Heute findet sich „der Bauer“ in den Medien als Vertreter seines Standes in vielfältigen Stereotypen und Klischees dargestellt. Die wenigsten finden bei diesem Stand Anklang, denn sie sind weit entfernt von der Realität. Klischees sind ja immer oberflächliche Bilder eines Außenstehenden, die ohne Kenntnis der Sachlage ein eigenes Wunsch- oder Feindbild im Klischee wiedergegeben. Diese Klischees sind auch immer tendenziös und auf einen Zweck hin gerichtet. Sie entstehen oft aus einer bestimmten Situation der Kommunikation oder Reibung zweier gesellschaftlicher Gruppen heraus.
Die Bandbreite der Bilder „des Bauern“ als Synonym für einen Stand ist groß und reicht vom „Schützer wahrer Werte“ bis zum „rückständigen Relikt“ vergangener Zeit. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit beliebt, ist „der Bauer“ in adretter Tracht gekleidet, als heiter gelassener Repräsentant einer lebenswerten, naturverbundenen Ideallandschaft, als der Hüter einer heilen Welt, als Bewahrer kultureller Werte. „Der Bauer/die Bäuerin“ sind „echt“ und „wahr“ und mit „ihrer Ehr’“ lässt sich gut werben. Wenn es um Tradition und Brauch, um Kulturlandschaft und Heimat geht, um Großmutters Hausmannskost, um weibliche Kunstfertigkeit und Kräuterheilkunde, kommt kaum eine Fernsehsendung, kein Werbeplakat ohne die Darstellung vermeintlicher bäuerlicher Lebenswelten und Werte aus. Es scheint, als würde damit der Bauernschaft all jene Verantwortung für Umwelt, Kultur und Zukunft aufgelastet, von der sich der übrige Teil der Gesellschaft bequem befreien möchte. Gleichzeitig werden in die Bauernschaft all jene Ideale von lebenswerter Idealwelt hinein gedacht, die jene Teile der Gesellschaft erträumen, die nicht als Landwirte tätig sind und nicht in ländlichen Regionen leben.[3183]
Daneben findet sich aber auch der „böse“ Bauer, der meist – auch in der Zeit von Farbfernsehen und bunten Printmedien – in Schwarz-Weiß-Fotografie, im abgetragenen Lodenröckel, mit zu kleinem, schräg sitzenden Lodenhut starr und misstrauisch jeden Fortschritt ablehnt. Ein Klischeebild wird damit weitergetragen, das bereits im frühen 19. Jahrhundert zur Theaterfigur geworden war. „Der Bauer“ als Bremser, als Subventionsempfänger und als Sündenbock der Gesellschaft – auch so erfüllt das Klischee seinen Zweck. Die Bäurin ist dabei stets die untergeordnete Ehefrau.
Zwischen diesen beiden realitätsfernen Extremen findet sich – weit seltener in der öffentlichen Meinung, dagegen aber in vielen für diese Berufsgruppe ausgerichteten Publikationen und Programmen – jene Sicht des Bauern bzw. der Bäurin, die wohl am nächsten an die Realität herankommt. Nämlich die Rolle als kreative Unternehmer, welche mit einem zeitgemäßen Maschinenpark und bester Ausbildung ein Unternehmen führen und planen, das mit „Nahrungsmittelproduktion“ allein heute nicht mehr umschrieben werden kann. Zu bedeutsam sind heute Landschafts- und Ortsbildpflege, Marktbeobachtung und Marketing ebenso wie Nahrungsmittelverarbeitung und Dienstleistung geworden.[3184] Diese Bauernschaft von heute versteht sich auch weder als bieder noch weltfremd, weder als nostalgisch zurückblickend noch zukunftsfeindlich. Traditionspflege heißt für sie auch nicht konservieren und versteinern, sondern stets kreativ aus der Tradition für die Gegenwart schaffen und gestalten. Im Sinne der Nachhaltigkeit erscheint es daher als vordringlich wichtig, die Bauernschaft aus diesen Klischees frei zu spielen und ihre Rechte auf gegenwartsbezogene, nachhaltige Bildungs-, Wirtschafts- und Freizeitmodelle zu wahren. Sonst wird die Bauernschaft mit den anderen Bewohner*innen stadtferner Landregionen zum Dienstleister im Tourismus, zum Darsteller einer nostalgischen Vergangenheit, zum subventionierten Kulturlandschaftspfleger instrumentalisiert werden. Jene Vorder- und Hinterbühnenkultur würde daraus entstehen, die Erving Goffman aufzeigt und deren Schäden Kultursoziolog*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen beständig begrenzen und heilen sollen. Die laufende Fortentwicklung einer eigenständigen und bedürfnisgerechten Standeskultur wäre dadurch jedenfalls sehr erschwert.
Wie ist es zu den Klischees „des Bauern“, „der Bäuerin“ in der Öffentlichkeit gekommen? Rollen wir die Frage aus der Kulturgeschichte her auf, so ergibt sich quer durch die Jahrhunderte ein sehr wechselhaftes Bild. Aus den Stereotypen und Klischees jeder Epoche lassen sich wichtige Aussagen über die Bedeutung der Bauernschaft für die jeweilige Zeit ableiten. Ebenso zeigt sich aber, dass ältere, nicht mehr allgemein bekannte Klischees in jüngeren immer wieder zutage kommen, dass sie latent vorhanden sind.
