„Der Bürger – um es vorweg zu sagen – ist ein Charakter von doppelseitiger Natur.“[723] Wilhelm Heinrich Riehl (1851)
Wilhelm Heinrich Riehl vermittelt in seinem viel gelesenem Frühwerk „Die bürgerliche Gesellschaft“ einen plastischen Eindruck von der Pluralität bürgerlicher Sozialformationen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Während „Bürger von guter Art“ ihre Bestimmung im „Wetten und Jagen nach Erfindung, Vervollkommnung, Verbesserung“ fänden, seien weite Teile vor allem des kleinstädtischen Handwerks und Kleinhandels zum prinzipienlosen, räsonnierenden „Philistertum“ herabgesunken. „Beamtenstand“, „Gelehrtenstand“ und „Soldatenstand“ betrachtete Riehl hingegen als „falsche Stände“, die sich einer sozialen Zuordnung auf herkömmlicher ständischer Grundlage entziehen würden.
Was den konservativen Kulturhistoriker und Publizisten im zeitgenössischen Kontext als die „zwiespältige Natur des Bürgertums“[724] befremdete, also die Gemengelage heterogener „bürgerlicher“ Gruppierungen in einer Phase des permanenten sozialen Wandels, ist seit geraumer Zeit Gegenstand der historischen Bürgertumsforschung. Zunächst war es vor allem die deutsche Bürgertumsforschung, von der seit den 1980er-Jahre maßgebliche Impulse zur Analyse des so genannten „Übergangs von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft“ ausgingen, ohne dass es aber zu einem Konsens in der Bewertung der im Verlauf dieses Transformationsprozesses sich herausbildenden Erscheinungsformen bürgerlicher Existenz gekommen wäre.[725] Ein Hauptproblem moderner Bürgertumsforschung ist ohne Zweifel die Heterogenität des Forschungsgegenstandes. Sozialgeschichte des Bürgertums hat es „mit einem nur schwer abgrenzbaren, vielgestaltigen und über die Zeit sich wandelnden Gegenstand zu tun“.[726]Klaus Tenfelde hat der Bürgertumsforschung zum 19. Jahrhundert angesichts „der so dünn bestimmbaren jeweiligen Kohärenz eines oft dann chimärischen Gesamtbürgertums“ daher angeraten, „besser von Mittelschichten (oder Mittelklassen) auszugehen, die sich hin zur Vielgestalt wandelten und die auch von ihren Gegnern, von denen sie sich weitgehend emanzipiert hatten oder scharf unterschieden hielten, mitgeprägt worden sind.“[727]
Der zu Beginn der Bürgertumsdebatte von Jürgen Kocka vorgegebene „strategische Rückzug“ auf einen kulturalistischen Bürgerbegriff („Kein Stand, keine Klasse − eine Kultur?“[728]) erwies sich insofern als erfolgreich, als es damit möglich war, die strukturdominanten wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Eliten als „Bürgertum“ im Sinne einer analytischen Kategorie historisch konkret fassbar zu machen. Unterbelichtet blieb in diesem Zusammenhang jedoch die „Realität vielfacher sozialer und kultureller Übergänge zwischen ‚großen und kleinen‘ Bürgern“.[729] Der Trend in der Bürgertumsforschung wies deshalb bereits in den frühen 1990er-Jahren tendenziell wieder weg vom Zugriff über „bestimmte (bildungs-)bürgerliche Berufe oder Professionen“[730] bzw. bürgerliche Normen und kulturelle Verhaltensformen hin zur empirischen Analyse sozialer Prozesse vor allem auf der Ebene der Stadt, die nunmehr als zentrales Handlungsfeld des Bürgertums stärker in den Vordergrund trat.
Die neuere Bürgertumsforschung kennzeichnet zum einen eine beeindruckende Breite des empirischen Zugriffs, zum anderen eine deutliche Zurückhaltung gegenüber umfassenden Begriffsbildungen. „Wer dazugehört und was das Bürgertum zusammenhält, konnte bisher nicht auf einen Begriff gebracht werden“.[731] Auch Albert Tanners umfassende Studie über das Schweizer Bürgertum vermeidet eine empirisch einengende Kategorienbildung, obwohl das Bürgertum gerade in der Schweiz des 19. Jahrhunderts der Konstituierung einer modernen Klasse näher gewesen ist als sonst in irgendeinem europäischen Land. Für Tanner ist im Grunde weniger klar, „wer dazu gehört als vielmehr wer sicher nicht, nicht mehr oder noch nicht dazu zählt, nämlich der Adel, die Bauern, die Arbeiter und, bereits nicht mehr so eindeutig, die Angestellten. Übrig bleiben die wirtschaftlich Selbständigen in Handwerk und Gewerbe, Industrie und Handel, die Angehörigen freier Berufe, die Kapitalrentner sowie die wirtschaftlich unselbständigen höheren Beamten.“[732]
Es stellt sich daher zunächst die Frage, wie es ausgerechnet im Fall der national fragmentierten, sozial inhomogenen sowie durch ein regional unausgewogenes Entwicklungsniveau geprägten Gesellschaft der Habsburgermonarchie möglich sein sollte, eine begriffliche Festlegung zu vollziehen, wenn sie nicht einmal für die „bürgerliche“ Schweiz sinnvoll erscheint. Eine definitive Antwort ist angesichts des derzeitigen Forschungsstandes zwar noch nicht möglich. Immerhin brachte ein Jahrzehnt intensiver Bürgertumsforschung in Österreich und auch den übrigen Nachfolgestaaten wesentliche Fortschritte in der Systematisierung einzelner Problemfelder sowie Ansätze zur vergleichenden Darstellung bürgerlicher Formationen in der Habsburgermonarchie.[733]
Die bereits zahlreich vorliegenden regionalen und schichtenspezifischen Fallstudien zeigen, dass der Übergang vom „alten“ zum „neuen“ Bürgertum zumindest in den − hier vorrangig behandelten − wirtschaftlich fortgeschrittenen westlichen Gebieten der Habsburgermonarchie unter ähnlichen Rahmenbedingungen wie in Deutschland und darüber hinaus auch „unter der Flagge eines ‚deutschen‘ Bürgertums“[734] erfolgte. Fragen der Nationalität spielten bei der Herausbildung neuer bürgerlicher Schichten offensichtlich erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle, und auch dann primär im Kontext allgemeiner ökonomischer Veränderungen. Manches spricht dafür, dass sich die „neue jeweils sprachnationale Bourgeoisie“ überwiegend „aus dem sogenannten ‚deutschen‘ Bürgertum“ herausentwickelte.[735] Auch für Ungarn wurde die These von einer „Verbürgerlichung nach deutschem Vorbild“ aufgestellt, „insofern ungarische gesellschaftliche Gruppen den aus deutschen Gebieten stammenden oder zwar im Ausland entstandenen, aber durch deutschen Sprachgebrauch vermittelten Mustern folgten und sich ihnen anpassten.“[736]
Neuere Untersuchungen tendieren dazu, die Unschärfe des Bürgertumsbegriffs durch einen handlungstheoretischen Klassenbegriff zu umgehen, der „Bürgertum“ primär als Lebenswelt versteht. Als Untersuchungsgegenstand der Bürgertumsforschung bieten sich folglich jene auch als Milieus zu umschreibenden politisch, sozial und kulturell normierten Lebenswelten an, welche sich im Bürgertum des 19. Jahrhunderts vornehmlich auf regionaler und lokaler Ebene ausprägten.[737] Geht man auf die lebensweltliche Ebene bürgerlicher Milieus, dann stößt man auch in der Habsburgermonarchie auf eine erstaunliche Variationsbreite an Verlaufsformen einer Herausbildung bürgerlicher Schichten (Milieus, Sozialformationen). Auf Grundlage bisheriger Untersuchungen zeichnen sich − Ungarn und Galizien ausgeklammert − immerhin einige Grundzüge der strukturellen Entwicklung ab:
Der Übergang zwischen Stadt und Land war fließend. Die Realität bürgerlicher Existenz in der Habsburgermonarchie wurde über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg durch das Nebeneinander von „Großstadtbürgertum“ und landnahem „Provinzbürgertum“ geprägt. Zwar nahm die Universalisierung des bürgerlichen Lebensentwurfs ihren Ausgang in den sich dynamisch entwickelnden urbanen Zentren. Das Bürgertum der von relativer Rückständigkeit geprägten Kleinstädte und Märkte sowie das bürgerliche „Zwischenmilieu“ in kleinen zentralörtlichen Siedlungen[738] erfüllte im Rahmen des säkularen Verbürgerlichungsprozesses dennoch zwei wesentliche Funktionen: Einerseits waren Angehörige dieser Schicht nicht selten Agenten des „Fortschritts“, die moderner bürgerlicher Lebensweise und strukturellen Innovationen auch in der Provinz zum Durchbruch verhalfen; andererseits bildete das kleinstädtische Bürgertum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein wichtiges Rekrutierungspotential für das großstädtische Bildungsbürgertum, aber auch für das k. u. k. Offizierskorps sowie die k. u. k. Bürokratie.[739]
Mobilität im Sinne von sozialem Aufstieg war in der Regel ein generationenübergreifender Prozess. Unternehmerische oder auch bildungsbürgerliche Karrieren setzten meist nicht ganz unten ein, sondern wurden bereits durch den sozialen Aufstieg der vorhergehenden Generation(en) vorbereitet. Insgesamt lassen sich die komplexen Mobilitätsströme innerhalb des Verbürgerlichungsprozesses auf der Basis des bisherigen Forschungsstandes allerdings nur ansatzweise nachvollziehen. Quantitative Untersuchungen zur sozialen Mobilität belegen jedenfalls für den deutschen Bereich auch für bürgerliche Gruppierungen ein konstant hohes Abstiegsrisiko, auch wenn „die relativen Wettbewerbschancen der Mittel- und Oberschicht zum Klassenerhalt“ insgesamt als „rund vier mal größer als die relativen Aufstiegschancen aus der Arbeiterschaft“ veranschlagt werden.[740] Auch für die Habsburgermonarchie muss letztlich − insbesondere für die kleingewerbliche Schicht am unteren Rande des Bürgertums − von einer konstant hohen Abstiegsmobilität ausgegangen werden.
