Heutigen Kindern geht es, sagen Erwachsene oft, nicht (mehr) so gut wie ihnen in ihrer eigenen Kindheit. Während sie in großen Kinderscharen gespielt hätten, noch weitgehend ungefährdet von der Pkw-Lawine, auf Wiesen, an Bächen und in Wäldern, würden viele heutige Kinder in ihre Zimmer zurückgedrängt, wo sie sich allenfalls mit (gewalttätigen) Computerspielen oder Fernsehen zu beschäftigen wüssten („Verhäuslichung“ und „Mediatisierung der Kindheit“). Auch müssten heutige Kinder, weil die Geburtenrate in den letzten Jahren kontinuierlich sank, nach SpielgefährtInnen in ihrer Umgebung förmlich suchen oder dann zu solchen gefahren werden, die in anderen Quartieren leben („Transportkindheit“). Während frühere Kinder über viel Freizeit verfügt hätten und spielen konnten, bis die Abendglocke läutete, müssten heutige Kinder ihre Termine (Ballet, Musikschule, Reiten, Sportverein etc.) förmlich händeln („Terminkalenderkindheit“). Während frühere Kinder, wenn sie von der Schule nach Hause kamen, von der Mutter begrüßt worden seien, müssten viele heutige Kinder selber eine Jause herrichten, weil die Mütter an ihrer Arbeit seien. Überhaupt müssten heutige Kinder zusehends häufiger den Wegzug eines Elternteils verkraften und sich mit einem Stiefelternteil anfreunden („Scheidungs- und Stieffamilienkindheit“).
Die Literatur über heutige Kindheit ist voll von solcher Katastrophensemantik. Viel gelesene Bücher tragen Titel wie „Unglückliche Kinder“,[530] „Ende der Spielzeit“,[531] „Rettet die Kindheit“.[532] Sind auch Salzburgs Kinder so unglücklich bzw. so gefährdet, es zu werden, wie diese Buchtitel signalisieren? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn die Kinder selber gefragt werden, wie glücklich sie ihr bisheriges Leben einschätzen, und wo, mit wem, bei welchen Tätigkeiten sie glücklich sind. Und wenn Kinder ernst genommen werden sollen, sind ihre Glücksurteile zu respektieren, dies auch dann, wenn diese mit unseren eigenen Erfahrungen oder Vorlieben nicht übereinstimmen. Glückserleben ist – und darin stimmen die meisten GlücksforscherInnen miteinander überein[533] – subjektiv. Eine unserer Töchter wünschte sich sehnlichst eine Ratte als Haustier, für mich, als Rattuphoben, entsetzlich, für das Mädchen, als das Tier auf ihrer Schulter herumkrabbelte, höchstes Glück. Leider beendigte die Hauskatze dieses Kindheitsglück, um dann satt und zufrieden zu schnurren, sodass sich das Sprichwort bewahrheitete: „Das Unglück des Einen ist das Glück des Anderen!“. Ein Zehnjähriger kann Glück bis unter die Fingernägel verspüren, wenn er in einem Computerspiel eine neue Stufe erreicht oder es in eine neue Welt hinein schafft – dies auch dann, wenn Vater und/oder Mutter, medienkritischen Ratgebern vertrauend, darin nur Unglück und Frustration sehen.
Im Frühjahr 1998 wurden 1.319 Schulkinder des Bundeslandes Salzburg, zwischen 9 und 13 Jahre alt, paritätisch verteilt nach Geschlecht, Stadt/Land, Schularten und sozialen Schichten, schriftlich befragt, wo, bei welchen Tätigkeiten und bei welchen Bezugspersonen sie besonders glücklich seien.[534] Verwendet wurden die in der Glückspsychologie üblichen Gesichterskalen, zwei mit einem fröhlich lachenden Mund (einer davon noch stärker), eines mit einem neutralen, und zwei mit traurig herunter gebogenen Lippen. Ferner interessierte die globale Einschätzung des Kindheitsglücks, aber insbesondere auch, von welchen Faktoren – insbesondere aus dem Bereich der Freizeitgestaltung, der Familie, der Schule – dieses abhängt.
