Der Lehrer Karl Adrian (17. Februar 1861–14. Oktober 1949) zählt zu den prägenden Vorläufern der Volkskunde in Salzburg, der – besonders seit seiner Pensionierung 1922 – auch ehrenamtlich kulturell tätig war: von 1904–1942 als Ehrenkustos des SMCA, als Ehrenmitglied (ab 1928) der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, als Korrespondent (ab 1925) und Konservator (ab 1937) des Bundesdenkmalamtes, als Korrespondent der Anthropologischen Gesellschaft, sowie der Vereine für Volkskunde in Berlin und in Wien. 1904 erstellte er aus den Beständen des SMCA eine volkskundliche Sammlung und richtete sie 1924 im Monatsschlösschen Hellbrunn als „Altsalzburger Bauernmuseum“ ein. Seine Zugehörigkeit zum „Ahnenerbe der SS Heinrich Himmler“ dürfte – so zeigen es Aktenlage wie Zeitzeugenberichte – eine rein „papierene“ gewesen sein. Neben dem Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich erhielt er das Bayerische König-Ludwig-Kreuz für Heimatverdienste wie die Medaille für deutsche Volkstumspflege des NS-Regimes.
Karl Adrians wesentliche Aktionszeit fällt in die letzten Jahre der „Altertumssehnsucht“ am Übergang zur Zeit der restaurativen Heimatschutzideen rund um 1900. Karl Adrian gehörte zu den 24 Gründungsmitgliedern des 1910/11 gebildeten Sonderausschusses des Salzburger Landtages „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen“. Er wurde Vorsitzender des Arbeitsausschusses, denn er war bereits seit 1908 Obmann der Fachabteilung IV „Sitte Tracht und Brauch“ des Vereines für Heimatschutz in Salzburg, der sich am Bayerischen Vorbild entwickelt hatte.[4889] Die Ergebnisse der Tätigkeiten wurden dem Landtag zwischen 24. Jänner 1912 und 19. Oktober 1913 vorgelegt und bildeten die Grundlage für Karl Adrians Bücher und Aufsätze.[4890]
Diese Bemühungen trafen sich mit den Bestrebungen des 1912 gegründeten Österreichischen Heimatschutzverbandes, dessen vorrangiges Anliegen primär dem Denkmalschutz, dem Schutz des Orts- und des Landschaftsbildes und der Pflege einer landschaftsgerechten Bauweise galt.[4891] Die Statuten sahen allerdings auch dezidiert die „Erhaltung und Wiederbelebung volkstümlicher Art in Gerät, Tracht, Brauch und Musik“ vor[4892]. Mit seinen Forschungen und Dokumentationen, die sich in einer Reihe von Publikationen niederschlugen, schuf er die ersten Grundlagen für die Brauchtumspflege. Dokumentation, Rettung, Wiederbelebung, Schutz und zeitgemäße Adaption wie Stilisierung gehörten zu seinen Bemühungen, die Friederike Prodinger darstellte[4893].
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie standen die Bestrebungen unter dem Leitgedanken der Heimatpflege und der Bildung eines nationalen Selbstbewusstseins. Den im Heimatschutz engagierten Personen ging es um die Förderung von „Heimatliebe“ und um die Stärkung der „Vaterlandsliebe“. Diese ineinander übergehenden Motive gaben auch den ehemals lokal gebundenen, von eindeutig festgelegten Gruppen durchgeführten und mit bestimmten Zielen versehenen Bräuchen einen neuen Sinn. Sie waren nunmehr hochbewerteter Fundus für die Rekonstruktion eines kulturellen Erbes, das gleichzeitig auf regionaler und auf nationaler Ebene bestimmt wurde[4894]. Karl Adrians Recherchen nach dem „ursprünglichen Volksleben“ fanden in seinem Buch „Von Salzburger Sitt' und Brauch“, aber auch in frühen Tourismusinitiativen wie in der kulturpolitischen Arbeit des Landes ihren Niederschlag.
