Klicken Sie bitte HIER, um zur Langtext-Version dieses Beitrags zu gelangen.
Das europäische Mittelalter mit seinem sozialen Gefüge hat zwei zukunftsweisende neue Lebensformen hervorgebracht: den Adel und den Handwerkerstand, der sich zünftisch organisierte. Die Entstehung des eigenen Handwerkerstandes ist mit dem Aufkommen der Märkte und Städte in Verbindung zu setzten.
Zog es Handwerker vom Land in Markt oder Stadt, so wurden sie zu Spezialisten, die sich auf eine spezifische Produktpalette konzentrieren konnten. Der Leibuntertänigkeit, die sie unter den Grundherrn zwang, waren sie dann nicht mehr unterworfen. Die Handwerker der mittelalterlichen Fronhöfe waren also unfreie lohnabhängige Arbeiter, der spätere „klassische“ Handwerker aber ein Stadtbewohner und Bürger.
Die soziale und organisatorische Entwicklung des Handwerkerstandes erfolgte einerseits über den technischen und technologischen Fortschritt, in der Übernahme neuer Arbeitsmethoden und bisher unbekannter Werkstoffe. Andererseits drückte sich dieser Kulturwandel auch in der schrittweisen Veränderung der Anschauung und Vorstellung vom ethischen Wert der Arbeit aus. Im Mittelhochdeutschen bedeutet „arebeit“ noch Mühsal und Plage. Erst im Sprachgebrauch der frühen Neuzeit gewann der Begriff Arbeit positive Inhalte. Arbeit wurde zum wichtigsten Teil eines „Berufes“ – eines Zustandes, zu dem man quasi von oben her „berufen“ wurde.
Die aus benediktinischem Geist entsprießenden Orden prägten ein neues Arbeitsethos, das zu einer wichtigen Grundlage späterer Handwerksentfaltung wurde, da die Klostergemeinschaften der Mönche bereits auf Arbeitsteilung und Spezialisierung hin ausgerichtet waren. Die Pflicht zur niedrigen Arbeit wurde in ein hoch bewertetes ethisches System eingebunden.
Im Hochmittelalter entstanden nach dem Vorbild der klostergebundenen Orden auch Laienvereinigungen, Bruderschaften, die einen wichtigen Beitrag zum Entstehen der Handwerksverbände bzw. der Zünfte leisteten. Zünfte und Bruderschaften ließen sich durch das Überwiegen des jeweils berufsorientierten und des religiösen Zweckes unterscheiden.
Die religiöse Ausrichtung des Handwerkerstandes zeigte sich unter anderem auch in der Zuordnung gewisser Heiliger oder biblischer Gestalten als Schutzpatrone einzelner Zünfte oder ganzer Handwerkszweige. Christliche Ethik prägte also äußeres und inneres Leben der Zünfte, wenngleich diese Grundhaltung nicht nur religiöse, sondern auch politische Wurzeln erkennen ließ, da politische Ehrbarkeit für den Zusammenhalt einer Notgemeinschaft, wie sie die Bevölkerung einer Stadt darstellte, lebenswichtig war.
Um sach- und fachgerechte handwerkliche Arbeit in einem überlieferten Schema zu gewährleisten, ist Ausbildung vonnöten. Dabei lässt sich am Werdegang eines Handwerkers eine schrittweise Einführung und Aufnahme in eine Gemeinschaft mit Pflichten und Rechten erkennen.
Beim Lehrling erfolgte eine rigorose Fixierung in der patriarchalischen Ordnung des Haushaltes eines Meisters. Der Lehrjunge musste, solange er lernte, auch ein Dienender sein. Er war somit der Hausmutter als auch seinen Nächstgereihten, den Handwerksgesellen, untergeordnet. Der Lehrling musste ehrlich geboren sein und hatte dies auch mittels eines Geburtsbriefes seiner Heimatpfarre oder Grundherrschaft zu beweisen. Unehrlich waren Henker, Abdecker, Gerichtsdiener, Zöllner, Prostituierte und Fahrende.
Die Lehrzeit betrug ursprünglich zwei bis drei Jahre, wurde später aber auf bis zu sieben Jahre erhöht, um das Meisterwerden zu erschweren. War die Lehrzeit vorüber, so fand die Freisprechung statt. Prüfung hatte es vorher keine gegeben, der Meister musste die Reife des Lehrlings verantworten und hatte dabei auch auf seine eigene Reputation zu achten. Mit der Zeremonie der Freisprechung trat der Jüngling als „Jung-Geselle“ aus dem Familienverband des Meisters aus. Nach der so genannten „Gesellentaufe“ hatte der junge Mann den neuen Stand eines Gesellen erreicht, der meistens bis an sein Lebensende währte, wenn er nicht durch Herkunft oder durch Einheirat die höchste Stufe, nämlich die eines Handwerksmeisters, erklimmen konnte.
Der Geselle löste sich aus der Unterordnung, der er als Lehrjunge unterworfen war, indem er die geforderten Wanderjahre antrat. Diese Zeit war meist von Freiheit ohne Sicherheit geprägt – sie brachte jedoch Welterfahrenheit, Vermehrung handwerklicher Kenntnisse, Techniken und Verhaltensweisen.
