Dr. Franz Valentin Zillner (1816–1896)[4351] wurde am 14. Februar 1816 in der Salzburger Griesgasse als Sohn des Zimmermanns und Maschinenbauers Johann Anton Zillner und der Innviertler Bäckerstochter Ursula, geborene Lengauer, geboren. Er wuchs in Hallein im Kleuzhaus (Trockenboden für Fassdauben) auf, da sein Vater Baubeamter der Saline Hallein wurde. Ab dem 11. Lebensjahr besuchte er in Salzburg das Gymnasium, wohnte nach dem Tode des Vaters (1830) in der Döllerergasse und unterstützte die Mutter als Privatlehrer. 1932 erhielt er einen Freiplatz im Rupertinum und besuchte danach das Lyceum. Durch den Vater und seine Lehrer wurde er im Geiste der Aufklärung erzogen. Ab 1838 studierte er in Wien Medizin, hörte Vorlesungen aller Fakultäten und wirkte ab 1844 am St. Johanns-Spital in Salzburg als Arzt. 1848 erhielt er die Stelle des Irren- und Leprosenhausarztes und heiratete die Wiener Arzttochter Emilie Pohl (gestorben 1879), mit der er drei Kinder hatte: die als Kind verstorbene Emilie, Anna, die musikalisch tätig war, und Eduard, der als Gerichtsarzt in Wien wirkte (gestorben 1886).
Als Arzt reformierte er viel und war auch als Lehrer und Prüfungskommissär der chirurgischen Lehranstalt tätig. In den Kriegsjahren 1859 und 1866 leitete er interimistisch auch andere Spitäler und erhielt dafür das Goldene Verdienstkreuz. Ab 1870 war er Vorstand des Salzburger Sanitätsrates. Lange Zeit lebte er wieder in der Griesgasse, danach im Waisenhaus. Mit seiner Pensionierung 1893 (im 77. Lebensjahr!) übersiedelte er in die Arenbergstraße.
Der Karwochentext zeigt, dass der Aufklärer wenig Sinn für die Bräuche des Volkes hat, besonders für jene, die sich um kirchliche Feste ranken. Eindrucksvoll ist die Schilderung der Bittprozessionen, lässt sich doch aus ihr erkennen, dass viele Verbote der 1780er-Jahre wieder zurückgenommen worden waren. Der gegenteilige Eindruck entsteht bei der Fronleichnamsprozession, denn sie stellt sich im vereinfachten, reformierten Prunk dar, ohne Schaubühnen und Wägen, ohne Bruderschaften, sondern ganz auf das kirchliche Gemeinwesen hin ausgerichtet. In diesem Zusammenhang erfahren wir auch über die noch recht neuen „Dorfmusiken“, also die Frühzeit der bürgerlichen Blasmusikkapellen. Deutlich wird auch die Entfernung des gebildeten Städters von der ländlich-bäuerlichen Welt und ihren Lebensformen.
„Am Palmsonntage gleicht das Schiff der Dorfkirchen fast einem niederen Walde. Da werden die ‚Palmbuschen‘ geweiht, für jedes Haus einer oder zwei. Sie stecken auf Haselstäben und bestehen aus den Blütenzweigen der Weide, zu welchen ein Reis vom Sebenbaum (Sengbaum) und von der Stechpalme gebunden wird. Man weiß nur noch, daß diese Palmbuschen ein Schutz vor dem Blitzschlag sein sollen, und daß Palmkätzchen verschluckt ein Mittel gegen Krankheiten abgeben. Von der Wirkung des Geruches des Sebenbaumes gegen Hexen und der Stechpalme gegen Zauber ist es stille geworden.
Zur ‚Feuerweihe‘ am Frühmorgen des Charsamstages wird von den Häusern je ein Scheit herbeigebracht, angebrannt und nach Hause getragen. Mit dieser bis in die ältesten Zeiten des Menschengeschlechtes zurückreichenden Feuerverehrung stimmt es, daß Kohlen davon, der Ackererde beigemischt, mit Rücksicht auf das himmlische Feuer dieselbe fruchtbar machen, und daß das angebrannte Scheit, dem Herdfeuer zugelegt, das Haus vor dem Blitzfeuer schützt.
