Die kulturelle Repräsentation des Handwerks und insbesondere der Gesellen ist gegenwärtig offenbar ein Thema im Niemandsland der wissenschaftlichen Disziplinen: Die Geschichtswissenschaft ist eben erst dabei, sich den Formen der kulturellen Repräsentation intensiver zu widmen. Seit den 1980er-Jahren hat sich zwar die Sozialgeschichte der Geschichte des Handwerks und besonders der Handwerksgesellen verstärkt zugewandt und besonders Konflikte und Migration zum Thema gemacht, doch „Brauchtum“ bzw. Brauchtumsphänomene sind nur am Rande gestreift worden. Nach den Arbeiten von Hans Moser und Karl-S. Kramer hat sich die Volkskunde kaum mehr mit den Handwerksgesellen beschäftigt, zumal das frühneuzeitliche Handwerk (und hier lag und liegt der Schwerpunkt der Forschung) außerhalb ihres Zeithorizontes liegt.
Wenngleich die ältere Volkskunde – zumindest in vielen ihrer Schulen – eher eine „Bauernkunde“ war[572] und das Handwerk – besonders das städtische und großstädtische Handwerk – als Forschungsgegenstand kaum integrieren konnte, so lag doch ein Motiv zur Beschäftigung mit dem Handwerk darin, dass man das Handwerkerleben als in hohem Ausmaß formalisiert und ritualisiert sah.[573] Das „Zeremoniell“ ist daher besonders von Volkskundlern und volkskundlichen Laien immer wieder gerne bearbeitet worden. Bis hin zu neueren Publikationen ging es Volkskundlern häufig darum, Kontinuitäten aufzuzeigen. Dezidiert trat dieses Bemühen in den 1930er- und 1940er-Jahren in der Betonung des germanischen Ursprunges und der Rückführung städtischen Brauchtums auf bäuerliche Tradition in den Vordergrund.[574] Siegfried Sieber hatte schon 1911 in seinem Aufsatz über „Zunftfeste“ die Auffassung, vertreten, dass der Zusammenhang der Zunftfeste mit den ländlichen Bräuchen uns „deutlich genug in die germanische Urzeit zurück[führe]“: „Wir haben deshalb den Resten der Vegetationsdämonen und ihrer Attribute in Zunftbräuchen nachzuspüren.“[575]
Die Behandlung des Brauchtums konzentrierte sich in der NS-Zeit schließlich nur noch auf den Nachweis von „Germanengut im Zunftbrauch“.[576] Siemsen bemühte sich, nachzuweisen, dass der Handwerksbrauch germanischen und weit weniger christlichen Ursprung habe.[577] Das Brauchtum, so Siemsen, sei von ältester bis in die jüngste Zeit fast unverändert erhalten geblieben. Die Zünfte seien die Träger ursprünglicher Gemeinschaftskulte der germanischen Verbände. Sie seien „organisch gewachsene, kultisch-verwurzelte Verbände, deren Gesetz das der Gemeinschaft und das der Ehre ist“.[578] „Gemeinschaft“ setzte sich als Schlüsselbegriff bei der Analyse von Zünften und Gesellenvereinigungen durch.[579] Die Arbeit von Siemsen bot später durchaus noch die Interpretationsfolie für weitere Arbeiten,[580] doch nach der Grundlegung einer historischen Volkskunde durch Moser[581] und Kramer,[582] die sich „gegen ein der wissenschaftlichen Selbstkontrolle entzogenes romantisches Ursprungs- und Kontinuitätsdenken“ wandten und eine quellenkritisch abgesicherte exakte Geschichtsschreibung der Volkskultur forderten, war solcherart von Mythologisierung der Tradition der Boden entzogen.[583]
Dennoch konnte Georg Fischer seinen bereits 1943 in eindeutiger Diktion erschienenen Artikel über das handwerkliche Brauchtum 1962 – wenngleich um einige Textstellen „bereinigt“ – erneut publizieren.[584] Die Zunft – so Fischer – lehne sich „an die zweite Keimzelle germanisch-deutschen Gemeinschaftslebens, die Sippe, an“ und sei „vor allem Familienverband“. Das „Gemeinschaftsgefüge von eigenwüchsiger Geschlossenheit“ wurzele im Sippengedanken und sei „in geschichtlich-gesellschaftlicher Einmaligkeit aus altüberkommenen Grundformen zu vielgestaltigem Reichtum emporgeblüht“.[585] Mit Begriffen wie „eingedrungenes Lehngut“ und „bodenständiges Motiv“ stellte Fischer einen germanisch-deutschen Bezug her – und wenn von „beharrlicher Traditionstreue durch Jahrhunderte“ die Rede ist, in denen der Handwerker sein Verbandsbrauchtum „ungebrochen zu bewahren vermochte und auch in der atomisierten Gesellschaft des industrie-kapitalistischen Zeitalters noch eine erstaunliche Widerstandskraft gegenüber den auflösenden Tendenzen des sich rückhaltlos entfaltenden Individualismus zeigen konnte“, so bringt Fischer nochmals die Kontinuität ins Spiel.[586]
Eng damit verbunden ist in dieser Sicht die Betonung der „peinlich und gewissenhaft beobachtete[n] Formgenauigkeit“: Fischer sah die „handwerkliche Gemeinschaftskultur“ durch die „feste Einordnung des einzelnen Handwerkers in das straff geformte und streng gegliederte Gefüge der handwerklichen Verbände gekennzeichnet“. Ein einheitlicher Zug gehe durch alle Einzelformen, „ein eigentümlich starrer und umständlicher Formalismus. Wort und Gebärde, Handlung und Verhalten sind bis ins einzelne streng festgelegt und ein Brauch immer nur dann gültig und bindend, wenn er völlig und ohne Verstoß in fehlerfreier Formeltreue vollzogen wird.“[587] Nach Fischer ist zusammenfassend nicht mehr über das handwerkliche Brauchtum publiziert worden, und der Hinweis Matters sei noch einmal hervorgehoben, dass das weite Feld der Handwerksforschung und insbesondere der Brauchforschung bis in die jüngere Vergangenheit zu einem großen Teil Laien überlassen blieb.[588] Gerade das Thema Brauchtum ließ jedenfalls Spielraum für Heimatforscher und Laien, aus deren Feder zahlreiche Aufsätze zum Brauchtum flossen.
Die Vorstellung von Bräuchen und der Zunft speist sich also nicht zuletzt aus diesen Quellen, und sie wird ergänzt durch die Brauchtumspflege und – damit zusammenhängend – die museale Präsentation der „Zunftaltertümer“.
Der vorliegende Beitrag macht zunächst einige Bemerkungen zu den Zunftaltertümern, um dann Fragen der Bräuche und insbesondere der Überlieferung am Beispiel Salzburg exemplarisch zu behandeln, nicht zuletzt, um eine Forschungsperspektive zur Thematik der kulturellen Repräsentation des Handwerks zu gewinnen.
Das Handwerk, d. h. eigentlich die Zunft, hat in kulturgeschichtlichen Museen durch die Präsentation der „Zunftalterthümer“ eine lange Tradition.[589] Zunftaltertümer sind zünftiges Gemeinschaftsgerät bzw. materielle Objektivationen zünftigen Gemeinschaftslebens; dazu zählen Zunftladen, Zunftpokale, Fahnen, Bahrtücher und Weiteres mehr.[590] Meist wurden diese Objekte nach ästhetischen Gesichtspunkten präsentiert, Aufschluss über die Funktionen der Gerätschaften gibt es in der Regel nicht.[591] Es ist mehr die kunsthandwerkliche Qualität der Objekte als ihre Bedeutung für das Handwerk, die die Präsentation rechtfertigt, und so blieb das Feld der Objekte weitgehend der Kunstgeschichte überlassen. Was für das Museum des 19. Jahrhunderts allgemein gilt, dass es die Zerstörung des sozialen Kontextes schlechthin sei, das gilt hier im Besonderen: Auch hier entspricht der Kontextlosigkeit der Stücke die Ratlosigkeit der Betrachter.[592] Bei der Darstellung der Zunftaltertümer gewinnt man häufig den Eindruck einer Inszenierung der Objekte, die von Begriffen wie Zunft als „Gemeinschaft“, Kontinuität, hoher Formalisierung und Ritualisierung ausgeht.
Über diese materiellen Objektivationen ist die „Kultur des Handwerks“ zum einen auf die „materielle Kultur“ des Handwerks eingeengt worden (die die Produktion allerdings einspart), wobei wiederum nur eine Seite, die nicht-alltägliche Seite der materiellen Kultur, aufscheint, zum andern ist dadurch die Kultur der Meister deutlich in den Vordergrund getreten und hat die Gesellenkultur weitgehend in den Schatten gestellt, obwohl die Gesellen als die „eigentlichen Träger des Brauchtums“ bezeichnet werden.[593] Materielle Objektivationen sind also nur ein Zugang zur Repräsentation der Gruppen, wenn wir – so die Forderung Brednichs – „die Objekte der Forschung als Teile von Kommunikations- und Überlieferungsprozessen [...] verstehen“.[594]
Werfen wir nun – exemplarisch – einen Blick auf die Bräuche und ihre Überlieferung am Beispiel Salzburg: Bisher liegen nur Studien zu einzelnen Berufen vor, eine zusammenfassende Darstellung zum Handwerk und auch zu den Bräuchen fehlt. In der Literatur werden folgende Handwerksbräuche erwähnt: der Barfußtanz der Bäcker, das Gautschen der Buchdrucker, der Metzgersprung (und das Fahnenschwingen) sowie der Reif- oder Küfertanz.
Die Quelle für den Barfußtanz der Bäcker am Fastnachtsdienstag, der 1445 verboten worden sein soll, muss jedoch – so Moser – als unsicher bewertet werden, allerdings konnte Moser in der Rechnung des Stifts St. Peter für das Jahr 1539 den folgenden Eintrag eruieren: „Den pfeiltanz von den pecken gehalten, geben 1 t[haler].“[595]
Die „Gautschung der Jünger Gutenbergs“ scheint dagegen ein sehr spätes Phänomen zu sein. Zinnburg meinte zwar in seinem Überblick über die „Salzburger Volksbräuche“: in Salzburg „war dieser alte Brauch lange vergessen; erst im Jahre 1959 besann sich Obermaschinenmeister Fred Litzlhammer der einstigen Sitte, die danach alle zwei Jahre stattfand“.[596] Doch dieser „alte“ Brauch dürfte überhaupt erst im 19. Jahrhundert entstanden sein. Das Deponieren oder Postulieren bei den Buchdruckern hat zwar eine lange Tradition und es gibt aus dem deutschen Sprachraum eine erste Nachricht aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, doch schon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts mehrten sich die Versuche der Abschaffung der „abgeschmackten Kunstgebräuche“, die in Preußen 1803 im Postulatsverbot gipfelten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der Brauch des Gautschens allgemein noch unbekannt, und eine erste Beschreibung einer „Taufe“ liegt erst aus dem späten 19. Jahrhundert vor. Erst in „jüngerer Zeit“ – so Oschilewski 1955 – fänden die Gautschfeste zunehmend in der Öffentlichkeit statt und nähmen den Charakter allgemeiner Volksbelustigungen an.[597]
Der Metzgersprung (mit Fahnenschwingen) und der Reiftanz der Küfer, beiden wird in Salzburg ein hohes Alter und eine gewisse Tradition zugeschrieben, sind im 20. Jahrhundert „erneuert“ worden, wobei der Metzgersprung in Salzburg seit 1981 wieder alljährlich stattfindet.
Am Faschingssonntag, am 22. Februar 2004, wurde bei St. Peter in Salzburg der „bereits traditionelle Fleischerjahrtag“ abgehalten. Nach dem Festgottesdienst erfolgte der Abmarsch des Festzuges von der Franziskanergasse durch die Sigmund-Haffner-Gasse über Residenz- und Domplatz in den Hof von St. Peter, begleitet von der Trachtenmusik-Kapelle Liefering. Um 10.15 Uhr stand schließlich der Metzgersprung auf dem Programm, und dieser nassen Prozedur folgte das Fahnenschwingen, bei dem die Zunftfahne (40 kg) kreisförmig ein- und auszuschwingen ist. Auf der Website der Salzburger Fleischer erfährt man, dass die Traditionsveranstaltung eine wechselvolle Geschichte hat, die bis ins Jahr 1512 zurückreiche: „Aus zahlreichen Metzgerbräuchen haben sich im Laufe der Jahrhunderte zwei bleibende Zunftbräuche herausgebildet, die auch heute noch gepflogen werden. [...] Metzgersprung und Fahnenschwingen haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Publikumsmagnet und zu einem Höhepunkt im Salzburger Fasching entwickelt. Besonders begehrt bei den Besuchern sind die nur für den Faschingssonntag erzeugten ‚Stockwürste‘, die es dabei zu verkosten gibt.“[598]
Fragen wir nach der „wechselvollen Geschichte“ dieses Brauches: Er ist offenbar nicht ununterbrochen gepflegt worden. Putzer weist darauf hin, dass sich um das Freisagen und die Ausstellung des Gesellenbriefes ein reiches „Brauchtum“ rankte, „das in Ausläufern bis zur Gegenwart erhalten ist; wie z. B. der Metzgersprung oder das Gautschen bei den Buchdruckern.“[599] Auf zwei Fotos zum Metzgersprung 1984 können wir auf dem Bottich die Jahreszahlen 1783 und 1983 eingraviert (dazwischen ein Ochsenkopf) erkennen.[600]
Ammerer weist auch auf das Krapfenholen hin, das mit dem Metzgersprung offenbar in engem Zusammenhang stand: Nach der feuchtfröhlichen, „nach einem sehr genauen Zeremoniell abgehaltene ‚Taufe‘ mit ihrer doppelten Symbolik“ pflegte man „den Brauch des Krapfenstehlens bei den Meistern, von dem der Kasdieb, eine Art Salzburger Hanswurst, [...] ablenken sollte.“ Colloredo verbot 1786 mit einer Signatur an das Metzgerhandwerk das Krapfenstehlen, da es „viel Ungereimtes und Lächerliches“ enthielt,[601] während der Metzgersprung noch unangetastet blieb. Er war 1783 offenbar nur vorübergehend verboten worden, da das Handwerk die vom Florianibrunnen entfernten Gitter nicht wieder befestigt hatte.[602] Doch 1983 knüpfte man offenbar wieder an 1783 an.
