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Unser Leben unterteilt sich in verschiedene Abschnitte, der letzte Lebensabschnitt beginnt mit Mitte 60. Im hohen Alter funktioniert der Körper nicht mehr so wie in jungen Jahren. Zu den vermehrt auftretenden körperlichen Gebrechen kommen die Umstellung nach der Pensionierung und die dadurch vermehrte Freizeit. Später folgen oft der Tod von Freunden, Bekannten oder sogar des Ehepartners und der langsame Verlust diverser Fähigkeiten. Dadurch treten Einsamkeit, Hilfsbedürftigkeit, Abhängigkeit, Nutzlosigkeit, Langeweile etc. auf.
Diese natürlichen Umstände führen dazu, dass wir dem unausweichlich einsetzenden Alterungsprozess mit Sorge und Negativbewertung entgegen sehen. Dabei sind die Gegebenheiten im hohen Alter nicht zur Gänze als negativ einzustufen.
Der bittere Beigeschmack und der „Geruch des Todes“, den wir dem Zustand alter Menschen beimessen, beruhen vorwiegend auf mangelnder Kenntnis, übertriebenen Schilderungen oder resignierender Lebenseinstellung. Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die Einweisung in die Geriatrie die Endstation dieses letzten Lebensabschnitts darstellt.
„Geriatrie ist jener Zweig der Medizin, der sich mit der Gesundheit im Alter sowie den präventativen (vorbeugenden), klinischen, rehabilitativen (Wiederherstellung, soziale Eingliederung) und sozialen Aspekten von Krankheiten beim älteren Menschen beschäftigt“, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), zur Definition der so genannten Altersheilkunde.
Der diagnostische Prozess wird in der Geriatrie unter dem Begriff „Geriatrische Assessments“ zusammengefasst, was soviel bedeutet wie: „die Beurteilung der Fähigkeit eines Patienten in der Arena des Alltags zu funktionieren.“ (ganzheitliche Definition der WHO) Oft kann sich der Patient nach erfolgter Behandlung wieder in seinem Lebensraum zurechtfinden. Daher kann bei der Geriatrie keinesfalls von „Endstation“ gesprochen werden.
Die Geriatrie ist jene medizinische Fachrichtung, die sich mit den Krankheiten des alten Menschen beschäftigt. Das reicht von stationärer bis zu häuslicher Versorgung bzw. auch jener in Pensionisten- und Pflegeheimen. Die klinische Geriatrie setzt sich aus mehreren Bereichen zusammen und umfasst sowohl die Prävention und Erkennung, als auch die Behandlung mittels Innerer Medizin, Allgemeinmedizin, Nervenheilkunde, Physikalischer und Rehabilitativer Medizin. Ferner befasst sich die Geriatrie mit den Alterungsprozessen und den verschiedenen Aspekten der Erkrankungen alter Menschen. Der klinische Fachbereich unterteilt sich in die Akutgeriatrie und die geriatrische Rehabilitation.[110]
Die Altersmedizin wird oft mit der Kinderheilkunde verglichen, da sie die ganzheitliche Betreuung während eines ganzen Lebensabschnittes darstellt. Der klassische Geriatriepatient leidet an seniler Demenz (intellektueller Abbau), Immobilität (Unbeweglichkeit), Instabilität (z. B. Stürze) und Inkontinenz. Der geriatrische Patient ist gesundheitlich, geistig und sozial aus dem Gleichgewicht geraten und findet sich nicht mehr ohne Hilfe in seinem Lebensraum zurecht.
Die Patientengruppen teilen sich grob gegliedert in allgemeingeriatrische und in psychogeriatrische. Die erste Gruppe definiert sich durch körperliche Gebrechen und Störungen der Funktionssysteme. Meistens sind die Krankheitsbilder altersbedingt und es kommt zum Verlust der Selbstständigkeit und erhöhter Hilfsbedürftigkeit. Bei der zweiten Gruppe kommen zu den Krankheitsbildern kognitive Defizite und wahnhafte Persönlichkeitsstörungen hinzu. Beiden gemeinsam allerdings ist die so genannte Multimorbidität (Vielfacherkrankung), bei der körperliche, psychische und soziale Störungen in komplizierter Wechselwirkung auftreten.[111]
Durch im Alterungsprozess auftretende geistige Schwächen beginnt der Patient zunehmend in „seiner eigenen Welt“ zu leben, die Außenstehenden nur schwer bis überhaupt nicht verständlich ist. Die häufigsten Diagnosen sind Demenz[112], Verwirrung, Agitation (Unruhe, Erregbarkeit) und Alzheimer.
