Der Botaniker Joseph August Schultes wurde 1773 in Wien geboren und studierte dort Medizin und Naturwissenschaften. Nach der Promotion wurde er Professor an der „Theresianischen Ritterakademie“ und wirkte jeweils kurzfristig in dieser Funktion auch in Krakau und Innsbruck. Im Jahre 1810 erhielt er den Ruf als Direktor der chirurgischen Schule in Landshut, wo er 1831 nach vielen Schicksalsschlägen starb.
1794 veröffentlichte er eine umfassende Flora von Österreich, 1817 eine Geschichte und Literatur der Botanik mit der Geschichte von 128 botanischen Gärten. Sein Herbarium wurde an die Universität Charkow in Russland verkauft. Zwischen 1817 und 1830 gab er mit anderen (unter anderem mit seinem Sohn Julius Hermann) eine zehnbändige Neuausgabe von Carl von Linnés „Systema vegetabilium“ (Systemkunde der Pflanzen) heraus.
Seine Forschungsreisen fanden auch in vielen Reiseberichten Niederschlag: unter anderem „Ausflüge nach dem Schneeberg“ 1802, „Reisen durch Oberösterreich“ 1809 oder „Reise auf den Glockner“ 1824[5034]
In diesen Texten finden wir den Blick des Fremden auf Salzburg, der sich einem Land annähert, das erst seit einem Jahr unter der Herrschaft der Habsburger (als reichsunmittelbares Kurfürstentum unter der Herrschaft von Ferdinand von Habsburg-Toskana[5035], einem Bruder von Kaiser Franz[5036]) steht. Aus Schultes spricht der österreichische Beamte, der Vergleiche zwischen dem davor reichsunmittelbaren Fürstentum Salzburg und dem habsburgischen Österreich zieht. Er kritisiert die Regierung von Erzbischof Hieronymus Colloredo (1772–1803), der sich im Zuge des Koalitionskrieges gegen Frankreich ab 1800 in Wien aufhielt und dort 1803 abgedankt hatte. Kaisertreu hält er die – bis zum Erscheinen seines Buches – einjährige Herrschaft eines Habsburgers, des Kurfürsten Ferdinand von Habsburg-Toskana, bereits für eine Verbesserung. Salzburg war ja von 1803–1805 Kurfürstentum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (das noch bis 1806 auf dem Papier bestand). Mit dieser Zeit begann für Salzburg eine wechselvolle Geschichte: 1805 stand es kurzfristig unter französischer Regierung, von 1805–1809 kam es durch den Frieden von Pressburg (26. Dezember 1805) erneut an Österreich (inzwischen Kaisertum Österreich), von 1809–1810 war es durch den Sieg Napoleons (1769–1821) wiederum französisch. 1810–1816 wurde es mit dem Frieden von Schönbrunn (14. Oktober 1809) schließlich als „Salzachkreis“ Bayern zugeschlagen und erst mit dem Wiener Kongress (1814/15) kam es am 1. Mai 1816 endgültig zu Österreich und wurde Teil des Kronlandes „Österreich ob der Enns“. Eine Zeit also, in der Plünderungen und Auflösungen von Eigenständigkeiten an der Tagesordnung waren und das Land wie das Selbstverständnis seiner Bewohner arg durchgerüttelt wurden.[5037]
Schultes Stil ist – soweit es die Auffassung der Landschaft betrifft – die klassizistisch-romantische Naturbetrachtung mit der typischen Übersteigerung der Naturerscheinungen, der Schönheit und Wildheit der Alpen[5038] Der Blick auf die Menschen schwankt zwischen ethnologischer Neugier, Suche nach der Pittoreske und Abscheu des aufgeklärten Bildungsbürgers für die einfachen Lebensumstände und unlogischen Welterklärungen. Die Begeisterung für die Josephinische Wiener Aufklärung und deren Nutzen für die Verwaltung und Sozioökonomie der Bewohner zieht sich durch das ganze Werk.[5039]
„Es war eben Jahrmarkt in Salzburg, als ich dort war, und doch fand ich es nicht lebhaft: ich glaube kaum, daß die Procente der Leipziger Messe hier als Capital verkehret werden. Was mir sehr auffiel, war, daß ich in den Kramläden Kaufleute aus allen Winkeln von Oberdeutschland fand, und Sachsen und Schweizer, aber keinen einzigen Oesterreicher. Käufer aus Oesterreich fand ich aber genug hier, und so viel ich sah und hörte, ging nicht Alles, was meine Landsleute in Salzburg kauften, auf der Achse unter dem Zollschranken durch nach Oesterreich. Ein Land, das keinen Handel mit seinen Erzeugnissen in das Ausland hat, hat keinen Handel. Salzburgs-Handel ist bloßer Speditionshandel nach Italien.“ (Theil I, Seite 251f.)
