Einem Toten die letzte Ehre zu erweisen, ihn würdig zu bestatten, gehört nicht nur zu den Pflichten der Christen. Das Christentum aber erklärte die Sorge um die Verstorbenen zu einem Werk der Barmherzigkeit und damit zur Aufgabe der ganzen Gemeinde. Innerhalb einer kleinen, räumlich begrenzten Gemeinschaft genügte es lange Zeit hindurch, die Nachricht vom Tod eines Angehörigen und die Zeit seiner Bestattung mündlich durch Boten ausrichten zu lassen. In manchen Dörfern geht noch jetzt die „Leichenfrau“, der „Leichlader“ oder „Leichenbitter“ von Haus zu Haus, um die Leute zur Totenwache, zur Seelenmesse und zum Begräbnis einzuladen. Vornehme Familien schickten früher ihre Diener mit der Verkündigung der Trauerbotschaft aus. Der Tod von Kaisern, Königen und Landesherren wurde von den Kanzeln herab verlesen und öffentlich verlautbart, damit sich alle Untertanen an die vorgeschriebene Trauerzeit mit dem Verbot von Theateraufführungen, Tanzveranstaltungen und anderen Lustbarkeiten hielten.
Das folgende Beispiel einer solchen Verlautbarung betrifft den Tod des Kaisers Franz I:
„Anzuzeigen: Nachdem es Gott dem Allmächtigen, nach seinem unermeßlichen Willen gefällig gewesen, den allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten und unüberwindlichsten römischen Kaiser, Herrn, Herrn Franz den Ersten, in Germanien und zu Jerusalem König, Herzog zu Lothringen und Baar, Großherzog zu Toscana und Mitregenten etc. den 18ten dieses zu Innspruck Nachts zwischen 9 und 10 Uhr durch einen jähen Schlagfluß, nachdem Allerhöchstdieselbe Tags vorher Ihre Andacht verrichtet haben, aus diesem zeitlichen Leben, wie nicht zu zweifeln, in die ewige Freude und Seligkeit abzuberufen, und nun es an dem ist, daß nach allerhöchster Disposition der Leichnam Sr. Höchstseligen Majestät am 28ten dieses in Wien zu Waßer ankommen, und incognito Abends nach der Burg transferiret, den 29sten, 30sten und 31sten alldort exponiret, und folglich diesen Tag zur Erde bestattet, sodann aber den 2ten, 3ten und 4ten November* in der Hofkirche bei den P.P. Augustinis discalc. die gewöhnlichen Exequien mit vorhergehender Virgil [!] christlichem katholischen Gebrauche nach gehalten werden soll. Wien, den 22. Aug. 1765.“ [* Soll wohl heißen September][68]
In klösterlichen Gemeinschaften war es vom frühen Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert üblich, die Namen der Verstorbenen auf einer so genannten Totenrotel[69] zu vermerken und einen Boten damit zu den verbrüderten Klöstern zu schicken. Die Rotel bestand aus einem langen Pergamentstreifen, der um einen Stab gerollt und von einer Lederhülle geschützt war. Mit Beginn der Barockzeit wurde die Nachricht vom Tod geistlicher Personen auch auf beschriebenen oder bedruckten Einzelblättern – den Trauer- oder Rotelbriefen – verbreitet. Der Tod von Herrschern war schon seit dem Ableben Kaiser Friedrichs III. im Jahr 1493 in gedruckten Todesanzeigen bekanntgegeben worden. In adeligen Kreisen entstand im 17. Jahrhundert die Sitte, den ausgesandten Trauerboten eine ebenfalls gedruckte Todesanzeige mitzugeben. Diese frühen querformatigen Zettel waren oft kleiner als eine heutige Postkarte und bis auf einen Trauerrand oder eine dünne Zierleiste schmucklos. Der Text gab die Namen der Hinterbliebenen, den Namen des Toten, seine Sterbestunde sowie Ort und Zeit der Begräbniszeremonien an. Als Beispiel sei eine Traueranzeige aus dem Jahr 1762 zitiert:
„Mathias von Geitinger, Ihro Röm. Kaiserl. Königl. Apostol. Majestät wirklicher Hofrath, und Hofkriegsräthl. Refer. giebt Parte, von dem den 12ten Martii 1762. Frühe um halber 8. Uhr erfolgten Todesfall seiner geliebtesten Frauen Gemahlinn Carolina, gebohrnen von Pindershoffen; die Begräbniß wird seyn den 14ten dieses Abends um 7. Uhr in der Metropolitankirchen zu St. Stephan, die Exequien aber werden den 15ten von 10. bis 12. Uhr allda gehalten.“
Vom französischen Ausdruck „faire part“ („anzeigen“) leitet sich der bei uns gebräuchliche Name der gedruckten Todesanzeige als Partezettel oder Trauer-Parte ab. Format und Gestaltung dieser Nachrichten änderten sich hierzulande erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Damals übernahm das Bürgertum vom Adel und der hohen Geistlichkeit die Sitte, Trauerparten anfertigen zu lassen. Die Zettel wurden etwas größer, ihre Texte waren gelegentlich mit Zierleisten und Vignetten versehen, manchmal wurden auch Schreibschriftlettern verwendet. Die Druckereien hielten Musterbücher mit Vorlagen bereit. Für das Anfertigen und Verteilen der Parten reichte die Zeit bis zum Begräbnis aus, weil seit dem Jahr 1753[70] im ganzen Habsburgischen Reich die Frist zwischen der Todesstunde eines Menschen und seiner Beerdigung aus Angst vor einem möglichen Scheintod mindestens achtundvierzig Stunden betragen musste; nur Personen, die an einer ansteckenden Krankheit verstorben waren, wurden rascher begraben.
