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Hundert Jahre Dirndlgwand. Trachtenerneuerung und Trachtenpflege in Salzburg (Renate Langenfelder)[5239]

„Salzburger Volkstrachten um die Wende des 19. Jahrhunderts“ überschreibt Franz Kulstrunk sein Kapitel über die Kleidung der Salzburger im einst weit verbreiteten Heimatbuch „Unser Salzburg“. Der Vater der Salzburger Volkskunde, Karl Adrian, hatte dieses Buch, das mehrere Auflagen erlebte, erstmals 1914 herausgegeben. Die Tatsache, daß darin nicht etwa die zeitgenössischen Trachten beschrieben werden, sondern diejenigen der Zeit um 1800, läßt aufhorchen. Tatsächlich war zu Beginn unseres Jahrhunderts [20. Jahrhundert] die Tracht keineswegs in Mode – im Gegenteil: Das, was „getragen“ wurde (die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Tracht“), war fast durchweg eine nivelliert-städtische Kleidung, die echte, d. h. orts- und zeitgebundene, überlieferte Tracht als die Kleidung einer sozialen Gemeinschaft galt als antiquiert, unpraktisch und untragbar. Heute, beinahe 80 Jahre später, hat sich das Bild wieder gewandelt – der Weg führte zurück zu den Quellen, d. h. zu den alten Trachten und doch nach vorne im Sinne einer Weiterentwicklung der überlieferten Tracht zu einer den heutigen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechenden Form. Diesen Weg der Trachtenerneuerung und Trachtenpflege wollen wir im folgenden mit seinen wichtigsten Meilensteinen nachzeichnen.

Die Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachte rasante und grundlegende Umwälzungen für die Menschen der damaligen Zeit: Durch die Industrialisierung drängten immer mehr Menschen in die Städte, die auf dem Land „zurückgebliebenen“ Bauern legten ihre Trachten, damals noch verstanden als selbstverständliche, täglich getragene Kleidung, ab und paßten sich den „modernen“ Städtern an, um nicht als hinterwäldlerisch zu gelten.

Von einem ersten Meilenstein der Trachtenbewegung haben sich bis heute Fotos erhalten: vom Wiener Jubiläumsfestzug zum 60jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs I. im Jahre 1908. An diesem Festzug nahmen Gruppen aus allen österreichischen Kronländern teil, natürlich auch aus Salzburg: Alle vier Gaue waren durch in alte Trachten gekleidete – oder besser „verkleidete“ – Abordnungen vertreten. Und die Teilnehmer schauen auch wirklich etwas unnatürlich „kostümiert“ aus: da kann die Tabakspfeife nicht knorrig genug, das Regendach nicht groß genug sein, das Sacktuch hängt dekorativ aus den Hosentaschen und das Bschoadpackerl mit der Jause darf auch nicht fehlen. Die Mitglieder der ersten Trachtenvereine nähten sich damals keineswegs neue, erneuerte Trachten, sondern trugen alte, oft zusammengewürfelte Stücke, die sich von den Vorfahren erhalten hatten. Im alltäglichen Leben trug man kaum noch die als altmodisch geltende regionaltypische Kleidung.

Die Wiederentdeckung der „Tracht“ als ortstypisches Gewand, das nicht zuletzt auch Zusammengehörigkeit einer Gruppe signalisiert, ging von Bayern aus: 1883 soll in Bayrischzell der erste Trachtenverein gegründet worden sein.[5240] Die Idee, sich in Vereinen um die Erhaltung der bäuerlichen Tracht anzunehmen, fand bald Nachahmer, vor allem in den Städten, wo sich die ausgewanderte und dort arbeitende Landbevölkerung wieder zusammenfand.