Am Ostertag früh Morgens macht die Sonne drei Freudensprünge, die Kirche weiht verschiedene Eßwaaren, das Eierwalgen, ‚Eierpecken‘, Eierschenken findet statt und im Lungau werden (wie in Kärnten) auf Bergen ‚Osterfeuer‘ angezündet, wie anderwärts in altsächsischen Landen.“ (Seite 443 f.)
„Es naht der 1. Mai. Schon Tags vorher werden in den Dörfern Liefering, Maxglan, Gretig, auf den Felsenspitzen des Nocksteins und des Pabensteines (Barmstoan) bei Hallein ‚Maibäume‘ gesetzt; am frühen Morgen durchzieht Musik die Straßen der Hauptstadt und ein schulfreier Tag gestattet der Jugend größere Ausflüge in die Umgegend. Auf diesen Tag fällt auch die Besitznahme Salzburgs durch Österreich.“ (Seite 444)
„In der Nacht auf den ersten Mai wird von den Burschen eines Dorfes oder Weilers zumeist bei alleinstehenden Wirtshäusern, seltener vor dem Wohngebäude einer besonders begehrenswerten Dorfschönen ein Maibaum gesetzt.
Dieser ist eine schlanke, besonders hohe Fichte oder Tanne. Grundbedingung ist, dass der Maibaum nächtlicher Weile und heimlich einer fremden Waldung entnommen, also regelrecht gestohlen werde, wobei selbstverständlich mit grösstmöglicher Eile, Stille und Umsicht zu Werke gegangen wird, um weder bei der Arbeit überrascht, noch nachträglich des Diebstahles überwiesen werden zu können. Der schon früher als Maibaum auserwählte Baum, in dessen Umgebung sich thunlichst viele hohle Baumstrunke, sowie Moosgrund vorfinden sollen, wird innerhalb weniger Stunden von den Bauernburschen, deren Zahl oft 15–20 beträgt, gefällt, als Maibaum geschmückt und an den Ort seiner Bestimmung verpflanzt. Nur der Wipfel wird ihm belassen, das Astwerk aber abgeschlagen und gleich seinem nahe dem Erdboden abgehackten Stumpfe mit Moos überdeckt, die abgestreifte Rinde in die nahen hohlen Baumstrunke gepresst, um jedwede Spur des eben begangenen Waldfrevels zu beseitigen.
Gewöhnlich sind die Burschen bei dieser nächtlichen Arbeit von den Dorfmädchen begleitet, welche das ‚Aufputzen‘ des Maibaumes besorgen, indem sie das dem Stamm entnommene Reisig zu Kränzen und Guirlanden [sic!] flechten, die sie nebst mitgebrachten Fähnchen und sonstigem Zierate an dem Baume befestigen.
Der nunmehr so geputzte Baum wird sodann an seinen Aufstellungsort getragen und daselbst tief in die Erde eingerammt, um Wind und Wetter Trotz bieten zu können. In aller Stille verlassen darauf sämtliche Beteiligten den Platz ihrer Thätigkeit; und wenn mit dem Grauen des jungen Tages die Bewohner des Hauses sich von ihrem Lager erheben und vor die Hausthüre treten, schauen sie freudig überrascht den schmucken Maibaum, den der Hausbesitzer jetzt als wohlerworbenes Eigentum betrachtet.“[4353]
In dieser interessanten Beschreibung tritt die Bedeutung des Maibaumes als jahreszeitliches und frühes Rechtssymbol für den Beginn jener Zeit, in der Felder und Wiesen nicht mehr betreten werden dürfen, um keinen Flurschaden anzurichten, deutlich hervor. Die spätere Sinngebung im nationalen bis nationalsozialistischen Umfeld als „Überrest altgermanischen Baumkultes“ und das damit verbundene öffentliche Zelebrieren der Aufstellung, wie sie Karl Zinnburg noch 1977 nennt, ist darin nicht enthalten. In diesem Sinne missdeutet Zinnburg auch das Maibaumverbot der Oberwaldkommission vom 19. Juli 1760 gegen das Maibaumaufstellen in Maxglan nicht als die damals übliche Schutzmaßnahme für Wald und Jagdrevier und Vorläufer aufgeklärter, absolutistischer Regentschaft, sondern als Maßnahme der Kirche gegen germanische Bräuche. Maibaumbräuche und ihre Herkunft im bayerisch-österreichischen Raum haben Hannelore Fielhauer-Fiegl und Günther Kapfhammer dargestellt.[4354]
