Schon oft wurde der Versuch unternommen, das Phänomen „Spiel“ exakt zu beschreiben. Bis heute hat sich jedoch keine allgemein gültige Definition dafür durchgesetzt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da eine große Anzahl – teilweise sehr verschiedenartiger – Spiele und Spieltypen unterschieden werden kann.
Beim Wort „Spiel“ denken wir an verschiedenste Dinge: An Ball- oder Fangspiele, Wett- und Glücksspiele, Schneespiele, Gelände- und Wasserspiele, Wortspiele, Denk- und Quizaufgaben Passionsspiele, Computerspiele, Konzentrations- und Geduldsspiele, Brettspiele, Gesellschaftsspiele, Schauspiel und Rollenspiele, Sing- und Tanzspiel, Konstruktionsspiele, Großgruppenspiele, Bewegungsspiele, Spiele für drinnen und draußen und viele andere mehr.
Unumstritten ist jedenfalls, dass das Spiel für den Menschen und für seine persönliche Entwicklung eine immens große Bedeutung hat. Ganz besonders gilt das natürlich für Kinder und Jugendliche, aber zweifellos besitzt das Spielen in jedem Lebensalter einen hohen Wert.
Allen Arten von Spielen ist wohl gemeinsam, dass der erste und wichtigste Sinn des Spielens in sich selbst liegt. Nicht das Ergebnis, nicht irgendein Produkt oder Profit, sondern der jeweilige Spielverlauf, also die Tätigkeit selbst ist interessant. Kurz gesagt: Beim Spielen geht es mehr um den Weg als um das Ziel.
Spielen macht ganz einfach Spaß. Und oft sind es die einfachsten Spiele, die am meisten Freude machen. Oft gehört nur ein bisschen Fantasie dazu, um stundenlang mit den einfachsten Dingen (die häufig nicht einmal etwas kosten) ins Spiel versunken zu sein. Sei es Vorgefertigtes, Selbstgebasteltes oder Alltagsgegenstände – alles kann dabei zum „Spiel-Zeug“ werden.
Gerade für Kinder ist es wichtig, dass ihnen der nötige Freiraum zum Spielen gewährt wird. Und ebenso wichtig sind für sie gleichaltrige SpielpartnerInnen sowie jugendliche und erwachsene Bezugspersonen, die sich immer wieder ausreichend Zeit für das gemeinsame Spielen nehmen und selbst Spaß daran haben.
Spielen ist pädagogisch nicht weniger wertvoll als „richtiges Arbeiten“ oder „echtes Lernen“. Über seinen Selbstzweck hinaus hat das Spiel viele pädagogisch wertvolle Funktionen: Spielen fördert die Kommunikation zwischen den Menschen und im Spiel gemeinsam gemachte Erfahrungen wirken weiter im Zusammenleben der Gemeinschaft.
Im Spiel kann die eigene Persönlichkeit entfaltet und gegenseitige Toleranz gefördert werden. Fairness und Gerechtigkeit im Spiel sowie das Üben eines respektvollen Umgangs miteinander sind dabei wichtig. Menschen lernen mit ihren Fähigkeiten und Grenzen umzugehen und diese sowohl bei sich selbst als auch bei anderen anzunehmen. Somit wird soziales Lernen ermöglicht. Stärken und Schwächen können im Spiel entdeckt und erlebt werden. Dabei wird Kritikfähigkeit und Urteilsvermögen aufgebaut.
Das Spiel bietet eine Möglichkeit, Gefühle aufzuarbeiten und auszuleben. Spaß und Freude in der Gemeinschaft sind nicht zuletzt sehr bedeutende Merkmale des Spiels und im Spiel wird Ausgleich geschaffen (Ruhe und Bewegung – Spannung und Entspannung – Langeweile und Aktivität ...). „Spiel“ kann aber auch missbraucht werden. Falsch verstandenes „Spiel“ kann Entwicklung verhindern, Beziehungen lähmen, Ängste erzeugen, aber auch süchtig machen.
