„Ein lediges Kind bleibt ein lediges Kind“ hörte ich erst kürzlich, und es war keinesfalls positiv gemeint. In unserer Zeit des Umbruchs der Werte und des Wandels der Einstellungen verwundert es nicht, dass gleichzeitig alles nebeneinander Platz hat, die Minderschätzung ebenso wie die Überschätzung. Denn letztere gibt es heutzutage auch, in gewissen Kreisen und von bestimmten Leuten. Das extreme Fallbeispiel, plakativ formuliert, lautet: Die Frau von heute macht zuerst Karriere und bekommt mit 41 Jahren ihr erstes Kind – von einem um 15 Jahre jüngeren Mann und unverheiratet! Die konkrete Salzburger Situation ist in vielen Publikationen[542]
von Stadt und Land ersichtlich.Gerade noch vor dem biologischen Aus schafft sich die Erfolgreiche ein Kind an, Leistungsnachweis der perfekten Frau auch in der Mutterrolle und in verlängerter Jugend. Sie lebt – zumindest einige Zeit – mit dem Kindesvater zusammen, aber nur in Lebens(abschnitts)partnerschaft und kann sich daher jederzeit auch als Single und alleinerziehende Mutter gerieren. Damit liegt sie nach wie vor im Trend. Das ledige Kind kann gegenwärtig somit auch geschätztes Statussymbol sein.
Das ist etwas polemisch formuliert, aber keine aus den Fingern gesogene Utopie. Auf der Strecke bleibt das Kind, aber nicht mehr so sehr wegen des – früher lebenslang anhaftenden – Makels der unehelichen Geburt, sondern weil man ihm das Recht auf jene Prämissen verweigert, die in ihrer Vollständigkeit und Konstanz Geborgenheit und zusätzlich Garantie auf volle soziale Akzeptanz gewährleisten. Wie gesagt: Für manche bleibt ein lediges Kind nach wie vor ein solches.
In der Verweigerung der Eheschließung drücken sich auch charakteristische Entwicklungen der Gesellschaft aus: u. a. Skepsis gegenüber Dauer (einer derzeit allgemein abgewerteten Kategorie)[543], Zunahme von Egoismus, zögerliche oder verweigerte Übernahme von Verantwortung und Patchwork-Strategien in vielen Belangen, z. B. bei Religionszugehörigkeit und im Lebensentwurf. Bei letzterem stehen diverse Varianten zur Auswahl, angefangen vom Single-Dasein (auch mit Kind), Living-together-apart, Living-a-part-together (also mit Lebensabschnittspartner / -partnerin), bis zum eheähnlichen Verhältnis mit einem Lebenspartner / einer -partnerin. Wie so oft ist die Realität den notwendigen Gesetzen zur Absicherung der Partnerin / des Partners sowie etwaiger Kinder weit voraus, immer zum Nachteil der Schwächeren bzw. der Schwächsten. Letztere sind die Kinder. Derzeit machen alleinerziehende Mütter und Väter rund ein Fünftel aller Familien im Bundesland Salzburg aus. Knapp ein Viertel aller Familien in der Stadt Salzburg hat einen alleinerziehenden Elternteil. Fast 50 % der Ehen im Lande Salzburg werden geschieden.[544]
Ein besonderer Aspekt der unehelichen Geburt liegt für Mutter und Kind in jenen Fällen vor, wo aufgrund finanzieller und sonstiger eventueller Vorteile vorerst nicht geheiratet und manchmal sogar der Kindesvater verschwiegen wird. Für alleinerziehende Mütter gibt es erhöhtes Kindergeld. Gibt die ledige Mutter den Namen des Kindesvaters nicht bekannt, so wird sie bei beruflicher Einstellung oder bei der Vergabe von Kindergartenplätzen bevorzugt behandelt. Der Kindesvater kann in diesem Fall natürlich auch nicht zur Zahlung für das Kind herangezogen werden. Dass vielfach Kindesmutter und Kindesvater wie ein Ehepaar zusammenleben, hat bei der mangelnden Kontrolle der Behörden keine finanziellen Konsequenzen, und für die Kinder ist es gut. Sie haben beide Elternteile, und dass sie den Namen der Mutter tragen, spielt vor dem Schuleintritt keine ihnen besonders bewusste Rolle. Unterschiedliche Familiennamen sind ja seit 1995 in Österreich auch bei verheirateten Paaren üblich. Knapp vor Schuleintritt wird zumeist geheiratet. (Bei mehreren Kindern nützt man die Vorteile bis zum letzten Kind aus, da werden die älteren dann doch noch als ledige Kinder eingeschult). Mit dem erhöhten Kindergeld, das man schon im Vorhinein fest einplant, zahlt man z. B. die Kreditraten für das Haus zurück.
Da es um Geld und Besitz geht, ist die soziale Kontrolle, die es – zumindest auf dem Land – durchaus noch gibt, nachsichtig. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Als eine ledige Mutter mit drei Kindern schließlich als „weiße Braut(!)“ zum Traualtar schritt, da kochte der Ort vor Empörung, denn das stünde ihr nicht zu, sei – nach hier noch geltender Auffassung – jungfräulichen Bräuten vorbehalten. Die Grenze von Toleranz und opportunistischer Anpassung war damit überschritten. Andererseits ist der Symbolwert von weißem Brautkleid, Kranz und Schleier – eigentlich einer jungen Braut vorbehalten – vielfach schon obsolet geworden. So trat jüngst eine 37-jährige Braut mit zwei Kleinkindern nach 8-jährigem Zusammenleben mit dem Kindesvater vor den Traualtar: im weißen Kleid mit Schleppe und Schleier. Auch der Stil des Brautkleides entsprach der geänderten Auffassung: die Zeichenhaftigkeit des züchtig hochgeschlossenen Kleides mit langen Ärmeln ist weitgehend passé; der Schnitt des Kleides mit schulterfreiem Dekolleté erinnert an Ballroben, und ist das Brautkleid vorne kniekurz (allerdings bei voller Länge im Rücken), werden wohl die Cocktail-Kleider der 50er- und 60er-Jahre zitiert. Die Inszenierung der Braut als begehrenswerte Frau ist nunmehr angesagt.
