Startseite: Bräuche im Salzburger LandFolge 2: Vom Frühling bis zum HerbstFolge 3: In Familie und Gesellschaft (in Arbeit)Begleitheft (in Arbeit)ZitierempfehlungVolltextsucheHilfe

4.24. Schenken (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)

4.24.1. Weihnachten, ein Geschenk?

Geht es Ihnen auch so, dass Sie sich vor lauter Weihnachtsfeiern, Geschenkeinkäufen und Backorgien fragen, wo denn die Zeit zur Besinnung auf das Weihnachtsfest herzunehmen wäre? Dass Sie sich in der Christmette ärgern, dass wieder einmal alle Plätze von jenen besetzt sind, die ganzjährig in Pfarre und Messe nie gesehen werden?

Was schenken Sie heuer den Kindern, den Eltern, der Nachbarin? Und wie verpacken Sie das Geschenk? Soll es buntes Hochglanzpapier sein mit farblich passender Schleife oder eine alternative Hülle? Von Ostern sind noch so viele Jutematten übrig geblieben – die könnte man doch auf Nikolosäckchen kleben?

Zu meiner Kinderzeit haben wir im Advent Strohhalme für gute Taten und fürs Bravsein in eine Schale gelegt, damit das Christkind eine weiche Krippe erhält. Und wir waren jede bemüht, mehr zusammenzubringen als die Schwestern. Heute füllen wir Adventkalender mit Schokoladen für die Kinder und Lippenstiften für die Freundin – mehr, schöner und teurer soll der Inhalt sein als in den Kalendern der anderen.

4.24.2. Eine Saison der Opulenz

Vielfach erleben wir heute im Advent und zu Weihnachten – und im Handel beginnt diese „Saison“ vielfach im Oktober – die Stilisierung und Inszenierung eines Festes, die seinen religiösen Inhalten entgegensteht bzw. sie verdeckt. Immer mehr und ständig neue stereotype Vorstellungen konstruieren ein Fest der Fröhlichkeit und Verbrüderung, der häuslichen Aktivität und gastlichen Großzügigkeit und wirken direkt auf das Gedächtnis der Gesellschaft ein.

„Ubi sunt gaudia? Nirgend mehr denn da, wo die Engel singen, nova cantica, und die Schellen klingen, in regis curia, eia wär’n wir da!“, heißt es in einem spätmittelalterlichen Weihnachtslied. Und die Schellen der Geschäftstüren und die Registrierkassen klingeln, die Engel singen durch alle Lautsprecheranlagen neue und alte Lieder und wir sind dabei. Bloß, wie hieß er noch, dieser König? Mammon? Wie viele Päckchen sind noch zu besorgen? Ach, vielfach tut’s doch auch ein Schein im Kuvert! Schon 1888 klagte Emil Peschkau in der „Gartenlaube“: „Es gibt aber Kreise, in denen das Schenken schon eine Art unangenehmen Geschäftes geworden ist. Immer größer wird die Anzahl derer, die man beschenken muß.“

Wissen wir noch um das Herbeibeten des Erlösers im Advent und die Rosenkränze, die seine Ankunft in der Christnacht begleiteten? Können wir uns ein Fest ohne Straßenbeleuchtung, Betriebsfeiern, Gutscheinmünzen vom Chef, gefüllte Keksteller und Kilometer von Geschenkpapier noch vorstellen? – Stillste Zeit im Jahr ...

4.24.3. Inszenierung von Gefühlen

Werbung, Wirtschaft und Veranstalter setzen dieses geschäfts- und gefühlsträchtige Bild von Advent und Weihnachten geschickt zur Erzeugung einer vermeintlichen Gegenwelt zum Alltag, zur globalen Realität, ein. Weihnachten ist zu einem treffsicheren Garanten heiler Welten geworden. Dinglich und geistig wird die Weihnachtsquadragese zu einer fünften – bzw. weil das ja schon der Urlaub ist –, zu einer sechsten Jahreszeit stilisiert, sie wird konkreter neuer Erfahrungsraum.

