In allen Kulturen gibt es in irgendeiner Form die Ahnenverehrung, den Totenkult. In den schriftlosen vor- und frühgeschichtlichen Epochen sind die Zeugnisse des Gräberkultes unsere Hauptquelle der Kenntnisse des Zusammenlebens der Menschen. Es gibt Forscher, die der Meinung sind, dass der in der Altsteinzeit vollzogene Prozess des Sesshaftwerdens seinen entscheidenden Grund in dem Totenkult habe, denn den nomadisierenden Sammlern und Jägern war es nicht möglich, ihre Toten ständig mit sich zu führen, deshalb wählten sie die sesshafte Lebensweise, um die Toten dauernd bei sich haben zu können. So unterschiedlich auch der Ahnenkult sein mochte – eines ist ihm in all diesen Kulturen gemeinsam: der Glaube an ein persönliches Weiterleben nach dem Tod. Es blieb der Neuzeit vorbehalten, die These aufzustellen, dass es ein Leben nach dem Tode nicht gäbe und man sich deshalb allein mit der irdischen Wirklichkeit auseinanderzusetzen habe. Kaum einer hat dies so pointiert formuliert wie Bert Brecht:
„Lasst euch nicht verführen zu Fron und Ausgezehr
Ihr sterbt mit allen Tieren und es kommt nichts nachher.“
Wenden wir uns nun dem christlichen Totenkult zu. Auch dieser hat in den 2000 Jahren der Christentumsgeschichte große Wandlungen erlebt. Als das Christentum in diese Welt eintrat hatte es eine bis in das Letzte durchregulierte Form der Ahnenverehrung im griechisch-römischen Kulturkreis vorgefunden. Aus dem Judentum begleitete die jungen Christengemeinden eine solche Erfahrung nicht, denn dem Judentum war ein Gräberkult fremd. Es verbot zwar strikt jede Form der Feuerbestattung, aber der Besuch von Gräbern war in Israel nicht üblich (von vielen großen Gestalten der alttestamentlichen Geschichte war der Ort ihrer Grablegung nicht einmal bekannt, so z. B. bei Mose).
All das war in der heidnischen Antike völlig anders. Da es keinen gemeinsamen Ort der Begräbnisstätte gab (unser heutiger Friedhof war unbekannt!), so oblag es der Sippe, ihre Toten auf dem eigenen Grund würdig zu bestatten. Dies konnte an einem nahe dem Wohnort gelegenen Grundstück geschehen oder entlang der Straße. Dass man sich dort zu kultischen Mahlzeiten versammelte, um den Toten Anteil zu geben an dem Wohlstand der noch Lebenden, war durchaus üblich. Auch das Mitgeben von Lebensmitteln in das Grab bzw. von Schmuck und Waffen ist allerorten bezeugt. Die Vorstellung war, dass der Tote bei der gefahrvollen Reise in das Jenseits dieser Dinge bedürfe. Im römischen Kulturkreis war das Ende eines Jahres (das sind die Tage vom 13.–22. Februar) der besonders intensiven Gedächtniskultur der Verstorbenen gewidmet. Das nur im Kalender der römisch-katholischen Kirche erscheinende Fest der „Cathedra Petri“ am 22. Februar erinnert noch daran. Dieses heute „Petri-Stuhlfeier“ genannte Fest wird bei uns gefeiert, um daran zu erinnern, dass der heilige Petrus der erste Bischof von Rom war. Die Bezeichnung kommt aber in Wirklichkeit von dem beim Totenmahl für den Verstorbenen bereitgestellten Stuhl. Auch die Christen versammelten sich, um die Feier der Eucharistie an den Orten der Beisetzung ihrer verstorbenen Angehörigen zu begehen. Wir haben in den römischen Katakomben zahlreiche Belege für diese Praxis. Auch der Besuch als heilig verehrter Menschen und deren Gräber werden durch zahllose Weihegaben oder Inschriften an Ort und Stelle bezeugt. Umso überraschender ist es feststellen zu müssen, dass die ältesten uns bekannten Gebete der heiligen Messe kein Totengedenken kennen. Weder in der so genannten „Didache“ (um 110 n. Chr.) noch in der „Ordnung des Hippolythus“ (um 230 n. Chr.) ist eine solche zu finden. Das Christentum war eben in dieser Welt als Ankündigung angetreten, dass Gottes Reich im Kommen sei und dieses Horchen und Gehorchen auf die neuen Baugesetze dieses Gottesreiches habe nur diese Welt im Blickpunkt sein lassen. Der Glaube, dass der dreifaltige Gott in seinem einzig geborenen Sohn Jesus diese Welt heil macht bis ans Ende der Zeiten hat den Blick auf das Einzelschicksal nach dem Tod aus den Augen schwinden lassen. „Gott will diese Erde“, das ist der aus dem jüdischen Erbe mitgenommene Anspruch des jungen Christentums. Jesus Christus ist sicher nicht Mensch geworden, um uns darüber zu belehren, dass wir für Verstorbene beten sollen. „Lasst die Toten ihre Toten begraben – du aber komm und folge mir nach“ (Mt 8,22). Die Zielrichtung der Verkündigung des jungen Christentums ist also eindeutig eine nach vorwärts gerichtete.