Dass jemand, noch dazu „aus einfachen Verhältnissen“ und ebenfalls mit einer baulichen Hauserweiterung konfrontiert, doch die Heirat vor das Kinderkriegen setzt, denn „es soll alles seine Ordnung haben“, ist also bemerkenswert. Sicherlich ist auch dies kein Einzelfall, aber eben nicht mehr Selbstverständlichkeit.
Kinder werden nicht nur aus Berechnung, sondern auch aus Vorsicht unehelich geboren. Man gesteht sich eine lange, sogar langjährige Probezeit (z. B. dreizehn Jahre) zu, denn man will erst ausprobieren, ob die Beziehung Bestand hat. Vorsicht ließ früher auch so mancher Besitzersohn walten und heiratete erst, nachdem gesichert war, dass die Auserwählte auch Kinder – und somit einen Hoferben – bekommen konnte. Allerdings: diese (ledigen) Kinder waren von der Erbfolge ausgeschlossen.
Das Eigenschaftswort „ledig“ sollte man im Umgang mit Kindern ausklammern. Auch bei den ledigen Müttern sollte man diese Qualität im Sinn einer wertenden Einschränkung „in Gedanken, Worten und Werken“ weglassen. Es gibt viele Gründe, warum eine Mutter ihr Kind unverheiratet zur Welt bringt. Die Akzeptanz reicht bis in höchste Kreise, bis in regierende Königshäuser. Ein Beispiel, von dem eine entsprechende Vorbildwirkung zu erwarten ist, sind Kronprinzessin Mette-Marit von Norwegen und ihr unehelicher Sohn Marius, den sie in die Ehe mit dem Kronprinzen mitbrachte. Eine Vorbildfunktion für die Akzeptanz von Geschiedenen hat das spanische Königshaus übernommen. Allerdings war der Umstand erleichternd, dass die Braut in erster Ehe nur standesamtlich verheiratet war. Der kirchlichen Traumhochzeit mit dem Thronfolger stand somit nichts im Weg.
Es fielen die Begriffe ledige Kinder – ledige Mütter. „Ledig“ bedeutet u. a. „ungehemmt in der freien Bewegung“. Im Hinblick auf den Menschen geht es um rechtliche Aspekte: „Eine ledige Person, frey vom Ehband. Ein lediges Kind, außer dem Ehband geboren.“[545] In Kürze: das ledige Kind ist das Kind einer ledigen Mutter.
Wofür die Gegenwart ein Eigenschaftswort braucht, das drückte die Vergangenheit mit einem Hauptwort aus. „Kind“ war die Bezeichnung des ehelich geborenen, „Kegel“ jene für das unehelich geborene Kind.[546] Wohl aber hat der Begriff – wie andere auch – in einer Redewendung überdauert. Wie das Schiff „mit Mann[547] und Maus“ untergeht, übersiedelt die Familie „mit Kind und Kegel“.[548] „Kegel“ wird in einem Vokabular von 1482 als „uneheliches Kind“ erklärt, die Herleitung dafür ist noch nicht restlos geklärt. Die Bedeutung von „Kegel“ ist heute kaum mehr ausdrücklich bekannt. Die Redewendungen werden verstanden: das Schiff geht mit allem, was sich auf ihm befindet, unter, und die ganze Familie übersiedelt mit allen und allem. Die stabreimende Floskel drückt also heute die Beteiligung der ganzen Familie (eigentlich: mit den ehelichen und unehelichen Kindern) an einer Sache aus.
Ebenso obsolet ist in unserem Zusammenhang der Ausdruck „Bastard“, der in dieser Bedeutung vielleicht noch durch Shakespeare (1564–1616) am Leben erhalten wird, bei dem es in Bezug auf Elisabeth I. (1558–1603) und deren nach katholischer Auffassung illegitime Geburt heißt: „Der Thron von England wird von einem Bastard entehrt!“ Elisabeth I. von England stammte aus der kirchlich nicht anerkannten Verbindung zwischen Heinrich VIII. und Anne Boleyn. Als Rom die erste Ehe Heinrichs nicht annullierte, gründete er die anglikanische Kirche mit sich selbst als Oberhaupt. Seine weiteren Ehen wurden von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannt. Die Kinder aus diesen Verbindungen waren illegitim, also Bastarde. – Im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch verbindet man mit dem Begriff „Bastard(l)“ den nicht reinrassigen Hund, den Mischling. Eine besondere Variante ist die umgangssprachliche Bezeichnung „Promenadenmischung“.
Beim „Bastard“ spielt nicht nur die Legitimität, sondern auch das frühere „Rasse- und Geblütsdenken“ des Adels und regierender Häuser eine Rolle. Nicht-Ebenbürtigkeit fand ihren formalen Ausdruck noch im Tod. So stand der Sarg der gemeinsam mit ihrem Mann, Thronfolger Franz Ferdinand, in Sarajevo (28. Juni 1914) ermordeten Herzogin von Hohenberg (geb. Gräfin Chotek) deutlich tiefer als der ihres Gemahls. Es handelte sich um eine morganatische Ehe, d. h. die Kinder aus dieser Verbindung waren, was die Thronfolge betraf, nicht erbberechtigt. Franz Joseph hatte einer anderen Form der Eheschließung nicht zugestimmt, denn die Gräfin war nicht standesgemäß. – Otto von Habsburg, der Sohn des letzten österreichischen Kaisers, stimmte der Heirat (1993) seines ältesten Sohnes mit Francesca Thyssen zu. Sie entsprach auch nicht den so genannten „Hausgesetzen“. Aus Protest blieb ein Teil der engsten Familie der Hochzeit fern. – Noch im 20. Jahrhundert war die Heirat mit Bürgerlichen im Hochadel oder gar in Herrscherhäusern äußerst selten bis ausgeschlossen. Eine berühmte Ausnahme ist seit langem Schweden: dem König, nicht dem Kronprinzen (!), ist die Eheschließung mit einer Bürgerlichen erlaubt. Ein anderes Beispiel wäre Monaco. Selbstverständlich sind solche Verbindungen immer noch nicht, aber sie werden häufiger.
Es gibt auch interessante gegenwärtige Varianten zum Verständnis des Begriffes „Bastard“. Ich habe den Ausdruck „Halbbastardl“ erst kürzlich im Zusammenhang mit Kindern aus „ethnisch unreinen“ Verbindungen (Österreicherin + Türke; Österreicher + Bosnierin) angewendet gehört. Die Kategorie „Ethnie“ kann also im kollektiven Bewusstsein der „kleinen Leute“ heute an jene Stelle treten, die früher im Adel von „Rasse und Geblüt“ eingenommen wurde.
