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In der abendländischen Kultur stellte die Ehe die einzige gesellschaftlich akzeptierte Form einer dauerhaften Individual-Beziehung dar. Erst die Moderne brachte es mit sich, dass verstärkt auch Alternativen gesellschaftlich akzeptiert wurden. Die Ehe hat einen wichtigen Stellenwert als rechtliche, materielle und emotionelle Absicherung. Dass dies insbesondere bei dem Wunsch nach Kindern auch heute noch zutrifft, zeigen statistische Untersuchungen.
Als Hochzeit gilt in den meisten Kulturen ein brauchmäßig reich ausgestattetes Ereignis, das in diesen Status der Ehe überleitet. Die Partnerschaft bzw. die Ehe erweist sich nicht nur in aktueller kulturvergleichender Perspektive, sondern auch aus historischer Sicht häufiger als eine vertragliche Beziehung zwischen Gruppen als eine bloße Beziehung zwischen Individuen. Heiraten – von der Partnerwahl bis zur Hochzeit – war in diesem Sinne nicht vordringlich eine Angelegenheit zwischen Braut und Bräutigam, sondern eine Verbindung von zwei Familien mit starken dynastischen und ökonomischen Interessen, vergegenwärtigt man sich beispielsweise Heiratszahlungen wie Brautpreis oder Mitgift.
Hochzeitsbräuche sind auf dem historischen Hintergrund der Entwicklung zu sehen, die von der Eheschließung als einer sippenrechtlichen Angelegenheit, zur kirchlichen Kopulation (eheliche Verbindung), zum Ehesakrament und schließlich zur standesamtlichen Trauung geführt hat.
Betrachtet man gegenwärtige Verhältnisse in Mitteleuropa, so haben sich hinsichtlich der Beziehungsrituale gravierende Veränderungen ergeben: Heiraten nimmt einen ganz anderen Stellenwert ein als noch beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als es für mindestens einen der Partner einen Wechsel der Wohnstätte bedeutete und mit der Gründung eines Hausstandes verbunden war, in der die Objekte der Aussteuer nicht nur symbolische Bedeutung hatten und zum Glücklichwerden auch der Segen der Altvorderen gehörte.
Modernes Heiraten ist vor allem Zeichen gefühlsmäßiger Bindungen: Das Ideal der romantischen Liebe prägt seit dem 19. Jahrhundert die Vorstellungen der Paarbildung. Die Liebesheirat löste für breite Schichten die vorwiegend auf Nutzen orientierte Verpflichtung der Partner ab.
Die Eheschließung ist für viele eine individuelle und persönliche Entscheidung nach freiem Ermessen und nicht unbedingt Erfordernis. Viele Paare leben schon vor der Hochzeit zusammen oder bleiben unverheiratet. Die Ehe hat ihren Versorgungscharakter verloren und bedeutet für Frauen nicht mehr die unbedingte materielle Abhängigkeit, da die Erwerbstätigkeit der Frau – zumindest bis zur Geburt von Kindern – gesellschaftlich den Normalfall darstellt; und schließlich hat die Ehe selbst – glaubt man den Scheidungsstatistiken – für mehr als ein Drittel der Verheirateten nur einen vorübergehenden Status.
Das moderne Heiratsverhalten spiegelt eine vordergründig paradoxe (widersinnige) Situation: die Hochzeit gehört zu denjenigen Übergängen im Lebenslauf, die viel von ihrer realen Bedeutung verloren haben. Umso mehr verwundert es, dass keineswegs von einer Reduzierung der die Hochzeit begleitenden Rituale die Rede sein kann, wie dies noch in den 1970er-Jahren – im Zeichen des Antiritualismus – zu beobachten war. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Man heiratet wieder im großen Stil, und Heiraten wird erneut zum Ausdruck von sozialem Prestige. Fragen der Authentizität und Inszenierung der einzelnen Versatzstücke – ich verweise auf das Vorbildphänomen der „Traumhochzeiten“[65] – gewinnen zunehmend an Bedeutung, allerdings sind diese kaum mehr gesamtgesellschaftlich verbindlich, sondern eher im Kontext des jeweiligen Lebensstils zu verstehen.