Weihnachtsmärkte und Krippen strukturieren die Region neu und führen uns zu neuen Aktivitäten: Weihnachtsmarktbesuche, Geschenkeinkäufe, Glühweinseligkeit; Girlanden und Dekorationen inszenieren die Stadt zu kitschiger Heimeligkeit; Weihnachtslieder-Konzerte und Hirtenspiele gaukeln uns alpine Ländlichkeit und Überschaubarkeit vor. Nicht nur neue Erfahrungen für Touristen, sondern auch neue Gefühlsstimmungen für Einheimische sind damit verbunden.

Wir haben unseren Platz in der Herberge, und sei es nur für eine Weihnachtsfeier, gesichert. Das Fest wird zur jahreszeitlich bedingten Inszenierung von Gefühlen. Alpine Heimeligkeit kombiniert mit hollywoodesker Lieblichkeit wird zum Konzept, das Stabilität und Eingebundenheit vermittelt. Die Handelsmarke „Weihnachtszeit“ wird zum Projektionspool aller Verlusterfahrungen der Moderne und soll Vertrautheit schaffen in einer vielfach als fremd, kalt oder gefährlich empfundenen Welt. Taue Himmel – unsere Gefühle auf?

4.24.4. Objekte transportieren Empfindungen

Bräuche als ritualisierte und stilisierte Handlungen, die vorbewertet und sozialisiert sind, erzeugen und erinnern durch ihre stete Wiederholung Stimmungen und Gefühle. Sie werden zu Garanten bestimmter kommunikativer Erlebnisse. Objekte – eine Fülle zwischen Design, Kunsthandwerk und Kitsch – verorten diese Gefühle, Erlebnisse und Erfahrungen und machen sie dingfest, angreifbar und erinnerbar. Insofern ist ihre tatsächliche handwerkliche oder inhaltliche Qualität uninteressant, da sie ja aus unseren Erfahrungen und Wertungen heraus leben.

Für seine soziale und kommunikative Funktion muss ein Dekorationsgegenstand, ein Geschenk nicht „schön“ oder „geschmackvoll“ sein, wenn sein Aussehen nur lang genug von Jugend an vermittelt und an bestimmte Gefühls- und Gemeinschaftswerte geknüpft worden ist. D. h. aber auch, mit je mehr grauslichem Plunder wir von klein auf konfrontiert werden, je mehr wir uns an ihn immer wieder gewöhnen, desto selbstverständlicher wird er von uns geliebt werden. Haben Sie der „Tante Resi“ schon einen Sternenteller gekauft? Steht Ihr blinkender, tanzender, singender Weihnachtsmann schon auf dem Wohnzimmertisch? Oder gehören Sie zu jenen, die noch darüber nachdenken, womit sie sich umgeben, was zu ihnen passt, was dem Weihnachtsfest zuträglich ist?

4.24.5. Geschenke bewerten Beziehungen

Das war aber ein teures Geschenk! Der Sowieso muss mich wirklich lieben! Schenken und Geschenke stellen normierte und ritualisierte Kommunikation dar, sie sind Symbole von und für Beziehungen. Sie werden zu mess- und erinnerbaren Situationen und Objekten unserer sozialen Einbindung. Und als solche können sie uns ebenso zur Last werden, zum vielbeschriebenen „Konsumterror“, zu sozialem Zwang und Heuchelei, zu einem Brauch, den wir nicht mehr mittragen wollen. Bräuche und ihre Symbole akzeptieren wir nur so lange, als sie uns „passend“ und „(auf)richtig“ erscheinen. Fünf gelbe Rosen zum Tee, Puppen für die Mädchen, Zinnsoldaten den Buben, den Blumenstrauß der Chefin, eine goldene Uhr mit Widmung für den langjährigen Mitarbeiter – bzw. heute die Abfertigung. Prestigesymbol, Statusdemonstration, normierte Gabe und Gegengabe, Abbau von schlechtem Gewissen – oder persönliches Bedürfnis und Zuwendung?

