Die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfestes lässt sich für die christlichen Religionen als „Fest der Geburt Jesu Christi“ und damit als Beginn des Erlösungswerkes erklären. Das Weihnachtsfest enthält vielfältige Bestandteile: von den grundlegenden religiösen Inhalten angefangen über die Jahreswendebräuche verschiedener antiker Kulturen sowie die daraus erwachsenen Aberglauben und Meinungen bis zu den zeit- und gesellschaftsspezifischen Sitten und Bräuchen, Zeichen und Symbolen, Moden und Normen.
Neben diesen historisch gewachsenen und immer wieder neu formierten Festinhalten und Riten haben sich viele tief greifende psychische und soziale Bedürfnisse, menschliche Sehnsüchte und Wünsche auch oder besonders auf das Weihnachtsfest konzentriert. So wird und wurde das Fest auch als Möglichkeit sozialer Distinktion (Abgrenzung), gesellschaftlicher Identifikation und Repräsentation verwendet. Über diesen Aspekt ist es zu einem internationalen und transreligiösen, jahreszeitlichen Fest geworden.
Im gesamten Mittelalter finden sich Formen der Veranschaulichung und des persönlichen Nach- und Miterlebens der Festinhalte in bildlichen Darstellungen wie auch in religiösen Predigtspielen und Inszenierungen. Dazu gehören auch Formen der Zuwendung zum neugeborenen Kind, wie das Kindlwiegen in den Frauenklöstern, das sowohl eine Fülle von Liedern wie auch von Jesukind-Darstellungen hervorgebracht hat, die bis in die Barockzeit fortwirken.
In Salzburg finden wir das „Resonet in Laudibus“ – bis heute auch erhalten in der deutschen Liedversion „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein“ beim Mönch von Salzburg um 1380. Das „Bambino Gesù“ fand bis in die Barockzeit vielfältige künstlerische und volksfromme Ausgestaltungen und wanderte über geistliche und weltliche Zentren nach Norden. Beispiele dafür sind etwa das Nonnberger Christkindl im Schrein und die davon abgeleiteten Salzburger bzw. alpenländischen „Fatschenkindln“.
Zur selben Zeit begannen lebende Darstellungen der Krippe in Italien, die ab dem frühen 17. Jahrhundert, speziell von Sizilien ausgehend, eine Fülle von Gestaltungen des Weihnachtsgeschehens in Holz- und Tonkrippen zur kirchlichen wie privaten Andacht hervorbrachten. Die erste Kirchenkrippe Österreichs stand 1579 in der Grazer Jesuitenkirche.
Im 15. und frühen 16. Jahrhundert dominierten immer mehr die Adam-und-Eva- oder Paradies-Spiele, die vom Sündenfall über die Geburt Christi zum Erlösungswerk Christi durch den Kreuzestod führten. Sie erläuterten gleichsam die Vorgeschichte, die das Weihnachtsereignis notwendig machte, sowie den Nutzen der Geburt dieses Kindes – Erlösung von der Erbsünde – für die Christenheit.
Der Paradiesbaum – als Gegenpol zum Kreuz – stand in vielen dieser Spiele und der bildlichen Darstellungen im Mittelpunkt. Er ist nicht als Vorläufer des Christbaumes anzusehen, obwohl er in der alten Volkskunde als solcher gesehen wird – vermutlich aus dem Bemühen heraus, möglichst lange Traditionen aufzuzeigen, die sich schließlich als christliche „Überformungen germanischer Mythen“ deuten lassen könnten. Die Auslegung als Vorläufer des Christbaumes wurde dadurch begünstigt, dass diese Paradiesbäume auf Darstellungen sowie in Spielen gerne mit Rosen und vereinzelt mit Lichtern geschmückt wurden bzw. dass aus dem Holz des Kreuzes frische Triebe und Blüten als Symbole der Erlösung und des Neubeginnes sprossen.
In der Barockzeit waren Kinderfiguren als gekröntes und kostbar gekleidetes Jesulein besonders beliebt. Auch das „Bambino Gesù“ als „schlafendes Jesulein“ wurde weiterentwickelt. Im 16. Jahrhundert begann die große katholische Spieltradition, die von Dominikanern, Jesuiten und Benediktinern getragen wurde. Inhalte der Evangelien und Lesungen aus dem Alten Testament wurden zur Erläuterung der Festinhalte dargestellt. Vielfach wurden ältere Bräuche ausgebaut und mit neuen Schwerpunkten besetzt. Das „Anklöpfeln“ etwa wurde mit Szenen der Herbergsuche erweitert. Im bayerisch-österreichischen Raum verbreiteten sich – als Spiel wie als Musikgenre – die „Pastorellen“, deren Texte in Latein, Deutsch und sogar in Mundart abgefasst sind.
Daneben entstanden gleichzeitig neue protestantische Formen, wie das evangelische katechetische Adventspiel. Martin Luther wandte sich gegen den katholischen Pomp, die Auswüchse der Frömmigkeit und den katholischen „Vielgötterhimmel“ in Form der heiligen Personen. Das Christuskind als Erlöser sollte der zentrale Inhalt des Weihnachtsfestes sein. Seit der Gegenreformation verschob sich über Betreiben Luthers das Geschenkefest immer mehr vom Nikolausabend auf das Weihnachtsfest – was von den protestantischen auf die katholischen Länder übergriff. Bräuche waren in jener Zeit somit vielfach Symbole der religiösen Zugehörigkeit bzw. Mittel der Überprüfung des geforderten Glaubens. Als Nikolaus- und Weihnachtsgeschenke finden wir seit dem 16. Jahrhundert das, was bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch das „Nikolosackerl“ ausmachte: Äpfel, Nüsse, Lebzelten.
Die Barockzeit – bis weit ins 18. Jahrhundert – war der Höhepunkt der katholischen Spiele: Psychodramatische Inszenierungen, an denen die Bevölkerung über ihre religiösen Bruderschaften teilnahm bzw. mitwirkte, vermittelten aufwendig die Inhalte des Festes.
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begannen die aufgeklärten Bemühungen um eine Vereinfachung der religiösen Volksbräuche. In den Österreichischen Erblanden wurden die Schauspiele an Heiligenfesten, die Spektakel und Theater am Land an Sonn- und Feiertagen sowie das Schießen bei Hochzeiten, Prozessionen, Gewittern und in den Rauchnächten verboten. Weiters wurden Spiele mit lebenden Personen, wie das Krippen-, das Dreikönigsspiel und andere, untersagt. Auch die fünf Salzburger Reform-Hirtenbriefe stellen eine konsequente Neuordnung der Volksreligiosität dar. Die Reformen und Verbote waren vielfach Anlass dafür, dass Spiele und Krippen, das Ausräuchern der Häuser, die Kramperl im Nikolausspiel etc. sich in die Heimlichkeit der Häuser und Dörfer zurückzogen und damit bis heute eine eigendynamische Entwicklung durchmachten. Aus religiösen Übungen barocker Volksfrömmigkeit wurden Volksbräuche, denen schließlich vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine „germanisch-heidnische“ Vergangenheit angedichtet wurde.
Spielzeug und Handarbeiten zählten zu den Geschenken und persönlichen „Angebinden“ der bürgerlichen Welt. Die besseren Speisen, warmen Socken und neuen Kleider blieben vielfach bis in unsere Zeit Geschenke der weniger Begüterten. Um 1800 setzte schließlich in Österreich der Siegeszug des Christbaumes ein.
Jede Gesellschaftsschicht feierte im 19. Jahrhundert im Rahmen der ihr zugewiesenen Möglichkeiten, mit eigenen Symbolen und Bräuchen – weitgehend verbindend waren die religiösen Inhalte. Zur Zeit Joseph Mohrs begann die Arbeitsruhe am Heiligen Abend zwischen 12 Uhr mittags und 15 Uhr, danach gab es eine festliche Jause mit Fastenspeisen. Bis zur Mette, deren Besuch in allen Schichten obligatorisch war, wurde gebetet und miteinander geredet.
Die Oberschicht besuchte neben großen Mittwinter-, Advent- und Nikolausmärkten glanzvolle Feste und Einladungen rund um das Weihnachtsfest sowie Konzerte, Bälle, Schlittenpartien etc. Zum städtisch-adeligen Fest gehörte seit dem Mittelalter auch das Salutschießen und die Festfanfaren. Die „kleinen Leute“ feierten durch Kirchenbesuch, Arbeitsruhe, besseres Essen, Zusammenkünfte mit den Nachbarn und Besuche bei Verwandten. In der einfachen, besonders der ländlichen Bevölkerung wirkte die katholische Barockfrömmigkeit nach. Der Weihnachtsvorabend war Tag der inneren und äußeren Reinigung, des Fastens und Betens sowie der Durchsicht von Haus und Hof.
