Klicken Sie bitte HIER, um zur Langtext-Version dieses Beitrags zu gelangen.
Frauen, die reisen, sind erst im 20. Jahrhundert zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Grund dafür ist die traditionelle Aufteilung der Welt in eine „weibliche“, häusliche und eine „männliche“, öffentliche Sphäre. Als männlich galten dabei sowohl symbolische Räume (wie etwa Politik, Geschäfte, Institutionen) als auch der eigentliche geografische Raum. Männer waren für das Erobern fremder Welten, die Erforschung der Kontinente, die Abenteuer in unentdeckten Gebieten zuständig, Frauen für das Leben innerhalb des Hauses, die Familie, die Kinder. Sprengten sie dieses symbolische Korsett, dann setzten sich die Frauen dem Verdacht der Unkeuschheit oder Unschicklichkeit und der Gefahr der Ausgrenzung aus ihrem eigentlichen sozialen Umfeld aus.
Die Polarisierung der so genannten Geschlechtercharaktere im 18. und 19. Jahrhundert wies Männern und Frauen demzufolge spezifische Tugenden und Eigenschaften zu. In Erziehungsprogrammen wurde versucht, diese durchzusetzen. Männliche Kinder lernten Durchsetzungsvermögen und Zielstrebigkeit und galten als naturgegeben rational. Mädchen lernten Anpassungsfähigkeit und Selbstverleugnung und galten als naturgegeben emotional.
Aufgrund dessen hielt man Frauen nicht für fähig, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, zu reisen oder gar Abenteuer in fremden Ländern zu bestehen. Diese philosophisch begründeten Geschlechtercharaktere hatten zwar großen Einfluss auf die konkreten Lebenswelten von Frauen, wurden aber auch häufig unterlaufen. So gab es zu allen Zeiten Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen reisten; sie hatten aber auch zu allen Zeiten mit Schwierigkeiten und Kritik zu kämpfen.
Wallfahrten und Pilgerfahrten, Reisen in Geschäftsangelegenheiten, Verwandtenbesuche und Vergnügungsreisen – all diese Gründe bewogen auch Frauen, ihre heimische Sphäre zu verlassen und sich die Welt zu erobern. Schon unter den mittelalterlichen Wallfahrern befanden sich etwa 30 % bis 50 % Frauen. Die zunächst als Bußreisen geplanten Wallfahrten und Pilgerreisen entwickelten sich mit der Zeit zu gesellschaftlichen Ereignissen. Sie dienten auch dem Schließen von Bekanntschaften oder der Anbahnung von Ehen. So begleitete der Verdacht der Unkeuschheit auch die weiblichen Wallfahrenden. Aus diesem Grund wurden schon seit dem frühen Mittelalter zahlreiche Verbote für Pilgerreisen von Frauen ausgesprochen.
Adelige Gesellschaftsreisende wie Lady Mary Montague – die im frühen 18. Jahrhundert ihren Ehemann begleitete, der englischer Botschafter am osmanischen Hof wurde und die in ihren Schriften auch ein Sittenbild des Wiener Hofs dieser Zeit zeigt –, waren ebenso die Ausnahme wie Maria Sibylla Merian, die nach längerer Ehe und dem Leben in einer urchristlichen Gemeinschaft in den Niederlanden im späten 17. Jahrhundert als Forschungsreisende nach Surinam[105] ging und durch ihre Kupferstiche exotischer Schmetterlinge, Insekten und Pflanzen Berühmtheit erlangte.
Seit der Aufklärung gab es immer mehr Frauen, die ihre Erfüllung im Reisen fanden. Im Zuge von romantischer Natursehnsucht und Freiheitswillen mehrten sich im 19. Jahrhundert die Versuche, gegen die starren weiblichen Geschlechterrollen zu rebellieren. Reisen und darüber schreiben war für viele Frauen der Weg, der scheinbar vorbestimmten Beschränkung auf die Enge des heimatlichen Haushalts zu entrinnen.
Aus dem Salzburger Raum sind leider nur wenige Quellen über reisende Frauen überliefert. In den 1830er-Jahren bereiste Frances Milton Trollope Österreich. In ihren Reisebeschreibungen kommt Salzburg allerdings nur am Rande vor. „Ich vermuthe indeß, daß die große Bewunderung, die man stets für Salzburg ausdrückt, weniger der Stadt selbst als dem Lande Salzburg gilt, welches, wie uns unser Reisebuch versichert, das Eldorado der Landschaftsliebhaber sein soll.“[106] Eva König, die Verlobte und spätere Ehefrau von Gotthold Ephraim Lessing, reiste als Geschäftsfrau und Erbin der Teppichhandlung ihres ersten Mannes mehrfach in der öffentlichen Postkutsche nach Wien.