Als erstes präsentiere ich die globale Einschätzung des Kindheitsglücks (Abschnitt 1), bevor die einzelnen Lebensbereiche von Salzburger Kinder unter dem Aspekt der Glücksrelevanz erörtert werden (Abschnitt 2). Dabei sollen Salzburger Kinder selbst authentisch zu Wort kommen. Sodann wird geprüft, wovon Kindheitsglück abhängt (Abschnitt 3). Sind es wirklich – wie die massenmediale Berichterstattung über heutige Kinder weismachen will – Euros, Markenjeans und Gummibärchen? Oder nicht vielmehr die Eltern, teils auch Großeltern? Der Beitrag endet mit Thesen, was – pädagogisch, politisch etc. – geleistet werden könnte, um den relativ hohen Glückslevel von Salzburger Kindern zu halten, wenn nicht zu erhöhen.
Die Salzburger SchülerInnen wurden auch gebeten, folgende offene Frage zu beantworten: „In meinem bisherigen Leben hat mich am meisten glücklich gemacht …“
Die Texte fielen unterschiedlich aus, teils sehr kurz:
„Lego“ (m, 10 Jahre)
„Vieles“ (w, 10 Jahre)
Teils recht ausführlich:
„Einen guten Familienzusammenhalt, eine nette Schwester, Geborgenheit, meine Nachbarin = beste Freundin: Wir sind schon so wie Geschwister, wir haben viel Spaß zusammen und waren bis jetzt in jedem Urlaub zusammen, ihre Eltern sind geschieden. Ihre Mutter lebt bei einem Freund, sie haben zusammen einen 2-jährigen Sohn, meine Freundin wird von ihrem Stiefvater sehr schlecht behandelt, bald zieht sie zu ihrem richtigen Vater, ich bin glücklich, dass ich sie trösten kann, meine Freundin ist 14 Jahre alt.“ (w, 12 Jahre)
Vereinzelt wurde Bewegendes beschrieben:
„Mein Bruder Niki wurde am 25. April 1992 geboren. Gleich bei seiner Geburt stellte man fest, dass er mongoloid war. Ich habe ihn von der Familie am liebsten. Er ist jetzt 6 Jahre alt und geht in den Kindergarten. Er kann reden, gehen, und alles halt normal. Nur er ist in seiner Entwicklung weiter hinten. Seit einiger Zeit hat er eine Glatze. Doch trotzdem liebe ich ihn ganz viel.“ (w, 12 Jahre)
Überwiegend jedoch Erfreuliches:
„In meinem Leben hat mich bisher am glücklichsten meine Familie gemacht. Meine Freunde und dann der Sport. Am allerwichtigsten aber bin ich glücklich, dass ich leben darf und dass ich so eine nette Familie habe. Manchmal geht zwar was schief, doch ich freue mich, dass ich so eine Familie habe. Ich habe meine Familie sehr lieb.“ (w, 11 Jahre)
Von daher erstaunt wenig, dass eine deutliche Mehrheit der Kinder ihr bisheriges Leben als grundsätzlich glücklich bilanzierte:
So meinte kein Kind von 100, dass es eine „traurige“ Kindheit habe, eines reihte sich unter „eher traurig“ ein, sechs waren „nicht so glücklich“, 39 „glücklich“ und 54 „sehr glücklich“.
Wovon hängt das Kindheitsglück ab?[535] Man könnte meinen: Taschengeld? Mitnichten! Salzburger Kinder, die überhaupt kein Taschengeld kriegen, fühlen sich ebenso glücklich wie diejenigen mit 7 Euro pro Woche und mehr. Von der Wohnumgebung? Kinder auf Bauernhöfen müssen doch glücklicher sein als die in den Betonwüsten von Salzburg-Lehen, denn seit der Romantik wird Glück stärker mit Natur als mit Zivilisation assoziiert. Wiederum falsch: Kinder adaptieren sich an ihre Umgebung, sie sind geborene Integrationskünstler und finden überall ihre Nischen, etwa zum Skaten, oder dass sie im Hinterhof einer KfZ-Werkstätte abgefahrene Reifen zu Türmen und Burgen aufschichteten. Aber dann ist es sicherlich so, dass Einzelkinder eine weniger glückliche Kindheit haben, das haben ja Generationen von EntwicklungspsychologInnen so gelehrt? Wiederum falsch! Einzelkinder schätzen ihre Kindheit ebenso glücklich ein wie Geschwisterkinder! Dann ist es halt die Berufstätigkeit der Mutter, dass niemand zuhause ist, wenn Kinder von der Schule kommen! Wiederum gefehlt: Kinder schätzen sich gleich glücklich ein, egal ob die Mutter stets daheim ist oder den halben oder den ganzen Tag arbeitet. Ohnehin, auch berufstätige Mütter lieben ihre Kinder und trösten sie:
„Wie ich eine schlechte Note hatte war ich sehr enttäuscht und musste den ganzen Tag die Tränen rinnen lassen. Aber als meine Mutter von der Arbeit nach Hause kam, redete sie mir lauter gute Dinge bei und das hatte mich sehr, sehr glücklich gemacht. Ich bin froh, dass ich eine Mutter habe mit der ich über alles reden kann.“ (w, 11 Jahre)
Aber Kinder, deren Eltern sich trennten, die müssen doch eine unglücklichere Kindheit haben! Ganz geringfügig trifft dies zu: Kinder, deren Eltern auseinander gingen (17 % der Gesamtstichprobe haben dies erlebt), sagen zu 86 % ihre Kindheit sei grundsätzlich glücklich (gewesen), die anderen hingegen zu 95 %. Ohnehin, auch in so schwierig scheinenden Situationen entwickeln Kinder starke Adaptionskräfte:
„Als ich 7 Jahre und meine Schwester 4 1/2 Jahre alt waren, machte sich mein Vater aus dem Staub. Er holte uns alle 2 Wochen an den Wochenenden zu sich, doch das schlimmste war, dass er eine total bescheuerte Freundin hatte. Doch als ich dann einen kleinen Cousin bekam wurde ich wieder glücklich! Und durch meine Freundin!“ (w, 10 Jahre)
„Ich war bis zu meinem 8. Lebensjahr glücklich. Mit 9 Jahren verschwand unser Glück. Am. 1. Juni starb meine Mutter. Ein Jahr danach lernte mein Vater eine Frau kennen. Seither bin ich wieder glücklich, bis jetzt!“ (m, 12 Jahre)
Ein glücksmindernder Faktor ist jedoch das Alter. 13-Jährige bilanzierten ihre Kindheit zu 36 % als „sehr glücklich“, die 10-Jährigen hingegen noch zu 70 %. Der Eintritt in die Pubertät stellt vor Herausforderungen: Akzeptanz des sich verändernden Körperselbst, Pickel, bei den Mädchen Fettansatz an den Hüften, häufigere Konflikte mit den Eltern, weitreichende Entscheidungen bezüglich Bildungs- und Berufslaufbahn, Liebeskummer! Wiederholt wurde festgestellt, dass die Jugend keineswegs die glücklichste Lebensphase ist. 275 TeilnehmerInnen an der Internationalen Pädagogischen Werktagung in Salzburg (2002) – „auf dass Kindheit glücke. Aufwachsen in einer unsicheren Welt“ – bilanzierten ihr bisheriges Leben so, dass 77 % als 10-Jährige sehr glücklich waren, im Alter von 15 Jahren hingegen bloß noch 47 %, und dass ab dem 17./18. Lebensjahr die Glückskurve wieder deutlich auf das Niveau wie in der Kindheit anstieg.
Die Befragten wurden gebeten, die Glücksrelevanz von 38 Tätigkeiten (bspw. „Hausaufgaben machen“, „Musikhören“), Personen (bspw. „Mutter“, „Großeltern“), Örtlichkeiten (bspw. „auf dem Pausenhof“, „in meinem Zimmer“) etc. einzuschätzen. Um die Datenmenge zu reduzieren, wurde eine so genannte Faktorenanalyse durchgeführt, die folgendes Ergebnis brachte[536]:
Natur / Tiere: 4,63
Freunde / Freiraum: 4,57
Familie, zuhause: 4,44
Aktive Freizeit: 4,19
TV / PC: 3,96
in der Stadt: 3,59
faul herum liegen: 3,52
Mitarbeit zuhause: 3,11
Kirche: 3,04
Schule: 2,85
Zahnarzt: 2,21
Auch in Salzburg wurde und wird es erlebt: Das Kindheitsglück mit Fell und Pfoten. Drei von vier Kindern gaben an, ein Haustier zu besitzen; die Hälfte beschäftige sich jeden Tag mit ihnen, die Mädchen geringfügig häufiger als die Jungen. Die Erlebnisberichte der Kinder sind authentisch:
„Das Reiten, meine Eltern, meine Haustiere, als ich zu Weihnachten zwei kleine Meersschweinchen bekam, ein Männchen und ein Weibchen, das Männchen ist gestorben, aber das Weibchen hat drei Junge bekommen. Später habe ich einen Hasen bekommen und als unser Pferd ein Fohlen bekommen hat. Es war dunkelgrau und hat mich abgeschleckt.“ (w, 11 Jahre)
Die Beschäftigung mit Haustieren kann auch darüber hinwegtrösten, dass Kinder anderweitig unglücklich sind:
„In den Reiterhof gehe ich, da meine Eltern den ganzen Tag arbeiten, fast jeden Tag. Mit meiner Familie, meiner Nichte, mit Pferden, bin ich sehr glücklich. Meine Mitschüler verarschen und hassen mich. Im Stall spanne ich aus.“ (w, 10 Jahre)