Nicht nur in Bayern, auch im Salzburgischen hatte die Landbevölkerung die Tracht bereits abgelegt, sie drohte in Vergessenheit zu geraten. Sehr anschaulich zeigt dieses Bewußtsein eine Karikatur des Salzburger Zeichners Carl Storch (1868–1955), die in der „Salzburger Dult-Zeitung“ (allerdings erst 1925) erschien und „Von der Raupe zum Schmetterling oder Wie die Nanni von der Dult zurückkam“ betitelt ist. Die Verwandlung der Raupe „Nanni, die Stalldirn’ vom Huberbauern“ – einer voluminösen Erscheinung im Dirndlgwand, mit Spenzer, Halstuch und Lodenhut – zum Schmetterling im „modischen“ Charlestonkleid, Stöckelschuhen, Handtäschchen und federgeschmücktem Hütchen wird eindrucksvoll-humoristisch darstellt. Auch der Zopf mußte dran glauben: „Weg mit den Haaren!“, hieß es, „Pagenfrisur ist modern.“ Aufs feinste herausgeputzt, beschließt die Nanni endlich: „Heut abend geh i ins Kino.“

In Salzburg gab es bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts Persönlichkeiten, die auf die Trachtenbewegung, die sich zunächst noch ganz am bayerischen Vorbild orientierte, Einfluß nahmen und früher, als das in anderen Ländern der Fall war, vom Erhalten zum Erneuern führten. Als Männer der ersten Stunde müssen hier allen voran Leopold Brandauer sowie Karl Adrian, Franz Kulstrunk und Tony Angerer genannt werden.

Leopold Brandauer (1865–1947) verdanken wir umfassende Kenntnisse der Salzburger Volkskultur. „Hauptberuflich“ war er Gastwirt auf der Hellbrunner Schloßgaststätte und später im heutigen „Morzgerhof“, aber eigentlich hatte er ganz andere Interessen als das Ausschenken von Bier und Wein. So war er Gründungsmitglied des Edelweiß-Clubs, des Österreichischen Alpenvereins und der Alpinia, leidenschaftlicher Archäologe (gemeinsam mit Martin Hell) und vor allem sein Leben lang um die Erhaltung der alten Salzburger Trachten bemüht. Zeitlebens ging er selbst nur in Loden und Lederhose – in einer Zeit, in der dies gänzlich unmodern geworden war, in der selbst die Vereine und Musikkapellen in Uniformen oder aber in bayerische Phantasie-Trachten gekleidet waren. Von Leopold Brandauer haben sich Trachtenentwürfe „nach Muster aus älterer Zeit“ (wie er selbst schreibt) und schriftliche Aufzeichnungen zur Trachtenforschung aus den Jahren ab 1911 erhalten, die wohl als die ältesten schriftlichen Dokumente der Trachtenerneuerung in Salzburg angesehen werden können. Brandauer wollte bereits erhalten und erneuern!

„Beschreibung zum neu Entwurfe der salzburger Volkstrachten. Von Leopold Brandauer 1911–12. Zur Besprechung vorgelegt der Fachabteilung IV des Vereines ‚Heimatschutz‘ in Salzburg und als fertige Tracht vorgestellt durch Neubauer und Brandauer dem hohen salzburger Landesausschusse am 5. Feb. 1912“ sind diese Aufzeichnungen überschrieben. Hier finden sich ausführliche Entwürfe zu Trachten aller Salzburger Gaue, die Brandauer aufgrund von Befragungen und alten Bildquellen wie vor allem Votivtafeln hergestellt hat.

Der „Entwurf einer alpinen Tracht für Lungau für alpine Vereine. Zum Tanze und für Bergwanderungen“ ist hier enthalten oder „Beschreibung zu einem neu Entwurf der bäuerlichen Tracht für Salzburggau nach dem Muster aus älterer Zeit, von 1810 bis 1840“ oder ein Entwurf für „Die weibliche Volkstracht in Salzburg“, der auch Grundsätzliches zur Trachtenforschung enthält: „Durch aufmunternde Artikel, in vielen hunderten heuer wieder in’s Land gekommener Salzburger-Kalender ist es allgemein bekannt geworden, daß sich der hohe Salzburger Landtag für eine Erhaltung beziehungsweise Neuschaffung der Salzburger-Trachten besonders annehmen will. ... Es ist wohl kein Zweifel, daß niemand berufener war, über alle diese Fragen [der Trachtenforschung, R. L.] wichtige und zweckentsprechende Mitteilungen zu bringen, als die Lehrerinnen am Lande. Daher hat sich das Comité in einem Rundschreiben an eine Anzahl Fräuleins gewandt, mit der Bitte, ihm über die Eigenart der heute getragenen Tracht der betreffenden Gegend Mitteilungen zu machen. ... Man bemerkt aus den Zuschriften, daß man sich mit einer Volkstracht zufrieden geben kann, die aufgebaut auf frühere, bodenständige Vorbilder, schmuck und bequem, den Verhältnissen der Gegenwart Rechnung trägt und nicht zur ewig wechselnden Modetracht wird. Ein künstlerischer Wunsch wäre es auch, mehr Farbe in unsere Volkstracht zu bringen.“