Aus heutiger Sicht ist zu bemerken, dass Karl Adrian stets um wissenschaftliche Debatte mit den Größen im Fach bestrebt war, – das zeigen u. a. seine Korrespondententätigkeiten – dass aber Volkskunde zum damaligen Zeitpunkt selbst noch eine phänomenologisch arbeitende Altertumswissenschaft war, der es an methodisch-theoretischen Konzepten im heutigen Wissenschaftsverständnis fehlte. So waren auch in der Wissenschaft – ebenso wie bei Adrian – vorbewertende Thesen und Auswahlkriterien in Verwendung. Zudem verquickte Adrian seine Forschungen stets mit gesellschaftspolitischen Zielen.
Karl Adrians Werke sind heute als zeitgeschichtliche Schnitte zur Entstehung der Heimatbewegung, des Landesbewusstseins wie der Heimatpflege zu lesen. Eine Gültigkeit seiner Bewertungen und Ausdeutungen ist heute vielfach nicht mehr gegeben. Obwohl viele Diskrepanzen in Adrians Werken zu heutigem Wissen bestehen, haben sich die Herausgeberinnen entschieden, Adrian-Texte unter den „Historischen Texten“ des Bereichs „Zum Weiterlesen“ hier abzudrucken.
Damit wollen sie einerseits die Entstehung der Heimatpflege- und Volkskultur-Bewegungen im Lande Salzburg aufzeigen und zum anderen auch Quellen ins Bewusstsein rufen, die eine Entwicklungsphase vor der nationalsozialistischen Volkstumspflege zeigen. Die Blickpunkte und Begründungen sind bei Adrian noch deutlich andere: einerseits Altertumssehnsucht nach einer „großen geschichtlichen Zeit“ sowie ein Liebäugeln mit „naturmythischen Aspekten“ und andererseits der feste Glaube an eine wirtschaftliche, soziale und politische Stabilisierung der Gesellschaft durch das Aufleben bzw. Einführen von Bräuchen – als neuer Ständebewegung. Die später so durchdringend feststellbaren zwingenden völkischen Aspekte fehlen bei Adrian gänzlich.
Mit Karl Adrian wurde in Salzburg der Denkmalschutzgedanke auch auf immaterielle Dinge und Handlungen übertragen. Am 18. September 1913 legte Adrian nach mehreren Sitzungen zum Thema „Sitte und Brauch in unserm Heimatlande“ eine „zusammenfassende Darstellung“ vor, die eigene Darstellungen und ältere Landes- und Volksbeschreibungen verband[4895] Vielfach erinnert sie uns an die topographisch-statistischen Volksbeschreibungen der Aufklärungszeit, die eine Verbesserung der staatlichen Wirtschafts- und Sozialaufgaben zur Ursache hatten. Adrian zählt darin „zur Zeit noch als festgewurzelt“ zu betrachtende, „im Abnehmen begriffene“ und „fast oder gänzlich erloschene“ sowie erst kürzlich auf Initiative von Einzelpersonen „wiedererneuerte“ Bräuche auf (z. B. Unkener Stelzentanz durch Franz Eder, vulgo Peschbauer; Aperschnalzen in der Umgebung Salzburgs).
Vereinzelt erfahren wir daraus die Initiatoren von Bräuchen, die heute als „uralt“ und „immer schon da gewesen“ gelten. Adrians Unterteilung der Sitten und Bräuche umfasst: „A. Sitte und Brauch im öffentlichen Leben S. 772–774“, „B. Sitte und Brauch im Kreise der Familie S. 775–776“ und „C. Sitte und Brauch in Beziehung auf das kirchliche Leben S. 776-–78“, „D. Taufe S. 776“, „E. Hochzeit S. 779; (S. 778 fehlt in der Zählung)“ „F. Begräbnis S. 880“, „G. Unsere Volksspiele S. 880“ „H. Der Tanz S. 882“ sowie „I. Der Gruß S. 882“.
