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Fest, Brauch und Event (Alois Döring)[381]

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Regionale Alltagskultur und Volkskunde im Rheinland

Das im Jahre 1976 gegründete Amt für rheinische Landeskunde Bonn (ARL) ist eine Kultureinrichtung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Das ARL will zusammen mit den Rheinländerinnen und Rheinländern die Besonderheiten und Stärken des Rheinlandes erforschen, dokumentieren, herausstellen und aufzeigen, was die Region und ihre Menschen auszeichnet.

Die Erforschung des Alltags spielt eine zentrale Rolle. In der Alltagskultur spiegelt sich die Regionalität wider. Als konkret erfahrbarer Bereich des menschlichen Daseins ist sie auch ein grundlegender Verhaltens- und Orientierungsrahmen. Das ARL ist Service- und Kompetenz-Zentrum und Ansprechpartner in allen Fragen der regionalen Alltagskultur und Stadtgeschichte im Rheinland. Dazu tragen die Fachbereiche bzw. Abteilungen mit ihren Forschungsschwerpunkten bei.

Die Abteilung Volkskunde 1 beschäftigt sich mit historischen, aber auch gegenwärtigen Phänomenen des Alltags im Rheinland. Schwerpunkte sind die Dokumentation der Erscheinungsformen und Entwicklungen der rheinischen Arbeitswelt, des gesellschaftlichen Lebens und Zusammenlebens, der Jugend- und Eventkultur und der Nahrungskultur. Ergebnisse regionaler oder internationaler Forschungsprojekte werden öffentlichkeitswirksam präsentiert. Zur Aufgabenstellung gehört auch die fachliche Beratung lokaler Experten und kommunaler Kultureinrichtungen sowie die Begleitung und Förderung örtlicher Vorhaben.

Regionale interkulturelle Brauchforschung im Rheinland

Bräuche haben eine historische und eine soziale, eine strukturale und eine funktionale Dimension. Sie haben eine Geschichte und sie sind Angelegenheit einer Gemeinschaft. Bräuche fördern die Gemeinschaft, halten Erinnerungen wach, strukturieren Zeit, fixieren Rechtsregeln, bieten Lebensfreude und leisten Lebenshilfe, sie sprechen Leib und Seele an, vermitteln Glaubensinhalte, verankern Religiöses, fördern Tourismus und Wirtschaft, schaffen Gegenwelten zum Alltag, üben soziale Kompetenz und Sozialverhalten ein und fördern Integration.

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Überlegungen, was Brauch ausmacht, richtet sich das Augenmerk der Forschungs- und Dokumentationsvorhaben des Amtes für rheinische Landeskunde auf thematische Schwerpunkte des Brauches im kulturellen Wandel. Gerade im Rheinland sind fremde Kulturen längst Bestandteil des alltäglichen und festlichen Lebens. Dennoch gibt es trennende Gegensätze zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft. Diese aufzuheben heißt, sich der Kultur der anderen in der Nähe zuzuwenden und ihr die Fremdheit zu nehmen: aus dem Erkennen kommt das Anerkennen.

Fragen nach dem Zusammenleben in der interkulturellen Gesellschaft gehören zu den entscheidenden Zielsetzungen gegenwärtiger Forschung der ARL-Volkskundler. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Wie äußert sich das Zusammenwachsen der verschiedenen Kulturen im Rheinland? Gibt es besondere rheinische Ausprägungen? Wie erleben und gestalten ausländische Mitbürger ihren privaten Alltag und wie ihren Arbeitsalltag? Welche Chancen und Möglichkeiten bieten Schulen und Kindergärten?

Bräuche und Trendforschung

Im Herbst 1999 hat ein Forschungsteam des Amtes für rheinische Landeskunde (ARL) ein langfristiges Projekt zum Thema „Halloween im Rheinland“ gestartet. Seit Ende der 1990er-Jahre ist eine nahezu explosionsartige Ausbreitung des aus den USA importierten Brauches in der Stadt und auf dem Land zu registrieren.[382] Im Rahmen des Forschungsprojekts stand in den Jahren 2000–2002 eine Halloween-Umfrage in Form von Interviews an ausgewählten Orten auf dem Programm, deren Ergebnisse in einem eigenen Internet-Portal präsentiert werden.