Bei den modernen Hochzeiten ist zunehmend eine perfektionierte Organisation zu beobachten, bei der nichts dem Zufall überlassen wird. Der enorme Aufwand rund um die Hochzeitsrituale scheint der sinkenden Bedeutung dieses Statuswechsels nicht mehr zu entsprechen. Auch angesichts der hohen Scheidungszahlen von bis zu fast 50 Prozent erhebt sich die Frage, warum dennoch die Durchführung von märchenhaften „Traumhochzeiten“ zunimmt. Neue Bedeutungen könnten beispielsweise in der Inszenierung von Visionen der Harmonie zwischen den Geschlechtern liegen.
Hochzeitsreisen dürften in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Mode gekommen sein. Dort war es in bürgerlichen und adeligen Kreisen üblich geworden, dass ein frisch gebackenes Ehepaar den ersten Monat, den „honeymoon“, nach der Hochzeit zurückgezogen auf dem Lande verbrachte. Daran konnte später auch noch eine Hochzeitsreise ins Ausland folgen, wobei der Mittelmeerraum, allen voran Italien, die größte Anziehungskraft besaß.
In den Flitterwochen zu verreisen, kam im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in Mitteleuropa in Mode. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert büßte die Hochzeitsreise in großbürgerlichen Kreisen soziales Prestige ein, dafür gewann sie – quantitativ gesehen – zunehmend an Bedeutung und auch die Reisebüros boten diesbezügliche Arrangements an. Propagiert wurde die Hochzeitsreise als einschneidendes Ereignis in den Lebensgeschichten der Vermählten, die ein Leben lang als innig geteilte Erfahrungen in beider Gedächtnis bleiben solle. Als Vorteil galt, dass die Intimität unter vier Augen garantiert war, die durch familiäre und gesellschaftliche Verpflichtungen gestört wurde, wenn man zu Hause blieb.
Die Hochzeitsreise gehört auch heute quasi als Abschluss zu den Feierlichkeiten. Die Autoren von Hochzeitsratgebern und -planern geben dafür zahlreiche Tipps. Auch Reiseveranstalter bieten unterschiedlichste Arrangements für Hochzeitsreisen an, wozu auch die Eheschließung an besonders geeigneten Orten oder die Durchführung exotischer Rituale gehören kann.
Zahlreiche Hochzeitsrituale standen in Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Braut und Bräutigam aus der Gemeinschaft der Unverheirateten, das unter bestimmten, als verbindlich geltenden Zeremonien vor sich ging. Wer sich nicht fügte, musste mit Strafmaßnahmen (Rüge) rechnen. In ältere Kontexte der Übergangsbräuche dürften auch das „Brautstehlen“, das „Hemmen“ (Aufhalten) des Hochzeitszuges oder das Auftreten der „falschen Braut“ gehören.
Vorehelicher Geschlechtsverkehr während des Brautstandes galt zwar nicht als verwerflich, doch musste eine Eheschließung folgen. Dies erinnert daran, dass die Verlobung im Spätmittelalter noch den eigentlichen Rechtsakt der Eheschließung darstellte. Allerdings verlagerten Kirche und Obrigkeit den eigentlichen Statuswechsel zunehmend auf die Hochzeit und drängten zum jungfräulichen Gang vor den Traualtar; die Hochzeit bedeutete den eigentlichen Statuswechsel. So wurden schwangere Bräute beispielsweise gezwungen, anstelle eines grünen Brautkranzes oder einer Brautkrone die Alternative aus Stroh zu tragen.
Bei der Hochzeitsfeier selbst waren Rituale der Aufnahme des jungen Paares in den Kreis der Verheirateten und die Dorfgemeinschaft von Bedeutung: Ehrentänze und Wettspiele gelten dabei als Einführungsbräuche, die ihre frühere Verbindlichkeit für die Hochzeit als Rechtsgeschäft verloren haben.
Das gegenseitige Anstecken der Eheringe hat sich zu einer der bedeutendsten symbolischen Handlungen bei der Hochzeit entwickelt. Auch ist der am Finger getragene Ring heute einziges sichtbares Zeichen des Verheiratetseins. Im historischen Vergleich dazu war an Kleidung oder Kopfbedeckung (zum Beispiel der Haube) der Statuswechsel zu erkennen.
Die Funktion und Bedeutung des Eheringes wird vor dem Hintergrund ganz allgemein abendländlicher historischen Vorstellungen deutlich, die durch Ringe symbolisiert wurden. Das Tragen eines Ringes bedeutete vor allem Bindung im religiösen, magischen und sozialen Kontext.
