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„Unsere Wurzeln sind anderswo“ (Walter Sulzberger)[5261]

„Unsere Wurzeln sind anderswo“ – Drittes „Gespräch in der Schmiede“

Zu den Zielen des Salzburger Volksliedwerkes zählt auch die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen und aktuellen Fragen zur Kulturarbeit auf dem Gebiet der Volksmusik. Mit den „Gesprächen in der Schmiede“ wurde ein erfolgreicher Versuch gestartet, mit Verantwortlichen im Bereich der Volkskultur und Bildung nach einführenden Referaten und an Hand von praktischen Beispielen konkrete Themen zu diskutieren. Diese Form der Auseinandersetzung ist ein Mittel dazu, neue gewonnene Erkenntnisse als bereichernden Gewinn in die eigene Erfahrung einzubauen. Als Ort dieser mehrstündigen Veranstaltung, die vom Salzburger Volksliedwerk in Zusammenarbeit mit dem Referat Salzburger Volkskultur und an der musikalischen Volkskultur interessierten Einrichtungen durchgeführt wird, hat sich die Hammerschmiede in Anthering mit ihrem besonderen Ambiente bestens bewährt. In den beiden vorangegangenen „Gesprächen in der Schmiede“ ist es um eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen gegenwärtigen Versuchen gegangen, traditionelle Volksmusik mit anderen Stilelementen zu verbinden. Die dabei verfolgte Absicht war es, zu einem besseren Verständnis für die Ziele traditioneller wie auch neuer Wege des Singens und Musizierens in unserer Zeit zu gelangen.

„Unsere Wurzeln sind anderswo – Begegnung über die Volkskultur als einer der Wege Brücken zu bauen“ war am 7. November 2002 (16.00 bis 22.00 Uhr) das Thema der dritten Veranstaltung dieser Reihe. Folgende konkrete Fragen standen dabei im Vordergrund:

  • Was sind wichtige Voraussetzungen für ein positives Zusammenleben mit ethnischen Volksgruppen in unserem Land aus der Sicht beider Seiten?

  • Wieweit kann Begegnung über die Volkskultur zu einem Sich-näher-Kennen-lernen und Verstehen von bei uns lebenden ethnischen Volksgruppen führen und damit die gegenseitige Wertschätzung als Voraussetzung für Integration fördern?

  • Wieweit finden die volkskulturell tätigen Gruppen unseres Landes aus diesem Näher-Kennenlernen der bei uns lebenden ethnischen Volksgruppen und ihrer Kultur Bereicherung für sich und ihre eigene Arbeit?

  • Welche Maßnahmen können wir ins Auge fassen, um das Sich-näher-Kennen-lernen zu fördern?

Die Zunahme der Zahl der Ausländer in der Gemeinde, am Arbeitsplatz und in der Schule bringt eine neue Komponente in das Zusammenleben der Menschen, die Probleme wie auch Chancen bringt. Bei der Zusammenkunft in der Schmiede ging es darum, auf der Basis wissenschaftlicher Grundlagen, am Beispiel von Projekten und in der Begegnung mit ethnischen Volksgruppen die Situation im Bundesland gemeinsam zu diskutieren und gemeinsam die Rolle der Volkskultur bei der Förderung eines positiven Zusammenlebens herauszuarbeiten.

Zum „Gespräch in der Schmiede“ 2002 waren in der Salzburger Volkskultur Tätige eingeladen, sowie stellvertretend für bei uns lebende ethnische Gruppen Ramasan Tigli, Leiter des Vereins „Interkulturelles Zentrum für Integration“, St. Johann i. Pg. als Vertreter der türkischen Volksgruppe und Zoran Sijakovic, Leiter des serbischen Kulturvereins „Danica“, als Vertreter der serbischen Volksgruppe, beide mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des jeweiligen Vereines. Die beiden Vereine sind unter anderem bestrebt, durch Musik, Gesang, Tanz und Vorführung von Bräuchen die Verständigung zwischen Einheimischen und Ausländern zu fördern. Das Beisammensein in der Hammerschmiede wurde durch die Mitwirkung von Salzburger Musikern und Musikern und Sängern der beiden Volksgruppen sowie durch Spezialitäten aus der türkischen und serbischen Küche bereichert.

Nach einer Einführung in die Thematik und Fragestellung des Gespräches referierte ao. Univ.-Prof. Dr. Brunhilde Scheuringer, Universität Salzburg, über den Ausländeranteil im Bundesland auf der Grundlage wissenschaftlicher Erhebungen an Hand empirischer Untersuchungen. Behandelt wurden die Themenbereiche „Heimat und Fremde – Fremdheitserfahrungen“, „Fremde als ethnische Gruppe“, „Bildung von Stereotypen“ (Vorurteile), „Interkulturelles Lernen“ (Sprache, Landeskunde, Gemeinsamkeiten, interkultureller Dialog, Offenheit, Toleranz) und „Integrative Funktion der Volkskultur“.

