Der heilige Nikolaus zählt zu den bedeutsamen und weitverbreiteten Heiligen. Seine Verehrung in der Ostkirche wie in der römischen Kirche dauerte über Jahrhunderte an. Aus seinen Legenden entstanden sowohl vielfältige Patrozinien (Schifffahrt, Handel, mit oder am Wasser arbeitende Gewerbe) als auch – in Verbindung mit seinem Todestag – ein Europa umspannender populärer Kult, der bis heute nachklingt.
Der Todestag des Heiligen, der 6. Dezember, liegt nicht nur am Beginn des winterlichen Wirtschaftsquartals, sondern auch in der Nähe von Weihnachtsfest und Jahreswechsel. So wurde dieser Termin zu einem herausragenden Fest, das erst ab dem 18. Jahrhundert durch das Weihnachtsfest abgelöst wurde. Sein zweiter Festtag, der 8. Mai, der besonders in Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, an Rhein und Mosel als Beginn des Sommerquartals gefeiert wurde, war bei uns nicht von Bedeutung; er könnte aber Fragen um das Aussehen der wilden Begleiter des Nikolaus erläutern helfen.
Der heilige Nikolaus war Bischof von Myra in Kleinasien (geb. 270/80 in Patara in Lykien, gest. zwischen 345 und 351 in Myra). Sein Skelett wurde 1957 untersucht und entspricht dieser Zeit. Sein Kult war bereits im 6. Jahrhundert bedeutsam, schon im 9. Jahrhundert wurde sein Fest am 6. Dezember gefeiert. In Myra wurden seine Gebeine verehrt, in Konstantinopel seine Schriften. Er galt als „Hyperhagios“, als wundertätiger Erzheiliger. Die Übertragung der Gebeine von Myra nach Bari in Italien (1087) entfachte einen gesamteuropäischen Kult. Seine Verehrung wurde von Päpsten, Herrschern und durch die Reliquienübertragungen ausgebreitet. An Reliquienwegen wie um Kirchen, die Reliquien besaßen, entstanden Verehrungszentren (Benediktinerabtei Burtscheid bei Aachen vor 1000, Saint-Nicolas-de-Port bei Metz). So wurde auch sein Fest 1222 zum Fest erster Klasse erhoben, und das mitteldeutsche Passional von 1300 begann das Kirchenjahr mit dem Fest des heiligen Nikolaus.[954]
Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert gehört er bereits unter den 14 Nothelfern zum lokal besonders verehrten „Austauschheiligen“. Um 1500 waren ihm zwischen 4.000 und 5.000 Kirchen in Europa geweiht. So entwickelte das Mittelalter auch eine für seine Zeit idealtypische Nikolausfigur und stilisierte den Heiligen nach den Bedürfnissen der Zeit. Wie Werner Mezger feststellt, sind daher auch alle Etappen der Legendenbildung und der Heiligenverehrung verschlüsselte Botschaften über die jeweilige Zeit, deren Lebensverhältnisse, geistige Orientierung und Wertvorstellungen.
Fra Angelico malte 1375 in Siena das erste Bild des heiligen Nikolaus als Gabenbringer – er wirft Gaben in einen Raum mit schlafenden Knaben, deren Schuhe vor den Betten stehen. Ein Augsburger Holzschnitt, die Illustration einer Legendensammlung von 1471/72, zeigt den heiligen Nikolaus ebenfalls als Gabenbringer: Er legt nachts Goldbeutel auf das Fensterbrett der verarmten Mädchen. Im 14. Jahrhundert kam das Gleichnis von den Talenten (NT, Mt 24,14 ff.) als Lesung für den Nikolaustag ins römische Messbuch. Seit 1500 ist das Gabenbringen als Brauch belegt.
Der belehrende und prüfende Bischof wurde in der Gegenreformation von den Jesuiten spielerisch durchgestaltet, aus den bis dahin kleinen Szenen im 17. Jahrhundert wurden ganze Nikolausspiele, die ab dem 18. Jahrhundert bereits eine Eigendynamik entwickelten. Aus dem Nikolaus und seinem teuflischen Begleiter wurde bald eine hierarchisch abgestufte Gefolgschaft von himmlischen und teuflischen Gestalten, die vielfach verändert in unseren Krampus- und Perchtenläufen nachwirken.
Daneben nahm das Ende des heiligen Nikolaus als zentralem weihnachtlichem Gabenbringer mit Martin Luther seinen Lauf. Der Reformator wandte sich gegen den katholischen „Heiligenhimmel“ mit seinen Auswüchsen. Er propagierte das Christuskind als alleinigen Gabenbringer. Im Biedermeier erreichte es – mit dem neuen Christbaumfest – schließlich auch Österreich, und Sankt Nikolaus wurde vom Christkind abgelöst. Bis ins 20. Jahrhundert blieb er der katholische Kinderbischof. Seither machen ihm seine im 19. Jahrhundert entstandenen, überkonfessionell, medial und marktwirksam weiterentwickelten Weihnachtsmannkollegen Konkurrenz.
Der heilige Nikolaus in seiner Bedeutung als Gabenbringer und vielfacher Patron (der Schiffleute, der Händler und Kaufleute, der Weber, der Bergleute etc.) entwickelte sich aus zwei historischen Persönlichkeiten, aus dem Bischof von Myra/Kleinasien (geb. 270/80 in Patos in Lykien, gest. 343 in Myra) und dem Abt Nikolaus Archimandrit der Abtei Sion bei Myra, der am 10. Dezember 564 als Bischof von Pinara starb. Im 4. Jahrhundert bereits wurde die Vita, das Leben des kleinasiatischen Bischofs beschrieben, sein Kult war schon im 6. Jahrhundert bedeutsam und zu dieser Zeit kamen auch Legenden aus dem Leben des Abtes von Sion hinzu. In Myra wurden seine Gebeine verehrt, in Konstantinopel seine Schriften. Er galt als „Hyper-Hagios“, als wundertätiger Erz-Heiliger. So wurde auch sein Fest beim Konzil von Oxford, 1222, zum Fest erster Klasse erhoben und das mitteldeutsche Passional von 1300 begann das Kirchenjahr mit dem Fest des heiligen Nikolaus.[955]
Bischof Nikolaus bekämpfte in der Hafenstadt Patara den Apollokult im Monat Dezember und bald ersetzte das Fest am Todestag des Heiligen, am 6. Dezember, die Wallfahrt zum Orakel des Apollo. Die Legenden um Sankt Nikolaus stehen auch mit dem Denkmal der Artemis in Zusammenhang.[956] Aus seiner Vita entstanden um 880 Legenden, die ihn – fehlgedeutet – auch zum Helfer der Kinder machten. So wurde aus der belegten Errettung der drei Feldherren vor dem Schafott eine Fülle von Geschichten, die den Heiligen zum Helfer der Kinder machten (Fehldeutungen und Zusätze ab 1087 – Errettung der Theologiestudenten aus dem Pökelfass, Beschenkung der armen Knaben und Errettung der Mädchen vor der Prostitution).
Die für den Bischof ikonografisch so bedeutsamen drei goldenen Kugeln wurden mehrfach neu interpretiert. Ursprünglich als Rangzeichen für die Bischofswürde verwendet, wurden sie zu einem Symbol der Dreifaltigkeit, welche Nikolaus auf dem Konzil von Nicäa 325, zu Beginn der Kirchenspaltung, verteidigt haben soll. Aus den Kugeln wurden – fehlgedeutet bzw. volkstümlich interpretiert – schließlich in Bild und Schrift drei goldene Münzen, drei Goldklumpen, drei Brote, drei Äpfel – die wiederum den Heiligen zum Gönner und Schützer der jungen Menschen werden ließen.[957]
Seit dem 9. Jahrhundert wurden in griechischen Sammelwerken Berichte über den Heiligen aufgezeichnet, die alle in die Legenda Aurea des Jakobus de Voragine (gest. 1298, Erzbischof von Genua) einflossen und von ihr ausgehend bereichert und erweitert wurden. Aus der Zeit zwischen 821 und 841 stammt der erste Beleg für das Nikolausfest am 6. Dezember: Es wird im Marmorkalender der Kirche San Giovanni Maggiore in Neapel erwähnt.