Karl Adrian (1861–1949) war Bürgerschullehrer und gilt als Nestor der Salzburger Volkskunde. Ab 1906 war er der Leiter der volkskundlichen Abteilung des Salzburger Museums Carolino Augusteum, 1924 richtete er das heute noch bestehende Volkskundemuseum im Monatsschlößl in Hellbrunn ein, in dem von Anfang an auch Trachten ausgestellt wurden. Adrian veröffentlichte eine große Zahl von Aufsätzen zur Salzburger Volkskunde.[5241]

Franz Kulstrunk (1861–1944) war Zeichenlehrer, wurde aber bereits 1908 wegen Schwerhörigkeit pensioniert. Er wanderte durch alle Salzburger Gaue, um Trachten- und Landschaftsstudien anzufertigen, 1896 verfaßte er u. a. ein „Inventar der Burgen des Oberpinzgaues“. Ab 1911 war er Fachreferent für die Trachtensammlung des Salzburger Museums Carolino Augusteum. Die Kenntnis der alten Trachten hatte er hauptsächlich von alten Votivbildern und aus Verlassenschaftsinventaren. 1916 entstand sein Kolossalgemälde der Stadt Salzburg, das heute noch im Rathaus hängt.[5242]

Tony Angerer (1882–1950) war ab 1916 in Salzburg Gewerbeschulprofessor. 1916–34 entstanden seine Kreidezeichnungen von Salzburger Trachten, die neben ihrem Dokumentationswert von großem künstlerischen Wert sind. Das Museum Carolino Augusteum widmete Angerer bereits zwei Ausstellungen in den Jahren 1958 und 1969. 1911 erhielten die Bemühungen der Salzburger Trachtenforscher Hilfe von offizieller Seite: Im Salzburger Landtag wurde unter Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Arthur Stölzl ein Sonderausschuß zu Trachtenfragen gegründet, dem wiederum Leopold Brandauer, Prof. Franz Kulstrunk und Schulrat Karl Adrian angehörten, und der vom Salzburger Gewerbeförderungsinstitut unterstützt wurde. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges war der Arbeit des Ausschusses ein rasches Ende gesetzt.

Die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts brachten einen neuen Aufschwung der Trachtenerneuerungsbewegung. Der Fremdenverkehr blühte auf – nicht zuletzt durch die 1920 durch Max Reinhardt ins Leben gerufenen Salzburger Festspiele. Karl Adrian veröffentlichte in der „Österreichischen Gebirgs- und Volks-Trachten Zeitung“ vom 1. Jänner 1924 einen Beitrag, in dem er sich mit der „Frage der Volkstracht“ beschäftigt.[5243] Darin legt er aktuelle Grundgedanken der Trachtenerneuerung dar:

„Im praktischen Leben wäre es nun undenkbar, diese einst getragene Tracht wieder zu erneuern, abgesehen davon, daß man die Stoffe hiefür nicht mehr bekäme, sind die Schnitte meist so unbequem, daß sie für unsere Verhältnisse wohl kaum mehr passen. Das Kleid soll ja nicht nur für besondere Anlässe dienen, sondern für den alltäglichen Gebrauch bestimmt sein. Die Tracht ist eben nichts Starres, sondern wie alles im Leben in der Entwicklung begriffen und Veränderungen unterworfen. Nur dürfen die letzteren nicht in überstürzter Form sich äußern, sonst wird das daraus, was man bekämpfen will – die Mode.

