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Das menschliche Ohr ist die zentrale Schaltstelle für Raum- und Zeitsinn und für deren Überschreitung in die Unendlichkeit. Im Alltag wird es dem menschlichen Verstand oft nicht bewusst, welches Hörvermögen das Ohr besitzt – viele Töne, Melodien und Geräusche werden aufgenommen, ohne jedoch wirklich wahrgenommen zu werden. Da aber jene unbewusst konsumierten Schallwellen auf Körper und Geist wirken und sowohl positiv als auch negativ auf den ganzen Organismus einwirken können, ist es besonders wichtig, die Geräusche und Klänge des alltäglichen Umfeldes zu untersuchen und bewusst herauszufiltern, um dann darin mögliche Ursachen für psychische und körperliche Zustände zu finden.
Der Mensch von heute ist unablässig von Musik umgeben. Täglich ist es möglich, die gesamte Bandbreite an Musikrichtungen zu „konsumieren“. Der Großteil davon ist „Musikberieselung“ – Musik ist Kulisse geworden, unbewusste Konditionierung, mechanischer Hintergrund des Alltags. Sie ist Teil der Klangökologie menschlicher Lebensräume.
Die Frage, warum Musik überhaupt existiert, scheint den meisten Menschen überflüssig – viele sind der Meinung, dass Musik zur Entspannung, zum ästhetischen Genuss, zur Überbrückung von Langeweile, zur geistigen Erhebung, zum Zeitvertreib und zur Erbauung dient. Musik könnte auch gegenwärtig mehr sein – dafür jedoch ist die richtige Aufnahmebereitschaft notwendig. Ein unmittelbares Verständnis wäre die Vorraussetzung für ein sich in allen heutigen Musikgattungen auswirkendes neues Hörbewusstsein.
Viele Menschen geben heute „Musik-hören“ oder „Musizieren“ als Lieblingsbeschäftigung an. Damit ist viel Zeit, Geld und Aufwand verbunden. Und doch besteht ein eher gespaltenes Verhältnis der Öffentlichkeit und vor allem der öffentlichen Medien zur Musik. Denn abseits von sehr erfolgreichen Popstar-Shows, einer beachtlichen Anzahl an meist privaten Stiftungen zugunsten von Klassik-Spitzenmusikern und einem relativ großen Interesse an musiktherapeutischen Einrichtungen wird die Bedeutung und Wichtigkeit von Musik in Schule und Staat wenig gewürdigt.
Oftmals wird übersehen, dass die Musik eine bei weitem bedeutendere Rolle in der Entwicklung, Bildung und Erziehung der Menschen spielt, als allgemein bekannt ist. Es ist heute bereits wissenschaftlich nachweisbar, dass Musik nicht nur klüger und sozial kompetenter macht, sondern auch unabhängiger und selbstbewusster. Körperlich beeinflusst Musik die Atmung, lenkt von Schmerzen ab und verbessert nachweislich die Immunreaktion.[461]
Vorraussetzung dafür ist jedoch aktives Musizieren über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren. Passive Berieselung durch Musik zeigt dagegen keinen Erfolg. Welche Musik diesen Effekt besitzt, ist von Mensch zu Mensch verschieden – das ist letztlich eine Frage der individuellen Biografie.[462] Neben den persönlichen Neigungen zählen die Zeitdauer, das Lebensalter und die sozialen Umstände, unter denen eine Person der Musik „ausgesetzt“ ist.
Die Heilung psychischer Krankheiten durch musikalische Klänge hat eine jahrhundertelange und durch alle Kulturen gehende Geschichte. Im 19. Jahrhundert wurden erste wissenschaftliche Beobachtungen angestellt, welche Wirkung Musik auf die menschliche Gesundheit haben könnte. Da festgestellt wurde, dass bei „schneller und angenehmer“ Musik die Augen des Patienten glänzten, der Pulsschlag sich beschleunigte und sich die Wangen röteten und bei „langsamer, düsterer“ Musik genau das Gegenteil passierte, wurde die Annahme, dass Musik heilend sein kann, als bestätigt angesehen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass Musikstücke keine Medikamente sind, die einfach verschrieben werden können.
Ebenso wie bei der Steigerung der Intelligenz durch Musik sind auch bei der Heilung die individuelle Biografie und die Intensität der erlebten Musik von Bedeutung. Vor allem das „Selbertun“ spielt gerade bei jungen Menschen eine große Rolle. Die Musiktherapie erzielt mittels aktiven Improvisierens vor allem auch bei verhaltensgestörten und umweltgeschädigten Menschen beachtliche Erfolge.[463]
Viele Arten von Musik oder Rhythmen und lärmähnlichen Geräuschen können auch krank machen. Der tägliche Lärmpegel, der heute den Menschen permanent umgibt, bleibt für die Gesundheit nicht ohne Folgen. Menschen, die dauerhaft und regelmäßig einer hohen Dezibelanzahl ausgesetzt sind, leiden häufiger unter Nerven- und Lebererkrankungen, Bluthochdruck und Konzentrationsstörungen.
[461] [Brochart/Tentrup 2003] S. 72 und S. 84.
[462] Nach Forschungsergebnissen von Reinhard Kopiez, Vorsitzender der Gesellschaft für Musikpsychologie und Professor für Musikpsychologie in Hannover.
[463] [Hamel 1976], S. 180f.