Bürgerliche Geschenke zum Fest waren z. B. weibliche Handarbeiten, gemalte und gestickte Billetts, verzierte Löffel, Beutel und allerlei Anderes. Im bäuerlichen Bereich wurden Kleidung, Schuhe, Wolle, Leinwand, Kletzenbrot oder Weißbrot geschenkt. Es ist anzunehmen, dass das Weihnachtsfest in dieser Zeit in allen Gesellschaftsschichten eine Bedeutung bekam, die über jene anderer großer Kirchenfeste hinausging.
Heute ist das Weihnachtsfest für weite Teile der internationalen Gesellschaft von religiösen Bezügen befreit, aber vielfach mit Klischees und Emotionen besetzt. „Bronner’s Christmas Wonderland“ in Frankenmuth (Michigan, USA) ist ganzjährig eine Hauptattraktion für über 3,5 Millionen Besucher aus 120 Ländern. Daneben ist das Weihnachtsfest Objekt markt- sowie tourismuswirtschaftlicher Vermarktung geworden, und auch karitative Initiativen wissen sich seiner Zugkraft zu bedienen.
Das Klischee vom bürgerlichen, häuslichen Weihnachtsfest hat sich bis heute in vielen Kreisen gehalten. Es wird vielfach nur in den Entwicklungsjahren von wenigen Menschen hinterfragt oder abgelehnt. Kritischer Umgang mit diesen Klischees existiert zwar in individuellen Lebensgeschichten wie im Bereich der Kunst und Kleinkunst, doch ersetzt er nicht die sozialisierten Symbole und Handlungsanleitungen, er wird vielfach nur ergänzend konsumiert. Die Teilnehmer/-innen des Seminars „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ nannten auf die Frage, was sie mit dem Weihnachtsfest verbinden würden, neun Mal den Christbaum, elf Mal Familie und Gemeinschaft, vier Mal emotionale Werte wie Freude, Friede, Harmonie und Liebe, acht Mal „Tradition“ und vier Mal „Religiöses“. Es scheint, als hätte unsere Zeit für die Stillung ihrer Sehnsüchte nach „Authentischem“, „Regionalem“ und „Eigenem“ im Weihnachtsfest die rechte Handlungsanleitung gefunden. Weihnachten ist heute für einen großen Teil der Bevölkerung in dieser Hinsicht ein säkulares, jahreszeitlich gebundenes Fest der Gefühle.
Die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfestes lässt sich für die christlichen Religionen kurz und bündig als „Fest der Geburt Jesu Christi“ und damit als Beginn des Erlösungswerkes erklären. Doch schon die Datierung und Erläuterung des Festes erweist sich als eine kulturpolitische und religionsphilosophische Entwicklungsgeschichte. Mit der einheitlichen kalendarischen Festlegung des Termines der Geburt Christi auf den 25. Dezember (davor waren auch der Neujahrstag wie das Fest Epiphanie sowohl als Geburtsfest als auch als Jahresbeginn gefeiert worden) im 4. Jahrhundert wurde dem römischen Kult des sol invictus wie dem orientalischen Mithraskult entgegengesteuert. Die Kölner Synode verlegte 1310 auch den Jahresbeginn auf den 25. Dezember. 1170 findet sich das Wort „Weihnachten“ erstmals literarisch bestätigt, in Mitteldeutschland wurde es allerdings erst im 13. Jahrhundert gebräuchlich. „Ze den wihen nahten“ (mhd.) bedeutet „geheiligte, geweihte Nächte“. Daneben sind die Worte „Christtag“ und „Christnacht“ weit verbreitet.[216]
Im Zentrum des kulturwissenschaftlichen Betrachtungsrahmens steht die Bedeutung des Festes im Leben der Menschen. Die Fragestellung gilt den temporären und gesellschaftsspezifischen Bewertungen, Symbolen und Handlungen, die von einzelnen Gesellschaftsgruppen dem Fest zugefügt und für wesentlich erachtet wurden und werden.
Das Weihnachtsfest ist für Volkskundler ein Thema, in welchem alle Aspekte des alten Faches „Volkskunde“ mit seinem „Kanon“ wie des gegenwärtigen Faches „Europäische Ethnologie und vergleichende Kulturwissenschaft“ zum Tragen kommen. Das Weihnachtsfest – und da spreche ich vom Weihnachtsabend (24. 12.) und Christtag (25. 12.) als einer Handlungseinheit in enger Verbindung mit dem Neujahrs- und Dreikönigsfest – ist ein weitverzweigtes Geflecht im Netzwerk der Kultur. Es enthält vielfältige Bestandteile, von den grundlegenden religiösen Inhalten angefangen, über die Jahreswende-Bräuche verschiedener antiker Kulturen, wie die daraus erwachsenen Aberglauben und Meinungen bis zu den zeit- und gesellschaftsspezifischen Sitten und Bräuchen, Zeichen und Symbolen, Moden und Normen. Zu diesen historisch gewachsenen und immer wieder neu formierten Festinhalten und Riten kommen psychische und soziale Aspekte dazu. Tiefgreifende psychische und soziale Bedürfnisse, menschliche Sehnsüchte und Wünsche werden besonders im „bürgerlichen Modell Weihnachtsfest“ der letzten beiden Jahrhunderte konzentriert. So wird und wurde das Fest (wie alle Feste) auch als Möglichkeit sozialer Distinktion, gesellschaftlicher Identifikation und Repräsentation verwendet.
Besonders seit dem Ende der Ständegesellschaft werden bewusst betonte bzw. konstruierte Besonderheiten wichtig. Sie grenzen neue Gesellschaftsgruppen sowie Länder und Staaten voneinander ab. Diese „Promoted Differences“ sind unser modernes Ordnungssystem, unsere Kulturtechnik geworden.[217] Das zeigt sich im Laufe des 19. Jahrhunderts an der bürgerlichen Gesellschaft, die – als neu etablierter Stand – rasch eine neue spezifische Kultur mit deutlich wahrnehmbaren Symbolen und Zeichen entwickelte und damit ihr eigenes Selbstverständnis begründete. In den Berichten über die ersten Christbäume in Wien rund um den Wiener Kongress und in den Lebenserinnerungen der Bürgerstochter Anna Hartmann (1838 gefirmt) finden wir Hinweise für die unterschiedliche Entwicklung standesspezifischer Kulturen. Es wird deutlich, dass einerseits die Handwerks- und Beamtengesellschaft in Wien in ihren Weihnachtsbräuchen der ländlichen Gesellschaft nahe stand (einfache Geschenke durch Christkind und Nikolaus, festliche Speisen, religiöse Übungen und gegenseitige Besuche), während andererseits die neue, international orientierte großbürgerliche Gesellschaft ganz neue glanzvolle Bräuche – etwa die luxuriöse Christbaumfeier im Freundeskreis – entwickelte.[218] Diese Verschönerung und Idyllisierung des privaten Lebens entspricht dem neu entwickelten Familienbild und bedeutet Rückzug in die Privatsphäre in der Zeit der Napoleonischen Kriege, des Polizeistaates von Metternich und der Vorzeichen des österreichischen Revolutionsjahres 1848.[219]
Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber – Dichter und Komponist des heute weltberühmten Liedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ waren – wie die sozialen Reformbestrebungen Mohrs und der Stil von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ erweisen – Kinder ihrer Zeit. Im Text erscheint das neue bürgerliche Ideal der Kleinfamilie in der Zuwendung der Eltern zum Kind. In der Instrumentalisierung ist die bereits von Maria Theresia begonnene Reform des Reichsvolksschulgesetzes (1869 letztendlich verordnet) mit der für Lehrer empfohlenen Gitarrenbegleitung (anstelle der Orgel) für Volks- und Schulgesang zu finden.[220] Hildemar Holl weist darauf hin, dass die erste Gitarre vermutlich um 1800 nach Salzburg kam, Joseph Mohr könnte sie während seines Studiums im Stift Kremsmünster kennengelernt haben.[221] Dazu ist zu vermerken, dass in Österreich bereits kurz nach 1800 die Erfassung von Volksliedern begann (Veröffentlichungen u. a. 1807 Strolz, Tirol; 1811 Knaffl, Stmk.), die über Joseph von Sonnleitner 1819 auch Salzburg erreichte. Ein neues Genre war entdeckt worden und inspirierte die Gesellschaft gebildeter Städter, darin nach vermissten Werten zu suchen bzw. sie in die Genres Volkslied und Volkskunst hineinzulegen. Wieweit darin auch der katholische Pietismus als Antwort auf die Aufklärung zum Tragen kommt, wäre zu untersuchen.[222]
Die gesellschaftspolitischen Hintergründe des Weihnachtsfestes zur Zeit von Joseph Mohr (1792–1848) hat Walburga Haas[223] umfassend dargestellt. Die Lebenszeit Joseph Mohrs und die ersten Jahre der Verbreitung des Weihnachtsliedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ stellen sich als eine Zeit vielfältiger Umbrüche dar. Der Weihnachtsbaum wurde zu dieser Zeit in der großbürgerlichen Gesellschaft aller Konfessionen als neues Symbol durchgestaltet. Er wurde für viele zu einem über- oder akonfessionellen Symbol für ein durch und durch neues, bürgerliches Fest, das sich aus den christlichen Religionen abzulösen begann. Es war die Zeit, in welcher Weihnachten zum jahreszeitlich bedingten Geschenkfest, zum neuen Ritual der neuen Bürgerlichkeit wurde.