„Aber einen Commentar zu einer mir bisher immer unverständlich gebliebenen Stelle in Freyh. V. Moll’s naturhist. Briefen II. Bd. Vorr. S. XVI. hat sie mir gegeben. [Anm.: Schultes erklärt, was in den naturhistorischen Briefen des Freiherrn von Moll (II. Band, Vorrede S. XVI) erwähnt wird.] Es heißt dort: ‚die geringe Menge der Ehen [Anm.: im Lande Salzburg] ist sicher eine Folge der geringen Sterblichkeit und der großen Fruchtbarkeit.‘ Das Factum ist allerdings richtig, daß die Zahl der Ehen in Salzburg seit der Auswanderung der Protestanten unverhältnismäßig geringer war und ist, als in anderen Ländern. Allein, auch bey der in eben diesem Verhältnisse großen Anzahl der unehelichen Kinder[5041] in Salzburg hat doch die Bevölkerung seit den Regierungsjahren des letzten Fürsten noch mehr abgenommen, als sie, bey allen diesen unglücklichen Multiplicationsverhältnissen, hätte abnehmen sollen: sie ist um nicht mehr als 30.000 Menschen weniger geworden. Salzburg allein hat, so groß und weitläufig es geworden ist, nur 12.000 bis 13.000 Menschen, und höchstens mit den Pfarrdörfern in der Nachbarschaft dürfte es 16.000 Menschen zählen, die es ehedem reichlich in seinen Mauern nährte. Die Bevölkerung des ganzen Erzstiftes beträgt zuverlässig nicht mehr als 194.000 Menschen. Und bey einer so geringen Bevölkerung eines so großen Landes ist ein seit ungefähr dreyßig Jahren sich ergebendes Deficit in der wachsenden Bevölkerung von 30.000 Menschen keine Kleinigkeit.
Die Ursache dieser Bevölkerungsabnahme im ganzen Lande war ‚nicht die geringste Sterblichkeit und die große Fruchtbarkeit der Ehen‘, sondern die erschwerte Ehe. Der letzte Fürstbischof war ein bekannter Staatswirth[5042]: ein Hofrath hatte bey ihm 300 fl. Jahrgehalt, und eben so verhältnißmäßig waren die übrigen Beamten ungemein karg besoldet. Allein nicht nur dieser geringe Gehalt erschwerte die Ehen der Beamten, sondern das ausdrückliche Verboth ohne Erlaubniß des Fürstbischofes sich zu verehelichen. Der Staatsbeamte wurde hier als ein Militans pro Ecclesia angesehen, und durfte, wie der Kriegsbeamte in anderen Staaten, ohne besondere Erlaubniß sich nicht vermählen: der Fürsterzbischof wollte Pensionen ersparen. Heirathsgesuche der Beamten blieben nicht nur oft Jahre lang unbescheidet: man verboth sogar manchmahl die Einsendung derselben. Wer ledig bleiben muß, bleibt darum zwar nicht immer ohne Kinder. Concubinat, um den gelindesten Ausdruck zu gebrauchen, begünstigt aber nie die Bevölkerung in dem Grade, in welchem nur rechtliche Ehe sie erhalten kann. Buhlerey vergiftet die Moralität, entnervt den Mann, schwächt das Weib, macht eigenes häusliches Glück unmöglich, und untergräbt das fremde.
Noch ein Umstand, der diese Pest in diesem Staate hier verbreitete, ist die in allen Gebirgsländern von Oberdeutschland noch immer gewöhnliche Sitte des so genannten Fensterlgehens, Gasselgehens, der Probenächte. Nur die strenge Ehrlichkeit des Gebirgsbewohners, der seine Dirne um so gewisser heirathete, je mehr sie Kinder vor der Hochzeit von ihm hatte, und die Toleranz, mit der Väter und Mütter, Verwandte und Dienstherren die Vergehungen ihrer Töchter und Dirnen entschuldigten[5043], nur übrigens strenge Moralität konnte diese gefährliche Sitte der Bevölkerung so unschädlich machen, als sie nachtheilig werden muß, so bald die Moralität, die patriarchalische Reinheit der Sitten, durch erzwungene Hagestolze untergraben wurde.
