Man möchte es fast nicht glauben, aber das lange Zeit totgesagte schwarze Kopftuch wird wieder, erfreulicherweise auch bei jüngeren Frauen, beliebter. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, einer ehemals weit verbreiteten Kopfbedeckung wieder einen besonderen Stellenwert einzuräumen. All jenen, die sich mit dem schwarzen Kopftuch näher befassen möchten, sei dieser Beitrag gewidmet. Ausgehend von Oberösterreich ist das schwarze „hintribundene“ Kopftuch um die Mitte des 19. Jahrhunderts modern geworden. Die farbliche Entwicklung dieser Zeit ist geprägt durch die Tendenz zum „bürgerlichen“ Schwarz. Schwarz verdrängt immer mehr die bunten, fröhlichen Farben, welche noch im Biedermeier vorherrschend waren. Zwischen 1860 und 1890 wird sogar die damals altmodisch gewordene Goldhaube vom repräsentativen Kopftuch verdrängt. Der Höhepunkt im Tragen des schwarzen Seidenkopftuches dürfte um 1880 gewesen sein. Um diese Zeit trugen reiche Bürgerinnen und Bäuerinnen die schwarzen Tücher aus Seidentaft, die Dienstboten jedoch solche aus dem wesentlich billigeren „Cloth“ (glänzendes Baumwollgewebe).
Diese spezielle Entwicklung des schwarzen Kopftuches ist im Raum zwischen Niederbayern und dem westlichen Niederösterreich entstanden, dessen bevölkerungsmäßiger Mittelpunkt um Wels und Linz lag. Ausgehend von diesem oberösterreichischen Zentralraum kann man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Verbreitung der zwei- bis vierzipfigen Flügelhauben bis in den gesamten Salzburger Flachgau verfolgen. Überlaufend in den Tennengau, den Ennspongau, vereinzelt sogar in den Lungau, häufig wieder im steirischen Ennstal und im Ausseerland, in der steirischen Eisenwurzen sowie im ganzen mittleren und südlichen Niederösterreich, wird es ein eher einfaches, aber noch immer im Nacken lose abhängendes Kopftuch, das bis ins Mittelburgenland hinübergreift. Überall sind diese Kopftücher noch aus schwarzem Seidentaft.
Das Kopftuch wurde neben den dunklen Mieder- und Spenzertrachten der jeweiligen Region auch sehr oft zu den unterschiedlichen „Kostümen“ (Jacke und langer Rock) in ihren modischen Ausformungen jener Zeit getragen. Das Kopftuch lebte über die Schwelle des 20. Jahrhunderts hinweg bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen weiter. Auf dem Salzburger Grünmarkt konnte man noch vor rund fünfzig Jahren die Walser Gemüsebäuerinnen mit ihren großen, schwarzseidenen Tüchern sehen, erwähnt Frau Dr. Friederike Prodinger.[5230]
Im gesamten Verbreitungsgebiet gab es verschiedenste örtliche Traditionen des Bindens. Dr. Franz Lipp brachte es bei seinen Forschungen auf eine Vielzahl von vierzig verschiedenen Bindungsarten beim schwarzen Kopftuch. Die Bindungen waren und sind natürlich auch heute noch alle ästhetische, das heißt vom Schönheitswillen der Trägerin geprägte Formen. Es gibt offene und geschlossene Arten, eine Fülle von Formen durch die Behandlung des Bundes (Knoten, Knopf, Masche), auch die Asymmetrie spielt oft eine bevorzugte Gestaltungsrolle (siehe Antheringer Festtracht), wobei die linke oder die rechte Seite der Flügelelemente stärker betont ist. All diese Varianten anzuführen würde diesen Rahmen sprengen, doch als Anleitung für vielleicht auch heute mögliche Weiterentwicklungen sind hier einige Beschreibungen angeführt.
Die wahrscheinlich älteste Beschreibung des Kopftuchbindens bringt das Werk „Deutsche Volkstrachten“ (1864–1870) von Albert Kretschmer, wo im Kapitel über Oberösterreich, Salzburg und Salzkammergut folgendes geschrieben steht: „In den Kopfbedeckungen der Frauen sind mannigfaltige Formen herrschend. Das ungefähr vier Fuß große quadratische Tuch von schwarzer Seide, zuweilen mit bunter Blumenborte am Rande, nimmt den ersten Rang ein. Es wird in ein Dreieck zusammengelegt, die Breitseite desselben über den Scheitel gezogen und nach kleiner Drehung der Seitenzipfel endlich im Nacken geknüpft, sodaß alle drei Zipfel von da den Rücken herabhängen. Diese Art der Kopfbedeckung ist am verbreitetsten in Oberösterreich und geht noch über die bayerische Grenze hinaus.“[5231]
„Die Einzipfigkeit ist nur scheinbar und entsteht aus dem Bestreben, die zwei anhängenden Zipfe (zwei sind vorne gebunden) möglichst übereinander zur Deckung zu bringen. ... Die beiden Zipfe werden wie ein Ring um den Kopfteil nach oben geführt und oben wie das Mittelstück einer Krone zu einem geraden, zwei Ecken bildenden Vorderteil gestaltet. Hinten sieht man nur einen Mittelzipf, der zweite muß darunter versteckt sein."[5232] (Beschreibung aus Langwies, Salzkammergut).