Gleichzeitig herrschten in der einfachen Bevölkerung – zu der wir den in Salzburg unehelich geborenen Joseph Mohr zählen – die katholische Weihnachtsfeier und eine Fülle von jahreszeitlich bedingten Volksbräuchen vor. Diese Volksbräuche mit teils religiöser und teils wirtschaftlicher Bedeutung wurden von der Bevölkerung noch nicht als „heidnisch“[224] gesehen und von den Gebildeten als Aberglaube und Ausdruck von Unbildung abgetan. Mohrs Vater, ein aus Mariapfarr stammender Soldat und die Mutter, Salzamtsschreibers-Tochter aus Hallein und als Strickerin tätig, hatten wohl beide in erster Linie Kontakt zur ländlichen Gesellschaft und deren Bräuchen. Erst 36 Jahre nach der Geburt von Joseph Mohr wurde in Salzburg der erste Christbaum (1826) im Haus eines „Zugereisten“ bestaunt, während seines Studiums dürfte Mohr in Kremsmünster noch keinen Christbaum gesehen haben, da die 1830er weitgehend als Einführungszeit in den großen Klöstern gelten. Das Klischee der rührseligen wie „heimtückischen“ Heimatfilme und -geschichten über die Entstehung des Liedes „Stille Nacht!“ unter dem ärmlichen „Bauernchristbaum“ (als ruraler Typus in den 1960ern kreiert) ist also nichts als ein Wunschtraum späterer Generationen nach einer „heilen Welt hehrer Vergangenheit“, wie Christian Strasser darstellt.[225]
Will man die Entwicklung jenes Bildes von Weihnachten untersuchen, das unserem gegenwärtigen Verständnis entspricht, dann verdienen folgende Bereiche besondere Beachtung:
1. Das 19. Jahrhundert als eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, in welchem die Grundlage zum heutigen Festverständnis und seinen Symbolen und Ritualen gelegt wurde.
2. Die Zeit um 1800, in welcher in den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen ein differenziertes Verständnis von den Inhalten und Formen des Festes bestand.
3. Die Zeit zwischen 1500 und 1800, in welcher innerhalb der Schichten – zumindest im städtischen Umfeld – ein weitgehend gleichlautendes Grundverständnis des Festes bestand, das an die zeitspezifischen Schwerpunkte der religiösen Lehre(n) wie der regionalen Festkultur gebunden war. Die sozialen Differenzierungen in den Artikulationen sind ungleich schwieriger aus den Quellen zu erschließen. Auffällig sind epochale Strömungen in den Schwerpunkt-Setzungen zum Fest. Das heißt, jede Zeit hatte ihr eigenes Verständnis dessen, was als Hauptinhalt des Weihnachtsfestes anzusehen sei. Diese Hauptinhalte werden im Folgenden dargestellt, dabei ziehen sich Entwicklungen vielfach über die „typische“ Epoche hinaus, da stadtnahe und stadtferne, oberschichtliche und volkstümliche Entwicklungen oft nach dem Gesetz des „cultural lag“ (eines Nachhinkens) stattfanden.
4. Die Entstehungsgeschichte des Christbaumes als einem unserer heutigen Hauptsymbole des Festes, die eine Verschiebung des Festes von der katholischen in eine überkonfessionelle und schließlich in eine säkulare Ebene zeigt. Ebenso wird darin deutlich, wie stark Kulturkontakte, Innovationen und Akkulturationen die Entwicklung von Bräuchen beeinflussen bzw. wie sehr eine pluralistische Gesellschaft die Ausprägung spezifischer Verhaltensmuster begünstigt.
Im gesamten Mittelalter finden sich Formen der Veranschaulichung und des persönlichen Nach- und Miterlebens der Festinhalte in bildlichen Darstellungen wie in religiösen Predigtspielen und Inszenierungen. Zu nennen sind in erster Linie Formen der Zuwendung zum neugeborenen Kind, u. a. das Kindlwiegen in den Frauenklöstern, das einerseits eine Fülle von Liedern, wie auch von Jesukind-Darstellungen hervorgebracht hat, die bis in die Barockzeit fortwirken. Werner Rainer hat das Kindlwiegen auf dem Nonnberg aus der Steinhauser-Chronik (1616–18) dargestellt und Leopold Kretzenbacher nach dem Mönch von Salzburg.[227] In Salzburg finden wir um 1380 das „Resonet in Laudibus“ beim Mönch vom Salzburg. In seiner deutschen Version „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein“ hat es sich bis heute erhalten. Franz Viktor Spechtler[228] sieht darin das erste nicht religiöse Weihnachtslied, das eine profane Betrachtung des Geschehens wiedergibt.
Das „Bambino Gesù“ fand bis in die Barockzeit vielfältige künstlerische wie volksfromme Ausgestaltungen und wanderte über geistliche und weltliche Zentren nach Norden. Beispiele dafür sind etwa das Nonnberger Christkindl im Schrein und die in der Folge abgeleiteten Salzburger bzw. alpenländischen „Fatschenkindln“. Dass das Kindlwiegen durchwegs zu vielen Auswüchsen führte und den oft unfreiwilligen Nonnen zum Ersatz für eigene Kinder wurde, zeigen dagegen erlassene Verbote; 1580 wurde es in der Münchner Fronleichnamsprozession dargestellt und 1618 schließlich als Karikatur im Salzburger Faschingsumzug durch das Hofkelleramt verkörpert.[229] Zur selben Zeit begannen – lange Zeit Franz von Assisi zugeschriebene – lebende Darstellungen der Krippe in Italien, die ab dem frühen 17. Jahrhundert, speziell von Sizilien ausgehend, eine Fülle von Darstellungen des Weihnachtsgeschehens in Holz und Ton zur kirchlichen wie privaten Andacht hervorbrachten. Die Steinhauser-Chronik nennt die in den Salzburger Kirchen aufgestellten Krippen. Johann Fischart berichtete schon 1588 süffisant über die katholischen Kirchen: „Zu weyhenachten setzen sie eine wiege mit einem geschnitzten kind auf den altar ...“.[230] Die erste Kirchenkrippe Österreichs stand 1579 in der Grazer Jesuitenkirche.[231] Schon im Mittelalter waren Beschenktage bekannt, um 1300 wurden in Wien und Niederösterreich die Mädchen am Lucientag, 13. Dezember, beschenkt.[232]
Im 15. und frühen 16. Jahrhundert dominierten dann immer mehr die Adam-und-Eva- oder Paradies-Spiele, die vom Sündenfall über die Geburt Christi zum Erlösungswerk Christi durch den Kreuzestod führten. Sie erläuterten gleichsam die Vorgeschichte, welche das Weihnachtsereignis notwendig machte, sowie den Nutzen der Geburt dieses Kindes für die Christenheit als der Erlösung von der Erbsünde. Der Paradiesbaum als Gegenpol zum Kreuz stand in vielen dieser Spiele und der bildlichen Darstellungen im Mittelpunkt. Er ist nicht als Vorläufer des Christbaumes anzusehen, obwohl er in der alten Volkskunde als solcher gesehen wird – vermutlich aus dem Bemühen heraus, möglichst lange Traditionen aufzuzeigen, die sich schließlich als christliche „Überformungen germanischer Mythen“ deuten lassen könnten. Die Auslegung als Vorläufer des Christbaumes wurde auch dadurch begünstigt, dass diese Paradiesbäume auf Darstellungen wie in Spielen gerne mit Rosen und vereinzelt mit Lichtern geschmückt wurden bzw. dass aus dem Holz des Kreuzes – als Symbole der Erlösung und des Neubeginns – frische Triebe und Blüten sprossen.