Ueber dieß ist das exemplum regis in keinem Lande kräftiger, als in kleinen Staaten. Die kleinen salzburgischen Herrschaften hielten ihre Beamten, wie der Fürstbischof die seinigen, und – hinc illae lacrymae! Ferdinand wird sie mit seiner wohlthätigen Hand zu trocknen wissen. Jetzt schon segnet ihn das Land, das er kaum ein Jahr regierte: jetzt schon fühlt es das Glück, einem weisen weltlichen Fürsten anzugehören.
Allein, wenn auch die Menschen unter Hieronymus Regierung in Salzburg nicht mehr geworden sind, so sind sie doch besser geworden. Er hob die geistlichen Vehemgerichte, die blutbefleckten Inquisitionstribunale und Missionsanstalten, die unter dem bleyernen Zepter der Franciscaner und Benedictiner standen, auf; er verboth die Wallfahrten, die müßigen religiösen Spaziergänge in Form von Processionen, die religiösen Maskeraden in der heil. Charwoche; er entwand den Mönchen ihr Palladium, mit welchem sie allein den gesunden Menschenverstand besiegen und in lähmende Fesseln schlagen konnten, die Aufsicht über Schulen, die erste Bildung der Jugend; er führte Normalschulen ein, und überließ ihre Leitung den besseren Händen des vortrefflichen Vierthaler. Dadurch erhielt sein Volk, noch während der letzten Jahre seiner Regierung, in den entferntesten, abgelegensten Winkeln des Landes, einen Grad von Cultur, der es von seinen östlichen und westlichen Nachbarn auf eine sehr vorteilhafte Weise auszeichnete.
Er begnügte sich nicht bloß damit, Aufklärung an der Stelle des finsteren Aberglaubens und schädlicher Vorurtheile unter seinem Volke verbreitet zu haben: er gründete in Salzburg eine Lehranstalt, auf der die Söhne seines Volkes in jedem Fache des gelehrten Wissens in ihrem Vaterlande sich bilden konnten. An die Stelle eines P. Khröll, der noch 1759 eine der abenteuerlichsten Fragen erörtern konnte[5044], an die Stelle eines P. Coelestin Mayr, der 1713 als theologische Theses[5045] vertheidigte: daß beatissima Virgo callebat Logicam artificialem – Demonstrative a posteriori cognoscebat Deum etc.; an die Stelle dieser Benedictiner-Mönche sind jetzt Stöger, Schiegg, Peutinger, Hofer, Müller Professoren der Theologie und Philosophie; an die Stelle jener Juristen in Salzburg, die einst fabula per Germaniam waren, kamen, unter Hieronymus, der würdige Professor und geistliche Rath Gärtner, die Hofräthe v. Koflern, Gäng u.s.w.; und dort, wo einst Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheimb[5046] sein Unwesen trieb, wo Aerzte gemeinschaftlich mit Priestern, Scharfrichtern, Gauklern und dem Teufel Krankheiten durch Weihwasser, Pulver, Rauchwerke, Vespermäntel und Vitalien heilten, lehrt jetzt Hartenkeil, ist Steinhauser und Storch Arzt am Hospitale. Unter Hieronymus gründeten Freyh. v. Moll, Berghauptmann Schroll, Reisigl, Auer, Mielichhoffer u.s.w. rationales Studium der Mineralogie in Salzburg und den jetzigen Flor des Berg- und Hüttenwesens im Lande: nun wagt es kein Benedictiner mehr und kein Jesuite, um Große und Reiche zu täuschen, und das Gold derselben in ihre Cassen zu leiten, in Salzburg öffentlich zu lehren,xiv daß man Gold machen könne. Es ist ein herzerhebendes Gefühl, das eine solche Vergleichung älterer und neuerer Zeiten gewährt; man würde geneigt auf eine fortschreitende Veredelung des Menschengeschlechtes zu glauben, wenn man nicht in anderen Ländern die Menschheit eben so tief zurück sinken sähe, als sie sich erhoben hat.“ (Theil II, S. 231–240).
[5035] Er wird stets als Großherzog Ferdinand III. von Toskana geführt. Ferdinand gehört der Linie Habsburg-Toskana an, geboren 1769 in Florenz, gestorben 1824 in Salzburg. Er folgte als dritter Großherzog der Toskana: von 1790–1801 und 1814–1824 auf seinen Vater Kaiser Leopold II. und seinen Großvater Kaiser Franz I. Von 1803–1805 regierte er Salzburg als reichsunmittelbares Kurfürstentum. Ferdinand ist, ebenso wie Kaiser Franz II., (I.) und Erzherzog Johann von Österreich, Sohn von Kaiser Leopold II. (1790–92), der zuvor als Großherzog von Toskana in Florenz residierte und damit Enkel der Erzherzogin Maria Theresia. Kaiser Franz I. verzichtete zugunsten der Heirat mit Maria Theresia auf Lothringen und wurde dafür mit dem Großherzogtum Toskana bedacht. Siehe dazu: Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs. 8., Wien 1984, Tafel III.