Der Bedarf an schriftlichen Anzeigen entstand nach den Reformen der Aufklärung durch Veränderungen innerhalb der Gesellschaft: Waren bis ins späte 18. Jahrhundert Angehörige aller Stände in religiösen Bruderschaften[71] organisiert gewesen und damit verpflichtet, ihre verstorbenen Brüder und Schwestern feierlich zu Grabe zu geleiten, so fiel diese Pflicht mit der Aufhebung der meisten dieser Organisationen weg. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden zwar einige Bruderschaften wiederbelebt, zudem entstanden ähnliche religiöse Vereinigungen, doch fehlte in den neuen Statuten die Verpflichtung zur Teilnahme an den Begräbnissen von Mitgliedern. Damit war ein ehrenvolles Totengeleit nicht mehr gesichert und musste neu formiert werden.
Man hängte die Trauerparten überall dort aus, wo viele Leute vorübergingen: am Tor des Sterbehauses, an der Kirchenmauer, in Geschäften und Wirtshäusern. In Städten, die über mehrere Kirchen und Friedhöfe verfügten, wurde auf den Partezetteln die genaue Lage der Grabstätte, sowie Ort und Zeit der Seelenmessen vermerkt. Die notwendigen sachlichen Angaben wurden im Lauf des 19. Jahrhunderts oft mit wortreichen Äußerungen des Schmerzes über den erlittenen Verlust verbunden; auch scheuten Hinterbliebene von Geschäftsleuten nicht vor der Versicherung zurück, die p. t. Kunden auch weiterhin gut bedienen zu wollen.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erreichten die Partezettel bei uns die etwa vierfache Größe einer Postkarte. Als Trauerfarbe wurde nach altem Herkommen Schwarz für Erwachsene, Blau für Kinder und Jugendliche gewählt. Neu waren die oft seidig glänzenden breiten Trauerränder; besonders elegante Todesanzeigen wiesen sogar breite Spitzenränder auf. Noch immer war die Gliederung des Textes dem beliebten Querformat angepasst. Die meisten Todesanzeigen behielten dieses Aussehen bis nach dem Zweiten Weltkrieg bei, obwohl in der vornehmen Gesellschaft bereits vor der Jahrhundertwende hochformatige Trauerparten zirkulierten. Vereine verwendeten ihre eigenen Formulare für die Todesanzeigen von Mitgliedern. Für mittellose Verstorbene verwendete man einfache Vordrucke, in die man die Daten handschriftlich einsetzte. Wollte man die Trauerparten mit der Post versenden – weswegen allgemein stärkeres Papier verwendet wurde –, so faltete man die Blätter zweimal in die Hälfte, schrieb die Adresse auf die weiße Rückseite und klebte eine Briefmarke daneben.