Der europäische Nikolauskult setzte im frühen 11. Jahrhundert mit der Übertragung seiner Gebeine von Myra nach Bari ein (am 8. Mai 1087 weihte Papst Urban II. die Nikolauskirche in Bari), wo bald mehrere Kirchen für den Heiligen errichtet wurden. Dies war ein kirchenpolitisch und identifikatorisch bedeutsamer Akt, denn infolge des Krieges der Türken gegen die Byzantiner war es notwendig, die Gebeine herausragender Heiliger in christlich gebliebenes Land zu verbringen. 1098 berief Papst Urban II. das Konzil nach Bari in die Krypta der Nikolauskirche und förderte dadurch die Bedeutung und Verbreitung des Heiligen erneut. 1105 wurde die Nikolauskirche sogar direkt dem Heiligen Stuhl in Rom unterstellt. 1957 wurde von Wissenschaftern das Nikolausgrab in Bari geöffnet und das Skelett tatsächlich der Lebenszeit und dem Lebensraum des Heiligen zugewiesen.
Von Süditalien ausgehend, verbreitete sich der Kult rasch – vielfach über die Benediktiner.[958] Dieser meist verehrte Heilige des Morgenlandes taucht bereits zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert unter den 14 Nothelfern des Abendlandes als lokal besonders verehrter „Austauschheiliger“ auf. So entwickelte das Mittelalter auch eine für seine Zeit idealtypische Nikolausfigur und stilisierte den Heiligen nach den Bedürfnissen der Zeit. Wie Werner Mezger feststellt, sind daher auch alle Etappen der Legendenbildung und der Heiligenverehrung verschlüsselte Botschaften über die jeweilige Zeit, deren Lebensverhältnisse, geistige Orientierung und Wertvorstellungen.[959]
Die Reliquienübertragungen brachten die Nikolausverehrung von Italien nach Frankreich (Saint-Nicolas-de-Port bei Metz, ein bedeutender Binnenhafen und Handelsknotenpunkt)[960] und von dort nach Belgien, Holland und ins Rheinland, weiters über die Hanse nach Norddeutschland. Ein zweiter Verbreitungsstrang führt über Kaiser Otto II. und seine griechische Frau Theophanou, die noch vor dem Jahre 1000 eine Mosaik-Ikone ins Benediktinerkloster Burtscheid bei Aachen brachte. So war der Kult bereits im 10. Jahrhundert allgemein anerkannt und es entwickelten sich weitere Verehrungszentren, Pilgerstraßen und lokale Legenden, die sich bald auch mit regionalen Kulten und Sagen mischten. Im Mittelalter waren Sankt Nikolaus bereits mehr als 2.000 Kirchen geweiht, die vorrangig an Häfen, Straßen und Brücken standen. Nach heutigem Forschungsstand gibt Mezger für die Zeit von 1500 eine Zahl zwischen 4.000 und 5.000 Nikolauskirchen in Europa an. Zu den frühesten Nikolausreliquien in unserem Raum zählen jene von Fulda (818), Benediktbeuren (1063) und Stift Ardagger (ebenfalls 1063).[961]
Drei römische Offiziere, die eine Revolte in Phrygien niederschlagen sollten, machten während eines Sturmes auf See bei Sankt Nikolaus im Hafen Andriaki bei Myra Station und erlebten dort die Errettung von drei unschuldig Verurteilten vor dem Richtschwert. Nach der günstigen Erledigung ihrer Mission wurden sie in Konstantinopel von Neidern einer Verschwörung bezichtigt und zum Tode verurteilt. Sie erinnerten sich an Bischof Nikolaus und erbaten seine Hilfe. Nikolaus erschien dem Kaiser im Traum und dieser ließ die Gefangenen frei und rehabilitierte sie. So wurde Sankt Nikolaus u. a. auch der Patron der Soldaten und Gefangenen.
Der junge Bischof Nikolaus hörte von einem verarmten Mann, der seine drei Töchter zur Prostitution zwingen wollte, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Dreimal kam Nikolaus in der Nacht zum Hause der Verarmten und legte jeweils eine Börse mit Gold auf das Fensterbrett, damit die Mädchen ihrem Stand gemäß verheiratet werden konnten. Der Vater durchwachte die dritte Nacht, um seinen Wohltäter zu beobachten. Über diese Legende wurde der Heilige Patron der heiratsfähigen jungen Menschen bzw. der Mädchen und zum nächtlichen, heimlichen Gabenbringer. In vielen Regionen Europas zieht er im Brauch ungesehen in der Nacht vorbei und legt seine Gaben in Teller, Schuhe, Körbe, Schiffe oder auf das Fensterbrett.
Während einer Hungersnot in Lykien erschien Nikolaus einem Kaufmann in Andriaki bei Myra, der seine Getreideschiffe nach Spanien auslaufen lassen wollte und bewog ihn, das Korn nach Myra zu bringen. Als Pfand und Zeichen legte er ihm drei Goldstücke in die Hand. Eine weitere Legende berichtet von einer Hungersnot in Kleinasien. Ein Getreideschiff, auf dem Weg von Alexandrien nach Konstantinopel, machte Station in Myra. Nikolaus verhandelte mit dem Kapitän um das Getreide, das der Kapitän nicht verkaufen wollte. Über Zutun des Heiligen konnten drei Getreidesäcke für Myra gekauft werden, die ausreichten, um die ganze Bevölkerung zu ernähren und eine neue Saat auszulegen. Bei der Ankunft des Schiffes in Konstantinopel fehlte kein einziger Sack. Beide Legenden zeigen Nikolaus als einen Mann, der Fülle bringt – in der abendländischen Tradition leitet sein Fest am 6. Dezember die Überfülle der Schlachtzeiten und Weihnachtsgaben ein.
Schon zu Lebzeiten des Heiligen entstanden Berichte von Errettungen aus Seenot, die sich nach seinem Tode vervielfachten. Am berühmtesten ist jene Legende, in der Matrosen in Seenot plötzlich den Bischof am Steuerruder sahen. In Myra angekommen, erkannten sie ihren Retter in jenem Bischof, der die Messe zelebrierte. Aus dem 11. Jahrhundert existiert eine Legende, die davon berichtet, dass Handelsleute gewzungen worden waren, in Bari eine Zwischenlandung vorzunehmen und die Gebeine des Heiligen zu besuchen. Auch der französische König, Ludwig der Fromme, soll 1254 vor Lykien in Seenot gekommen sein. Er wurde errettet, weil seine Frau dem heiligen Nikolaus ein silbernes Schiff als Votivgabe versprach. In ganz Europa wurde der Heilige seit dem Mittelalter zum Patron der See- und Binnenschifffahrt; in vielen Landstrichen – u. a. Mürztal/Stmk., Niederösterreich, Eisenwurzen, Oberösterreich, Bayern und Tirol etc. – stellen Kinder Papier- bzw. Brettschiffe als Gabenbehälter für den Heiligen in die Fenster oder werfen sie ihm zu Ehren in die Bäche.
Die erste Errettung eines Kindes soll sich bereits zu den Lebzeiten des Heiligen abgespielt haben. Während der feierlichen Einsetzung Nikolaus’ in sein Amt vergaß eine Mutter ihr Kind in einem Waschbottich am Herd. Nikolaus errettete das Kind vor dem Gesottenwerden.
1274 erzählte der heilige Bonaventura in seiner Predigt zum Nikolausfest eine neue Legende, die vermutlich – aus dem jahreszeitlich geprägten Fest des Heiligen und früheren Legenden – in Frankreich entstanden ist: Zwei (später drei) Philosophie-Schüler wanderten zur Schule in Athen. In ihrem Nachtquartier wurden sie vom Wirt ermordet und zerstückelt in ein Pökelfass mit Schweinefleisch gelegt. Vom Heiligen errettet, lebten sie unversehrt weiter. Diese Legende wurde für viele Darstellungen in Europa bis ins 18. Jahrhundert vorbildlich.
Am Fest des heiligen Nikolaus lud ein Mann Pilger in sein Haus zum Festmahl ein. Einer darunter, der Teufel, erwürgte das Kind des Gastgebers. Sankt Nikolaus, ebenfalls als Pilger verkleidet, erweckte das Kind wieder.