Während ein wesentlicher Teil des Gewerbestandes mit der Ausweitung des Industriekapitalismus seine selbständige gewerbliche und damit auch seine „bürgerliche“ Existenz in Frage gestellt sah, brachte der gesamtökonomische Strukturwandel für innovative und anpassungsfähige Gewerbezweige eine beträchtliche Erweiterung des wirtschaftlichen Handlungsspielraums. Wie Untersuchungen für Böhmen und für österreichische Kleinstädte zeigen, wandelte sich die gewerbliche Struktur nicht unmittelbar nach der Liberalisierung der Gewerbeordnung, sondern erst im Gefolge der durch die forcierte Industrialisierung in den 1880er-Jahren ausgelösten dynamischen Urbanisierung. Bevölkerungswachstum und ein allgemeiner Anstieg des Massenkonsums ließen eine „gewerbliche Oberschicht“ entstehen, zu der vor allem die Lebensmittel- und Baugewerbe sowie vor allem die auf Dienstleistung hin orientierten Gewerbe zählten. Dieses wirtschaftlich erfolgreiche, und daher selbstbewusste gewerbliche Bürgertum, errang während der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in den Gemeindevertretungen nicht selten einen Einfluss, wie er dem alten Handwerkerstand innerhalb der alten stadtbürgerlichen Honoratiorengesellschaft zumeist versagt geblieben war.[741]
Der Gegensatz von „altem“ und „neuem“ Bürgertum, also von traditionellem Stadtbürgertum und neuer Leistungselite, prägte die stadtbürgerliche Gesellschaft in verschiedenen Ausformungen bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Zumindest fünf Szenarien der Entwicklung lassen sich aufgrund von regionalen Fallstudien nachweisen:
Altes Stadtbürgertum und zugewanderte Bürger wuchsen im Sinne wirtschaftsliberaler Vorstellungen allmählich zu einer neuen bürgerlichen Einheit zusammen.
Neue, teils zugewanderte wirtschaftsbürgerliche Schichten verdrängten das alte Stadtbürgertum.
Die alte stadtbürgerliche Elite und ein neues Wirtschaftsbürgertum existierten über einen längeren Zeitraum nebeneinander, ohne dass die Wirtschaftsbürger eine soziale und politische Integration in die traditionelle städtische Führungsschicht erreichten.
Die alte stadtbürgerliche Elite (etwa der Handelsstand) und ein neues Bildungsbürgertum fanden − vor allem über das Vereinswesen − zu einer kulturellen und politischen Einheit, die sich allerdings nach „unten“ gegenüber dem gewerblichen Bürgertum deutlich abgrenzte[742].
Das kleinstädtische Modell: die verschiedenen stadtbürgerlichen Gruppierungen befanden sich in einer starken sozialen und funktionalen Verflechtung, die sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als eine wirksame Barriere gegenüber einer Fragmentierung der städtischen Gesellschaft erweisen sollte.
Die Szenarienvielfalt bürgerlicher Existenz im „langen“ 19. Jahrhundert erschwert zwar die Konstruktion allgemeiner Entwicklungsmodelle, macht jedoch die Suche nach Indikatoren einer gesamtbürgerlichen Realität nicht überflüssig. Billigt man statistischen Richtwerten ein bestimmtes, wenn auch eingeschränktes Maß an Aussagekraft zu, dann bieten die Ergebnisse der amtlichen Volkszählungen immerhin die Möglichkeit, sich dem Phänomen der bürgerlichen Gesellschaft auf quantitativer Grundlage versuchsweise anzunähern und gewisse Rückschlüsse auf die Stärke „bürgerlicher“ Schichten innerhalb der österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie zu ziehen.
Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl veranschlagten auf der Grundlage zeitgenössischer Berechnungen den bürgerlichen Gesellschaftsanteil an der Gesamtbevölkerung der Habsburgermonarchie für 1857, also unter Einbeziehung der hoch entwickelten oberitalienischen Gebiete, auf etwa 3 Millionen Menschen oder 7,5 Prozent.[743] Unmittelbare Vergleichswerte für die späte Habsburgermonarchie existieren leider nicht. Extrahiert man aus den Angaben der österreichischen Berufszählung von 1910 alle mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bürgerlichen Berufsgruppen, so gelangt man auf einen Anteil potentiell „bürgerlicher“ Schichten unter den Berufstätigen von 13,8 Prozent (siehe Tabelle 1 im Anhang) beziehungsweise mit Einschluss der Angehörigen von 17,7 Prozent (siehe Tabelle 2 im Anhang). Da Hans-Ulrich Wehler für das wirtschaftlich beträchtlich höher entwickelte Deutsche Reich (1913) von einem Anteil bürgerlicher Schichten von max. 15 Prozent ausgeht (siehe Tabelle 3 im Anhang), sollte der reale Vergleichswert für die österreichische Reichshälfte jedenfalls um einige Prozentpunkte niedriger angesetzt werden.
Probleme bereitet vor allem die soziale Zuordnung der Selbständigen in den Sektoren Industrie und Gewerbe sowie Handel und Verkehr, die insgesamt über 70 Prozent (siehe Tabelle 4 und 5 im Anhang) der potentiell „bürgerlichen“ Schichten ausmachen. Bruckmüller und Stekl veranschlagen auf der Grundlage der Erhebungen für die Sozialversicherungsvorlage von 1904 den Anteil der bürgerlichen an den nichtlandwirtschaftlichen Selbständigen auf 3,4 bis höchstens 7,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.[744] Nun steht einerseits fest, dass das Kriterium der Selbständigkeit nicht zur Ziehung einer exakten Trennlinie zwischen dem Kleinbürgertum der kleinen Selbständigen und proletaroiden Existenzen fern jeder bürgerlichen Lebensform taugt. Bezieht man andererseits aber gedanklich die kleingewerbliche Klientel der Christlichsozialen, das Kleinbürgertum der kleinen Städte und Märkte und auch die aufstrebenden Mittelschichten der nichtdeutschen Nationalitäten in die Kategorie der bürgerlich Selbständigen mit ein, dann lässt sich eine etwas großzügigere Zuordnung rechtfertigen.
Fest steht, dass weiten Teilen des Handwerks trotz aller Krisenerscheinungen die Integration in das Bürgertum gelungen ist. Robert Luft zeigt in seinen Arbeiten über Handwerk und Kleingewerbe in Böhmen,[745] dass „moderne“ bürgerliche Eigenschaften wie Flexibilität, individuelle Aktivität und unternehmerisches Engagement auch den aus dem zünftischen Handwerk herauswachsenden Kleinunternehmern zu eigen waren. Wie das böhmische Beispiel zeigt, konnte sich der gewandelte handwerkliche Kleinbetrieb insgesamt behaupten, zum Teil leistete er sogar einen innovativen und unverzichtbaren komplementären Beitrag zur Ausbildung der modernen Industriegesellschaft.
Zwar ist der Übergang vom stadtbürgerlichen Handwerker der ständischen Zeit zum wirtschaftlich tätigen Mittelschicht-Bürger der modernen Gesellschaft erst in Umrissen erfassbar. Lufts Untersuchungen zeigen jedoch, dass handwerkliche Kleinunternehmer tschechischer Nationalität um 1900 „ein wirtschaftlich modernisiertes, ideologisch und mental konservativ-beharrendes, politisch nach Veränderung strebendes, progressives und sozial mittleres Bürgertum“ repräsentierten, „dessen Verbindungen zum altständischen Stadtbürgertum in erster Linie die kleinbetriebliche Wirtschaftsform, städtischer Haus- und Grundbesitz sowie die damit verbundenen Mentalitäten bildeten.“[746] Die offenkundige Parallele zwischen dieser Schicht von Gewerbetreibenden beziehungsweise Kleinunternehmern in Böhmen und der christlichsozialen Klientel in Wien und auch anderen österreichischen Städten liegt auf der Hand. John W. Boyer sieht im Erfolg dieser „mittelständischen“ Bewegungen einen Beleg dafür, dass es für bürgerliche Protestbewegungen in Österreich möglich war, zugleich einen radikal emanzipatorischen und einen strikt konservativen Standpunkt einzunehmen und zwar innerhalb der allgemeinen Grenzen, die der liberale Rechtsstaat im späten 19. Jahrhundert vorgab.[747]
Die Parallelen im Entstehungsprozess bürgerlicher „Mittelschichten“ innerhalb der deutschen und der tschechischen Nationalität schlagen sich ansatzweise auch in der österreichischen Berufsstatistik von 1910 nieder.[748] Mit 18,7 Prozent lag der Anteil potentiell „bürgerlicher“ Schichten innerhalb der deutschen Berufstätigen zwar deutlich vor jenem der Tschechen (14,5 Prozent), vor denen freilich noch die Italiener (16,4 Prozent) lagen (siehe Tabelle 6 und 7 im Anhang). Verglichen mit Werten von 2,3 Prozent bei den Ruthenen und 8,9 bei den Slowenen, liegen Deutsche und Tschechen im Prozess der Herausbildung eines bürgerlichen Mittelstandes in der späten Habsburgermonarchie relativ nahe beieinander. Hinsichtlich ihres Angestellten- beziehungsweise Beamtenanteils weisen die Tschechen allerdings noch einen Rückstand auf.
Aus der Summe der sozialgeschichtlichen Untersuchungsfelder ergibt sich also ein Bild, das eher geprägt ist von der Vielfalt bürgerlicher Milieus in der Habsburgermonarchie als durch eine regionen- und epochenübergreifende gesamtbürgerliche Realität. Trotz der gebotenen Zurückhaltung bei der Erstellung historischer Verlaufsmodelle, sollte, wie der tschechische Historiker Otto Urban gefordert hat, „Bürgertumsforschung stets nur [als] Teil der Forschung über die sozialen Strukturen der Gesamtgesellschaft“ gesehen werden.[749] Unumgänglich ist daher auch der Blick auf das regionale wie auch überregionale politische System, in dem bürgerliche Interessenspolitik erfolgte und dessen Strukturen letztlich immer wieder als Beleg für die Stärke oder auch Schwäche des Bürgertums im Rahmen der Gesamtgesellschaft herangezogen werden.