Man kann sich daher gewiß mit einer Volkstracht zufrieden geben, die aufgebaut auf frühere, bodenständige Vorbilder, schmuck und bequem, den Verhältnissen der Gegenwart Rechnung trägt und nicht zur ewig wechselnden Modetracht wird.“

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Seinen ausführlichen Artikel beschließt er mit den programmatischen Worten: „Die Erhaltung und Belebung von Tracht, Sitte und Brauch ist eine soziale Tat von tiefgehender Bedeutung.“

In der Imbergstraße 5 fand man damals schon ein Fachgeschäft für Trachtenbekleidung, die Firma Jahn. Im Jahr 1937 ging das Haus und das Geschäft an die Firma Lanz über, die heute noch dort ihren Firmensitz hat.[5245] Lanz führte bereits in den zwanziger Jahren die von Adrian zwischen den Zeilen erwähnten „modischen“ Dirndltrachten vor allem für das Publikum aus Übersee, en vogue war beispielsweise ein Smoking mit roten und grünen Hirschen am Revers für große gesellschaftliche Abende im Festspielhaus. Aber die Trachtenbewegung trieb nicht nur solch bizarre Blüten, sondern auch brauchbare Formen entstanden: So manche Salzburgerin hatte damals bereits ein „Henndorfer Dirndl“ – auch dieses keineswegs ein Kleidungsstück mit jahrhundertealter Tradition, sondern eine vom in Henndorf ansässigen akademischen Maler Karl Mayr (einem Onkel des berühmten Kammersängers Richard Mayr) aus alten, abgelegten Stallgewändern kreierte Dirndltracht[5246] nach alten Flachgauer Vorbildern.

Im Jahr 1935 erschien dann eine erste Trachtenmappe unter dem Titel „Salzburger Landes-Trachten“, herausgegeben wurde sie vom Landesverband der Trachtenvereine, historischen Schützenvereine und Musik-Kapellen in Salzburg, deren Obmann Kuno Brandauer (1895–1980)[5247], der Sohn Leopold Brandauers, war. War der Vater noch hauptsächlich an der Erhaltung der alten Trachten interessiert, so ging der Sohn bereits zielstrebig an ihre Erneuerung. Sein Interesse für die Volkskultur hatte er sicher vom Vater ererbt bzw. erlernt. Bereits in seiner Gymnasialzeit 1911/12 interessierte er sich für die meist vergessenen Sitten und Bräuche Salzburgs. So hatte er schon 1912 als Schüler der vorletzten Klasse des k. k. Staatsgymnasiums einen Kurzvortrag zum Thema „Ist es möglich, die Salzburger Tracht zu erneuern?“ gehalten, die vom Professor mit der Bemerkung, das Gymnasium sei wohl etwas anderes als eine Fortbildungsstätte für ländliche Schneidermeister, abgetan wurde.[5248] Im Jahr 1948 sollte Kuno Brandauer dann der erste Leiter des Referates für Heimatpflege im Amt der Salzburger Landesregierung (damals noch verbunden mit dem Heimatwerk) werden, nachdem er sich vorher rein privat und aus persönlichem Interesse für die Pflege, Erforschung, Wiederbelebung und Erhaltung der Salzburger Volkskultur eingesetzt hatte. Doch zunächst zurück ins Jahr 1935!

Kuno Brandauer schreibt im Vorwort der Trachtenmappe u. a.: „Unsere Trachtenbilder wandern in die Öffentlichkeit, nicht um einer gerade zeitgemäßen Modelaune zu entsprechen, sondern um der in den letzten Jahren schon zu einer alpenländischen Mischtracht gewordenen Konfektionskleidung wenigstens auf salzburgischem Boden Einhalt zu gebieten ...“ Die Mappe zeigt auf 30 Tafeln 13 Frauentrachten und 13 Männertrachten. Dazu kommt in einer „Sonderbeilage“ die „Offizielle Landestracht“, d. h. der Landesanzug, der „mit Beschluß der Landesregierung vom 2. Juli 1935, Zl. 3227/Präs. als Salzburger Landestracht erklärt“ worden war.[5249]

Im Jahr 1943 erschien eine weitere umfassendere Trachtenmappe in vier Teilen, herausgegeben von der „Mittelstelle Deutscher Tracht“ in Innsbruck unter der Leitung von Frau Gertrud Pesendorfer: „Unsere Tracht“ mit den Teilen Pinzgau, Pongau, Lungau und Flachgau. Sie enthält alle bereits in der Trachtenmappe von 1935 vorgestellten Trachten, dazu pro Gau je eine weitere Frauentracht. Um das Gemeinschaftsgefühl, das Tracht vermitteln kann, sichtbar werden zu lassen, wurden die farbigen Tafeln mit den Trachtendarstellungen, die in den einzelnen Mappen durch Beschreibungen, Arbeitsanweisungen und Schnittmusterbogen ergänzt wurden, als idyllische Familienbilder gezeichnet.