Karl Adrians Darstellung ist zwar nach heutigem Verständnis nicht umfassend und bewertet vor allem ausgewählte historische Formen des Alltagslebens von vornherein als „wichtig“ (und lässt andere weg), doch gibt sie das Verständnis dieser Erscheinungen als gestaltende und ordnende Bestandteile des Alltags und Lebensumfeldes wieder. Diese Auffassung mag wohl vor der NS-Zeit auch in der breiten Bevölkerung noch existiert haben. Adrians Schilderung sieht die Menschen als Gestalter der Bräuche im Sinne von sitten- und alltagsbezogenen Handlungen. Im Gegensatz dazu steht die später in der NS-Zeit vertretene Sicht des Fortwirkens des „germanischen Mythus“ in den Bräuchen, die Menschen wie Ethnien zum Vollzugsorgan des Kultes werden ließ.
Adrians Darstellungen sind kurz gefasste Einsichten in den Wandel von Bräuchen wie in den Bewertungswandel derselben. Wenn Adrian feststellt, dass „einzelne Gebräuche in neuerer und besserer Form wieder aufleben“ und es „der führenden Hand bedürfe, um auf dem Gebiete von Sitte und Brauch manch schönen Erfolg zu erzielen“[4896], dann treten seine volksbildenden und gesellschaftspolitischen Anliegen hervor. Sätze, deren Nachhaltigkeit heute noch hörbar wird. Mit diesen Bewertungen durch Adrian wurden in Salzburg viele Erscheinungen des Alltagslebens ihrem Wandel enthoben und als „besonders“, „schützenswert“ und „wichtig“ bewertet. Der Weg zu ihrer Stilisierung und Pflege war damit beschritten worden.
Mit dem Jahrtag der Metzger war in früherer Zeit auch die Sitte des Metzgersprunges verbunden. H. F. Wagner schreibt davon in seinem „Volksschauspiel in Salzburg“ nachstehendes: „Am Aschermittwoch wurden in Salzburg die Metzgerknechte mit Pfeifen und Trommeln aus ihrer Herberge abgeholt; ein Knecht ritt mit der wehenden Metzgerfahne voran und dem Zuge folgten Schalksnarren, Mägde und Jungen. Auf dem Marktplatz nahm jeder Knecht einen Trunk süßen Weines und sprang dann in den Brunnen, ‚die Fastnacht abzuwaschen‘“.
Erzbischof Marx Sittich verlegte das Fest auf den Donnerstag, weil die Gesellen am Aschermittwoch „öffentlich Fleisch gefressen“. Johann Stainhausers Chronik meldet von 1612: „Am heil. Aschermittwoch wird durch Ihre hochf. Gnaden gnädigste Anstellung die Fastenzeit mit Predigt und Abstellung der vorher vorübergegangenen Mißbräuche: Prünntragen der Metzger, auch Schulkomödien und Bauernspielen löblich angefangen.“
Schließlich war es der Faschingmontag, an dem der Brunnensprung stattfand, und zwar bei dem schönen Floriani- oder Marktbrunnen am Ludwig Viktor-Platz, der damals Marktplatz hieß. Das prächtige Gitter desselben wurde zu dem Zwecke ausgehangen. Unter Begleitung einer rauschenden Musik zogen in geordneten Reihen die Metzger zum Brunnen, an der Spitze des Zuges der unvermeidliche Lustigmacher Hans Wurst.