Die verpflichtende Wanderzeit hatte sich bereits im 15. Jahrhundert durchgesetzt. Wollte jemand Meister werden, so hatte er wenigstens drei Wanderjahre als Handwerksgeselle nachzuweisen. Kennzeichnend für diese Phase im Handwerksdasein war der rasche Wechsel der Arbeitsstätten. Durchwandert wurde das ganze Reich (bis 1806 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation[244], von 1804–1918 die Habsburgermonarchie), das auch eine vertraute Sprach- und Kultureinheit bildete.
Ein Wanderbursche musste sich ausweisen können. Mit der wachsenden Schriftlichkeit kam das so genannte Wanderdokument auf. Das von der Obrigkeit angestrebte allgemeine Melde- und Erkennungswesen erfuhr in den katholischen Landen zur Zeit der Gegenreformation eine besondere Erweiterung. Da die Handwerker zumeist der Reformation angehangen hatten, versuchte die Obrigkeit, das gesamte Zunftwesen seiner starken unabhängigen Grundhaltung zu berauben. Nach der Rekatholisierung hatte sich das Zunftwesen langsam wieder beruhigt und in Richtung Autonomie bewegt. Die Gesellenwanderung wurde jedoch stärker unter Kontrolle gestellt. Der Lehrjunge musste nunmehr am Ort seiner Lehre den Lehrbrief in der Zunftlade hinterlegen und bekam bei Beginn seiner Wanderjahre nur eine Abschrift mit auf den Weg. Ebenso wurde ein Herbergszwang eingeführt, damit der Wanderbursche besser überwacht werden konnte.
Der Wohlstand einer Zunft lässt sich unter anderem an den erhalten gebliebenen Zunftrealien ablesen, also den Gegenständen, die im Fest- und Repräsentationsleben des Handwerks eine große Rolle spielten. Das wichtigste Symbol war die Zunftlade, die alle wichtigen Rechtsinstrumente der Zunft enthielt. Sie hatte zwei Tragegriffe, war also mobil und man weiß, dass sie als kostbarer Gemeinschaftsbesitz auch beim kirchlichen Höhepunkt des religiösen Handwerksjahrlaufes, der Fronleichnamsprozession, mitgetragen wurde.
Zum Feiern gehörte unabdingbar das teilweise auch als Zeremoniell aufgefasste Trinken. Dazu verwendete man eigene Zunftpokale und so genannte große Schleifkannen, in denen der Nachschub an Wein herbeigeschafft und aus denen eingeschenkt wurde.
Eine kulturelle Sonderentwicklung der Handwerker im deutschen Sprachraum stellte der Meistergesang dar, der seit dem Mittelalter vor allem in den Städten des süddeutschen Raumes blühte. Anfänglich hatte dieser mit der Emanzipation des Bürgerstandes gegenüber dem Adel zu tun, der sich mit dem Minnesang und dem Heldenepos eine eigene Literatursparte geschaffen hatte.
Der Meister hatte die höchste Stufe seiner Möglichkeiten erreicht. Höher konnte er im Ansehen nur mehr steigen, wenn er auch eine Stellung im Gemeinwesen einnahm. Wenn ein Geselle Meister werden wollte, hatte er Voraussetzungen zu erfüllen, die nicht alleine in seinem Ermessen lagen. Die Zunft prüfte seine ehrliche Abkunft und die ordnungsgemäß abgelegten Wanderjahre. Dann hatte er das Meisterstück zu liefern, das noch heute in unserem Wortschatz eine große Bedeutung im Sinne von Höchstleistung jeder Art hat.
Von besonderer Bedeutung war, dass der Meister ein Bürger sein musste, das heißt, dass er seit geraumer Zeit ein Hauswesen auf eigenem Grund und Boden in Stadt oder Markt seines Gewerbebereiches innehaben musste. In den Meisterstand zu treten, war für Gesellen sehr schwer, wenn sie nicht durch besonders glückliche Umstände zu finanziellen Mitteln gekommen waren.
Die Zünfte zeigten viele Züge eines Männerbundes. Die Kirchenfeste wurden aber gemeinsam mit Frau und Kindern gefeiert. Im Haushalt hatte die Frau eine dominante Stellung – auch gegenüber den Lehrjungen und Gesellen – und nahm auf diese Weise ebenfalls am Gewerbeleben teil. Die eigentliche und reguläre Handwerkerlaufbahn von der Lehre bis zur Meisterschaft blieb der Frau aber bis ins 20. Jahrhundert verschlossen. Das sollte sich erst mit der wachsenden Emanzipation ändern.
[243] Kurzfassung von Ilona Holzbauer
[244] So wird jenes übernationale Großreich genannt, das bereits im 8. und 9. Jahrhundert seit Karl dem Großen zu entstehen begann und im 10. Jahrhundert das ostfränkische Reich ablöste. Der Kaisertitel dieses Namens wurde 1254 erstmals verwendet. Es bestand bis zum 6. August 1806, als Kaiser Franz II. die Kaiserwürde niederlegte. Damit fand das Reich sein Ende; seine Nachfolgestaaten waren unter anderem seit 1804 die Habsburgermonarchie sowie ab 1806 die deutschen Kleinstaaten bzw. ab 1815 der Deutsche Bund. Salzburg war reichsunmittelbares Fürstentum im Römischen Reich Deutscher Nation, also direkt dem Kaiser unterstellt. Auch der Privatbesitz der Habsburger, die Habsburgischen Erblande, waren Teil dieses Reiches.