Die Mitarbeiter der Mappe von 1943 – die auf Grund von alten Vorbildern und einer Umfrage in den Landgemeinden erarbeitet wurde – waren Kuno Brandauer mit seiner Frau Anna, weiter Franz Kulstrunk, Grete Karasek, die die Vorlagen zeichnete, und Frau Fachlehrer Gertrude Max, die als Schneiderin Brandauer bei seinen Forschungen durch praktische Tätigkeit unterstützte, und ihre Assistentin Frau Fachlehrer Kollmann. Gertrude Max war Lehrerin an der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe in Salzburg und auch noch 1964 bei der Herausgabe der neuen Trachtenmappe beteiligt. Sie war es, die im heutigen „Annahof“ die Einrichtung einer eigenen Trachtenklasse erreichte, die seit 1955 erfolgreich für den Nachwuchs an bestens ausgebildeten Trachtenschneiderinnen sorgte und bereits in der Anfangszeit Seminare im Salzburger Museum Carolino Augusteum organisierte, bei denen an Original-Trachten die alten Schnitte und Muster erforscht und demonstriert wurden. Gertrude Max hatte neben der Schneiderlehre auch die Kunstakademie besucht und war so künstlerisch und fachlich ausgebildet. Seitenlange Aufzeichnungen zur Trachtenmappe 1964 haben sich von ihr erhalten, jeder Stich sollte genau dokumentiert werden – und ihre Enttäuschung war groß, als nicht immer alle ihre Forschungsergebnisse in die Begleittexte zur Mappe übernommen werden konnten.

Gertrude Max und Kuno Brandauer waren die Salzburger Mitarbeiter für die „Mittelstelle Deutscher Tracht“. Diese Institution war im März 1939 gegründet worden und hatte ihren Sitz im Innsbrucker Volkskunstmuseum, das damals schon eine reiche Trachtensammlung beherbergte. Gertrud Pesendorfer, die Leiterin, beschreibt die Aufgabenstellung der Mittelstelle wie folgt: „Die Stelle wurde geschaffen ausdrücklich mit der Aufgabe, die in den verschiedenen Gliederungen der Partei und anderen Organisationen sichtbar werdenden Bestrebungen in der Trachtenarbeit nach Möglichkeit zu verbinden und zu einer gemeinsamen, einheitlichen Arbeit zusammenzufassen.“

Tracht war in der NS-Zeit aber nicht nur Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Landschaft, sie wurde auch Ausdruck einer politischen Gesinnung und in den Dienst der Partei-Ideologie gestellt. Sie sollte Gemeinsamkeit und Einigkeit demonstrieren, zugleich sollten die Träger von anderen Volksgruppen unterschieden werden können. Im Jahr 1946 wurde von Tobi Reiser d. Ä. das „Salzburger Heimatwerk“ wieder gegründet. Das Heimatwerk spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Trachtenerneuerung. In den fünfziger Jahren ging es bereits hinaus aufs Land, um mit Trachtenschauen der Bevölkerung die Tracht wieder nahe zu bringen. Diese Trachtenschauen fanden in Gasthäusern und Turnhallen statt und wurden von Tobi Reiser stets mit Musik umrahmt. Vor allem in den Jahren von 1953 bis 1959 war das Heimatwerk mit seinen Trachten auf Reisen durch alle Salzburger Gaue, die erste Station war am 8. August 1953 Mariapfarr im Lungau. Arbeitstrachten – Dirndl – Sonntagstrachten – Festliche Sonntagstrachten – Abendliche Stilkleider waren die auf dem Laufsteg präsentierten Gruppen betitelt.

