Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schmidinger, Rektor der Universität Salzburg, übersandte am 5. September 2004 in Beantwortung der Fragen von Ulrike Kammerhofer-Aggermann ein schriftliches Statement.
Die Bedeutung von Traditionen kann gerade auch an einer Universität nicht hoch genug angesetzt werden. Sehen Sie sich an den Universitäten in aller Welt um: Überall spielen Rituale und Bräuche eine beachtliche Rolle. Das mag in einigen Ländern mehr ausgeprägt sein als in anderen – denken Sie zum Beispiel an den angelsächsischen Raum –, von Wichtigkeit ist es überall. Man übertreibt nicht, wenn man sagt: In den Traditionen spiegelt sich die Identität einer Universität wider. Zumindest wird es so wahrgenommen und zwar sowohl in der Öffentlichkeit als auch seitens der Angehörigen der Universitäten.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir gerade in Salzburg zu wenig dafür tun. Zum Beispiel wurden hier schon vor vielen Jahren die Talare der höchsten Amtsträger abgeschafft. Das hat damals seine guten Gründe gehabt, und es ist meines Erachtens immer noch vernünftig, dabei zu bleiben. Es gibt aber nicht wenige Leute, die es gerne sehen würden, wenn bei akademischen Festakten Rektor und Dekane in den alten Roben auftreten würden. Der alten Tradition der Universität,, die in Salzburg immerhin bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurückreicht, scheint dies offensichtlich angemessener zu sein. Der Schluss daraus, den ich für mich ziehe: Können wir auch heute diese Tradition nicht mehr so einfach neu beleben – dies würde ebenfalls viel Verwunderung erzeugen –, so haben wir doch allen Grund, die akademischen Festakte, in denen sich sozusagen die Universität selbst vollzieht, so angemessen, so würdevoll und so feierlich wie nur möglich zu gestalten.
Das Kommunizieren der Forschung an die Öffentlichkeit ist an den Universitäten lange Zeit hindurch nicht wirklich betrieben worden. Die allermeisten Forscher und Forscherinnen standen auf dem Standpunkt, dass es genügen würde, wenn die Fachwelt die Ergebnisse ihrer Forschungen kennt. Die breite Öffentlichkeit interessierte sie vergleichsweise wenig. Abgesehen davon kostet eine Kommunikation über die allgemein zugänglichen Medien letztlich auch Geld. Schließlich muss ja jemand Kompetenter diese Aufgabe übernehmen – die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben darin oft keine Erfahrung. Darüber hinaus ist Information in der Form von Werbung ohne erheblichen Mitteleinsatz nicht zu leisten. Geld aber wiederum ist an Universitäten seit jeher zu wenig vorhanden. Also: Warum die breite Öffentlichkeit informieren? Schon seit etlichen Jahren hat sich diese Einstellung völlig geändert. Auch die Angehörigen der Universitäten wissen heute, dass sie gegenüber der Gesellschaft, die sie einsetzt und finanziert, eine Kommunikationspflicht haben. Deshalb unterhalten sie eigene Büros für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Diese wiederum begnügen sich nicht allein damit, eigene Kommunikationsmedien zu betreiben oder sich der üblichen, uns allen bekannten Medien zu bedienen – übrigens unter dem Einsatz beträchtlicher Budgetmittel. Sie haben vielmehr den gesamten Außenauftritt einer Universität im Blick. Dazu gehören nicht zuletzt die zuvor angesprochenen akademischen Festakte, bei denen die Traditionen eine so prominente Rolle spielen. Denn auch bei diesen ist Kommunikation über Wissenschaft möglich und sinnvoll. Meiner Einschätzung nach sind sie ebenso wichtig wie der Auftritt im Internet. Denn gerade bei solchen ritualisierten Szenarien sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einer spezifischen Weise empfänglich für alles, was ihnen kommuniziert wird – auch für Informationen über die Forschung, die an einer Universität betrieben wird.
Ich traue mich nicht zu beurteilen, ob sich durch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen an den Universitäten die Forschungsinhalte geändert haben. Sicherlich gibt es durch jene Forschung, die sich den wissenschaftlichen Fragen spezifisch unter den so genannten Gender-Gesichtspunkten nähert, einen beachtlichen Anstoß zu neuen Fragestellungen, Themen und Methoden. Zweifellos ist auch das Bewusstsein darüber gewachsen, dass viele Erkenntnisse in den Wissenschaften ihre Eigenart wesentlich daraus gewinnen, dass es Männer und nicht Frauen waren, die sie formuliert haben. Dass sich deshalb aber schon ein großer oder gar überwiegender Teil der Forschungsinhalte geändert hat, wage ich zu bezweifeln.
