Ein Schusterzeichen am Haus Fischtagging 16 – dem Allmansgrubhof in der Wallerseegemeinde Seekirchen – läßt schon von weitem erkennen: hier ist ein Schuhmacher daheim. Und drinnen in der Eckkammer mit Morgensonne und Mittagslicht erlebt man, wie’s ausschaut in einer zünftigen Schusterwerkstatt. Auf den schmalen Bänken bei den Fenstern liegt griffbereit ein buntes Sammelsurium von Kneipzange, Hammer, Raspel und Ahle. Daneben Lederreste, Zwirn, Schweineborsten als Bio-Nähnadeln, Lederwachs und lauter Schachteln mit Mausköpfen, Büffelnägeln, Scheanken oder Holzstiften. Weiter hinten stapeln sich auf Regalbrettern Aberdutzende hölzerner Leistenpaare, ein regelrechtes Regiment vom Kinderfüßling Numero 22 bis zur Männergröße 47. Die Längswand beherrscht eine mächtige Maschine mit verschiedensten Schleif- und Polierscheiben. Den restlichen Platz teilen sich eine Nähmaschine von anno Schnee, ein Kanonenöfchen sowie allerlei Utensil und Material. Mittendrin aber thront der dreibeinige Schemel – als einzige Sitzgelegenheit bodenfest und beweglich zugleich. Wird mal da und mal dort gebraucht.
Das ist die Arbeitswelt von Schuhmachermeister Peter Forsthuber, heute Altbauer auf dem Allmansgrubhof. Diese Welt scheint zwar klein und ist dennoch groß. Zumindest umfaßt sie weder weniger noch mehr Raum als in anderen Ein-Mann-Schusterbetrieben. Aber etwas ganz Besonderes eignet ihr doch. Etwas, das anderswo längst der Vergangenheit angehört. Denn Forsthubers Werkstatt bewahrt die Tradition bäuerlicher „Sachl-Schustereien“. Im Salzburger Land wohl als eine der letzten noch.
Und dieses „noch“ spürt man dort. Immerhin wird es lediglich solange weiterleben, wie Meister Peter buchstäblich bei seinen über 150 Leisten bleibt. Nach ihm folgt niemand aus der Familie. Legt er einmal die Kneip beiseite, endet das Wirken zweier Schuhmacher-Generationen auf dem Flachgauer Vier-Hektar-Gütl. Auf ein Zubrot angewiesen waren die Besitzer von Fischtagging 16 seit eh und je. Laut der bis ins Jahr 1570 zurückreichenden Hofchronik taten sie’s im Laufe der Zeiten als Leinweber, Fischer und sogar Schinter (sprich: Abdecker). Der jetzige Bauer Otto freilich brachte es zum Maschinenschlosser. Und dessen ältester Bruder studierte Maschinenbau, die beiden anderen wurden Elektrotechniker. Peter Forsthuber kann also stolz auf seine Buben sein. Nur halt mit der Kneip haben sie nichts mehr im Sinn ...
Den Anfang als Sachl-Schuhmacher auf dem Allmansgrubhof machte Peter senior, als er 1926 aus Eugendorf/Schwaighofen einheiratete. Zur Arbeit mußte ihm allerdings ein Fensterwinkel in der einzigen beheizbaren Stube genügen. Nebenbei wurde auf dem Kachelofenherd gekocht, am Tisch gegessen, die Kinder lernten, die Bäuerin versah ihren Haushalt. Nur ein erhöhtes Holzpodest für Tisch und Stockerl – das sogenannte Schusterbankerl zum Schutz gegen Fußkälte – grenzte damals Vaters Werkstattbereich vom Familienleben ab. Seine notwendigste Gerätschaft hatte der junge Meister ohnehin in die Ehe mitgebracht. Sonst brauchte er wenig. Für das Licht sorgte recht und schlecht eine Petroleumfunzel. Später tat’s eine Maximlampe; denn erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der Allmansgrubhof Stromanschluß. Bis dahin wurden praktisch sämtliche Schusterarbeiten von Hand erledigt. Unter diesen Bedingungen erlernte Sohn Peter das väterliche Handwerk. Und lernte dabei auch, sich mit einfachsten Mitteln zu behelfen. So schaffte er später mühelos Gesellenprüfung und Meisterbrief.