Alle Ausführungen zum hier angeführten Brauch der Metzger (und auch der Küfer) beziehen sich in erster Linie auf Karl Adrian und schließlich in zweiter Linie auf Karl Zinnburg. Karl Adrian (1861–1949), Lehrer und Schulrat, war Vorsitzender der 1911 gegründeten Salzburger Landeskommission „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen“.[603] Adrian legte 1913 dem Landtag eine zusammenfassende Darstellung vor, in der er Bräuche auflistete – zu dieser Zeit noch festgewurzelte, im Abnehmen begriffene oder fast oder gänzlich erloschene sowie kürzlich wieder erneuerte Bräuche. Seine Zielsetzung kann mit den Worten Sammeln, Erhalten und Beleben umschrieben werden. Adrian war ein Verfechter des national-patriotischen Heimatschutzgedankens, und er war sich der identitätsstiftenden Wirkung der Bräuche bewusst.[604]
Bereits 1905 hatte Adrian eine Sammlung „Salzburger Volksspiele, Aufzüge und Tänze“ veröffentlicht, um damit „ein Stück heimischen Volkslebens [...] zur Darstellung zu bringen“.[605] Darin wurden sowohl der Metzgersprung als auch das Fahnenschwingen behandelt. Den Beitrag über das Fahnenschwingen publizierte Adrian während des Ersten Weltkrieges nochmals, um den Brauch – „der letzte Rest der zahlreichen und sinnigen Zunftbräuche vergangener Zeiten“ – in Erinnerung zu rufen. Während des Krieges habe der Brauch geruht, doch „wäre es eine schöne Aufgabe des ehrenfesten Handwerks der Fleischhauer und Selcher, diesen echten deutschen Zunftbrauch, das ehrwürdige Erbe unserer Vorfahren, wieder aufs neue erstehen zu lassen. Meister und Gesellen würden sich dadurch ein dauerndes Verdienst um die Heimat erwerben, und daß der Gedanke wieder zur Tat werde, das wünschen und hoffen alle Freunde unseres heimischen Volkstums.“[606]
In seiner 1924 erschienenen Sammlung „Von Salzburger Sitt’ und Brauch“ wurden die Beiträge über das Fahnenschwingen und den Metzgersprung fast im Wortlaut wieder abgedruckt.[607] Das Geleitwort gibt Auskunft über Adrians Ziel: „Bei dem kräftigen Erwachen des Heimatgefühles in unseren Tagen“ wollte er „ein Stück der so oft verkannten Volksseele […] erschließen“. Salzburg weise bei bestimmten Gebräuchen wie beim Fahnenschwingen gewisse Sonderheiten auf, doch mancher Brauch sei auch bei unseren Nachbarn „bodenständig“. Doch dies sei „kein Grund, solche Erscheinungen nicht als Heimgut betrachten zu wollen.“ Der Gegenwart erwachse die dankbare Aufgabe, „einzelne, schöne, alte Sitten, die Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten, in verständnisvoller Weise zu pflegen und zu erhalten“. Aber es ging Adrian nicht nur um die Pflege: In Anlehnung an Koch-Sternfeld schwebte ihm vor, „die Reste von Volksfesten mit bildender und schonender Hand zu veredeln [zu] suchen“.[608]
Adrian führt das Fahnenschwingen auf die „volkstümliche Sage“ zurück, dass Erzbischof Leonhard von Keutschach 1512 den Metzgern aufgrund ihrer besonderen Treue gestattet habe, eine eigene Fahne anfertigen zu lassen „und alljährlich bei Abhaltung ihres Jahrtags aushängen zu dürfen. Seit dieser Zeit wurde von dieser ehrenden Auszeichnung nicht mehr abgegangen und so hat sich die Sitte erhalten bis auf unsere Tage.“[609] Adrian gibt eine blumige Schilderung der Vorbereitung und des Ablaufes der Feierlichkeiten am Fastnachtssonntag, die mit dem Jahrtagamt der Zunft in der St. Blasius-Pfarrkirche eingeleitet worden seien: „Vor 12 Uhr versammeln sich dann die Metzgerburschen im Gasthaus zum Mödlhammer in der Getreidegasse. Nachdem die Turmuhr der Blasiuskirche die zwölfte Stunde ausgeschlagen hat [...] wird aus einem Fenster des zweiten Stockwerkes eine riesige Fahne von Seidenstoff ausgesteckt und das Fahnenschwingen beginnt.“ Adrian beschreibt auch das Aussehen der Fahne,[610] auf der die Jahreszahl 1849 zu erkennen sei. Die „Tracht“ des abgebildeten Metzgers entstamme der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Er hat schwarze Halbschuhe, weiße Strümpfe, eine kurze gemslederne Hose [...] Um die Mitte des Leibes ist der weiße Schurz fatschenartig gewunden, außerdem trägt er den kurzen, roten Spenser mit Metallknöpfen besetzt, eine grüne Weste, [...] auf dem Kopfe hat er die charakteristische grüne Schlägelhaube.“ Das Fahnenschwingen beschreibt er als Schaubrauch, bei dem die Fahne kraft- und kunstvoll geschwungen werden musste; nach einem Ausflug der Metzger nach Hallein oder Grödig sei es am Abend wiederholt worden. Beim Rundtrinken am abendlichen Ball sollen die Schwinger einander mindestens 15 Liter Wein „zugetrunken“ haben. In den letzten Jahren habe man wegen der ansehnlichen Kosten von diesem Brauch abgesehen.[611]
Was Adrian mit dem Fahnenschwingen beschreibt, ist offenbar ein Brauch, der möglicherweise bis zum Ersten Weltkrieg ausgeübt wurde.[612] Für ein Fahnenschwingen vor 1849 (Datum der Fahne) gibt es bisher allerdings keinen Beleg, wie Adrian überhaupt keine Belege für die historischen Zusammenhänge gibt und seine Chronologie unscharf bleibt: Es ist ein Spiel mit der Vergangenheit als in die Gegenwart reichendes Kontinuum.
Mit dem Jahrtag der Metzger sei „in früherer Zeit“ auch der Metzgersprung verbunden gewesen: Der Erzbischof – so Johann Stainhauser in seiner Chronik – habe 1612 das Fest auf den Donnerstag verlegt, da die Gesellen am Aschermittwoch „öffentlich Fleisch gefressen“ haben.[613] Später habe der Brunnensprung am Faschingsmontag am Floriani- oder Marktbrunnen stattgefunden: „Unter Begleitung einer rauschenden Musik zogen in geordneten Reihen die Metzger zum Brunnen, an der Spitze des Zuges der unvermeidliche Lustigmacher Hans Wurst.“[614] Adrians Beschreibung, wie der Zug im 18. Jahrhundert vonstatten gegangen sein soll („im 18. Jh. waren die ...“), folgt einem Aquarell von E. Braun (Salzburger Museum Carolino Augusteum),[615] „wonächst ein Metzger Knecht am Fastnacht Montag zum Marktbrunnen getragen wurde, wo er [...] in den Brunnen springen mußte“.[616]
Am Brunnen angelangt habe sich ein Dialog zwischen dem Altknecht und dem „Lerner“ entwickelt,[617] bevor schließlich die Taufe erfolgte: „Hierauf sprangen die Jungen in den Brunnen und warfen Nüsse unter die Zuschauer“, und wer sich dem Brunnen zu weit näherte, wurde „zum größten Gaudium der Umstehenden“ tüchtig begossen. Nach der Taufe – so Adrian – „steigen die Lehrjungen aus dem Brunnen und man bindet ihnen eine weiße Serviette um den Hals, dann hängt man ihnen einen harten Taler am rotweißen Bande um und der Lehrling ist frei.“ Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts soll der Metzgersprung – nach der Erinnerung manches Graukopfes – noch üblich gewesen sein.[618]
1971 berichteten Maria und Heinrich Wickingen über die Salzburger Metzgerbräuche im Fasching: Die Bräuche standen nun schon im Rang einer bekannten Tatsache, denn als einer der wenigen alten Faschingsbräuche habe sich das Fahnenschwingen erhalten. 1412 hätten bereits die Fleischer in Eger das Privileg zum Fahnenschwingen am Fastnachtsdienstag erhalten, das Salzburger gehe „nach mündlicher Überlieferung“ auf 1512 zurück. Die Salzburger Zunftfahne habe auch später, z. B. 1842 beim Einzug von Fürsterzbischof Schwarzenberg, Verwendung gefunden. „Das Privileg ist so zu verstehen, daß die Metzger neben der Zunftfahne auch eine Kurzstockfahne zum Schwingen und Ausstecken während des Jahrtags verwenden durften, was sich bis zum heutigen Tag erhalten hat.“[619] Auch das „Brunnspringen“ am Faschingsmontag habe sich erhalten: „Das Brunnspringen war ein uralter Brauch, noch von den Pestzeiten her [...] Zum Andenken an das unerschrockene Verhalten während dieser Zeit hat die Metzgerzunft das Recht bekommen, das Brunnspringen abhalten zu können.“ Die Metzger hätten während der Pest die Stadt weiterhin furchtlos mit Fleisch versorgt, und nach den Pestzeiten hätten die Metzger als Erste ihren öffentlichen Umzug abgehalten und die Menschen wieder zum Lachen gebracht.
Das Brunnspringen – und nun greifen die Autoren noch weiter aus – „entstammt nachweislich einer alten Frühlingsfeier“ und sei später in die Fastnacht verlegt worden. Die Beschreibung des Ablaufes folgt ansonsten teilweise wörtlich Adrian, wenngleich der Brauch weiter ausgeschmückt wird: Bevor man dem Lehrling den Taler umhängte, „kam aber ein Mädchen in Salzburger Tracht, meist eine Anverwandte und befestigte ein kleines Büscherl am Rockaufschlag des soeben Freigesprochenen“. Der abendliche Tanz werde deshalb „Büscherl-Tanz“ genannt.
1972 publizierte Karl Zinnburg eine Sammlung „Salzburger Volksbräuche“ und erwies auch den Metzgern seine Referenz: Das Fahnenaushängen werde „bis in die Gegenwart alljährlich am Faschingssonntag geübt“. Der Brauch sei aus dem Egerland eingeführt worden und hätte dann ein dreitägiges, oft recht turbulentes, Faschingstreiben eingeläutet.[620] Zinnburg – „wenn man in der Brauchtumsgeschichte ein wenig nachforscht“ – paraphrasiert weitgehend Adrians Beschreibung und schmückt diese ebenfalls weiter aus. Manche Veränderung liegt nur im Detail: Dem Lehrling wird nun an einem „in den Landesfarben gehaltenen Band“ ein Taler umgehängt. Zinnburg setzt das Verbot des Metzgersprunges auf 1783, im Jahr 1802 sei das Verbot erneuert und auch das Krapfenholen verboten worden; 1804 sei schließlich auch das Fahnenschwingen als „öffentliches Ärgernis“ untersagt worden. Da Zinnburg einerseits keinerlei Belege, andererseits präzise Brauchbeschreibungen bietet, verstärkt er den Eindruck der Kontinuität und lässt Brauch und Tracht als überzeitliche Phänomene aufscheinen.
Belege für einen Metzgersprung vor dem 17. Jahrhundert gibt es bisher nicht, die mündliche Überlieferung zum Fahnenschwingen steht auf kurzen Beinen. Doch woher kommen nun die präzisen Beschreibungen des Brauchs?