Autorinnen wie Fanny Lewald, Ida Hahn-Hahn oder Johanna Schopenhauer verdienten mit ihren Reiseberichten zusätzliches Geld. Britinnen wie Harriet Tytler, Lady Florentina Sale oder Gertrude Bell verbrachten einen Gutteil ihres Lebens damit, die Kolonien des Empire zu bereisen.
Die bekannteste österreichische Reisende des 19. Jahrhunderts war Ida Pfeiffer (1798–1858), die es 1842, nach einer Ehe und der Erziehung zweier Söhne, gewagt hatte, sich als „ältere Dame“ ihrem Jugendtraum, dem Reisen, hinzugeben. Ihre erste Reise kennzeichnete sie unverfänglich-religiös als „Pilgerreise ins Heilige Land“. Nach ihrer Rückkehr veröffentlichte sie einen Reisebericht, mit dem sie sich ihre nächste Reise finanzierte. Ein Muster, das sie für die nächsten 16 Jahre aufrecht hielt. Sie bereiste Südamerika, China, Singapur und Ceylon, Vorderindien, Persien, Armenien und Griechenland, Borneo, Peru und Ecuador, Nordamerika und die kanadischen Seen. Als sie fast 60-jährig Südafrika besuchen wollte, wurde sie auf Madagaskar in politische Unruhen hineingezogen, musste unter schwierigsten Bedingungen durch den Urwald fliehen, zog sich eine Infektionskrankheit zu und trat deshalb die Rückreise nach Wien an. Kurz nach ihrer Rückkehr starb sie am Madagaskar-Fieber[107].
Die Salzburgerin Marie Andeßner (1833–1906) besuchte mit Südamerika, den USA, Südostasien, China ähnliche Reiseziele wie Ida Pfeiffer. Auch sie war nach Maßstäben ihrer Zeit mit über 60 Lebensjahren schon eine „ältere Dame“, als sie ihre erste Reise antrat. Auch ihre Reiseberichte wurden in der „Salzburger Zeitung“ veröffentlicht. Es gab allerdings wesentliche Punkte, die sie von Ida Pfeiffer unterschieden: Marie Andeßner war unverheiratet und hatte keine Kinder, hatte also keine Kritik der eigenen Familie zu befürchten. Sie war äußerst wohlhabend, konnte sich also eine exklusive Form des Reisens leisten. Der wesentliche Unterschied lag aber in der Art des Reisens: War Ida Pfeiffer noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger als „Abenteuerreisende“ unterwegs gewesen, so reiste Marie Andeßner gegen Ende des 19. Jahrhunderts als „Touristin“.[108] Sie nutzte die neue Infrastruktur von Hotels und Bahnverbindungen und beschrieb die Sehenswürdigkeiten, die schon im „Baedecker“ empfohlen waren.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs änderte sich die Struktur des Reisens endgültig, der moderne Massentourismus begann sich zu entwickeln. Im 20. Jahrhundert verlor die Definition der Geschlechtercharaktere zunehmend ihre Bedeutung, die Beschränkungen für weibliche Reisende waren zunehmend sozialer und politischer Natur. So führten die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit dazu, dass sich viele Menschen beiderlei Geschlechts das Reisen nicht leisten konnten. Der Zweite Weltkrieg, Flucht und Emigration ließen die Verlockungen freiwilliger Mobilität hinter der erzwungenen Migration verblassen. In der Zeit des Massentourismus, die mit dem Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre begann, hatten sich Frauen endgültig als Reisende und als Alleinreisende ihren Platz gesichert.
[105] Surinam: Staat im Nordosten Südamerikas, grenzt im Norden an den Atlantik, im Westen an Guyana, im Süden an Brasilien, im Osten an Französisch-Guayana.
[106] [Trollope 1838a], S. 141.
[107] Anm. d. Redaktion: dabei dürfte es sich wohl um eine Malaria-Erkrankung gehandelt haben.
[108] Zur Entstehung des Begriffs „Tourist“ und die Entwicklung des Reisens zum Tourismus siehe den Beitrag von Burkhart Lauterbach [Lauterbach 2003].