Zur Begriffsfamilie gehört neben „unehelich“ und „vorehelich“ auch „illegitim“. „Illegitim“ (von lat. „illegitimus“) meint allgemein „unrechtmäßig, im Widerspruch zur Rechtsordnung stehend, nicht im Rahmen bestehender Vorschriften erfolgend“, im engeren Wortsinn „unehelich, außerehelich“. Der Begriff verweist also auf unrechtmäßiges Verhalten, gegen eine geltende Ordnung verstoßend. Das Illegitime besteht hier in einem Verstoß gegen die Ehe als befugte Institution zur Zeugung von Nachwuchs.
Das ordnungsgemäße respektive rechtmäßige Verhalten stand früher ganz stark im Vordergrund und zwar sowohl hinsichtlich der geltenden offiziellen Rechtsordnung als auch im Hinblick auf die so genannten „ungeschriebenen Gesetze“. Hier sei noch ein zweites wichtiges Beispiel angeführt. Der gerade für die Volkskultur häufig verwendete Begriff „echt“ entstammt ebenfalls der Rechtssprache. „Echt“, „ehaft“ bedeutete ursprünglich „der Rechtsordnung entsprechend“. In der „geordneten“ Welt von früher war auch geregelt, was man tragen, wie man sich kleiden durfte. Die „echte Tracht“ war also die einer Person zustehende Kleidung. „G’wand“ und „Stand“ standen also in einem direkten Verhältnis. Wer sich über seinen (beruflichen, gesellschaftlichen etc.) Stand erhob, verstieß gegen die Ordnung. Um solche Verstöße hintanzuhalten und gleichzeitig die notwendigen Informationen darüber, wer, was, wo und wann tragen durfte, zu geben, verfasste, wiederholte und revidierte man die so genannten „Kleiderordnungen“. Das Adjektiv „echt“ wird heute gern durch „authentisch“ ersetzt. Über beide Begriffe in heutiger Verwendung zu reflektieren, ist hier leider nicht möglich.
„In der jüngsten Vergangenheit sind Bemühungen spürbar geworden, die darauf abzielen, Diskriminierungen, die durch semantische Inhalte entstehen, dadurch zu entschärfen, indem man auf eine andere Terminologie zurückgreift“.[549] Man versucht, Begriffe wie „illegitim“ oder „unehelich“ durch neutralere zu ersetzen. Die Vorsilbe „un-“ ist negativ konnotiert: Das Grundwort gilt als das Positive, Erstrebenswerte, Normale, als Standard schlechthin. (Andere Beispiele neben un-ehelich wären u. a. un-reif, un-mündig, un-moralisch, un-anständig. Ein Gegenbeispiel dazu liegt in un-schuldig vor, bei dem die Vorsilbe „un-“ das Erstrebenswerte konstituiert.) Begriffe wie „nicht ehelich“ oder „außerehelich“[550] sind ebenfalls nur Negativvarianten. Bei der Bezeichnung „außerehelich“ kommt ein weiteres Problem hinzu: Es können auch Kinder gemeint sein, die von einer verheirateten Person außerhalb der Ehe gezeugt respektive empfangen wurden. Italien versucht folgende Problemlösung auf sprachlicher Ebene: Im öffentlichen Vokabular wird seit 1980 nur mehr von „configli illegitimi“ und „figli naturali“ gesprochen.[551]
Das Repertoire möglicher Begriffe ist umfangreich und bietet aufschlussreiche Perspektiven im Zeit- und Kulturvergleich. Die grundsätzlichen Aspekte wurden hier angesprochen.
Von der früher allgemeinen und von der Kirche bis heute propagierten Auffassung von der Ehe als einzig befugter Institution für die Zeugung von Nachwuchs war bereits die Rede. Allerdings: Der Ehe kommt die Monopolstellung für die rechtmäßige Fortpflanzung zusehends abhanden. Man muss sich nur die steigenden Ziffern unverheiratet zusammenlebender Paare ins Gedächtnis rufen. Der Einfluss der Kirche – gemeint ist die katholische Kirche – ist hinsichtlich vorehelicher Beziehungen und unehelichem Nachwuchs stark zurückgegangen. Nicht in allen christlichen Religionsgemeinschaften spielen diesbezügliche Ge- und Verbote eine so große Rolle.
Wenn auch die Statistik die Einzelschicksale überdeckt, so zeigt sie doch Trends auf. Seit es eine statistische Erfassung unehelicher Geburten gibt, liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. 1876 veröffentlichte G. Schimmer eine Arbeit über „Die unehelich Geborenen in Österreich 1831–1874“: Er befasst sich darin mit den negativen Auswirkungen auf den Staat. Bemerkenswerterweise negieren er und Franz Juraschek einen Zusammenhang mit der Moral der Bevölkerung. Juraschek verweist auf Faktoren wie Landesgesetzgebung und gesetzliche Heiratsbeschränkungen als Ursachen. Besonders hervorgehoben werden die Alpenländer der Monarchie, für die eine hohe Quote agrarischer Bevölkerung mit einem überhöhten Anteil unehelicher Kinder charakteristisch war.[552] Die Ursache dafür sah man damals allgemein in den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen. Die anfallende Arbeit konnte nur mit einer großen Zahl von Dienstleuten bewältigt werden. Für letztere war uneheliche Elternschaft typisch. Deren ledige Kinder dienten den Bauern als billige Arbeitskräfte. Den Dienstleuten war zumeist die Heirat aufgrund von Beschränkungen und Gesetzen nicht möglich.
Ein weiterer Grund für die hohe Unehelichenrate in diesen ländlichen Gebieten war die Art der praktizierten Erbfolge. Das bedeutete, „daß ein Nachkomme den Besitz ungeteilt übernahm und Heiraten für die Hofübernehmer meist erst im fortgeschrittenen Alter möglich wurde, da die Altbauern trachteten, den Hof möglichst lange selbst zu führen, um das Ausgedinge so kurz wie möglich zu halten.“[553] Die Geschwister konnten nur auf andere Höfe „einheiraten“ oder als „bessere Dienstboten“ auf dem früheren elterlichen Hof bleiben. Auch sie bekamen dann zumeist ledige Kinder.