Berlepsch hatte in seiner 1851 erschienenen „Chronik vom ehrbaren Metzgergewerk“ Bräuche wie „Von dem großen Wursttragen" und eben auch „Vom Brunnenspringen der Metzger zu München“ behandelt.[621] Noch heute – so Berlepsch 1851 – locke das Brunnenspringen der Metzgerlehrlinge in München alljährlich am Fastnachtsmontag Tausende von Zuschauern an: 1517 habe sich kein Mensch mehr auf die Straße getraut, und als die Pest (das „lange Sterbs“) nachgelassen habe, und Handel und Wandel nicht hätten in Gang kommen wollen, so hätten sich zuerst die Zünfte der Schäffler und Metzger ermannt, „erstere lustig tanzend und Reife schwingend, letztere in komischem Aufzuge mit Musik fröhlich durch die Stadt gezogen und hätten so die Menschen durch den Hebel der Neugierde aus den Häusern gelockt.“ Berlepsch verweist auf eine zweite Version, nach der sich beide Handwerke um die Pestkranken gekümmert haben sollen, daher sei ihnen der Aufzug gestattet worden. Eine dritte Version sehe gar römische Ursprünge, nach Berlepsch ein „gewaltiger historischer Mißgriff“. Schließlich verweise Schmellers Wörterbuch auf die mit dem Aschermittwoch beginnende Enthaltsamkeit vom Fleisch, „indem er gleichsam auf die Fische verweise, die an dem Brunnen feilgehalten würden, bei dem der Hauptaktus des Festes stattfindet.“
Berlepsch gibt nun eine Beschreibung des Metzgersprunges, der Taufe der freizusprechenden Lehrjungen: Bereits 14 Tage vor dem Faschingssonntag werde auf der Herberge beraten und vorbereitet, und: „Abends wird sodann der Büscheltanz gehalten, so genannt von den Büscheln oder Blumensträußen, welche die Metzgerknechte von ihren Mädchen bekommen.“ Nach dem Gottesdienst aller Zunftgenossen am Fastnachtsmontag in der St. Peterskirche setzte sich der Zug in Bewegung, voran ein Musikkorps, „diesem folgen reitend zwei kleine Meistersöhnchen [...]. Sodann kommen die Lehrjungen, die freigesprochen werden sollen, alle neu gekleidet, in schwarzen Hosen, rothen Westen und Jänkern, [...] Nun kommen die sämmtlichen Metzgerknechte (Gesellen) zu Fuß in sonntäglicher Kleidung, die Hüte ebenfalls mit Bändern und Blumen geziert, und wie die Lehrbuben Sträuße in den Händen. Einst erschienen die Theilnehmer des Festes in hellblauen Mänteln [...]; aber jetzt hat nur noch der Altgeselle, der die Buben freispricht, die herkömmliche Tracht [...] geschmückt mit dem altmodischen, langen, rothen Rocke reich mit Silberborten besetzt, einer dazu passenden altfränkischen Weste, über die rechte Schulter ein breites Bandelier mit einem Degen, auf dem Kopfe einen dreieckigen Hut. Ihm zunächst folgen die Kannen- und Willkomm-Träger, worauf die Beimeister endlich den Zug schließen.“[622] Beim Fischbrunnen angelangt, kleiden sich die Lehrlinge in „enganliegende, ziemlich wasserdichte und wohlverschlossene Schafspelze, die emblematisch um und um mit Lämmer- und Kalbsschwänzeln geziert sind.“ Den feierlichen Akt der Taufe nimmt der Altgeselle vor, wobei er zunächst mit dem Lehrling einen Dialog führt. Dann springen die Freigesprochenen in den Brunnen und werfen Nüsse unter das Volk, das hierdurch mit ins Spiel gezogen wird, denn wer dem Brunnen zu nahe kommt, wird bespritzt. Die Lehrbuben steigen nun als Gesellen aus dem Brunnen, und jedem wird von seinem Paten eine weiße Serviette um den Hals gebunden und darauf ein rotes Band [sic!] mit goldenen und silbernen Schaumünzen befestigt. Nach der Taufzeremonie finde dann am Abend der Ball statt.
Der Metzgersprung – so Berlepsch – sei im letzten Jahrhundert auch in Tölz vorgekommen und verwandt damit sei das Prellen oder Schnellen der Metzgerjungen in Kempten. Betrachtet man nun „diese aus alter grauer Zeit herstammenden Volkssitten“, so handele es sich um ähnliche Zeremonien wie beim Schleifen, d. h. beim Freisprechen der Lehrjungen in anderen Handwerken.[623]
Wir können festhalten, dass auch Berlepsch kaum Quellenhinweise gibt; seine historischen Ausführungen sind jedenfalls ungesichert. Es entsteht der Eindruck, dass Berlepsch hier eher ein zeitgenössisches Zeremoniell beschreibt. Deutlich wird jedenfalls, dass Adrians Darstellung und Brauchbeschreibung (wenngleich auch nicht direkt) auf Berlepsch zurückzuführen ist. Adrian griff offenbar auf „Das festliche Jahr“ von Reinsberg-Düringsfeld zurück, der Berlepsch weitgehend folgt und z. B. den Dialog zwischen Altgeselle und Lehrling nahezu wörtlich wiedergibt.[624]
Berlepsch diente in der Folge auch Potthoff als Hauptquelle: In „Illustrierte Geschichte des Deutschen Fleischerhandwerks“ (1927) und in seiner „Kulturgeschichte des deutschen Handwerks“ (1938) stützte er sich wiederum wörtlich auf Berlepsch und modifizierte nur in der Interpretation.[625] Er folgt Berlepsch in der Beschreibung des angeblich erstmals 1426 in München am Fasching veranstalteten Metzgersprungs in allen Einzelheiten. Während Berlepsch diesen jedoch als Schleifbrauch bei der Freisprechung bzw. als Passageritus interpretierte, so gibt Potthoff eine andere Deutung: Der Metzgersprung sei „sicherlich ein Überbleibsel der altgermanischen Frühlingsfeste, was auch durch den Zeitpunkt seiner Veranstaltung im Vorfrühling bestätigt erscheint“.[626]
Stellen wir nun „diese aus alter grauer Zeit herstammenden Volkssitten“ in München auf den Prüfstand: Kramer hat 1958 darauf hingewiesen, Metzgersprung und Schäfflertanz seien immer wieder beschrieben worden, „ohne [...] die Kenntnis von ihrer realen Vergangenheit [...] gestützt auf angeblich vorhanden gewesene aber verlorengegangene Urkunden“.[627] Der erste urkundliche Beleg für den Schäfflertanz datiere von 1683 und entspreche nicht gerade den Ansichten vom „unvordenklichen Alter“: „Größeres Dunkel noch als über der Vergangenheit des Schäfflertanzes liegt über der des Metzgersprungs. Ein archivalischer Nachweis liegt bisher nicht vor. Berichterstatter aus dem ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert sprechen von ihm als von einem seit eh und je bestehenden Brauch [...].“[628]
Für das Salzburger Fahnenschwingen fehlt es bisher an Belegen: Der locus classicus ist Reinsberg-Düringsfeld (1863). Er beschreibt das Umführen eines schön geschmückten Ochsen am Faschingssonntag durch die Straßen der Stadt Salzburg bis zum Gasthof zum Ochsen, wo dann vom dritten Stock aus „eine ungeheure weißseidene Fahne, welche fast bis zum Boden herabreicht und das Bild eines Ochsen zeigt, unter Musik und lautem Jubel eine ganze Stunde lang geschwungen wird. Dieses Schwingen wiederholt sich zur selben Stunde an den beiden folgenden Tagen, und so lange die Fahne zum Fenster heraushängt, wird geschmaust, getrunken und getanzt.“[629]
In Eger, wo das Fahnenschwingen angeblich hundert Jahre früher (1412) als in Salzburg (1512) eingesetzt haben soll, wurde es 1886 wieder „belebt“ und alle fünf Jahre aufgeführt. Vorher hatte es offenbar schon 1832 und 1866 stattgefunden. Der „kernige Inhalt“ des Festes – so John – sei geblieben, „es findet noch ein mannhaftes deutsches Bürgergeschlecht, und wuchtige Fäuste, welche die alte Fahne der Vorfahren noch heute am Marktplatz schwingen, es findet noch einen gesunden Geist im Bürgertume, der die stolzen Ueberlieferungen der ehemals freien deutschen Reichsstadt Eger hoch hält.“ Keine zweite Stadt „im deutschen Böhmen“ könne sich eines solchen Zunftfestes berühmen,[630] und Eger habe gezeigt, „wie ein alter Zunftbrauch auch in unseren Tagen noch unter Massenbeteiligung der Bevölkerung aus Stadt und Land eine glänzende Auferstehung feiern kann“.[631]
John konnte die Linie zunächst nur bis 1832 verlängern[632], die lange Linie bis 1412 blieb Siegl vorbehalten: Von all den alten Gebräuchen habe sich nur das Fahnenschwingen bis auf den heutigen Tag erhalten. Die Genossenschaft habe das Verdienst, „an einer uralten Erbschaft ihrer Zunft festgehalten und dieses Recht mit kurzen Unterbrechungen bis auf unsere Tage ausgeübt zu haben.“ „Nach der Tradition und einzelnen Aufzeichnungen der Chronisten reicht diese Übung bis in das Jahr 1412 zurück. Ihre Herkunft ist eine verbürgt historische.“[633] Siegl beschreibt dann ausführlich mit Abbildung mehrerer Urkunden die Vorgänge um die Erstürmung der Burgen Graslitz und Neuhaus, bei denen sich die Fleischhauer „nach mündlicher Überlieferung“ ganz besonders hervorgetan hätten. Als Auszeichnung habe der Rat ihnen das Ehrenprivileg des Fahnenschwingens verliehen, d. h. zur Fastnacht die Zunftfahne vor das Haus des Zunftmeisters zu hängen und sie unter „Drumpetenschall“ neunmal schwingen zu dürfen.[634] Der Brauch wird entsprechend ausgeschmückt: „Zu diesem Ehrentage wurden nun auch Ehrenfräulein geladen“, die ihren Führern ein Präsent verehrten. Noch im Jahre 1547 habe der Senat zu dieser Feier jedes Mal 30 Groschen Trinkgeld angewiesen und eine Mahlzeit ausgerichtet. „Das den Metzgern und Tuchmachern verliehene Privileg wurde stets in den Zunftladen verwahrt, ist jedoch bei einem der vielen Brände mit samt den Laden leider verloren gegangen. Die Ausübung des alten Ehrenprivilegs aber hat sich bis zum heutigen Tage erhalten.“[635]
Diese Grundsteinlegung blieb nicht unwidersprochen: Sieber monierte, dass der Nachweis nicht geführt werden konnte – bezeichnenderweise sollen die Privilegien bei einem der vielen Brände mit der Lade verloren gegangen sein.[636] Das Fahnenschwingen als Gesellenbelustigung sei im Übrigen bekannt und weitverbreitet gewesen, mitunter auch kunstvoll vorgeführt worden. Sieber nennt nun als Beispiel – mit Verweis auf Adrian (1905) – Salzburg: „Die Salzburger Metzger hingen zu Fastnacht ihre Fahne, 3 Meter lang und 2 Meter breit [...] aus. [...] Derlei Kraftproben der Jungmannschaft sind uralt.“[637] Damit war das Salzburger Fahnenschwingen akzeptiert, während Sieber mit Eger kritischer umging: Sieber schloss nicht aus, dass die Fleischergesellen schon vor 1412 ihre Belustigungen gehabt haben könnten, doch deren „Verknüpfung mit der Historie der Fehde gegen Neuhaus und Graslitz dürfte demnach eine Zunftsage sein“.[638] Sieber betonte, solche Zunftsagen seien sehr häufig und knüpften an ähnliche Ereignisse an wie die Sage der Egerer Fleischer: Die Augsburger Weber hätten bei der Schlacht auf dem Lechfeld (955) besonders tapfer gekämpft und von Otto I. eine besondere Fahne und die Erlaubnis zu festlichen Umzügen verliehen bekommen, die Münchner Bäcker hätten die Schlacht bei Mühldorf (1322) für Ludwig IV. den Bayern entschieden, ebenso führten die Münchner Schuster ihren Tänzeltag auf ein Privileg Kaiser Ludwigs zurück. Die Tuchmacher von Iglau beriefen sich auf ein kaiserliches Dekret von 1357, das ihnen eine Fahne zuerkannte, und auch das Nürnberger Schembartlaufen soll Karl IV. verliehen haben. Vielfach hätten die Türkenkriege Anlass zu Zunftsagen gegeben: Bei der Belagerung Wiens durch die Türken 1683 soll ein Lehrjunge der Bäcker in Wien ein Pochen vernommen und eine Türkenmine entdeckt haben, so dass er als Retter Wiens galt. Die Bäcker in Wien, Bayreuth, Münster i. W., Calw und Dresden, überall dort soll er geboren sein, leiteten daraus verschiedene Privilegien ab. „Diese Dokumente, gibt man kleinlaut zu, seien bei einem Brande vernichtet worden [...].“[639]
Neben der Pest – wie z. B. beim Münchner Schäfflertanz – spiele in den Zunftsagen auch die Ratstreue eine große Rolle: Die Luzerner Metzgergesellen hätten in der „Mordnacht“ 1333 den Rat vor einer Verschwörung bewahrt, Ähnliches werde aus Zürich für 1350 berichtet, weshalb die Metzger mit einem Umzug privilegiert worden seien. Diese Zunftsagen könnten leicht vermehrt werden, doch es sei eben deutlich, „wie zweifelhaft es um derartige Privilegien, Ehrenrechte und Auszeichnungen steht“, daher – so Sieber –„scheint es mir erlaubt, auch die Erzählung von den Heldentaten der Fleischer und Tuchmacher zu Eger in das Reich der Sage zu verweisen“.[640].