Im Salzburger Missale von 1478 (gemalt von Berthold Forthmayer in Regensburg) findet sich die Abbildung eines Paradiesbaumes. Der Grazer Paradeisspiel-Baum (sic!) von 1603 sowie ein in Weyr für Schüler- und Umzugsspiel verwendeter Paradiesbaum sollen Lichter getragen haben. Auch aus Laufen ist ein von den Schiffern aufgeführtes Adam-und-Eva-Spiel des frühen 16. Jahrhunderts bekannt, bei dem der Paradiesesbaum mitgetragen wurde.[233] August Hartmann schreibt über die im 19. Jahrhundert daraus erhaltenen Szenen: „Die Laufener Schiffer führten zur Weihnachtzeit außer dem Sternsingen (L.N. 1–4) auch ein Hirtendrama, sowie – unter Mittragen eines geschmückten Baumes – ein ‚Adam- und Evaspiel‘ auf. Weiter vermag ich über Letzteres nichts anzugeben. Als eine Art Ergänzung sei es gestattet, ein paar kurze Notizen aus dem Bayrischen Wald einzuschalten. Um Haggn (Lg. Mitterfels) wird das ‚Adam- und Evaspiel‘ von 5 Personen dargestellt. Die Rollen sind: Adam, Eva, Gott Vater, ein Engel und ein Teufel mit einer ‚langmächtigen Zunge‘. Zu Furth ziehen am Vorabend des Adam- und Evatags (23.–24. Dec.) 2 Spieler als A. und E. in den Häusern umher. Während sie einen Gesang vortragen, ‚rumpelt‘ plötzlich draußen mit ungeheurem Lärm der Teufel an die Thür, worauf die weitere Darstellung der biblischen Begebenheit folgt.“[234]
Leopold Kretzenbacher erläutert den Weg vom kirchlich-liturgischen Officium (als Dialog) des 15. Jahrhunderts zum Oratorium (als Kirchen- und Ordenstheater) von 1600.[235] Aus diesem Gedankenumfeld entwickelte sich auch das auf dem Kreuz schlafende Kind, das sich – etwa als Sandler Hinterglasbild – bis ins 19. Jahrhundert erhalten hat. Oft wird es von der Erläuterung begleitet: „Ich schlafe hier als wie ein Kind, bis ich aufsteh‘ und straf die Sünd“.
In der Barockzeit waren Kinderfiguren als gekröntes und kostbar gekleidetes Jesulein besonders beliebt. Für Salzburg sind das „Nonnberger Trösterlein“ bzw. das aus dem Typus „Prager Christkindl“ entstandene „Filzmoser Kindl“ zu nennen, die nicht nur zur Weihnachtszeit verehrt wurden. Sie fungierten als Gegenstücke zur protestantischen Christusverehrung. Daneben wurde das „Bambino Gesù“ als „schlafendes Jesulein“ weiterentwickelt. Diese Gnadenbilder und die Krippen wurden von den Gläubigen zur Weihnachtszeit aufgesucht. In Salzburg sind die Krippenbesuche der Erzbischöfe an den Festtagen in den verschiedenen Klöstern und Kirchen dokumentiert.
Im 16. Jahrhundert begann vor dem Hintergrund der Reformen Luthers und der katholischen Reform die große katholische Spieltradition, die besonders von Dominikanern und Jesuiten, aber auch von den Benediktinern (zu dieser Zeit vielfach Jesuitenschüler, wie Kretzenbacher belegt) getragen wurde. Formen spanischen und französischen Prozessions- und Festgebarens kamen mit den Orden auch in die Residenzstädte nördlich der Alpen. Inhalte der Evangelien und Lesungen aus dem alten Testament – jeweils die Praecursoren, also Vorläufergeschichten – wurden zur Erläuterung der Festinhalte dramatisch bzw. in lebenden Bildnissen und auf Schauwägen dargestellt. Vielfach wurden ältere Bräuche ausgebaut und mit neuen Schwerpunkten besetzt. Das „Anklöpfeln“ etwa – seit dem 8. Jahrhundert nachweisbar als ein Recht der Schüler (z. B. in Belegen aus Basel oder Augsburg) – wurde mit Szenen der Herbergsuche, in Betonung der katholischen Marienverehrung bis ins 17. und 18. Jahrhundert erweitert.[236] Die Darstellungen der (schwangeren) „Maria gravida“ und der Wirtsszene verbreiteten sich im 17. Jahrhundert schnell. Unter den Liedern, die in dieses Betrachtungsmodell gehören, ist etwa „Wer klopfet an“ zu nennen.
Bräuche waren in jener Zeit vielfach Symbole der religiösen Zugehörigkeit bzw. Mittel der Überprüfung des geforderten Glaubens.[237] Mit der Ausbreitung der Krippendarstellungen etablierten sich im bayerisch-österreichischen Raum die „Pastorellen“ als Spiel wie als Musikgenre, wie Konrad Ruhland darstellt. Die Pastorellen, deren Texte in lateinischer wie deutscher Sprache und sogar in Mundart abgefasst sind, sind ein Beispiel für die große Breitenwirkung dieser Hirtenspiele und -lieder. Ruhland gibt auch Auskunft über Salzburger Pastorellen am Nonnberg, für die Franziskanerkirche u. a. das „Transeamus usque ad Bethlehem“, bis heute in österreichischen Kirchen fixer Bestandteil der Christmette, ist beispielhaft wie auch das Lied „Lauft all ihr Hirten“.[238]
Zu den ältesten bekannten Hirtenszenen gehört jene der Jesuitenschüler in Prag, die 1566 im Kirchenspiel dem Jesukind in der Krippe Geschenke brachten; 1577 waren im Innsbrucker Jesuitenspiel diese Dialoge bereits in deutscher Sprache. Leopold Kretzenbacher zeigte die Ausbreitung dieser Spiele anhand der Annales und Litterae Annuae der Jesuiten in Mitteleuropa auf. Damit wiederholte sich ab dem frühen 16. Jahrhundert eine volkstümliche Ausbreitung kirchlicher Spiele, wie sie sich im Mittelalter bereits mit dem Mysterienspiel ereignet hatte.[239] Das „Gleichzeitige des Ungleichzeitigen“ bzw. der „cultural lag“ macht sich dabei bemerkbar, nämlich das Nachhinken der Entwicklung in stadt- und klosterfernen Regionen gegenüber den Zentren. Die älteste Handschrift des Bad Ischler Krippenspiels, das beispielhaft für das Salzkammergut war, stammt von 1654.[240]
Zeitgleich entstanden neue protestantische Formen, die der intellektuelleren oder puristischeren Interpretation von Frömmigkeit in der protestantischen Kirche entsprachen. Das evangelische katechetische Adventspiel als Betrachtung der Inhalte des Adventes wie die Bezeichnung und Neuinterpretation des katholischen Jesukindes als protestantisches „Christ(us)kind“ durch Martin Luther sind dafür typisch.[241] Martin Luther wandte sich insgesamt gegen den katholischen Pomp, gegen die Auswüchse der Frömmigkeit und gegen den katholischen „Vielgötterhimmel“ in Form der Heiligen Personen. So trat er auch gegen Nikolausspiel und Nikolausverehrung als einem „Mummenschanz“ auf und nannte den gabenbringenden Bischof „kindisch und voll Lügen“. Sebastian Brants Weltchronik bringt dazu Beispiele. Der berühmte Zürcher Holzskulpteur in Nürnberg, Jost Amman, verfertigte eine Karikatur des Nikolaus, auf einem Esel reitend, mit Schellenbandgürtel, Strohkleidung und Peitsche. Hat Amman die Requisiten aus dem Weihnachts- oder dem Faschingsbrauch übernommen? Wohl aus beidem, denn die Karikatur musste für Protestanten wie Katholiken erkennbar sein. Die von Werner Rainer bearbeitete Steinhauser-Chronik weist darauf hin, dass wechselseitige Einflüsse zwischen allen Lebensbereichen bestanden, die nicht als blasphemisch aufgefasst wurden.