Schimmer[554] weist auch darauf hin, dass die uneheliche Geburt in solchen Regionen weit davon entfernt war, als Makel zu gelten: „... und die unmittelbare Folge sind zahlreiche uneheliche Kinder, um so mehr, als die landläufige Anschauung in solchem Gebaren keinerlei Makel sieht.“ Mit Bezug auf die Städte erwähnt Schimmer die dort eingerichteten Gebär- und Findelhäuser sowie das städtische Dienstpersonal und die „flottante“ [franz.: veränderliche, dahinflutende] Bevölkerung.
1845/50 lag Österreich bei der Unehelichenrate europaweit an fünfter Stelle (mit 11,3 %) nach Bayern (20,5 %), Sachsen, Württemberg und Dänemark. Zwanzig Jahre später war es mit 14,7 % an die vierte Stelle vorgerückt.
Die Alpenländer nahmen eine besondere Spitzenposition innerhalb Österreichs ein. Dazu einige Zahlen von 1866/70[555]:
Tabelle 1.
Oberösterreich | 20,85 % |
Salzburg | 30,17 % |
Niederösterreich | 30,63 % |
Kärnten | 45,78 % |
Vorarlberg | 8,34 % |
Tirol | 6,01 % |
Das damalige Österreich mit seinen Regionen unterschiedlicher Unehelichenquoten stimmt gut mit dem vom englischen Sozialhistoriker Peter Laslett aufgestellten Merkmalskatalog überein. Dieser Katalog, auch „European marriage pattern“ genannt, verweist auf die westlich der Linie Leningrad–Triest charakteristischen Familienstrukturen mit durchschnittlich hohem Heiratsalter, Ehelosigkeit der ländlichen Dienstleute und des städtischen Hauspersonals. Diese westeuropäische Situation ist als Sonderfall zu werten. „Das hohe Heiratsalter des sogenannten ‚European marriage pattern‘ stellt nämlich im interkulturellen Vergleich eine Ausnahmeerscheinung dar. Es ist eine Besonderheit der europäischen Gesellschaftsentwicklung bzw. jener Kulturen, die im Verlauf der Neuzeit von West- und Mitteleuropa her geprägt wurden.“[556]
Hohes Heiratsalter, späte Hofübergabe (zumeist an nur einen Erben[557]) und in letzter Konsequenz ungesicherte Versorgung der Altbauern waren bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Und Hoferbe war der legitime Sohn des Besitzers, entweder der älteste oder der jüngste. Das Problem der Altersversorgung wurde erst mit der Einführung der so genannten „Bauernpension“ in erträglicher Weise gelöst. Die Angst der Altbauern vor dem „Ausgedinge“ kam nicht von ungefähr. Sie waren eine Belastung für die Jungbauern, vor allem dann, wenn sie „zu nichts mehr nutz“ waren. Die Lebensberechtigung wurde in entscheidender Weise über die Arbeitskraft einer Person definiert. Lösungen des Problems, der menschlichen „Altlasten“, mit Hilfe von „Hittrach“ (= Arsen; die volkstümliche Bezeichnung leitet sich von den arsenhaltigen Rauchablagerungen über der offenen Feuerstelle in der Hütte her) kamen durchaus vor.
Schon die ehelich geborenen Halbgeschwister beteiligten sich an der Ausgrenzung des „Ledigen“. So gingen sie demonstrativ direkt neben dem Vater zur Kirche. Der Krimmler Schriftsteller Franz Innerhofer[558] schreibt über Holl, wie das ledige Kind in seinem autobiografischen Roman „Schöne Tage“ (1974) heißt: „Den Leuten, die auf 48 (= Bauernhof Nr. 48) zu Besuch waren, wurde er meistens als ‚Jugendsünde des Bauern‘ oder als ‚sein Lediger‘ vorgestellt. ... Oft, während Viehhändler da waren, konnten ihm die Brüder vorführen, daß sie über ihm standen, daß sie ihn verachteten, daß er nicht zum Hof gehöre, nicht zur Familie gehöre, wie sie gelegentlich sagten. Sie gingen zu zweit neben dem Vater her, grinsten Holl hämisch zu, und er mußte es sich gefallen lassen, obwohl es in ihm kochte und brodelte“.[559] Bei Tisch vergewisserte sich der Bauer manchmal, ob Holl „noch da war, sein eingeschüchterter, verängstigter Sohn, der nicht redete, der auf einen Blick hin gehorchte, ... von dem die Leute sagten, er werde einmal als Knecht auf den 48er Grundstücken sterben“.[560]
Verachtet, geknechtet, ausgegrenzt war das ledige Kind Holl auf dem Hof des Vaters trotz schwerster Arbeit nur geduldet. Schwere Arbeit leisteten auch die ehelichen Söhne, aber besonders unangenehme Arbeiten etc. wies der Bauer seinem „Ledigen“ zu. Auch seine ledige Mutter ließ man ihren Fehltritt nicht vergessen. „Sie war ständig den vernichtenden Blick ihrer Mutter ausgesetzt und mußte in der Kirche im selben Stuhl mit dieser sitzen und sich immer wieder vom Priester wegen ihres unehelichen Kindes verdammen lassen. Nach solchen Predigten zeigten die Jungfrauen ganz geil auf alle, die uneheliche Kinder geboren hatten“.[561]
Viele fanden, wie Holls Mutter auch, brave Männer, die ihre Frauen deren voreheliche Beziehung nicht entgelten ließen und dem nicht eigenen Kind ein guter Vater waren. Manche schützten das in die Ehe mitgebrachte unehelich geborene Kind eines anderen Mannes „durch Namengebung“ nach außen hin, da es auf diese Weise nicht von vornherein als lediges Kind erkennbar war.[562] Allerdings: ohne Ortswechsel nützte das Vorgehen nichts, denn viele Leute wussten Bescheid. Seit 1. Mai 1995 können Frauen ihren eigenen Namen behalten, d. h., jeder Ehepartner führt seinen eigenen Namen (§ 93 ABGB).