1951 übernahm der frischgebackene Schuhmachermeister zusammen mit Frau Elfi die Landwirtschaft auf dem weiterhin von einem Nebenverdienst abhängigen Hof. Während die Kinderschar auf vier Söhne anwuchs, erweiterte Forsthuber schön langsam den Werkstattbetrieb. Zur Tret-Nähmaschine leistete man sich eine Aufdoppelungsmaschine, die beim kraftraubenden Sohlennähen Erleichterung brachte. Einen großen Fortschritt bedeutete dann die Anschaffung einer damals schon jahrzehntealten Ausputzmaschine Marke REGIS No. 91 281 zur Ausfertigung von Gummisohlen. Das bedeutete für damalige Verhältnisse den Chimborasso aller Träume eines ländlichen Schusters. Im übrigen waren Erfahrung, Geschick und sorgsame Materialverwendung in seinem Beruf ohnehin wichtiger als ausgefeiltes Utensil. Das bestand im wesentlichen aus dem Inhalt der Werkzeugtasche, mit der Vater Forsthuber als Bauer in den zwanziger Jahren Einstand gehalten hatte.
Dazu gehörte etwa die Ahle, die man salzburgisch den „Ertl“ nennt und zum Vorstechen der Nählöcher ansetzt. Weiters das Schustermesser und die Kneipzange, nicht zu vergessen der nach einer Seite zu breit abgeflachte Schusterhammer. Oder die sogenannten Ständer, also kniehohe Eisenfüße zum Schuhnageln; desgleichen der eiserne Dreifuß, der zum Eisenstifteln oder Kleben benötigt wurde.
Sein Können unter Beweis stellte der Schuhmacher natürlich insbesondere bei Neuanfertigungen. An die fünfzig bis sechzig Paare pro Jahr erzeugte Meister Forsthuber – die bäuerliche Kundschaft brauchte hauptsächlich Arbeitsschuhe, gelegentlich aber auch Feiertagsschuhe oder Sonderausführungen für schmerzgeplagte Füße. Für einen Arbeitsschuh mit Doppelsohle brauchte man durchschnittlich zwölf Stunden. Dabei nahm die Sohlenherstellung fast den doppelten Zeitaufwand in Anspruch wie die sogenannte Oberteilarbeit mit gefüttertem Füßling. Maß genommen wurde üblicherweise gleich bei der Auftragserteilung. So richtete sich der Schuster ein fußgerechtes Modell her. Dazu polsterte er die aus Hartholz gefertigten Norm-Leisten mit Leder paßgerecht auf. Eine Zwischen-Anprobe gab es in der Regel nicht. Drückte der Schuh aber doch, wurde nachgebessert. Die Handwerker-Ehre hielt aber drauf, daß es womöglich nicht feigelte.
Knapp kalkulieren mußte man beim Zuschneiden des Leders. Unnötiger Verschnitt kostete bares Geld. Immerhin zählte jeder Groschen. Für Arbeitsschuhe beispielsweise rechnete der Schuster ungefähr 35 Quadratdezimeter Oberleder vom Rind, ebensoviel für Futter vom Kalb oder Schaf. Zur Sohle hingegen wurde die Ledermenge nicht nach Größe, sondern stattdessen nach dem Gewicht bemessen. Brandsohle und Hinterkappe erforderten ca. 30 Dekagramm; weitere 20 bis 25 Dekagramm gingen für die Untersohle und bis zu 35 Dekagramm für die Laufsohle auf. Beim Absatz genügten Sohlenleder-Abfälle. Holznägel, geschmiedete Eisennägel beziehungsweise Scheanken, Ringe und Ösen für die Schnürung sowie das Nähmaterial durften nicht vergessen werden. Schließlich auch Brennwachs zum Sohlenabdichten und Politurfarbe. Strapazfähige Senkel schnitt man aus Rindleder selbst zu. Das wollte alles im Preis inbegriffen sein. Keinesfalls gespart wurde aber an der Qualität von Leder und Zubehör. Denn die Kundschaft stammte ja aus dem näheren Umkreis. Und der Nachbar kam nur wieder, wenn beispielsweise sein Arbeitsschuh sogar ganztägiges Holzziehen im Schneegatsch wohl überstand; oder die Feiertagsschuhe – meist halbhohe Schuhe, im Flachgau einst als „Niederschuhe“ bezeichnet – durch ein langes Leben standesgemäße Begleiter blieben.
