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Totenbretter im Walde (Karl Adrian)

Ulrike Kammerhofer-Aggermann: Karl Adrian

Das Betätigungsfeld von Karl Adrian

Der Lehrer Karl Adrian (17. Februar 1861–14. Oktober 1949) zählt zu den prägenden Vorläufern der Volkskunde in Salzburg, der – besonders seit seiner Pensionierung 1922 – auch ehrenamtlich kulturell tätig war: von 1904–1942 als Ehrenkustos des SMCA, als Ehrenmitglied (ab 1928) der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, als Korrespondent (ab 1925) und Konservator (ab 1937) des Bundesdenkmalamtes, als Korrespondent der Anthropologischen Gesellschaft, sowie der Vereine für Volkskunde in Berlin und in Wien. 1904 erstellte er aus den Beständen des SMCA eine volkskundliche Sammlung und richtete sie 1924 im Monatsschlösschen Hellbrunn als „Altsalzburger Bauernmuseum“ ein. Seine Zugehörigkeit zum „Ahnenerbe der SS Heinrich Himmler“ dürfte – so zeigen es Aktenlage wie Zeitzeugenberichte – eine rein „papierene“ gewesen sein. Neben dem Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich erhielt er das Bayerische König-Ludwig-Kreuz für Heimatverdienste wie die Medaille für deutsche Volkstumspflege des NS-Regimes.

Altertumssehnsucht, Landtag und Heimatschutz

Karl Adrians wesentliche Aktionszeit fällt in die letzten Jahre der „Altertumssehnsucht“ am Übergang zur Zeit der restaurativen Heimatschutzideen rund um 1900. Karl Adrian gehörte zu den 24 Gründungsmitgliedern des 1910/11 gebildeten Sonderausschusses des Salzburger Landtages „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen“. Er wurde Vorsitzender des Arbeitsausschusses, denn er war bereits seit 1908 Obmann der Fachabteilung IV „Sitte Tracht und Brauch“ des Vereines für Heimatschutz in Salzburg, der sich am Bayerischen Vorbild entwickelt hatte.[4880] Die Ergebnisse der Tätigkeiten wurden dem Landtag zwischen 24. Jänner 1912 und 19. Oktober 1913 vorgelegt und bildeten die Grundlage für Karl Adrians Bücher und Aufsätze.[4881].

Diese Bemühungen trafen sich mit den Bestrebungen des 1912 gegründeten Österreichischen Heimatschutzverbandes, dessen vorrangiges Anliegen primär dem Denkmalschutz, dem Schutz des Orts- und des Landschaftsbildes und der Pflege einer landschaftsgerechten Bauweise galt.[4882] Die Statuten sahen allerdings auch dezidiert die „Erhaltung und Wiederbelebung volkstümlicher Art in Gerät, Tracht, Brauch und Musik“ vor[4883]. Mit seinen Forschungen und Dokumentationen, die sich in einer Reihe von Publikationen niederschlugen, schuf er die ersten Grundlagen für die Brauchtumspflege. Dokumentation, Rettung, Wiederbelebung, Schutz und zeitgemäße Adaption wie Stilisierung gehörten zu seinen Bemühungen, die Friederike Prodinger darstellte[4884].

Heimatschutz und Restaurationspolitik

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie standen die Bestrebungen unter dem Leitgedanken der Heimatpflege und der Bildung eines nationalen Selbstbewusstseins. Den im Heimatschutz engagierten Personen ging es um die Förderung von „Heimatliebe“ und um die Stärkung der „Vaterlandsliebe“. Diese ineinander übergehenden Motive gaben auch den ehemals lokal gebundenen, von eindeutig festgelegten Gruppen durchgeführten und mit bestimmten Zielen versehenen Bräuchen einen neuen Sinn. Sie waren nunmehr hochbewerteter Fundus für die Rekonstruktion eines kulturellen Erbes, das gleichzeitig auf regionaler und auf nationaler Ebene bestimmt wurde[4885]. Karl Adrians Recherchen nach dem „ursprünglichen Volksleben“ fanden in seinem Buch „Von Salzburger Sitt' und Brauch“, aber auch in frühen Tourismusinitiativen wie in der kulturpolitischen Arbeit des Landes ihren Niederschlag.