Alle Bevölkerungsstatistiken zeigen ein Ansteigen der Lebenserwartung. Die Gesamtbevölkerung hat sich vom Zweiten Weltkrieg bis heute bereits verdoppelt, dabei hat die Anzahl der über 60-Jährigen um 45 % zugenommen. Die überproportionale Zunahme der Pflegebedürftigen und die Verminderung der Personen im erwerbsfähigen Alter werden im Laufe der nächsten Jahre zu einem Betreuungsproblem führen.[113]
Die Überlegungen zur Altersstatistik stehen im Spannungsfeld sozialer Leistungsbreite und medizinischer Möglichkeiten einerseits und Unselbstständigkeit durch Überalterung und völliger Pflegebedürftigkeit andererseits. Dieses Problem zu lösen, gehört zu einer der größten Herausforderungen der Ethik in der modernen Gesellschaft.[114] Im Gegensatz zu früher sind 100-Jährige keine Besonderheit mehr. Jeder will zwar alt werden, aber niemand will alt sein, da das hohe Alter mit negativen Faktoren – wie Unbeweglichkeit, Verlassensein, Krankheit, Einsamkeit, Schwachsinn, Abhängigkeit etc. – verbunden ist.
Mit zunehmenden gesundheitlichen Risiken ist der alte Mensch in einem Pflegeheim besser aufgehoben, da die Angehörigen selbst bereits in einem erhöhten Alter (Mittelwert: 61 Jahre) sind und die notwendige Pflege und Obsorge nicht zur Genüge leisten können. Moderne Pflegeheime bieten ausgezeichnete Pflege und kümmern sich individuell um jeden Bewohner.
Die soziale Stellung der alten Generation hat sich einem Wertungswandel unterzogen. Die Kenntnisse und Erfahrungen alter Menschen in der vorindustriellen Gesellschaft waren in allen Lebensbereichen eine Bereicherung für die jüngeren Generationen und hatten handfeste Bedeutung. Dadurch war eine starke familiäre Bindung gegeben. Die Industrialisierung brachte u. a. durch die Trennung von Arbeit und Familie auch eine Änderung der Familienstruktur mit sich. Traditionelles Wissen wurde durch den Fortschritt verdrängt. Die Aufgaben der Großfamilie übernahmen fortan öffentliche Einrichtungen.
Das Problem der adäquaten Versorgung von pflegebedürftigen alten Menschen stellt sich dann, wenn der Betroffene seinen Lebensalltag nicht mehr selbstständig oder ohne Gefahr für sich selbst bewältigen kann.[115]Auch die Pflege an sich kann zu unerwarteten Problemen führen. In einer geriatrischen Einrichtung ist das Personal speziell geschult.
Eines der bekanntesten Pflegemodelle ist die Pflege nach Prof. Erwin Böhm. Seine Pflegephilosophie, die „Pflege mit der Hand in der Hosentasche“, heißt, dass der Pflegende nichts tut, was der Pflegebedürftige noch selbst erledigen kann, damit er unterstützt wird, die nötigen Ressourcen der Selbstpflege und Selbstfürsorge wieder zu finden.[116] Ebenfalls nach diesem Modell geht die so genannte Animation vor, die von der Geriatrie eingerichtet wurde. In gemeinsamen Aktionen, Feiern, Gottesdiensten wird der Alltag nachgebildet. Die Patienten helfen nach ihren individuellen Fähigkeiten mit und erlangen ihren Selbstwert zurück.