Ein Mann, der Sankt Nikolaus für die Geburt eines Sohnes einen Goldkelch versprochen hatte, ließ statt des verlobten teuren Kelches einen zweiten billigeren anfertigen. Auf der Schiffsreise zum Heiligtum des Nikolaus fiel der ersehnte Knabe mit dem teuren Kelch ins Meer und ertrank. Als der Vater den zweiten Kelch opfern wollte, rollte dieser zu Boden und das Kind erschien unbeschadet mit dem teuren Opferkelch vor dem Altar des Nikolaus.
Das Kind eines reichen Mannes wurde während der Feier am Nikolausfest aus seinem Elternhaus entführt und als Diener des Königs von Babylon versklavt. Am Nikolausfest des kommenden Jahres wurde es, während es dem König die Trinkschale reichte, von Winden gefasst und in sein Elternhaus zurückgebracht. Voragine brachte dazu eine Fassung aus der Normandie, die für weitere Legenden vorbildlich wurde.
In Legenden und Lebensberichten über den heiligen Nikolaus taucht vielfach die Dreizahl auf: er isst drei Granatapfelkerne und schöpft dreimal Wasser im Namen der Dreifaltigkeit, er kann nach der Geburt bereits drei Stunden stehen etc. Zwei Deutungen gibt es dafür: einerseits, dass das Dogma der Trinität – der Heiligen Dreifaltigkeit – die Lebenszeit des Heiligen kirchenpolitisch beherrschte und er als Verteidiger dieses Dogmas daher vielfach mit der Dreizahl behaftet wurde. Dagegen steht die Meinung, dass die Kirche nach dem Konzil von Nicäa das Trinitätssystem zum tragenden Gedankengut der Religion gemacht hat und es als Symbol der Macht und Größe wie auch der Totalität verwendete. Beide Auslegungen bestätigen die Bedeutung des Heiligen im Kult.[962]
Die Dreizahl aus der Ikonografie wurde, ebenso wie Seefahrt, Traum, Schlaf und Nacht sowie Pökelfass, Sack und Beutel, zu einem bis heute fortwirkenden Bestandteil der Nikolauslegenden[963] und damit auch des Brauches. Wenn heute noch Sankt Nikolaus bei Dunkelheit, je nach Gegend, seine Gaben im Leinen- oder Jutesackerl bringt, sie aufs Fensterbrett oder in ein Papierschiff legt, wenn er Religionskenntnisse und Verhalten abfragt bzw. wenn der Krampus Kinder in Bottichen und Butten mitnimmt, dann sind wir mitten in den fortwirkenden Bestandteilen dieser Legenden. Besonders die späteren Legenden zum Schutzheiligen der Kinder enthalten die katechetischen Hinweise auf die Wichtigkeit der Glaubenstreue.
Auch lokale Legenden fanden Eingang in Nikolausbrauch und Ikonografie. Seit dem 8. Jahrhundert waren die Benediktiner in Lothringen maßgeblich, sie verbreiteten viele Heiligenkulte, in die sie Sagen und Legenden einbezogen – auffällig solche mit sagenhaften Tieren (Hirsche = durch seinen Geweihwechsel ein Symbol der Auferstehung, Drachen = als Allegorie des Sumpfes und damit des Heidentums). Bis ins 17. Jahrhundert wurden in Lothringen gefesselte Drachen bei Prozessionen und religiösen Festen mitgeführt und wurden so Bestandteil des Nikolauskultes.[964] Inwieweit sich die heute bekannten Bilder – Sankt Nikolaus mit dem Hirsch- oder Rentiergespann, Sankt Nikolaus mit seinen dämonischen Begleitern – davon ableiten, könnte nur im Einzelfall eruiert werden.
Besonders im 17. Jahrhundert entstanden viele Nikolauslegenden, die von wunderbarer Errettung auf dem Meer oder bei der Überquerung von Flüssen berichten. Sie zeigen die wirtschaftlichen Sorgen und Plagen jener Zeit, in der internationaler Handel per Wasser notwendig, aber gefährlich war. Dementsprechend wurde der Heilige bereits im Mittelalter – zumindest gebietsweise – Patron einer Fülle von Gewerben, die mit dem Wasser im Bereich ihrer Produktion zu tun hatten bzw. deren Waren auf Flüssen verschifft wurden: Fischer, Händler, Töpfer, Böttcher und Küfer, Getreide- und Ölhändler, Fuhrleute, Tuchscherer, Färber und Müller, Holzflößer (in den Vogesen).
So war auch Sint Niklaas in Antwerpen einst eine bedeutende Wallfahrt. Neben der kirchlichen Verbreitung durch die Orden zog der Kult auch über die Binnenschaft und Flößerei weite Kreise: von Frankreich ausgehend in die Schweiz, nach Italien sowie über Rhein und Mosel in die Benelux-Länder und den Norden Deutschlands.[965]
In Frankreich wurde das Nikolausfest am 6. Dezember zum Beginn des Winterwirtschaftsjahres gefeiert und damit zum Schweineschlachtfest, an dem das Fleisch gepökelt und die verderblichen Produkte – u. a. Würste und Innereien – bei einem fröhlichen Fest verspeist wurden. Als zweites Fest wurde der 9. Mai (Gedächtnistag der Translation nach Bari) begangen, der mit den Pfingstbräuchen in Verbindung steht und Beginn des Sommerwirtschaftsjahres war. Die Ikonografie des Sommernikolaus ist auch für unsere Maskenumzüge interessant.
Bei den sommerlichen Nikolausumzügen begleiteten Figuren, die mit Hühnerzucht und Getreidebau – im weitesten Sinne also mit Fruchtbarkeit – zu tun hatten, den Heiligen und trieben Späße mit Mädchen und Frauen. Sie trugen Gewänder, die in enger Beziehung zu den alpinen Maskierungen der „Schiachperchten“-Begleiter des Nikolaus stehen, nämlich Laub- und Strohgewänder mit Schellen und Kopfputz. Ob und welche Beziehungen, Kulturkontakte oder Übernahmen hier bestehen, ließe sich nur durch europaweite Forschungen klären.
Eine protestantische Karikatur des katholischen Nikolaus, angefertigt vom Züricher Holzschneider Jost Amman in Nürnberg im 16. Jahrhundert, zeigt ein Mischwesen aus Sommer- und Winternikolaus, Strohpercht und Theaterfigur. Der Heilige reitet auf einem Esel und trägt eine Pelzmütze, die mit einem Vogelnest, grünen Zweigen in der Form eines Gehörns sowie mit Tieren und Würsten besetzt ist, dazu ein Wams aus Stroh über einem zerschlissenen Gewand und einen breiten Ledergurt, der mit Viehglocken und einer Pfeife besetzt ist. Parallelen zu den „schiachen“ Begleitern in Salzburg sind auffällig. Um den Hals trägt er eine Brezel und mit der rechten Hand schwingt er eine Gerte. In Schwaben und Vorarlberg werden heute noch Brezeln, Schnecken und Pfeifen aus Germteig zum Nikolausfest gebacken. Dieser Popanz erinnert an Karnevalsmasken und „Schiachperchten“. Sigrid Metken wies bereits darauf hin, dass Amman in seiner Karikatur nur Symbole verwendet haben kann, die seinen beiden Zielgruppen, den reformierten Protestanten wie den verspotteten Katholiken, bekannt gewesen sein mussten. Ammans Holzschnitt stammt aus dem ersten Jahrhundert der Lutherischen Reformation und wendet sich gegen den katholischen „Heiligenhimmel“ mit seinen Bräuchen und Auswüchsen.[966]
Die Zahl der Bilddarstellungen ist entsprechend der großen Verehrung umfangreich. Zu den frühesten mitteleuropäischen (nach den Ikonen der Ostkirche) zählen die Holzschnitte der Legendensammlungen. Etwa jene von Günther Zainer in Augsburg von 1471/72, welche die Bewahrung der Jungfrauen vor Schande und die Wahl zum Bischof zeigt.[967] Die Bilder reichen von Altarbildern über verehrte Statuen bis zu den Votiv- und Mirakelbildern in Kirchen und Wallfahrten. Die Rettung der Seeleute wurde von Lorenzo di Monaco in Florenz erstmalig gemalt (1370–1425). Fra Angelico malte 1375 in Siena das erste Bild, das den heiligen Nikolaus als Gabenbringer zeigt – er wirft Gaben in einen Raum mit schlafenden Knaben, deren Schuhe vor den Betten stehen.