Aus heutiger Sicht ist zu bemerken, dass Karl Adrian stets um wissenschaftliche Debatte mit den Größen im Fach bestrebt war, – das zeigen u. a. seine Korrespondententätigkeiten – dass aber Volkskunde zum damaligen Zeitpunkt selbst noch eine phänomenologisch arbeitende Altertumswissenschaft war, der es an methodisch-theoretischen Konzepten im heutigen Wissenschaftsverständnis fehlte. So waren auch in der Wissenschaft – ebenso wie bei Adrian – vorbewertende Thesen und Auswahlkriterien in Verwendung. Zudem verquickte Adrian seine Forschungen stets mit gesellschaftspolitischen Zielen.

Historische Deutungen

Karl Adrians Werke sind heute als zeitgeschichtliche Schnitte zur Entstehung der Heimatbewegung, des Landesbewusstseins wie der Heimatpflege zu lesen. Eine Gültigkeit seiner Bewertungen und Ausdeutungen ist heute vielfach nicht mehr gegeben. Obwohl viele Diskrepanzen in Adrians Werken zu heutigem Wissen bestehen, haben sich die Herausgeberinnen entschieden, Adrian-Texte unter den „Historischen Texten“ des Bereichs „Zum Weiterlesen“ hier abzudrucken.

Damit wollen sie einerseits die Entstehung der Heimatpflege- und Volkskultur-Bewegungen im Lande Salzburg aufzeigen und zum anderen auch Quellen ins Bewusstsein rufen, die eine Entwicklungsphase vor der nationalsozialistischen Volkstumspflege zeigen. Die Blickpunkte und Begründungen sind bei Adrian noch deutlich andere: einerseits Altertumssehnsucht nach einer „großen geschichtlichen Zeit“ sowie ein Liebäugeln mit „naturmythischen Aspekten“ und andererseits der feste Glaube an eine wirtschaftliche, soziale und politische Stabilisierung der Gesellschaft durch das Aufleben bzw. Einführen von Bräuchen – als neuer Ständebewegung. Die später so durchdringend feststellbaren zwingenden völkischen Aspekte fehlen bei Adrian gänzlich.

Sitte und Brauch

Mit Karl Adrian wurde in Salzburg der Denkmalschutzgedanke auch auf immaterielle Dinge und Handlungen übertragen. Am 18. September 1913 legte Adrian nach mehreren Sitzungen zum Thema „Sitte und Brauch in unserm Heimatlande“ eine „zusammenfassende Darstellung“ vor, die eigene Darstellungen und ältere Landes- und Volksbeschreibungen verband[4886] Vielfach erinnert sie uns an die topographisch-statistischen Volksbeschreibungen der Aufklärungszeit, die eine Verbesserung der staatlichen Wirtschafts- und Sozialaufgaben zur Ursache hatten. Adrian zählt darin „zur Zeit noch als festgewurzelt“ zu betrachtende, „im Abnehmen begriffene“ und „fast oder gänzlich erloschene“ sowie erst kürzlich auf Initiative von Einzelpersonen „wiedererneuerte“ Bräuche auf (z. B. Unkener Stelzentanz durch Franz Eder, vulgo Peschbauer; Aperschnalzen in der Umgebung Salzburgs).

Vereinzelt erfahren wir daraus die Initiatoren von Bräuchen, die heute als „uralt“ und „immer schon da gewesen“ gelten. Adrians Unterteilung der Sitten und Bräuche umfasst: „A. Sitte und Brauch im öffentlichen Leben S. 772–774“, „B. Sitte und Brauch im Kreise der Familie S. 775–776“ und „C. Sitte und Brauch in Beziehung auf das kirchliche Leben S. 776-–78“, „D. Taufe S. 776“, „E. Hochzeit S. 779; (S. 778 fehlt in der Zählung)“ „F. Begräbnis S. 880“, „G. Unsere Volksspiele S. 880“ „H. Der Tanz S. 882“ sowie „I. Der Gruß S. 882“.

Bewertung und Stilisierung

Karl Adrians Darstellung ist zwar nach heutigem Verständnis nicht umfassend und bewertet vor allem ausgewählte historische Formen des Alltagslebens von vornherein als „wichtig“ (und lässt andere weg), doch gibt sie das Verständnis dieser Erscheinungen als gestaltende und ordnende Bestandteile des Alltags und Lebensumfeldes wieder. Diese Auffassung mag wohl vor der NS-Zeit auch in der breiten Bevölkerung noch existiert haben. Adrians Schilderung sieht die Menschen als Gestalter der Bräuche im Sinne von sitten- und alltagsbezogenen Handlungen. Im Gegensatz dazu steht die später in der NS-Zeit vertretene Sicht des Fortwirkens des „germanischen Mythus“ in den Bräuchen, die Menschen wie Ethnien zum Vollzugsorgan des Kultes werden ließ.