Ramasan Tigli berichtete über die Erfahrungen der Volksgruppe in St. Johann und allgemein über die Situation der Türken in Österreich. Entscheidend ist der große Unterschied der Lebenskreise, der von Menschen, die aus der Türkei zu uns kommen, gleichsam als „Kulturschock“ erlebt wird. Denn „alles ist anders“: der Alltag, das Wohnen, die Sprache, das Leben im Jahreskreis. Dabei muss unterschieden werden zwischen jenen aus der Volksgruppe, die vorübergehend im Lande arbeiten, um Geld zu verdienen für eine bessere Existenz in ihrem Herkunftsland, und jenen, die eine neue Heimat finden wollen. Kinder, die hier geboren wurden, die Schule besuchten und die Sprache einigermaßen beherrschen, sind bemüht, sich zu integrieren. Es bildet sich eine Generation, die in diese neue kulturelle und soziale Umwelt hineinwächst. Viele Eltern fördern diese Entwicklung, andere stehen dieser Situation mit Sorge und Angst gegenüber.

Der von Ramasan Tigli geleitete Verein sieht seine Aufgabe neben der Organisation von Sprachkursen vor allem darin, Integration in sinnvoller Weise zu fördern. Dazu gehört auch das Bemühen, die ethnischen Volksgruppen im Pongau zu ermutigen, die eigene Volkskultur in Lied, Musik, Tanz, Spiel und Brauch zu pflegen und über die Präsentation ihrer Volkskultur die Begegnung mit den Einheimischen zu fördern.

Für die serbische Volksgruppe sind Probleme, die sich aus den kulturellen Unterschieden ergeben, von untergeordneter Bedeutung. Dem von Zoran Sijakovic geleiteten Verein „Danica“ geht es vorrangig darum, bei den Einheimischen Vorurteile abzubauen und den aus dem ehemaligen Jugoslawien Zugewanderten rechtliche Hilfe zu geben, beizutragen, bestehende Spannungen innerhalb der ethnischen Gruppen und Generationen abzubauen und auf eine humane Integration einzuwirken. Die Organisation von Musikveranstaltungen bildet im Verein „Danica“ einen besonderen Schwerpunkt. Zoran Sijakovic hat dafür eine sehr professionell musizierende Tanzmusik- und Gesangsgruppe zusammengestellt, die es beeindruckend versteht, Musik der Volksgruppen des ehemaligen Jugoslawien zu präsentieren.

Der zweite Teil des Gespräches wurde mit Berichten von konkreten Initiativen aus dem Bundesland eingeleitet. Dazu zählen insbesondere die erfolgreichen Beispiele des Schulprojektes „Mit allen Sinnen“, aber auch Initiativen zur Förderung der Integration im Landesverband der Salzburger Heimatvereinigungen. Diesen Projekten geht es vor allem darum, über die Volkskultur die Begegnung mit den Ausländern zu ermöglichen und zu vertiefen. Bei den engagierten Ausführungen aus Wagrain (Maria Thurner), aus Untertauern (Marianne Gsenger), aus St. Johann (Heidi Schiechl), Saalfelden und Weißbach bei Lofer (Roswitha Wieser), den Tourismusschulen Klessheim (Dr. Helga Vereno) und Straßwalchen (Erwin Eder) war zu hören, dass die Ziele, die sich die Projektleiter gesteckt haben, keineswegs leicht zu erreichen sind. Neben vielen erfreulichen Erfolgen gab es auch schwer zu überwindende Probleme und Rückschläge.

Die zahlreichen Teilerfolge sind jedenfalls Aufforderung, in diesen Bestrebungen verstärkt fortzufahren. Die vorliegenden Konzepte und Projekte sind ein wesentlicher Beitrag für ein humanes und demokratisches Zusammenleben der Menschen. Die anschließende allgemeine Diskussion brachte folgende Ergebnisse:

  • Stärkung der positiven Ansätze für ein Aufeinander-Zugehen durch organisatorische und finanzielle Unterstützung

  • Förderung von konkreten Veranstaltungen, die Beispiele setzen und Bewusstsein wecken für die unerlässlichen Tugenden im Zusammenleben mit Ausländern wie Toleranz, Wertschätzung, Abbau von Vorurteilen

  • Weitere Erarbeitung von Grundlagen durch die Wissenschaft

  • Folgeveranstaltungen des Volksliedwerkes sollen die Auseinandersetzung mit dem Thema „Die Brückenfunktion der Volkskultur“ weiter vertiefen, um die Realisierung vorhandener Konzepte und die Entwicklung neuer Ideen zu ermöglichen

  • Ausbau der Kooperation in der Region zwischen jenen Einrichtungen, denen die humane und längerfristige Lösung des so genannten Ausländerproblems ein besonderes Anliegen ist.



[5261] Zeitschrift Salzburger Volkskultur, 27. Jg., Mai 2003, S. 134–136.

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