Die Vorstellung von einem um 1800 in starre ständische Bezüge eingebetteten, vormodernen Stadtbürgertum entspricht nicht einmal für die Frühneuzeit der sozialen Realität. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert kennzeichnete die vermeintlich statische Ständegesellschaft „eine beachtliche Menge an vertikaler gesellschaftlicher Mobilität“.[751] Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten dann ausschließlich im ständischen Normensystem begründete Definitionen von „Bürger“ und „Bürgerstand“ ihre Erklärungskraft bereits soweit eingebüßt, dass etwa der Salzburger Topograf Lorenz Hübner 1796 zu einer – im Lichte der heutigen Bürgertumsdiskussion durchaus aktuell anmutenden – Ausweitung des Begriffes Zuflucht nahm:
„Der Bürgerstand wird eigentlich derjenige genannt, welcher das Bürgerrecht einer Stadt oder eines Marktes erhalten hat, bürgerliche Gewerbe treibt, und durch gewisse bürgerliche Freyheiten für die Bürden schadlos gehalten wird, die er zur Erhaltung der ganzen bürgerlichen Gesellschaft trägt. Uneigentlich zählet man alle Einwohner der Städte und Märkte zu dem Bürgerstande, welche keinen Feldbau treiben, und sich an Kleidung und Sitte von dem gemeinen Landmanne unterscheiden, ob sie gleich das Bürgerrecht nicht erhalten haben.“[752]
Auch im wirtschaftlich rückständigen geistlichen Fürstentum Salzburg, wo die ständische Gesellschaft in der letzten Phase des Ancien Régime noch intakt erscheint, existierten moderne und vormoderne Strukturmerkmale bereits nebeneinander. So war der Salzburger Handelsstand der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zweifellos eine ständische Elite im klassischen Sinn. Anders als etwa in den wirtschaftlich fortgeschrittenen rheinisch-moselländischen geistlichen Residenzstädten, in deren kommunaler Verwaltung sich bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts der Übergang von der alten Honoratiorenelite der Zünfte zu einem sozial und bildungsmäßig von den Zünften getrennten Berufsbeamtentum vollzog, blieb diese Form des Strukturwandels in Salzburg aus.[753]
Die viel beschworene Einheit des „Bürgerstandes“ war ungeachtet der prinzipiellen Durchlässigkeit des Systems dennoch eine Fiktion. Die Ausbildung neuer Formen von Bürgerlichkeit zeigt deutlich, dass die Kluft zwischen den einzelnen Gruppierungen des städtischen Bürgerstandes gegen Ende des 18. Jahrhunderts eher zu- als abnahm. Ursache dafür war unter anderem die Ausbildung neuer ständeübergreifender Formen bürgerlicher Geselligkeit. Dieser Prozess lässt sich an einem Salzburger Beispiel paradigmatisch aufzeigen: Hier war es paradoxerweise der letzte geistliche Landesherr Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo selbst, der durch die Gründung eines Theaters und eines „Casinos“ zunächst die räumlichen, in weiterer Folge durch die Berufung bedeutender Gelehrter auch die intellektuellen Voraussetzungen für eine Annäherung von Aristokratie und bürgerlicher Elite im geselligen Umgang, im Spiel und im Konsum kultureller Darbietungen schuf. Da Kunst und Kunstgenuss die intellektuelle Fähigkeit zur Differenzierung und Einordnung ästhetischer Kategorien erforderten, erfolgte eine „symbolische Distanzierung“ der neuen außerständischen Elite gegenüber jenen gesellschaftlichen Gruppierungen, denen es an Vermögen und Muße für derlei bildungsbürgerliche Vergnügungen mangelte.[754]
Neben den neuen Formen gesellschaftlichen Umgangs und kultureller Praxis kam – wie das Salzburger Beispiel zeigt – der Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit besondere Bedeutung zu. Mit dem von Erzbischof Hieronymus protegierten ehemaligen Jesuiten Lorenz Hübner erlangte die sich dank einer liberalen Zensurpolitik bis weit in die 1790er-Jahre erstaunlich frei entfaltende Salzburger Publizistik sogar überregionale Bedeutung. Am Ort selbst schufen der von Hübner gegründete Leseverein, sein Zeitungs-Comptoir, eine rege Publikationstätigkeit sowie erste Leihbibliotheken ideale Rahmenbedingungen für die Herausbildung einer schmalen bildungsbürgerlichen Elite.
Das intellektuelle Niveau der salzburgischen Spätaufklärung verflachte im darauf folgenden Jahrzehnt. Im 1810 gegründeten „Museum“ organisierte sich die „bürgerliche Geselligkeit“ ohne besonderen Bildungsanspruch. Der neue Verein förderte fern vom Alltag und jenseits ständischer Schranken die Gruppenbildung. Unter den Mitgliedern überwogen – zum Teil adelige – Offiziere, bürgerliche Beamte und Kaufleute. Dazu kamen einige Geistliche, Mediziner, Advokaten und Erzieher. „Museumsbälle“, musikalische Darbietungen, Lektüre, gemeinsames Spiel und gehobene Konversation machten die abstrakte Kategorie „Bürgertum“ auch in der wirtschaftlich und kulturell stagnierenden k. u. k. Kreishauptstadt Salzburg konkret erfahrbar. Handwerker und Kleinhändler – die große Mehrheit des alten Stadtbürgerstandes – fanden dagegen allein schon wegen der hohen Mitgliedsbeiträge keinen Zugang zu diesen neuen Formen bürgerlicher Kommunikation. Es bestätigt sich somit auch in Salzburg, was Ralf Zerback für die Zeit um 1800 für München konstatiert, nämlich „dass eine deutliche Trennlinie zwischen bildungsbürgerlichen Gruppen und großen Händlern einerseits, den übrigen Stadtbürgern andererseits verlief.“[755] Die Entstehung außerständischer Eliten verhinderte freilich nicht, dass das Stadtbürgertum als Ganzes gerade in den in ihrer ökonomischen Entwicklung zurückgeblieben Städten „zumindest auf den ersten Blick noch eine stärkere Einheit – mit deutlichen Abwehrtendenzen gegenüber größeren ökonomischen oder rechtlichen Veränderungsbestrebungen und ihren Wortführern in Staat und Wirtschaft“ bildete.[756]
Das alte Stadtbürgertum stand dem Modernisierungsprozess im Übrigen nicht chancenlos gegenüber und nutzte die sich bietenden Aufstiegsmöglichkeiten auf seine Weise. Eine Untersuchung der sozialen Herkunft der Studenten an der philosophischen Studienabteilung des Salzburger Lyceums zeigt, dass im Vormärz mehr als die Hälfte aller Studierenden − nach dem Beruf ihrer Väter − dem alten Mittelstand zuzurechnen ist, also Söhne von Handwerkern, Krämern und Bauern waren. Zusammen mit den Angehörigen des neuen Mittelstandes, in der Regel also den Söhnen mittlerer und unterer Beamter sowie von Lehrern, entfiel auf den bürgerlich-bäuerlichen Mittelstand ein Anteil von 75 %. Das restliche Viertel der Studentenväter rekrutierte sich in erster Linie vor allem aus den Söhnen Höherer Beamter, von Großhändlern sowie von Angehörigen der Freien Berufe. Gerade für die nachgeborenen Söhne aus dem Handwerkerstand bot das Studium alternative Karriereaussichten, für welche insbesondere die josephinische und franziszeische Ausweitung des Staatsapparats die Voraussetzungen geschaffen hatte.[757]
Noch bildete das städtische Bürgertum rechtlich gesehen eine Einheit. Der Stadtbürgerstand setzte sich wie eh und je aus den über 600 Inhabern ‚bürgerlicher‘ Handwerkskonzessionen und Handlungsbefugnisse zusammen.[758] Unbestritten an der Spitze der städtischen Sozialpyramide stand jedoch eine schmale Schicht von Großhändlern, die – meist untereinander verwandt und verschwägert – die Bürgerschaft gegenüber der Staatsmacht repräsentierte.[759] Der Gewerbestand war zahlenmäßig zwar dreimal so stark wie der Handelsstand.[760] In den kommunalen Führungspositionen dominierten jedoch – wie in früheren Zeiten – Angehörige der wirtschaftlich tonangebenden Großhändlers- und Kaufmannsfamilien, insbesondere die Inhaber der fünf ‚Handelsfaktoreien‘, jener spezifisch salzburgischen Großhandels- und Speditionsfirmen.[761]
Der politische Handlungsspielraum des Bürgertums war im Vormärz eng bemessen. Offene Opposition gegen das absolutistische System gab es angesichts der allgegenwärtigen polizeilichen Überwachung nicht. Übrig blieb somit einzig und allein der Rückzug in die unpolitischen Bereiche von Wirtschaft, Kultur und Geselligkeit. Doch auch hier waren einer freien Betätigung enge Grenzen gesetzt. Nachdem man sich in Salzburg „lange ziemlich passiv und unthätig verhalten hatte, fing es 1848 endlich durch Errichtung und Constituierung von Anstalten sich zu regen an“.[762] Mit einiger Verspätung brach die zeittypische Vereinsleidenschaft nun auch in Salzburg aus.[763] Schon 1841 war der ‚Dom-Musik-Verein‘ ins Leben gerufen worden, aus dem die ‚Musikschule Mozarteum‘ herauswachsen sollte. Als weitere bürgerliche Vereinsgründungen folgten in diesem Jahrzehnt der ‚Salzburger Kunstverein‘ (1844), die ‚Salzburger Liedertafel‘ (1847) sowie die ‚Landwirtschaftsgesellschaft‘ (1848) und der ‚Gewerbeverein‘ (1846).[764]
Ganz auf eigenen Füßen standen die bürgerlichen Vereinsgründungen des späten Vormärz allerdings noch nicht. Im Fall des Dom-Musik-Vereins und auch des Kunstvereins wirkte Erzbischof Kardinal Friedrich Fürst Schwarzenberg, der in der Tradition des aufgeklärten josephinischen Staatskirchentums stand, anregend und finanziell unterstützend als Geburtshelfer mit. Weniger exklusiv, dafür aber von breiten Schichten des Bürgertums getragen, war die Salzburger Liedertafel, deren Mitglieder sich im Revolutionsjahr 1848 aktiv am politischen und geselligen Leben beteiligten. Auch das Bemühen des städtischen Leihhausverwalters Vinzenz Maria Süß’ um den Aufbau eines städtischen Museums war Ausdruck eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins. Sein „patriotischer Versuch“, die „Sitten und Gebräuche unserer ruhmbewährten Vorzeit wieder an den Tag zu rufen“, zielte nicht zuletzt darauf ab, die Existenz einer eigenständigen Salzburger Bürgerkultur zu belegen.[765]
Zur bürgerlichen Organisationsform schlechthin stieg der Verein aber erst nach den politischen Umwälzungen von 1848 und insbesondere 1861 auf.[766] Dann erst sollte an die Stelle des geselligen Verkehrs in den „stets offenen“ Salzburger Bürgerhäusern – „da reihten sich jour fixes an Bälle, Hausunterhaltungen an Soiréen, öffentliche an Privatkonzerte, gemeinsame Exkursionen an Pikniks“ - die organisierte Geselligkeit des Vereinslebens treten,[767] und nicht wenige bedauerten die Ablösung der durch „Gemüthlichkeit und Harmlosigkeit“ geprägten biedermeierlichen Lebensform durch das moderne, politisch gefärbte Vereinsleben. Habe es vor 1848 „noch Eine Gesellschaft“ gegeben – erinnert sich ein alter Patrizier Mitte der 1860er-Jahre –, „in welcher jeder mit seiner Person zahlte, nicht mit seinem Range oder seiner Vermögensziffer“, so sei mit dem „Auftauchen der Vereine die eigentliche Geselligkeit in den Familienkreisen allmählich“ verschwunden. Nun sei die Gesellschaft „nicht nur in Stände, sondern diese wieder in Cotterien“ geschieden, „so daß sich bald die zartesten Schattierungen von der crême bis zum petit lait, und von den Patriciern bis zum Handwerker absonderten“.[768]
Voraussetzung der politischen und sozialen Fragmentierung des Salzburger Bürgertums war die Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit im Revolutionsjahr 1848.[769] Beinahe über Nacht zerbrach die Fiktion eines durch gemeinsame wirtschaftliche, politische und kulturelle Interessen verbundenen Bürgertums. Unter der Repression des neoabsolutistischen Staates fanden Salzburger Besitz- und Bildungsbürgertum zwar vorübergehend zurück zu einer partiellen Interessensgemeinschaft, die freilich mehr auf einer deutschpatriotischen Grundhaltung als auf liberalen Werten basierte.