Im April 1954 fand im Kaisersaal der Residenz sogar eine viel beachtete „Dreiländerschau“ statt, bei der Trachten aus Bayern, Oberösterreich und natürlich Salzburg gezeigt wurden. Auch in der Presse fanden diese Trachtenschauen stets Resonanz, so bemerkt „Der Salzburger Bauer“ als Überschrift zu einem Bericht aus den fünfziger Jahren: „Trachten wandern zurück ins Dorf“. Das Heimatwerk stellte die Materialien für die Herstellung der Trachten zur Verfügung – eine wichtige Voraussetzung für die Trachtenerneuerung, denn nicht von Anfang an konnte man die entsprechenden Stoffe und das passende Zubehör bekommen. Die Stoffhersteller mußten erst wieder lernen, alte Motive und Qualitäten als Vorbilder für ihre Produkte zu sehen, so mancher Kitsch war inzwischen produziert – und verkauft worden.

Das Salzburger Museum Carolino Augusteum mit seiner damaligen Kustodin für Volkskunde und späteren Direktorin, Frau Senatsrat Dr. Friederike Prodinger, wurde bereits damals oft um Rat und Hilfe gebeten, die es aufgrund seiner reichen Depotbestände auch geben konnte. Die erste Trachtenmappe nach dem Krieg wurde dann im Jahr 1964 von der Salzburger Handelskammer herausgegeben. An den umfangreichen Vorarbeiten waren teilweise wieder die bewährten und erfahrenen Mitarbeiter beteiligt: so Gertrude Max, Kuno Brandauer, Grete Karasek und Tobi Reiser, neu hinzugekommen waren Dr. Friederike Prodinger vom Salzburger Museum Carolino Augusteum, Rosemarie Weilharter (Schneidermeisterin), Josef Durnig (Innungsmeister der Kleidermacher von Salzburg), Kommerzialrat Erwin Markl als treibende Kraft (Innungsmeister der Landesinnung der Kürschner, Handschuhmacher und Gerber) und Irene Garbislander, die die Schnittmusterbögen gestaltet. Im Vorwort zu dieser Trachtenmappe gibt der (damals bereits „ehemalige“) Leiter der Dienststelle für Heimatpflege im Amt der Salzburger Landesregierung, Kuno Brandauer, einen kurzen Überblick über die Pionierleistung Salzburgs in der Trachtenpflege und schreibt dann über die Jahre nach 1945: „In [diesen Jahren] fand sich die Gelegenheit, im Rahmen der neu aufblühenden Heimatvereinigungen für viele Schützenkorporationen und für mehr als 100 salzburgische Musikkapelle anstelle von Uniformen ein erneuertes und zumeist vorbildliches Heimatkleid zu schaffen. Die rege Aufklärungstätigkeit des Salzburger Heimatwerkes mittels Trachtenschauen sowie die für ganz Österreich beispielhafte Trachtenklasse an der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe in Salzburg waren weitere zielführende Wege zu einer lebendigen Trachtenpflege; nicht zuletzt sei der verständnisvollen Aufgeschlossenheit so mancher Betriebe des Bekleidungshandwerks in Stadt und Land gedacht, die an der erfolgreichen Erneuerung und Pflege der heimatlichen Tracht ebenfalls teilhatten.“[5250] Auf 13 Farbtafeln präsentiert die Mappe 37 Vorschläge für Werktags-, Sonntags-, Fest- und Wintertrachten, dazu Joppen, Mäntel – und auch wieder den Salzburger Landesanzug, ergänzt durch eine „Landestracht für Frauen“.

Ein erfreuliches Ansteigen des allgemeinen Interesses an der Tracht in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war für den Leiter der Salzburger Heimatpflege, Harald Dengg, Anstoß zur Herausgabe einer zweiten Salzburger Trachtenmappe, mit der das Angebot der ersten Mappe (1964) um zusätzliche 26 Frauentrachten und 13 Männertrachten erweitert worden ist.