Das Christuskind als Erlöser sollte der zentrale Inhalt des Weihnachtsfestes und damit auch der einzige Gabenbringer – mit dem Geschenk der Erlösung – sein, forderte Luther. Seit der Gegenreformation verschob sich über Betreiben Martin Luthers das Geschenkefest immer mehr vom Nikolausabend auf das Weihnachtsfest – was von den protestantischen auf die katholischen Länder übergriff. Als Nikolaus- bzw. Weihnachtsgeschenke finden wir seit dem 16. Jahrhundert das, was bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch das „Nikolosackerl“ ausmachte: Äpfel, Nüsse, Lebzelten. Feste sind und waren auch immer an gutes Essen gekoppelt. Die fürsterzbischöflichen Festessen hat Werner Rainer über das Mondseer Kochbuch dargestellt. Abraham a Sancta Clara prangerte in seinen Wiener Predigten die Staffage und Hoffart der Damen an, den üppigen Karpfenschmaus der Handelsbürger am Weihnachtsabend und die laute Heiterkeit der einfachen Leute.[242]
Die Barockzeit stellte den Höhepunkt der katholischen Spiele dar, die noch weit ins 18. Jahrhundert hinein von großer Bedeutung waren. Psychodramatische Inszenierungen, an denen die Bevölkerung über ihre religiösen Bruderschaften teilnahm bzw. mitwirkte, vermittelten mit üppigem Pomp die Inhalte des Festes. Marcus Sitticus gehörte in Salzburg zu den großen Förderern dieser öffentlichen Aufzüge und Spiele. Die Bevölkerung erhielt darin die Möglichkeit öffentlicher Selbstdarstellung und kreativer Betätigung. Aus den Prozessions- und Predigtspielen hatten sich bereits volkstümliche Varianten am Lande, in Kirchen, bei Umzügen und in den Stuben gebildet. August Hartmann hat für Bayern ab 1830 die noch bekannten Texte älterer Weihnachts- und Hirtenspiele aufgezeichnet, die eine reiche, volkstümliche Spieltradition aufzeigen.[243]
Mit der Mitte des 18. Jahrhunderts begannen die aufgeklärten Bemühungen um eine Vereinfachung der religiösen Volksbräuche. Für die österreichischen Erblande verbot Maria Theresia bereits 1752 alle Schauspiele an Heiligenfesten und stellte mit Joseph II. 1772 (In Publico Ecclesiasticis, 1. Bd., Nr. 11) alle Spektakel und Theater am Land an Sonn- und Feiertagen ab. 1777 folgte per Patent für die Erblande das Verbot des Schießens bei Hochzeiten, Prozessionen, Gewittern und in den Rauchnächten. Im selben Patent werden Spiele mit lebenden Personen, wie das Krippen-, Dreikönigs-, Lichtmessspiel, das Faschingbegraben u. a. untersagt.[244] Die fünf Salzburger Reform-Hirtenbriefe (1775–1782; sowie nachfolgende Verbote und Verordnungen) stellen eine konsequente Neuordnung der Volksreligiosität dar.[245]
Im 4. Hirtenbrief vom 14. März 1779 erging ein „Verboth der Passionsspiele und der Mummereyen bey Charfreitags- und anderen Prozessionen“, im Generale vom 22. November 1782, wurden „[...] andere theils lächerliche, theils ungereimte und ärgerliche oder wenigstens unnöthige Dinge, also auch die Krippel, [...] ganz aus den Gotteshäusern entfernt [...].“.[246] Die Visitationsberichte dazu weisen diese „Unschicklichkeiten“ aus: in Tittmoning die Soldatenfiguren, in Laufen der bewegliche, auf der Flöte spielende Hirte; auch eine Hochzeit zu Kana und die Taufe Christi wurden anderswo beanstandet. Das Krippenverbot musste allerdings wieder eingeschränkt werden.[247] Auch die Mitternachtsmette sollte verlegt werden und 1788 wurde den Kaplänen das Räuchern der Häuser an den Weihnachtstagen verboten.[248] Die Reformen und Verbote waren vielfach der Anlass dafür, dass Spiele und Krippen, das Ausräuchern der Häuser, die Kramperl im Nikolausspiel etc. sich in die Heimlichkeit der Häuser und Dörfer zurückzogen und damit eine eigendynamische, bis heute andauernde Entwicklung durchmachen. Aus religiösen Übungen barocker Volksfrömmigkeit wurden Volksbräuche, denen schließlich vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – nach den Bedürfnissen dieser Zeit – eine „germanisch-heidnische“ Vergangenheit angedichtet wurde.
Das 18. Jahrhundert war auch außerhalb der Gotteshäuser den lebenslustigen Feiern nicht abhold. Über das weihnachtliche Treiben am 24. und 25. Dezember in Wien klagte 1799 Joseph Richter in den Eipeldauer-Briefen. Rate- und Losspiele fanden in Wirtshäusern und Privathäusern statt, Fiakerfahrten durch die Stadt belustigten die Bürger und störten die Kirchgeher: Das Gegröle der Betrunkenen und Raufenden soll bis in den Stephansdom zu hören gewesen sein. Wickelkindkuchen und Kirschenwein zählten zu den Festspeisen bzw. Getränken der Wiener. Kaiser Joseph I. (1709–1711) feierte am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag das Fest des Bohnenkönigs, wie es heutzutage noch in Frankreich am Dreikönigstag üblich ist.[249]
Spielzeug und Handarbeiten – durch Hausfleiß verziertes und dadurch aufgewertetes täglich Notwendiges – zählte zu den Geschenken und persönlichen „Angebinden“ der bürgerlichen Welt. Die warmen Socken und neuen Kleider – in Nachfolge der in den Dienstbotenordnungen vorgeschriebenen neuen Schuhe und Gewänder bzw. der verpflichtenden Patengeschenke – blieben vielfach bis in unsere Zeit Geschenke der weniger Begüterten.
In diesem Kapitel wird dargestellt, wie das Weihnachtsfest vor dem Siegeszug des Christbaums in Österreich um 1800 in den verschiedenen Ständen begangen wurde. Zur Zeit Joseph Mohrs müssen wir ein Nachklingen der alten Ständegesellschaft für Salzburg berücksichtigen. Viel stärker als heute feierte jede Gesellschaftsschicht im Rahmen der ihr zugewiesenen Möglichkeiten. Die spezifischen Handlungsrahmen hatten sich langsam ausgebildet und weiterentwickelt. In diesen Grenzen hatten sich spezielle Verhaltensweisen, Symbole und bewertete Handlungen entwickelt. In der Oberschicht waren dies die Besuche der großen Mittwinter-, Advent- und Nikolausmärkte, die im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts vielfach zu Weihnachtsmärkten wurden, sowie glanzvolle Feste und Einladungen rund um das Weihnachtsfest, Konzerte, Bälle, Schlittenpartien etc. Zum städtisch-adeligen Fest gehörten seit dem Mittelalter das Salutschießen für den neugeborenen Christus und die Festfanfaren. Beides hatte sich im Laufe der Jahrhunderte in Stadt und Land vielfältig verändert. Für Salzburg erwähnt Matthias Koch 1846 das Weihnachtsschießen als Rest alter Unsitten; im 16. und 17. Jahrhundert wurden in Kriegszeiten Verbote gegen das Weihnachts- und Neujahrsschießen erlassen.
