteil, was sich dann wiederum auf ihren eigenen Fortpflanzungserfolg günstig auswirkt
Beispiel: Im römischen Recht hat der Ehemann das ausdrückliche Privileg, diese fremdgezeugten Kinder nach Belieben umzubringen.
In Zeiten extremer Hungersnot konsumieren Eltern ihre eigenen Kinder, da es für das Überleben (und damit auch für die spätere Fortpflanzung) ihrer eigenen Gene günstiger ist, wenn die Kinder von ihren Eltern verspeist werden, als wenn sie zusammen mit den Eltern verhungern.
Beispiele: die Bewohner Jerusalems während der römischen Belagerung anno 70; die chinesischen Bauern während der großen Hungersnot anno 1959–61.
Der Fortpflanzungserfolg von Männern hängt stark von ihrem gesellschaftlichen Rang ab. Für Söhne ranghoher und reicher Eltern ist daher eine sehr erfolgreiche Fortpflanzung zu erwarten, besonders in Gesellschaften mit Vielweiberei. Das ist der Grund, weshalb in vielen Kulturen die reichen und hochrangigen Eltern ihre neugeborenen Töchter systematisch umbringen: Es lohnt sich kaum, sie aufzuziehen, denn von ihren Söhnen können sie viel mehr Enkelkinder erwarten und dadurch die Fortpflanzung ihrer eigenen Gene viel effektiver betreiben.
Beispiele: China und Indien.
Macht ist das wirksamste Aphrodisiakum.“
Der Ausspruch stammt von dem amerikanischen Ex-Außenminister Henry A. Kissinger, und der muss es wissen.
Geld und Macht sind ineinander konvertierbar: Wer Geld hat, kann sich damit die Macht kaufen, und wer Macht hat, kann daraus Geld machen (z. B. in Form von Schmiergeldern).
Der Fortpflanzungserfolg einer Frau wird doppelt gefördert, wenn sie sich von einem Mann mit Geld oder Macht begatten lässt. Erstens kann sie davon eine bessere Versorgung und berufliche Protektion ihrer Kinder erwarten, was deren Fortpflanzungserfolg wiederum steigert. Und zweitens sind Macht und Geld Indikatoren dafür, dass dieser Mann durchsetzungsfähig und tüchtig und dadurch gesellschaftlich nach oben gekommen ist, was auf hochwertige Gene schließen lässt. Eine von ihm geschwängerte Frau kann diese hochwertigen Gene somit an ihre Kinder weitergeben und erwarten, dass auch ihre Söhne mit diesem hochwertigen Genom einen größeren Fortpflanzungserfolg erzielen werden.
Die „Erotik der Macht“ wirkt aber auch auf den Mächtigen selbst erotisierend, triebsteigernd und potenzsteigernd, denn das Gefühl der eigenen Dominanz führt zu einer erhöhten Produktion luststeigernder Hormone wie Testosteron und Dopamin. Umgekehrt wird bei einem subalternen Habenichts, der permanent dominiert und erniedrigt wird, die Produktion dieser luststeigernden Hormone stark reduziert. Das liegt letztlich auch im Fortpflanzungsinteresse seiner Gene: Er soll erst einmal einen größeren Teil seiner Energie dafür verwenden, aus dieser Underdog-Position herauszukommen, statt die sexuelle Annäherung an Frauen zu suchen, was in seiner Situation nur Energie- und Zeitverschwendung ist.
Vgl. dazu auch oben „Gewaltbereitschaft und Mordlust ...“
„Diskriminierung von Behinderten ist dem Menschen angeboren und steigert seine Fitness.“
Wenn Eltern in ihre Kinder investieren, kostet das viel Zeit, Energie und Geld. Sie müssen deshalb ihr Investment so aufteilen, dass es im Sinne des Fortpflanzungs-Egoismus die maximale Rendite (= Anzahl der Enkelkinder) bringt. Daher ist es sinnvoll, in gesunde Kinder mehr zu investieren als in behinderte, da von letzteren kaum eine Rendite zu erwarten ist.
Unter „Fitness“ versteht die Soziobiologie den anteiligen Beitrag der Gene eines Individuums zur Gesamtheit aller menschlichen Gene der nächsten oder übernächsten Generation. Dieser Beitrag wird umso höher ausfallen, je mehr Enkelkinder entstehen. Gene, welche die Diskriminierung behinderter Kinder programmieren und dadurch die Zahl der Enkelkinder maximieren, werden deshalb im Laufe der Generationen immer häufiger, während die toleranten allmählich aussterben.
Beispiele: 50 bis 80 % aller menschlichen Embryonen werden wegen Untauglichkeit spontan abortiert; die eugenisch indizierte Abtreibung ist in den meisten europäischen Ländern eine legale und alltägliche Praxis; in den USA werden behinderte Kinder von ihren Eltern über zweimal so häufig vernachlässigt, misshandelt oder umgebracht – trotz gegenläufiger öffentlicher Moral.[1708]
„Treue ist die Tugend des Minderwertigen, Eifersucht sein Schicksal.“
Ist ein Mann körperlich unattraktiv, kränklich, besitzlos, in untergeordneter Position und ohne erotische Ausstrahlung, dann ist er es meistens aufgrund minderwertiger Gene. Er ist aber nicht nur aus biologischer Sicht minderwertig, sondern auch aus der Sicht der Frauen, und hat daher gewaltige Schwierigkeiten, eine Ehepartnerin zu finden. Hat er dann doch eine gefunden (es gibt auch minderwertige Frauen), dann setzt er alles daran, sie zu halten, und bemüht sich weiter um sie. Natürlich hat er, wie die meisten Männer, das Verlangen nach außerehelichen Affären. Da ihn die Frauen aber sexuell verachten, bleiben ihm solche lustvollen Erlebnisse versagt. Er macht deshalb die Not zur Tugend, rühmt sich seiner Treue und stabilisiert damit seine Ehe, die das auch dringend nötig hat.
Da er nämlich genetisch minderwertig ist, sucht seine Gattin ihrerseits außereheliche Affären, um ihren Kindern hochwertige Gene zu vermitteln und die hochwertigen, attraktiven Herren lassen sich nicht lange bitten, wenn es nur um unverbindlichen Sex ohne weitere Verpflichtungen geht. Der Ehemann weiß um seine Minderwertigkeit und versucht mit maximaler Eifersucht, die Untreue seiner Partnerin zu verhindern, aber er hat meistens keine Chance.
Vgl. dazu oben „Wir sind für den Ehebruch programmiert.“
[1704] Vgl. [Voland 2000], S. 95.
[1705] Ausführlichere Darstellung dieser Zusammenhänge bei [Ridley 1998].
[1706] Ausführliche Darstellung dieser Zusammenhänge bei [Thornhill/Palmer 2000].
[1707] Ausführliche Darstellung dieser Zusammenhänge bei [Daly/Wilson 1988].
[1708] Vgl. [Voland 2000], S. 260–262.