Im 18. Jahrhundert waren die Knechte und Jungen bekleidet mit schwarzen Halbschuhen, weißen Strümpfen, schwarzer, kurzer Hose, frackähnlichem, langem, rotem Rock, auf dem Kopfe die grüne Schlägelkappe mit kleiner, rotweißer Federzier an der Seite. Der Träger des Trinkhorns wurde von zwei Burschen auf einem langen, rotangestrichenen Balken reitend getragen; derselbe hatte zum Unterschied von den übrigen einen ebenfalls federgezierten, schwarzen Dreispitz auf und eine breite, weiße Binde um den Leib. So sehen wir sie dargestellt auf einer alten, kolorierten Zeichnung des Museums und darunter die Bemerkung: „wonächst ein Metzger Knecht am Faßtnacht Montag zum Marktbrunnen getragen wurde, wo er wegen sogenannten Brauch wegen der beim Handwerk begangenen Fehler etliche malen, in den Brunnen springen mußte.“
Am Brunnen angelangt, entwickelte sich nach althergebrachten Formeln zwischen dem Lerner und dem Altknecht ein kurzer Dialog. Der letztere fragte zunächst nach des Burschen Herkunft, worauf ihm der antwortet, er sei im Lande wohlbekannt, habe das Handwerk ordentlich und redlich gelernt und wolle ein rechtschaffener Metzgerknecht werden. Der Altknecht bestätigt des Burschen Rede, bemerkt aber weiter: „Du sollst aber getauft werden bei dieser Frist, sag an mir Deinen Namen und Stammen, so will ich Dich taufen in Gottes Namen.“ Der Bursche erwiderte, daß er seinen Namen in allen Ehren trage, daher ihm niemand das Taufen wehren könne; worauf der Altknecht die Zwiesprache mit dem Satze: „Das Taufen kann Dir niemand wehren, aber Dein Name und Stamm muß verändert werden“ schließt. Während dieses Gespräches schlug der Altknecht dem Lerner mit der flachen Hand auf die Schulter, damit er sich merke, daß das Leben manche Mühsale und Beschwerden in sich berge. Hierauf sprangen die Jungen in den Brunnen und warfen Nüsse unter die Zuschauer; wenn sich nun die Buben um diese balgten und dabei dem Brunnen zu nahe kamen, wurden sie von den Metzgern aus kleinen Schöpfern tüchtig begossen, zum größten Gaudium der Umstehenden.
War das Springen vorüber, so stiegen sie ordentlich durchnäßt aus dem Brunnen und jeder erhielt eine weiße Serviette um den Hals gebunden. Hierauf wurde ihnen noch ein harter Taler am rotweißen Bande umgehängt. Von dem Augenblick an war der Lehrling frei, das Bad hatte alle Unarten des Lehrjungen abgewaschen und er durfte sich nun in die Gesellschaft der Gesellen mischen und an ihren Gelagen und Tänzen teilnehmen.
Am Ende des 18. und im Anfange des 19. Jahrhunderts scheint der Metzgersprung noch im Brauche gewesen zu sein, denn Dr. Spatzenegger schreibt davon im Jahre 1873: „Hin und wieder findet sich ein Graukopf, der sich der Spässe aus seinen Jugendtagen erinnert, welche ihm der Metzgersprung gemacht hat und dem auch in Erinnerung ist, wie der letztregierende Erzbischof mit seiner frischgepuderten Perücke dem lebendigen Treiben auf dem Platze aus einem Fenster der Residenz zuschaute und dabei sein ernstes Gesicht in heitere Falten verzog, wenn das junge Volk wild und toll durcheinander brauste.“ Auch in Hallein fand am Brunnen auf dem Richterplatze, heute Josef-Schöndorfer-Platz, der Metzgersprung statt.
Nach einer volkstümlichen Sage hatte sich die hiesige Metzgerinnung unter Erzbischof Leonhard von Keutschach im Jahre 1512 durch Treue und Anhänglichkeit besonders ausgezeichnet. Zum Zeichen fürstlicher Huld wurde nun dieser Zunft gestattet, eine eigene Fahne mit entsprechender Beziehung auf ihr Handwerk anfertigen und alljährlich bei Abhaltung ihres Jahrtages aushängen zu dürfen. Seit dieser Zeit wurde von dieser ehrenden Auszeichnung nicht mehr abgegangen und so hat sich die Sitte erhalten bis auf unsere Tage. Das Fest dauerte in früherer Zeit drei Tage, nunmehr ist es der Faschingsonntag allein, an welchem dasselbe stattfindet.
Schon einige Tage vor dem genannten Sonntag sah man in den Fleischbänken auf reinen Linnen und unter Blumenzier einen blank geputzten Teller von Zinn oder auch von Porzellan stehen, der die einkaufenden Kunden einlud, eine kleine Beisteuer zur Feier zu geben. Am Fastnachtsonntag ist dann um 10 Uhr in der Blasius-Pfarrkirche das Jahrtagsamt der Metzgerzunft, dem Meister und Burschen anwohnen; die Lehrlinge, die heute zu Burschen aufgedungen werden sollen, tragen dabei mächtige Blumensträuße an der linken Seite.