Tiere beglücken vor allem dann, wenn mit ihnen gespielt und für sie gesorgt wird. Für eine Erziehung zur Verantwortlichkeit können sie unersetzlich sein:
„Meine Haustiere haben mich am meisten glücklich gemacht. Wenn mir mal ein junges Vogelbaby am Boden gesehen haben, das aus dem Nest gefallen war, haben wir es groß gepflegt und später ausgelassen. Ähnlich ging es uns mit unserem Igel. Wir hatten schon 4 Vögel, 1 Igel, 1 Maus groß gepflegt.“ (w, 11 Jahre)
Heutige Kinder werden vielfach bedauert, von der Natur entfremdet zu sein und den großen Kreislauf von Geburt, Wachsen und Sterben nicht mehr zu erfahren. Den realen Tod erfahren sie erstmals oft an ihren geliebten Vierbeinern:
„Am meisten glücklich machen mich meine Hamster. Ich hatte 3. Jetzt gibt es nur noch 1. Der erste Hamster (Charlie) wurde eingeschläfert. Der zweite (Struppi) stieg mein Kater unabsichtlich zusammen. Und den dritten (Samson) gibt es noch. Ich hoffe, er lebt noch sehr lange. Ich liebe ihn über alles, was ich habe! Er ist schon 1 ½ Jahre, und sie werden leider nur 2 Jahre alt.“ (m, 11 Jahre)
Schon der große Philosoph Aristoteles hielt Freunde als unersetzlich für ein gelingendes, glückliches Leben. Genau so sehen es auch die Salzburger Kinder, die zu 85 % bei FreundInnen sehr glücklich sind, zumal dann, wenn sie mit ihnen gemeinsam aktiv tätig sind:
„Ganz glücklich hat mich das Skifahren gemacht. Man lernt viele andere Kinder kennen. Mich hat auch das Karate glücklich gemacht. Ich traf meine alte Freundin wieder. Doch das lustigste ist, mit Freunden zusammen zu sein und zu spielen.“ (w, 12 Jahre)
Kinder finden FreundInnen fast mit der Zwangsläufigkeit eines Naturgesetzes, und zwar überall:
„Wir waren einmal im Urlaub. Dort war mir immer langweilig. Meine Mama sagte: ‚Such dir doch ne Freundin!’ Am nächsten Tag tat ich das und mir ist nie mehr fad gewesen.“ (w, 11 Jahre)
Zusehends häufiger auch in der Schule, wo mittlerweile die meisten Freundschaften geschlossen werden.
„Glücklich war ich am Beginn der Schule, weil ich hier meine besten Freundinnen kennen gelernt habe.“ (w, 10 Jahre)
Freundschaft bringt nicht nur Glück, sondern fördert auch Moralität und Sozialität:
„Dass ich eine Freundin habe, die nichts verratet und immer zu mir hilft. Sie heißt Birgit und sie ist wirklich die beste. Ihr kann man vertrauen.“ (w, 11 Jahre)
Entgegen der häufigen Klage, heutige Kinder würden immer früher und immer stärker gestresst, beteuerten die SchülerInnen mehrheitlich (80 %), genug Zeit für ihre freien Unternehmungen zu haben. Dass Kinder „mit Vollgas“ durch die Kindheit gehetzt würden,[537] ist infolgedessen (noch) nicht die Regel. Ohnehin ist nicht zu vergessen, in welchem Ausmaße Kinder noch vor zwei/drei Generationen in die Erwerbsarbeit eingespannt waren. Ohnehin können die oft beklagten Termine der Kinder (etwa auf dem Reiterhof, in einem Fußballvereinen) Quellen des Glücks sein:
„Was mich bisher am meisten glücklich gemacht hat: 1. Bei einem Fußballturnier spielten wir gegen Casino Salzburg, es kam zum Elfmeterschießen und ich stand im Tor. Ich hielt alle drei Elfmeter. Danach bekam ich einen Pokal und meine Mannschaft trug mich auf den Schultern.“ (m, 11 Jahre)
Schon seit zweihundert Jahren wird ein schlimmes Ende der Familie prophezeit, damals wegen der Industrialisierung und der Trennung von Familie und Arbeitsplatz, heute zumal aufgrund der Scheidungen und der postmodernen familiären Lebensformen. „Die Familie stirbt“, verkündete in den 1990er-Jahren der Soziologe Reimer Gronemeyer.[538] Aber ist die Familie wirklich ein Patient in den letzten Zügen, mit Finanzspritzen des Staates vielleicht noch kurz aufzupäppeln? Und ist sie wirklich der Ort, wo Kinder – so die Familienkritik einiger 68er – zu autoritätshörigen Persönlichkeiten erzogen, nachhaltig frustriert und entfremdet werden?