In der Gesellschaft wurde nichts vergessen und meist auch nicht vergeben, was sich auch in sozialen Heiratsverboten niederschlug. Das unehelich geborene Mädchen wurde als Braut für den Sohn aus „besserer Familie“ als nicht ebenbürtig abgelehnt, die Heirat verhindert. Nur wenige junge Männer waren hier mutig genug, sich gegen den Willen der eigenen Familie und gesellschaftliche Konventionen zu stellen. Diese Ablehnung überschattete oft das ganze Leben der sozial geächteten Frau, sogar dann, wenn sie später doch noch „unter die Haube kam“ und eine Familie gründete. Der Makel ihrer unehelichen Geburt blieb ihr ihr ganzes Leben lang bewusst. Unter den ledigen Müttern waren auch viele Pfarrersköchinnen; der Vater des ledigen Kindes war häufig der Pfarrer selbst.
Uneheliche Geburt wurde als Verstoß gegen die Norm betrachtet. Eine Heirat während der Schwangerschaft war zwar ebenfalls eine Verletzung der Norm, aber durch die Eheschließung vor der Geburt wurde der Norm zumindest formal entsprochen.
Sowohl unehelich als auch vorehelich geborene Kinder konnten bei Eheschließung der Mutter legitimiert werden und erhielten dann den Namen entweder des nicht leiblichen Vaters oder des Kindesvaters, wenn die ledige Mutter den Vater ihres/ihrer Kinder schließlich doch heiraten konnte. Die österreichische Statistik verzeichnet seit dem Jahr 1899 die Legitimationsakte, worin Alter und Geburtsjahr des legitimierten Kindes sowie der Zeitpunkt der Eheschließung der natürlichen Eltern festgehalten sind.
Zum Vollzug der Legitimierung ist ein formalrechtlicher Akt erforderlich. Anlass für eine Legitimierung, sofern sie nicht schon bei der Eheschließung erfolgte, waren u. a. der Schuleintritt, der Eintritt in die Lehre, die militärische Stellung (die so genannte „Assentierung“), Heirat u. a. m.
Die Legitimierung wurde schon früh positiv bewertet. Sie wurde als Akt der Wiedergutmachung gesehen. Die legitimierten Kinder wurden in der Statistik von der Zahl der unehelichen Geburten abgezogen. Die erfolgte Legitimierung wurde im Taufschein vermerkt. 1984 wies Salzburg die größte Zahl gemeinsamer vorehelicher Kinder auf, wo 35,2 % aller Ehepaare voreheliche Kinder hatten, gefolgt von Kärnten, Tirol und der Steiermark. Wien bildete den Gegenpol mit nur 7,9 %.[563]
Abgesehen von den negativen Distinktionen beim Brautkleid (nicht weiß, sondern pastellfarben oder mit nicht weißen Akzenten, also „ein bißl anpatzt“, wie es hieß) und dem Weglassen von Kranz und Schleier bei der ledigen Mutter und sogar schon bei der schwangeren Braut kannte man früher auch andere Spott- und Rügemaßnahmen für „gefallene Mädchen“ wie den Strohkranz und spezielle brauchtümliche Handlungen. Dies galt auch, wenn die Schwangerschaft noch nicht sichtbar war. Es wurde genau nachgerechnet, und voll entwickelte „Siebenmonatskinder“ wurden entsprechend kommentiert.
Mädchen wurden oft mit Eheversprechen verführt und dann sitzen gelassen. Die sitzen gelassene ledige Mutter musste froh sein, wenn der Kindesvater Alimente zahlte. Stritt er die Vaterschaft ab, war es nicht so leicht, einen Vaterschaftsnachweis zu führen. Als dies medizinisch möglich geworden war, konnten sich Ärmere dies gar nicht leisten. Heute kann der Nachweis mittels DNA-Analyse eindeutig geführt werden. Den so genannten „Vaterschaftstest“ kann aber immer noch nur das Kind gerichtlich einfordern, nicht jedoch die Kindesmutter.[564]
Aber nicht immer und überall herrschte Unerbittlichkeit und lebenslange Traumatisierung. Besonders schlimm scheint die Situation im städtischen (Klein)Bürgertum gewesen zu sein. Für eine „höhere“ Tochter und ihre „gute Familie“ war eine solche „Schande“ nicht tolerierbar. Die Lösung war in vielen Fällen die „Engelmacherin“ (so wurden Frauen bezeichnet, die illegal Abtreibungen vornahmen – Abtreibungen waren bis in die 1970er-Jahre gesetzlich verboten) oder „der Gang ins Wasser“, wie es umgangssprachlich hieß, wenn man auf den Selbstmord Bezug nahm, der auch als Ausweg gewählt wurde. Andere nahmen zur Kindesweglegung Zuflucht, für die es in den Städten die eigens dafür gegründeten Findelhäuser gab. In ganz verzweifelten Fällen kam es auch zur Kindestötung. Meine Mutter war mit uns Kindern vor Kriegsende ins Waldviertel evakuiert worden. Auf dem Hof, wo wir Unterschlupf gefunden hatten, tötete die „Dirn“ (= Magd) ihr Neugeborenes; sie knüpfte es an einem Schuhband im Kasten ihrer Kammer auf. Sie wurde natürlich sofort überführt, und der Gendarm nahm sie mit. Sowohl bei Abtreibung als auch bei Kindestötung war die Rechtssprechung in der Regel milde, da man die verzweifelte Lage der Angeklagten berücksichtigte.
Auch in unserer Zeit der allgemeinen sexuellen Aufklärung und der jeder/jedem zugänglichen Verhütungsmittel kommt es immer noch zu ungewollten Schwangerschaften. Das „Problem“ wird zum Teil sofort in Spitälern bzw. privaten Abtreibungskliniken gelöst. Am 7. Oktober 2004 gaben 300 Salzburger Mediziner (10 % der Salzburger Ärzteschaft) eine Erklärung gegen die Durchführung von Abtreibungen in den Salzburger Landeskliniken ab.[565] Eine weitere Problemlösung ist die Freigabe des Kindes zur Adoption nach der Geburt. Aber nach der heimlichen Geburt des Kindes kommt es immer auch noch zur Kindesweglegung oder -tötung. Bei den letztgenannten Auswegen ist der Anteil junger unverheirateter Angehöriger ethnischer Minderheiten mit anderem Moralkodex und besonders hohem Stellenwert der „Familienehre“ hoch. Um der – von der katholischen Kirche verbotenen, aber auch von vielen Privatpersonen abgelehnten – Abtreibung zu steuern und Kindestötungen zu verhindern, richtete man in manchen Spitälern eine so genannte „Babyklappe“ ein, damit die hier weggelegten Neugeborenen sofort entsprechend versorgt werden können. Neugeborene werden oft in öffentlichen Toiletten oder im Freien ausgesetzt und sogar in Mülltonnen geworfen und manchmal nur durch Zufall gefunden. Die „Babyklappe“ ermöglicht der Kindesmutter, völlig anonym zu bleiben und die Gewissheit zu haben, dass ihr Baby überleben wird. Eine derartige Vorrichtung gab es in früherer Zeit in Frauenklöstern. Viele Vereine und Institutionen widmen sich der Aufklärung bzw. Hilfe für unfreiwillige Schwangere.