Die österreichischen Städte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren eine Domäne des Bürgertums, das seinen 1848 erstmals und 1861 erneut errungenen Führungsanspruch bis hin zum Zeitalter der Massenparteien mit Erfolg verteidigte. Ideologisches Fundament der bürgerlichen Herrschaft war zunächst der Liberalismus. Auf seiner Grundlage bildete sich eine Identifikation von ‚Bürgertum‘ = ‚Stadt‘ = ‚Fortschritt‘ heraus,[770] die den Vertretern dieser Gesinnung – verbunden mit einem Bekenntnis zum Deutschtum – im politischen und wirtschaftlichen Handeln ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Überzeugungskraft verlieh.
Die viel beschworene Einheit des ‚Bürgertums‘ als Trägerschicht der Fortschrittsbewegung war letztlich jedoch Fiktion. Auch im rückständigen Salzburg existierte eine homogene bürgerliche ‚Klasse‘ oder ‚Schicht‘ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts längst nicht mehr. Der Begriff ‚Bürgertum‘ umschreibt vielmehr ein durch ‚Besitz‘ und/oder ‚Bildung‘ vom urbanen Umfeld abgehobenes Konglomerat heterogener Sozialgruppen, dessen Repräsentanten das politische Szenarium auf kommunaler Ebene prägten.[771] Unterschiedliche materielle Interessenslagen spalteten das Bürgertum in Fraktionen, so dass sich die Gemeindepolitik schon während der liberalen Ära zunehmend kontrovers gestaltete.
An der sozialen Zusammensetzung der Führungsschicht änderte sich zunächst nur wenig. Wie schon in altständischen Zeiten rekrutierte sich der Gemeinderat in den Jahrzehnten nach 1861 hauptsächlich aus einem kleinen Kreis von wohlhabenden Unternehmern und Handelsleuten. An Bedeutung gewonnen hatte lediglich das bildungsbürgerliche Element, und nicht selten waren es Angehörige der freien Berufe, die als junge Männer im Revolutionsjahr 1848 ihre politische Sozialisation erfahren hatten und nun ihre juristische, medizinische oder sonstige Fachkenntnis in den Dienst des kommunalen Fortschritts stellten. Innerhalb des liberalen Establishments bestanden zahlreiche persönliche und verwandtschaftliche Querverbindungen, so dass der Eindruck einer kleinen, in sich geschlossenen Führungsschicht vorherrscht.
Wohlhabendes Besitz- und Bildungsbürgertum stellten somit die handelnden Personen und lieferten außerdem die Bewertungsmaßstäbe und Maximen für das städtische Regiment.[772] Die liberale Elite war zwar fortschrittsgläubig, kultivierte zugleich aber einen Habitus von ‚Bürgerlichkeit‘, der sich aus zu dieser Zeit bereits funktionslosen ständischen Konventionen und Idealen herleitete. „Altpatricische“ Bürgertugenden wie Fleiß, betonte geschäftliche Seriosität anstatt „gewagter Speculationen“ sowie ein allen Äußerlichkeiten abholder „Bürgerstolz“ kennzeichneten nach wie vor den Lebensstil dieser Generation. Beispielhaft für diesen Typus waren die Bürgermeister Ignaz Harrer und Rudolf Biebl. So verzichtete der Notar Harrer auf das mit Verleihung des ‚Ordens der eisernen Krone II. Klasse‘ verbundene Recht auf Nobilitierung, und zwar „aus Bescheidenheit, oder besser gesagt, aus echter Vornehmheit, die im Bewusstsein der guten Tat nicht nach äußeren Ehren geizt“.[773] Albert Schumacher, einem seiner Nachfolger im Bürgermeisteramt, war diese Zurückhaltung nicht mehr eigen. „In Anbetracht des Umstandes, dass vielleicht einem seiner Kinder ein Vorteil daraus erwachsen könnte“, stimmte Schumacher 1909 seiner Erhebung in den Ritterstand nach einigem Zögern doch zu.[774]
Weit zahlreicher als die schmale liberale Oberschicht war der ‚alte‘ Mittelstand, also die seit dem Wegfall der Zunftschranken im Zuge der Gewerbereformen vielfach vom sozialen Abstieg bedrohte Handwerkerschicht. Ihr Lebensstil unterschied sich von alters her von jenem des Handelsstandes. Während man in der Handwerkerfamilie, berichtet der Goldschmied Eligius Scheibl, „abends am Tisch saß und den Kindern, Lehrlingen und Gesellen aus der Legende“ vorlas, hob sich der Handelsstand „in seinem Gehaben [...] geradezu vornehm“ ab.[775] Die Vorstellung von der Existenz eines einheitlichen Standes von „Bürger-Patriziern“ war jedoch gerade im Handwerk noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts lebendig: „Bei der Arbeit in aufgesteckten Hemdsärmeln, den Lederschurz vorgebunden, konnte sich der Bürger [d. h. der Handwerker, Anm. d. Vf.] dennoch an Sonn- und Feiertagen den anderen Ständen gegenüber gar wohl sehen lassen“.[776]
Seitdem jedoch das Leben im Handwerk „nicht mehr still und ruhig im Geleise des täglichen fleißigen Schaffens“[777] dahin floss wie vordem in zünftigen Zeiten, verlor sich das Bewusstsein von der Interessenseinheit des ‚Bürgerstandes‘ über kurz oder lang. Während die flexiblen und weltoffenen Kaufleute einem von liberaler Gesinnung geprägten Fortschrittsoptimismus anhingen, wurden zahlreiche Kleingewerbetreibende von Existenzängsten geplagt.
Wie insbesondere die Praxis der Heimatrechtsverleihungen zeigt, war die städtische Gesellschaft der Gründerzeit in hohem Maß von sozialer Ungleichheit geprägt, ja, manches spricht dafür, dass der Gegensatz zwischen ‚Oben‘ und ‚Unten‘, Besitzenden und Armen, bürgerlichen und unterbürgerlichen Schichten, kaum jemals zuvor oder danach in der Geschichte der Stadt ähnlich scharf akzentuiert war wie in dieser Phase des Übergangs von der ständischen zur modernen Gesellschaft. Gleichsam eine staatliche Sanktion fand das System sozialer Ungleichheit auf politischer Ebene durch das kommunale Wahlrecht, das den hierarchischen Aufbau der städtischen Gesellschaft nach klassenspezifischen (Besitz) wie auch ständischen (Bildung, Bürgerrecht) Kriterien bis 1918 zum Prinzip erhob.[778] Innerhalb dieses starren Systems gab es freilich Bewegung: Mit den Durchschnittseinkommen stieg der Anteil der Wahlberechtigten – und zwar zwischen 1865 und 1910 von ca. fünf Prozent der Gesamtbevölkerung auf mehr als 17 Prozent. Ungefähr ein Drittel der Wahlberechtigten waren Frauen, die ihr Wahlrecht freilich an Männer delegieren mussten.
Veranlagte zur Personaleinkommens- und Besoldungssteuer 1898/1913:
1898 (% d. Einw.): Einwohner: 28.830 (-); Steuerpflichtige: 3.389 (11,8); Steuerpflichtige mit Angehörigen: 7.065 (24,5)
1913 (% d. Einw.): Einwohner: 34.810 (-); Steuerpflichtige: 6.490 (18,6); Steuerpflichtige mit Angehörigen: 16.434 (47,2)
Ungefähr ein Drittel der Berufstätigen bzw. Einkommensbezieher vor dem Ersten Weltkrieg war nach den Kriterien von Besitz, Einkommen und Bildung der ‚Ober- und Mittelschicht‘ und damit dem Bürgertum im weitesten Sinne zuzuzählen:
Berufstätige der Ober- und Mittelschicht (1910): 7.336 Personen
Gemeindewahlberechtigte (1910): 6.216 Personen
Einkommensteuerpflichtige (1913): 6.490 Personen
Einschließlich Familienangehörigen zählten demnach mindestens 40 Prozent – aufgrund der Steuerstatistik (siehe oben) sogar 47 Prozent – der städtischen Bevölkerung zur ‚bürgerlichen‘ Mittel- und Oberschicht. Weitaus weniger ausgewogen war das Verhältnis der sozialen Schichten etwa in Graz, wo um 1900 nur ein Sechstel der erwerbstätigen Bevölkerung der Mittel- bzw. Oberschicht zugeordnet wird.[779]
Aber auch im „bürgerlichen“ Salzburg trat das Bürgertum nicht als homogene, durch gemeinsame Lebensform und Interessen geprägte Klasse in Erscheinung. Der entscheidende Impuls zur sozialen und politischen Fraktionierung des Bürgertums ging von der Wirtschaftskrise der 1870er- und 1880er-Jahre aus. Das wirtschaftliche Versagen des Liberalismus führte den ‚alten‘ Mittelstand in das katholisch-konservative Lager, während die aufstrebenden ‚angestellten Mittelschichten‘ ins deutschnationale Fahrwasser gerieten. In der Stadt Salzburg löste sich unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst ein Teil der Kleingewerbetreibenden aus der liberalen Bevormundung und wandte sich seit der Mitte der 1870er-Jahre dem politischen Katholizismus zu.[780] Der endgültige Zusammenbruch der Vorherrschaft des liberalen Großbürgertums erfolgte freilich erst Mitte der 1890er-Jahre unter dem Ansturm der ‚Vereinigten Christen‘, eines Zweckbündnisses von klerikalem und deutschnationalem Kleinbürgertum. Dieser politische Erdrutsch war Ausdruck eines Wandels der städtischen Sozial- und Wirtschaftsstruktur, eines langfristigen Prozesses, der sich auf kommunalpolitischer Ebene vor allem in einer überproportionalen Zunahme der Wählerzahl im dritten – dominant kleinbürgerlichen – Wahlkörper spiegelt.