In Salzburg wurden Bildnisse des heiligen Nikolaus 1977 im Romanischen Keller gezeigt. Dieser Katalog (der allerdings wenige Salzburger Beispiele bringt) zeigt auch die Vielfalt der Nikolausdarstellungen, die im Alltagsleben gebraucht wurden: barocke Prozessionsstangen von Zünften und Bruderschaften, etwa jene der Salzach-Flößer, von Flachgauer Schiffern, die Zunftfahne der Salzburger Bäcker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Votivbilder und Andachtsbilder sowie einen Lebkuchenmodel aus Salzburger Privatbesitz von 1780.[968] Prunkstücke der Ausstellung waren drei Altartafeln aus dem Besitz des Salzburger Museums Carolino Augusteum [heute Salzburg Museum] mit bekannten Legendendarstellungen. Zwei davon datieren um etwa 1520 und stammen aus der Werktagsseite eines gotischen Flügelaltares, der vermutlich einst in der Filialkirche zum heiligen Nikolaus in Waldprechting bei Seekirchen am Wallersee stand. Möglicherweise hat Sebastian Stief, der 1720 den Altar erneuerte, die alten Tafeln – vermutlich vom Hofmaler Zanusi gefertigt – behalten und so errettet. Die erste zeigt einen großen Segler mit Kaufleuten und einem Fürsten in Seenot. Sankt Nikolaus erscheint in den Wolken, ein Spruchband zeigt die Rettung an: „Ad sum“, ich bin bei euch. Die zweite bringt die Beschenkung der drei heiratsfähigen Mädchen. Eine dritte Tafel, aus dem Umkreis der Donauschule, bildet die Errettung von drei Männern vor dem Henker ab.
1915 erschien in der „Salzburger Chronik“ eine Aufstellung der Nikolauspatrozinien in Salzburg.[969] Im alten, 1599 abgebrochenen Münster befand sich unter den 27 Altären und Kapellen eine Kapelle des heiligen Nikolaus, die von Erzbischof Heinrich vor 1343 errichtet worden war. Als Ersatz wurde ein Nikolausbild in den Altar der Martinskapelle übernommen. Das Nikolausfest wurde schon im 11. Jahrhundert in der Salzburger Diözese feierlich begangen. Erzbischof Paris Lodron, dessen Vater Nikolaus hieß, erhielt aus Bari eine Nikolausreliquie – ein Fläschchen mit jener Flüssigkeit, die aus den Gebeinen des Heiligen austritt – und verleibte sie dem Reliquienschatz des Domes ein.
Eine Kapelle zum heiligen Nikolaus bestand im Kai (heute das Eckhaus Kaigasse Nr. 20, Herrengasse Nr. 3), die im Mittelalter aus den Resten eines römischen Gebäudes von einem Bischof von Lavant errichtet worden sein soll. Von Erzbischof Theoderich wurde sie wegen ihrer Baufälligkeit abgetragen, im Jahre 1603 wieder erbaut und als Filiale der Domkirche zugewiesen. Die Patres Kajetaner benutzten sie bis zur Errichtung ihrer eigenen Kirche im Jahr 1697; einige von ihnen wurden dort auch begraben. Unter Erzbischof Hieronymus Colloredo wurde diese Kirche 1782 (als Bruderschaftskapelle) geschlossen, an den Hofmaurermeister Laschenzky verkauft und von ihm im Hause erhalten.
Im Raume der Erzdiözese sind oder waren folgende Kirchen dem heiligen Nikolaus geweiht: Dienten (1410), Dorfbeuern (788), Felben bei Mittersill, Göriach bei Tamsweg, Hinterthiersee/Tirol (14. Jahrhundert), Holzhausen bei St. Georgen an der Salzach, Neumarkt am Wallersee (1389), Filialkirche St. Nikola in der Torren bei Golling (1444), Oberndorf an der Salzach (1120 gestiftet bzw. 1160 geweiht), Saalbach (1410), Boldepp in Tirol (1266), Wald im Pinzgau (1469), Waldprechting bei Seekirchen, Welten in Tirol, Spital (1262), Westendorf (1408).[970] Auch die heutige Filial- und einstige Pfarrkirche in Bad Gastein (urkundlich erwähnt 1412) ist dem Heiligen geweiht und zeigt ihn am barocken Hochaltarbild.
Durch die Verbindung des Heiligen mit Meer und Salz kam Sankt Nikolaus auch zu seinen Patronaten über den Salzbergbau und ganz allgemein über den Bergbau. Eine französische Abhandlung von 1794 erläutert die Hintergründe. Bis dahin war man noch der Meinung, dass Salzseen und Salzablagerungen aus unterirdischen Meeresarmen entstanden waren.[971] Salz und Wasser im Bezug zu einem Nikolausheiligtum findet sich auch in zwei Salzburger Kirchen: in Oberndorf an der Salzach und in St. Nikolaus bei Golling. Die bis 1906 bestehende Nikolaikirche in Oberndorf ist heute durch die „Stille-Nacht-Gedächtniskapelle“ bzw. durch die Nikolaus-Pfarrkirche ersetzt, das Sankt-Nikola-Schifferspital existiert nicht mehr.
Die Verehrung des Heiligen verband sich bald mit den katechetischen Anliegen der Weihnachtsquadragese. Am Nikolaustag wurden die erworbenen Kenntnisse abgefragt und belohnt bzw. bestraft. Ob sich das Nikolausfest schon im Mittelalter an manchen Orten mit jenem des Kinderbischofs – das den Klosterschülern ein Fest mit einem öffentlichen Umzug ermöglichte – verband oder ob es sich unabhängig davon entwickelte, wird in der Forschung gegensätzlich diskutiert. Das Kinderbischofsfest war ein Fest der Latein- und Klosterschüler wie Ministranten, ein Fest der „verkehrten Welt“, bei dem die Erwachsenen bestraft wurden und danach alle Personen bei einem Festmahl Geschenke erhielten.
Über die Darstellung des Heiligen als Gabenbringer kam im 14. Jahrhundert auch das Gleichnis von den Talenten (Matthäus 24,14 ff.) als Lesung für diesen Tag ins römische Messbuch. Seit 1500 ist das Gabenbringen vielfach belegt. Dieser examinierende Bischof wurde in der Gegenreformation von den Jesuiten spielerisch durchgestaltet, aus den bis dahin kleinen Szenen im 17. Jahrhundert wurden ganze Nikolausspiele, die ab dem 18. Jahrhundert bereits eine Eigendynamik entwickelten. Aus Nikolaus und seinem teuflischen Begleiter wurde bald eine hierarchisch abgestufte Gefolgschaft von himmlischen und teuflischen Gestalten. Inwieweit ältere volkstümliche Masken von „Schiachen“ und „Perchten“ ins Gefolge übernommen wurden, entzieht sich unserer Kenntnis und wird in der älteren wie neueren Literatur sehr unterschiedlich dargestellt und bewertet.
Aber auch in den Adam-und-Eva-, Paradeis- und Weihnachtsspielen fanden sich jeweils Szenen des Kampfes um die Seelen der Menschen. Diese Spiele sollten, vom Sündenfall der ersten Menschen und der ewigen Verbannung des Luzifers ausgehend, die Notwendigkeit der Geburt Christi und des Erlösungswerkes erläutern. Dabei führten sie den Menschen die Bedeutung von Reue und Buße vor Augen. Erzengel Michael und Luzifer handeln, häufig vor Sankt Nikolaus, um die Seelen der Menschen. Eine der drei Hauptpersonen hält dabei Sündenregister vor, aus denen wir sowohl das erwünschte Wohlverhalten als auch die damals geläufigen Verfehlungen sehen können.
