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Tracht – Erbe oder Idylle? (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)[384]

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Tracht

Zur Sommerfrische in Salzburg und im Salzkammergut gehört seit über hundert Jahren „die Tracht“. Diese Kleidung hat Symbolwert, sie soll Lebensgefühl vermitteln und stand besonders in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für die Leichtigkeit des Seins in der Sommerfrische, für Lebenslust, Sinnlichkeit und Intimität abseits der Alltagswelten.

Viele dieser Aspekte hat die Tracht auch heute in Zusammenhang mit Salzburg und dem Salzkammergut noch bewahrt, darüber hinaus gilt sie in den letzten Jahrzehnten auch als Symbol „gehobenen Status“, als Zeichen für die Verbundenheit mit Österreich und als nostalgische Zuwendung zum Vielvölkerstaat der einstigen Habsburgermonarchie. In diesem Sinne wird zum Beispiel auch der langjährige Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Salzburg, HR Marko Feingold (1913-2019), vielfach im Trachtenanzug gesehen.

Sommerfrische ist nicht der einzige Aspekt des Phänomens „Tracht“ – zu dessen Geschichte gehört auch die Instrumentalisierung durch nationale wie völkische Strömungen und durch den Nationalsozialismus. In der Rückschau auf die Entwicklung dessen, was wir heute unter „Tracht“ verstehen, ergeben sich zwei gegensätzliche Richtungen: Zum einen die romantisch-spielerisch intendierte Welle der Trachtenentdeckung durch den städtischen Kreis und zum anderen jene identifikatorisch und national bestimmte Suche nach den Wurzeln.

Graf Lamberg und sein Hut

Beginnt man die Geschichte der Tracht für Salzburg aufzurollen, so ist der Lamberghut unübersehbar. Hugo R(aimund) Graf von Lamberg (1833–1884) war k. u. k. Kämmerer, Abgeordneter des Steiermärkischen Landtages und kam als 35-Jähriger 1868 nach Salzburg, wo er Landtagsabgeordneter wurde sowie Präsident der k.k. Landwirtschaftsgesellschaft und des Kunstvereins. Von 1872 bis 1880 war Lamberg Landeshauptmann von Salzburg. Er starb 1884 und 1886 errichtete ihm die „Sektion Salzburg des Österreichischen Touristen-Clubs“ ein Denkmal.

Entwurf und Gipsbozzetto zum Lambergdenkmal in Bronze stammten von seiner Ehefrau Berta Lamberg (1881). Dargestellt wurde Graf Lamberg in der für ihn und sein Umfeld charakteristischen „Revoluzzerkleidung“, „in der ihm alle Zeit lieb gewesenen alpinen Tracht, Lodenjoppe und Jägerhütl mit der Spielhahnfeder“ (Doblhoff 1888). Diese „alpine Tracht“ galt als Markenzeichen einer Geisteshaltung, die „weder klerikal noch antisemitisch war“. Lambergs Kleidung ist vor allem noch im Nachklang von „Erzherzog Johanns grauem Rock“ zu sehen. Erzherzog Johann (1782–1859), ein wesentlicher Vertreter des neuen Herrscherideals der Aufklärung, stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Ende der feudalen Gesellschaft und der Entwicklung des bürgerlichen Zeitalters dar.

Als erste Erwähnung des Lamberghutes gilt der „Kaiser-Jubiläums-Festzug“ (27. April 1879, Wien), von Hans Makart gestaltet. Die Abteilung „Moderne Hochgebirgsjagd“ präsentiert von Lamberg in seiner Funktion als kaiserlicher Jagdherr, wurde darin als modernste Entwicklung des Historismus angesiedelt.

Der Salzburger Landesanzug

Mit Touristen-Club und Landesanzug startete in Salzburg eine Welle der Trachtenentdeckung und -entwicklung, die weit über Salzburg hinaus wirksam wurde. 1891 folgte die Gründung des „Touristen-Geselligkeits-Klub Alpinia“, dem der Hutmacher Anton Blum (er typisierte den "Lamberghut") vorstand. Aus dessen Umkreis ging 1910/11 die Landeskommission „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuche“ hervor.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Trachtenidylle aber ins Wanken geraten. Auch und gerade im Zusammenhang mit dem jüdischen Großbürgertum wurde Tracht zum politischen Fanal und Angelpunkt für den Rassenhass. Zuvor wurde das „Trachtentragen der Juden“ an sich nicht reflektiert, sondern gehörte zu den Symbolen und Verhaltensweisen eines längst als „eigen“ übernommenen großbürgerlichen Handlungsrahmens. Erst im Zuge der rassistischen Anfeindungen musste es plötzlich wahrgenommen und bespiegelt werden. Jüdisches Großbürgertum trug daher in der Sommerfrische und am Rande der Salzburger Festspiele „Tracht“ und sammelte diese Stücke, die teils alt waren, teils im Geiste der Reformbewegung erzeugt wurden.