Als man in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu überging, die verschiedenen Anlässe im Jahreslauf mit kuvertierten Billetts statt mit offenen Karten zu bedenken, wurden auch die Todesanzeigen in einen Briefumschlag gesteckt und zum günstigen Drucksachenporto verschickt. Bisweilen sind die Kuverts zum Zeichen der Trauer schwarz gefüttert und außen – wie die Parte selbst – mit einem schmalen Trauerrand versehen. Das Papier für diese neuen Anzeigen ist wieder dünner, man druckt den Text meistens im Hochformat auf einfache Blätter oder auf die Vorderseite von Doppelblättern. Oft fügt man nun ein Foto des Verstorbenen ein. Die Parten präsentieren sich umso neutraler, je stärker unsere Wohlstands- und Spaßgesellschaft alle Gedanken an Sterben und Tod verdrängt: der Trauerrand fehlt, der Text ist unaufdringlich in einem mageren, oft grauen Schriftgrad gedruckt, der Bilderschmuck färbig. Neuerdings wählen manche trauernde Angehörige sogar einen bunten Untergrund für die Todesnachricht aus. Für Verstorbene mit einem großen Bekanntenkreis werden Todesanzeigen – manchmal in unterschiedlichen Textfassungen – auch in den Tageszeitungen veröffentlicht.
Im Gegensatz zur Trauerparte, die über den Tod und die Bestattung eines Menschen informiert, dienen Sterbebilder der frommen Erinnerung. Meistens werden sie beim Begräbnis oder nach der Seelenmesse an die Trauergäste verteilt, manchmal auch den Danksagungskarten beigelegt. Sie zeigen auf der Vorderseite gewöhnlich ein religiöses Motiv und beginnen den Gedenktext auf der Rückseite häufig mit der Überschrift: „Gebetsandenken an ...“. Ältere Einleitungsformeln lauten: „Zur christlichen Erinnerung an ...“, „Gedenket im Gebete der/des ...“, „Zum frommen Andenken an ...“, „Betet für die Seele der/des ...“. Die Größe der Sterbebilder passte sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder dem Format der üblichen Gebetbücher an, um die frommen Andenken darin aufbewahren zu können. Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts erreichten manche Sterbebilder die Ausmaße von 12 x 20 cm, etwa zwei Generationen später bevorzugte man schmale, kleine Blättchen, die auch noch in die winzigen Gebetbücher vornehmer Damen passten. Das heute gebräuchliche Format beträgt bei einfachen Blättchen etwa 7 x 11 cm, bei Doppelbildern etwa 14 x 11 cm.
Der Gebrauch von Sterbebildern ist aus katholischen Kreisen erwachsen, heutzutage aber nicht nur unter Katholiken verbreitet. So verwenden zum Beispiel auch die Zeugen Jehovas oder die Neuapostolischen Christen diese Art der kleinen Totengedenkblätter. Ihr eigentlicher Zweck besteht jedoch in der Aufforderung, für das Seelenheil eines Toten zu beten, und dieses Anliegen geht auf die alte kirchliche Lehre vom Fegefeuer zurück, der zufolge die Lebenden allen Verstorbenen, die noch mit zeitlichen Sündenstrafen belastet sind, den Aufenthalt im Purgatorium verkürzen können. Als Mittel dazu eignen sich gute Werke, Almosen, Messopfer und Gebete die man den Armen Seelen schenkt. Ältere Sterbebilder mahnen immer wieder in Wort und Bild an diese Hilfe: „Dies Bild soll eine stille Bitte sein, schließt liebend mich in eure Andacht ein.“
Die ältesten Sterbebilder sind aus Antwerpen bekannt, wo sie schon im 17. Jahrhundert nachzuweisen sind, und zwar zunächst in religiösen Frauengemeinschaften. Die Stadt Antwerpen war damals das Zentrum für die massenhafte Produktion kleiner Andachtsbilder (meistens Kupferstiche), die in alle Länder katholischer Konfession exportiert wurden. Fromme Gläubige beschrieben die Rückseite solch einfacher Blättchen mit der Bitte, für die Seele eines namentlich genannten Verstorbenen zu beten. Ab der Barockzeit mit ihrem neu aufblühenden Armenseelenkult verbreitete sich der Gebrauch von Sterbebildern von den Niederlanden aus in die Nachbarländer; im süddeutsch-österreichischen Raum wurden diese kleinen Gedenkbilder zu Ende des 18. Jahrhunderts bekannt.