Wesentliche Teile des städtischen Bürgertums entzogen dem Liberalismus seit der Mitte der 1880er-Jahre das Vertrauen, ohne sich dem politischen Katholizismus anzuschließen. Speerspitze des Aufstandes gegen das liberale Besitzbürgertum war der ‚neue Mittelstand‘, der sich vor allem aus aufstrebenden jungen Akademikern, Beamten, Angestellten, Handlungsgehilfen etc. rekrutierte. Ideologisches Fundament dieser Bewegung war ein radikaler Deutschnationalismus und Antisemitismus, der sich an den Ideen Georg Ritter von Schönerers orientierte.[781] Letztlich wurden die liberalen Positionen aber weder von den katholischen Kleingewerbetreibenden noch von der radikal deutschnationalen Intelligenz übernommen. Das kommunalpolitische Erbe der liberalen Elite trat vielmehr der ‚Bürgerklub‘ an, eine neue politische Gruppierung, die sich vor allem aus aufstrebenden und zum Teil zugewanderten Gewerbetreibenden rekrutierte, welche die Gunst der Hochkonjunktur in den beiden letzten Vorkriegsjahrzehnten zu nutzen wussten. Die neue Elite deklarierte sich zwar als ‚deutschfortschrittlich‘, räumte ihren materiellen Interessen jedoch stets den Vorrang vor ideologischen Grundsätzen ein. Primäres Ziel des ‚Bürgerklubs‘ war eine Förderung der Privatwirtschaft durch umfangreiche kommunale Investitionen.
Die gesellschaftliche Kluft zwischen alter und neuer städtischer Führungsschicht wurde nur langsam überbrückt. Unterschwellig blieb sie noch über Jahrzehnte spürbar. Kulturelle Reservate der alten Führungsschicht waren unter anderem die ‚Gesellschaft für Salzburger Landeskunde‘ und die ‚Internationale Stiftung Mozarteum‘. Äußerlich flachten die Gegensätze zwischen liberal, deutschnational und deutschfortschrittlich/freiheitlich schon vor der Jahrhundertwende allmählich ab.[782] Während der Badenikrise 1898/99 bestand vorübergehend sogar politischer Einklang. Mit Ausnahme der radikal deutschnationalen Schönerianer, die den österreichischen Staat grundsätzlich ablehnten, scharte sich das städtische Bürgertum vor dem Ersten Weltkrieg in „deutscher Treue“ an den „Stufen des Allerhöchsten Thrones“.[783]
Der Prozess einer Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen in der Habsburgermonarchie setzte in der Ära des aufgeklärten Absolutismus ein und wurde durch den Umstand geprägt, dass die sich zu einer selbständigen Körperschaft entwickelnde Bürokratie zwar die Exekutivmacht des Herrschers verkörperte, zugleich aber dessen Willkür beschränkte. Geht man davon aus, dass die Rechtsordnung der bürgerlichen Gesellschaft Eigenschaften aufweist, die dem Recht der ständischen Gesellschaft fremd waren, und dass eine Durchsetzung des bürgerlichen Sozialmodells letztlich ohne die Etablierung einer bürgerlichen Rechtsordnung unvorstellbar ist, dann erfolgten die entscheidenden Weichenstellungen in der Habsburgermonarchie zunächst nicht durch das Bürgertum, sondern durch das im Geist der josephinischen Aufklärung geprägte Beamtentum.
Nachdem sich innerhalb der Beamtenschaft bereits im Verlauf der Jakobinerprozesse die Auffassung von der Notwendigkeit rechtsstaatlicher Verfahren auch in Ausnahmesituationen durchgesetzt hatte,[785] liefert die Habsburgermonarchie zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Beweis, dass die Etablierung eines rein bürgerlichen Privatrechts auch im vom monarchischen Absolutismus geprägten mitteleuropäischen Umfeld möglich war. Mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) von 1811 erhielt Österreich ein Privatrechtsgesetzbuch, das dem Code Napoléon in Form und Inhalt nicht nachstand und ganz auf dem bürgerlichen Prinzip der Privatautonomie beruhte. Durch das ABGB wurde Österreich in einem eingeschränkten Sinn zum Rechtsstaat, es wandelte sich freilich nicht zum Verfassungsstaat.[786] Am Beispiel der Habsburgermonarchie wird deutlich, „dass es zwar ohne bürgerliches Privatrecht keine bürgerliche Gesellschaft geben kann; nicht aber schafft umgekehrt schon ein bürgerliches Privatrecht die bürgerliche Gesellschaft“.[787] Immerhin projektierten die bürgerlich denkenden Redaktoren des ABGB „in dieser zentralen Kodifikation das Recht der Zukunft an den Horizont“,[788] das erst mit dem Abbau der Feudalgesellschaft in der Revolution von 1848 voll zur Entfaltung gelangte und dank seiner genialen Grundstruktur sogar die Monarchie überleben sollte.[789]
Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang, dass sich zugleich aber einzelne Elemente der ständischen Gesellschaft auf der Ebene der Länder, Städte und Märkte über die absolutistische Ära hinweg erhalten haben und sich aus ihnen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts − wie etwa das Fallbeispiel Salzburg zeigt − neue Stützpunkte der Modernisierung und Demokratisierung bildeten.
Der Gegensatz zwischen absolutistischem und konstitutionellem Prinzip wurde allerdings bis zum Ende der Monarchie nie zur Gänze überwunden. Als der liberale Salzburger Bürgermeister Heinrich von Mertens Kaiser Franz Joseph bei einem Salzburgbesuch im August 1863 demonstrativ als „unseren konstitutionellen Kaiser“ begrüßte, verwahrte sich der Kaiser im Ministerrat strikt gegen diesen Affront, da er „wohl aus eigener Machtvollkommenheit die Verfassung verliehen habe und dieselbe auch getreu halten werde, doch keineswegs aber die Krone aus dem Titel der Verfassung besitze“.[790] Der Standpunkt des Kaisers war verfassungsrechtlich korrekt. Auch nach Erlass des Staatsgrundgesetzes von 1867 verkörperte der Monarch den Staat als Subjekt der Staatsgewalt, der höchsten Gewalt im Staat. „Alle übrigen Staatsorgane“, konstatierte der Wiener Staatsrechtslehrer Friedrich Tezner in seiner Abhandlung über die verfassungsrechtliche Position des Monarchen, „üben entweder überhaupt keine Staatsgewalt aus oder sie leiten die von ihnen geübte Staatsgewalt vom Kaiser her, sie üben sie an seiner Statt, als Gewalt des Kaisers aus, selbst wenn diesem jeder rechtliche Einfluß auf den Inhalt ihrer staatlichen Akte entzogen ist.“[791]
Die Formel „von Gottes Gnaden“ symbolisierte bis zum Ende der Monarchie die Ablehnung der Lehre von der Volkssouveränität und bedauernd konstatierte Tezner 1909 mit Blick auf den britischen Konstitutionalismus: „Dem österreichischen Verfassungsrechte ist der Gedanke der Volkssouveränität, welcher das in einer bestimmten Weise organisierte Volk oder einen Volksausschuß zum wahren und alleinigen Inhaber der Staatsgewalt erhebt, fremd“.[792] Nicht das Volk habe sich die Verfassung gegeben, sondern der Kaiser habe im Staatsgrundgesetz von 1867 kraft seiner Machtvollkommenheit und im Wege rechtlich freier Gewährung, also mittels einer selbstherrlichen, oktroyierten Verfügung, die Untertanen zur Teilnahme an der Gesetzgebung und Verwaltung berufen.[793]
Fest steht, dass die liberalen Verfassungsväter von 1867 die Schwächung des Monarchen nach der militärischen Niederlage von 1866 nicht in der Tradition der demokratischen Bewegung von 1848 nutzten, sondern vielmehr „die staatsnahen Ideale des Großbürgertums“ bewahrten.[794] Gemäß Artikel 8 des Staatsgrundgesetzes sah sich der Kaiser immerhin verpflichtet, die Grundgesetze der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder unverbrüchlich zu halten und in Übereinstimmung mit denselben und den allgemeinen Gesetzen zu regieren, was der Herrscher bei Regierungsantritt durch ein feierliches Gelöbnis in Gegenwart beider Häuser des Reichsrates zu bekräftigen hatte.[795]
Gewichtet man innerhalb des Rechts- und Verfassungssystems der späten Habsburgermonarchie die bürgerlich-demokratischen und die absolutistisch-monarchischen Komponenten, dann zeugt die Etablierung einer selbstständigen und unabhängigen Rechtsprechung zweifellos von der partiellen Durchsetzungsfähigkeit des bürgerlichen Gesellschaftsmodells. Der Monarch war zwar nur zögernd und schrittweise bereit gewesen, auf die von ihm beanspruchte Kontrolle der Justiz zu verzichten. Mit der „Dezemberverfassung 1867“ musste er schließlich aber zulassen, dass die Gerichtsbarkeit als eine eigene, selbstständige Staatsgewalt eingerichtet wurde. Ein nicht unerheblicher Einfluss auf die Gerichte verblieb dem Kaiser allerdings noch durch sein Recht zur Bestellung der Richter. Dennoch: „Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Verfassungsordnung, vor allem der Legislative, gelang es dem Bürgertum sich in der Frage der Stellung der Justiz die Ideen des politischen Liberalismus weitgehend durchzusetzen“.[796]
Bei der Reform des Polizeiwesens hat der Liberalismus freilich versagt. Auch wenn die Staatsgrundgesetze 1867 (und zuvor schon die Strafprozessordnung 1851) die Rechtssicherheit der Staatsbürger in hohem Maße gewährleisteten, so wäre es im Sinne der Herausbildung einer Zivilgesellschaft nur logisch gewesen, auch die Rechte und Pflichten der Polizei zu normieren und in eine positive Form zu bringen.[797] Dazu sollte es während der gesamten konstitutionellen Ära jedoch nicht kommen. Es blieb bei den Vorschriften aus den 1850er-Jahren, womit, wie der Polizeihistoriker Hermann Oberhuber schrieb, „der Polizeikomplex wie ein monströser Restbestand des Absolutismus in den Rechtsstaat hereinragte“.[798] In der Praxis bedeutete dies, „daß die bestehenden Rechte durch polizeiliches Ermessen unterminiert wurden. Es entstand die eigentümliche Situation einer demokratischen Repräsentation ohne demokratische Basisstrukturen“,[799] eine Diskrepanz, welche sich unter anderem auch in den Bestimmungen des Vereinsgesetzes von 1867 sowie der Pressegesetzgebung niederschlug, welche weiterhin administrative repressive Maßnahmen gegen die bürgerliche Öffentlichkeit zuließ.