Der Krampus entstand im Zuge dieser Nikolausspiele und -bräuche und wurde in der Form des kettenrasselnden Kramperl zum Widerpart und strafenden Begleiter des heiligen Nikolaus. Die von Otto König gegebene germanisierende, etymologische Herleitung des Namens „Klaubauf“ und deren Bedeutung wurde vielfach kritisiert. Ihr wurden deren historische Entwicklung und Tätigkeit im Brauch – das Aufklauben der schlimmen Kinder in die Butte – entgegengehalten (dieselbe Bedeutung hat der „P/Butz“, der die schlimmen „weputzt“).[972] Edith Hörandner hat im Österreichischen Volkskundeatlas u. a. über die Namen der teuflischen Begleiter und des Heiligen gearbeitet, ihre Erläuterungen finden sich hier zu den Bezeichnungen. In der Karte des Volkskundeatlas sind die Bezeichnungen nach Regionen dargestellt.[973]
Von großer katechetischer Wirkung waren die Teufelsrollen in den Nikolausspielen des 17. bis 19. Jahrhunderts. Dort trat der gefallene Engel und Höllenfürst Luzifer auf und beklagte sein Schicksal, dass er wegen seiner Unbekehrbarkeit in Ewigkeit verdammt sei. Dieses Schicksal verlangte er auch für die Menschen und brachte dazu ein Gefolge von Unterteufeln mit. Den Klaubauf mit der Butte, den vorwitzigen stichelnden Ganggerl (Bezeichnung von „gankeln“, „ganggeln“, sich wie hängend hin und her bewegen) oder Kramperl, den zottigen Bartl (schmutziger, bärtiger Mensch; als Pars-pro-Toto-Bezeichnung), den Toifi etc. Die Kette, oft auch mit einer Eisenkugel (Gefangener!) daran, ist ikonografisches Symbol des Luzifers. Erst in späterer Missdeutung wurde sie zum Droh- und Strafinstrument.
Luzifers Widersacher ist, in der Genesis wie im Spiel, der Erzengel Michael, der als Seelenwäger nach den guten Taten und reuigen Bekehrungen der Menschen suchte, um sie einer Erlösung zuzuführen. Das heißt, Nikolaus und Krampus tragen die Kernaussage der christlichen Religionen in sich: Wer zu Reue und Buße bereit ist, kann erlöst werden. Nur der auf alle Zeit Unbekehrbare (Luzifer) wird verdammt und in Ewigkeit in der Hölle angekettet. Dementsprechend lautet auch die zweite Hälfte eines stets nur halb verwendeten Zitates: „Irren ist menschlich, das Beharren auf dem Irrtum aber teuflisch“ („Errare humanum est, perseverare diabolico“).
Für den Salzburger Raum sind sowohl die Südtiroler Nikolausspiele als auch die Bayerischen (z. B. Prien) und jenes aus Bruck an der Glocknerstraße, deren Ursprünge ebenfalls in Tirol liegen, bedeutsam. In Gastein wird für das 16. und 17. Jahrhundert in Chroniken vielfach ein Paradeisspiel vermerkt, das nach Horst Wierer[974] bis heute in den Krampusläufen nachwirkt. August Hartmann hat ab den 1830ern Weihnachtsspiele und -lieder in Bayern aufgezeichnet. Viele der Spiele enthalten neben Adam-und-Eva-, Herbergsuch-, Geburt-Christi- und Hirtenszenen auch Teufelsszenen. Zumindest Satan oder Luzifer, oft auch weitere Teufel, treten auf und streiten mit Engeln und/oder Nikolaus um die Seelen der Menschen. Im Seebrucker Hirtenspiel findet dies nach der Verkündigung der Geburt Christi an die Hirten statt. Der Text weist den Engel als Erzengel Michael mit dem Flammenschwert aus, der Luzifer vertrieb und in der Hölle ankettete. Durch die Art der Spiele und die Regieanweisungen in den Texten stellen sich diese Spiele als Stubenspiele dar. Im Seebrucker Hirtenspiel will der Teufel am Menschen seinen Groll darüber auslassen, dass er allein verdammt ist.
Auch die Laufener Schiffer führten zur Weihnachtszeit außer dem Sternsingen ein Hirten- sowie ein Adam-und-Eva-Spiel auf. Vermutlich kam auch in diesem, wie in weiteren Spielen der Region, der Teufel vor. Um Haggn (Landgemeinde Mitterfels) wurde das Adam- und Evaspiel im 19. Jahrhundert von fünf Personen dargestellt: Adam, Eva, Gott Vater, ein Engel und „ein Teufel mit einer langmächtigen Zunge“. Zu Furth zogen am Vorabend des Adam- und Evatages (24. Dezember) zwei Spieler als Adam und Eva in den Häusern umher. „Während sie einen Gesang vortragen, rumpelte plötzlich draußen mit ungeheurem Lärm der Teufel an die Thür, worauf die weitere Darstellung der biblischen Begebenheit folgte.“[975]
Auf die Prettauer (Südtiroler Arntal) und Sterzinger Spiele gehen die Krimmler Spiele – Kleinformen des Stubenspiels – zurück, die über Südtiroler Arbeitsmigranten in den Pinzgau kamen. Diese Wanderung von Spielen und Masken – etwa über die Arbeitsmigration eines Spielers nach Krimml – ist ein typisches Beispiel für den europäischen Kulturtransfer vergangener Jahrhunderte. Wandernde Schauspielertruppen sowie Spieler, Sänger und Musikanten im Nebenerwerb verbreiteten kulturelle Inhalte und Formen. Prägende Persönlichkeiten unter den Ausführenden und Einflüsse aus dem neuen Umfeld führten zu den „typischen“ regionalen Sonderformen. Mit der Herkunft der Krimmler Spiele haben sich neben Hans Schuhladen[976] und Anton Dörrer[977] auch Richard Wolfram und Arthur Haberlandt beschäftigt. Ihre Spielausdeutungen entsprechen aber nicht mehr dem heutigen Wissensstand.[978]
Das Krimmler Nikolausspiel enthält gemäß der Schilderung von Schuhladen, wie die meisten dieser Spiele, als Grundform den Auftritt eines Vorläufers, die Szene zwischen Zillertaler und Gendarm, die Einkehr des Nikolaus, die Szene zwischen Tod und Altem und den Teufelsauftritt mit der Teufelspredigt. Dazu kommen der Auftritt des Bajazzos, die Arztszene (Relikte mittelalterlicher Fasnachtsspiele), der Diskurs zwischen Sterzinger Mandl und Pfarrer, die Zigeuner- oder Hexenszene.
Der Vorläufer bereitet die Zuschauer mit komischen Versen auf das Spiel vor und stellt eine Verbindung zwischen Realität und Spiel her. Er ist gleichsam „Lustigmacher“ und „Stubenkehrer“. Der Zillertaler Öltrager schreit seine Ware aus und zählt oft die örtliche Skandalchronik, mit allerlei Anzüglichkeiten gespickt, zum Gaudium des Publikums auf. Der Engel kündigt jeweils den Auftritt des heiligen Nikolaus an und verschafft diesem eine dramatische Auftrittsszene. In Krimml und Gais folgt darauf der (ältere) Streit zwischen dem Erzengel Michael und dem als Engel gefallenen und ewig verdammten Höllenfürsten Luzifer. Schließlich belehrt und prüft Sankt Nikolaus und ruft den Teufel (Luzifer bzw. Klaubauf) in einer großen Einkehrszene herein.