[5036] Kaiser Franz II., (I.) wurde 1768 in Florenz geboren und starb 1835 in Wien. Er war, in Nachfolge seines Vaters, von 1792–1806 als Franz II. (Franz I. war sein Großvater, †1765) Kaiser des Römischen Reiches Deutscher Nation; 1806 erklärte er dieses Reich für beendet. Bereits 1804 begründete er die österreichische Kaiserwürde und regierte von 1804–1835 als österreichischer Kaiser. Er billigte die österreichische Erhebung gegen Napoleon, obwohl seine Tochter Marie Louise mit Napoleon verheiratet wurde. Mit Staatskanzler Metternich führte er den sozialkonservativen „Polizeistaat“. Seine vierte Frau, Karoline Augusta von Bayern, gab als Förderin dem Salzburger Museum Carolino Augusteum den Namen. Siehe dazu: Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs. 8., Wien 1984, Tafel III.
[5037] Vgl. Zaisberger, Friedrike: Geschichte Salzburgs. Wien, München 1998, S. 234–247. 1807 betrat Kaiser Franz I. Salzburg, um vom Haunsberg das Land zu überblicken. Die als Denkmal gesetzte Kaiserbuche wurde 2004 bei einem Sturm zerstört.
[5038] Siehe dazu den Kommentar von Gabriele Pflug zum Beitrag: Graf Spaur: Scheibenschießen, Ranggeln, Wilddieberei u. a.: In: Vom Frühling bis zum Herbst (= Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. CD-ROM 2) Hrsg. v. Lucia Luidold und Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Redaktion: Melanie Lanterdinger. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 14) Salzburg 2003.
[5039] Vgl. Weiß, Alfred Stefan: Das Reichsfürstentum Salzburg in Reisebeschreibungen und Topographien aus der Zeit um 1800. In: Salzburg Archiv 26, S. 175–200. – Hoffmann, Robert: Mythos Salzburg. Bilder einer Stadt. Salzburg 2002, bes. S. 10–23.
[5040] Schultes, J. A.: Reise durch Salzburg und Berchtesgaden. I. und II. Theil (in einem Band). Wien: J. v. Degen 1804. Theil I, S. 251f. und Theil II, S. 231–240. – Zwischenüberschriften wurden in den Originaltext eingefügt.
[5041] Ueber die Richtigkeit dieser Bemerkung sehe man die statistischen Tabellen über die Bevölkerung einzelner Oerter und Gegenden Salzburgs in Herrn Ds Vierthaler vortrefflichen Int. Blättern nach, und man wird erstaunen über die Anomalien in der politischen Rechenkunst, die Salzburg allein darbiethet. – Im Original mit s bezeichnet
[5042] Die Censurfreyheit in Salzburg war z. B. bloß staatswirthschaftliche Speculation. Der Fürsterzbischof erlaubte seinen gelehrten Beamten zu schreiben, was sie wollten, damit sie sich Geld verdienen können, und er sie desto geringer besolden darf. – Im Original mit t bezeichnet.
[5043] ‚Sie hat eingebüßt!‘ ist die gewöhnliche Formel, mit welcher man vom Schneeberge bey Wien bis auf den Untersberg und wohl auch bis an den Arlberg im Hochgebirge ein Mädchen von Aeltern und Dienstherren entschuldigen hört, das vor der Hochzeit Mutter geworden ist. Hochzeiten, bey welchen 2–3 Kinder mit der Braut zum Altare gehen, sind in unseren österreichischen und steyrischen Hochgebirgen keine Seltenheiten. – Im Original mit u bezeichnet.
[5044] Die Erörterung dieser Frage, die unter die Verirrungen des menschlichen Geistes gehört, s. in Vierthalers Reisen S. 159. oder in P. Khröll’s Monotessari Tract. III. C. I. Quaest. VIII. p. 35. – Im Original mit x bezeichnet.
[5045] Diese Theses erhält Vierthaler, in Vierthalers Reisen S. 159. oder in P. Khröll’s Monotessari Tract. III. C. I. Quaest. VIII. p. 151. – Im Original mit y bezeichnet.
[5046] Bekanntlich ist dieser Vorläufer Röschlaubs in Salzburg in einer Capelle an der Kirche zu St. Sebastian begraben. – Im Original mit z bezeichnet.