Ob wir aus der Geschenkflut ganz aussteigen, ob wir „Pflichtgeschenke“ verweigern oder neu überdenken, ob wir Innovationen setzen – zehn Stunden Staubsaugen als Weihnachtsgeschenk –, wir appellieren mit diesen Zeichen an unser Umfeld. Wir bewerten damit die Kultur des Schenkens neu und ändern ritualisierte Zeichen in einer uns entsprechenden Form ab. Dabei können sich auch Werte verschieben, denn in einer Zeit, in der Materielles vielfach verfügbar ist, kann der finanzielle Wert eines Geschenkes hinter dem Wert, den es an Zeitaufwand – als Zeichen von Zuwendung – besitzt, weit zurücktreten. So wird der Faktor „Zeit“ in einer von Dis-Rhythmisierung und Zeitmangel bestimmten Epoche zu einem neuen Symbol von Statusbewusstsein und Wertschätzung.

4.24.6. Nostalgie und individuelle Wirklichkeit

So wie Walter Leimgruber[1355] davon spricht, dass Heidi heute häppchenweise als Reliquie verkauft wird, so verkauft sich auch das Label „Weihnachtszeit“ sternchen-, düftchen- und päckchenweise und garantiert die Erfüllung aller Wünsche. Wie ein Hauch von Jugend und Geborgenheit zerschmelzen Krapfen oder Bratapfel auf der Zunge und rufen Emotionen wach. Familienglück erstehen wir im Christbaumkugel-Sechserpack. Unser Heimat- und Traditionsbewusstsein entzündet sich am Strohstern geschmückten Christbaum, der in dieser Form gerade 50 Jahre alt ist. Wir denken gerührt an die kratzenden Stricksocken unserer Kinderzeit und probieren das neue Collier. Äpfel und Nüsse in der goldenen Nostalgieschachtel vor dem Kamin zaubern die Neonauslagen aus unserem Gedächtnis weg. Das malvenfarbige Crashpapier erinnert an die immer wieder glatt gestrichenen Weihnachtspapiere der Nachkriegszeit und Großmutters liebes Gesicht.

Weihnachten als der Zeitpunkt, um nachzudenken, worin unser Heil zu suchen wäre: im jährlich unvermeidlichen „Weihnachts-Jodel-Dodel-Spiel“, im inszenierten und stilisierten „Konsumevent“ oder doch in diesem Kind in der Krippe, seiner Geburt und seinem Erlösungswerk?

4.24.7. Konsum und Überforderung

Was vom Weihnachtsfest bleibt, sind oft überforderte Mütter, an den überhöhten Erwartungshaltungen zerbrochene Erwachsene, Menschen, die am Weihnachtsabend den Überdruck an Familie auf dunklen Brücken oder bei der Weihnachtsfeier für Einsame entladen. Enttäuschte Beschenkte, die – an den „in- und out-Listen“ der Meinungsmacher bzw. an den „Musts“ der Werbung orientiert – das Erhaltene am Preis, Wert und Sozialprestige, nicht aber an der Intention der Schenkenden messend, an ihrem eigenen Wert als Person zweifeln. Ein „Struktursystem von Macht und Ohnmacht“?[1356]

Fest-, Brauch- und Ritualverweigerer fanden im Zuge der 1968er-Bewegung viele Formen der Demonstration gegen gesellschaftliche Normen und Konventionen. Müllberge, Umschuldungsverfahren und Umtauschaktionen im Jänner holen viele aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Weihnachtszeit in die alltägliche, banale Realität zurück. Daneben jene, denen Weihnachten alljährlich ihre Einsamkeit bzw. Armut zu Bewusstsein bringt.

Elisabeth- (18. November, heilige Elisabeth von Thüringen) und Seniorenfeiern, Erlagscheinflut der Hilfsorganisationen, Stricken für die Dritte Welt, „Licht ins Dunkel“ und der Schein im Opferstock beruhigen das Gewissen der Leistungsgesellschaft. So stellte Ingeborg Weber-Kellermann fest: „Auch Schenken will gelernt und verstanden sein.“[1357] Schenken ist ein Ritual im Handlungsrahmen unserer Gesellschaft. Wenn seine Requisiten und Symbole, seine Handlungsabläufe und Bräuche Brüche aufweisen, werden uns diese Diskrepanzen besonders deutlich bewusst.