Nach der harten und präzisen Quellenkritik erstaunt es schließlich, dass Sieber nun einen „Zusammenhang mit alten Kulthandlungen“ herstellt: Die Gesellen hätten diese Bräuche zäh erhalten, eigenartig ausgestaltet und die Sagenmotive verschleppt. Er wolle „dem alljährlich noch gefeierten Fahnenschwingen in Eger nichts von seinem Nimbus rauben“, – im Gegenteil „wird diese Kraftprobe doch geradezu als ein Rest altgermanischer Jünglingsspiele gekennzeichnet“.[641] Damit hatte Sieber seine Quellenkritik selbst neutralisiert, indem er eine noch längere Kontinuität herstellte!
Die Quellenkritik Siebers blieb fruchtlos, und Siegls (bei Reinsberg-Düringsfeld vorgezeichnete) Grundsteinlegung war nicht zu erschüttern und fand bereitwillig Eingang in die Literatur. Potthoff übernahm Siegl wörtlich und verwies auf das 1912 gefeierte 500-jährige Jubiläum dieses Privilegs durch die Egerer Fleischergenossenschaft.[642] Nur Siebers Verbindung zu den altgermanischen Jünglingsspielen wurde in der Folge aufgenommen: Potthoff wollte denn auch „eher noch ein Überbleibsel der altgermanischen Frühlingsfeste“ erkennen.[643]
Fahnenschwingen und Metzgersprung hatten also weitere willkommene Aufnahme in die Fachliteratur gefunden und feierten nun auch ihren Einzug in die Handbücher: Im „Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens“ kommen für Jungwirth Umdeutungen einstiger Fruchtbarkeitsriten auch für den Münchner und Salzburger Metzgersprung in Betracht. Beim Metzgersprung trete zum Fruchtbarkeitszauber noch die Einweihungszeremonie hinzu. Der Metzgersprung als auch das Fahnenschwingen „hat einen ... in den Fruchtbarkeitszauber zurückreichenden Sinn gehabt“, ansonsten wird auf Karl Adrian verwiesen. Nun wird die Gegenwart zum Beleg für die Vergangenheit: „Das einst weiter verbreitete Fahnenschwingen wird noch jetzt in Eger und Salzburg geübt.“[644]
Im „Wörterbuch der Deutschen Volkskunde“ ließ man sich die alten Bräuche nicht nehmen: „In Eger haben seit 1412 die Metzger das Privileg, am Fastnachtsdienstag ein F. abzuhalten.“[645] Auch der Metzgersprung – Kramer hatte ja das unvordenkliche Alter in Frage gestellt – wurde in den Handbüchern weiter gefeiert und Kontinuität bescheinigt: „In München fand er bis 1896 alljährlich, später alle drei Jahre am Faschingsmontag statt. 1928 gab es eine ‚Jubiläumswiederholung‘. 1358 zuerst meldet die Stadtchronik vom Pfichtsprung der M.lehrlinge in den Fischbrunnen am Eiermarkt, von einem festl. Zug zum Brunnen mit herzogl. Genehmigung hören wir 1426.“ Die Beschreibung folgt wiederum Berlepsch (modifiziert durch Meyer). Veränderungen des Zeremoniells ergeben sich nur im Detail: Das rote (in Salzburg dann rot-weiße) Band erfährt einen nicht unbedeutenden Farbwechsel, denn „jeder der ‚Getauften‘ [wird] mit weißem Halstuch und mit silbernen und vergoldeten Schaumünzen an blauem Band“ [sic!] geschmückt“.[646]
Es war schließlich nur konsequent, dass die solcherart verlängerten Brauchtumsphänomene nun auch in die Literatur zur Fastnacht Eingang fanden: Zum historischen fasnächtlichen Treiben gehört mitunter schon ein „Nürnberger Metzgersprung“,[647] und das Egerer und Salzburger Fahnenschwingen waren aus der „verkehrten Welt“ nicht mehr wegzudenken.[648]
Wir können also resümieren: Der für den Metzgersprung ins Feld geführte Erstbeleg erweist sich als fragwürdig – Belege gibt es bisher nur für das 17. und 18. Jahrhundert. Das Fahnenschwingen in Eger und in Salzburg sind offenbar völlige Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts, eine Kontinuität besteht in keinem Falle.
Wie sieht es mit dem ehrwürdigen Alter und der Tradition des Salzburger Küfertanzes aus? Adrian rechnete 1924 den Reiftanz zu den Volksspielen der Halleiner, die sich bis ans Ende des 18. Jahrhunderts erhalten hätten: Die Halleiner Küfer hätten vom Fürsten das Vorrecht erhalten, alle sieben Jahre in der Landeshauptstadt den Reiftanz aufführen zu dürfen.[649]
Zinnburg reiht den Reif- oder Küfertanz (Adrian folgend) in die altehrwürdigen Bräuche ein: In der Pestzeit hätten die mutigen Küfer ihren Tanz auf Straßen und Plätzen aufgeführt, um die Bürger auf die Straße zu locken. Seine Ursprünge lägen im 15. Jahrhundert, im 18. Jahrhundert sei er in Vergessenheit geraten. Erst 1924 habe ihn Schulrat Adrian wieder ins Leben gerufen, 1946 sei er wieder aufgeführt worden – letztmalig dann am 1. Mai 1966 aus Anlass der 150-jährigen Zugehörigkeit Salzburgs zu Österreich auf dem Residenzplatz vor Bundespräsident Jonas, Bundeskanzler Dr. Klaus und Landeshauptmann DDr. Lechner sowie zahlreichen geladenen Gästen und Zuschauern.[650]
Zwei Ergänzungen sind zunächst anzubringen: Johler und Nikitsch haben die Neubelebung näher beleuchtet: 1924 hat Adrian den Fassbinder- oder Küfertanz in historischen Kostümen am Kapitelplatz wieder eingeführt, wobei der Tanz durch den Obmann der Münchner Schäfflerinnung und einen Ballettmeister einstudiert „und durch stete Übung befestigt“ wurde.[651] Für das Zeremoniell hat also München Pate gestanden, doch auch dort hatte der Schäfflertanz kein „unvordenkliches“ hohes Alter. Lokalhistoriker führten den Schäfflertanz zwar auf das Pestjahr 1517 bzw. 1350 oder 1463 zurück, Kramer weist auf 1683 hin, Kapfhammer sieht einen ersten archivalischen Beleg für den Schäfflertanz erst für 1702.[652]
In der Zeit nach 1924 wurde er nicht erst 1946 – wie Adrian schreibt – wieder aufgeführt: Bei der Übernahme der Feste Hohensalzburg in das Eigentum des Gaues Salzburg, am 23. August 1942, wurde ein Brauchtumsfest abgehalten, dessen Organisation in den Händen des Gaubeauftragten Kuno Brandauer lag, bei dem auch die „Küfertänzer“ mitwirkten.[653] Im Rahmen der „Salzburger Heimatwoche“ 1943 wurde der Küfertanz wieder aufgeführt: Gauleiter Dr. Scheel hatte aufgerufen, sich „einmütig und geschlossen zum Heimatgedanken [zu] bekennen“: „In der Salzburger Heimatwoche wollen wir den Männern an der Front beweisen, daß gerade im Kriege die besten Güter der Heimat ihren Wert erhalten“.[654] Die „Salzburger Zeitung“ berichtete unter dem Titel „Sieghaftes Brauchtum – Historischer Küfertanz auf dem Kapitelplatz“: Vom Hof der Residenz aus war der Fackelzug der Küfer ausgezogen, voran die Maxglaner Trachtenkapelle. „Mit Vers und Reim nach gutem Brauch“ eröffnete der Obmann der Binder-Tanzgruppe den Tanz bis hin zum großen Reifenschwingen „mit dem Hoch auf den Gauleiter“. Der Meister richtete zum Abschluss mit dem Spruch den „Dank an den Gauleiter für die Wiederbelebung des schönen alten Brauches“ und gab dem Wunsch Ausdruck, „es möge auch heute der Heimatbrauch die Gemüter erheben zum Heile unserer schönen, herrlichen Salzburger Heimat.“[655] Der Küfertanz war damit als „Heimatbrauch“ in das Repertoire der nationalsozialistischen „Brauchtumspflege“ eingegliedert und zum Propagandainstrument geworden: Der Aktivismus an der Heimatfront vollzog sich auf dem Hintergrund der „Kriegswende“. Das „siegreiche Brauchtum“ sollte den Feinden den Durchhaltewillen der inneren Front beweisen.[656]
1946 wurden in den Heimatfestwochen auch historische Schützen- und Küfertänze präsentiert. Das Programm startete im Chiemseehof mit dem „Siebenjahr-Tanz“ der Salzburger Küferzunft, „mit dem Faschingstanz des Vergessens, der Flucht aus der ‚Pestzeit‘ in die glückliche Zeit der Ahnen.“[657] Die „Salzburger Nachrichten“ erinnerten an den „uralten Brauch“, der ins 15. Jahrhundert zurückreiche. Die Küfer hätten in der Pestzeit den Tanz aufgeführt und die Menschen wieder froh gemacht. Die Binder hätten alle sieben Jahre diesen Tanz aufführen dürfen, „oder wie es hieß, ihr ‚unfürdenkliches Zeremoniell zu erneuern‘“.[658] Das „unfürdenkliche Zeremoniell“ sollte nochmals erneuert werden, als 1966 auf dem Residenzplatz aus Anlass der 150-jährigen Zugehörigkeit Salzburgs zu Österreich der Küfertanz – als Heimatbrauchtum? – vorgeführt wurde.
Ziehen wir ein kurzes Fazit, so ist augenscheinlich, dass der Umgang mit Bräuchen ein schwieriger ist, da die „alten Zöpfe“ offenbar so alt gar nicht sind oder gar neue Zöpfe als alte ausgegeben werden. Für die Kulturarbeit und die Ausübung von Bräuchen ist dies dann kein Problem, wenn sie nicht als „uralte“, „echte“ und einzig „richtige“ ausgegeben werden, und wenn sie „dem heutigen Wissensstand nicht entzogen werden und tatsächlichen Bedürfnissen der Trägergruppe entsprechen.“ Man muss sich also, was für die Brauchforschung im Allgemeinen gilt, auch in diesem Fall der Wahrheit des Konstruktes stellen. Nicht „alles was man pflegt, ist das uralte Erbe der Väter“ und kann als jahrhundertelange Überlieferung betrachtet werden.[659]
Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Bräuchen sind die Konsequenzen weitreichender, denn bei der Rekonstruktion der kulturellen Repräsentation des Handwerks im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit müssen wir zunächst einmal akzeptieren, dass uns der Blick durch die „Neuschöpfungen“ verstellt oder zumindest durch die Neuschöpfungen mit geprägt worden ist. Wir haben es hier mit erfundenen Traditionen (invented traditions) zu tun,[660] die allerdings mehr über die Schöpfer und ihre Zeit aussagen, als über den Gegenstand selbst.
Hobsbawm versteht die erfundenen Traditionen als Antworten auf neue Situationen, die die Gestalt eines Bezuges auf alte Situationen annehmen und sich mittels Wiederholung ihre eigene Vergangenheit schaffen. „Es ist der Gegensatz zwischen der sich ständig wandelnden und erneuernden modernen Welt und dem Versuch, wenigstens einige Teile ihres gesellschaftlichen Lebens als unwandelbar und unveränderlich zu gestalten, der das Erfinden von Traditionen so interessant macht [...].“[661] Seit der Romantik habe es Bewegungen zur Verteidigung und Wiederbelebung von Traditionen gegeben, die „Reservate oder isolierte Winkel eines archaischen Lebens“ geschaffen hätten. Hobsbawm unterscheidet nun bei den erfundenen Traditionen drei sich überschneidende Typen:
die den Zusammenhalt in Gruppen oder künstlichen Gemeinschaften herstellen und symbolisieren,
die Status und Machtverhältnisse erzeugen und legitimieren und
die der Sozialisation, der Einschärfung bestimmter Vorstellungen, Wertesysteme und Verhaltenskonventionen dienen.