Noch bestand kaum eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen den religiösen Bildern der Vorderseite und dem Totengedenken auf der Rückseite. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte nämlich jedes beliebige kleine Heiligenbild als Sterbebild verwendet werden, bisweilen wurde jedoch der handschriftliche oder gedruckte Gedenktext – ähnlich den Parten – mit Symbolen von Tod und Vergänglichkeit verziert. Manchmal war die ganze Textseite wie ein Grabstein gestaltet, manchmal galt auch das Gedenken gleich mehreren Verstorbenen – meist Ehepaaren oder nahen Familienangehörigen –, die auf dem „papierenen Epitaph“[72] wie in einem Familiengrab vereint waren. Diese Art der Gestaltung weist auf Veränderungen im Bestattungswesen hin, die vor allem die Stadtbewohner betrafen. Als Folge der Aufklärung führten nämlich Reformen im Gesundheitswesen zu einem Verbot der bis dahin üblichen Bestattung toter Personen in den Kirchen und engen Kirchhöfen. Die Toten sollten ihre letzte Ruhe fortan in parkähnlichen Friedhöfen an den Stadtränder finden. Diese neuen Gräber konnten jedoch beim gewohnten Kirchgang nicht mehr besucht werden, und deswegen sollten nun die Sterbebilder an die Toten erinnern und immer wieder zum Gebet für sie mahnen.
Die wachsende Popularität der kleinen „christlichen Andenken“ veranlasste ab 1850 die Kunstanstalten zur Produktion[73] einer eigenen Gattung von Sterbebildern, die für die folgenden hundert Jahre bestimmend blieben: Die Bilder im schwarzen oder blauen Trauerrand sind entweder schwarz-weiß oder in meist düsteren Farben gehalten. Die häufigsten Bildmotive beziehen sich auf das Leiden und Sterben, auf Tod und Begräbnis, auf das Schicksal der Seele im Fegefeuer und auf ein Fortleben in der ersehnten himmlischen Herrlichkeit. Aus den alten Memento-mori-Bildern wurden Symbole der Vergänglichkeit übernommen: zum Beispiel das abgebrochene Schilfrohr, die geknickte Lilie, die geborstene Säule, die gesenkte Fackel in der Hand des Todesengels, Totenkopf und Totengebein. Da Jesus in seinem Leiden und Sterben Vorbild und Hoffnung aller Christen ist, zeigen unzählige Sterbebilder die Stationen seiner Passion, den Tod am Kreuz, aber auch seine Auferstehung. Trauernde Angehörige schöpfen aus diesen frommen Bildern Trost über den erlittenen Verlust. Am Grab fühlt man sich dem Toten besonders verbunden, denn es wird als ein Ort der Ruhe und Andacht vorgestellt.
Viele Sterbebilder aus der Zeit von 1850 bis 1950 beschäftigen sich mit dem Schicksal der Seele nach dem Tod. Als die wichtigsten himmlischen Helfer auf dem Weg zur ewigen Seligkeit sind außer Jesus Christus immer wieder die Engel, die Muttergottes und der heilige Joseph zu sehen.
Joseph von Nazareth wird seit der Barockzeit als Sterbepatron angerufen, weil er der Überlieferung nach friedlich im Beisein von Jesus und Maria entschlafen ist. Viele Gläubige baten ihn daher um einen guten, das heißt, wohl vorbereiteten Tod. Die heilige Maria wird seit dem Mittelalter als die Mutter aller Armen Seelen verehrt, sie ist die große Fürsprecherin und Vermittlerin bei Gott. In jedem „Ave Maria“ beten die Katholiken: „Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unsres Todes. Amen.“ Engel holen die Seelen in den Himmel hinauf. Den gefühlsbetonten Vorstellungen des 19. Jahrhunderts entsprechend, tritt die mächtige Gestalt des Erzengels Michael als Seelengeleiter hinter den sanfteren Schutzengeln zurück.
Als die Sterbebilder mit dem Ersten Weltkrieg um den Themenkreis des Heldentodes auf dem Schlachtfeld erweitert wurden, stehen Engel mit Palmzweigen neben den gefallenen Soldaten, über denen sich bereits der Himmel öffnet. Auch Jesus und Maria steigen vom Himmel herab, um die sterbenden Krieger direkt in die ewige Seligkeit aufzunehmen. Die meisten Sterbebilder aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen dagegen anstatt der religiösen Motive rein kriegerische Symbole.
Auf der Gedenkseite wurde die Erinnerung an die Person des Verstorbenen bald ebenso wichtig wie die Bitte um das Gebet für seine Seele, der die aufgedruckten Ablassgebete dienten. Man erweiterte den Text mit genauen Angaben über den Toten, zeigte ihn nach Möglichkeit auf einem Bild aus seinen letzten Lebensjahren und ehrte ihn in Nachrufen und Abschiedsgedichten. Um 1900 reichten einfache Blättchen für die Fülle des Textes kaum mehr aus, sodass gefaltete Doppelblätter in Gebrauch kamen. Waren sie zuerst fast nur prominenten Verstorbenen gewidmet, so verbreiteten sie sich – ausgehend von den Sterbebildern für Soldaten – nach dem Ersten Weltkrieg in allen Gesellschaftsschichten. Mittlerweile wurden nämlich Sterbebilder für Angehörige aller Stände, Altersgruppen und Berufe angefertigt. Sie sind oft das einzige Denkmal, das an einen bestimmten Verstorbenen erinnert. Ihre Bilder und Texte sind darüber hinaus auch von kulturgeschichtlicher Bedeutung.