Ein ausgesprochen „trendiges“ Breitenphänomen haben die ARL-Volkskundler in einer flächendeckenden Fragebogenaktion im Winter 2003/2004 erfasst – den öffentlichen Lichterbrauch in der Vorweihnachtszeit. Im Jahr 2003 hat es so viele Leuchtketten und Lichter-Dekoration wie noch nie gegeben. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden 2005 in gedruckter Form präsentiert. Im Frühjahr 2002 starteten die Volkskundler eine Fragebogenaktion, in deren Mittelpunkt gegenwärtige Oster-Trends, Fragen zu aktueller Osterdekoration im und um das Haus, zu Ostermärkten in der Umgebung, zu Werbung mit österlichen Attributen sowie zur Verbreitung von Osterfeuern standen. Das einstige biedermeierlich-bürgerliche Familienfest verlagert sich in die moderne Event- und Erlebnisgesellschaft. Das christliche Auferstehungsfest ist längst nicht mehr nur auf Kirche und Familie beschränkt. Ostern ist ein öffentliches Fest – vielleicht gar ein „Event“ – geworden.

Vom Bettelgang zum Solidaritätsbrauch

Obrigkeitliche Gebote, modische Strömungen, gesellschaftliche Wertvorstellungen waren immer wirksam und veränderten die Festbräuche. Ausschweifende Bräuche erhielten geregelte Abläufe und harmonische Formen. Ein Beispiel dafür ist der Bettelgang der Kinder zum Dreikönigsfest – das so genannte „Sternsingen“. Durch kirchliche Lenkung nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr das Dreikönigssingen eine neue funktionale Dimension – es entwickelte sich zum „Solidarbrauch“. Mitte der 1990er-Jahre führten die Volkskundler des Amtes für rheinische Landeskunde (ARL) eine Fragebogenerhebung zum Dreikönigsbrauch im Rheinland durch, deren Ergebnisse Facetten des globalen und regionalen Funktionswandels des Sternsingerbrauches deutlich machen.

Nach 1600 ist das Sternsingen im Rheinland belegt. Das Gabensammeln an Dreikönig diente dazu, den Lebensunterhalt der akademischen Jugend zu bestreiten. Durch den gesellschaftlichen Aufstieg des Bildungsbürgertums und des akademischen Nachwuchses im 17. und 18. Jahrhundert gingen die Heischebräuche mehr und mehr auf andere Sozialgruppen über. Bald geriet das Sternsingen in den Geruch der Bettelei. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine neue Entwicklung ein. Im Jahr 1958 griff das Kindermissionswerk in Deutschland mit Sitz in Aachen das Sternsingen auf und stellte die Aktion „Dreikönigssingen“ in den Dienst der Mission und der Dritten Welt.

Die Kinder bringen heute mit dem Dreikönigssingen Segen in die Häuser der besuchten Familien. Ebenso schwingt der Gedanke mit, einen jahrhundertealten Brauch zu pflegen.

Trauerkultur – der Umgang mit dem Sterben

Anfang der 1980er-Jahre führte das Amt für rheinische Landeskunde (ARL) eine Fragebogenerhebung über den Totenbrauch durch, die sich u. a. den Vorzeichen des Todes, dem Sterben innerhalb und außerhalb der Familiengemeinschaft, dem Begräbnis und dem Totengedenken widmete. Ein besonderes Augenmerk gilt dem gewandelten Begräbnisschicksal und einer neuen Trauerkultur um Fehl- und Totgeburten. Dabei zeigt sich, dass Rituale als sinnvolle Stütze im Umgang mit dem Tod erfahren und genützt werden.

Seit 1996 können nicht lebend Geborene in einer Gemeinschaftsgrabstätte auf dem Friedhof der Luthergemeinde Leer (Ostfriesland) bestattet werden. Hier hat sich ein eigener Ritus ausgebildet: Die Kinder erhalten vor der Beisetzung einen Namen, sie werden gesegnet und es findet ein Gedenkgottesdienst mit den Angehörigen statt.

Das Bewusstsein für Gefühle trauernder Eltern wächst durch die Arbeit von Selbsthilfegruppen, durch Seminare von Trauerakademien, durch die Einrichtung eigener Kindergedenkplätze und Kinderbegräbnisstätten auf Friedhöfen, aber auch durch kirchlich-pastorale Anleitungen. Sie helfen den Angehörigen, den Verlust in ihr Leben aufzunehmen und dem Tod des Kindes einen Sinn zu geben.