Adrians Darstellungen sind kurz gefasste Einsichten in den Wandel von Bräuchen wie in den Bewertungswandel derselben. Wenn Adrian feststellt, dass „einzelne Gebräuche in neuerer und besserer Form wieder aufleben“ und es „der führenden Hand bedürfe, um auf dem Gebiete von Sitte und Brauch manch schönen Erfolg zu erzielen“[4887], dann treten seine volksbildenden und gesellschaftspolitischen Anliegen hervor. Sätze, deren Nachhaltigkeit heute noch hörbar wird. Mit diesen Bewertungen durch Adrian wurden in Salzburg viele Erscheinungen des Alltagslebens ihrem Wandel enthoben und als „besonders“, „schützenswert“ und „wichtig“ bewertet. Der Weg zu ihrer Stilisierung und Pflege war damit beschritten worden.

2. Totenbretter im Walde[4888]

Über blumige Matten führt uns der Weg von Fischach aufwärts gegen Voggenberg. Bald nimmt uns das schattige Laubdach des Buchenwaldes auf und nach längerem Steigen bleibt der Wanderer überrascht stehen; vor ihm erhebt sich ein Kreuz, umgeben von einer großen Zahl Totenbrettern. Nicht leicht wird man eine so schöne Gruppe irgendwo wieder treffen, obwohl das Totenbrett im Salzburger Vorlande gerade keine Seltenheit ist. Da lehnt es an einem Baume, neben dem Feldkreuz oder an der einsamen Waldkapelle. Auf dem schmalen Kirchsteig, der von dem Berglehen herab zum Pfarrgotteshause führt, mahnt es den Vorübergehenden: Gedenke des Verstorbenen in deinem Gebete. Oft trifft man es vereinzelt, dann wieder zu zweien und dreien, manchmal auch in ansehnlicher Zahl.

Dieser uralte Brauch, der zwar heute nichts anderes sein soll als eine Gebetserinnerung, lebt in unserem Volke noch immer fort; denn nicht selten lesen wir auf den Brettern die Jahreszahlen 1917, 1918, 1920. In früheren Zeiten wurde die Leiche auf diesem Brette aufgebahrt, ehe der Tischler den Sarg fertig gemacht hatte. Dieser war es auch, der es mit der Schrift, mit dem Kreuze und öfter auch mit ernsten Symbolen, zwei gekreuzten Totenbeinen, einem Kranze und ähnlichem versah.

Im Pinzgau liebt man es, fast jeden Leichladen, wie dort das Totenbrett heißt, mit einem Vers zu schmücken. So lesen wir auf einem solchen, der zwischen Seehäusl und Zell am See an die Wand einer Scheune genagelt ist, folgendes:

Gedenkladen des Herrn Josef Hartl, gewester Einödbauer in der Schmitten, welcher im 78. Lebensjahr den 26. Mai 1900 gottselig im Herrn entschlief und dessen Eheweib Elise Hartl, welche im 77. Lebensjahre selig im Herrn verschieden. R. I. P.

Nun ruht in Gottes Frieden
ihr lieben Eltern mein.
So hat es Gott beschieden,
drum füget Euch darein.

Und wollt Euch nicht betrüben
vielliebe Kinder mein,
wir wollen Euch herüben
noch Eure guten Eltern sein.

Die Totenbretter finden sich in verschiedenen Gegenden des Flachgaues, so bei Obertrum, Hallwang, Anthering, Eugendorf, Seekirchen, Lamprechtshausen, Ursprung, Vorderfager und an anderen Orten. Anfangs der Achtzigerjahre fand man noch auf einem Wege durch das Leopoldskroner Moor zahlreiche Totenbretter, dieser Weg heißt heute noch der Totenweg, weil dort die Toten der Gemeinde Moos, ehe diese eine Pfarre war, nach Morzg zur Kirche getragen wurden.