Die wahrscheinlich gravierendste Schwachstelle des österreichischen Konstitutionalismus lässt sich in einem überdimensionierten Notverordnungsrecht orten, das von der Regierung angesichts der Dauerkrise des Reichsrats extensiv genutzt wurde. Tatsächlich brachte die Dauerkrise des parlamentarischen Systems eine zusätzliche Stärkung von Regierungsgewalt und Verwaltung, und damit auch des monarchischen Prinzips mit sich. Die parlamentarisch verantwortliche, „aber außerhalb des Parlaments stehende zur Ausübung monarchischer Rechte berufene, wesentlich der Verfügungsgewalt des Monarchen unterworfene Ministerialverwaltung“ bildete „einen der hervorstechendsten Unterschiede des deutschen und österreichischen Konstitutionalismus gegenüber dem englischen.“[800]
Ob sich aus den unbestreitbaren institutionellen Defiziten des bürgerlichen Sozialmodells in den Bereichen von Recht, Verfassung und parlamentarischer Kultur letztlich doch die zwingende Schlussfolgerung ergibt, die Gesellschaft der Habsburgermonarchie sei im Vergleich zu Westeuropa durch ein eklatantes Defizit an Bürgerlichkeit geprägt gewesen, sei angesichts der gänzlich unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen dennoch bezweifelt. Betrachtet man das politische System der späten Habsburgermonarchie, dann lassen sich viel eher überzeugende Argumente für eine manipulative Verwaltungspraxis und eine hegemoniale Kontrolle durch den liberal-zentralistischen Staat konstatieren als ein semi-absolutistisches Regime[801]. In der konkreten Situation der multinationalen Habsburgermonarchie nutzten die nationalen Fraktionen des österreichischen Bürgertums − vor allem das deutsche, in zunehmendem Maße aber auch das Bürgertum der übrigen Nationen − den Staat höchst effizient für die Durchsetzung gruppenspezifischer Interessen. Vor allem sollte die maßgebliche Rolle einer auch in ihren oberen Rängen weitgehend verbürgerlichten Beamtenschaft in diesem Prozess einer gesamtgesellschaftlichen Verbürgerlichung nicht unterschätzt werden.
Wem die Loyalität der bürgerlichen Beamten in den letzten Jahrzehnten der Monarchie tatsächlich galt, dem monarchischen Gesamtstaat oder dem eigenen Herkunftsmilieu und zunehmend auch der eigenen Nationalität,[802] lässt sich ohne entsprechende empirische Belege zwar nur vermuten. Wie eine statistische Auswertung des „Standes“ der ca. 700 hohen Beamten der politischen Landesbehörden des Jahres 1914 zeigt (siehe Tabelle 8 im Anhang), war der Anteil der mittleren und höheren Aristokratie (Fürst, Prinz, Graf) in der Verwaltung mit 6 Prozent nur mehr gering, während über 65 Prozent der Beamten über kein Adelsprädikat verfügten. Besonders weit fortgeschritten war die Verbürgerlichung der hohen Bürokratie übrigens in Böhmen und Mähren, wo der Anteil der prädikatlosen Beamten bereits bei ca. 88 bzw. 72 Prozent lag. Als „Refugien“ des hohen Adels können 1914 nur noch die Kronländer Oberösterreich, Steiermark und Küstenland gelten, wo mehr als 15 Prozent der Spitzenbeamten dem hohen Adel entstammten. Entsprechend niedrig war der Anteil der Beamten ohne Adelsprädikat in diesen Kronländern sowie in Niederösterreich, Kärnten und Tirol. In den „schwierigen“, vom Nationalitätenkonflikt besonders stark betroffenen Kronländern hatte sich die alte Führungsschicht also bereits weitgehend aus der Verwaltung verabschiedet. Besonders auffallend war die Verbürgerlichung auf der Ebene der 376 Bezirkshauptmannschaften: 260 wurden von prädikatlosen Beamten geleitet. Nur die Positionen der Statthalter und Landespräsidenten befanden sich nach wie vor im Besitz der alten Elite: in 12 von 14 Kronländern standen hohe Adelige oder Freiherrn an der Spitze der k. u. k. Verwaltung (siehe Tabelle 9 im Anhang).
Weiter fortgeschritten noch als die Verbürgerlichung der hohen Bürokratie war am Ende der Monarchie jene des k. u. k. Offizierskorps. Dessen Position im Staate scheint auf den ersten Blick aufgrund der exklusiven Zuordnung zum Monarchen in einem denkbar großen Kontrast zur Zivilgesellschaft zu stehen. Während die Bedeutung des bürgerlichen Beamten im Prozess der inneren Staatsbildung bereits ausführlich beschrieben wurde,[803] blieb die Rolle des k. u. k. Offizierskorps als einer ebenfalls weitgehend bürgerlichen Funktions- und Modernisierungselite bislang eher unterbelichtet. Ebenso wie die Beamtenschaft rekrutierte sich aber auch das Offizierskorps des kaiserlichen Heeres seit seinem forcierten Ausbau unter Kaiserin Maria Theresia vermehrt aus dem kleinstädtisch-altständischen Milieu, so dass der Anteil an bürgerlichen Offizieren schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts wesentlich höher war als etwa im preußischen Heer.[804] Auch wenn der Aufstieg in höhere Chargen zunächst noch eine seltene Ausnahme blieb, kam dem Militär damit eine ähnliche soziale Funktion als mögliche „Aufstiegsschleuse“ für talentierte und ehrgeizige, aber in ihren Mitteln beschränkte Bürgersöhne aus bürgerlichem Milieu zu wie dem Klerus oder dem Staatsdienst. Zwar gelten die zahlreichen Adelserhebungen, die man auch anderen Gruppen des Bürgertums − vor allem Unternehmern und Beamten − gewährte, als Indiz für eine starke soziale Dynamik der unteren bürgerlichen Schichten, durch die sukzessive und auf lange Sicht die bürgerliche Identität geschwächt worden sei. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass die Armee durch die Karriere- und Heiratsmöglichkeiten, mit denen sie Bürgerliche für sich gewann, einen wesentlichen Beitrag zur Entzauberung der Aristokratie und gleichzeitig zur Konstituierung beziehungsweise Konsolidierung eines jungen Mittelstandes geleistet hat, der sich vor allem aus dem unteren Beamtentum und dem Kleingewerbe rekrutierte. Mit steigender Bedeutung dieser pseudoaristokratischen Militärkaste wurde daher nach 1848 insgesamt „jenes Bürgertum, dem sie nicht auf Dauer entkam“, gestärkt.[805]
Unter dem Eindruck des politischen und gesellschaftlichen Systemwechsels im Osten Europas sowie der globalen Modernisierung des Wirtschaftssystems hat der bis in die Aufklärung zurückreichende, seit dem 19. Jahrhundert jedoch weitgehend in Vergessenheit geratene Diskurs über „Civil Society“ in den 1990er-Jahren eine Wiederbelebung erfahren. Aus der zunächst von Politologen und Soziologen geführten Debatte über Traditionen und Konzepte einer vom Staat weitgehend autonomen „Zivilgesellschaft“ eröffneten sich auch in der Geschichtswissenschaft neue Interpretationsansätze, welche dazu anregen, die seit Mitte der 1980er-Jahren intensiv betriebenen Forschungen zur Geschichte des Bürgertums unter einer veränderten Perspektive zusammenfassend zu bewerten.
Vor allem stellt sich die Frage: Was wurde aus den bürgerlichen Schichten der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg? Was blieb vom Bürgertum nach Inflation, Wirtschaftskrisen, Nationalsozialismus, Kommunismus und − nach 1945 − der angeblichen Formierung einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmuth Schelsky) im Zeitalter des Wirtschaftswunders? Die Diskussion über diese Fragen ist derzeit noch voll im Gang und die Meinungsbildung entsprechend kontrovers. Während es etwa Ernst Bruckmüller es nach den Zäsuren und Brüchen des 20. Jahrhunderts für wenig sinnvoll hält, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den Bereich der früheren Habsburgermonarchie noch von bürgerlichen Gruppen und Klassen zu sprechen,[806] hält Hans-Ulrich Wehler die Untergangsthese zumindest für Westdeutschland für ein „grandioses Missverständnis“: „denn wie Phönix aus der Asche erhob sich seit 1948 […] zuerst das Wirtschaftsbürgertum, in dem es familiengeschichtlich die größte Kontinuität gibt. Das Kleinbürgertum expandierte, […] vergrößert durch die Verbürgerlichung der Arbeiterschaft. Das Bildungsbürgertum hat seine neuhumanistische Patina längst verloren, verwandelte sich aber erfolgreich in die Berufsklasse der akademischen Intelligenz“.[807] Unbestritten bleibt, dass die bürgerliche Staats- und Gesellschaftsordnung wie die bürgerliche Kultur, ihre Werte und Normen ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf die übrigen Bevölkerungskreise „einen Sozialdisziplinierungs- und Integrationsdruck ausübten, dem sich diese zusehends weniger entziehen konnten“.[808] Nach wie vor offen ist die Diskussion allerdings, ob der Verbürgerlichungsprozess in der Hochkonjunktur der 1950er- und 60er-Jahre erst seine wahre Breitenwirkung entfalten konnte, oder ob das Aufkommen von Massenkonsum und Massenmedien letztlich die Herausbildung klassenübergreifender Lebensstile und Normen bewirkt habe, welche den herkömmlichen Bürgertumsbegriff endgültig obsolet habe werden lassen. Soziologische Untersuchungen der jüngsten Vergangenheit belegen immerhin, dass die Einkommens- und Vermögensverteilung auch im Zeitalter der „Neuen Mitte“[809] sehr ungleich geblieben ist, darüber hinaus sogar Tendenzen zu einer Verstärkung von sozialer Ungleichheit erkennbar sind, welche die Annahme einer Neuformierung des Bürgertums unter gewandelten Vorzeichen nicht gänzlich abwegig erscheinen lässt.