Mindestens fünf Generationen hindurch war es üblich, auf Sterbebildern den sachlichen Informationen über den Toten gefühlvolle Gedichte als Ausdruck des Schmerzes, der Liebe und Dankbarkeit anzuschließen. Außer den Trauerversen, die für einen bestimmten Verstorbenen verfasst wurden, kannte man durch mündliche Überlieferung eine Fülle von Gedichten, die bei Bedarf verändert wurden: Man fügte Verse hinzu oder ließ sie weg und kombinierte aktuelle Strophen mit allgemein bekannten. Da diese volkstümliche Lyrik fast immer aus Reimpaaren oder Vierzeilern (Reimschema abab, abba) besteht und da ein Gedanke selten über ein Zeilenpaar hinausreicht, ist es nicht schwer, einzelne Teile wie Bausteine zu neuen Gedichten zusammen zu setzen und sie mit eigenen Reimen zu erweitern.
„Gute Nacht und sanfte Ruh’ / Sei, liebster Vater, dir beschieden; / Schließ’ getrost die Augen zu, / Schlafe nun in Gottes Frieden, / Dessen Auge für uns wacht. / Gute Nacht!“
„Was die Mutter uns gewesen, / Kann man nicht am Grabstein lesen, / Eingegraben wie in Erz / Ist es in der Kinder Herz. / Doch der Schöpfer aller Welten / Wird es ewig ihr vergelten.“
„Wenn im schönen Himmelgarten / Oben eine Blume fehlt, / Schwebt ein Engel leise nieder, / Pflückt die Blum’ auf dieser Welt, / Trägt sie in die Himmelsräume, / Wo ein ewiger Frühling blüht, / Daß sie dort in Gottes Nähe / Ewig duftet, ewig blüht.“
„Du bist jetzt reife Gabe, / Der Schnitter holt dich ein. / Nun darfst du – froh vollendet – / In Gottes Scheune sein.“
Bis in die 1960er-Jahre blieben die Sterbebilder düster, wenn auch nicht auf die üblichen Trauerfarben beschränkt. Allmählich verschwanden die schwarzen Ränder und mit ihnen die Todessymbole, weil ja auch die Gesellschaft alle Gedanken an den Tod von sich wies. Katholische Theologen drängten nach dem II. Vatikanischen Konzil den Armenseelenkult zurück, wodurch die zahlreichen Ablassgebete für die Seele des Verstorbenen wegfielen. Da die Nachfrage nach religiösen Gedenkbildern jeglicher Art allgemein zurückging, beschränkten die Kunstanstalten ihr Angebot und brachten hauptsächlich Bildchen mit Reproduktionen sakraler Kunstwerke auf den Markt, die für viele Anlässe verwendet werden können. Mit den modernen Drucktechniken ist es zwar möglich, Sterbebilder ganz individuell zu gestalten, doch nehmen nur wenige Angehörige diese Möglichkeit wahr. Der Text der kleinen Andenken ist – ähnlich wie auf den Trauerparten – heute karger als früher gehalten, dafür erinnert oft ein Farbfoto an den Verstorbenen.
In großen Städten wie Wien oder München ist die Verwendung von Sterbebildern schon seit längerer Zeit zurückgegangen. In kleineren Städten, vor allem aber in ländlichen Gemeinden, haben diese Totenandenken ihre Bedeutung bis heute bewahrt. Vielerorts sieht man in den Kirchen Bildtafeln hängen, in denen die Sterbebilder aller in den Weltkriegen gefallenen Soldaten einer Gemeinde vereint sind, auch ist es üblich, die kleinen „frommen Erinnerungen“ an die Verstorbenen des laufenden Jahres auf einer Wandtafel auszuhängen.
[68] [Herrmann 1888] S. 14f.
[69] [Keplinger 1962], S. 77ff.
[70] [Knispel 1997], S. 18
[71] [Loimer-Rumerstorfer 2002], S. 117–129.
[72] [Metken 1984], S. 346ff.
[73] [Loimer-Rumerstofer 1985] S. 133–160. [Loimer-Rumerstofer 1990] S. 225–43.