Noch in den 1950er-Jahren war die Akzeptanz lediger Mütter gering und in manchen Berufsgruppen undenkbar. In einer Wiener Mittelschule mit einer sehr lebensklugen Direktorin konnte eine junge Professorin die uneheliche Geburt ihres Kindes nur durch die juristisch mögliche Änderung des eigenen Zunamens kaschieren und dadurch an der Schule bleiben. Der neue Name suggerierte die de facto nicht erfolgte Eheschließung. An derselben Schule erwartete eine Schülerin der 7. Klasse ein Kind, verließ die Schule „wegen schwerer Nierenbeckenentzündung“ und kehrte im darauf folgenden Schuljahr zurück und machte die Matura. Dreißig Jahre später wurde eine Schülerin von einem Schüler derselben Klasse im Maturajahr schwanger. Zur Hochzeit erschienen alle MitschülerInnen und die Lehrer; jede(r) überreichte dem jungen Paar eine Rose. Die jungen Eltern holten die Matura im darauf folgenden Jahr nach.
Wie erging es ledigen Kindern in der Hitlerzeit? Der Nationalsozialismus glaubte zuerst (in Verkennung der komplexen Gründe für das Phänomen), dass durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Unterbindung des Müßiggangs, in Verbindung mit einer früher möglichen Heirat und unterstützt von verstärkter Siedlungs- und Wohntätigkeit, das Problem unehelicher Geburten von selbst verschwinden würde. Allerdings musste man sehr bald erkennen, dass dem nicht so war und kam zur Überzeugung, dass bestimmte „Erziehungsmaßnahmen“ notwendig seien wie Warnung vor vorzeitigem und wahllosem Geschlechtsverkehr, verbunden mit einem Appell an das Verantwortungsbewusstsein von Mädchen und jungen Männern. Dafür sollte systematische Propaganda eingesetzt werden.[566]
Später kamen rassentheoretische Aspekte dazu. Unter dem vorrangigen Aspekt der „reinen Rasse“ wurde die Unterscheidung „ehelich – unehelich“ in den Hintergrund gedrängt. „Nicht die eheliche oder uneheliche Geburt, sondern die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum entscheidet über die Befugnis zur Mitarbeit in der Volksgemeinschaft.“[567] Uneheliche Abstammung verlor im NS-Regime zugunsten der „rassenreinen“ Abstammung an Bedeutung. Regelrechte „arische Zuchtanstalten“ bildeten die „Lebensbornheime“ (1933–1935–1939) des „Reichsführers SS“, Heinrich Himmler, in denen zwischen 1935 und 1939 8.000 Kinder zur Welt kamen.
Maßnahmen des Nationalsozialismus wirkten über das Ende des „Dritten Reichs“ hinaus, denn nach 1945 behielt man die von Hitler obligatorisch eingeführte Ziviltrauung bei, womit auch die Scheidung allgemein ermöglicht wurde. (Vorher genügte die kirchliche Eheschließung allein, die bei weitem überwog. Sie hatte Rechtskraft). Für Katholiken gibt es bei kirchlich geschlossener Ehe nur Trennung („von Tisch und Bett“) oder Annullierung. Nur bei letzterer ist eine kirchliche Wiederverheiratung möglich.
Die zivilrechtliche Scheidung war bis zur so genannten Broda-Reform nur mit Zustimmung des/der Ehepartners/in möglich, aber immerhin. Seit Broda ist sie nach einer bestimmten Trennungszeit auch bei Nichtzustimmung des/der Ehepartners/in ein Formalakt; einvernehmlich kann sie sofort erfolgen.[568]
Ziviltrauung und Scheidung reduzierten die Zahl der außerehelich gezeugten Kinder sofort. Das Problem waren nun nicht mehr die ledigen bzw. außerehelichen Kinder, sondern die Scheidungswaisen, d. h. bei amikalen Beziehungen der früheren Ehepartner („wir sind heute Freunde“) Kinder mit zwei (oder mehr) Vätern bzw. Müttern, vier (oder mehr) Großmüttern und Großvätern, diversen Halbgeschwistern usw., denn – und das darf man nicht vergessen – es bleibt manchmal nicht bei einer Scheidung. Auch mehrere Wiederverheiratungen kommen vor. Die Beziehung besteht jeweils nur mit einem Partner, aber eben nur auf bestimmte Zeit. Dies ist auch bei den eheähnlichen Verhältnissen bzw. Lebensabschnittspartnerschaften ohne Trauschein der Fall. Man spricht in all diesen Fällen von „serieller Monogamie“.
Die Rechtsstellung unehelicher Kinder ist ein sehr aufschlussreiches Kapitel. Hier übte die Kirche großen Einfluss aus. Man war bestrebt, das Sakrament der Ehe und die Familie zu schützen und versagte z. B. unehelichen Kindern jegliches Erbrecht. Das galt gleichermaßen für Herrscherhäuser und Adel, Bürgertum und Bauernstand. Unter Kaiser Joseph II. kam es 1786 und 1787 zu Verbesserungen, die jedoch 1811 wieder rückgängig gemacht wurden. Erst 1970, also mehr als 150 Jahre später, wurde die rechtliche Situation der unehelichen Kinder wieder entscheidend verbessert.
Die Kirche sah und sieht im vor-, respektive außerehelichen Geschlechtsverkehr eine Sünde und verhängte früher über dieses „niedere fleischliche Vergehen“ so genannte „Fornikationsstrafen“. Im Kirchenrecht stellte eine uneheliche Geburt bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) ein Weihehindernis für katholische Priesterkandidaten dar, das nur durch speziellen Dispens beseitigt werden konnte. Mit der danach erfolgten Kirchenrechtsreform fiel dieses dispensable Weihehindernis weg.[569]
Die Kirche kann aber nicht nur offiziell verurteilen, strafen und dispensieren, sondern auch im sozialen Alltag inoffiziell korrigieren. Es war sicherlich nicht ohne Absicht, dass um 1914 ein Priester in Hollabrunn (Niederösterreich) ein lediges Kind (Anna Z., geb. 1908) zu seiner Primizbraut wählte. Es war dies eine hohe Ehre und daher eine bemerkenswerte Geste.