„Ist im Lungau die Aussaat des Sommergetreides zu Ende, so war es bis vor Kurzem die Regel, jede Tanzunterhaltung einzustellen, so lange ‚das liebe Getreide auf dem Felde steht‘. Dieser hochgelegene Gau, dessen mittlere Jahreswärme der von Abo in Finnland gleichkommt, legte damit seine innige Theilnahme an dem Gedeihen der Feldfrüchte an den Tag. Nun naht die Zeit der ‚Aufkehr‘ (nicht ‚Köhr‘) des Alpenviehes. Es wird unruhig in den engen Ställen, die vorjährigen Glockenkühe werden sich ihres Vorranges bewußt; werden sie durch andere ersetzt, so leiden sie bisweilen am ‚Rabel‘ und machen der bevorzugten Kuh mittels der Hörner den Vorgang streitig. Unter dem Gebrülle der Rinder und den stillen Segenswünschen der Eigenthümer kommt die öfter beschriebene Alpfahrt, das ‚Alpererfahren‘ in Gang." (S. 444)
„Den St. Florianstag, 4. Mai, feiern die Schmiede und Feuerarbeiter, in neuester Zeit auch die freiwilligen Feuerwehren. Die Feuerspritzen rücken an manchen Orten aus, werden besichtigt und das Mangelnde oder Schadhafte erneuert.
Am ‚Bittsonntag‘ der ‚Kreuzwoche‘ ist der kirchliche Flurumgang in der Nähe des Pfarrortes, am Montag und Dienstag finden ‚Kreuzgänge‘ in entferntere Kirchen statt, am Mittwoch geht man mit dem Kreuze in der ganzen Pfarrei herum. Auf den Himmelfahrtstag folgt der ‚Schauerfreitag‘ mit einem Hochamte, nach welchem wie am Sonntag vorher die vier Evangelien gelesen werden. Der Flurumgang am Sonntag heißt auch ‚Schauerumgang‘: es ist der Bittgang um Abwendung der Gewitter und Hagelschläge und um Gedeihen der Feldfrüchte.
Das prachtvolle Kirchenfest des Frohnleichnams, der ‚Kranzltag‘, wird mit Schüssen aus Pöllern und schweren ‚Prangerstutzen‘, mit Gewehrsalven der Schützen bei den Evangelien des Umganges und am Wege eingesteckten Baumästen angekündigt und begleitet, die Dorfmusiken spielen feierliche Weisen, die ‚Prangerinnen‘ gehen im Zuge voraus und begleiten das Allerheiligste, die Stimmen der Betenden wechseln mit der feierlichen Stille während der Evangelien und der Segenspendungen nach den vier Weltgegenden.
Während früher Schützencompagnien oder Bergknappen einen gern gesehenen uniformirten Bruchtheil der Pfarrbevölkerung bei solchen Feierlichkeiten darstellten, sind in jüngster Zeit die Dorfmusiken, als ländliche Nachahmung der Regimentsbanden, aufgekommen und stehen zum Theil mit den Abtheilungen der ausgedienten Soldaten im Zusammenhang, wodurch auch die Festzüge an Feierlichkeit gewinnen. Eine eigenthümliche Sitte hat sich in Oberndorf erhalten. Am Frohnleichnamstag oder am folgenden Sonntag, Mittags zwölf Uhr, sammelt sich auf der Laufnerbrücke – sie verbindet die baierische Stadt Laufen mit dem österreichischen Oberndorf=Altach – eine Menge Volkes. Zu gleicher Zeit fährt von dem Sammelplatze oberhalb