Die Salzburger Kinder sehen es anders: Für sie ist die Familie einer der wichtigsten Glücksorte, und dies vor allem dann:
wenn sie Lob und Anerkennung erfahren;
wenn es ihnen möglich ist, Dinge zu verrichten, die des Lobes wert sind;
wenn sie als Gesprächspartner ernst genommen werden und bei Entscheidungen mitbestimmen können: „Fahren wir nach Istrien oder Rimini?“ – „Besuche ich die Hauptschule oder das Gymnasium?“, das heißt, wenn sie eher demokratisch erzogen werden;
wenn die Eltern mit ihnen etwas unternehmen, dies vor allem bei jüngeren Kindern.
„Am glücklichsten war ich, als mein Vater, meine Mutter, mein kleiner Bruder, meine kleine Schwester auf den Berg Schober gegangen sind, da konnten wir unser Haus sehen, wir alle waren glücklich.“ (m, 11 Jahre)
„Wenn wir mit der ganzen Familie Ritteressen gehen, unsere Tante ladet uns immer ein. Zuerst essen wir und dann spielen wir Karten (Watten, Schnapsen, Herzeln, Hasen hinunter ...). Es ist immer voll cool.“ (m, 11 Jahre)
Sehr viele Kinder erfahren Glücksmomente bei oder durch ihre Großeltern, die in der Familienpsychologie nur selten thematisiert werden, aber keinesfalls zu unterschätzen sind:
„Als ich mit meiner Cousine bei der Oma war, ließ der Opa ein kleines Swimmingpool ein mit Wasser. Ich wollte unbedingt hinein hüpfen und ich habe meine Omi so gerne gemocht und meine Mama war nicht da also hob mich meine liebe Oma in das Pool hinein.“ (w, 12 Jahre)
„Als ich im Krankenhaus war, weil ich einen Unfall gehabt habe, haben mich sehr viele besucht, die ich mochte: Oma, Opa, Freunde …“ (m, 10 Jahre)
Einer der bedeutendsten Philosophen, der über das Glück nachdachte, war Aristoteles. Er bestimmte es als das letzte Ziel unseres Handelns und konzeptualisierte es als „Tätigkeit der Seele“, die um ihrer selbst willen ausgeübt wird. Und genau so verhält es sich bei den Salzburger Kindern: Die Items der Skala „aktive Freizeit“ (unter anderem „spielen, skaten oder Rad fahren, Musikhören“) wurden als ausgesprochen beglückend eingeschätzt, „spielen“ zu 91 %), „Rad fahren / skaten“ zu 90 %:
„Ich war am glücklichsten, als ich snakeboarden angefangen habe und zwei meiner besten jetzigen Freunde gefunden habe.“ (m, 11 Jahre)
„Was mich am glücklichsten macht: Freunde, Fernsehen, Musik hören, spielen, Rad fahren, Inline-Skaten, Schi fahren, laufen.“ (m, 10 Jahre)
„Die Freizeit, keine Schule, ich war viel freier, als ich jetzt bin (in der Schule). Wenn ich oft ins Freie komme und nicht viel lernen brauche. Skifahren und Radfahren, schwimmen ist auch toll und lustig, – Freiheit (wenig essen), Äpfel ...“ (m, 12 Jahre)
Bewegung beglückt, denn es werden körpereigene Botenstoffe (Endorphine) produziert, die Glücksgefühle auslösen. Weitere Freizeitaktivitäten wurden von weniger SchülerInnen als beglückend eingeschätzt, speziell Lesen (62 %), sowie „Zeichnen oder Basteln“ (66 %). Doch auch hier zeigt sich der glückpsychologische, wiederholt nachgewiesene Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Glückserfahrung: Kinder, wenn sie häufiger lesen, assoziieren diese Kulturtechnik häufiger mit Glück.