Es spannt sich ein weiter Bogen vom früher verfemten, verachteten, geächteten, bestenfalls geduldeten und vor allem rechtlosen bis zum heutigen Tag im Trend liegenden und fast gepriesenen ledigen Kind. Und das Gleiche gilt für die ledigen Mütter. Die Einstellung drückt sich auch in den Bezeichnungen aus, die früher gleichzeitig Schimpfnamen waren. Einige wurden schon genannt. Hierher gehören aber auch noch „Bankert“ (auf der Schlafbank der Magd gezeugtes Kind)[570] und „Kebskind“ (Kind einer Kebse; also Nebenfrau oder Hure). Dieser Begriff ist schon lange nicht mehr gebräuchlich und heute unverständlich. Anders verhält es sich bei einer sinngleichen Bezeichnung in regionaler Verwendung. Roland Girtler schildert, dass in seiner Kindheit (in Oberösterreich) uneheliche Kinder von Dienstmägden als „Hurenbamsen“ abgestempelt und nicht erwünscht waren. Weder die Erwachsenen noch die Kinder ließen das ledige Kind seinen „Geburtsmakel“ vergessen: allein die Bezeichnung transportierte Schimpf und Schande.
Aus Schande wurde Stolz. Die heutige ledige Mutter bezeichnet sich selbstbewusst als „Alleinerziehende“. Der Begriff wird auch von geschiedenen wie verwitweten Müttern in Anspruch genommen und soll auf die erschwerten Lebensumstände (Frau mit Kindern ohne Mann) verweisen. Vielfach denken heutige Liebespaare kaum mehr an eine lebenszeitliche Absicherung durch eine Ehe, das augenblickliche Gemeinschafts- und Glücksgefühl wird zum Lebensmotto. Die hohen Anforderungen an die Beziehung und die zunehmende Individualisierung wirken sich aus, desgleichen der Umstand, dass Berufstätigkeit für Frauen – und damit Unabhängigkeit – grundsätzlich eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Ehe als Versorgungsinstanz hat ausgedient. Andere Beweggründe für die gewählte Lebensform – Kind ohne Ehe – wurden schon früher angesprochen.
Auch ein Stadt-Land-Vergleich fördert keinen wesentlichen Unterschied zutage. Städtisches Verhalten drängt auf das Land, wo Lebensgemeinschaften auch in den Dörfern zunehmen und Scheidungen häufiger werden. Ein charakteristisches Gefälle ist nur mehr bedingt festzustellen.
Die Aufwertung und sogar besondere Wertschätzung des ledigen Kindes ist ein Ergebnis des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels des letzten Vierteljahrhunderts. Vorher waren die so genannten „Muss-Ehen“ (bei Schwangerschaft der Braut „musste“ geheiratet werden) noch gang und gäbe. (Für solche Muss-Ehen war für Ostösterreich eine stärkere Tendenz festzustellen – Niederösterreich und Burgenland: 40 %.) Heute kann eine Schwangerschaft manchmal ein gewisser bzw. letzter Anstoß zur Heirat sein, ein auslösender Faktor zu einer Handlung, die ohnehin irgendwann einmal beabsichtigt war – mehr nicht.
Die soziale Beurteilung und die gesellschaftliche Stellung lediger Mütter und lediger Kinder waren regional durchaus unterschiedlich. In Gebieten, wo es viele ledige Kinder gab, hatte Unehelichkeit verständlicherweise eine andere Bedeutung als in Regionen, die arm an unehelich Geborenen waren. Die damit zusammenhängenden sozialen und (mentalitäts-)geschichtlichen Traditionen sind vielfach bis heute wirksam. Neue Einstellungen haben sich herauskristallisiert. So können das ledige Kind und auch die ledige Mutter quasi ein Gütesiegel tragen. Das Kind wird zum – auch biologischen – Leistungsnachweis der jung gebliebenen Karrieremutter über 40, zum Zeichen der ihr Leben voll im Griff habenden emanzipierten Frau, die alles erreicht hat, aber auch zum Ergebnis der freien Entscheidung einer selbstbewussten Frau, in deren Lebensentwurf wohl das Kind, nicht aber der Kindesvater Platz hat. Gleichzeitig erwarten sich diese „Alleinerzieherinnen“, wie sie sich selbst oft definieren, neben allgemeiner Anerkennung auch Unterstützung von Gesellschaft und Staat für ihre Leistungen zum Generationenvertrag.
Im vielfältigen Netzwerk der Vater-Mutter-Kind-Beziehung nimmt letzteres eine sehr unterschiedliche – und nicht zuletzt auch wechselnde – Position ein. Heute werden die Kinder schon von klein auf in alle Entscheidungen eingebunden; bei den Optionen für ihre Positionierung werden sie nicht gefragt. Diesem Thema widmete sich auch der Weltkindertag am 1. Oktober 2004 mit dem Thema „Alles, was Recht ist!“, um „Bewusstsein über Bedürfnisse und Rechte von Kindern zu schaffen“.[571]
[Böhme 1936] Böhme, Rolf: Statistische Untersuchungen über die unehelichen Kinder in Leipzig im Jahre 1933. Dissertation. Leipzig 1936.
[Innerhofer 1975] Innerhofer, Franz: Schöne Tage. 4. Aufl. Salzburg 1975.
[Juraschek 1883] Juraschek, Franz: Die unehelich Geborenen in Österreich seit dem Jahre 1830. In: Statistische Monatsschrift. IX. Jg. Wien 1883.
[KönigR 1978] König, René: Die Familie der Gegenwart. (= Beck’sche Schwarze Reihe, Bd. 116). 3. erw. Aufl. München 1978.
[Mitterauer 1983] Mitterauer, Michael: Ledige Mütter. Zur Geschichte unehelicher Geburten in Europa. München 1983.
[Mitterauer 1990] Mitterauer, Michael: Historisch-anthropologische Familienforschung. Wien, Köln 1990.