Anders verhält es sich beim Umgangston sowie beim Rollenverständnis. Was Ersteres anbelangt, so hat er sich schon allein dadurch geändert, dass es einfach einen Unterschied macht, ob Männer, wie es lange Zeit hindurch an den Universitäten mehr oder weniger der Fall war, unter sich sind oder ob es sich um eine Gemeinschaft handelt, in der Männer und Frauen gleichermaßen vertreten sind. Dass es auch da noch viel zu verändern gibt, will ich nicht bestreiten. Zum Beispiel kommt es immer noch vor, dass Kolleginnen nicht eigens angesprochen werden, sondern scheinbar unter den männlichen Anredeformen subsumiert sind. Das scheint mir aber sehr im Abnehmen zu sein. Was schließlich das Rollenverständnis betrifft, so meine ich, dass im Prinzip (!) keine Unterschiede gemacht werden. Frauen haben heute an den Universitäten gleichberechtigten Zugang zu jedem Amt und zu jeder wissenschaftlichen Karriere. Dass es in der Realität immer noch zu wenig geschieht, ist ebenfalls eine Tatsache, die ich für sehr betrüblich halte. Sehen Sie sich nur einmal in Österreich um, wie wenige Frauen an den Universitäten in den leitenden Funktionen tätig sind. Oder betrachten Sie die höchst unterschiedliche Verteilung der Wissenschaftlerinnen auf die einzelnen Fachgebiete. Dies hat viele Ursachen, die ich hier nicht alle aufzählen kann. Diese werden sich auch nicht von heute auf morgen beseitigen lassen. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass dies weniger eine Frage des Rollenverständnisses ist, das sich – wie gesagt – sehr verändert hat, als vielmehr die Frage konkreter gesellschaftlicher Umstände, die nicht allein durch die Universität verändert werden können.
Ganz grundsätzlich rate ich ihnen, den Mut zu haben, sich für ein besonderes Studium zu entscheiden. Dazu ist natürlich vorausgesetzt, dass sie für eine bestimmte Ausbildung Interesse und Leidenschaft mitbringen. Anders geht es nicht und bringt nur Frustration. Ist dies jedoch vorhanden, so meine ich, dass ein Studium mit Zuversicht bewältigt werden kann. Dass sich irgendwann auch die Frage nach dem konkreten Beruf stellt, der mit dem Studium erreicht werden soll, ist klar. Und dass sich nicht nach jedem Studium der gewünschte oder angestrebte Beruf automatisch einstellt, ist ebenso klar. Deshalb empfehle ich den Studierenden, ihr Studium breit anzulegen und vor allem jene studienrechtlichen Möglichkeiten zu nützen, die ein fächerübergreifendes Studieren zulassen, d. h. nicht nur ein Spezialstudium zu absolvieren, sondern ebenso zusätzliche Fachgebiete kennen zu lernen. Ich glaube, dass dies der heutigen Situation in der Berufswelt entspricht. Die geradlinigen Karrieren, die von einer Ausbildung zu einem einzigen Beruf führen, der dann lebenslang ausgeübt wird, bilden in unserer Zeit schon eher die Ausnahme. Immer mehr Menschen üben im Laufe ihres Berufslebens verschiedene Berufe aus. Deshalb ist bereits bei der Ausbildung Flexibilität und Interessensbreite angesagt. Dies erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auch will ich nicht verschweigen, dass nach wie vor eine hohe Arbeitslosenzahl unter Akademikern festzustellen ist. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass gleichzeitig immer noch akademisch ausgebildete Menschen – statistisch gesehen – eindeutig höhere Chancen haben, ins Berufsleben einzusteigen als Menschen, die keine vergleichbare Ausbildung vorweisen. Schließlich gestatten Sie mir noch ein konservatives Bekenntnis: Ein Studium, das ernsthaft betrieben wird und somit einen wirklichen Erkenntniszuwachs bringt, ist nie umsonst. Es lohnt sich immer. Auch dies sage ich jungen Menschen, die mich fragen.