Zu den Freizeitaktivitäten Salzburger Kinder gehört auch das Fernsehen. Gemäß ihren Angaben verbringen die Befragten 1,8 Stunden vor dem Bildschirm. Es ist nicht der Fall, dass die 13 % Vielseher (pro Tag drei Stunden und mehr) weniger glücklich wären; Fernsehen beeinflusst das generelle Kindheitsglück nicht. Ebenfalls nicht die viel gescholtenen Computerspiele, von 14 % der Befragten täglich gespielt, von den Jungen übrigens deutlich häufiger als von den Mädchen. Je häufiger die Maus betätigt wird, desto beglückender wird dies eingeschätzt und wohl auch so erlebt.
Kindheitsglück und Glück am PC in Abhängigkeit zur Häufigkeit des Computerspiels, N=1319, %
jeden Tag: 72 (am PC sehr glücklich) / 50 (Kindheit sehr glücklich)
mehrmals die Woche: 60 / 53
einmal die Woche: 33 / 55
einmal im Monat: 25 / 56
(fast) nie: 16 / 53
Am wenigsten glücklich sind Salzburger Kinder beim Zahnarzt, gefolgt von der Schule, die demnach das Potenzial haben sollte, das Glück von Kindern zu erhöhen. Mit traurig herabgebogenen Mundwinkeln assoziiert werden vor allem die Hausaufgaben (48 %), nur 19 % finden sie beglückend, die restlichen 33 % gefühlsneutral. Auch Schularbeiten sind für die meisten Kinder eine ernste, ja traurige Sache; gerade einmal 23 % verbinden sie mit Glück. Dass das Wohlbefinden von Kindern in der Schule deutlich niedriger ist als in ihrer Freizeit oder in ihrer Familie, fanden auch zahlreiche andere Kindersurveys.[539]
Freilich, die Schule wurde auch auf die offene Frage danach, was bisher am meisten glücklich gemacht habe, gelegentlich genannt. Aber genau diese Antworten verweisen indirekt auch darauf, warum sie als nicht besonders beglückend erlebt wird. Genannt wurden vor allem gute Noten:
„Erfolg in der Schule ist für mich und meine Eltern gut, ich bin froh, wenn ich gute Noten schreibe“. (w, 11 Jahre)
Aber nicht allen gelingt dies:
„Im Kindergarten war es sehr schön. Ich hatte sehr nette Tanten. Als ich in die Schule kam, freute ich mich sehr. Doch mir verging der Spaß. Auch jetzt im Gymnasium verstehe ich manche Dinge nicht, und ich kämpfe in Mathematik um einen 3er und in Englisch, was ich nicht verstehe (ich habe 1 Zweier + 2 Einser in SA geschrieben), muss ich um einen 1er kämpfen? Meine beiden Freundinnen Mirijam und Martha helfen mir dabei.“ (w, 12 Jahre)
Als positiv an der Schule wurde aber auch erlebt, dass hier Freundschaften geschlossen werden können, sodann Unternehmungen wie „Landschulwoche, Projektwoche, Wienwoche, neue Freunde“.
Etliche Kinderäußerungen stellen auch Bräuche und Rituale in der Familie als beglückend heraus, desgleichen das Kirchenjahr. Weihnachten war und ist der Inbegriff von Kindheits- und Familienglück:
„Ich bin am glücklichsten, wenn wir (die ganze Familie, 17 Leute) zu Weihnachten zusammen sind.“ (w, 10 Jahre)
Freilich dürfen auch Geschenke glücklich machen:
„Zu Weihnachten lag unterm Christbaum ein längliches Pakte für mich. Nachdem ich es aufmachte, sah ich dass eine Angel drinnen war. Darüber war ich sehr glücklich.“ (m, 11 Jahre)
Mitunter wurden die Höhepunkte des Kirchenjahres, die in besonderem Ausmaß mit Brauchhandlungen in Verbindung stehen, förmlich aufgezählt.