Lassen wir die geschilderten Bräuche nochmals Revue passieren, so ist auffällig, dass sie als „Zunftbräuche“ erneuert wurden. In der frühen Neuzeit wurden insbesondere Fastnachtsbräuche (Metzgersprung und Reiftanz) von den Gesellen getragen, während im 19. Jahrhundert Bräuche – mit dem Verweis auf die Tradition – nun als Zunftbrauch vollzogen wurden.[663] Die eigene kulturelle Repräsentation der Gesellen wurde zwar in den Neuschöpfungen nicht aufgehoben, doch schrittweise eingeebnet, denn im 20. Jahrhundert ist z. B. beim Reiftanz von einem originären „Brauchtum“ der Gesellen gar nicht mehr die Rede. Die Zunft wurde der Öffentlichkeit als „Gemeinschaft“ präsentiert, und die Teilnahme der jungen Meistersöhne (zwischen den Gesellen und den Meistersöhnen verlief immer eine deutliche Konfliktlinie in der Gesellenschaft) legitimierte auch in der Öffentlichkeit die Vorrechte der Meistersöhne. Zur Demonstration der Einheit von Zunft und Familie gehörte auch die Einbeziehung der Ehrenfräulein („eine Anverwandte“) und ihrer „Führer“. Die einstigen Gesellenbräuche wurden nun von zwei Seiten beansprucht: der Kulturhistoriker Karl Lamprecht z. B. sah in den (historischen) Handwerksbräuchen „Kundgebungen proletarischer Solidarität“,[664] andererseits wurde die Einheit der Zunft beschworen.
Aus dem Gesellenbrauch wird schließlich auch ein Heimatbrauch: Für die Deutschen in Böhmen ist er eine Erinnerung an die „ruhmvolle Vergangenheit“ der freien Reichsstadt. Im Ersten Weltkrieg wird aus dem Fahnenschwingen ein „echter deutscher Zunftbrauch“ und der Heimatschutz macht daraus ein „Heimgut“, das mit schonender Hand veredelt und mit einer Tracht ausgestattet wird: Das importierte Zeremoniell wird im konkreten Fall zu einem „Salzburger Brauch“, der Taler hängt an einem Band in den Landesfarben, Mädchen in Salzburger Tracht assistieren. Im Zweiten Weltkrieg wird aus dem Küfertanz ein „siegreiches Brauchtum“ der Heimatfront, das in die politische Festkultur eingebunden wird! Der Reiftanz – früher ein Brauch der Gesellen – wird ebenfalls als Heimatbrauch funktionalisiert. Diese Einvernahme als Heimatbrauch ist insofern widersprüchlich, als die Salzburger Fassbindergesellen ja überwiegend nicht aus Salzburg kamen,[665] und der Reiftanz auch in anderen Städten üblich war.[666] Daraus einen Heimatbrauch zu konstruieren, stellt angesichts der hohen Bedeutung der Migration für den Arbeitsmarkt eine gewagte Konstruktion dar,[667] denn zahlreiche Phänomene wird man nur zureichend auf dem Hintergrund der Arbeitsmigration erklären können.[668]
Ein weiterer Grundzug der erneuerten Bräuche des 19. und 20. Jahrhunderts ist die starke Formalisierung bis hin zur Militarisierung: Nach der Aufhebung der Gesellenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Verbandssymbole (Lade, Willkomm etc.) großteils eingezogen oder sie waren mitunter vorher schon von den Gesellenschaften veräußert worden. Fischer weist darauf hin, dass die wieder gegründeten handwerklichen Zusammenschlüsse „sich bald auch wieder Symbole schufen, unter denen dann allerdings nicht mehr Rolle und Lade, sondern die Fahne an erster Stelle stand.“[669] Das Mitführen einer Fahne und auch das Fahnenschwingen sind zwar durchaus belegt, doch war das Fahnenschwingen in den Umzug integriert und wurde nur von einzelnen Gesellen vorgeführt.[670] Ein sicherer Beleg für das Fahnenschwingen liegt aus Nürnberg vor: Anlässlich des Umzuges zur Erneuerung des Herbergsschildes hatten die Zimmerer die Absicht, einen Umzug zu halten und baten, „da einige in der Gesellschaft vorhanden, welche sich gerne in Schwingung de Fahne hirbey zeigen möchten, das sämtliche Handwerk dannenhero auch dieses wünschet, daß selbigen dieses Exercitium mit der Fahne, sowohl zu ihrem eigenen als auch der hiesigen Bürgere und übrigen Zuschauer Vergnügen, gnädig zugestanden werden mögte.“[671] Vor dem Umzug der Hamburger Tischlergesellen 1775 hatte ein „Fahn-Spieler-Meister“ gegen Bezahlung zwei Gesellen Unterricht im Fahnenschwenken gegeben.[672]
Ein letzter Aspekt der Braucherneuerung sei noch angesprochen: die Brauchveredelung. In der Beschreibung der Salzburger Bräuche bei Reinsberg-Düringsfeld (1863) wird auch das Umführen eines schön geschmückten Ochsen am Faschingssonntag durch die Straßen der Stadt Salzburg erwähnt. Adrian übernimmt die Informationen von Reinsberg-Düringsfeld durchweg, doch das Umführen des Ochsen erwähnt er nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass Adrian diesen Brauch nicht aufgreifen und auch nicht veredeln wollte. Das Umführen des Ochsen, ein Heischebrauch der Gesellen, der mit seinen Auswüchsen auch den Obrigkeiten in der frühen Neuzeit zunehmend ein Dorn im Auge war,[673] erschien ihm offenbar zu plebejisch. Nur was sich in die bürgerlichen Ordnungsvorstellungen fügte, erschien offenbar überlieferungs- und erneuerungswürdig. Ein schönes Beispiel dafür bietet auch der „Isengrind“ der Zürcher Metzger: Dem Aschermittwochsumzug der Zürcher Metzger, der auf Heischebräuche zurückgeführt wird, wurde schon 1574 ein falscher Sinn untergeschoben, und er wurde als obrigkeitlich verliehene Auszeichnung für das tapfere Verhalten in der Mordnacht von 1350 missgedeutet. Diese Fehlinterpretation – so Helfenstein – sei geeignet gewesen, „den in manchen Stücken als anstößig empfundenen Brauch von seinen vermeintlichen Entartungen zu befreien und ihn als ehrbar-patriotische Veranstaltung gleichsam stubenrein zu machen.“ 1728 sei der letzte Umzug durchgeführt worden, doch 1959 wurde er wieder erneuert: „Von der alten Unbändigkeit ist dabei freilich wenig mehr zu spüren; nach glaubhaftem Bericht soll ein Festordner den diesjährigen Umzug [1962] mit dem munteren Zuruf ‚Aber dänn diszipliniert!‘ in Marsch gesetzt haben […]“[674]
Damit sind wir schließlich bei den Konsequenzen und Perspektiven für die Erforschung der kulturellen Repräsentation des Handwerks angelangt, die hier in aller Kürze auf die Aspekte Entmythologisierung und Kontextualisierung konzentriert werden sollen.
Entmythologisierung der Tradition bedeutet dabei, dass Bräuche keine Phänomene sind, die man aufgrund ihres ehrwürdigen Alters oder ihrer langen Tradition gar nicht belegen muss. Die mündliche Überlieferung über längere Zeiträume ist fragwürdig, ebenso „die Beobachtung des heutigen Handwerkers“ als Primärquelle nutzen zu wollen.[675] Die Kontinuität der Tradition muss sich erst erweisen. Grabbe verweist am Beispiel Nürnberg auf situations- und zeitbedingte Gestaltungsfreude, Improvisation und Wandlungsfähigkeit, so dass „jeder Versuch genaue Bestimmungen seines Vollzuges zu entwerfen, mißlungen wäre“.[676] Bilddarstellungen inszenieren in der Regel eine Ordnung, die zumindest in den Ratsprotokollen kein Gegenstück findet: Das gilt sowohl für die in Kupfer gestochenen barocken Umzüge als auch für spätere Darstellungen, wie z. B. die wahrscheinlich von Karl Adrian veranlasste Darstellung des Metzgersprunges um 1900 des Salzburger Bürgerschul-Fachlehrers J. Braun.[677] Die Bewilligung der Umzüge der Gesellen wurde häufig – wie z. B. in Augsburg – mit der Auflage versehen, die Gesellen sollten den Zug in aller Bescheidenheit vornehmen und weder „in Uncosten noch in Aufführung einigen Exceß begehen“,[678] in Innsbruck wurde den Metzgergesellen untersagt, „ehrliche Leute auf die Stangen zu setzen“,[679] und der Umzug der Hamburger Tischlergesellen von 1775 wurde zur Aufrechterhaltung der Ordnung immerhin von 60 Soldaten eskortiert.[680]
Kein Zweifel, die frühe Neuzeit war reich an Bräuchen, dennoch lassen sich intensivere Phasen unterscheiden, und die Bräuche wurden keineswegs kontinuierlich ausgeübt: Hier sollte man sich durch das Argument der Gesellen („von alters her“), das sie häufig den Obrigkeiten gegenüber vorbrachten, nicht täuschen lassen: Wenn 1672 die Augsburger Kistlergesellen um Bewilligung ihres „von Alters her gewöhnlichen Handwerksumzuges“ supplizierten, so dürfte doch ein erster kaum vor 1616 stattgefunden haben.[681] Lenhardt betont, dass die Umzüge der Frankfurter Schreinergesellen zu Beginn des 17. Jahrhunderts in dichter Folge belegt seien, später eher „in barockem Schwulst“ vollzogen worden seien – der letzte Schreinerumzug habe 1744 stattgefunden.[682] Manche Bräuche wurden nur sehr sporadisch ausgeübt: Die Nürnberger Rotschmiede baten z. B. um Erlaubnis ihres Lichtbrauches, da sie befürchteten, er könne dem Handwerk nicht mehr erinnerlich sein: „Es seynd 26 Jahr verstrichen, daß von den Rothschmied handwerck die Lichter nicht mehr ins Wasser getragen worden und also mancher meister und Gesell wie es ehedeme damit hergegangen nicht weiß und folgelich denen Posteris gar aus dem Gedächtnis kommen [...].“[683] Die Augsburger Bäcker wollten 1731 mit den Webern einen Zug halten, dergleichen „schon mit 70 Jahren nicht mehr geschehen“, die Augsburger Mahlmüller hofften 1735 auf das Einverständnis des Handwerksgerichts für ihren öffentlichen Aufzug, „weil dieses doch in hundert Jahren nicht geschehen“.[684]
Umzüge in denen man sich stolz der Öffentlichkeit präsentieren wollte, wurden lange vorbereitet, so z. B. wenn die Augsburger Kistlergesellen 1616 „mit unsern Handwerkhs werkh Zeug, in gefärbten Kleidern, Federn, Feldbinden, alles vom Hobel ufs Zierlichist Zugericht“ aufzogen, die Kistlergesellen 1618 in Regensburg ein zweistündiges Feuerwerk abbrannten,[685] die Bamberger Schreinergesellen 1732 bei ihrem Umzug anlässlich des Herbergswechsels eine Fahne aus gefärbten Hobelspänen mitführten oder die Augsburger Kistlervorgeher 1732 um die Erlaubnis zu einem Zug baten, „wozu die Gesellen schon verschiedenes arbeiteten“.[686] Andere Bräuche ergaben sich offenbar spontan (und ebenfalls in größeren Abständen): 1615 nahmen die Nürnberger Schustergesellen den seit Jahren nicht mehr geübten Brauch – „solches war in 20 Jahren den nechsten nicht geschehen“ – des gemeinsamen Bades wieder auf und veranstalteten einen Umzug: „Sind sie [Schustergesellen] lustig worden und ihrer bey 40 zu irem Vatter, Lienhart Braun, Bader im Zacharias Bad, geschickt und die Bad Mändtel und Badhüt begert, der ihnen dieselben auch geschickt. Darauf sind sie von irer Herberg unter dem weissen Thurn auß in weisen Bad Mänteln und Badhüten mit Trummeln und Pfeifen uber den Kornmarck [...] und also zum Zacharas Bader ins Bad gangen; da etliche gebadet, etliche aber unter des mit irem Vatter gedruncken. Nach dem Bade sind sie [...] also widerumb uf ire Herberg gezogen.“[687]
Der Fundus an Bräuchen gibt zahlreiche Hinweise auf den Wandel der Formen der kulturellen Repräsentation der Gesellen, die ein feststehendes Zeremoniell bzw. eine Kontinuität über die Jahrhunderte in Frage stellen. Nehmen wir als Beispiel nochmals die Metzger, die in der Fastnacht grundsätzlich eine Sonderstellung einnahmen. Moser betont, dass sich im 16. Jahrhundert zwei Brauchformen bzw. -typen deutlich abzeichnen:
das Prellen oder Schnellen eines vermummten Lehrjungen auf einer Rindshaut als Schaubrauch bei der Gesellenaufnahme (wie z. B. in Zwickau 1518 vor dem Kurfürsten oder in Kempten ab 1525 alljährlich am Aschermittwoch vor dem Abt des Stifts) und
das Umführen, Jagen oder Stechen eines Rinds in Verbindung mit Umzügen und Heischegängen, als „Metzgerkalb“, „Kalbshetzen“ oder „Metzgerstechen“ bezeichnet.[688]
Schon im 15. Jahrhundert hatten sich die Heischebräuche ausgebreitet, wobei das Küchleinholen oder Krapfenholen vor allem im Bayerischen bezeugt ist,[689] im Niederdeutschen dagegen heischte man Würste.[690] Mit Blick auf den späteren „Metzgersprung“ sind auch die Formen der Nötigung in der Fastnacht interessant: Neben dem Gefangennehmen und Binden ist im oberdeutschen Raum mehrfach der Brauch überliefert, jemanden in ein Gewässer zu tragen oder in einen Brunntrog zu tauchen: In Basel sollten die Handwerksknechte – so ein Mandat von 1436 – „an der Eschermittwochen nit einander ze trengen ze zehren und in Brunnen ze werffen“ oder 1442 „in brunnen ze tragen“. In Bern untersagte der Rat 1480, „der mezger unsinnig umloufen“, in München erging 1483 ein öffentlicher Ausruf zur Fastnacht, „daß man niemandt in den prunnen werff“, und 1496 konkreter, „daß man am aschermittichen in [den] klaffer [den Röhrbrunnen am Markt] niemadt werffen solt“. 1488 wird wiederum den Metzgern in Basel geboten, „daz uff der Eschenmittwochen tag weder meister knecht noch nyemand, wer der sye, gezwungen noch darzu gehallten werden sölle, uff dem tag müssen uff siner zunfft oder gesellschaft zeren oder gan zu dem win, und nyemand me in den brunnen getragen werden, sondern allmengklich fry sin, daheymen wellen sin oder dahin ze gan.“[691] In Schaffhausen wird 1508 zusammen mit dem „Fasnachtsküchli-Holen“ und nächtlicher Weile „verputzelt“ (vermummt) Herumlaufen auch das „einander in prunnen werffen“ verboten, im benachbarten Konstanz werden 1535 erzwungene Zunftmähler am „escherigen Mittwoch“ verboten mit dem Zusatz, „es solle darum niemand den anderen in den brunnen werfen“. Moser hat auf die stärkere Häufung des Brauches in Städten des bayerisch-schwäbisch-alemannischen Raumes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hingewiesen,[692] der auch als späteres Verbreitungsgebiet des Metzgersprunges als Initiationsritus der Metzgerlehrlinge aufscheint. Zunächst waren diese Riten – es geht um das Werfen – jedoch eine „öffentliche Demonstration der Sanktionsgewalt“ einer sozialen Gruppe, weshalb die städtischen Ratsobrigkeiten das Brunnenwerfen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts energisch bekämpften.[693]
Für den Metzgersprung finden sich schließlich für das 17. und 18. Jahrhundert – auch aus kleineren Städten[694] – zahlreiche Hinweise.[695] Wenngleich auch beim Metzgersprung Funktionswandel zum Passageritus hin. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Quellen aus diesem Raum zunächst einmal zusammenzutragen, um eine empirische Grundlage für die Analyse des Formwandels zu bilden.