4.24.8. Do ut des[1358]

Ingeborg Weber-Kellermann[1359] ist der Geschichte des Schenkens und der Bedeutung des Wortes nachgegangen. So fand sie bereits in einer Rede von Jacob Grimm aus 1848 den Hinweis, dass sich neben dem „Geben“ das „Schenken“ aus dem Eingießen ins Glas entwickelte und daher ursächlich mit Gastlichkeit in Zusammenhang steht. Daneben kannte das Mittelalter das „Angebinde“, ein angeheftetes, rechtlich zustehendes Geschenk. Marcel Mauss[1360] schließlich stellte im Schenken ein menschliches Grundgesetz fest, das auf Gegenseitigkeit ausgerichtet ist.

Das Schenken ist eine zwischenmenschliche Handlung, eine kommunikative Aktion, deren Normen rechtlich oder gewohnheitsrechtlich (Sitte) festgelegt sind. Das wird auch in den alten Patengeschenken bzw. in den Geschenken der Arbeitgeber an die Dienstleute deutlich. Die Striezel, Krapfen, Kletzenbrote, Schuhe und Socken waren mehr verpflichtende Leistung als Geschenk im heutigen Verständnis.

Weber-Kellermann sieht daher im Geschenk einen Hinweis auf die unlösbare Einheit von Person und Sache: Das Geschenk soll den Beschenkten an den Geber binden und ihm gleichzeitig einen Zuwachs an Eigenschaften im Sinne der Gebenden bescheren. So stellen Geschenke auch einen Machtfaktor dar, der gesellschaftliche Strukturen und Abhängigkeiten deutlich machen kann.

4.24.9. Geschichte des Schenkens

Dass bereits die Römer Neujahrsgeschenke kannten, die mit der Festlegung von Christi Geburt zu Weihnachtsgeschenken wurden, ist allseits bekannt. Ingeborg Weber-Kellermann[1361] sieht das Weiterleben dieser „Glückwunschgaben“ in den Geldspenden für die Berufe der alltäglichen Hilfsleistungen gegeben: Müllabfuhr und Rauchfangkehrer, Hausmeister und Haushaltshilfe erhalten auch heute noch eine Geldspende zum neuen Jahr. Unsere Weihnachts- und Neujahrskarten sowie die kleinen Aufmerksamkeiten sind wohl auch als Nachfahren der römischen Neujahrsgeschenke zu rechnen. Sie erfuhren aber über die Glückwunsch- und Andenkenkultur des Mittelalters an weltlichen und geistlichen Höfen neue Aspekte. Daneben hält Weber-Kellermann das Weihnachtsgeschenk der bürgerlich-städtischen Familienfeier, das an die frühen weihnachtlichen Gabenbringer – St. Nikolaus – anknüpfte, für ganz andersgeartet.

Der Weg vom Gabenbringer als pädagogischem Korrektiv zur familiären Geschenkefeier unter dem Christbaum stellt sich gleichzeitig als Entwicklungsgeschichte der bürgerlichen Familie wie der transkulturellen und multi- bzw. areligiösen Gesellschaft dar. In ihr stehen die Suche nach einer neuen adäquaten Kultur, das Betonen gesellschaftlicher Abgrenzungen, die neue Rolle der sorgenden Mutter in der Kleinfamilie wie die Entwicklung einer Kultur des Kindes im Zentrum. Für das ganze 19. Jahrhundert war Spielzeug daher das eigentliche bürgerliche Weihnachtsgeschenk; es war Prestigeobjekt und Rollentraining, doch meist zu kostbar und zerbrechlich zum eigentlichen Spielen.



[1358] Do ut des: „Ich gebe, damit du gibst.“

This document was generated 2021-11-29 18:09:06 | © 2019 Forum Salzburger Volkskultur | Impressum