An dieser Stelle hat sich in Krimml eine ausführliche Szene des Pro und Contra erhalten, in der die Kinder bzw. Menschen Helfer im Schutzengel, in Sankt Michael und in einem Bedienten des Nikolaus finden, während der Luzifer von „Teifl“, „Klaubauf“ und „Höllgsanten“ unterstützt wird. Die Teufel prangern dabei die schlechten Manieren der Kinder, unterlassene Gebete und schlechtes Verhalten in der Kirche sowie alle Verfehlungen, Sünden und Schandtaten der einzelnen Stände bzw. Altersgruppen an und wollen durch ihre Drastik erschüttern, z. B. „der Ehstant ist jetzt ganz verkerst / die Menner sind kein Theifl werth, / nicht als Spil, saufen, schölen und braßen, / Weib und Kind derhungern laßen. / Enk Weibern will ich auch noch erzöhl, / ein böses Weib eine halbe Höll, / als wie der weise Sirach spricht, / ist böser Schlang und Trackhen Gieft.“
Schließlich kündigt ein Vorläufer die Szene zwischen dem Alten und dem Tod an, jene Ausprägung des Südtiroler Jedermann-Spieles, die in Krimml am besten erhalten ist. Sie führt die Notwendigkeit der rechtzeitigen Läuterung, Reue und Buße vor Augen, da nur durch diese Umkehr die ewige Höllenverdammnis vermieden werden kann. In Krimml wird die Szene in der Art der volksbarocken Totentanzreigen noch durch die Dialoge zwischen Tod und altem Weib fortgeführt; einzigartig ist auch die Szene zwischen dem verdammten Vater und dem verdammten Sohn.[979]
An Südtiroler Nikolausspielen sind – laut der bedeutenden Arbeit von Hans Schuhladen – 72 Spielorte bekannt, allerdings nur dreizehn Spieltexte erhalten, die eng miteinander in Beziehung stehen. Die Großspiele setzten in Prags 1794 ein (Handschrift von 1794, die eine Sammlung älterer Szenen ist), die Kleinformen entstanden spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts und verbreiteten sich ausgehend vom Arntal. Die älteste Stufe der Kleinformen ist durch den Krimmler Text (Vorbild ca. 1750) erhalten. Ihre Spielorte waren Wirtshäuser, Bürger- und Bauernhäuser, daher waren Kulissen kaum üblich, denn die Spieler zogen – als Umzug – an einem Tag von einer Spielstätte zur nächsten. Dadurch und auch durch die Form der Spiele – eine Aneinanderreihung abgeschlossener Szenen ohne einheitliche Handlung – nähern sich die Nikolausspiele den Umzugsspielen an.
Die Nikolausspiele, deren Bedeutung und Stellenwert für die Herausbildung der Spiele und Spielbräuche werden in der Wissenschaft unterschiedlich bewertet. Für Hans Schuhladen stellen sie eine wesentliche Innovation dar, die der Erwachsenenkatechese diente. So sind gegenreformatorische Inhalte im Sinne der Belehrung und Seelenführung vorherrschend. Sowohl Stubenspiel als auch Einkehrbrauch stellen Neuschöpfungen aus älteren Vorbildern dar und dienen dem konkreten Zweck, die katholische Lehre spielerisch und theatralisch zu vermitteln. Die Exempelrevue dieser Spiele und Texte steht im Zusammenhang mit den Lesungen und Evangelien für die Zeit des Adventes bzw. mit dessen Evangelien für die Sonntage.
Hans Schuhladen stellte die verzweigte und nicht immer verschränkte Entwicklungsgeschichte von Nikolausspiel, -umzug und -brauch ausführlich dar. Darin finden sich der Einkehrbrauch und die Befragung durch den heiligen Nikolaus, Spielszenen aus mittelalterlichen Mirakelspielen, evangelische Adventspiele des 17. Jahrhunderts, Schauspiel, Umzugsbrauch und barocke Figuralprozession und Predigt wie auch Theater und Karneval. Konkrete Zuweisungen sind nur durch Einzeluntersuchungen möglich. Durch Schuhladens Forschung tat sich eine systematische kulturelle Entwicklung auf, die ältere mythische Zuweisungen der Teufelsfiguren in den Bereich der zeitbedingten Instrumentalisierung verwies.
Ob ältere klösterliche Bräuche des Knabenbischofsspiels im 10. bis 13. Jahrhundert das Nikolausspiel beeinflussten, ist nicht klar erwiesen. Dasselbe gilt für das seit dem Hochmittelalter bekannte Beschenken der Kinder. Der erste Hinweis auf eine Kombination von Einkehr des Bischofs und Beschenkung der Kinder ist von 1507 aus dem Gräflich Stolbergischen Rentamt erwiesen. Auch Sebastian Frank (1534) und Johannes Boemus (1520), die beiden reformierten Theologen und Kritiker katholischer Bräuche, trennen noch das Schülerbischofsspiel und das Einlegen durch den heiligen Nikolaus bzw. durch die Eltern. Ein Kindergebet des 15. Jahrhunderts aus dem Kloster Tegernsee lautet: „Heiliger sankt Nikolaus / In meiner Not mich nit verlas, / Kombt heint zu mir / und legt mir ein / in mein kleines Schiffelein.“
Für das 16. Jahrhundert stellt Hans Schuhladen eine deutliche Differenzierung der Feste des Adels, der städtischen Bürger und der ländlichen Bevölkerung fest. Aus dieser Zeit ist von Rudolf Wirth bzw. Hospitanus ein ländlicher, wilder Umzug des heiligen Nikolaus mit seinen Gefährten (cum suis famulis) geschildert, der über die Dörfer läuft, an die Fenster klopft und Geschenke verteilt. Im Innsbrucker Jesuitenkonvikt ist ein Spielbrauch mit dem heiligen Nikolaus aus dem 16. Jahrhundert bekannt. Insgesamt zeigen die Predigt und das Abprüfen beim Auftritt des heiligen Nikolaus stark gegenreformatorische Züge, dies ist in den Klöstern für jene Zeit nachweisbar. Dasselbe gilt für die Einkehr des Heiligen in die Häuser.
Der Münchner Prediger P. Wolfgang Rauscher berichtete zwischen 1691 und 1694 aus der Oberpfalz über Eintritte des heiligen Nikolaus in die Häuser, bei denen geprüft und beschenkt, aber auch Spott und Scherz über Haar und Bart des Heiligen getrieben wurde. Vergleichbar sind die Wiener Schilderungen des Abraham a Sancta Clara, der Nikolausauftritte mit Engeln und Teufeln erwähnt, bei denen u. a. eine Nikolausgruppe in der Vorstadt in betrunkenem Zustand Messer und Löffel aus den Häusern stahl. Damals wie heute also zeigt sich der Grat zwischen Brauch, Missbrauch und einfacher menschlicher Entgleisung.
Im 18. Jahrhundert wurden die Nikolausgruppen im Innviertel am Vortag von einem Klaubauf angekündigt. Diese Spielbräuche als Vorformen des Theaters sind offensichtlich älter und viel weiter verbreitet als die theatralischen Nikolausspiele, denn sie kennen nur wenige fixierte Dialoge und entwickeln sich situativ zwischen den Spielenden und den Besuchten. In ihnen fließen Formen des spielhaften Brauches, des Umzugs und des szenischen Stubenspiels ineinander. Das lässt sich auch anhand der erhaltenen Tiroler Masken feststellen, die vielfach bereits aus Umzügen stammen. Solche Umzüge mit der Einkehr des Nikolaus sind u. a. in Oberösterreich, in Unterkärnten, in Osttirol und im Berchtesgadener Land bekannt und vereinen eine Vielzahl von Theater- und Umzugs-Figuren (u. a. „Körbelweibl“, „Habergeiß“, „Tod“, „Hexen“, „Klaubauf“, „Schöne“ und „Schiache“).
Zu diesen Aufzügen gehört das Krampuslaufen in der Gastein, das mit seiner Einkehr des Bischofs, der Predigt in der Stube und dem Beschenken der Kinder den Osttiroler Formen eng verwandt ist. Auch der Berchtesgadener Buttenmandlzug, bei dem Nikolaus und Nikoloweibl (teils 1935 durch einen Engel ersetzt) prüfen und beschenken, zählt dazu. Zwölf Buttenmandln und die Ganggerl „räumen“ schließlich Burschen und Mädchen aus den Stuben hinaus. Auch im großen Mitterndorfer Nikolausspiel (am Fuß des Grimmings zwischen Krungl und Mitterndorf, Stmk.) begleiten u. a. „Strohschab“ oder „Schabmänner“ mit langen Hörnern den Nikolaus, wie Schuhladen darstellt. Leopold Kretzenbacher hat dieses Spiel und ähnliche in der Obersteiermark in ihrer Entstehung dem Benediktinerstift Admont zugewiesen.[980]
Im 19. Jahrhundert uferte das Nikolausspiel vielfach zu wilden Umzügen aus, die erst in dieser Zeit die Bezeichnung „Perchtenlaufen“ erhalten. Für Salzburg sind Nennungen dieses Wortes vereinzelt ab 1741 erhalten. Der heute so benannte Unterinntaler Perchtenlauf wurde vom Vikar am 6. Dezember 1815 beanstandet. 1835 wird im Zillertal das „Nikolai oder so genannte Perchtenlaufen“ verboten. Die Tiroler Belege zeigen, dass nach dem Niedergang der Nikolausumzüge das Perchtenlaufen in den Wochen vor Weihnachten häufiger wurde. Beide Arten, Nikolaus- wie Perchtenläufe, übernahmen viele ältere Spiel- und Schauspielformen sowie -figuren wie etwa das Brautpaar, den Lotter und seine Frau, den Arzt und den Apotheker, den Öltrager, die Rauchfangkehrer, die Tänze der Perchtenläufer und Glöckler. Die Wechselwirkungen zwischen Schauspielen, Spielbräuchen, barocken Figuralprozessionen und Predigten sind vielfältig und lokal unterschiedlich.