Sein Bestes leisten mußte der Schuster natürlich auch bei Reparaturen. Ihr Anteil machte ungefähr zwei Drittel der Gesamtarbeit aus. Wurden sie prompt und gut erledigt, gab es gelegentlich auch wieder den Auftrag zur Neuanfertigung. Das ließ freilich seit den fünfziger Jahren mit dem Vormarsch konkurrenzlos billiger Industrieware nach. Heute werkt der Altbauer vom Allmannsgrubhof nur noch privat in seinem Schusterkammerl. Eher aus Liebe zur Sache beziehungsweise aus Spaß an der Freud’. Für die groß gewordene Familie mit bereits dreizehn Enkeln bleibt immer viel zu tun ...
Eine ähnliche Geschichte wie die von Peter Forsthuber könnte wohl die Schuhmacher-Werkstatt im Salzburger Freilichtmuseum über ihren ursprünglichen Meister Josef Ramböck erzählen. Der wirkte ebenfalls als Bauernschuster im Austraghaus seines Innviertler „Sachls“ in St. Radegund bei Tarsdorf. Ja, der Sepp ging sogar noch regelmäßig auf Stör. Das heißt, er schulterte die Werkzeugtasche und wanderte als Flickschuster von Hof zu Hof. Seine Hinterlassenschaft aus der Schusterei gelangte vor Jahren unter die Obhut des Freilichtmuseums. Im dort wiedererrichteten Austraghaus des Prähausengutes aus dem Tennengauer Ort Puch fand Ramböcks schusterische Hinterlassenschaft ihre zweite Heimat. Nach Worten von Museumsdirektor Dr. Michael Becker „zum Zeugnis eines für den bäuerlichen Lebenskreis unentbehrlichen Handwerks.“
Unentbehrlich – ja und nein. Denn der Schuster wird zwar wie eh und je vom heutigen Bauernstand benötigt. Aber auch diesbezüglich hat sich vieles verändert. So ging mit fortschreitender Industrialisierung auch ein stetiger Rückgang des Schuhmachergewerbes einher. Wohlgemerkt auf dem Lande wie in der Stadt. Das „Ehrsame Handwerk der Schuhmacher in Salzburg“ zählte etwa noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg weit über 1.800 Meister, Gesellen und Lehrlinge. Inzwischen sank der Mitgliederstand dieser Innung auf einen Bruchteil. Beispielsweise verzeichnete die Handelskammer im Jahre 1955 noch 504 heimische Meisterbetriebe. Ein Jahrzehnt später hatte die Hälfte der damaligen Betriebe bereits zugesperrt. 1971 waren es dann lediglich 204. Und gegenwärtig halten gezählte 80 aktive Schuster die Ehre ihres Handwerks hoch: statistisch genauer 42 zünftige Schuhmacher und 27 Instandsetzer mit einer Schmalspur-Ausbildung sowie 11 Orthopädie-Schumacher, für die eine vierjährige Lehre Voraussetzung ist.
28 Werkstätten werden als Ein-Mann-Betriebe geführt, die übrigen beschäftigen insgesamt 87 Angestellte. Dabei bedauern Innungsmeister Franz Stachl (Badgastein) und Josef Hager (Oberndorf) besonders eine drohende Überalterung ihrer Zunft. So gibt es in ganz Salzb urg nur 19 Betriebe mit einem Inhaber unter 40 Jahren. Die Mehrzahl von 35 Werkstätten untersteht Meistern zwischen fünfzig und sechzig Jahren. Angesichts dessen spricht die Tatsache Bände, daß heuer landesweit kein einziger Lehrling den Berufsweg zum Schumacher eingeschlagen hat. Der „Nachwuchs“ rekrutiert sich aus einem Mädchen im zweiten und einem Burschen im dritten Jahr. Geringe Zukunftsaussichten also für ein Handwerk, das früher zu den wichtigsten in Stadt und Land Salzburg gehörte. Und für uns desto wichtiger, das überlieferte Gut dieser Zunft zu bewahren. Denn noch lebt manches fort durch immerhin achtzig aktive Schuhmacher. Noch ...
Lospichl, Franz von: Zur Geschichte des ehrsamen Handwerks der Schuhmacher zu Salzburg (= Sonderbeilage zur „Salzburger Wirtschaft“ anläßlich der Fahnenweihe der Salzburger Schumacher am 22. Juni 1974).