Wenn im Christentum Totenkult eine Rolle spielt, dann also auf ganz anderer Basis. Diese ist – wie könnte es anders sein – die Kernbotschaft des Ostergeheimnisses, dass Gott seinen einzig geborenen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus, nicht in der Einsamkeit des Todes gelassen, sondern ihn zu neuem Leben erweckt habe. Die Auferstehung Christi also ist die Grundvoraussetzung unseres Totenkultes. Ganz klar sagt dies Paulus in seinem 1. Brief an die Korinther (15,12–34):
„Wenn verkündigt wird, dass Christus von den Toten auferweckt worden ist, wie können dann einige von euch sagen: Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht, wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden, ist aber Christus nicht auferweckt worden, ist auch unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“
Und weiters schreibt Paulus (15,35–38):
„Es könnte einer fragen, wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Welch törichte Frage! Auch das was du säst wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt und was du säst hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird, es ist nur ein nacktes Samenkorn, z. B. ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat, jedem Samen eine andere. Auch Lebewesen haben nicht alle die gleiche Gestalt.“ „Wenn sich aber dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Gott sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus unseren Herrn“ (15,54–57).
Das also ist die Voraussetzung für unseren Glauben an das Fortleben nach dem Tod. Der Totentanz ist niemals Verkündigung des Glaubens, sondern nur Feststellung unserer Sterblichkeit. Es ist keine Automatik, die den Verstorbenen in zwei Teile zerfallen lässt: Der vergängliche Leib fällt in das Grab und die Seele, die geistgewirkte, schwebt zum Himmel. Christliche Botschaft ist, dass der unteilbar ganze Mensch auch mit seinem verwandelten Leibe so wie Jesus fortleben wird, dies deshalb, weil der getaufte Christ ein neuer Mensch geworden ist von dem Paulus im Galaterbrief sagt (6,2): „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Der für mich am Kreuz gehangen ist, lebt also jetzt als Auferstandener in mir. Damit ist Leben vor dem Tod und Leben nach dem Tod grundsätzlich nicht mehr zu unterscheiden. Es hat eine völlig andere Basis, aber es ist uns im Tod nichts Neues mehr geschenkt, es wird nur verwandelt.
Woher kommt dann der in unserem Volk so stark verankerte Armen-Seelen-Kult? Er kommt von der nach der Jahrtausendwende in Irland geprägten starken Lehre vom Fegefeuer. Dieser Reinigungsort, wo der Mensch, der seine Herrlichkeit des Himmels noch nicht voll erreicht hat, eine Zeit der Buße zuzubringen hat, ist in anderen Denominationen des Christentums (z. B. in den Kirchen des Ostens und den Kirchen der Reformation) gänzlich unbekannt.
Heute ist der christliche Totengedenktag im Laufe des Kirchenjahres der 1. November – wohl deshalb, weil das keltische Jahr an diesem Tag seinen Beginn hatte (und nicht am 1. März wie das römische). Nach keltischer Überzeugung ist dann, wenn das alte Jahr zu Ende geht und das neue beginnt der einzige Moment gegeben, wo man einen Blick, einen Spalt nur in den Himmel machen kann. Deshalb hat die Kirche des Westens das Fest des Gedenkens aller ihrer Heiligen auf dieses Datum gelegt; dieses selbst war längst vor dem Christentum schon tief verankert im Bewusstsein des Volkes. Erst im 11. Jahrhundert hat man aus diesen irisch-keltischen Vorstellungen noch das Fest von Allerseelen am 2. November hinzugefügt, weil man erkannt hat, dass diese vorchristlichen Vorstellungen des Totenkultes nicht anders zu kanalisieren gewesen wären.