Vor 12 Uhr versammeln sich dann die Metzgerburschen im Gasthaus zum Mödlhamer in der Getreidegasse. Nachdem die Turmuhr der Blasiuskirche die zwölfte Stunde ausgeschlagen hat und das Gebetläuten verklungen ist, wird aus einem Fenster des zweiten Stockwerkes eine riesige Fahne von Seidenstoff ausgesteckt und das Fahnenschwingen beginnt. Die Fahne selbst hat ungefähr 3 m Länge und 2 m Breite. Von Goldfransen eingefaßt, besitzt sie einen 2 dm breiten, roten Rand, während der Grund des inneren Feldes weiß ist. Am oberen Rand zeigt sie drei große, rote Herzen, aus deren Buchtung fünf Strahlen entspringen, während diese Herzen nach unten durch zwei sich kreuzende grüne Zweige abgegrenzt sind. Ferner enthält der Innenraum zwei grüne Fußfelder; auf dem einen steht ein Metzger in der Tracht aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts [Anm.: 19. Jahrhundert]. Er hat schwarze Halbschuhe, weiße Strümpfe, eine kurze, gemslederne Hose, deren Nahtränder mit Pfauenfedern ausgenäht sind. Um die Mitte des Leibes ist der weiße Schurz fatschenartig gewunden; außerdem trägt er den kurzen, roten Spenser mit Metallknöpfen besetzt, eine grüne Weste, ebenfalls mit enggereihten Knöpfen geziert, und auf dem Kopfe hat er die charakteristische grüne Schlägelhaube. Die Arme sind hoch gehoben, den eisernen Schlägel mit hölzernem Stiel haltend, um, wie die Darstellung sagen will, den auf dem anderen Fußfeld stehenden großen, braunen Ochsen niederzuhauen.
Unter diesen Figuren sehen wir in großen Ziffern, symmetrisch verteilt, die Jahreszahl 1849. Das Schwingen beginnt gewöhnlich der Altbursch, seinerzeit „Jotenknecht“ genannt. Es ist ein Kreisen der Fahne, parallel mit der Wand des Hauses, solange bis dieselbe vollständig eingerollt ist, was fast immer im 18. Umschwung erfolgt. Der erste Fahnenschwinger beginnt mit dem Kreisen von rechts nach links, der nächste hat die Aufgabe, die eingerollte Fahne wieder aufzurollen, und schwingt daher von links nach rechts; manche besonders kräftige Burschen begnügen sich nicht mit dem Einrollen allein, sondern rollen sie im fortgesetzten Schwunge ein und auf. Da sie dabei den Oberkörper weit aus dem Fenster beugen müssen, so werden sie stets, um vor der Gefahr eines Absturzes behütet zu sein, von zwei Burschen am rückwärtigen Schlußband der Hose gehalten. Einige schwingen nur mit dem rechten Arm allein und geben beim Auftauchen des Fahnenschaftes demselben dann mit der linken Hand einen leichten Stoß; andere benutzen beide Hände und müssen dabei vor allem darauf bedacht sein, die Drehung am linken Handgelenk richtig auszuführen. Sobald einmal die Fahne im rechten Schwunge ist, bereitet die Ausführung keine besonderen Schwierigkeiten mehr, aber das zu erreichen fällt ziemlich schwer, da sie anfangs meist einen zu kleinen Luftkegel damit beschreiben. Bewundernswert ist, mit welcher Ruhe und Sicherheit manche Schwinger ihre Aufgabe lösen, während andere wieder mit bärenmäßiger Kraft die schwere Flagge rauschend wie ein Kreisel drehen. Hie und da kommt es auch vor, daß eine oder die andere Fensterscheibe zerschlagen wird, oder daß einem der Schwächerein der Versuch mißlingt, was natürlich die Heiterkeit der Zuschauer wachruft. Alle Burschen, die sich am Schwingen beteiligen, tragen zur Kennzeichnung ihres Standes reine, weiße Spenser aus Barchent oder feinem Piquet.