So hatte sich über die Sommerfrische in Salzburg bereits eine Kluft zwischen dem städtischen Bürgertum und der ländlichen Bevölkerung bzw. deren Vereinswesen ergeben, die in den ersten Festspieljahren einen Höhepunkt erreichte und sich am jüdischen Publikum entlud.

Salzburger Flair und Sommerfrische

Die bürgerliche Sommerfrische – und über sie hinaus später die Salzburger Festspiele – war, wie es Konrad Köstlin ausdrückt, der „rituelle Ausflug in die ganz andere Welt“ und damit fixer Bestandteil der Erfindung des „Abenteuers Volkskultur“. „Tracht“ – oder das, was jene Gesellschaft darunter verstand – wurde zum definierten Symbol der ritualisierten Handlungsanleitung des Gesellschaftsspiels Sommerfrische.

Die zu Beginn der 1930er-Jahre kreierten, heute weltberühmten Lederjoppen von Jahn (bzw. Markl), der weiße Leinenjanker mit ebensolcher kniekurzer Hose – von Carl Mayr für Lanz entworfen –, Henndorfer Dirndl und Bauernhemden wurden der letzte Schrei der legeren Freizeitkleidung der großen Welt. Zwischen 1929 und 1937 finden sich sämtliche klingende Namen (z. B.: Max Reinhardt, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Marlene Dietrich etc.) in den Kundenbüchern der Firma Lanz bzw. Markl. Daraus wird deutlich, dass nicht die jüdische Gesellschaft speziell, sondern die Festspiel- und Sommerfrischengesellschaft dieses Spiel der Verkleidung liebte. Max Reinhard wurde mit der Inszenierung des „Jedermanns“ vor dem Salzburger Dom auch zum Regisseur des „Salzburger Flairs“, das Salzburg zum „Brennpunkt europäisch-amerikanischer Kunstsehnsucht“ machte.

Neben der Idylle war eine andere Art von Trachtengesellschaft erwachsen, die bedrohliche Schatten vorauswarf. Schon 1938 hatte NS-Deutschland die Salzburger Festspiele als „jüdischen Hexensabbath“ bezeichnet.

Alte Hüte – gesellschaftspolitische Signale

Die Bedeutung von Tracht und Hut sowohl als Zeichen der Integration als auch der Widerständigkeit lässt sich über Jahrhunderte verfolgen. Der Hut hat auch als Zeichen gesellschaftlicher Zugehörigkeit, als Standeskennzeichen und Statussymbol eine lange Geschichte. Hüten kam in vielen Umbruchsituationen auch die Rolle signalhafter Symbole der Geisteshaltung zu.

1785 zeigt sich in Protokollen des Stiftes Seitenstetten das Aufkommen des „Reindlhutes“ als modisches Requisit der jungen reichen Pfannschmiedgesellen. Bis in unsere Zeit blieb er Trachtenstück der ländlichen Bevölkerung in Teilen von Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich. Bereits im 19. Jahrhundert wurde er einerseits als Requisit der Henndorfer Künstler-Sommerfrischengesellschaft als auch als Hut neu auflebender Sängergruppen und Trachtenvereine wieder beliebt. Davor war er bereits Attribut und Kennzeichen des „dummdreisten Bauern auf der Vorstadtbühne“ Wiens geworden. Lange Zeit trat der „Hias“ (Humorist, Musikant E.M. Mayer, 1950-2007) im Musikantenstadl, am Vorbild des Volksschauspielers Paul Löwinger gewandet, damit auf.

Auch heute ist Kleidung allgemein und Tracht und Trachtenmode im Besonderen Bestandteil unserer Selbstdarstellung. Auch auf politischer Ebene schaffen Moden und gesellschaftliche Strömungen Landes- und Selbstbewusstsein in Europa und ermöglichen die Selbstdefinition der Länder. Der Gefahr, dass über die Vorliebe für regionale Besonderheiten ethnisches Denken wieder gefördert wird, ist durch Erziehung zu Toleranz und Offenheit und durch ein Angebot von intellektuellen Begegnungen entgegenzuwirken.



[384] Kurzfassung von Ilona Holzbauer

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