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„Roots“ in Tracht (Bernhard Tschofen)[385]

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Kleidung als unbewusstes Signal

Es ist eine elementare Kulturleistung, dass Dinge mit Sinn versehen sind und ihre Sprache haben. Darauf baut die Begeisterung für das Heilige, Schöne und Alte, darauf baut aber auch die moderne Konsumkultur und ein großer Teil der heutigen Kommunikation im Alltag: über die Dinge, mit denen man sich umgibt, werden bewusst und unbewusst Signale über „Geschmack“, Status und Werte ausgesandt.

Diese Signale helfen dem eigenen Ich den adäquaten Ausdruck zu verleihen. Nichts gilt dabei als so verlässliches Zeichen wie die Kleidung. Ihre Geschichte kann als Geschichte von Symbolen und sinnerfüllten Gesten verstanden werden. Das gilt besonders für jene Kleidungsstile, die als „Tracht“ bezeichnet werden.

Denkt man in Österreich an Regionen und Epochen verbindende Trachten, dann drängt sich neben dem farbenfrohen Dirndl als Bild die Farbe „Graugrün“ in den Vordergrund (Lodenanzug). Die Geschichte und Symbolik des „Graugrünen“ sind ein Lehrstück dafür, wie Traditionen entstehen und wie sie wirken.

Das graugrüne Gewand

Die Anfänge des graugrünen Gewandes liegen in der Zeit, in der auch die bis heute dominante Tradition neuzeitlicher Männermode ihren Ausgang nimmt: am Ende der Ständegesellschaft. Die neue Gesellschaftsordnung hatte keinen Platz mehr für „buntgewandete Mannspersonen“, die ihrem Stand durch Kleidung Ausdruck verliehen, sie verlangte nach einem Erscheinungsbild, das ebenso rational und städtisch war wie das Leben, für das es geschaffen sein sollte. Die Männer tragen seither vorzugsweise Schnörkelloses; Grau und Schwarz dominieren das durch ein weißes Hemd ergänzte Erscheinungsbild.

Kennzeichen der Moderne ist aber neben einer „Uniformität“ auch eine Ambivalenz, die sich im gleichzeitigen Nebeneinander der Stile und Grundschemata auszudrücken weiß: So hat sich im 19. Jahrhundert neben dem unauffälligen Mann nicht nur die bunt á la Mode gekleidete Frau behauptet, sondern auch das, was man heute als „Tracht“ kennt. Im späten 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert sind daher auch die meisten Männer- und Frauentrachten zu ihrer Form gelangt.

Kleidung ist seither ein deutliches Medium und die Möglichkeit mit und durch sie zu kommunizieren, bestimmte ihre Wahl mit. Die Farbe Grün galt unter anderem als Ausdruck einer „Antimode“ (Roman: „Der grüne Heinrich“ von Gottfried Keller). Die Farbe „Grün“ hat in jenen Jahren auch noch eine ganz andere Dimension erfahren: Mit der bürgerlichen Natursehnsucht und Naturbegeisterung ist die Farbe zum Symbol für Natur- und Heimatschutz geworden.

Sehnsucht nach der „grünen Seite“

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts haben viele ältere Symbolebenen eine Auffrischung erfahren, nach denen Grün nicht nur für das Junge, Wachsende und Unreife steht („grün hinter den Ohren“, „grünes Fleisch“), sondern auch für das Gute und Angenehme: Die „grüne Seite“ ist die Herzensseite – Glück und Liebe sind mit ihr in Verbindung zu bringen.