Ein zweiter Aspekt hinsichtlich Konsequenzen und Perspektiven wäre die Kontextualisierung – das bedeutet, die kulturelle Repräsentation in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Das Beispiel der Metzger bietet sich nochmals an.
Auf die Sonderstellung der Metzger in der Fastnacht ist bereits hingewiesen worden. Moser bringt das reich ausgebildete Brauchwesen der Metzger und die Maskierungen in Kälber-, Rinder- und Ochsenfellen in einen Zusammenhang mit dem Beginn der fleisch- und fettlosen Fastenzeit. Die Ochsenhatz, die oft mit Opferkulten in Verbindung gebracht worden sei, sei aber nichts anderes als das Schlachten des letzten Rindes vor der Fastenzeit, wobei in den Umzügen manchmal auch Attrappen mitgeführt worden seien.[696] Das kirchliche Fastengebot und die Fastenzeit waren für die Berufsgruppe der Metzger von besonderer Bedeutung. In der Steiermark z. B. war das Fleischhacken während der Fastenzeit ganz eingestellt, nur in Graz war es einem oder zwei Metzgermeistern (nach vorheriger Wahl) gestattet. In Innsbruck durfte im 18. Jahrhundert während der Fastenzeit nur ein einziger Bankmetzger Rindfleisch verkaufen.[697] Für die Metzger bedeutete die Fastenzeit jedenfalls einen tiefen Einschnitt im Arbeitsjahr – was sie für das Arbeitsverhältnis der Gesellen bedeutete, wäre ebenso zu klären wie die Frage, ob (und was) die Heischebräuche mit dem Arbeitsvertrag zu tun haben, denn die Metzgergesellen wurden in der Regel auf ein Jahr verpflichtet.[698] Möglicherweise erinnerten die Gesellen die Meister an diesem Termin an ihre Pflichten – andererseits zielten Umzüge wie der der Nürnberger Schweinemetzger mit einer 60 Ellen langen Bratwurst 1591, die von zwölf Gesellen getragen wurde und die sie dem Rat verehrten, stärker auf die Öffentlichkeit: 1624 war die Wurst immerhin 596 Ellen lang; der Umzug von 1658 wurde schließlich in Kupfer gestochen; ähnliche Umzüge sind auch aus Königsberg und Zittau belegt.[699]
Die Auseinandersetzungen um den Metzgersprung legen ein weiteres Konfliktfeld frei, denn die Abhaltung der Bräuche am Aschermittwoch konfligierte mit der Durchsetzung des Fastengebotes: 1496 Nürnberg gebot z. B. der Nürnberger Rat, „das am aschermitwochen die fleischhacker nit sollen tanzen“, und 1511 wurde deutlicher mit Bezug auf die Fastenzeit „in bedacht das am ascherigen mitwoch die christliche kirch als dem haupt und anfang der hailigen vasten sich diemutiget und zu nachvolgender pußvertigkeit schickt“ alle „vaßnachtliche offenliche kurzweil“ am Aschermittwoch aufgehoben.[700] Das Ringen um den Aschermittwoch war offenbar zäh und langwierig,[701] denn 1613 gingen in Nürnberg die Metzgergesellen am Aschermittwoch in Festkleidung mit umgeschnalltem Degen in Begleitung von Trommlern und Pfeifern ins Bad, sie führten große Schenkkannen mit Wein und vergoldetes Trinkgeschirr mit, ebenso Küchlein und Sulze, die sie von ihren Meistern erhalten hatten. Nach dem Bad wurde auf der Herberge „Zum Silbern Fisch“ eine opulente Mahlzeit mit Schweinefleisch, Kapaun und Braten eingenommen.[702] In Innsbruck war der Metzgersprung 1624 bis 1658 mehrfach Gegenstand obrigkeitlicher Verordnungen: Wiederholte Verbote fruchteten wenig, doch die Verlegung auf den Fastnachtsmontag (1647) war offenbar nicht zu umgehen.[703] Im reformierten Zürich 1660 „hettend fromme lüth langest gern gesehen, daß die Eschermitwochen und mitlaufende Unfuegen als ein halb heidnisch und papistisch, in einer reformierten Statt unzimmlich Fest vilmehr [...] gentzlich abgethan und den Lüthen auß der Gedechtnus genommen wurde.“[704] Im salzburgischen Tittmoning fand das „gebreuchige brunspring“ 1718 nicht mehr vor der Fronleichnamsoktav statt und wurde auf den 30. Juni verschoben.[705] Insbesondere der Akt der „Taufe“ als Persiflage kirchlicher Formalitäten zog den Zorn der Vertreter der Kirche auf sich. Die Verbreitung und Praxis der Bräuche wird man demzufolge auch im Kontext der Haltung und Durchsetzungschancen der Obrigkeiten und der Kirche sehen müssen.[706] Man wird daher bei den Taufzeremonien nicht auf den germanischen Ursprung rekurrieren müssen, wie z. B. Grabbe dies in Anlehnung an Siemsen noch tat, der dem Brunnen im Fruchtbarkeits- und Regenzauber in Verbindung mit der Wassertaufe (insbesondere in Oberdeutschland) große Bedeutung beimaß.[707]
Im Sinne einer Kontextualisierung sind nicht belegbare Kontinuitäten müßig. Auch der Verweis auf die anthropologischen Grundlagen „vorhochkultureller Gesellschaften“ mit ihren „kognitiven Strukturen magischer Welterklärung“ und ihrer Rückführung auf die Vegetationsmagie rückt die kulturelle Repräsentation der Gesellen in den Bereich der Mythologie, der einer kontextuellen Analyse nicht mehr zugänglich ist.[708]
Die Einbettung der Bräuche in das Arbeitsjahr – und in den gesamten Arbeitszusammenhang – kann für eine solche Analyse einen wichtigen Ansatzpunkt bieten.[709] Greifen wir noch ein Beispiel aus den Fastnachtsbräuchen heraus: die Lichtbräuche als mit der Fas(t)nacht verbundene Brauchformen und Verehrungen wie Lichtbier, Martinswein, Lichtgans und Lichtbraten, die mitunter mit Kurzweil, Umzug und Feuerwerk verbunden waren.[710] Auch zur Erklärung der „Lichtgans“ wird die Vegetationsmagie nicht benötigt, wenngleich Grabbe betont: „Die Gans galt in der Antike als Opfertier und wurde heilig gehalten. Das Gansabreißen ist der Rest eines Erntedankopfers; die Lichtgans ist wie die Martinsgans in Verbindung zu dieser ursprünglichen Verehrung zu sehen.“[711] Für das Feuerwerk mussten ähnliche Rückgriffe herhalten.
Mit Blick auf das Arbeitsjahr und die Brauchträger bietet sich eine einfachere Erklärung an: die Lichtarbeit. Verfolgen wir die Arbeitszeit in der Werkstatt des Handwerkers im Jahreslauf, so ist auffallend, dass sie (von jahreszeitlich oder konjunkturell bedingten Schwankungen der Nachfrage abgesehen) relativ konstant blieb, also von der natürlichen Länge des Tages unabhängig war.[712] Warum sollte dann die Fastnacht im Frühjahr einen Einschnitt bilden? Eine Übersicht der an den Fastnachtsbräuchen beteiligten Handwerke zeigt zunächst, dass es sich um die „Werkstatthandwerker“ handelt. In diesen Handwerken begann die „Lichtarbeit“, d. h. die Arbeit bei kärglicher und augenschädlicher Beleuchtung, an Michaelis (29. September), Burkhardi (14. Oktober) oder spätestens Martini (11. November!) und endete an Fastnacht oder spätestens an Georgi (23. April). Der Beginn und vor allem der Abschluss der verhassten Lichtarbeit wurden festlich begangen; überregional sind Lichtbier, Lichtgans und Lichtbraten belegt. Das in der Schweiz bekannte „Lichtbrotis“ (an Michaelis) wurde in der Gesellensprache auch „Teufelsbraten“ genannt, in Österreich wurde der Ausgang der Lichtarbeit im Frühjahr mit einem Schmaus, dem „Scheidewecken“, gefeiert.[713]
In Nürnberg genehmigten z. B. die Rugsherren 1517 den Schlossergesellen „alle Jar vor irer liechtganß auf einen tag ain Tanz“.[714] In Augsburg holten die Kistlergesellen 1616 beim Rat die Erlaubnis ein, zur Fastnacht einen „freyen offentlichen Umzug mit dem Spihl Trommel und Pfeiffen“ halten zu dürfen, und 1672 baten die Gesellen um Bewilligung ihres „von Alters her gewöhnlichen Handwerksumzuges“: „Es haben die Kistlergesellen alle syben Jahr, umb FaßnachtsZeit, wann sich die Lichtarbeit geendet, ainen offentlichen Zug, mit Trommel, Pfeiffen und Trompeten, durch die Statt, und darauf aine lustige Comedi, [...] weilen sonderlich niemand dadurch geärgeret, sondern nur den gesöllen und junge pursch welche sich erfreuen, das die Lichtarbeit sich damit endet, und gegen den lieblichen Fruehling und Taglänge es sich wieder wendet, aine ehrliche Kurzweil damit gemacht würd [...].“[715] In Frankfurt sind ab 1659 Umzüge am Fastnachtsmontag (bis 1744) belegt: 1594 suchten die Gesellen an, eine „vorhabende kurtzweil mit einem zierlichen und künstlichen Geheuß von Schreinerwerck zuegerichtet, ufm wasser künfftige Faßnacht zu halten und zur Kurtzweil verbrennen zu lassen, zu erlauben“, 1601 kündigten sie an, „uf Faßnacht ein hauß von holtzwerck zu machen und mit Feuerwerck in den Main zu tragen“.[716] Bei den Hamburger Tischlern wurde das Ende der Lichtarbeit mit dem „Lichttränken“ begangen, und ihr Fastnachtsspiel von 1696 – den Kern der Handlung bildet der Kampf um die Lichtarbeit – ist als Druck mit Holzschnitten überliefert.[717] Bei den Regensburger Schreinern wurde 1618 das Licht „in der Thonaw [Donau] ertrenckht, woll in die dieff hinunder gesenckht“.[718] Fehring und Lenhardt haben auch darauf hingewiesen, dass mit dem Ende der Lichtarbeit zugleich ja auch die Wanderzeit begann, dass Lichtarbeit und Wanderzeit im Handwerk gleichsam die Synonyme für Winter und Sommer waren.[719]
Während die Augsburger Schuhmachergesellen 1670 die „Lichtganß“ noch auf der Herberge mit Spielleuten bei einem opulenten Mahl feierten, reduzierte sich die Lichtgans im 18. Jahrhundert dann meist auf eine Zeche oder ein Mahl auf der Herberge. In einigen Handwerken (wie bei den Webern), in denen die Meisterfamilie den Lichtbraten gab, konnte dieser dann (Ende des 18. Jahrhunderts) durch einen feststehenden Betrag abgelöst werden.[720] Auch bei den Buchdruckern konnte der Prinzipal (nach der Ordnung von 1713) den Gesellen einen Fastnachts- oder Martinischmaus halten oder ihnen einen Gulden bezahlen. Bei den Schneidern und Illuministen erhielten die Gesellen zur „Lichtgans“ einen größeren Betrag aus der Gesellenlade zur Zeche – ebenso bei den Schuhmachern und Kistlern. Bei den Kupferschmieden, Säcklern, Schlossern und Zinngießern hielten die Gesellen eine Fastnachtszeche oder -schenke, die Belege stammen jedoch ganz überwiegend aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[721] Die eher „nüchternen“ Brauchformen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind jedoch sicher nicht nur das Ergebnis einer „Sozialdisziplinierung“ durch Kirche und Obrigkeit bzw. einer „Reform der Volkskultur“, die Wohlanständigkeit, Fleiß, Ernsthaftigkeit, Bescheidenheit, Ordnung, Nüchternheit und Sparsamkeit auf ihre Fahnen schrieb.[722] Im Sinne einer Kontextualisierung ist schließlich auch zu fragen, wieweit der Wandel der kulturellen Repräsentation von den Gesellen selbst ausging.