Es ist ein langer Prozess vorausgegangen, der wie oben dargelegt, die Eckpunkte markiert, wie es denn dazu kam, dass nun um ein geweihtes Gotteshaus herum ein eigener eingefriedeter Platz für die Toten entstehen konnte. Diese Entwicklung setzt voraus, dass der ganze Mensch zur Herrlichkeit Gottes berufen sei und deshalb auch dem toten Leib des Christen eine besondere würdige Behandlung zusteht. Wo immer es möglich war, hat man diese Friedhöfe um die Kirche herum angelegt. Je näher die Bestattung zur Kirchenmauer hin war, desto begehrter waren diese Gräber. Eigene Grabmonumente jedoch gab es nicht. Auch ein Familiengrab in unserem heutigen Sinn war unbekannt. Der Tote war am geweihten „Gottesacker“ bestattet – und das genügte. Besondere Denkmäler des Totenkultes konnte sich nur der Adel oder der hohe Klerus leisten. Für Bürger und Bauern kamen solche Bräuche erst im 16. Jahrhundert in Übung. Auch das Begrabenwerden im Gotteshaus selbst stand nur den Stiftern oder dem Klerus zu. Dabei war die Ostung des Leichnams grundverschieden. Der Nicht-Kleriker wurde mit dem Kopf so bestattet, dass er nach Osten blickte, Christus dem aufgehenden Licht des jüngsten Tages gleichsam entgegensehend; die Kleriker jedoch genau umgekehrt, weil sie in der Haltung wie sie bei der Messe das Volk begrüßten (die so genannte „Dominus-vobiscum-Stellung“) zum Volk gewendet waren, also nach Westen blickten.
Wie auf allen Gebieten katholischen Glaubenslebens hat auch im Totenkult das Konzil von Trient (1545–1563) tief greifende Veränderungen gebracht. Besonders die drei letzten Sitzungen (XXIII–XXV. Sitzung) im Jahre 1563 brachten entscheidende Neuerungen. So wurde der Ritus der Bestattung des Toten neu geregelt; vor allem aber die Obsorge für den Schwerkranken dem Pfarrer zur Pflicht gemacht. Die Form der Spendung der „Sterbesakramente“ blieb bis 1969 im Wesentlichen so, wie diese Papst Pius V. gleich nach Beendigung der Kirchenversammlung von Trient bestimmt hat: Beichte, Empfang der „Wegzehrung“ und „Letzte Ölung“ hießen die drei Sakramente. Alle Voraussetzungen dazu (Neuordnung der liturgischen Bücher, silber-vergoldete Gefäße für die heiligen Öle und die Heilige Hostie) wurden der Obsorge der Bischöfe anvertraut. Diese beriefen Provinzial- bzw. Diözesansynoden ein, wo die entsprechenden Beschlüsse gefasst wurden. Da auch die Begleitung des Toten im Begräbnis mit besonderen Ablässen ausgestattet wurde, nahm die Beteiligung an den Totenfeiern erheblich zu.
Die ältesten Nachrichten, die wir diesbezüglich haben, stammen aus den Visitationsberichten von 1612–1614, die Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems in seiner Diözese durchführen ließ. Das Bild, das uns dort entgegentritt, ist ein sehr nüchternes. Nicht überall waren beim Begräbnis Priester zugegen, vielfach besorgten das erfahrene Männer der Gemeinde selbst. Auch dass zahlreiche Begräbnisteilnehmer zugegen gewesen wären, ist nicht nachweisbar. Es wäre ja schon die Verständigung der verstreuten Verwandtschaft kaum zu machen gewesen. Der Leichnam wird in die Grube gelassen – eine reine technische Notwendigkeit. Der Mensch der späten Renaissance ist beleidigt darüber, dass er sterben muss, er fühlt sich in seinem Stolz gekränkt. Kaum etwas bringt dies in Salzburg so deutlich zum Ausdruck wie das Grabmonument, das sich Erzbischof Wolf-Dietrich († 1617) errichten hat lassen. Es ist die Gabrielskapelle im Friedhof zu St. Sebastian. Ausgekachelt wie ein Badezimmer steht der Innenraum ganz im Gegensatz zu jeder Düsternis des Todes. Diese wird verleugnet und bewusst verdrängt.