Die Sehnsucht nach der „grünen Seite“ bewegte auch die Eliten im aufgewühlt nervösen, aber umso harmoniebedürftigeren 19. Jahrhundert. Immer mehr Menschen war es möglich, ihren Kleidungsstil frei zu wählen und ihren Haltungen eigenen Ausdruck zu verleihen. Für die um alpenländische Kultur bemühte Stadtelite wurde die graugrüne Tracht mehr und mehr zum Wanderkostüm und Lebensstil. Im 20. Jahrhundert bildete sich, speziell im Ständestaat, ein Symbolkomplex um dieses Gewand, der die Idee der Landestrachten beseelte. Der Erfolg des aus dem „Graugrünen“ abgeleiteten Kleidungsstiles, der die österreichischen Alltage seit Jahrzehnten dominiert, entspringt einer kulturellen Grundstimmung, die für alles „heimatlich“ und „natürlich“ konnotierte empfänglich ist.

Dieser Erfolg des von Kulturkritik umschleierten Gewandes entspringt nur scheinbar paradoxerweise seiner Transformation in die Warenwelt; und der ästhetische Mehrwert, der sich mit ihm verband, erhielt gerade durch den massenkulturellen Zuschnitt seine letztgültige Facon: sie ist nicht zu denken ohne Tourismus, ohne Folklore – und ohne Politik.

Das Gedächtnis der Tracht

Regt sich heute in einer beliebigen österreichischen Gemeinde das Bedürfnis, ersehnter lokaler Identität durch Einführung einer Ortstracht sichtbaren Ausdruck zu verleihen, dann kann auf einen Fundus historischer Vorbilder zurückgegriffen werden. Der Bestand an Vorlagen, Bilder und – was wichtig ist – an Deutungen wächst und erneuert sich beständig.

Das Gedächtnis der Tracht – und das meint stets auch des sammelnden und forschenden Interesses dafür – ist lang. Ein Befund zur Lage der Volkstracht würde (fragte man, was es „noch“ und nicht danach, was es „neu“ und „ansonsten“ gibt) heute kaum anders lauten wie Ende des 19. Jahrhunderts. Einmal mehr erweist sich die Ethnografie (als Beschreibung von Kultur, wie sie „Land und Leute“ umgibt) als Zeitmaschine.

Selten erscheint für einen Gegenstand der Volkskultur die Konsistenz so erschrieben wie im Fall der so genannten Volkstracht und beständig sind nicht zuletzt die (oft paradox ungleichzeitigen) Bilder, die von ihr gezeichnet werden. Die reine (Volks-)Tracht hat es nie gegeben. Der Begriff bezeichnet vielmehr unterschiedliche Phänomene.[386] Für die museale Repräsentation von Volkskultur spielten Trachten bereits früh eine entscheidende Rolle.[387] Kleidungsforschung hat sich in der Gegenwart von den Realien (Material, Schnitt) auf deren Bedeutung – kommunikativer Aspekt von Kleidung, identitätsbildende und symbolisch-repräsentative Funktionen – verlagert.

Vom „Kostümwesen“ zu den so genannten Volkstrachten

Vor etwa 200 Jahren setzte eine Bildtradition ein, für die ein Miteinander aus forschender Dokumentation und kreierender Praxis typisch ist. Dazu einige Beispiele:

  • 23 Darstellungen der Nationaltrachten in den Kronländern (ein Hochzeitsgeschenk an Kaiserin Elisabeth, 1854, ausgeführt vom Aquarellisten und „Hoftheater-Costumeur“ Albert Decker (1817–1871). Es ist anzunehmen, dass Decker zur Herstellung der Skizzen nicht alle Kronländer bereist hat, sondern von den seit Ende des 18. Jahrhunderts entstehenden Vorbildern freien Gebrauch gemacht hat.)

  • Salzburger Kuenburg-Sammlung um 1790, in ihrer Zeit unpubliziert, um 1900 bereits kopiert.

  • Von Konrad Mautner wurde die Reproduktion der von Erzherzog Johann veranlassten Sammlung Steirischer Trachtenbilder (Sammlung Graf Meran) betrieben und stellte später die Grundlage des „Steirischen Trachtenbuches“[388] dar. Konrad Mautner, ein Wiener Industriellensohn aus jüdischem Hause, hatte in der Ausseer Sommerfrische Trachten kennen gelernt, studiert, gesammelt und gezeichnet. Die Bewohner von Gössl waren von Mautner begeistert und zogen mit ihm als „wandernder Trachtensaal“ noch vor dem Ersten Weltkrieg zu Heimatschutz- und Trachtenfesten.