Im biedermeierlichen Wien war die Mette eine „fröhliche Angelegenheit. Um sich die Zeit bis zum Beginn zu vertreiben, pflegte man in den Wohnungen Orakel wie Blei- und Wachsgießen oder vergnügte sich in Gastlokalen beim Kartenspiel: Kaffee- und Methäuser, Wein- und Bierschenken strotzten von andächtigen Christen, die sich, jeder nach seiner Art, zu der Mette vorbereiten. Diese spielen Billard [...] einige spielen um Nüsse, andere um Geld [...]. Man hängt sich Arm in Arm, neckt sich auf den Treppen, bewirft sich mit Schneeballen und langt endlich, vor Lachen halb außer Atem, auf dem Ball – nein! – in der Kirche an.“ „Zwischen Alkohol und Aberglaube, in der einen Hand den Rosenkranz, in der anderen den falschen Würfel“, wie die Schriftsteller der Aufklärung bemängeln, kamen viele in die Kirche. Dort setzten sich die fröhlichen Weihnachten fort, wie Helga Maria Wolf schreibt.[250]
Der Mettenbesuch war in allen Schichten obligatorisch. Die Mette, eingedeutscht vom lateinischen „matutin“ – dem nächtlichen Stundengebet – hatte sich schon früh in der Geburtskirche in Bethlehem entwickelt. Mit der Nachbildung der Geburtsgrotte in Rom im 4. Jahrhundert in Santa Maria ad praesepe (an der Krippe!) – ab dem 9. Jahrhundert Santa Maria Maggiore genannt – übernahm der Papst diesen Brauch und führte von St. Peter nach St. Maria Maggiore eine Prozession, die am Rückweg ab dem 11. Jahrhundert auch die byzantinische Hofkirche St. Anastasia besuchte. Im Salzkammergut und im Salzburger Flachgau heißt die Mitternachtsmette heute noch vereinzelt „Engelamt“ und das Hochamt am 25. Dezember „Hirtenamt“, Bezeichnungen, die sich von den drei päpstlichen Weihnachtsmessen in Rom ableiten sollen.[251]
Die Distanz des Intellektuellen ist aus diesem Reisebericht von Matthias Koch herauszulesen, der eine für ihn fremde Welt, wohl im Pinzgau, unter dem Aspekt des „hübschen Anblicks“ beschreibt.
„Jeden Donnerstag im Advent erscheinen junge Burschen vor den Bauernhäusern und singen fromme Liedchen. Dafür reicht ihnen der Hauswirth Branntwein. Am Adam- und Evatag, der überall ‚Bacheltag‘ genannt wird, pflegen die Bauern nach dem Gottesdienste die Pferde abzurichten, in der Meinung, diese werden dann besonders zum Gebrauche geschickt, wenn die Dressur an diesen Tagen vorgenommen wird. Ist dies geschehen, so reicht ihnen die Bäuerin ein mit Honig versetztes Milchkoch, welches ‚Bachelkoch‘ heißt. In der Weihnacht ist das Kartenspiel durchaus nicht üblich und gestattet. Die Familie versammelt sich vielmehr zur aus dem gemeinschaftlichen, gewöhnlichen Abbeten von drei Rosenkränzen bestehenden Hausandacht und zum Vorlesen aus einem Erbauungsbuche. Um Mitternacht gehen dann die Leute zur Mette. Nach ihrer Rückkehr werden sie sodann mit ‚Spenfleisch‘ (geräuchertes Schweinfleisch) bewirtet. Es mag einen hübschen Anblick geben, und gewiß einen feierlichen Eindruck hervorbringen, wenn man um die Mettenzeit die Kirchgänger mit brennenden Spänen in den Händen von den Bergen über die Schneefelder zur Kirche herabkommen sieht, wohin die Glockenklänge um die Mitternachtsstunde sie rufen.“[252]
Die „kleinen Leute“ feierten im Wesentlichen durch Kirchenbesuch, Arbeitsruhe und besseres Essen. Zusammenkünfte mit den Nachbarn, Besuche bei Verwandten – und überall die üppig gedeckten Tische – bleiben weithin in Europa kennzeichnend. In der einfachen, besonders der ländlichen Bevölkerung wirkte – trotz der Reformen des aufgeklärten Absolutismus – noch die katholische Barockfrömmigkeit nach. Der Weihnachtsvorabend war, und das noch bis in die 1930er- und 1940er-Jahre am Land flächendeckend,[253] bis heute vereinzelt, Tag der inneren und äußeren Reinigung, des Fastens und Betens, der Revision von Haus und Hof. Aberglaube und Zukunftsvision, traditionelle Fastenspeisen wie Speisen des Fastenbrechens (Krapfen bzw. Bachlkoch als zwar fleischlose, aber „bessere“ Speisen; in den anderen Bundesländern Apfel-, Nuss- oder Mohnstrudel, Reindling oder Blattelstock) gehörten zu diesen Festen wie der Rosenkranz, Mettengang und schließlich die Würstel-, Leberknödel- oder Schweinskopfsuppe oder Bratwurst als erste Festspeise.
Ganz allgemein müssen die winterliche Arbeitslosigkeit oder Arbeitsruhe, Geldmangel, Mangel an frischen Lebensmitteln, die Abgeschiedenheit bzw. die Heischezüge als Nebenerwerb erwähnt werden. Mit Hans-Georg Soeffner[254] heißt das, dass im Handlungsrahmen „Weihnachtsfest“ jede Schicht im 19. Jahrhundert ganz bestimmte Darstellungsfiguren und Handlungsanleitungen und ihre eigenen Symbole, Bräuche und Inhalte hatte. Weitgehend verbindend waren noch die religiösen Inhalte, die sich erst langsam auflösten. Zur Zeit von Joseph Mohr begann die Arbeitsruhe am Heiligen Abend zwischen 12.00 Uhr mittags und 15.00 Uhr, danach gab es bereits eine festliche Jause mit Fastenspeisen, und es wurde bis zur Mette gebetet und kommuniziert.
Wieweit sich auch in Salzburg das Schenken bereits eingebürgert hatte, wissen wir nur im Vergleich zu anderen Städten bzw. zu den Oral History-Berichten aus dem 20. Jahrhundert. Daraus muss geschlossen werden, was in Salzburg üblich war. Werner Rainer stellt das adelige Schenken rund um Weihnachten und Jahreswechsel im frühen 17. Jahrhundert dar. Die Museen Österreichs zeigen eine Fülle an bürgerlichen Geschenken aus dem Sektor weiblicher Handarbeiten: die gestickten Tabaksbeutel für Vater oder Ehemann sowie Hosenträger, Portemonnaies, Tintenwischer und gesägte Kunstwerke; die gemalten und gestickten Billets für weibliche Verwandte und Freundinnen, dazu verzierte Löffel, Handarbeitsbeutel und allerlei andere (Un-)Nützlichkeiten.
Im bäuerlichen Bereich waren einerseits die in den Dienstbotenordnungen festgelegten Geschenke wie Kleidung, Schuhe, Wolle, Leinwand, Kletzenbrot oder Weißbrot üblich, die auch den ranggleichen Familienmitgliedern zukamen. Die Relikte jener verordneten Geschenkkultur finden wir bis ins 20. Jahrhundert in den gestrickten Socken und Fetzenpupperln wieder, von denen Menschen, die vor 1940 geboren wurden, noch vielfach erzählen. Das Bayerische Wörterbuch des Johann Andreas Schmeller von 1872 bis 1877 kennt den Christbaum noch nicht und nennt eine Summe von Volksbräuchen zwischen Advent und Dreikönig.[255]
Seit der beginnenden Industrialisierung und Landflucht fand eine Vermischung vieler Lebensweisen zwischen Stadt und Land statt. Schriften, Drucke, Gewohnheiten wanderten über Personen ländlicher Herkunft aufs Land. Was nicht aufgeschrieben wurde, ist uns heute nicht bekannt. Wir dürfen aber annehmen, dass das Weihnachtsfest in dieser Zeit in allen Gesellschaftsschichten eine Bedeutung bekam, die über jene anderer adäquater großer Kirchenfeste hinausging.[256] Weihnachten wurde zum sozialen Fest. Die sozialen Facetten des Weihnachtsfestes sind im 20. Jahrhundert vielfach über lebensgeschichtliche Erinnerungen und Interviews dokumentiert.
In Salzburg führte die „Alpinia“ seit der Jahrhundertwende „Christbaumfeste“ für hilfsbedürftige Kinder durch und beschenkte sie mit Trachtenanzügen und Lebensmitteln. In Thalgau gründeten 1902 die sogenannten „Armenmütter“ – Anna Müller, Amalia Weyland und Maria Gartner Edle von Gimmi – den „Wohltätigkeitsverein Thalgauer Christbaum-Gesellschaft“, der karitativ wirkte.[257] Die Arbeiterschaft entwickelte eigene Festformen und eigene Hilfswerke in ihren Reihen, wie Karl Steinocher für Salzburg berichtet.
Mit der Durchdringung von Weihnachtsfest und bürgerlicher Weihnachtsidylle kommt dem Fest in Kriegszeiten eine besondere Bedeutung zu. Wie aus der Literatur bekannt ist, wurden in der Zeit der Napoleonischen Kriege Weihnachtsbäume mit nationalen Symbolen und Flaggen geschmückt, die Preußen ließen Pickelhauben als Christbaumschmuck etc. erzeugen, wie Stephan Bstieler zeigt. Aus dem Ersten Weltkrieg hören wir von den ersten Weihnachtsbäumen für Frontsoldaten und die Zeitungen drucken patriotische Reden kirchlicher und staatlicher Potentaten sowie Aufrufe für karitative Aktivitäten zugunsten der Soldaten in den Schützengräben wie der Witwen und Waisen in der Heimat ab.