Das Spiel kann zu neuen Einsichten und Problemlösungen führen. Spielerisch wird gelernt, sich mit gegebenen Situationen nicht einfach abzufinden, sondern Alternativen zu finden und zu üben (das führt zum Beispiel zu Erfahrungen wie „Miteinander geht's besser“ oder „Nachfragen hilft“).
Beim Spielen befindet man sich in einer „erdachten“ Welt, die sich von der Realität des Lebens unterscheidet. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass die Folgen von Handlungen nicht wirklich passieren, sondern für die Zeit des Spielens nur angenommen werden. Im Spiel können so in einem geschützten Rahmen neue Erfahrungen gemacht und verarbeitet werden. Auch Fähigkeiten und Fertigkeiten werden entdeckt und trainiert.
Im Spiel liegen viele Möglichkeiten zur ganzheitlichen Entfaltung der Persönlichkeit. Spiel kann heißen, sich auf etwas Neues einzulassen und eine lustbetonte Auseinandersetzung mit sich selbst und mit seinem Umfeld zu wagen. Im Spiel entfalten sich Phantasie, Kreativität und Spontaneität. Die Freude am selbstständigen Tätigsein werden intensiv erlebt und Ideen können spontan ausprobiert werden. Für Kinder ist das Spiel ganz besonders wichtig. Vieles in der Erwachsenenwelt ist für sie schwer zu begreifen. Im Spielen können sie Zusammenhänge erkennen und in ihre eigene Sprache übersetzen.
„In der Jungschar wird ja nur gespielt ...“ ist eine negativ behaftete Aussage, die man häufig zu hören bekommt. Doch Spielen um des Spielens willen, das war Kinderorganisationen wie der Katholischen Jungschar schon immer ein wichtiges Anliegen. Und weil Spielen auch die beste Art des Lernens ist, bemüht sich die Jungschar in ihrer Arbeit, Themen und Inhalte spielerisch, also kindgerecht aufzuarbeiten. Die Gruppe wird so einander näher gebracht und durch das Spiel werden Werte vermittelt.
In größeren Kindergruppen sind überdies zahlreiche Spiele möglich, die mit wenigen Kindern nicht durchführbar oder zumindest lange nicht so spannend sind. In einer Zeit, die von sinkender Familiengröße geprägt ist und in der (Groß-)Gruppenspiele leider zu einer seltenen Erfahrung werden, ist dies von besonderer Bedeutung.
Spiele haben in den Gruppenstunden der Katholischen Jungschar, bei den diversen Veranstaltungen sowie in der Aus- und Weiterbildung der GruppenleiterInnen ihren fixen Platz. Als kirchliche Kinder- und Jugendorganisation arbeitet die Katholische Jungschar auch im religiösen Bereich mit spielerischen Methoden, so zum Beispiel bei der Gestaltung von Gottesdiensten oder bei der Auseinandersetzung mit biblischen Texten.
Spiele haben in der gesamten Kinder- und Jugendarbeit einen hohen Stellenwert. Neben den unterschiedlichsten Spielformen sind bei den Kindern und Jugendlichen auch Brettspiele sehr beliebt.
Die Katholische Jungschar beteiligt sich seit einigen Jahren an der Aktion „Kinder testen Spiele“. Dieses Spielprojekt wird von verschiedenen Gruppen und Institutionen aus dem deutschsprachigen Raum getragen. Tausende Kinder haben jedes Jahr die Möglichkeit, neu erschienene Brettspiele bei Testveranstaltungen auszuprobieren und mit Hilfe eines Fragebogens zu bewerten. Das beliebteste Spiel wird der Öffentlichkeit präsentiert.