In der Schweiz stehen die Nikolausumzüge, oft mit Berittenen, im Vordergrund. Begleiter des Nikolaus sind der „Schmutzli“ (bzw. „Ruprecht“) – eine Mischung aus „Schiachpercht“ und Teufel, der an die Karikatur von Amman erinnert –, der „Esel“ des Heiligen, oft mit einem Gabenwagen, sowie die „Trichler“ oder „Trinkler“. Sie entstanden um die Jahrhundertwende aus dem sogenannten „Klausenjagen“ vermummter Burschen in Fellen, mit Hörnern, Schellen, Glocken und Peitschen und haben karitativen Charakter. Dieses „Klausenjagen“ hat sich in katholischen wie protestantischen Gebieten erhalten. Älterer Tradition sind die Schweizer „Klausenmärkte“ rund um den 6. Dezember.[981]
Die eigentlichen volkstümlichen Nikolausspiele (Theaterstücke mit einem fixen Textbuch und nur wenigen interaktiven Szenen mit dem Publikum) sind nur gebietsweise für die Zeit des 18. und frühen 19. Jahrhunderts anzunehmen. In ihrer Blüte integrierten sie Szenen aus Volksstücken und Figuren älterer Bräuche zu opulenten Formen. Sie teilten das Schicksal aller vorindustriellen großen Bräuche und Spiele und verschwanden mit der Veränderung des Bildungsstandes und der Lebens- und Wirtschaftsweisen. In einem Landgerichtsbericht aus Bruneck heißt es 1815, dass Nicolai-Spiele nirgendwo öffentlich aufgeführt würden und nur vereinzelt „ererbte Familiensitte“ seien.
Neben diesen Stubenspielen existierten auch barocke Bühnenspiele über den heiligen Nikolaus, sogenannte Legendenspiele, die öffentlich und nicht terminlich gebunden die Dramatisierung des Lebens und der Mirakel vorführten. Schuhladen konnte die erhaltenen Spiele dieser Gattung als lokale Verehrungsformen für Sankt Nikolaus als Kirchenpatron klassifizieren.
Nikolausspiele[982] finden sich speziell in Bergbaugebieten, wobei Tirol, Salzburg (Gastein, Krimml) und die Obersteiermark hervorstechen. Für Tirol wurden Absam, Schwaz und das Zillertal untersucht. In Absam existierte das Nikolausspiel, das jährlich von einer Theatergruppe aus Salzbergleuten und dem Obersteiger im Advent aufgeführt wurde, bis 1905 – da verbrannten die Kostüme. Dieses Spiel mit 23 Rollen war für das Patroziniumsfest gedacht und enthält das eigentliche Nikolospiel erst als zweiten Teil.[983]
Die im Jesuitentheater gerne der himmlischen Hierarchie gegenübergestellte Hierarchie der Teufel fällt in den volkstümlichen Spielen auf. Im Krimmler Spiel heißen sie „Luzifer“ (als gefallener Engel oft geflügelt dargestellt), „Teufel“ bzw. „Teifl“, „Höllgsandter“ und „Klaubauf“. Und auch der heilige Nikolaus führt ein fürstliches Gefolge mit: den „Vorläufer“, den „Bedienten“, den „Schutzengel“ und den „Erzengel Michael“ als Seelenwäger und Seelenführer.
Im Innsbrucker Volkskunstmuseum ist eine Luziferfigur erhalten, die im Zillertal hergestellt und im zur Salzburger Erzdiözese gehörigen Brixental bis ins 19. Jahrhundert verwendet worden war. Ein wahrer Höllenfürst in einem Kostüm aus Holz, Stoff und Leder, vielfach mechanisch beweglich, mit einer kunstvoll geschnitzten Teufelsmaske zeigt uns die Qualität und den Prunk dieser einstigen Kirchenspiele an. Im 17. Jahrhundert fanden solche Spiele schon in den Stuben der Bevölkerung statt, wie u. a. 1729 Abraham a Sancta Clara berichtet. Aus vielen Einflusssphären und Deutungsversuchen entstanden daraus in unserem Jahrhundert die heutigen „Krampusperchten“.
Sankt Nikolaus, der Gabenbringer[984] gerät derzeit durch Krampus- und Perchtenläufe sowie durch allgegenwärtige Weihnachtsmänner immer mehr ins Hintertreffen. Sogar traditionsreiche Schokoladefirmen bieten wegen ihrer Präsenz am Weltmarkt immer kleinere Sortimente von Nikolaus- und Krampusfiguren, aber umso mehr Weihnachtsmänner an.[985] Die Töchter der Autorin entschieden sich im Kindergartenalter dafür, die Nikoläuse als den „echten“ Nikolaus anzusehen und hatten entsprechenden Respekt vor ihnen, während sie die Weihnachtsmänner als „verkleidete Menschen“ klassifizierten.
Vom hohen Mittelalter weg bis ins 19. Jahrhundert war der Heilige – ab der Reformation zumindest in den katholischen Ländern – der ausschließliche Gabenbringer. An seinem Festtag – und nicht zu Weihnachten – wurden Geschenke gemacht. Seine Begleiter waren regional unterschiedliche volkstümliche Gestalten. In Norddeutschland war es der Knecht Ruprecht, der durch Theodor Fontane zu einem Weihnachtsmann wurde. Dazu gab es die „Luzelfrau“[986] im südosteuropäischen Siedlungsraum. Sie ist eine Mischung aus Frau Perchta, dunkler Gestalt und Teufel. Ihr eng verwandt ist die „Budelmutter“ in Nieder- und Oberösterreich. „Beelzebub“ und „Klaubauf“ dagegen sind Teufelsfiguren.
Martin Luther wandte sich gegen den katholischen Pomp, gegen die Auswüchse der Frömmigkeit und gegen den katholischen „Vielgötterhimmel“ in Form der heiligen Personen. So trat er auch gegen Nikolausspiel und Nikolausverehrung als einen „Mummenschanz“ auf und nannte den gabenbringenden Bischof „kindisch und voll Lügen“. Sebastian Brants Weltchronik bringt dazu Beispiele. Erst mit dem ab 1800 aufkommenden, bürgerlichen Christbaumfest am Weihnachtsabend wurde Sankt Nikolaus als Gabenbringer auch in den katholischen Ländern abgelöst bzw. auf eine andere Stelle verwiesen, wie Ingrid Loimer-Rumerstorfer[987] darstellt. Die eigentlichen Weihnachtsgaben brachte fortan das Christkind, und der heilige Nikolaus verteilte „Äpfel, Nuss und Mandelkern“ bzw. verwies auf den drohenden Krampus mit Rute und Butte.