[Piegler/Kretschmer 1965] Piegler, Josef; Ingrid Kretschmer: Bäuerliches Erbrecht. In: Österreichischer Volkskundeatlas. Karte (Bl. 17) und Kommentar. Lieferung 2. Graz, Wien, Köln 1965.
[Roquette 1943] Roquette, Hermann: Das Recht des unehelichen Kindes. Stand vom 1. Juli 1943. Berlin, Leipzig, Wien 1943.
[Röhrich 1973] Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. I. Freiburg, Basel, Wien 1973.
[Schimmer 1876] Schimmer, Gustav Adolf: Die unehelich Geborenen in Österreich 1831–1874. In: Statistische Monatsschrift. II. Jg. Wien 1876.
[Schmeller 1872] Schmeller, Joh. Andreas: Bayerisches Wörterbuch. Bd. I. München 1872.
[Spari 1995] Spari, Gottfried: Uneheliche Kinder in Österreich. Dipl.-Arb. Graz 1995.
[542] Zur Situation in Salzburg siehe z. B. https://web.archive.org/web/20101101113423/https://www.stadt-salzburg.at/internet/salzburg_fuer/frauen/t2_61300/p2_62836.asp– Frauen in Wissenschaft und Forschung siehe: https://web.archive.org/web/20070203022421/http://www.bmbwk.gv.at/forschung/frauen/fber.xml
[543] Langjährige Zugehörigkeit zu ein und derselben Privatfirma, wo man sich über Jahre und Jahrzehnte hochdiente, lebenslanges Verweilen (zumindest ab der Eheschließung) in der einmal gewählten oder sogar noch von den Eltern oder Großeltern übernommenen Wohnung sind Verhaltensweisen, die heute von Gesellschaft und Politik, aber auch von der Wirtschaft infrage gestellt werden (oder Umstände halber infrage gestellt werden müssen). Gegenstrategien wurden aus ökonomischen Gründen entwickelt wie die Vermeidung hoher Abfertigungsansprüche durch lange Firmenzugehörigkeit. Anders verhält es sich mit den pragmatisierten Beamten, besondere Dienstnehmer, deren Anzahl gegenwärtig radikal reduziert wird. Für sie war bis in die jüngste Gegenwart die Zugehörigkeit zum Bund als Dienstgeber – charakterisiert durch ausbildungsadäquate Einstufung, das Ablegen einer Dienstprüfung, niedriges Anfangsgehalt und regelmäßige Vorrückungen sowie eine höhere Pension im Vergleich zu Privatangestellten (allerdings unter Entfall einer Abfertigung) – typisch.
[544] Alexandra Schmidt, Frauenbüro der Stadt Salzburg: Einladung zur Tagung „Kunststück?! Allein Erziehen“. Die Tagung fand vom 27.–29. September 2004 im Bildungshaus St. Virgil statt.
[545] [Schmeller 1872], S. 1438ff.
[546] [Röhrich 1973], S. 506.
[547] „Mann“ ist in dieser Verwendung eine alte Pluralform und bedeutet „(alle) Männer“ bzw. „die Mannschaft“.
[548] Mit Kind und Kegel. Frauenbüro der Stadt Salzburg. Ein Wegweiser für Alleinerziehende. Neuaufl. Salzburg 2004.
[549] [Spari 1995], S. 14.
[550] Zu weiteren Aspekten vgl. [KönigR 1978], S. 84.
[551] [Spari 1995], S. 14.
[552] [Schimmer 1876], S. 165.
[553] [Spari 1995], S. 27.
[554] [Schimmer 1876], S. 166.
[555] [Schimmer 1876], S. 153.
[556] [Mitterauer 1990], S. 27.
[557] Zur Verteilung von Anerbenrecht und Realteilung in Österreich: vgl. [Piegler/Kretschmer 1965].
[558] Franz Innerhofer wird am 2. Mai 1944 als lediges Kind einer Landarbeiterin in Krimml (Salzburg) geboren. Von 1950 bis 1961 lebt er auf dem Hof seines Vaters. Es folgen Schmiedelehre, Präsenzdienst, Besuch des Gymnasiums für Berufstätige, Studium der Germanistik und Anglistik. 1973 erhält er ein österreichisches Staatsstipendium für Literatur, das ihm die Fertigstellung seines Romans „Schöne Tage“ ermöglicht. Innerhofer nahm sich am 19. Januar 2002 das Leben. Der Roman „Schöne Tage“, 1981 von Fritz Lehner verfilmt, ist Teil einer Trilogie (mit „Schattseite“ und „Die großen Wörter“), die Hans Weigel „Anti-Heimatromane“ nannte. Siehe auch: https://web.archive.org/web/20021229185753/http://www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/innerhofer/bio.html
[559] [Innerhofer 1975], S. 69.
[560] [Innerhofer 1975], S. 67.
[561] [Innerhofer 1975], S. 67.
[562] Früher war die gesetzliche Regelung so, dass bei der Eheschließung die Frau den Namen des Mannes annehmen musste, der auch Familienname wurde und den die Kinder aus dieser Verbindung bekamen. Ledige Kinder trugen – und tragen noch heute – den Namen der Mutter. Dies gilt auch für geschiedene Frauen, deren ledige Kinder ebenfalls den Mädchennamen der Mutter erhalten.
[563] [Spari 1995], S. 110.
[564] In den letzten Jahren gab es einen regelrechten Boom an Privatfirmen, die Vaterschaftstests anbieten – „schneller und günstiger“, als es über die Gerichte möglich ist. Eine Google-Suche (am 20. Oktober 2004) ergab 91.600 Treffer beim Schlagwort „Vaterschaftstest“.
[566] [Böhme 1936], S. 49.
[567] [Roquette 1943], S. 121.
[568] Im Eherechtsänderungsgesetz von 1978 wurde die „Scheidung wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft“ unter § 55 des Ehegesetzes beschlossen. Die Trennungszeit beträgt drei Jahre, in besonderen Ausnahmefällen (z. B. schwerste Krankheit) sechs Jahre.
[569] Herrn Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanns Paarhammer, Katholische Theologische Fakultät Salzburg, ist für den Hinweis herzlich zu danken.
[570] Heute noch umgangssprachlich gebräuchlicher Begriff, allerdings für „schlechterzogenes, ungebärdiges, aufsässiges Kind“.
[571] „Alles, was Recht ist!“ beim Weltkindertag am 1. Oktober. [Eberle 2004]