Als besonderes Angebot betreibt die Katholische Jungschar Salzburg seit vielen Jahren ihre Ludotheken. Dort steht Kindern ab drei Jahren sowie Jugendlichen und Erwachsenen eine Auswahl von über 500 verschiedenen Brettspielen zur Verfügung. Diese Spiele kann man gleich an Ort und Stelle ausprobieren, oder auch – zu geringen Gebühren – ausleihen. Dadurch kann vermieden werden, dass Spiele, die ihren Reiz verloren haben, weggeworfen werden oder in einer Ecke landen. Viele Familien nutzen das Angebot des „Ausprobierens“ und „Ausleihens“ auch vor dem Kauf eines Spiels. So erliegen sie nicht der großen Auswahl in Geschäften und der Buntheit der Verpackungen – die manchmal zu unüberlegten Käufen verleiten.
Bei der Auswahl von Spielen sollen vor allem solche Spiele gewählt werden, die die Entwicklung von Kindern fördern. Vieles spricht dafür, hauptsächlich so genannten „kooperativen“ Spielen den Vorzug zu geben, bei denen das gemeinsame Tun und das „Miteinander-Spielen“ im Vordergrund stehen.
Zu berücksichtigen ist auch das Alter und die Anzahl der Spieler, deren Interessen und der jeweiligen Zeit- und Raumbedarf. Klar definierte Spielregeln (die auch gemeinsam erstellt werden können) und ein ansprechendes und stabiles Spielmaterial erhöht die Lust am Spielen. Auf keinen Fall dürfen die Spielmaterialien für die MitspielerInnen eine Gefahr darstellen. Bei Konkurrenzspielen (bei denen es letztlich – wenn auch in verschieden starker Ausprägung – um das Gewinnen geht) ist ein sensibler Umgang gefragt. Auf keinen Fall dürfen Spiele auf der Missachtung der anderen MitspielerInnen aufbauen. Gewalt- und Kriegsspiele sind grundsätzlich abzulehnen.
Durch die Auswahl von Spielen und durch die Art, wie miteinander gespielt wird, werden auch Werte vermittelt. Was und wie in einer Familie oder Gruppe gespielt wird, gibt Auskunft darüber, welche Werte in dieser Gemeinschaft gelten.
So genannte „Reinfallerspiele“ oder „Einfahrerspiele“ sind oft scheinbar harmlose Spiele, bei denen der Spaß auf Kosten mehrerer oder einer bestimmten Person geht, die vor allen anderen bloßgestellt wird. Diese Spiele sollten beim Zusammensein mit Kindern keinen Platz haben. Ein „Reinfallerspiel“ stellt für die Betroffenen eine belastende, angespannte und angstvolle Situation dar („Warum gerade ich?“ oder: „Hoffentlich komme ich nicht dran“), der sie völlig ausgeliefert sind. Solch eine Situation hat eigentlich nichts mit einem „Spiel“ zu tun.
Auf alle Spiele, die Angst machen (dazu gehören auch viele Formen des „Geisterns“)[238] und auf Spiele, die brutalitäts- oder aggressionsfördernd sind, sollte unbedingt verzichtet werden. Ängste zu erzeugen und mit Angst zu arbeiten, ist pädagogisch nicht vertretbar – auch dann, wenn es für manche sehr lustig ist und wenn die negativen Auswirkungen vielleicht nicht gleich absehbar sind.
Aggressionen sollen zwar im Spiel (soweit möglich) ausgelebt werden können, niemals aber künstlich geweckt oder gefördert werden.
Bei Spielen in der Nacht sind einige Dinge unbedingt zu beachten. Zunächst gilt der Grundsatz, dass Angstäußerungen von Kindern immer ernst genommen werden müssen.
Vor dem eigentlichen Spielbeginn brauchen die Kinder genügend Zeit, um mit der Dunkelheit vertraut zu werden. Das Gelände muss den Kindern bekannt sein. Die Kinder sollten nur gemeinsam in Gruppen unterwegs sein und auf jeden Fall eine Taschenlampe bei sich haben. Ein/e ständige/r AnsprechpartnerIn muss jederzeit für die Kinder erreichbar sein, es sollte auch eine betreute Anlaufstelle mit Licht geben. Für Kinder, die sich nicht am Nachtspiel beteiligen wollen, muss die Möglichkeit der Nichtteilnahme bzw. eines Alternativprogrammes gegeben sein.