Auf dem biedermeierlichen Gemälde „Nikolausabend“ (bez.: A. V., o. J.) im Österreichischen Volkskundemuseum in Wien besucht Sankt Nikolaus eine Wohnstube eines vorstädtischen oder ländlichen Bürgertums. Mutter und Großmutter mit zwei Kindern werden vom Nikolaus mit Spielzeug, Äpfeln und verzierten Lebzelten aus einer großen Porzellanschüssel beschenkt, die ein Mädchen mit einem Blütenkranz im Haar hält. Dahinter ist ein weiteres Mädchen mit einer Sternenkrone zu sehen. Rechts im Hintergrund schreckt ein Teufel eine Dienstmagd. Sankt Nikolaus ist in Alba und barocke Kasel gewandet, er trägt Mitra und Bischofsstab, aber auch eine Rute aus Reisig in der rechten Hand. Sein Gesicht ist von einer freundlichen Larve mit langem gepflegten Bart bedeckt. In der Gabenschüssel ist eine Liste mit Handgriff zu sehen, vielleicht eine Tafel mit den Zehn Geboten, ein Register guter Taten oder auch ein Spiel- bzw. Arbeitsgerät. Eine Mischform aus der ersten Zeit des Christbaumes in Wien findet sich auf dem Biedermeierbild der Familie Baumann im Historischen Museum der Stadt Wien. Vor dem geschmückten Christbaum erscheinen Nikolaus und Krampus im Wohnzimmer der Familie.
Dem lässt sich ein Bericht aus den 1950er-Jahren zugesellen, der das Weiterleben dieser Nikolausbesuche zeigt. Max Effenberger beschreibt die Hausbesuche von Nikolaus und Krampus in Piesendorf im Pinzgau, wo zur Mitte des letzten Jahrhunderts ein Krampus mit Buckelkorb (oft schauten Kinderbeine daraus hervor) den Nikolaus begleitete. Auf entlegeneren Bauernhöfen mussten sich die Kinder mit einem Kettengerassel vor dem Haus begnügen, welches anzeigte, dass Nikolaus und Krampus vorbeigegangen waren. Für die Gaben stellten die Kinder einen Teller oder Hut im Vorhaus auf, in dem sich dann Nüsse, Äpfel, Bockshörndl (Affenbrotbaum-Frucht), Kekse und Zuckerl fanden. Effenberger weist darauf hin, dass die großen „Krampusrummel“ in den Ortszentren erst eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte sind und sie auch nur noch vereinzelt von einem Gaben spendenden Nikolaus begleitet werden.[988]
Dass die Gaben des heiligen Nikolaus für die Kinder nicht immer völlig überraschend kamen, zeigt eine Aufzeichnung aus Bad Hofgastein: 1952 stellten dort die Buben im Zeichenunterricht die Nikolosäckchen und die Mädchen im Haushaltungsunterricht Bäckereien als deren Inhalt her, die Nikolo und Krampus dann bei ihrem Besuch der Volksschule verteilten. Dagegen brachte der Nikolaus 1990 in der Schule handelsübliche „Krampussackerl“.[989]
Als Gabenbringer löste das Christuskind, von den protestantischen Ländern ausgehend, den heiligen Nikolaus immer mehr ab. Doch auch aus der Kunst erhielt der Heilige Konkurrenten. Seit dem frühen 19. Jahrhundert verbreitete sich der englisch-skandinavische, im Rentierschlitten reisende und durch den Kamin rutschende Santa Claus immer weiter, besonders durch die Geschichte von Washington Irving von 1821. Der deutsche Weihnachtsmann, den Künstler und Dichter schufen, hatte ebenfalls im Santa Claus sein Vorbild. Schon Ende des 18. Jahrhunderts vermischten sich der Heilige und sein Begleiter zu immer neuen Mischformen und Kunstfiguren. Der Maler Moritz von Schwind malte, neben anderen, 1847 eine solche Figur für den „Münchner Bilderbogen“ als Allegorie des Winters. Hoffmann von Fallersleben hatte ihm 1820 mit seinem Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ den Namen gegeben. Engelbert Humperdinck und Paul Hey schufen um 1900 eine Kinderfigur, halb Gabenbringer, halb Schreckgestalt. Aus Santa Claus und deutschem Weihnachtsmann entwickelte Walt Disney schließlich den Urahnen der heutigen Weihnachtsmänner. Diesen Typus übernahm eine der ersten Coca-Cola-Werbekampagnen in den 1920er-Jahren. Die neuen Medien sorgten für eine weltweite Verbreitung.[990]
Was einst von Burschen im nächtlichen Umfeld der Bauernhöfe gespielt wurde, braucht heute Organisation, öffentliche Anmeldung und geregelte Durchführung. Doch solange Menschen hinter diesen Bräuchen stehen, die mit ihrem ganzen Herzen daran hängen, werden die Krampus- und Perchtenläufe lebendige Weiterentwicklung unserer Traditionen – wie alt sie auch sein mögen – bleiben. In diesem Sinne sind Bräuche kreative Lebens- und Lebensraum-Gestaltung, Anbindung an Tradition und Geschichte, Sinnsuche und Identifikation, kreative Weitergestaltung der Traditionen, regionale, gesellschaftliche oder persönliche Präsentation und Identifikation.
Die als Brauch weitergeführten Krampus- und Perchtenläufe haben in unserer Zeit im Alltagsumfeld natürlich auch den Charakter des Events und der Touristenattraktion erhalten. Sie stellen für die Zuseher die Verbindung von „high technology“ mit „low mythology“ dar, also den Versuch, in einer technisierten Welt zu kurz gekommene Bedürfnisse und Emotionen zu erfüllen. Sie bilden damit Ersatz für elementare religiöse Bindungen, erhalten eine pseudoreligiöse und pseudomythische Aufladung aus den Erwartungshaltungen der Betrachter, erfüllen deren atavistische Sehnsüchte. Durch Promotion und Brandings garantieren sie „Authentizität“ und persönlichkeitswirksames, einzigartiges Erleben. Sie zählen für viele Konsumenten zu den Bestandteilen unserer heutigen Gesellschaft, befriedigen Bedürfnisse nach animierter und eventisierter Freizeit, sind eine neue Variante der Hervorhebung von Terminen und Jahreszeiten (Gottfried Korff).
[954] [Mezger 1993], S. 29. – [Méchin 1982], S. 18 f., dort zit. [Laroche 1886].
[955] [Mezger 1993], S. 29.
[956] [Méchin 1982], S. 18 f., dort zit.: [Laroche 1886].
[957] [MoserDR 1993], S. 37–60.
[959] [Mezger 1993], S. 11.
[960] Saint-Nicolas-de-Port bei Metz (von Portus – Tor, Durchfahrt wohl eher als von Port – Hafen) in Lothringen, zentraler Ort europäischer Nikolausverehrung, war Kreuzungspunkt wesentlicher Handelsstraßen (u. a. Salz) und Sitz einer Brückenkontrolle der Land- wie Flusswege, die auch bereits von den Römern benutzt wurden. Die Gründungslegende sagt, dass eine Nikolausreliquie, auf einem Baum abgestellt, den Baum übermäßig austreiben ließ und daraufhin die Kirche erbaut wurde. Vgl. [Méchin 1982], S. 119 f.
[961] [Kapfhammer 1977a], S. 193–199.
[963] [Méchin 1982], S. 20–25.
[964] [Méchin 1982], S. 115–118, S. 128–131.
[965] [Méchin 1982], S. 139–143.
[966] [Méchin 1982], S. 115–118. – [Oberhauser 1982], S. 5. – [Metken 1966].
[967] [Mezger 1993], S. 15.
[968] [Cevela 1977], S. 3–5.
[971] [Méchin 1982], S. 119.
[972] [Koenig 1983] sowie [Koenig 1980].
[974] [Wierer 2002].
[975] [HartmannAu 1987], S. 112 ff.: Lauffen, S. 133 f: Seebruck.
[976] Hans Schuhladens Arbeit steht als Grundlage für die hier gegebene Darstellung des Volksschauspieles. Vgl. [Schuhladen 1984b], bes. S. 148 ff., S. 169 ff., S. 213 ff.
[977] [Dörrer 1948].
[978] [Haberlandt 1941]. – [WolframR 1984]. – [Adrian/Schmidt 1936]. – [Hein 1894]. – [Hein 1895]. – [WolframR 1973].
[979] [Schuhladen 1984b], S. 155.
[980] [Kretzenbacher 1951], S. 187–210.
[981] [Kapfhammer 1977a], S. 193–199.
[983] [Schober 1988], S. 91–94.
[988] [Effenberger 1990], S. 469 f.
[989] In: [Hochwarter 2000], S. 20 und S. 39.