„Beim Binden gelangen Bund, großer und kleiner Mittelzipf zum Verschwinden. Zuerst auf den Kopf auflegen, einen Knoten machen, mit dem rechten Zipf noch einmal durchfädeln und anschließend die Flügel formen.“[5233]
„Vor dem Binden wurde das Tuch früher mit Bier oder Zuckerwasser gestärkt. Nachher mußte natürlich gebügelt werden. ... Das Kopftuch wird in Dreiecksform gelegt, die auf den Kopf zu legende Form ist etwas kürzer. Das Tuch wird auf einem anderen Kopf gebunden. Es wird auf den Kopf gelegt, die Haare schauen noch etwas hervor: Binden der Zipfe am Hinterkopf, kleiner Mittelzipf wird nochmals durchgezogen und um den Bund gewunden, er verschwindet ganz. Rechter großer Zipf wird ausgezogen, großer Mittelzipf wird glattgestrichen. Dann wird das Tuch der richtigen Trägerin aufgesetzt und mit einer Nadel im Haar festgesteckt. Früher war der Nadelkopf besonders groß und schön verziert.“[5234]
Zur Blütezeit der Kopftücher gab es noch die sogenannten „Neunvierteltücher“ mit einer sagenhaften Größe von 225 Zentimetern im Quadrat. Ausnahmslos faltet man das viereckige Tuch zu einem Dreieck, alles weitere ist eine spezifische Kniffeligkeit. Der Grad der „Ordentlichkeit“ der Bindung läßt auch heute noch Rückschlüsse auf die Trägerin zu. Die Befestigungsart hat sich im Laufe der Zeit Gott sei Dank geändert. Man trägt das Tuch ja nicht mehr so tief in die Stirn gebunden, sondern läßt auch die Frisur zur Geltung kommen. Zum besseren Halt des Kopftuches werden heute ein Steckkamm mit Samtband und lange „Schwesternnadeln“ verwendet.
Aus Oberösterreich wird „zum größten Erstaunen, ja Entsetzen der Gewährsleute berichtet, daß es früher allgemein üblich war, das Kopftuch mittels längerer und kürzerer Nadeln (Sper- und Haubennadeln) direkt an der Kopfhaut zu befestigen!“[5235] In Kirchschlag (Bezirk Urfahr) wurden die Kopftücher sogar mit langen Hutnadeln, welche nachgewiesenermaßen durch die Kopfhaut gestochen wurden, befestigt. „Man nannte dieses Durchstechen der Kopfhaut einfach ‚Annadeln‘ und fand nichts besonderes dabei.“[5236] Diese Prozedur war sicherlich nicht der einzige Grund für das Verschwinden des Kopftuches, aber wahrscheinlich derjenige, der den Frauen am deutlichsten in Erinnerung blieb.
Mit schuld (wenn man hier überhaupt von einer Schuld sprechen kann) am damaligen Verschwinden des Kopftuches war sicherlich auch das Aufkommen der Hutmode, welche mittlerweile auch schon wieder verschwand. Das Wegfallen der „Gretlfrisur“ und die kürzeren Haare, die schöne Haarpracht durch die Kunst des Friseurs, welche auch die Frauen am Land durch die Motorisierung allmählich vom Zwang befreite, ihr Haar mit einem Tuch zu verhüllen und nicht zuletzt auch der Umstand, daß die Tücher wegen der geringen Nachfrage nicht mehr erzeugt wurden, trug zum damaligen Verschwinden des schwarzen Kopftuches bei.
Heute erkennen wir im Salzburger Heimatwerk durch zahlreiche Anfragen, daß dem schwarzen Seidentaftkopftuch wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es gibt bereits wieder eine Vielzahl von traditionsbewußten Frauen in Anthering, Eugendorf, Michaelbeuern, Seekirchen, Strobl und Thalgau, um nur einige zu nennen, welche in ihre zeitgemäße Tracht nach historischem Vorbild auch das Kopftuch mit einbinden. Durch das selbstbewußte Tragen dieses Kopfschmuckes in überlieferten Formen, aber auch in deren Weiterentwicklungen kann das schwarze Seidentafttuch wieder zu einer typischen Eigenart in bestimmten Salzburger Regionen werden.
[5229] Zeitschrift Salzburger Volkskultur, 16. Jg., Juni 1992, S. 101–106.
[5230] Prodinger, Friederike, Tracht in Salzburg. In: Tracht in Österreich. Geschichte und Gegenwart, Wien 1984, Seite 58.
[5231] Kretschmer, Albert, Das Große Buch der Volkstrachten, 1977 (Neuauflage), S. 130.
[5232] Lipp, Franz Carl, Goldhaube und Kopftuch, Linz 1980, S. 135.
[5233] Kretschmer, Albert, Das Große Buch der Volkstrachten, 1977 (Neuauflage), S. 139.
[5234] Kretschmer, Albert, Das Große Buch der Volkstrachten, 1977 (Neuauflage), S. 141.
[5235] Kretschmer, Albert, Das Große Buch der Volkstrachten, 1977 (Neuauflage), S. 157.
[5236] Kretschmer, Albert, Das Große Buch der Volkstrachten, 1977 (Neuauflage), S. 157.