des Laufens – starke Flußkrümmung mit vermehrtem Gefälle – eine Anzahl ‚Zillen‘ (kleine Kähne) die Salzach herab und unter der Brücke durch. In dem Augenblicke ihrer Annäherung werden von der Brücke aus Blätter von ‚Himmelbrod‘, ungeweihte, etwa sieben Zoll im Durchschnitt messende Oblaten, herabgeworfen. Nun besteht die Fertigkeit der Schiffer darin, diese fliegenden und flatternden Oblaten während des Laufes der Schiffe in der Luft aufzufangen. Da jede Zille zwei Mann trägt und die Brückenjoche besondere Aufmerksamkeit fordern, ist die Aufgabe nicht leicht. Je mehr Himmelbrod aufgefangen wird, desto mehr Ehre legt die Schiffsmannschaft ein. Dieser Gebrauch, der mit der stark abnehmenden Salzachschifffahrt sein Ende findet, heißt das ‚Himmelbrodschutzen‘.“(Seite 444–446)
„Im Flachlande oder Salzburggau sehr verbreitet ist der Gebrauch der ‚Sonnenwendfeuer‘. Am Vorabend von Johann dem Täufer sieht man von erhöhten Standpunkten aus nicht selten dreißig und mehr Feuer auf den herkömmlichen Plätzen brennen, in der ebenen Thallandschaft, auf Anhöhen und Bergen. Im XVI. Jahrhundert zündete man die Sonnenwendfeuer noch auf dem Hauptplatze der Stadt Salzburg an und 1568 zahlte die Stadtkammer für das ‚Sunwendtfeuer auf dem Protmarkt‘ 5 Gulden, 2 Schilling, 10 Pfennig. Man springt wohl auch noch aus Unterhaltung einzeln oder paarweise darüber, aber von geheimen Kräften desselben ist nichts mehr bekannt. Seit die Bergfahrten stark in Aufnahme gekommen, hat sich die Zahl der Bergfeuer während der günstigen Jahreszeit sehr vermehrt. Aus alter Zeit stammen die Bergnamen ‚Sunwendpühel‘, ‚Sunwendstatt‘, ‚Feuerpalfen‘ und der ‚Simetsberg‘ (Sonnenwendberg) in Berchtesgaden.
Vermöge sehr alter Erlaubniß ist es den Salinenarbeitern in Hallein gestattet, am Ausflusse der oberen Albe in die Salzach Nasen, das ist Fische zu fangen. Dies geschieht um Johanni nach Sonnenuntergang unter Fackelbeleuchtung mit eisernen Zwei= und Dreizacken, die ‚Perfureln‘ heißen. Die ihre Fackeln ober der Wasserfläche hin und wieder schwingenden, im seichten Flusse watenden und dem Lichtscheine zuschwimmende Fische harpunirenden Salzarbeiter gewähren im Dunkel der Nacht das interessante Bild eines Schwarmes wandernder Irrlichter, sogenannter ‚Achenlichtel‘ oder feuriger Wassergeister.“ (Seite 446)
„Am 25. Juli, Jakobitag, ist in den Gebirgsgauen das ‚Jaggesen‘ im Gebrauche. Das sind die Alpenbesuche, welche im Pongau und Lungau die ‚Sendinnen‘, im Pinzgau die Melker von der Heimat und ihren Dienstherren, von Freunden und Bekannten erhalten, wobei ‚Mus‘, Kaffee, Schnaps zur Bewirthung nicht fehlen dürfen und die Alpenküche mit einigen seltenen Gerichten, dem ‚Schwimmmüsel‘, das im Schmalze schwimmt, dem ‚G’flocketen‘, einem besonders leichten, flockenähnlichen Mus, und anderen nach Gauen und Thälern verschieden benannten Erzeugnissen die Besuchenden ehrt und erfreut. Finden sich die Paare zusammen, so spielt auch die Zither zu einem Tänzchen auf und es herrscht ‚inner des Alpenzaunes‘, der solche Freiheit gestattet, für ein paar Stunden eitel Fröhlichkeit und Alpenlust. Der Rückweg wird oft erst in finsterer Nacht angetreten, denn der Spruch sagt:
Almerisch, pinzgerisch,
Hoam gehn, wan’s finster is.