[572] [Matter 1983]. Die Position Matters ist für einige Standorte wie Graz, Basel, Zürich oder München sowie auch für Leopold Schmidt am ÖMV in Wien zu relativieren. Für Hinweise und kritische Diskussion des Beitrages danke ich Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Robert Hoffmann, Norbert Schindler und Alfred Stefan Weiß.
[573] [Matter 1983], S. 187.
[574] [Matter 1983], S. 188. Bimmer betont, dass die Blütezeit des Begriffes „Brauchtum“ in den 1920er- und 1930er-Jahren liege und verweist u. a. auf Brückner, der „Brauchtum“ als einen Terminus „voller ideologischer Implikationen, zumeist gedacht von der Prämisse eines uralten System- und Traditionskontinuums aus“ bezeichnet. [Bimmer 1990], S. 167.
[575] [Sieber 1911], hier S. 300 und S. 328.
[577] So etwa auch im Fotonachlass des Salzburger Landesinstitutes für Volkskunde (SLIVK) und den Volkskunst-Bänden von Karl von Spieß zu sehen, die die ahistorische Arbeit deutlich machen und Spieß daher zum Sinnbild- und Leitgestaltenforscher in der Mittelstelle für Mythenkunde des Amtes Rosenberg werden ließ. Dieselben Vorbewertungen bzw. Neudeutungen lassen sich im Fotonachlass von Helmut Amanshauser am SLIVK wie im Salzburger Landesarchiv feststellen. Karl von Spieß – wie Richard Wolfram (Schule Much) aus der Wiener Mythologischen Schule kommend – wandte sich Georg Hüsing und Josef von Strzygowski zu und vertrat deren „Rückführung auf den Nordstandpunkt“.
[578] [Siemsen 1942] S. 13f und S. 90. – In Salzburg richtete „Das Ahnenerbe“ der SS eine „Lehr und Forschungsstätte für germanisch-deutsche Volkskunde“ ein, die als Gegenposition zur katholischen Tradition, die sich auf die religiösen Grundlagen der Kultur konzentriert hatte, die nationalsozialistischen Positionen durchsetzen sollte. Richard Wolfram, 1938 als Abteilungsleiter eingesetzt, skizzierte denn auch als eine zentrale Fragestellung seiner zukünftigen Arbeit: „Wie weit ist die Ostmark in den Grundlagen ihres Volkstums germanisch bestimmt?“ – Vgl. [BockhornO/Eberhart 1996], hier S. 59.
[579] [Reininghaus 1981], S. 21f.
[580] Grabbe, Horst-Peter: Das Fest- und Feiertagsbrauchtum der Nürnberger Handwerker, 14.–18. Jahrhundert. (masch.) Nürnberg 1964. – Grabbe nimmt vielfach Bezug, ohne auf den ideologischen Gehalt zu reflektieren. Die empirisch brillante Studie von Lenhardt nennt Siemsen zwar noch unter der wichtigsten Literatur, ist jedoch davon nicht beeinflusst: Lenhardt, Heinz: Feste und Feiern des Frankfurter Handwerks. Ein Beitrag zur Brauchtums- und Zunftgeschichte. Frankfurt 1950
[582] [KramerK 1958] – [KramerK 1958b] – [KramerK 1967] – [KramerK 1961].
[583] [Schindler 1984], hier S. 37ff.
[584] [FischerG 1962]. – Fischer verzichtete bei diesem Aufsatz auf Quellenhinweise!
[585] [FischerG 1962], S. 108, S. 133 und S. 148.
[586] [FischerG 1962], S. 167.
[587] [FischerG 1962], S. 90 und S. 168f.
[588] [Matter 1983] S. 184.
[589] Vgl. dazu [Kettemann 1987]. – [Lühning/Stiehler 1985].
[590] Vgl. die systematische Übersicht bei [Reininghaus 1998] – Reininghaus vermerkt zum einen das Desinteresse der Historiker an den Realien und benennt zwei klassische Ansätze bei der Inventarisierung der „Zunftaltertümer“: Zum einen die Erfassung der Sachgüter einer Stadt oder Region als „alte Zunftherrlichkeit“, zum anderen die Erfassung einzelner Objektgruppen wie Zunftladen oder Prozessionsstangen.
[591] Bartsch betont, dass in den verschiedenen Museen noch genügend Schätze schlummern, die darauf zu warten scheinen, „als alltägliche Überbleibsel einer Realgeschichte wieder in ihrem historische Kontext zum Sprechen gebracht zu werden“. – [Bartsch 1983], hier S. 203.
[592] [Schindler 1984], bes. S. 30.
[593] [Lenhardt 1950], S. 10. – Lenhardt betont (S. 7f.), dass im reichen Schrifttum über das Zunftwesen das Zunftbrauchtum nur sehr geringen Raum einnehme und dass das Zunftwesen auch von der „außerwirtschaftlichen Seite“ gesehen werde müsse.
[594] [Brednich 1988b], hier S. 77.
[595] [MoserH 1985c], hier S. 126 (erstmals in: Masken zwischen Spiel und Ernst. Tübingen 1967, S. 135–202). – In der Rechnung des Abtes von St. Peter wird auch erwähnt ein Reiftanz 1520 in ungewöhnlicher Verbindung mit einer Schulkomödie, der darauf folgende Eintrag: „item den kursner gesellen umb ein swertt tantz bibalia 1 Pf. den“ (S. 124).
[596] [Zinnburg 1972], S. 274–276.
[597] [Oschilewski 1955], S. 43ff.
[599] [Putzer 1987], S. 114 und S. 122 (Fotos).
[600] [Putzer 1987], S. 122.
[601] [Ammerer 1991], hier S. 2156.
[602] [Ammerer 1991] , S. 3, mit Verweis auf Wickingen.
[603] [Kammerhofer-Aggermann 1995/96], bes. S. 85ff.
[604] [Kammerhofer-Aggermann 1995/96], bes. S. 88f.
[605] [Adrian 1905], S. 3, Metzgersprung S. 65–67, Fahnenschwingen S. 67–69.
[607] [Adrian 1924b], S. 85–87 „Der Metzgersprung“, S. 88–91, „Das Fahnenschwingen der Metzger“.
[608] [Adrian 1924b], S. 11ff.
[609] [Adrian 1924b], S. 88–91.
[610] Bild: Die Schwungfahne. In: [Salzburger Wirtschaft] Nr. 7, 25. Februar 1970, S. 12.
[611] [Adrian 1924b], S. 91.
[612] In seinem im Ersten Weltkrieg erschienenen Beitrag vermerkt Adrian: „außer in Salzburg dürfte diese Sitte nur mehr noch in Eger [...] ausgeübt werden“.
[613] [Adrian 1924b], S. 86. – Ospald weist darauf hin, dass Markus Sittikus zu Beginn seiner Regierung darauf bedacht gewesen sei, „eingerissene Mißbräuche wie den Metzgersprung und andere Belustigungen, die über den Aschermittwoch hinaus dauerten, abzuschaffen und sie nach und nach durch um so reichere ‚erlaubte‘ Fasnachtsverantaltungen zu ersetzen“ [Ospald 1970/71], hier S. 76.
[614] [Adrian 1924b], S. 86.
[615] Abbildung in: [Salzburger Wirtschaft] Nr. 7, 25. Februar 1970, S. 11: Aufzug zum Metzgersprung – Aquarell von Dr. E. Braun nach einer Guckkastendarstellung. Eine ähnliche Darstellung des Aufzuges findet sich am Haus Linzer Gasse 11. – Vgl. [Klehr 1989], S. 122: Das Foto zeigt die Metzgerei Haindl Mitte der 1920er-Jahre.
[616] [Adrian 1924b], S. 86.
[617] [Adrian 1905], S. 66.
[618] [Adrian 1924b], S. 87: In Hallein soll der Metzgersprung auf dem Richterplatz (Josef-Schöndorfer-Platz) stattgefunden haben.
[619] [Wickingen/Wickingen 1970]. – Seit der Verleihung des Privilegs seien schon fünf bis sechs Schwungfahnen verbraucht worden.
[620] [Zinnburg 1972], S. 102–108, hier S. 103.
[621] Berlepsch, H. A.: Chronik vom ehrbaren Metzgergewerk. Nach den Rechtsquellen und historischen Ueberlieferungen des deutschen Mittelalters. (= Chronik der Gewerke. Nach Forschungen in den alten Quellensammlungen und Archiven vieler Städte Deutschlands und der Schweiz, Bd. 5). St. Gallen 1851, bes. S. 116–122: („Vom Brunnenspringen der Metzger zu München“). – Lujo Brentano (1877) stellte Berlepsch in die Reihe der „unkritischen, beinahe als Anekdotensammlungen zu bezeichnenden Werke(n)“, für Sander war die Chronik ein „zusammengewürfelter Haufen von Privataltertümern“: Vgl. [Reininghaus 1981], S. 4.
[622] [Berlepsch 1851], S. 118.
[623] [Berlepsch 1851], S. 122.
[624] Adrian verweist zu den althergebrachten Formeln auf: [Reinsberg-Düringsfeld 1863], S. 49.
[625] [Potthoff 1927]. – [Potthoff 1938]: In der Einleitung bricht Potthoff eine Lanze für Berlepsch: „Ganz anders die [...] Chronik der Gewerke von H.A. Berlepsch, [...] auf urkundlichem Material fußend [...] und auch der Standort des Handwerks in der Folklore mit sichtlicher Liebe zum Handwerk selbst behandelt“, S. 9. Potthoff selbst verzichtete ebenfalls auf Quellenangaben, wenngleich er in der Einleitung seiner „Kulturgeschichte“ schrieb, der Verfasser habe in erster Linie die „feststellbaren Sachverhalte“ darzustellen.
[626] [Potthoff 1938], S. 188: Eine andere, „vielleicht von kirchlicher Seite gegebene Erklärung“, lehne diesen heidnischen Ursprung ab und führe den ganzen Brauch auf die Pest des Jahres 1517 zurück.
[627] [KramerK 1958], S. 111f.
[628] Kramer nennt z. B.: [Baumgartner 1826].
[629] [Reinsberg-Düringsfeld 1863], S. 48.
[630] [John 1896]: John nannte als die „urwüchsigsten“ Begleiter der Faschingszeit den Schäfflertanz in München, den Metzgersprung und das Schönbartlaufen in Nürnberg, „und der altegerer Fasching des Mittelalters stand den anderen im Reich in keiner Weise nach.“ S. 5.
[631] [John 1901], S. 38ff.
[632] Beachtenswert auch hier die Rolle, die man – zeittypisch – dem weiblichen Geschlecht zuschrieb: 1832 hätten – so eine ältere Beschreibung – „die Mädchen ihrem Führer [sic!] ein fünf Ellen langes an beiden Seiten mit Goldfransen besetztes schönes Seidenband, ferner ein Halstuch und eine Weste“ gereicht (S. 6). – Dieser Passus geht offenbar ebenfalls auf Reinsberg-Düringsfeld: Das festliche Jahr (1863) zurück. Das Privilegium datiert er auf 1402.
[633] [Siegl 1913], hier S. 82f.
[634] Der Text findet sich wörtlich bei Potthoff wieder. [Potthoff 1927].
[635] [Siegl 1913], hier S. 103f.
[636] Sieber, Siegfried: Etwas über Zunftsagen mit Bezugnahme auf das Egerer Fahnenschwingen. In: Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen 54. 1916, S. 50–58, hier S. 50.
[637] [Sieber 1916], hier S. 52. – Verweis auf [Adrian 1905], S. 67.
[638] [Sieber 1916], hier S. 52.
[639] [Sieber 1916], hier S. 55. – Alfred Grenser (Zunftwappen und Handwerkerinsignien, S. 14) stellt die Verleihung von Wappen grundsätzlich in Frage, erst seit 1535 seien tatsächlich Wappen an Zünfte verliehen worden.