Die Übergabe des Trauringes als Treuering an die Braut steht in römischer Tradition und wurde im Mittelalter vor allem durch die Kirche gefördert, die dies in die kirchliche Trauungszeremonie eingliederte. Im Kontext der Einführung der Konsenserklärung (Einwilligung) der beiden Brautleute hat sich unter kirchlichem Einfluss die gegenseitige Ringübergabe durchgesetzt.
Die Übergabe des Ringes als Eheversprechen löste ältere Formen wie Handgeld ab. Seit wann die Ringgabe üblich ist, ist quellenmäßig schwer zu erfassen. In städtischen Verhältnissen wird die Übergabe eines Rings im 16. Jahrhundert fassbar, während sie in ländlichen Verhältnissen bis ins 19. Jahrhundert nur vereinzelt üblich war.
Die kulturelle Ordnung feststehender Rituale, die bis ins frühe 20. Jahrhundert den biografischen Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen kennzeichnete, hat ihre Verbindlichkeit zunehmend verloren. Bis dahin waren informelle Begegnungen zwischen Mädchen und jungen Burschen keine Selbstverständlichkeit.
Im bürgerlichen wie bäuerlichen Bereich waren die Mädchen an den nicht-öffentlichen Raum des Hauses bzw. Hofes gebunden, während die jungen unverheirateten Männer als Gruppe (z. B. „Junggesellen“) durchaus im öffentlichen Leben präsent waren. Eine wichtige Begegnungsstätte, die ein näheres Kennenlernen erlaubte, waren die so genannten Spinn- oder Lichtstuben. Dort trafen sich die jungen unverheirateten Frauen aus der Nachbarschaft unter Aufsicht zu Handarbeiten (evtl. für die Aussteuer) und Gesprächen. Diese Treffen waren auch Ziel der männlichen Jugend, wobei es bei Spiel und Tanz zu ersten Annäherungsversuchen im öffentlich begrenzten Raum kommen konnte. Eine andere mögliche Form der Brautwerbung, die bis ins 18. Jahrhundert Relevanz besaß, wird als „Nachtfreien“ (Fensterln) bezeichnet, wobei in verschiedenen genau festgelegten rituellen Schritten eine Annäherung zwischen Mädchen und jungem Mann erfolgen konnte.
Rituelles, oft nonverbales Annäherungsverhalten, dessen Botschaft in der Bezugsgruppe auch verstanden wird, ist auch heute noch – aller Individualisierungstendenzen zum Trotz – bei der Überwindung von Unsicherheiten hilfreich.
Zu den aufwendigen modernen Hochzeitsvorbereitungen gehört bereits die Suche nach einer passenden Ausstattung für Braut und Bräutigam als quasi rituelle Handlung.
Das weiße Brautkleid wurde zum bedeutenden Requisit der modernen Trauung und entbehrt nicht vielfältiger Symbolik. Die Geschichte des weißen Brautkleides ist, wie wir es von zahlreichen anderen kulturellen Phänomenen kennen, eine Geschichte der modischen Übernahme. Im 17. Jahrhundert finden sich erste Hinweise für helle Farben bei der weiblichen Hochzeitskleidung – und zwar bei höfischen Trauungszeremonien als Zeichen der Abgrenzung. Damit setzte sich der Hochadel von den vormals in vornehmen Kreisen üblichen dunklen Farben (schwarz und rot) ab. Die weitere Entwicklung zeigt, dass vorerst weißer Spitzenbesatz oder weiße Schleier im städtischen Bereich en vogue waren und dann erst im 19. Jahrhundert das Tragen eines weißen Brautkleides üblich wurde. In bäuerlichen Milieus, bei Arbeitern und Kleinbürgern war das schwarze Hochzeitskleid, das nach der Hochzeit als Festtagskleid weiterhin Verwendung fand, noch bis ins 20. Jahrhundert üblich.
Mit der Brautmode wurde gleichzeitig auch die Symbolik übernommen und sogar überhöht: Das weiße Hochzeitskleid wurde besonders in der ländlichen Lebenswelt zum Zeichen der Jungfräulichkeit der Braut, wie sie insbesondere die Kirche und Obrigkeit forderte.
[65] Vgl. beispielsweise die TV-Sendung „Traumhochzeit“, die mit mehr als 10 Millionen Zuschauern in Deutschland die höchste Einschaltquote im Jahre 1992 erreichte.