Stellung im Beruf | absolut | % | % aller Berufstätigen |
Selbständige[a] | 1347612 | 60,9 | 8,4 |
Pächter[b] | 19764 | 0,9 | 0,1 |
Angestellte | 620493 | 28,0 | 3,93 |
Mithelfende Familienangehörige[c] | 224514 | 10,2 | 1,4 |
Summe | 2212383 | 100 | 13,8 |
% aller Berufstätigen | 13,8 | ||
[a] Ohne landwirtschaftlichen Sektor, selbständig ausgeführte häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art, Ausgedingeleute, in öffentlicher Armenfürsorge Befindliche, Almosenempfänger, in Anstalten Befindliche sowie Personen ohne Berufsangabe und Berufslose. [b] Ohne landwirtschaftlichen Sektor. [c] Unter den Deutschsprachigen sowie den Tschechischsprachigen der österreichischen Reichshälfte betrug der Angestelltenanteil 5,9 % bzw. 3,5 %. (Vgl. Tabelle 6 und 7). Zum Vergleich: nach Wehler waren 1907 im Deutschen Reich 11,7 % aller Erwerbstätigen Angestellte in Wirtschaft und Verwaltung. – Quelle: [Wehler 1995], S. 759. |
Berufszugehörige | absolut | % | % der Gesamtbevölkerung |
Selbständige und Angehörige[a] | 3475646 | 68,6 | 12,1 |
Pächter und Angehörige[b] | 59933 | 1,2 | 0,2 |
Angestellte und Angehörige | 1305776 | 25,8 | 4,6 |
Mithelfende Familienangehörige[c] | 223989 | 4,4 | 0,8 |
Summe | 5065344 | 100 | 17,7 |
% der Gesamtbevölkerung | 17,7 | ||
[a] Ohne landwirtschaftlichen Sektor, selbständig ausgeführte häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art, Ausgedingeleute, in öffentlicher Armenfürsorge Befindliche, Almosenempfänger, in Anstalten Befindliche sowie Personen ohne Berufsangabe und Berufslose. [b] Ohne landwirtschaftlichen Sektor. [c] Ohne landwirtschaftlichen Sektor. |
Quelle: [Wehler 1995], S. 712f.
„Obere wirtschaftsbürgerliche Klasse“ | 4–5 % |
„Bildungsbürgertum“ | max. 1 % |
„Kleinbürgertum der kleinen Selbständigen im Handel, Gewerbe und Dienstleistungssektor“ | 8 % |
„‚Neuer Mittelstand‘ der Angestellten und Subalternbeamten, niedere Offiziersränge“ etc. | 1 % |
Bürgerlicher Anteil insgesamt | max. 15 % |
Quelle: [Wehler 1995], S. 712f.
Berufsart | Selbständige | Pächter | Angestellte | Mithelfende | Familienang. | insgesamt % |
Land- u. Forstw. | 64037 | 64037 | 1,3 | |||
Industrie u. Gew. | 1748416 | 18072 | 230157 | 73613 | 2070258 | 40,9 |
Handel u. Verk. | 1048480 | 41689 | 348239 | 149098 | 1587506 | 31,3 |
Öff. D., Fr. Ber., Berufslose | 678750 | 172 | 663343 | 1278 | 1343543 | 26,5 |
im Ganzen | 3475646 | 59933 | 1305776 | 223989 | 5065344 | 100 |
Quelle: Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1910. (= [Österreichische Statistik 1916], S. 2–5, Tabelle I: Hauptberuf und Stellung im Beruf; S. 4–11, Tabelle II: Berufsart und Stellung im Berufe, Hauptübersicht sowie S. 12–14, Tabelle III: Die soziale Schichtung der Berufstätigen.
Berufsart | Selbständige | Pächter | Angestellte | Mithelf. Familienang. | insgesamt |
Landwirtschaft | 0 | 0 | 34506 | 0 | 34506 |
Forstwirtschaft | 0 | 0 | 29434 | 0 | 29434 |
Fischerei | 0 | 0 | 97 | 0 | 97 |
Land- u. Forstw. | 0 | 0 | 64037 | 0 | 64037 |
Bergbau/Hüttenw. | 2368 | 44 | 18924 | 180 | 21516 |
Steine/Erden | 43710 | 1331 | 13567 | 3711 | 62319 |
Metallverarb. | 170829 | 2127 | 11048 | 3577 | 187581 |
Verfert. v. Masch. | 81439 | 291 | 32392 | 1015 | 115137 |
Chem. Industrie | 15019 | 622 | 19512 | 393 | 35546 |
Elektr., Wasserv. | 517 | 5 | 6075 | 7 | 6604 |
Baugewerbe | 155491 | 180 | 24216 | 1701 | 181588 |
Polygr. Gewerbe | 14624 | 100 | 8281 | 308 | 23313 |
Textilindustrie | 110669 | 413 | 29663 | 16490 | 157235 |
Papier-, Lederind. | 48757 | 165 | 9065 | 1261 | 59248 |
Holz-, Kautsch. | 198052 | 994 | 10534 | 5526 | 215106 |
Nahrungsm.ind. | 223644 | 10707 | 33385 | 20845 | 288581 |
Bekleid., Reinig. | 680168 | 1054 | 10170 | 18534 | 709926 |
Gewerbe o.n. Ang | 3129 | 39 | 3325 | 65 | 6558 |
Industrie u. Gew. | 1748416 | 18072 | 230157 | 73613 | 2070258 |
Warenhandel | 693795 | 4584 | 99003 | 89468 | 886850 |
Geldgesch. Etc. | 6003 | 484 | 85221 | 140 | 91848 |
Eisenbahnwesen | 61 | 10 | 73390 | 0 | 73461 |
Sonst. Transp. | 76200 | 766 | 78409 | 1988 | 157363 |
Sonst. Handelsg. | 74396 | 57 | 7341 | 361 | 82155 |
Gastgewerbe | 198025 | 35788 | 4875 | 57141 | 295829 |
Handel u. Verk. | 1048480 | 41689 | 348239 | 149098 | 1587506 |
Aktives Militär | 0 | 0 | 40581 | 0 | 40581 |
Öffentl. Dienst.[a] | 76932 | 55 | 378143 | 0 | 455130 |
Unterrichtswesen | 36730 | 25 | 206982 | 156 | 243893 |
Sonst. freie Berufe | 36976 | 92 | 37637 | 1122 | 75827 |
Hausbes., Rentner | 146770 | 0 | 0 | 0 | 146770 |
Sonst. Rentner | 28168 | 0 | 0 | 0 | 28168 |
Pensionisten | 353174 | 0 | 0 | 0 | 353174 |
Öff. D., Fr. Ber., Berufslose | 678750 | 172 | 663343 | 1278 | 1343543 |
im Ganzen | 3475646 | 59933 | 1305776 | 223989 | 5065344 |
[a] In diese Rubrik fallen auch Ärzte, Hebammen, Tierärzte, Advokaten und Notare. |
Quelle: Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1910. (?=[Österreichische Statistik], S. 2–5, Tabelle I: Hauptberuf und Stellung im Beruf; S. 4–11, Tabelle II: Berufsart und Stellung im Berufe, Hauptübersicht sowie S. 12–14, Tabelle III: Die soziale Schichtung der Berufstätigen.
Umgangssprache | Selbstständige[a] | Pächter[b] | Angestellte | Mithelf. Familienang.[c] | Summe | % |
deutsch | 615461 | 11390 | 335830 | 86760 | 1049441 | 47,4 |
böhm.-mähr.-slowak. | 330562 | 5137 | 122992 | 52349 | 511040 | 23,1 |
polnisch | 216442 | 1907 | 74043 | 61485 | 353877 | 16,0 |
ruthenisch | 32831 | 166 | 11594 | 4231 | 48822 | 2,2 |
slowenisch | 49543 | 445 | 11717 | 6161 | 67866 | 3,1 |
serbokratisch | 12562 | 16 | 5557 | 2709 | 20844 | 0,9 |
italienisch-ladinisch | 40281 | 182 | 19437 | 6282 | 66182 | 3,0 |
rumänisch | 2427 | 13 | 1975 | 173 | 4588 | 0,2 |
magyarisch | 40 | 0 | 52 | 4 | 96 | 0,0 |
Staatsfremde | 47744 | 508 | 37296 | 4359 | 89907 | 4,1 |
im Ganzen | 13478931 | 19764 | 620493 | 224513 | 22126631 | 100 |
[a] Da in der Sprachenstatistik die Gruppe der von Renten und Unterstützung Lebenden nicht im Detail aufgegliedert wird, erfolgte die Zuweisung des „bürgerlichen“ Anteils (Hausbesitzer und Rentner, Pensionisten etc.) proportional zu dessen Stärke innerhalb der Gesamtzahl aller Berufstätigen auf Reichsebene. Daraus resultiert eine minimale Verzerrung der Gesamtsummen, die daher partiell nicht identisch sind mit jenen der übrigen Tabellen. [b] Da in der Sprachenstatistik die Gruppe der von Renten und Unterstützung Lebenden nicht im Detail aufgegliedert wird, erfolgte die Zuweisung des „bürgerlichen“ Anteils (Hausbesitzer und Rentner, Pensionisten etc.) proportional zu dessen Stärke innerhalb der Gesamtzahl aller Berufstätigen auf Reichsebene. Daraus resultiert eine minimale Verzerrung der Gesamtsummen, die daher partiell nicht identisch sind mit jenen der übrigen Tabellen. [c] Da in der Sprachenstatistik die Gruppe der von Renten und Unterstützung Lebenden nicht im Detail aufgegliedert wird, erfolgte die Zuweisung des „bürgerlichen“ Anteils (Hausbesitzer und Rentner, Pensionisten etc.) proportional zu dessen Stärke innerhalb der Gesamtzahl aller Berufstätigen auf Reichsebene. Daraus resultiert eine minimale Verzerrung der Gesamtsummen, die daher partiell nicht identisch sind mit jenen der übrigen Tabellen. |
Quelle: Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1910. (= [Österreichische Statistik 1916], Tabelle V: Berufsgruppen und Stellung im Berufe in Verbindung mit Umgangssprache.
Umgangssprache | Summe | Anteil „bürgerl.“ Schichten innerhalb d. Sprachgruppen (%) | Anteil an allen. Berufstätigen d. öst. Reichsh. (%) |
deutsch | 1049441 | 18,7 | 35,1 |
böhm.-mähr.-slowak. | 511040 | 14,5 | 21,9 |
polnisch | 353877 | 13,5 | 16,4 |
ruthenisch | 48822 | 2,3 | 13,3 |
slowenisch | 67866 | 8,9 | 4,8 |
serbokroatisch | 20844 | 4,6 | 2,8 |
italienisch-ladinisch | 66182 | 16,4 | 2,5 |
rumänisch | 4588 | 2,9 | 1,0 |
magyarisch | 96 | 0,2 | 0,0 |
Staatsfremde | 89907 | 25,8 | 2,2 |
im Ganzen | 22126631 | 13,8 | 100 |
Quelle: Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1910. (= [Österreichische Statistik 1916], Tabelle V: Berufsgruppen und Stellung im Berufe in Verbindung mit Umgangssprache.