Aus der katholischen Lehre des Fegefeuers ergeben sich nun die wichtigsten Gestaltungselemente für den christlichen Totenkult. Niemals hat die Kirche gestattet, dass Christen ihren verstorbenen Angehörigen Grabbeigaben mitgeben. Wenn in den Gräbern von Christen Gegenstände gefunden wurden, so waren dies Erkennungszeichen ihres Glaubens (Medaillen mit dem Christusmonogramm XP, auch auf die Augenhöhlen hat man bisweilen Goldstücke mit Christusmonogrammen gelegt). Später dann wurden dem Toten auch ein Rosenkranz mitgegeben oder Medaillen von Gnadenorten. Personen geistlichen Standes erhielten die Abzeichen ihrer Würde mit in das Grab.
Wenn nun das Gedächtnis an die Verstorbenen in der christlichen Gemeinde lebendig geblieben ist, so hat dies zwei Wurzeln:
Das Gebet für Verstorbene
Das Opfer für die Verstorbenen
1. Dreht es sich bei Totenfeiern in den Kirchen der Reformation vor allem darum, den hinterbliebenen Angehörigen Trost und Hoffnung zu geben, so kommt im katholischen Glauben ein wesentlicher Faktor dazu: Der katholische Glaube lehrt, dass es den auf Erden lebenden Christen möglich ist, durch Gebet und durch andere gute Werke den noch nicht zur vollen Herrlichkeit der Anschauung Gottes gelangten Schwestern und Brüdern, die noch in dem Ort der Reinigung (Purgatorium) verharren, zu Hilfe zu kommen. Diese Überzeugung beruht auf der biblischen Lehre vom geheimnisvollen Leib Christi, dass alle Getauften zu ein und demselben Organismus gehören, dessen Haupt der erhöhte Jesus selbst ist (Eph 4,15). Der eine Leib und die vielen Glieder sind aufeinander verwiesen und können miteinander leiden, aber auch Gutes tun, einander beistehen und helfen. Die volkstümlichen Bilder vom Feuer, wie wir sie auf zahlreichen Armen-Seelen-Darstellungen kennen, sind wohl heute nicht mehr hilfreich (vgl. 1 Kor 3,15). Das Gebet des einzelnen Christen, aber auch der gesamten Kirche endet also nicht in dieser sichtbaren Welt, sondern weiß sich mit den Menschen, die jenseits von Raum und Zeit leben, verbunden.
2. Dies tut sie natürlich dann ganz besonders, wenn sie aus der „memoria“, dem Gedächtnis an den Tod und die Auferstehung Jesu, lebt. Dies geschieht in jeder heiligen Messe. Das, was ein einziges Mal der erhöhte Herr am Kreuz ein für allemal genügend für die ganze Welt getan hat, nämlich sie von der Herrschaft des Bösen und des Unheils zu erlösen, wird nun so jedem einzelnen Menschen besonders zugewendet. Das ist der Grund, warum wir für Verstorbene auch die heilige Messe feiern. Dies ist natürlich kein Automatismus, sondern jedes Mal eine Bitte, deren Erfüllung wir dem allbarmherzigen Gott anheim stellen.
In diesem Zusammenhang muss auch vom Ablass die Rede sein. Im Laufe ihrer langen Geschichte hat die katholische Kirche ganz bestimmte Formen des Gebetes (z. B. den Rosenkranz) als für Verstorbene besonders wirkmächtig bezeichnet, dies besonders dann, wenn sie an bestimmten Tagen verrichtet werden (z. B. beim Totengedenken am 2. November, dem Feste Allerseelen). Das Wort Ablass meint, dass durch dieses Gebet der Christen hier auf der Erde, den im Jenseits im Wartezustand lebenden Verstorbenen nun Teile ihrer Sündenstrafen (niemals die Sünden selbst!) nachgelassen werden.
Der Gottesdienst für Verstorbene, sei es am Begräbnis selbst oder am Jahrestag, hat einen besonderen Namen: das „Requiem“. Dieser Name kommt von den Anfangsworten des Eingangsliedes mit dem der Priester (oder der Chor) die Gedächtnismesse beginnt: „Requiem aeternam dona eis Domine ... – Die ewige Ruhe schenke Ihnen Herr…“ (4 Esra 2,34–35).