„[...] Und das ganze Volk, dessen Kraft im Weltkriege aufs äußerste angespannt ist, am Weihnachtsabend durchzieht es eine heilige Sehnsucht, seine Kraft mit der Liebe eines Kindes zu verbünden. Die rauhe Hand des Kriegers darf auch am Heiligen Abend die Waffen nicht fallen lassen – weniger als je; denn am Heiligen Abend legt das Vaterland mehr als je die Pflicht auf, Kraft und Liebe zu vereinen, mit eiserner Grenzwacht das traute Familienfest beim erleuchteten Christbaum zu schützen, durch stete Kampfbereitschaft das friedliche Glück am häuslichen Herde zu sichern. Aber der Weihnachtsengel zieht auch übers Schlachtfeld in der heiligen Nacht, hält Einkehr in den Schützengräben sucht auch die Kriegsgefangenen in ihrer heimatfernen Verbannung heim [...]. Und der Krieger fühlt es mehr als je, dass er nicht kämpft aus Hass und Bosheit, daß ihm die Liebe seine Waffe führt, weil es gilt, in gerechtem Kampfe das Liebste zu schützen und zu verteidigen, die Heimat, mit allem was nur sie bieten kann, [...]. Voll Trauer, in einem Meer von Blut vermischt mit Tränen, feiert dieses Jahr die gesittete Welt Weihnachten. Ungeheuer sind die Greuel und unsagbar ist das Leid, welches über die Menschheit gebracht wurde [...].“[258]
1925 zeigte sich die politische Konfrontation zwischen dem konservativen „Reichsbund der Kriegsopfer“ und dem sozialistischen „Zentralverband der Kriegsbeschädigten“ in den Weihnachtsbeilagen der Zeitungen.[259] 1921 wurden die Weihnachtsnummern zum Austragungsort politischer Fragen: „Klerikalismus und Klassenkampf“ titelte die „Arbeiterzeitung“, wogegen die „Salzburger Chronik“ mit „Ein sozialdemokratisches Weihnachtsbekenntnis“ konterte.[260] Die Geschichte des Weihnachtsbaumes im Zweiten Weltkrieg hat Esther Gajek im Rahmen der NS-Zeit-Forschung behandelt.
Weihnachten trägt auch in Kriegszeiten die Konnotationen „Frieden, Heimat, Geborgenheit, Familie“ in sich. Das Weihnachtsfest ist sowohl religiös wie profan motiviert und subsumiert die Sehnsüchte nach Erlösung und sozialer Bindung, nach Einbindung in ein größeres, schützendes Ganzes. Weihnachten wird so nicht zur Atempause im Krieg, sondern zum Mittel, den Krieg zu verstärken, zu beschleunigen, um den Frieden schneller zu erreichen, um den Feind sicherer loszuwerden. Gleichzeitig wird die soziale Komponente des Festes genutzt, um über Hilfsorganisationen das soziale Elend des Krieges bzw. der Nachkriegszeit zu lindern. Seltsame Anweisungsbücher zur „richtigen“, „deutschen“ etc. Gestaltung des Weihnachtsfestes finden sich – auch von Volkskundlern verfasst – in der Literatur, die sich gegen „Julkneipen“ im Sinne der germanischen Sippengelage wenden, eine Weihnachtsfeierordnung für den kleineren Kreis vorschlagen – eine seltsame Mischung aus Weihnachts-, Sylvester-, Dreikönigs-, Perchtenbräuchen, Spielen und literarischen Einlagen – und Gestaltungsvorschläge für die Weihnachtsfeier eines kleinen Vereines bis zu 100 Teilnehmern geben.[261] Sie fanden ihre direkte Fortführung im NS-Regime.
Die 1950er-Jahre sind die große Zeit populärvolkskundlicher Schriften über Weihnachtsbräuche in Österreich, die durch die Anfänge des Volkskundeatlas unter Ernst Burgstaller und Richard Wolfram, in Anknüpfung an die Volkstumspflege der NS-Zeit bestimmt wurden. Unter Einbeziehung der Lehrkörper und regionaler Pfleger entstanden viele Schriften, deren Kontinuitäts- und Mythenverhaftung nicht mehr heutigem Wissen entspricht. Ein neues, nationales und rurales Weihnachtsbild ländlicher Pittoreske wurde damals entwickelt, das heute vielfach noch nachwirkt und zu dessen wesentlichen Komponenten das Salzburger Adventsingen mit seiner weitreichenden Vorbildwirkung zu zählen ist.
In Bad Hofgastein fand nach den Kriegs- und Nachkriegswirren im Jahr 1949 wieder eine von der Volksschule gestaltete Weihnachtsfeier in der Wandelhalle statt. Von 1959 ist das Foto eines Weihnachtsspieles der Kinder im Pfarrsaal erhalten. Weihnachten 1950 spendete die UNICEF 49 Paar Schuhe für bedürftige Kinder in Gastein. Die Jahre nach dem Kriege waren nicht nur in Bad Hofgastein vom Nachkriegselend geprägt.[262] Die Anfänge eines Schichten überspannenden weihnachtlichen Familien- und Geschenkefestes nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen die von Studentinnen geführten Interviews für Salzburg und Oberösterreich auf.
Heute sind Weihnachtsbaum und „Stille Nacht!“ für weite Teile der internationalen Gesellschaft von religiösen Bezügen befreit, aber vielfach mit Klischees des Österreichischen, Salzburgischen oder Alpinen besetzt. In Wallace „Bronner’s Christmas Wonderland“ in Frankenmuth, Michigan, USA stellt die Nachbildung der Oberndorfer Stille-Nacht-Kapelle mit ihren über 300 verschiedensprachigen Texten des Liedes neben den Erzeugnissen und Weiterentwicklungen europäischen Christbaumschmucks ganzjährig eine Hauptattraktion für über 3,5 Millionen Besucher aus 120 Ländern dar.
Der Salzburger Philosoph Leopold Kohr sang 1941 mit einer Gruppe von Österreichern auf der Terrasse des Weißen Hauses in Washington für Präsident Franklin D. Roosevelt „Silent Night!“, um gute Stimmung für Österreich zu erzeugen. Maria von Trapp jun. ersang mit ihrer Familie mit „Stille Nacht!“ nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Weißen Haus Care-Pakete für das Not leidende Österreich. Insgesamt war das Weihnachtskonzert der „Trapp Family Singers“ in den 1940er- und frühen 1950er-Jahren jener Anlass, wo die meisten Spenden für den „Trapp Family Austrian Relief Inc.“ eingingen. Zur von der Konzertagentur geforderten Promotion gehörten auch Weihnachtsbillets, die die Familie in „österreichischer Tracht“ mit Holzlaternen, Instrumenten und einem Adventkranz o. Ä. vor einem geschmückten Weihnachtsbaum zeigen. Weihnachten und Musik, „good old Europe“ und Salzburg wurden in Addition so zu Garanten des „richtigen“ Lebensstils in Amerika.[263]
Daneben sind die beiden Symbole des Weihnachtsfestes – Weihnachtsbaum und „Stille Nacht!“ – Objekte marktwirtschaftlicher wie tourismuswirtschaftlicher und industrieller Vermarktung geworden und überfluten lange vor Weihnachten Kaufhäuser, Innenstädte und Werbepostkästen. Auch karitative Initiativen wissen sich der Zugkraft dieser Symbole zu bedienen, denn diese scheinen Garanten für die Erfüllung aller Bedürfnisse nach Heimat, Geborgenheit, Familienglück und Frieden, eben „heiler Welt“ zu sein. Das Klischee vom bürgerlichen, häuslichen Weihnachtsfest, das die Familie friedlich bei „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ unter dem geschmückten Baum vereint, hat sich bis heute in unseren Köpfen und Herzen erhalten. Es wird vielfach nur in den Entwicklungsjahren von wenigen Menschen hinterfragt oder abgelehnt.