Politische Brauchforschung: Weinfeste im Rheinland zur Zeit des Nationalsozialismus

Die nationalsozialistische Festkultur[383] ist im Rheinland bislang wenig erforscht. Die Volkskundler des Amtes für rheinische Landeskunde sind dabei, diesen Aspekt historischer Brauchforschung aufzuarbeiten. Der Nationalsozialismus stellte das Ziel „Volksgemeinschaft“ nicht unwesentlich durch Feste und Feiern her („Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“).

Das Erntedankfest erfuhr unter dem Einfluss der Blut- und Boden-Mythologie der Nationalsozialisten eine eigene weltanschaulich-politische Sinngebung als Ausdruckskraft der „Leistungskraft des deutschen Bauern“. Das Fest wurde zu einem germanischen Dank an Führer, Volk und Vaterland.

Besonderen Zuspruch von Seiten der Nationalsozialisten fanden die rheinischen Weinfeste. Das Winzerleben bietet ein eindringliches Beispiel, wie der NS-Staat sich des Alltags der Menschen bemächtigte. Die Nationalsozialisten durchdrangen mit ihrer Blut- und Boden-Ideologie das Winzerleben und machten den Winzerstand politisch gefügig. Die Vorzeichen des Zweiten Weltkriegs setzten der kurzfristigen wirtschaftlichen Blüte des Weinbaus ein Ende.

Brauch: regional – dynamisch – grenzüberschreitend

Dem Amt für rheinische Landeskunde kommt eine gewisse Vorreiterfunktion zu, über die Grenzen hinwegzuschauen – schon der Titel der Zeitschrift „Volkskultur an Rhein und Maas“ verdeutlicht die internationale Ausrichtung. Die Volkskundler haben verstärkt seit Beginn der 1900er-Jahre grenzüberschreitende Projekte durchgeführt.

Das Forschungsprojekt zum Wandel des Nikolausfestes zeigt auf, was die Dynamik der Region als Brauchlandschaft auch im Zusammenhang aktueller globaler Entwicklungen kennzeichnet. Die nahezu zeitgleichen Erhebungen zum Nikolausbrauch im Rheinland und in den Niederlanden zeigen, dass die Menschen beider Länder die Kommerzialisierung und die Globalisierung als Identitätsverlust bewerten.

Den Wandel zum öffentlichen Ereignis-Brauch schreiben Gewährspersonen der rheinischen Nikolausumfrage der heutigen Kommerzialisierung zu. Sie sehen den ursprünglichen Sinngehalt des Nikolausfestes als Feier häuslich-familiärer Kinderbescherung durch öffentlichen Event, Reklame und Kommerz bedroht. Dazu kommt, dass sowohl im Rheinland als auch in den Niederlanden Weihnachtsmann und Santa Claus die Monopolstellung des Nikolaus als Gabenbringer streitig machen. Die heute auftretenden Weihnachtsmann-Figuren werden als völlige Entstellung der Gestalt des Heiligen bewertet.



[381] Kurzfassung von Ilona Holzbauer

[382] Vgl. zur Verbreitung von „Halloween“ die Beiträge von Gottfried Korff („Halloween in Europa“), Bernhard Tschofen („Halloween in Österreich“), Alexander G. Keul („Halloween zwischen Bedürfnis und Angebot“, Halloween-Studie am Institut für Psychologie an der Universität Salzburg) und Wolfgang Hammerschmid-Rücker, Angelika Hechl („Halloween – Fest der Kinder“, Befragung der Katholischen Jungschar Salzburg) auf der CD-ROM II „Vom Frühling bis zum Herbst“ der Reihe „Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen.“ Hrsg. v. Lucia Luidold und Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Redaktion: Melanie Lanterdinger. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 14) Salzburg 2003.

[383] Vgl. zur nationalsozialistischen Festkultur in Salzburg den Beitrag von Christoph Kühberger: NS-Festkultur. In: Vom Frühling bis zum Herbst (= Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. CD-ROM 2) Hrsg. v. Lucia Luidold und Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Redaktion: Melanie Lanterdinger. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 14) Salzburg 2003.

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