[640] [Sieber 1916], hier S. 57f.
[641] [Sieber 1916], hier S. 5
[642] [Potthoff 1927], S. 184f. – Mit Verweis auf John auch bei [Lehmann 1926], S. 158: „Berühmt ist das Fahnenschwingen der Egerer Fleischauer, das am Faschingsdienstag stattfindet [...].“
[643] [Potthoff 1927], S. 173. – In der Darstellung des Metzgersprunges folgt Potthoff dann Berlepsch im Wortlaut.
[644] [Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1935/36], Sp. 229–232.
[645] [Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974], S. 192: Fahnenschwingen, S. 556f: Metzgersprung, mit Verweis auf [Mayer 1865]).
[646] [Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974], S. 556f: Metzgersprung, mit Verweis auf [Mayer 1865].
[647] [MoserDR 1986], S. 284 (ohne Beleg).
[648] [Mezger 1991], S. 488. – Ähnlich wie Moser argumentiert Mezger: Vor der sechswöchigen Zwangspause (Fastenzeit) hätte man den Metzgern spezielle Privilegien einräumen müssen, „damit sie noch einmal ihre Kassen füllen konnten“ durch besondere Darbietungen „wie in Nürnberg der Zämertanz, in Eger und Salzburg das Fahnenschwingen, in Zwickau das sprungtuchartige Prellen einer Person auf einer Kuh- oder Ochsenhaut und anderes mehr.“ – Verweis auf [Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974], S. 192 und S. 201.
[649] [Adrian 1924b], S. 351f.
[650] [Zinnburg 1972], S. 362–364: („Der festliche Tanz der Küfer“). Dabei waren die Küfer „einheitlich neu eingekleidet“: „mit roten, goldverbrämten Jacken, weißen Hemden, blitzsauberen Lederschurzen, roten Gürteln und dem gestickten Landeswappen, schwarze Kniebundhose, weißen Stutzen und schwarzen Schuhen“ S. 364.
[651] [JohlerR/Nikitsch 1996], hier S. 217.
[652] [KramerK 1958], S. 112. – [Kapfhammer 1976].
[653] [BockhornO/Eberhart 1996], S. 71.
[654] [Kerschbaumer 1995/96], S. 121–132, hier S. 126ff.
[655] [Kerschbaumer 1996], S. 255–357, hier S. 336f (SZ 2. Oktober 1943).
[656] [Kerschbaumer 1995/96], hier S. 125ff.
[657] [Kerschbaumer 1995/96], hier S. 129.
[658] [Kerschbaumer 1996], hier S. 344 (SN 14. August 1946).
[659] [Kammerhofer-Aggermann 1995/96], bes. S. 107, S. 169 und S. 238f (Diskussionsbemerkungen).
[661] [Hobsbawm 1998], bes. S. 98.
[662] [Hobsbawm 1998], bes. S. 107ff.
[663] Für Fischer muss schließlich sogar der Metzgersprung als Beleg herhalten, dass auch die Zunft als Ganzes die Bräuche vollziehe: Gelegentlich sei es nicht einmal die Gesellenschaft, „sondern die ganze Zunft, welche diese Aufnahme vollzieht, so etwa bei den Münchner Metzgern.“ [FischerG 1962], bes. S. 148.
[664] Zur Interpretation Lamprechts vgl. [FischerG 1962], bes. S. 97.
[665] Von den nahezu 1.300 Fassbindergesellen, die 1733 bis 1870 nach Salzburg kamen und deren Herkunftsorte wir kennen, kamen 40 % aus Bayern und nur 26 % aus Salzburg. – Vgl. [Grundner 2002], S. 174ff.
[666] Vgl. zu Nürnberg: [Grabbe 1964], S. 138. – Vgl. zu Frankfurt: [Lenhardt 1950], S. 16ff. – Vgl. zu München: [KramerK 1958], S. 112. – In Augsburg führten die Gesellen das Meisterstück eines „Stückmeisters“ von der Herberge aus mit einem öffentlichen Tanz durch die Stadt (Stadtarchiv Augsburg, Protokolle des Kunst-, Gewerbs- und Handwerksgerichts, 28. August 1758, p. 220). 1785 bitten die Schäfflervorgeher, die Meisterstücke des Stückmeisters mit Musikanten abholen und beleiten zu dürfen, was ihnen erlaubt wird: Sie hätten sich dabei „allmöglichster Ordnung und Stille zu befleißigen“ (Stadtarchiv Augsburg, Protokolle des Kunst-, Gewerbs- und Handwerksgerichts, 5. September 1785, p. 210).
[667] [Ehmer/Reith 2002], S. 232–258.
[668] [Reith 1989], S. 1–35.
[669] [Reith 1989], S. 1–35.
[670] [FischerG 1962], bes. S. 173. – Siemsen ([Siemsen 1942], S. 49) reklamiert die Fahne mit zweifelhaften Referenzen (u. a. Berlepsch, Sieber und Potthoff) als „ein Heiligtum, das jede Zunft zu besitzen trachtete. Sie wurde bei jedem Fest mitgeführt und in der Öffentlichkeit feierlich geschwungen.“
[671] Beim Umzug der Nürnberger Bäcker ging 1614 (nach Siebenkees) ein Fahnenschwinger mit: „Hans Ring, Durr Beckh genant, ist in der mitten der Ordnung gangen, und an einem Scepter einen von Holtz geschnitzten Becken Knecht, der ein weiß furtuch vor, und in der Hand einen roth und weisen Fahnen hielte, und denselben vielmals waidlich geschwungen, getragen.“[Grabbe 1964], S. 149. – [Lenhardt 1950], S. 31. – Lenhardt bemerkt, dass die Nachrichten über Zunftfahnen spärlich seien und nennt einige Beispiele: „Man wird zugeben, daß dies überraschend wenig Fahnen bei so zahlreichen Handwerken Frankfurts sind.“ – Nürnberg: [Grabbe 1964], S. 147ff.
[672] [Grabbe 1964], S. 149 (Stadtarchiv Nürnberg, Rep E5 – Zimmermeister Nr. 27).
[673] [Fehring 1929], S. 146.
[674] Vgl. z. B. die Hinweise für München bei: [KramerK 1958], S. 112: Die Ratsprotokolle des Jahres 1600 vermerken: „Die metzger halten an umb den faßnachtkurzweil mit dem ochsen. Ist inen abgeschafft, doch der Tanz vergunnt.“
[675] [FischerG 1962], bes. S. 110.
[676] [Grabbe 1964], S. 71. – Andererseits relativiert Grabbe diese Feststellung durch den Verweis auf eine „fest verankerte, unverlierbare Tradition“, sie „lenkte das Brauchtum und befestigte es immer aufs Neue“.
[677] Abbildung in „Die Salzburger Wirtschaft“. Nr. 7, 25. Februar 1971, S. 11 („Das Tragen zum Metzgersprung“).
[678] Stadtarchiv Augsburg, KGH 26. August 1750, p. 315. – 1751 wird den Bierbrauern bedeutet, sich „anderer unanständiger Excesse“ zu enthalten (23. August 1751, p. 131).
[679] Grass, Nikolaus; Hermann Holzmann: Geschichte des Tiroler Metzgerhandwerks und der Fleischversorgung des Landes. Innsbruck 1982, S. 236.
[680] [Fehring 1929], S. 144.
[681] [Fehring 1929], S. 156f und S. 159.
[682] [Lenhardt 1950], S. 10.
[683] [Grabbe 1964], S. 71 (undat.).
[684] Stadtarchiv Augsburg, KGH 4. April 1731, p. 162 und 13. April 1735, p. 121f.
[685] „Anno 1618 [...] haben die schreiner ihr gewohnlichs spiel allhier gehalten und darauff ihr hauss zu Nachts auf der Thonau bey dem Weinthor verbrent, hatt das schiessen darauss mit Ragetlein und feuerkugeln uber 2 stund lang gewehret.“[Fehring 1929], S. 159.
[686] [Fehring 1929], S. 159. – Stadtarchiv Augsburg, KGH 2. Mai 1732, p. 127.
[687] [Grabbe 1964], S. 183.
[688] [MoserH 1985], hier S. 115–119. – Siehe auch [MoserH 1966], hier S. 129f.
[689] [MoserH 1985] hier S. 117f. – [Schindler 2000], S. 28–61.
[690] [MoserH 1985], hier S. 118.
[691] [MoserH 1985], hier S. 119. – [Hoffmann-Krayer 1946], S. 24ff und S. 41.
[692] Belege im Einzelnen bei: [MoserH 1985] hier S. 119.
[693] [Schindler 1997], hier S. 71f.
[694] Aus Tittmoning ist für 1718 das „gebreuchige brunspring“ überliefert. Ein Metzgersohn aus Berndorf bat 1720 um Befreiung, da er „schon zu Lauffen in den brunn gesprung“. Colloredo hat im Zuge seiner Reformen den Metzgersprung 1790 verbieten lassen: Vgl. [Goerge 1980/81], hier S. 502.
[695] [Grass/Holzmann 1982], S. 235ff: Mit Hinweisen auf archivalischer Basis zu mitunter Unbeteiligte ein kaltes Bad nahmen, so deutet doch die Verschiebung hin zum „Springen“ auf einen Innsbruck, Kufstein, Rattenberg, Bozen und Meran.
[696] [MoserH 1985], hier S. 115. – Im [Handwörterbuch des Aberglaubens 1935/36], S. 699, wird unter „Rinder als Opfertiere“ u. a. auf „das Umführen eines Ochsen beim Metzgersprung in München“ verwiesen, das ein „Überbleibsel des alten Frühlingsopfers“ sei.
[697] [Grass/Holzmann 1982], S. 111ff.
[698] [Reith 1999], S. 266f. – [Grass/Holzmann 1982], S. 354: Die Kufsteiner Metzgerordnung von 1719/20 schrieb (in Art. 26) vor, die Meister sollten ihre Knechte „von Jahr zu Jahr“ dingen.
[699] [Grabbe 1964], S. 157.
[700] [Grabbe 1964], S. 30.
[701] [Grass 1956/57], bes. S. 215f und S. 223f.
[702] [Grabbe 1964], S. 182.
[703] [Neugebauer 1938], S. 39f.
[704] [Helfenstein 1962], hier S. 3.
[705] [Goerge 1980/81], hier S. 502.
[706] Beim Gesellenmachen der Bortenmacher monierte das Augsburger Handwerksgericht, dass „ärgerliche und gottlose Ceremonien mit unterlauffen, und sogar das Gloria gesungen werde“: Stadtarchiv Augsburg, KGH 10. November 1734, p. 307.
[707] [Grabbe 1964], S. 79. – Für Neugebauer ([Neugebauer 1938], S. 39f) stand außer Frage, dass Brunnenwerfen und Metzgersprung „in die vorchristliche Zeit zurückreichen“ und für ihn lag die Vermutung nach einem Weiheakt nahe „wie er in gewissen heidnischen Geheimkulten gebräuchlich war.“
[708] [Gießinger 1981], bes. S. 108–130, hier S. 123.
[709] Vgl. dazu auch: [KramerK 1958], S. 111–137. – [KramerK 1958b]. – [KramerK 1967] – [KramerK 1961] – Im Anschluss an Friedrich Sieber ([Sieber 1967]) fordert Tenfelde, die Untersuchung von Arbeitsprozess und Betriebsorganisation, von Marktlagen und Daseinsverhältnissen im Sinne der Herstellung eines Bedingungsgeflechts für die Entfaltung kultureller Leistungen als sozialgeschichtliche Ausgangspunkte zu nehmen. –[Tenfelde 1979], S. 12–53, hier S. 16f.
[710] [FischerG 1962], bes. S. 161ff.: Fischer weist (allerdings ohne Belege) auch auf die „Lichtschnur“ bei den Webern in Münster hin.
[711] [Grabbe 1964], S. 78.
[712] [Wulf 1991]. – [Fouquet 1998] – [Reith 2002].
[713] [FischerG 1962], bes. S. 161f. – Fischer setzt sich hier (wie vorher schon Fehring) von Positionen ab, die die Lichtbräuche als Seelenkult deuteten und betont den Zusammenhang mit dem Arbeitsjahr ausdrücklich. – [Krebs 1933], S. 154f.
[714] [Grabbe 1964], S. 39ff.
[715] [Fehring 1929], S. 159. – Stadtarchiv Augsburg, Handwerkerakten Kistler VIII, 9. Jänner 1672.
[716] [Lenhardt 1950], S. 10ff.
[717] [Fehring 1929], S. 148ff.
[718] [Fehring 1929], S. 156.
[719] [Fehring 1929], S. 156f und S. 159.
[720] Bei den Wiener Schustern erhielten (1754) die Gesellen ein Faschingsgeld oder aber zu St. Martin und am Faschingstag einen Faschings- oder Lichtbraten, stattdessen konnte dem Gesellen auf beiderseitigen Wunsch 45 Kreuzer gegeben werden. – Vgl. [Westermayer 1932], S. 137f.
[721] Belege zu Augsburg im Einzelnen in: [Reith 1988].
[722] [Burke 1981].