Kritischer Umgang mit diesen Klischees existiert zwar sowohl in individuellen Lebensgeschichten wie im Bereich der Kunst und Kleinkunst, doch ersetzt er nicht die sozialisierten Symbole und Handlungsanleitungen, er wird vielfach zusätzlich und ergänzend konsumiert. Das zeigte sowohl die Fragebogenaktion des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde mit dem Institut für Psychologie „Weihnachtsbräuche in Salzburg“ als auch ein Seminar zum Thema „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ am Institut für Geschichte der Universität Salzburg im Jahre 2001. Laut Fragebogenerhebung ist für 61 % der Befragten „Familie“ an den Weihnachtsfeiertagen am wichtigsten, für 5,3 % „Feiern“, für 17,6 % „Ruhe“, für 11,0 % „Friede Verständnis, Harmonie“ und für nur 0,9 % der Christbaum (als selbstverständliches Symbol wohl gar nicht erwähnt – oder als Symbol der Weihnachtsfeier am 24. 12. Für den 25. 12. nicht mehr relevant?). Dagegen stellten 2001 99,6 % der Befragten einen Christbaum auf, 91,7 % im Wohnzimmer. 89,3 % waren der Meinung, dass es den Christbaum in ihrer Familie „immer schon“ gegeben habe. Die 20 Studentinnen/Studenten nannten unter 54 schnellen Assoziationen zum Weihnachtsfest 9-mal den Christbaum, 11-mal Familie und Gemeinschaft, 4-mal emotionale Werte wie Freude, Friede, Harmonie und Liebe, 8-mal „Traditionen“ und 4-mal „Religiöses“.
Es scheint, als hätte unsere Zeit, deren Sehnsucht nach „Authentischem“, „Regionalem“ und „Eigenem“ viele vorhergehende Epochen an Intensität überrundet, in Weihnachtsbaum und „Stille Nacht!“ die rechte Handlungsanleitung zur Stillung ihrer Sehnsucht nach „Glück und Geborgenheit“ gefunden. Weihnachten stellt sich als das Transformations- und Imaginationsoffert dar, in dem sich unterschiedliche regionale und soziale, globale und marktgeprägte sowie individuelle Kommunikationsstile, Ritualisierungen und Symbole zu ganz neuen Handlungskonzepten vermengen. Auch heute erscheint Weihnachten für einen großen Teil der Bevölkerung in dieser Hinsicht als säkulares, jahreszeitlich gebundenes Fest, an dem sich emotionale und ästhetische Defizite kompensieren lassen.
[216] [GrimmJ/GrimmW 1971], siehe vor allem Bd. 2, Sp. 620: Christabend, Christbescherung; Bd. 28, Sp. 709 ff.: Weihnachten, Versuche „nordischer“ Herleitung; Bd. 28, Sp. 712: Weihnachtsbesuche im 16. Jahrhundert erwähnt; Bd. 28, Sp. 720: Weihnachtsgeschenke um 1800 häufig im bürgerlichen Bereich erwähnt.
[217] [BeckSt 1998]: Vorträge von Konrad Köstlin und Regina Bendix zusammengefasst.
[218] [HartmannAn 1998], S. 293–295.
[219] Vgl. [Ariès 1999], Bd. 4, S. 224 f.
[220] [Oebelsberger 1993], S. 170.
[221] [HollH 2002]. – [Hochradner 2002b].
[222] Vgl. [HaidG 2001].
[224] Vgl. dazu: [Kammerhofer-Aggermann 2004]. – Mit den Verboten des aufgeklärten Absolutismus und seiner Klassifikation der – wohlgemerkt religiösen und oft erst zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert eingeführten – Volksbräuche als „heidnisch, als eines Christenmenschen unwürdig“, kam diese Zuweisung erst in Gebrauch, die schließlich ab dem 19. Jahrhundert als „heidnisch“ in der Bedeutung von „vorchristlich“ bzw. später von „germanisch“ ventiliert wurde.
[226] Die Volkskunde hat ihr eigentliches Arbeitsgebiet vom Hochmittelalter an, als jener Zeit, in der einerseits die Differenzierung der Stände und damit ihrer Lebensweisen, Sachgüter und Distinktionen beginnt und andererseits Schriftquellen häufiger werden, die sich mit dem Alltag beschäftigen.
[227] [Kretzenbacher 1953], S. 12.
[229] [Kretzenbacher 1953], S. 18. – Vgl. [Kretzenbacher 1952].
[230] [GrimmJ/GrimmW 1971], siehe vor allem Bd. 2, Sp. 620: Christabend, Christbescherung; Bd. 28, Sp. 709 ff.: Weihnachten, Versuche „nordischer“ Herleitung; Bd. 28, Sp. 712: Weihnachtsbesuche im 16. Jahrhundert erwähnt; Bd. 28, Sp. 720: Weihnachtsgeschenke um 1800 häufig im bürgerlichen Bereich erwähnt.
[231] [Kretzenbacher 1952], S. 11. – [MoserDR 1993], S. 96.
[232] [Galler 1977], S. 19 f., zit. nach [WolfHM 1992], S. 262.
[233] Handschriftliche Literatursammlung von Richard Wolfram zum Thema Weihnachtsbaum, meist ohne Herkunftsangaben, Nachlass Wolfram, SLIVK; in dieser Sammlung zeigt sich Wolframs weitgehend ahistorische Arbeitsweise, die in erster Linie auf die Freilegung von „Altschichten“ von Bräuchen, also auf „germanische“ Herleitung, bedacht war. – Vgl. [WolframR 1965], spez. S. 40. – [Andree-Eysn 1910], S. 72–77. – [HartmannAu 1987], S. 32–34, S. 64–66, S. 101–104, bes. S. 112.
[234] [HartmannAu 1987], S. 112, Spiele aus Oberbayern, Laufener Spiele.
[235] [Kretzenbacher 1952], S. 121.
[236] [MoserH 1951]. – [Adrian 1908], S. 72. – [Adrian 1924], S. 15–27. – [Franck 1534], f. 50v, vgl. f. 130v: [MoserDR 1993] zit. das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München. – [Geramb 1948], S. 201. – [HartmannAu/Abele 1880], S. 190 ff. – [LThK 1957], Bd. 2, Sp. 559; Bd. 4, Sp. 250; Bd. 6, Sp. 343. – [MoserDR 1993], S. 651–666. – [Rasp 1972]. – [WolfHM 2000], S. 278. – [Schmeller 1985], Bd. 1/2, Sp. 972 und Sp. 1337 ff. – [WolframR 1955]. – [WolframR 1952].
[237] [Andree-Eysn 1910]. – [WolfHM 1992]. – [WolframR 1971]. – [WolframR 1957].
[239] [Kretzenbacher 1952], S. 25 f. und S. 123.
[240] [MoserDR 1993], S. 101.
[241] [MoserDR 1993], S. 101 ff.
[242] Vgl.: [Wirleitner 1951], S. 45 f. – [Koch 1846], S. 308 f. – [Nauwerck 1998], bes. S. 147–150. – [Plechl 1960].
[243] [HartmannAu 1987], S. 32–34, S. 64–66, S. 101–104, bes. S. 111.
[244] [Protokoll 1729], Bd. 1: darin u. a. Normen und Patente Maria Theresias in Religionssachen für die Erblande. – Sowie [Protokoll 1782], hier: Patente in Religionssachen an das Bauernvolk 1752–1778 erstellt vom Stadtpfarrer 1778.
[246] [Schöttl 1939], S. 110.
[247] [Hübner 1792], hier Bd. 2, S. 387. – Vgl.: [Kammerhofer-Aggermann 2004].
[248] [Schöttl 1939], S. 112 f.
[249] [Plechl 1960].
[250] [WolfHM 1992], S. 266, nach [Gugitz 1949], Bd. 2, S. 255 ff.
[251] [WolfHM 1992], S. 265, nach [Bieritz 1994], S. 169. – [Kretzenbacher 1953], S. 13, S. 4.
[253] [Walleitner 1952], S. 120.
[254] [Soeffner 1995], Bd. 2, S. 166 ff.
[255] [Schmeller 1985], Bd. 2, Sp. 882.
[256] Vgl. [Ludwig-Uhland-Institut 1964].
[259] [Dregel 1925].
[260] [Salzburger Chronik] Nr. 294, Jg. 57 (1921-12-29).
[261] [Drasenovich 1924], S. 27, S. 29–33. Er bezieht sich auf: [Geramb 1921].
[262] In: [Hochwarter 2000], S. 18 f. und S. 25.
[263] [Strobl/Stehrer 1999]. – [Kammerhofer-Aggermann/Keul 2000b], S. 27, Abb. 6. – [Kammerhofer-Aggermann 2000b].