Da die alte Generation auf das vergangene Leben zurück blickt, ist es bei der Mobilisierung und Rehabilitation fördernd, auf kulturgebundene Erfahrungen wie Weltanschauung, Glauben, Religion und lebensgeschichtliche Erfahrungen einzugehen.[117] Menschen sind es gewohnt, ihr Leben selbstständig zu führen und zu entscheiden. Sie haben einen individuellen Lebensstil entwickelt und gewisse Fertigkeiten erlernt. Durch Verlustängste und verstärkte Krankheit stirbt der geriatrische Patient oft einen „sozialen Tod“, lange vor seinem physischen.[118]
Sozialwissenschaftlich betrachtet definiert sich der Begriff des Alters durch das biologische und das soziale Alter. Ersteres ist optisch erkennbar an körperlichen Veränderungen. Das soziale Alter unterteilt das Leben in Abschnitte wie Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, Pensionierung und Greisenalter. Es wird durch soziale Bedürfnisse und nicht durch persönliche Interessen geprägt. Das heißt an jeder Altersstufe haften gewisse Vorstellungen, die in der modernen Gesellschaft vorwiegend funktional sind. Mit erhöhtem biologischem Alter lässt diese Funktionsfähigkeit nach, daher wird der alte Mensch als leistungsunfähig, hilfsbedürftig, abhängig und passiv stereotypisiert.[119] Somit ist Altern nicht nur biologischer Prozess, sondern auch soziales Schicksal.
Unterschiedliche Studien haben gezeigt, dass Glück und Zufriedenheit alter Menschen vom Grad ihres aktiven Einflusses auf ihre Umwelt und ihres Gebrauchtwerdens abhängen. In der modernen Gesellschaft erfährt der alternde Mensch einen Rollenverlust. Er wird aus Familie und sozialem Umfeld ausgegliedert und erleidet somit einen Funktionsverlust, wodurch er sich überflüssig fühlt und Ängste entwickelt.[120]
Die geriatrische Rehabilitation umfasst nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch eine durchdachte Entlassungsvorbereitung. Dabei deckt ein multiprofessionelles Team alle Lebensbereiche ab. Im Bereich der Pflege wird die so genannte aktivierende Pflege angewandt. In der Ergotherapie wird überprüft, ob der Einsatz von Hilfsmitteln tatsächlich zu einer Verbesserung der Alltagsfunktion führt. Mit der Pflege und Ergotherapie verschmilzt die Logopädie, in der eine Verbesserung des Schluckens, der Nahrungsaufnahme und der Kommunikation vorgenommen wird. Letztendlich wird in der Physiotherapie die Mobilität gefördert. Hinzu kommen psychologische Betreuung und Entlassungsvorbereitung durch den Sozialdienst.[121]
Für geriatrische Patienten bedeutet die Entlassung aus der Klinik den ersten Schritt in den letzten Lebensabschnitt. Daher ist es auch oberstes Ziel der Geriatrie, den Patienten soweit zu rehabilitieren, dass er sich in „der Arena des Alltags“ wieder zurechtfindet. Die Planung dafür soll überlegt und zukunftsorientiert, also realistisch sein. Grundsätzlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Altenheim oder Pflege zu Haus. Alleine zu Hause zu leben und Hilfsdienste in Anspruch zu nehmen kostet Geld und Angehörige zu pflegen kostet Nerven und Zeit. Durch die Pflege eines Angehörigen ändert sich auch das eigene Leben und jenes des gesamten sozialen Umfeldes.
Geriatrie – Sprungbrett ins Aus? Diese Frage kann mit Sicherheit verneint werden! Es gibt kaum eine vergleichbare Einrichtung, in der man sich so herzlich und individuell um das Wohl der Patienten kümmert. Die alten Menschen werden in die Klinik eingewiesen, rehabilitiert und versorgt, um vorbereitet und informiert wieder entlassen zu werden.
[110] [Erhart 1997], S. 1.
[111] [Erhart 1997], S. 4.
[112] Verlust erworbener geistiger Fähigkeiten; geht mit Störungen des Denkens, des Gedächtnisses, der Orientierung und der Persönlichkeit einher. Medizinische Fachbegriffe vgl.https://www.netdoktor.at/woerterbuch oder https://krank.de/krankheiten/hodgkin/
[113] [Erhart 1997], S. 7.
[115] Zur Bewältigung des Lebensalltags zählen Tätigkeiten und Fähigkeiten wie Lebensmittel und Heizmaterial besorgen, Treppensteigen, aus der Badewanne kommen, den Heimweg finden usw.
[116] Pfusterer, Karin; Astrid Vogelauer: Das Psychobiografische Pflegemodell nach Böhm. In: http://members.aon.at/altenpflege-privat/Ethik_Religion/kap6/seite2
[117] [Lindinger 1996], S. 4.
[118] [Lindinger/Müller/Schachinger/Wallner 1996], Folder.
[119] [Horschk 1997], S. 7.
[120] [Horschk 1997], S. 7.
[121] Pils, Katharina: Rehabilitation für ältere Menschen. Wien 2003. S. 3.