So genannte „Mutproben“ werden oft verharmlost, sind aber alles andere als ein Spiel! Bei diesen „Mutproben“ sollen Kinder einander angeblich beweisen, dass sie keine „Angsthasen“ sind. Oft werden für solche Mutproben gefährliche Aufgaben ausgewählt. Zusätzlich wird auf einzelne Kinder ein hoher sozialer Druck ausgeübt, dem sie oft nicht gewachsen sind. Mutproben jeder Art sollten in Kindergruppen keinen Platz haben.
Kriegsspielzeug, das sind Nachbildungen von Tötungsgeräten aller Art, aber auch elektronische Spiele, die die Vernichtung der Gegner zum (einzigen) Ziel haben. Durch Spielzeugwaffen und Modelle wird Begeisterung für Waffentechnik geweckt. Es wird aber nicht erklärt, was der Gebrauch von Waffen anrichten kann. Krieg und Kampf wird verharmlost.
Menschen, die Waffen tragen (egal ob Jäger, Polizisten oder Soldaten), haben offensichtlich etwas besonders Anziehendes für Kinder. Kinder ahmen sie nach – und als Waffe genügt oft nur ein einfacher Holzstecken.
Im Fernsehen und anderen Medien sehen Kinder häufig Krieg, Überfall und Mord. Oft machen ihnen die schrecklichen Bilder Angst. Diese und andere Ängste versuchen sie zu verarbeiten, zum Beispiel im Spiel, wo sie Ablauf und Ausgang selbst bestimmen können. Außerdem fühlen sich Kinder in der Welt der Erwachsenen manchmal klein und unterlegen. Eine Möglichkeit, um Stärke zu zeigen – oft auch anderen Kindern gegenüber – stellt das Benutzen von Spielzeugwaffen dar. Die Katholische Jungschar spricht sich – neben zahlreichen anderen Kinder- und Jugendorganisationen – entschieden gegen den Kauf von Kriegsspielzeug aus.
Über das Spielen kommen Kinder zu einer Meinung davon, wie die Welt funktioniert: was froh macht, was traurig, aber auch zum Beispiel wie man sich erfolgreich durchsetzt. In vielen Spielen erscheint Gewalt als die beste Lösung und Gefühle wie Mitleid spielen keine Rolle. Gewalttätige Problemlösungen scheinen ganz normal. Wo es nur strahlende Helden und böse Widersacher gibt, entsteht ein zu einfaches Freund-Feind-Bild, ein Schwarz-Weiß-Denken, das so nicht stimmt. Außerdem scheint das Recht des Stärkeren als das einzig gültige. Natürlich existiert Gewalt in der Welt. Das sollen Kinder auch mitbekommen. Jedes Kind muss aber lernen, was daran falsch ist und warum, und wie man mit Gewalt umgehen kann – bei sich und den anderen.
Es ist nicht egal, womit Kinder spielen! Bei Spielen, wo es nur um Angriff und Verteidigung geht, dort fehlt etwas Wichtiges: das gute Gefühl, gemeinsam etwas gebaut, gemalt oder eine Aufgabe bewältigt zu haben; wenn man zufrieden mit einer Einigung und froh über eine Versöhnung ist. Anstatt Kriegsspielzeug brauchen Kinder Spiele, mit denen man kreativ sein kann. Und Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen zuhören, ihre Ängste ernst nehmen und einfach nur Zeit mit ihnen verbringen.
Mehr Informationen zum Thema bietet der Folder „Mama, Papa! Krieg ich ein Gewehr?“, der in Zusammenarbeit von verschiedenen Kinder- und Jugendeinrichtungen erstellt wurde.[239]
[238] Siehe dazu auf der zweiten CD-ROM „Vom Frühling bis zum Herbst“: Wolfgang Hammerschmid-Rücker und Angelika Hechl: „Halloween – Fest der Kinder?“, Kurztextseite 5: „Von Angst und Mutproben ...“
[239] Der Folder kann gerne im Büro der Katholischen Jungschar, Kaigasse 26, 5020 Salzburg bestellt werden.