Trachtenverzicht/Trachtengebrauch – die Wahl der Zeichen

Angesichts gegenwärtiger Identitätsbasteleien könnte man glauben, dass früher alles leichter war, das Anziehen und das Forschen darüber und dass frühere Formen auch die alten Sicherheiten gewährten. Doch dem ist nicht so, trotz oder gerade wegen der als Verlust von Selbstverständlichkeiten erfahrenen Ungleichzeitigkeiten. Gexi Tostmann spricht von einem in der Gegenwart gesteigerten Bedürfnis nach Verbindlichkeit in Kleidungsfragen: „Die allgemeine Verunsicherung, die durch den Verlust der Verhaltensnormen entstanden ist, macht sich hier bemerkbar. Individuelle Freiheit in Sachen Kleidung ist nicht jedermanns Sache! Daher sind die Heimatwerke mit ihren erneuerten sogenannten ‚echten’ Trachten eine zeitgemäße Erscheinung, so widersinnig das klingen mag.“[389]

Im Gegensatz zur Wissenschaft, die immer weniger zu wissen scheint, „was Tracht eigentlich ist“, scheint im öffentlichen und medialen Alltag die Verständigung über Tracht und ihre Bedeutung kein Problem zu sein. Auch Politiker nutzen den Symbolwert der Tracht für kalkulierte Verkleidungsspiele, mit denen sich die in Trachtlichem (aus historischen Gründen) angelegten Zeichenvorräte ganz bewusst einsetzen lassen.

Tracht ist ein gewähltes Gewand wie andere auch, das ein Lebensgefühl vermittelt, das anders, aber nicht besser als das anderer selbst gewählter Kleidungszeichen ist. Was es nicht gibt, ist eine besondere Moral der Tracht, selbst wenn sie durch gesteigerte „Echtheitsansprüche“ suggeriert wird. Naturverbundenheit, Unvermitteltheit, Nachhaltigkeit sind kein zwingendes Privileg trachtlichen Gewands.



[385] Kurzfassung von Ilona Holzbauer, Ulrike Kammerhofer-Aggermann und Melanie Lanterdinger. Vgl. zu den folgenden Kurztextseiten folgende Beiträge: [Tschofen 2001a], [Tschofen 2004], [Tschofen 2001b].

[386] „Costüm-Album von National-Trachten und Typen für Damen“ (Warenkatalog von Franz Gaul, 1893, für die Wiener Firma Loden-Plankl), „Dirndl-Costume für den Landaufenthalt“ (Ende des 19. Jahrhunderts, orientiert an den stilisierten Volkstrachten der kostümkundlichen Grafiken), Titelvignette des „Katalog[s] der Sammlungen“ (1897) des „Museum für österreichische Volkskunde“ mit fünf Trachtenträgerinnen aus den wichtigsten „Volkskulturlandschaften“ der im Reichsrat vertretenen Länder als Symbol des harmonischen Nebeneinanders der Völkerschaften (vgl. auch die Welt- und Gewerbeausstellungen sowie die Huldigungfestzüge auf der Wiener Ringstraße).

[387] Ein Beispiel für die museale Repräsentation ist der so genannte „Trachtensaal“ von Viktor von Geramb (1884–1958) im Volkskundemuseum in Graz, der in den 1930er-Jahren entstanden ist und Auskunft gibt über die zentrale Rolle trachtlicher Kleidung für den Entwurf einer Volkskultur im 20. Jahrhundert. Wo Realien fehlten, hatte Geramb die lebensgroßen Figurinen in nach Bildquellen rekonstruierte Kostüme einkleiden lassen, die im Dialog mit „Survivals“ Kontexte als Kontinuitäten bestätigen sollten.

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