Neben dem fürbittenden Gebet und dem Seelengottesdienst gehört zweifelsfrei zum christlichen Totenkult noch ein Ritus mit symbolträchtigen Handlungen:
Der Gebrauch des Wassers zu kultischen Handlungen ist längst vor dem Christentum in vielen Kulturen belegbar. „Glückbringendes Mysterium unseres Wassers“ –, so beginnt der Kirchenvater Tertullian seine Schrift über die Taufe. Die Taufe ist zweifellos das Grundmysterium des Christentums, die die eigentliche Teilnahme am göttlichen Leben des gestorbenen und auferstandenen Christus ermöglicht. Gewiss gibt es in zahllosen antiken Kulten Waschungsriten. Der aus Ägypten kommende Isismythos kannte ein heiligendes Taufbad genauso wie die Mysterien des Mithras und Dionysos. Natürlich gehört auch die Taufe, die Johannes im Jordan gespendet hat, zu solchen Abwaschungsriten. Aber auch bei den Kelten gab es die so genannten Libationsopfer, da man Wasser in ein Heiligtum vergoss, um Reinigung zu erzielen (man erinnere nur an den noch bis in das 17. Jahrhundert geübten Brauch, beim so genannten „Alten Wilhelm“ am Seewaldsee in St. Koloman). Im östlichen und im westlichen Christentum ist deshalb das Wasser in der Kirche stets als Reinigungszeichen verwendet worden. Ich soll mich beim Betreten des Gotteshauses am Sonntag mit dem Wasser bekreuzigen und daran denken, dass ich getauft bin. Wenn nun auch beim Begräbnis Weihwasser auf den Sarg gesprengt wird, so meint dies dasselbe: Auch dem schon über die Schwelle von Zeit und Ewigkeit Getretenen möge dieses Wasser Reinigung erwirken.
In vielfacher Beziehung und Bedeutung wird der aus dem Orient kommende Stoff (es handelt sich um ein Harz) eingesetzt. Einmal zum Zeichen der Verehrung von heiligen Dingen, aber auch von Menschen, die wegen ihrer Würde als Kind Gottes und als Diener des Heiligtums, Verehrung verdienen. Der Wohlgeruch des Weihrauchs ist jedoch beim Begräbnis von einer anderen Bedeutung: er soll im Haus des Toten, aber auch am Grab alles Böse, Dämonische und Widergöttliche fernhalten. Die bösen Geister mögen keinen Zutritt zum Grab erhalten. Man dachte sich den Zustand des „Ab-sterbens“ als einen längeren Prozess –, eine Vorstellung, die auch heute großen Widerhall findet.
Aus vielerlei Gründen mag es heute kaum noch durchführbar erscheinen, den Toten im Sterbehaus aufzubahren. Dies geschieht nunmehr im geschlossenen Sarg im Aussegnungsraum, der sich zumeist am Friedhof befindet. Allerorten jedoch ist noch üblich, die Toten zwischen Kerzen aufzubahren. Wurde früher bei der Hausaufbahrung neben dem Sarg die Taufkerze des Verstorbenen entzündet, so sind es heute zumeist elektrische Lichter, allein wegen der Brandgefahr. Die Symbolik der Kerze ist hier klar: Die Herrlichkeit des göttlichen Lichtes, die er jetzt schon (oder wenigstens in Kürze) erblicken mag, ist gemeint. Das Licht ist nicht dazu da, um auf einer gefahrvollen Reise (das sind die alten vorchristlichen Vorstellungen) den Toten Leuchte zu sein. Das ewige Licht, das dem Verstorbenen leuchten möge, ist die Anschauung des lebendigen dreifaltigen Gottes. „Gott ist Licht und Finsternis ist nicht in ihm“, so heißt es im 1. Johannesbrief (1,5).
Wenn es in manchen Gemeinden üblich ist, den Toten zur Liturgie in die Kirche zu tragen und anschließend erst zur geweihten Erde zu bestatten, so gibt es doch (in ländlichen Gemeinden) den Brauch, bei der Gabenbereitung, wenn möglich, den Altar zu umschreiten und an bestimmten Stellen eine Opfergabe zu hinterlegen. Diese Vorstellung kommt aus dem germanischen Recht: der Tote soll noch einmal mit allen konfrontiert werden (Aug in Aug).