Nach dem Schwingen bleibt die Fahne, sie soll die vierte seit Einführung dieses Gebrauches sein, ausgehängt bis zum Abend. Bemerkt sei noch, daß während des Schwingens ununterbrochen die Musik einen fröhlichen Marsch spielt; das erstere selbst dauert beinahe jedes Jahr drei Viertelstunden. Am Nachmittag machen die Metzger dann in einer Anzahl Wagen einen Ausflug nach Hallein, Grödig usw. und abends um 6 oder ½7 Uhr wiederholt sich das Schwingen wieder in der ganz gleichen Weise, nur ist dann die Zahl der Teilnehmer eine etwas geringere.
Diese interessante Sitte lockt immer eine große Menge Zuschauer herbei, so daß es in der engen Gasse lustig durcheinander wogt. Hat einer der Burschen seine Sache besonders gut gemacht, so hört man wohl auch lautes Beifallsrufen und fröhliches Händeklatschen. Dem Fahnenschwingen folgt abends der Ball. Bei diesem ist der alte Brauch des Rundtrunkes üblich. Sämtliche Burschen stellen sich im Kreise auf. Da tritt der Herbergsvater mit den beiden silberbeschlagenen Trinkhörnern ein, wovon das eine mit rotem, das andere mit weißem Wein gefüllt ist. Nun ergreift der Jungmeister, der stets ein Meisterssohn sein soll, das Horn und sagt zu dem von den Gehilfen gewählten Altburschen: „I bring dir’s, Bruder!“ Dieser entgegnet: „I g’seg’n dir’s, Bruder!“ Dann fährt der Jungmeister fort:
„Hoch soll leben das ehrsame Handwerk!
Hoch sollen leben alle Meister und Frau Meisterinnen!
Hoch sollen leben alle Meisterssöhne und Meisterstöchter!
Hoch sollen leben alle Burschen und Madeln, die hier versammelt sind!
Hoch sollen leben der Herbergsvater und die Herbergsmutter!
Hoch sollen leben der Hansl im Keller,
die Gretl auf der Stiegen und ’s kleine Kindl in der Wiegen!“
Nach diesen Worten fällt die Musik mit einem Tusch ein, dem „Tambourtusch“, wie man ihn nennt. Dann trinkt mit verschlungenen Armen der erste mit dem zweiten, der zweite mit dem dritten usf. Jeder wiederholt den vorigen Spruch, das heißt meist nur die ersten zwei Zeilen, und jedesmal erklingt hierauf der schmetternde Tusch. Die übrigen Gehilfen lassen auch den Jungmeister und Altburschen leben. Da hiezu mindestens 15 Liter Wein benötigt werden, hat man in den letzten Jahren wegen der ansehnlichen Kosten von diesem Brauch abgesehen.
[4889] Kammerhofer-Aggermann, Ulrike: Die Salzburger Landeskommission „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen“ und der Salzburger Landesanzug. In: Trachten nicht für jedermann? Hg. U. Kammerhofer-Aggermann, A. Scope, W. Hass (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 6) Salzburg 1993, S. 25–50. – Kammerhofer-Aggermann, Ulrike: Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. Walburga Haas (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 8) Salzburg 1996, S. 81–120, bes. 85–89.
[4890] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 936. – Jahrbuch des Salzburger Gewerbeförderungsinstitutes 1908, S. 7ff.
[4891] Johler, Reinhard; Nikitsch, Herbert; Tschofen, Bernhard: Schönes Österreich. Heimatschutz zwischen Ästhetik und Ideologie, Wien 1995 (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, Bd. 65).
[4892] Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, 53/1950, S. 175–177 und 177–179 zus. mit Leopold Schmidt: Adrian-Bibliographie). – Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 90/1950, S. 174–182).
[4893] Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 90/1950, S. 174–182).
[4894] Johler, Reinhard und Nikitsch, Herbert: Zum Wesen des Österreichischen: die Heimatschutzbewegung. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. Walburga Haas (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 8) Salzburg 1996, S.211–234.
[4895] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 770–885.
[4896] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 770f.
[4897] Adrian, Karl: Von Salzburger Sitt’ und Brauch. Wien: Österreichischer Schulbücherverlag 1924. S. 85–87.
[4898] Adrian, Karl: Von Salzburger Sitt’ und Brauch. Wien: Österreichischer Schulbücherverlag 1924. S. 88–91.