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Armut in Salzburg (Josef P. Mautner)[20]

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Armut im Wohlstand

Wer von Armut im Bundesland Salzburg unter gegenwärtigen Verhältnissen spricht, bringt eine paradoxe Situation zur Sprache. Salzburg ist ein reiches Land in einem reichen Staat: Die Wertschöpfung der Salzburger Wirtschaft liegt 9,5 % über dem österreichischen und sogar 12 % über dem europäischen Durchschnitt[21]. Ist es in diesem Kontext sinnvoll, angesichts einzelner „Armutsbiografien“ von einer Armutssituation und von Armut erzeugenden Strukturen zu sprechen?

Armut im Wohlstand ist nicht zuletzt eine Frage von Definitionen. Immer noch wird unsere Alltagswahrnehmung von einer ressourcenorientierten Sichtweise von Armut geprägt: Armut als das (permanente und lebenslängliche) Fehlen grundlegender Lebensressourcen (wie Nahrung, Kleidung und Wohnen) sowie primärer Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, das Beherrschen der Hochsprache). In Gesprächen trifft man häufig auf diese Sichtweise, die sich in etwa folgendermaßen artikuliert: „Bei uns braucht niemand zu verhungern. Jeder, der arbeiten will, bekommt Arbeit.“ Da solche Formen absoluter Armut in Österreich nur noch als Ausnahmesituation vorkommen, produziert jene Wahrnehmungsform das Urteil: „In Salzburg gibt es keine Armen!“

Von der Armutsforschung wurden für Armutssituationen in Wohlstandsgesellschaften Definitionen entwickelt, die an Lebenslagen orientiert sind: Neben Besitz- und Einkommensfaktoren werden auch immaterielle Aspekte (z. B. soziale, ethnische, religiöse oder kulturelle Diskriminierung) sowie die politischen Ursachen berücksichtigt. Weiters kommt die Häufung von Armutsrisiken im ländlichen Raum oder in bestimmten Lebensphasen (wie im Alter oder in der Adoleszenz) zur Sprache.

Indikatoren der Armut

Nach der offiziellen, in der EU verwendeten Definition von Armut liegt „Armutsgefährdung“ („at-risk-of-poverty“) vor, wenn das Einkommen eines Haushalts die Schwelle von 60 % des Medianeinkommens unterschreitet.[22] „Akute Armut“ tritt dann auf, wenn zusätzlich zu dieser Gefährdung mindestens eine der folgenden Einschränkungen hinzukommt: Substandardwohnung, Zahlungsrückstände, Probleme beim Beheizen der Wohnung, Probleme, sich nötige Kleidung kaufen zu können oder einmal im Monat jemanden zum Essen einzuladen. Hier werden also fehlende Ressourcen als Indikatoren für akute Armut in bestimmten Lebenslagen herangezogen.

Auf der Grundlage dieser EU-weiten Definition lässt sich die Anzahl jener Personen errechnen, die in Salzburg unter der Schwelle der „Armutsgefährdung“ leben und somit von der Wohlstandsgesellschaft abgekoppelt sind. Der Armutsbericht 2002 des „Salzburger Netzwerkes gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ hat in einer qualitativen Beschreibung der Armutssituation in Salzburg festgehalten:

„Im Bundesland Salzburg leben aktuell ca. 55.000 Personen, das sind 11 % aller SalzburgerInnen, die im Monat (gewichtet nach Familiengröße, nach der Anzahl von Kindern und Mitversorgten) weniger als 10.000.- ATS [rund € 727] zur Verfügung haben. Ihr Einkommen liegt damit unter bzw. an der offiziell anerkannten Armutsschwelle. Bei etwa 21.000 SalzburgerInnen (das sind 40 % der Armutsgefährdeten oder etwa 4 % aller SalzburgerInnen) kommen zu diesem niedrigen Einkommen gravierende Belastungen und Einschränkungen wie Zahlungsrückstände, unzureichende Wohnverhältnisse etc. dazu. Bei ihnen müssen wir von akuter Armut sprechen.“[23]

Der soziale Kampf gegen die Armut

Eine gefährdete Einkommenssituation hat die Tendenz, zu akuter Armut fortzuschreiten. Aktuelle Armutslagen können sich leicht zu Langzeitarmut verfestigen. Deshalb ist es sinnvoll, sich Lebenssituationen, die Armut hervorrufen, genauer anzusehen, um aus ihnen Rückschlüsse auf die Ursachen und Konsequenzen für die Armutsbekämpfung ziehen zu können.

Für den beschreibenden Teil des Armutsberichtes 2002[24] https://www.salzburger-armutskonferenz.at/de/willlkommen wurden in einem breit angelegten „Salzburger Dialog gegen Armut“ zahlreiche Workshops und Gespräche mit MitarbeiterInnen von Sozialeinrichtungen in Stadt und Land geführt, die die Lebenssituationen der von Armut betroffenen Menschen in einer europäischen Wohlstandsregion möglichst genau beschreibbar machen sollten. Der Bericht hat auf dieser Grundlage das gesamte derzeit zu erfassende Spektrum an Faktoren, die für ein von Armut gefährdetes Leben in Salzburg eine Rolle spielen, erhoben und analysiert.