Kronländer | h. A. | Frh. | n. A. | o. P. | insgesamt |
Österreich u. d. E. | 5 | 10 | 13 | 20 | 48 |
% | 10,4 | 20,8 | 27,1 | 41,7 | 100 |
Österreich o. d. E. | 7 | 5 | 5 | 9 | 26 |
% | 26,9 | 19,2 | 19,2 | 34,6 | 100 |
Salzburg | 1 | 4 | 2 | 7 | 14 |
% | 7,1 | 28,6 | 14,3 | 50,5 | 100 |
Steiermark | 6 | 9 | 12 | 6 | 33 |
% | 18,2 | 27,3 | 36, | 18,2 | 100 |
Kärnten | 0 | 6 | 8 | 3 | 17 |
% | 0 | 35,3 | 47,1 | 17,6 | 100 |
Krain | 1 | 4 | 4 | 13 | 22 |
% | 4,5 | 18,2 | 18,2 | 59,1 | 100 |
Küstenland | 4 | 3 | 4 | 13 | 24 |
% | 16,7 | 12,5 | 16,7 | 54,2 | 100 |
Tirol u. Vorarlbg. | 7 | 4 | 16 | 22 | 49 |
% | 14,3 | 8,2 | 32,7 | 44,9 | 100 |
Böhmen | 3 | 3 | 16 | 158 | 180 |
% | 1,7 | 1,7 | 8,9 | 87,8 | 100 |
Mähren | 0 | 5 | 11 | 42 | 58 |
% | 0 | 8,6 | 19,0 | 72,4 | 100 |
Schlesien | 1 | 3 | 4 | 13 | 21 |
% | 4,8 | 14,3 | 19,0 | 62,0 | 100 |
Galizien u. Lodom. | 3 | 1 | 39 | 107 | 150 |
% | 2,0 | 0,7 | 26,0 | 71,3 | 100 |
Dalmatien | 3 | 0 | 5 | 21 | 29 |
% | 10,3 | 0 | 17,2 | 72,4 | 100 |
in Ganzem | 43 | 58 | 142 | 454 | 697 |
% | 6,2 | 8,3 | 20,4 | 65,1 | 100 |
Quelle: [Hof- und Staatshandbuch 1914].
Kronland | Statthalter | k.k. Landesregierungen | k.k. Landesregierungen | k.k. Landesregierungen | k.k. Landesregierungen | k.k. Landesregierungen | Bezirkshauptmänner | Bezirkshauptmänner | Bezirkshauptmänner | Bezirkshauptmänner | Bezirkshauptmänner |
insg. | h.A. | Frh. | n.A. | o.P. | insg. | h.A. | Frh. | n.A. | o.P. | ||
Österreich u. d. E. | Freiherr | 24 | 3 | 6 | 6 | 9 | 23 | 2 | 3 | 7 | 11 |
Österreich o. d. E. | Freiherr | 11 | 3 | 1 | 3 | 4 | 14 | 4 | 3 | 2 | 5 |
Salzburg | nied. Adel | 8 | 1 | 2 | 1 | 4 | 5 | 0 | 2 | 0 | 3 |
Steiermark | Graf | 11 | 2 | 2 | 4 | 3 | 21 | 3 | 7 | 8 | 3 |
Kärnten | Freiherr | 9 | 0 | 3 | 4 | 2 | 7 | 0 | 2 | 4 | 1 |
Krain | Freiherr | 10 | 1 | 1 | 3 | 5 | 11 | 0 | 2 | 1 | 8 |
Küstenland | Prinz | 11 | 1 | 1 | 4 | 5 | 12 | 2 | 2 | 0 | 8 |
Tirol u. Vorarlbg. | Graf | 22 | 4 | 2 | 6 | 10 | 26 | 2 | 2 | 10 | 12 |
Böhmen | Fürst | 74 | 0 | 2 | 10 | 62 | 105 | 2 | 1 | 6 | 96 |
Mähren | Freiherr | 21 | 0 | 1 | 2 | 18 | 36 | 0 | 3 | 9 | 24 |
Schlesien | Graf | 11 | 0 | 1 | 1 | 9 | 9 | 0 | 2 | 3 | 4 |
Galizien u. Lodom. | nied. Adel | 67 | 2 | 1 | 19 | 45 | 82 | 1 | 0 | 19 | 62 |
Bukowina | Graf | 14 | 1 | 1 | 3 | 9 | 11 | 0 | 0 | 0 | 11 |
Dalmatien | Graf | 14 | 2 | 0 | 3 | 9 | 14 | 0 | 0 | 2 | 12 |
in Ganzem | 14 | 307 | 20 | 24 | 69 | 194 | 376 | 16 | 29 | 71 | 260 |
Quelle: [Hof- und Staatshandbuch 1914]
[723] [Riehl 1976], S. 157.
[724] [Riehl 1976], S. 158.
[725] [Lenger 1995], hier S. 14.
[726] [Lepsius 1987], hier S. 61.
[727] [Tenfelde 1994], hier S. 333.
[728] [Kocka 1987], hier S. 42ff.
[729] [Haltern 1993], hier S. 116.
[730] [Lenger 1995], hier S. 14.
[731] [Mergel 1995], S. 7.
[732] [Tanner 1995], S. 9.
[733] Vgl. vor allem: [Bruckmüller 1990] − [Stekl 1992]. − [Hoffmann 1997]. − [Urbanitsch 2000]. − Bislang sind jedoch nur wenige Initiativen auf einen überregionalen Vergleich hin konzipiert, wie etwa das in Wien zentrierte internationale Forschungsprojekt „Stadtbürgertum in der Habsburgermonarchie 1860−1918“, das sich am Beispiel ausgewählter Klein- und Mittelstädte dem bisher wenig beachteten Provinzbürgertum widmete. Zur ersten Forschungsbilanz dieses Projekts vgl: [Haas/Ulsberger/Stekl 1994]. − Mitte der 1990er-Jahre wurde unter der Projektleitung von Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl das Forschungsprojekt „Bürgerlichkeit im Raum der Habsburgermonarchie − Kontinuitäten und Brüche 1918−1995“ gestartet; zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Grazer Projekt „Regionale Leitkulturen im 19. Jahrhundert in Mittel-/Südeuropa“, das die Frage nach verallgemeinerbaren Faktoren einer mitteleuropäischen Identität stellte: [Kannonier/Konrad 1995]; Als ausgezeichnete neuere Regionalstudie ist zu erwähnen: [Götz 2001].
[734] Vgl. dazu [Bruckmüller 1990b], hier S. 344.
[735] Vgl. dazu [Bruckmüller 1990b], hier S. 351.
[736] [Halmos 1992], hier S. 184.
[737] Vgl. [Mergel 1995], S. 12.
[738] Vgl. [HaasH 1990b].
[739] Vgl. u. a. [Fröschl 1997]. – [Melichar 1997]. – [Hellmuth 1997].
[740] [Schüren 1989], S. 241.
[742] Z. B. in Salzburg, siehe [Weidenholzer 1997]
[743] [Bruckmüller/Stekl 1987], hier S. 168.
[744] [Bruckmüller/Stekl 1987], hier S. 169.
[747] [Boyer 1995], S. X.
[748] Vgl. dazu auch: [Urbanitsch 1980], hier Tabellen 12–14.
[749] [Urban 1997], hier S. 272.
[750] Vgl. zum folgenden Abschnitt auch [Dopsch/HoffmannR 1996], S. 399–519.
[751] [Schulze 1992], hier S. 4. – Für Salzburg siehe etwa das Beispiel der Beamten: [Magreiter 1996].
[752] [Hübner 1796] 3. Band, S. 896f.
[753] Vgl. [Barth-Scalmani 1992].
[754] Vgl. [Weidenholzer 1997].
[755] [Zerback 1991], hier S. 636.
[759] Vgl. [Barth 1981].
[760] [Hoffmann 1980/81], hier S. 240, S. 246.
[761] Vgl. die Aufstellung bei [Spatenka 1991].
[762] [Pichler 1861/65], S. 1038.
[763] [Haas 1988b], hier S. 687–692.
[764] [WagnerK 1993], S. 35–106. – [Svoboda 1977]. – [Luin 1950].
[766] Vgl. [HaasH 1994]. – [Hoffmann 1992].
[767] [Salzburger Zeitung], 9. November 1866.
[768] [Salzburger Zeitung], 9. November 1866.
[769] Zum Folgenden siehe [Spatenka 1991]. – [Haas 1988b].
[770] Vgl. [Reulecke 1985], S. 18.
[771] Zur Begriffsbestimmung vgl.: [Lepsius 1987b].
[772] Vgl. [Reulecke 1985], S. 20.
[773] [Nekrolog Biebl]. – [Nekrolog Harrer].
[774] [Schumacher 1912], S. 184ff.
[775] [Scheibl 1924], hier S. 98.
[778] Vgl. [Hubbard 1984], S. 83, S. 88.
[779] Vgl. [Hubbard 1984], S. 111.
[780] Vgl.[Haas 1988b], S. 818ff, S. 828ff.
[781] Vgl. [Hoffmann 1990].
[782] Vgl. [Hanisch/Fleischer 1986], S. 66f. – [Haas 1988b], S. 856ff.
[783] [Salzburger Volksblatt], Nr. 236, 1900.
[784] Vgl. dazu auch: [Hoffmann 1998].
[785] [Wangermann 1966], S. 198ff. – [Strakosch 1976], S. 72ff.
[786] [Rumpler 1997], S. 110.
[787] [GrimmD 1987], hier S. 178.
[788] [GrimmD 1987], hier S. 178.
[789] [Ogris 1975], hier S. 589.
[790] [Kletecka 1989], S. 263.
[791] [Tezner 1909], S. 6.
[792] [Tezner 1909], S. 9.
[793] [Tezner 1909], S. 8.
[794] [Rumpler 1997], S. 417.
[795] [Rumpler 1997], S. 10.
[796] [Lehner 1995], hier S. 24. − Zur Richterschaft vgl. [Mattl 1995].
[797] [Mattl 1995b], hier S. 647.
[798] Zit. nach [Mattl 1995b], hier S. 647.
[799] [Mattl 1995b], hier S. 647.
[800] [Tezner 1909], S. 120.
[801] [Boyer 1995], S. XI
[802] Vgl. [Kleinwaechter 1920], S. 251ff
[803] Vgl. vor allem [Megner 1985]. − sowie [Heindl 1991]
[804] Zur Herkunft bürgerlicher Offiziere vgl. paradigmatisch: [Broucek 1980/83].
[805] [Melichar 1997], S. 110.
[807] [Wehler 1998], S. 21.
[808] Tanner, Albert: Bürgertum. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
[809] [Vester 2001].