Obwohl auch andere Tage während des Sommers, namentlich einige abgekommene oder sogenannte ‚Bauernfeiertage‘, an denen häufig nur Vormittags gearbeitet wird, zu den Ringspielen verabredet werden, bei denen die Kampflustigen sich treffen, und wenngleich zu solchen kleineren ‚Hosenreckplätzen‘ auch andere, meist etwas entlegene Orte, wie der Paß Griesen in Leogang, die Brandstatt in Gastein gewählt wurden, so ist doch der Jakobitag und der Hundstein zwischen den drei Gerichten Saalfelden, Zell und Tachsenbach seit mehreren Jahrhunderten die feststehende Zeit und der auserlesene Ort für das Kraftspiel des ‚Rankelns‘. Letztere Bezeichnung kommt dem Ringen überhaupt zu, wobei der Kämpfenden einer den andern zu Fall bringt oder auf den Boden zwingt; ‚Hosenrecken‘ wird jene Art des Ringens genannt, die es zur Bedingung macht, daß der Gegner aufgehoben und über den Kopf des Siegers nach rückwärts geworfen wird (in der Schweiz ‚Schwingen‘ genannt). Man kennt die zahlreiche Zuschauermenge, die am bezeichneten Tage von verschiedenen Seiten dem Hundsteine zuströmt. Dort, in der Ebene an dem kleinen See, ist der Versammlungsplatz, auch auf den umliegenden Anhöhen stehen die Besucher in Gruppen. Es fehlen die Kampfrichter nicht, die alten Sachverständigen, die selbst einst ‚mitgethan‘. Sie beschließen ‚die Paare redlich zusammenzulassen‘ und wachen darüber, daß unerlaubte List vermieden wird und das Ringen nicht ausartet. Der Sieger in mehreren Gängen heißt ‚Hagmaier‘, was mit ‚Meister in Feld und Hain‘ umschrieben werden könnte. Er steckt sich drei Federn auf den Hut und behauptet sein Ansehen bis zum nächsten Jakobitag. Früher waren diese Kampfspiele auch im Salzburggau in Übung und man will den Namen der ‚Spielberge‘ in drei Gauen davon herleiten.“ (Seite 446–448)
„Noch ist des festlichen Aufzuges des ‚Samson‘ zu Tamsweg (so wie vor Zeiten des Goliath zu Ramingstein) im Lungau zu gedenken. Es ist nicht ermittelt, ob dieser am Frohnleichnamstag=Nachmittag stattfindende Umzug der Überrest einer Sommerfeier oder einer Maigrafenfahrt ist. Wahrscheinlicher ist es eine aus den figurenreichen Frohnleichnamszügen des vorigen Jahrhunderts [Anm. der Hg.: 19. Jahrhundert] herübergerettete Paradefigur. Samson (und Goliath) erscheint in Riesengröße, so daß er an die Fenster der zweiten Stockwerke hinaufreicht. Diese ganz im Widerspruch zu ihrem biblischen Namen wie ein römischer Krieger mit Helm, Panzer, Lanze, Schwert, aber doch mit dem Eselskinnbacken ausgerüstete Riesenpuppe wird von einem starken Manne getragen, dessen Augen zwischen den vom Panzer herabhängenden Lederstreifen und dem Unterkleid die Aussicht haben. Neben dem Riesen schreiten zwei Zwerge, die Bürger= oder Marktmusik zieht unter klingendem Spiel voraus und Schützen oder Bürgersoldaten geben das Ehrengeleite. Das zahlreiche Gefolge zeigt lebhafte Theilnahme an diesem Schauspiel, welches die stillen abgelegenen Orte des Hochgebirges für kurze Zeit belebt.“ (Seite 448)
„Die Zeit von Mariä Himmelfahrt bis Mariä Namensfest (Mitte August bis Mitte September) heißt ‚der Frauendreißigst‘; da haben alle wohlthätigen Kräuter ihre vollste Kraft und die Wurzelgräber volle Arbeit. Es naht die Zeit der ‚Abkehr‘ von den Hochalpen, die fröhlich begangen wird, wenn die Sömmerung ohne Unglück, Viehabsturz u. s. w. verlief. Mit Kränzen von Hagebutten oder Bärenkraut um die mit Rauschgold gezierten Hörner geschmückt, kehrt das Vieh heim, voraus die wenigen Ziegen, Jungvieh, Kühe, zuletzt der ‚Jodel‘ (Stier) mit dem Melksechter, Senner und ‚Goaßer‘, Sennin und Hüterbub und der Bauer. Die Sennin theilt Erzeugnisse ihrer Backkunst aus, den ‚Kneifl‘, ein viereckiges Backwerk, und den ‚Schnuraus‘, kleine, wie die Erbsen oder kleine ‚Rosenkranzgrállerl‘ geformte semmelfarbige Kügelchen. Die Heimkehr wird zur Winterszeit bisweilen als ‚Alpererfahren‘ oder ‚Kühtreiben‘ scherzweise nachgeahmt.