„Ich bin fast immer glücklich! Wie wir unser Haus bekommen haben, wie ich Roller-Skates bekommen habe, wie ich ein Yo-Yo bekommen habe, zu Weihnachten, zu Ostern, zu meinem Geburtstag, Ferien.“ (m, 11 Jahre)
„Weihnachten, Ostern, Vater, Mutter, Geburtstag, Nikolaus.“ (w, 11 Jahre)
„Jedesmal zu Weihnachen, Geburtstagen und Ostern (auch zu St. Martin, Nikolaus, Namenstag, ...).“ (w, 10 Jahre)
Beglückt haben auch die Kasualien, für welche die Pfarreien ihre Bräuche und Traditionen entwickelt haben und auch weiterhin pflegen:
„Als ich 8 Jahre war hatte ich ein ganz schönes Erlebnis. Das war meine Erstkommunion. Die ganze Klasse ist zusammen in einen Märchenpark. Dann war ja auch noch meine Firmung. Die war sehr lustig. Wir hatten sehr viel Spaß.“ (w, 11 Jahre)
Freilich, Glück ist etwas Subjektives; es kann sich einstellen, wo andere dies für unmöglich halten, auch bei Menschen, die an den Rollstuhl gefesselt wurden. Eines der großen Probleme der bisherigen Glückspsychologie bestand darin, dass statistisch kaum vorausgesagt werden konnte, ob Menschen glücklich sind oder nicht. Faktoren wie Bildung, Einkommen, soziale Schicht, Alter, Wohnort etc. erklären nur wenig Varianz des subjektiv eingeschätzten Glücks (in der Regel nicht einmal 10 von 100 möglichen Prozenten).
In der Salzburger Studie gelang es jedoch, weit mehr Varianz des Kindheitsglücks zu erklären, um die 45 %, und zwar insbesondere durch Tätigkeitsvariablen. Folgende Auflistung zeigt, dass insbesondere der Faktor „Gutes Familienklima, Anerkennung und Lob“ höchst bedeutsam ist, aber auch das positive Erleben der Schule, vor allem aber Freiraum und Freunde und damit verbundene gemeinsame Tätigkeiten.
Die bei der abhängigen Variable „Kindheitsglück“ in die schrittweise durchgeführte Regressionsanalyse eingegangenen positiven und negativen Prädiktoren (Zahlen in Klammer: Beta-Werte):
Positive Faktoren: Je stärker ausgeprägt, desto mehr globales Kindheitsglück:
Gutes Familienklima – Anerkennung – Lob (.22)
Genug Platz in Wohnung (.12)
Positives Erleben der Schule (.11)
Freizeit – Freiraum – Freunde (.11)
Gemeinsame familiäre Aktivitäten (.06)
Eltern beisammen (.06)
Negative Faktoren: Je stärker ausgeprägt, desto weniger globales Kindheitsglück:
Schule als Belastung und Angst (-.21)
Langeweile (-.12)
Strenge Erziehung (-.07)
In diesem Beitrag wurde Kindheitsglück geschildert, das sich auch im Bundesland Salzburg überall einstellen kann, auf dem Rücken der Pferde oder an der PC-Maus, bei FreundInnen wie beim Papa, in Salzburg-Lehen wie am Ufer des Obertrumersees. Kindheitsglück – es darf aber nicht übersehen lassen, dass zwischen dem Gerlospass und den Flachgauerseen viele Kinder auch traurig sind, gemäß unserer Daten vor allem wegen Angst vor Schularbeiten, Langeweile, Einsamkeit, Streit (auch der Eltern), Schmerzen und Krankheiten. Ohnehin kann niemand stets glücklich sein – Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ versuchte dies in einer Weise herzustellen, die erschreckend ist. Vielmehr hat die Glückspsychologie nachgewiesen, dass Menschen, die intensiv positive Emotionen erleben können (Freude, Glück), auch intensiver „negative“ Gefühle (Trauer etc.) durchleben. Auch für viele Salzburger Kinder, die verzweifelt bei der Kinderanwaltschaft anrufen oder ihr Leid in sich hineinwürgen, gilt der Stundenbuchverse des Dichters Rainer Maria Rilke: „Und müssen Kind sein und sind traurig Kind“. Aber dass Kinder traurig sind, darf nicht übersehen lassen, wie viel Kindheitsglück es gibt, auch wenn die Medien weit lieber über Kindheitstraumata berichten als über das Kindheitsglück, von dem der Wiener Psychologe Hellmann bereits in den dreißiger Jahren schrieb: „Aber es gibt tatsächlich mehr Glück als man ahnt; denn der Schmerz schreit auf allen Straßen, das hohe Glück ist stumm oder verbirgt sich.“[540]
Was ist – politisch und pädagogisch – zu tun, damit sich der relativ hohe Glückslevel der Kinder in Salzburg nicht senkt bzw. sogar erhöht werden kann? Die Studie hat unmissverständlich gezeigt, dass sich das Glück der Kinder primär in der Familie entscheidet, sodann in der Schule.