Im Pongau kommen sie nur sehr vereinzelt vor; im Lungau fehlen sie ganz. Dagegen treffen wir sie in größter Zahl im Pinzgau, so in der Gegend um Lofer, Unken, Saalfelden, besonders aber von Leogang, dieser Ort ist das Zentrum des Totenbrettkultus. Auf dem Wege von Saalfelden bis Leogang sind 11 Scheunen und 3 Häuser an den Wänden über und über mit grünen, blauen oder hellbraun bemalten Brettern bedeckt. Schon auf der kurzen Strecke von Lenzing nach Saalfelden zählt man deren 180 bis 190. Kaum eines davon entbehrt eines sinnvollen Spruches, der freilich nach Inhalt und Form häufig wiederkehrt.

Der Brauch des Totenbrettes geht in die Zeit zurück, da unser Volk noch heidnisch war. Das älteste Gesetzbuch der Bayern, die Lex Bajuvariorum, gedenkt schon dieser Sitte. Freilich hatte das Brett in jener Zeit eine etwas andere Verwendung. Auf ihm ruhte die Leiche bis zur Bestattung und es wurde mit ihr ins Grab gesenkt. Der Tote wurde dann in der Grube damit zugedeckt. Es sollte dem Leichnam Schutz gewähren gegen eine etwaige Verletzung, beziehungsweise gegen eine Entheiligung, die beim Zuwerfen der Grube möglicherweise hätte eintreten können. Aus diesem altheidnischen Brauch stammt die Sitte des Totenbrettes, ein Beweis von der urdeutschen Eigenart unseres Volkes.

Das Totenbrett bleibt an Ort und Stelle, bis es durch den Einfluß von Wind und Wetter verwittert und zerfällt. Gerne wird es auch auf den sogenannten Totenrasten niedergelegt, das sind jene Plätze, wo die Träger der Bahre auf dem Weg zum Gottesacker wechseln. In den Sechzigerjahren wurde in einzelnen Orten des Vorlandes der Tote auf ein Brett, das auf zwei Schragen ruhte, gelegt und mit einem Leintuch zugedeckt, so blieb die Leiche bis zum Begräbnis liegen. Dann kam der Tischler, hobelte das Brett ab, schnitt das eine Ende in Kopfform zu und bemalte es, so daß es nachstehendes Aussehen erhielt.

Auch der Fall kam vor, daß das Totenbrett erst später angefertigt wurde. „Jazt muaß i do für’n Ahnl s’ Totenbrett machn lassn,“ sagte der Bauer im Wirtshaus zum Tischler. Auf einem Totenbrett in der Unkener Gegend lesen wir den inhaltsvollen Spruch: Was lebt, lobt Gott den Herrn, / Und die Verstorbenen lassen wir in Frieden ruhen. Damit mögen diese Ausführungen ihr Abschluß finden.



[4880] Kammerhofer-Aggermann, Ulrike: Die Salzburger Landeskommission „betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen“ und der Salzburger Landesanzug. In: Trachten nicht für jedermann? Hg. U. Kammerhofer-Aggermann, A. Scope, W. Hass (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 6) Salzburg 1993, S. 25–50. – Kammerhofer-Aggermann, Ulrike: Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. Walburga Haas (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 8) Salzburg 1996, S. 81–120, bes. 85–89.

[4881] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 936. – Jahrbuch des Salzburger Gewerbeförderungsinstitutes 1908, S. 7ff.

[4882] Johler, Reinhard; Nikitsch, Herbert; Tschofen, Bernhard: Schönes Österreich. Heimatschutz zwischen Ästhetik und Ideologie, Wien 1995 (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, Bd. 65).

[4883] Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, 53/1950, S. 175–177 und 177–179 zus. mit Leopold Schmidt: Adrian-Bibliographie). – Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 90/1950, S. 174–182).

[4884] Prodinger, Friederike: Karl Adrian † (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 90/1950, S. 174–182).

[4885] Johler, Reinhard und Nikitsch, Herbert: Zum Wesen des Österreichischen: die Heimatschutzbewegung. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. Walburga Haas (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 8) Salzburg 1996, S.211–234.

[4886] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 770–885.

[4887] SLA, Landtagsbericht Nr. 150, L.-T.1911/12, 24. Jänner 1912, S. 931 und Beilage B, S. 770f.

[4888] Adrian, Karl: Von Salzburger Sitt’ und Brauch. Wien: Österreichischer Schulbücherverlag 1924. S. 156–160.

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