Um Mariä Geburt
Zieg’n d’Schwalben furt,
früher auch die Studenten, was aber schon seit langer Zeit anders geworden ist. Um diese Zeit verlassen auch die Schafhirten mit ihren Herden die obersten Grasplätze der Gebirge; bei der ‚Scháfelscheide‘ werden die Thiere wieder nach ihren Eigenthümern getrennt, die ‚Scháfler‘ abgelohnt und nach Befund mit kleinen Geschenken erfreut, die diesen oft beinahe knabenhaften Hirten für ihr mühseliges, einsames und selbst gefährliches Geschäft herzlich zu gönnen sind.“ (Seite 448 f.)
„Zu Allerseelen schmückt der Unbemittelte die Gräber seiner Lieben mit Reisern der schwarzen Mehlbeere und der rothen Vogelbeere, mit Fäserchen Rauschgolds auf denselben und auf Buxzweiglein. Wie in der Fastenzeit die gesalzenen und zu Ostern die Eierbretzen, das ‚Osterlaibel‘ und der große, kreisrunde, radförmig bezeichnete ‚Osterflecken‘, so ist zu Allerheiligen das zopfförmig geflochtene ‚Heiligenstuck‘ gebräuchlich und wird von den Götenleuten den Kindern, wohl auch bisweilen von der Hausfrau fleißigen Mägden gespendet.“ (Seite 449)
„Im November, oder auch später, halten die Jagdpächter und Jäger einen Jägertag, richtiger eine Abendversammlung von mehr geselligem und humoristischem als geschäftlichem Inhalt. Daß es dabei nicht an verschiedenen Gewehrformen, seltener Jagdbeute und Erzählung von Jagdschicksalen fehlt, ist begreiflich, aber die Krone des Abends ist doch stets die Verlesung des ‚Jägerbriefes‘, gewöhnlich von bildlichen Darstellungen einiger besonderen Spaß liefernder [sic!] Abenteuer und Scenen begleitet. Die Kunst des Vortrages besteht in der richtigen Betonung, in dem Bemerklichmachen von Anspielungen. Der Jägerbrief erhebt sich zu strenger Ahndung begangener Sünden, wechselt mit väterlichen Ermahnungen und entschuldigt sich mit der getreuen Pflichterfüllung des Chronisten.
St. Leonhard ist noch immer Viehpatron. An diesem Tage wird der große Viehmarkt zu St. Leonhard an der Berchtesgadener Grenze gehalten. Die Kirche daselbst barg auf dem Chor vor noch nicht langer Zeit eine Unzahl von Opfergaben für die Genesung kranker Hausthiere: in rothes Wachs getriebene Pferde von alten geschmackvollen Formen, weißwachserne Milchkühe u. s. w. Die Leonhardskirche in Leogang ist, wie andere desselben Namens, mit einer Kette umgeben, von der wie anderwärts die Sage geht, sie sei aus den Kinnketten der genesenen Rosse geschmiedet worden.“ (Seite 449 f.).
„Die gewöhnlichen Unterhaltungs=, Preis= oder Geldspiele sind das (Stein=)‚Platten-‘ oder ‚Hufeisenwerfen‘, das ‚Platzkegeln‘ oder ‚Wandkegeln‘, das ‚Schmarakeln‘ oder ‚Kegelstechen‘ von einem wechselnden Standpunkte aus, das Eisschießen, Scheibenschießen, das Wettlaufen mit den besonderen Formen des Eier=, Sack= und Hosenlaufens, das Ersteigen des Maibaumes. Veraltet sind die bäuerisch=rohen Spiele des Purrösselsprunges, Scheiterkliebens, Holztriftens und selten ist das Fuchsprellen. Vor fünfzig Jahren [Anm. Kammerhofer: also um 1840] wurde noch das Gesellschaftsspiel mit der ‚Hexenkarte‘ gespielt, jetzt ist kaum mehr ein ganzes Spiel mit allen ‚Briefen‘ aufzutreiben.“ (Seite 454)
[4352] [Zillner 1889], hier S. 443–450 und 454. Überschriften zu Einzelthemen wurden dem historischen Text von den Herausgeberinnen beigefügt, um die Lesbarkeit zu erleichtern.
[4354] [Zinnburg 1977a], S. 140–142. – [Fielhauer-Fiegl/Kapfhammer 1977].