In den Familien wäre wünschenswert:
Ein Klima der Wertschätzung, der Anerkennung, des Lobes.
Humor, gemeinsames Lachen, was der Gesundheit ebenso zuträglich ist wie auch dem Wohlbefinden.
Für viele Kinder gehört auch ein Haustier zur Familie; wenn immer möglich, sollten Kinder die Möglichkeit haben, ihre Katze, ihr Kaninchen oder ihren Hamster zu halten.
Gezeigt hat sich, als wie beglückend die Großeltern erlebt werden können. Kinder sollten denn auch die Möglichkeit haben, Zeit mit ihnen zu verbringen.
Wichtig sind auch gemeinsame Unternehmungen, gemeinsames Spiel etc.; entscheidend ist allerdings nicht das zeitliche Ausmaß, sondern vielmehr die Intensität und das Klima.
Wichtig ist, dass Kinder zuhause über genug Platz verfügen.
Mitunter wollen Eltern, wenn sie beruflich sehr eingespannt und zu wenig Zeit für die Kinder haben, dies mit Materiellem (Geld etc.) kompensieren, was aber Kinder niemals so glücklich macht wie ein aufrichtiges Lob oder liebe Worte.
In den Schulen wäre wünschenswert:
Ein Unterricht, der nicht langweilig ist; Langeweile ist das Gegenteil von Glück und Begeisterung.
Leistung, die herausfordert und beglückt, nicht aber verängstigt und lähmt.
Die Berücksichtigung der Individualität: Jedes Kind hat sein Lerntempo.
Von der Politik wäre wünschenswert:
Kinder brauchen anregende Umgebungen: Dickichte, Bäume, um sie zu erklettern, Pfützen, in denen geplanscht werden kann – solche Orte sind zu schützen und nicht in Asphalt umzuwandeln.
Politik halten die meisten Jugendlichen, teil schon Kinder, für wenig beglückend. Es sollten vermehrt Möglichkeiten geschaffen werden, dass sich auch Kinder in die Politik einbringen und diese erlernen können.
Auch in den Schulen ist in letzter Zeit viel gespart worden, oft bei solchen Freifächern, die Kinder besonders heiter stimmen, etwa im Sportbereich. Um das Wohlbefinden in der Schule zu erhöhen, sollte diese rückgängig gemacht werden.
Zwei abschließende Kinderstimmen[541]:
„Samstag nachmittag werde ich um 14.45 Uhr bei meinem Reitstall abgesetzt. Als erstes begrüße ich Freund/innen, dann informiere ich mich, welches Pferd ich reiten soll. Darauf folgt das Hufauskratzen. Die Reitstunde ist schon wieder viel zu schnell vergangen. Nach einer Reitstunde bin ich glücklich. Dieses Glück hält dann den ganzen restlichen Tag an.“
„Als ich noch klein war, wollte ich Rad fahren lernen. Mein Vater setzte mich auf mein Rad und ich fuhr los. Er hielt mich hinten. Bei einer Straße, die leicht bergab geht, ließ er mich los und ich fuhr nichtsahnend weiter. Plötzlich schrie mein Vater: ‚Du kannst es!' Erst jetzt merkte ich, dass ich alleine fuhr. Das war das glücklichste Erlebnis in meinem Leben.“
[530] [Smith 1998].
[531] [Grefe 1997].
[533] Ausführlicher und mit weiterführender Literatur: [Bucher 2001], S. 67–69. – Vgl. auch [Blothner 1993], S. 50–72.
[534] Ausführliche Darstellung bei: [Bucher 2001], S. 133–189.
[535] Ausführlicher: [Bucher 2001], S. 138–159.
[536] Glückswerte bei zehn Glücksbereichen, Punktwertspanne 1 (sehr traurig) bis 5 (sehr glücklich)
[537] [Grefe 1997], S. 21.
[538] [Gronemeyer 1991], S. 130
[539] [Lang 1993], bes. S. 107. – [Eder/Felhofer 1994].
[540] [Hellmann 1930], S. 13.
[541] [Bucher 2001].