Als Fazit fordert der Armutsbericht eine Veränderung in fünf Bereichen; Sozialpolitik braucht: mehr Integration und soziale Teilhabe; mehr Berücksichtigung regionaler Besonderheiten; Prävention als Schwerpunkt sozialen Handelns; mehr KonsumentInnenschutz und KlientInnenvertretung und eine echte Demokratisierung sozialen Handelns. Als Konsequenz aus dem Bericht hat das Netzwerk die „Zweite Salzburger Armutskonferenz“ deshalb dem Thema „Partizipation“ gewidmet.

Zwölf mögliche „Wege in die Armut“:

  1. Die Schattenseite der Modernisierung (Mobilität und „Bildungsexplosion“)

  2. unterschiedliche Zugänge zu Erwerbsarbeit

  3. Arbeitslosigkeit – eine strukturell angelegte Armutsfalle

  4. Armut trotz Transferleistungen (Beispiel: Ausgleichszulage)

  5. unterschiedliche Zugänge zu Wohnraum

  6. Wohnungslosigkeit

  7. Behinderung – in hohem Maße armutsgefährdend

  8. Migration als „Weg in die Armut“

  9. Armut trotz Sozialhilfe

  10. Situation von Frauen: „Armutsursache Geschlecht“

  11. Kinderarmut

  12. Armut durch soziale Ausgrenzung (z.  . Leben nach der Haft)

„Kinderarmut“

Die vielen unterschiedlichen Ursachen von Armut im Wohlstand zeigen sich besonders deutlich beim Phänomen „Kinderarmut“. Von Armut betroffene Kinder kommen hauptsächlich entweder aus Mehrkindfamilien (Familien mit drei Kindern und mehr) oder aus AlleinerzieherInnenhaushalten.

Kinder wurden bisher in den Sozialstatistiken vor allem als armutsverursachende Faktoren wahrgenommen, weniger jedoch als Betroffene, deren Lebenschancen von der Armutslage ihrer Herkunftsfamilie wesentlich beeinträchtigt werden. Nach Ergebnissen der österreichischen Armutsforschung bilden Kinder und Jugendliche einen überdurchschnittlich hohen Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung. Ihr Anteil liegt im Durchschnitt bei 25 % und steigt in ländlichen Regionen sogar auf 33 %.

Diese Kinder erleben Armut nicht nur in ihrer aktuellen Situation. Sie sind auch in der Gefahr, die Armutsfaktoren ihrer Familie in ihrem weiteren Leben mit zu übernehmen (erhöhtes Krankheitsrisiko, keine angemessene Schul- und Berufsausbildung). Die Situation von arbeitslosen Jugendlichen im Bezirk Hallein wird in einem Videofilm, der von einer Gruppe Jugendlicher selbst erarbeitet und gedreht worden ist, klar und ungeschminkt dargestellt: „hier arbeitet k/ein mensch“.

Armut im Wohlstand – (k)eine Schande?

In den meisten Fällen nehmen armutsgefährdete Personen in Salzburg keinen Kontakt zu Sozialeinrichtungen oder offiziellen Institutionen wie dem Sozialamt auf. Die eigene Armutslage wird von den Betroffenen mit einer Mischung aus Scham – wegen der „Schande“ sozialer Hilfsbedürftigkeit – und Angst vor den Folgen dieser Hilfsbedürftigkeit betrachtet und führt zu Schwellenangst. Dass diese Betrachtungsweise aus der Perspektive armutsgefährdeter Menschen keineswegs unrealistisch ist, zeigt die Beobachtung, dass Armut auch und gerade in Wohlstandsregionen mit dem Stigma von persönlicher Unzulänglichkeit und Unehrenhaftigkeit versehen wird. In jenem Zusammenspiel von subjektiver Scham und gesellschaftlicher Ächtung lässt sich darüber hinaus ein deutliches Stadt-Land-Gefälle ausmachen.

Um diese hohen Schwellen abzubauen, bedarf es einer Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen, die auf allen Ebenen des sozialen Netzes ansetzen. Neben der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung, die subjektive Scham abzubauen hilft, braucht es niedrigschwellige Kontaktangebote der Sozialeinrichtungen – wie etwa begleitende telefonische Beratung oder persönliche, nicht stigmatisierende Kontaktmöglichkeiten (z. B. durch Erwachsenenbildungsangebote oder Flohmärkte) – und nicht spezialisierte, regionale Anlaufstellen nach dem „One-desk-Prinzip“ (regionale Sozialzentren, die eine fachübergreifende Beratung bieten und Antragstellung ermöglichen). Diese Umorientierung von Sozialeinrichtungen bleibt jedoch wirkungslos, wenn sie nicht von einer Umorientierung in der Sozialpolitik begleitet wird, die die soziale Infrastruktur im Bundesland Salzburg auf mehreren Ebenen umgestaltet.



[20] Kurzfassung von Josef P. Mautner und Melanie Lanterdinger

[21] Anm. der Redaktion: Stand 2004.

[22] Diese von der EU definierte Armutsschwelle lag in Österreich im Jahr 1997 zum Beispiel in einem Vier-Personen-Haushalt (2 Erwachsene, 2 Kinder) bei 21.000.- ATS monatlich (rund € 1520).

[23] [Armutsbericht 2002] S. 18. – Der Salzburger Armutsbericht 2002 ist sowohl in einer Kurzfassung wie in der vollständigen Textversion als Download auf der Homepage www.salzburger-armutskonferenz.at verfügbar.

[24] Der Salzburger Armutsbericht 2002 ist sowohl in einer Kurzfassung wie in der vollständigen Textversion als Download auf der Homepage www.salzburger-armutskonferenz.at verfügbar.

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