Bei der Erarbeitung „neuer“ Trachten aus noch ungenützten alten Trachtenbildern und Beständen im Salzburger Museum Carolino Augusteum waren es bei den Frauentrachten vor allem die nunmehrige Leiterin der Trachtenklasse der HBLA Annahof, Frau Oberschulrat FOL Helga Winklmeier, und bei den Männertrachten Kommerzialrat Erwin Markl und Schneidermeister Josef Fuschlberger, die dieses Vorhaben der Salzburger Heimatpflege vorantrieben. Sie wurden in ihrer Arbeit von Senatsrat Dr. Friederike Prodinger, von Tobias Reiser und seinen Mitarbeiterinnen Herma Friedl und Gretl Fagerer vom Heimatwerk und vom Innungsmeister der Salzburger Kleidermacher, Alfred Reiter, unterstützt. 1983 konnte diese zweite Trachtenmappe, die die Salzburger Heimatpflege in Zusammenarbeit mit der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft herausgegeben hat, mit einer Trachtenausstellung und einer großen Trachtenschau in der Salzburger Residenz vorgestellt werden.

Heute kann man sich das Material für eine echte Tracht nach wie vor im SSalzburger Heimatwerk besorgen, und wer nicht selbst schneidert, kann dies den bewährten Salzburger Trachtenwerkstätten überlassen. Der Nachwuchs wird in der einjährigen Trachtenklasse des „Annahof“ ausgebildet. Die Salzburger Landwirtschaftsschulen haben sich seit den fünfziger Jahren in erfreulicher Weise um das Anfertigen von Trachten angenommen. „Trachtenmode“ als Zugeständnis an den rasch wechselnden Zeitgeschmack gibt es schließlich heute in Stadt und Land Salzburg in großer Zahl. Die Tracht gilt längst nicht mehr als „Altgevatterisch [?]“, wie Kuno Brandauer noch als Überschrift zu einem 1969 im „Schöffmann“ erschienenen Artikel zur Trachtengeschichte fragen mußte. Die Bäume, die die Pioniere der Trachtenerneuerung vor 100 Jahren gepflanzt haben, sind offensichtlich angewurzelt, haben ausgetrieben – und tragen heute reiche Früchte. An jedem Einzelnen liegt es heute, diese Früchte zu ernten und die Tracht nach wie vor im Alltag, am Sonntag und bei Festen zu bewahren und noch wichtiger: weiterleben zu lassen.



[5239] Salzburger Landesfest 1990. 100 Jahre Brauchtumspflege. (= Schriftenreihe des Landespressebüros und der Salzburger Heimatpflege, Serie „Sonderpublikationen“ Nr. 90); = Doppelnummer Juni/November 1990 der Zeitschrift Salzburger Volkskultur, S. 64–69.

[5240] Karl Adrian, Zur Frage der Volkstracht, in: Österr. Gebirgs- und Volks-Trachten Zeitung, 7. Jg., Nr. 1 (1. Jänner 1924), S. 1.

[5241] Vgl. dazu: Karl Adrian (†), Nachruf von Dr. Friederike Prodinger, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Bd. 90/1950, S. 174ff.

[5242] Vgl. dazu: Nachruf auf Franz Kulstrunk, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Bd. 84/85–1944/45, S. 298.

[5243] Karl Adrian, Zur Frage der Volkstracht, in: Österr. Gebirgs- und Volks-Trachten Zeitung, 7. Jg., Nr. 1 (1. Jänner 1924), S. 1.

[5244] Karl Adrian, Zur Frage der Volkstracht, in: Österr. Gebirgs- und Volks-Trachten Zeitung, 7. Jg., Nr. 1 (1. Jänner 1924), S. 2.

[5245] Die Firma Jahn wurde in der Folge von Josef Jahn und Karl Markl weitergeführt und ist heute noch am Residenzplatz zu finden. Jetziger Firmeninhaber ist Kommerzialrat Erwin Mark.

[5246] Vgl. dazu: Dr. Friederike Prodinger, Die Henndorfer Tracht, in: Heimatwerk in Österreich, H. 2/84, S. 15ff.

[5247] Vgl. dazu: Nachruf auf Kuno Brandauer (Verf. M. Martischnig), in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Bd. 121/1981, S. 729ff.

[5248] Vgl. dazu: Der Schöffmann 1, 4. Jg., 1969, S. 1.

[5249] Vgl. dazu: Der Salzburger Landesanzug, in: Heimatwerk in Österreich, H. 2/85, S. 20f.

[5250] Kuno Brandauer, Aus der Geschichte der Salzburger Trachtenerneuerung, in: Salzburger Trachtenmappe (Hrsg. Handelskammer Salzburg), Salzburg o. J. (1964), S. 4.

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