Werte und Bewertungen resultieren jeweils aus der spezifischen Sozialisation, aus dem Hineinwachsen in die Gesellschaft, in das kulturelle Geflecht einer spezifischen Zeit, eines Lebensraumes. Daher können sie niemals „wahr“ und allgemein gültig sein, denn sie enthalten neben konkreten Erfahrungen auch entsprechende Bedürfnisse und Wünsche. Sie prägen aber das Verhalten und Handeln jener Gruppen, denen das Klischee zugehört, werden also in einem unreflektierten Denken und Vorgehen zuerst einmal für „wahr“ genommen. In einer vielschichtigen Gesellschaft stehen demnach auch unterschiedliche Ziele und Bedürfnisse und damit unterschiedliche Wertebilder einander gegenüber. Daher können auch unterschiedliche Klischees gleichzeitig existieren und bei Gelegenheit aufeinander prallen.
So ist mit der Sicht des "Bauern" auch stets die Wertung von Natur und Landschaft verknüpft. Kultur und Natur wurden und werden auch heute oft noch als Konkurrenten gesehen. Im wissenschaftlichen und im öffentlichen Diskurs stehen häufig unterschiedliche Theorien über das Verhältnis von Kultur und Natur einander gegenüber. Kultur hieß es, sei das, was der Mensch als schalen Ersatz für die verdrängte Natur anbieten müsse. Kultur sei das vom Menschen Gemachte, während Natur von Gott gegeben sei. Sätze, die sich jederzeit für das eine oder andere Argument verwenden und verbiegen lassen. Heutige integrative Kulturtheorien dagegen verstehen Natur als das Ausgangsmaterial für den Menschen und Kultur als die Brille, durch welche der Mensch Natur wahrnimmt (und damit als den Ausgangspunkt dessen, ob der Mensch „Natur“ als positiv oder negativ sieht und was der Mensch überhaupt als Natur bewertet), als den Rahmen, in welchem der Mensch mit Natur umgeht.
Bis ins frühe Mittelalter lebten die verschiedenen Standesgruppen weitgehend unter ähnlichen Bedingungen, die Lebens- und Bildungsformen, die Sachgüter und Verhaltensweisen unterschieden sich nur geringfügig. Mit dem vermehrten Aufkommen der Städte und damit mit dem engeren Zusammenleben der Menschen wurde mehr Strukturierung notwendig. Die Stände entwickelten und differenzierten sich immer mehr, um sich durch die Art ihrer Standeskultur deutlich voneinander abzugrenzen. Damit entstanden Berufs- und Standesformen mit eigenen Lebensweisen, in unterschiedlichen Wohn- und Arbeitsbereichen. Alle Veränderungen und damit Neuerungen gingen von den Städten aus und brauchten oft sehr lange, bis sie das Land und die dort verstreut lebenden Menschen erreichten. Während die Menschen in der Stadt durch Mauern, Wachen und Ausgangsordnungen gesichert waren, waren die Menschen am Lande ganz auf sich selbst angewiesen und entbehrten der Sicherheit. Dem Stadtbürger standen über seinen Grundbesitz auch Bürgerrechte zu, sodass allein durch diese Vorrechte bereits zwei unterschiedliche Klassen von Menschen in den Städten wohnten. Ein großer Teil der Landwirtschaften dagegen war einem Grundherren unterstellt, von dessen Willkür sie weitgehend abhängig waren. Sehr rasch entstand eine deutliche Kluft zwischen städtischer und ländlicher Lebensweise. Ländlich wurde gleichbedeutend mit veraltet, kunstlos, unkultiviert und auch unsicher. So war im frühen 16. Jahrhundert bereits die Bezeichnung „bäurisch“ als Gegensatz zu städtisch und bürgerlich üblich, „bäurisch gehen“ bezeichnete in negativem Sinne Tracht und Verhaltensweise.[3185]
Im 14. Jahrhundert durchzog die Pest Europa, es kam zu einem fürchterlichen Massensterben. In den Jahren von 1347 bis 1352 wurde zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung von der Pest getötet. Unter diesen Bedingungen änderte sich die Ansicht vom Tod „aus Gottes Hand“ zum Tod als „entsetzlichem Naturereignis“. Die nachhaltigste Wirkung dieser Pestepidemie brachte aber ein in Paris erstelltes Gutachten, das die Pest als Folge gefährlicher Gestirnskonstellationen, die giftige Erdausdünstungen bewirkten, ansah. Damit kam das damalige Weltbild ins Wanken. Die Natur erschien plötzlich nicht mehr gottgegeben, sondern als ein gefährliches Monster, gegen das sich der Mensch zur Wehr setzen bzw. das er seinem Willen unterwerfen musste. Im selben Maße aber änderte sich auch das Bild all jener Menschen, die direkten Kontakt zur Natur hatten. Um solche Gefahren zu bestehen, mussten auch sie rau und wild sein. Und diese neue Deutung verschränkte sich mit dem, durch die städtische Kulturentwicklung vorgegebenen „cultural lag“, mit dem zeitlichen Hinterherhinken der bäuerlichen Kultur hinter städtischen Lebensweisen.
Im Geiste der Renaissance, die den Menschen als Beherrscher der Natur, als Lenker seines Schicksals und damit der Welt verstand, wurde alles nicht vom Menschen Durchgestaltete und Überhöhte zum Inbegriff des Üblen.[3186] So wurde auch "der Bauer" im Klischee zum „unkultivierten starken Wilden“, der gleichzeitig mit Abscheu und Bewunderung betrachtet wurde.
Aber die Entwicklung der Zeit (vermehrte Landrodung und steigende Lebensmittelpreise, Verminderung der Gemeinrechte und Kriegssteuern) stärkten einerseits das Selbstbewusstsein der Bauernschaft und verschlechterten andererseits ihre Situation. In Salzburg hatte schon 1462 eine hohe Weihesteuer für den Erzbischof Bauernproteste gebracht. Mit dem großen Bauernkrieg, der 1525/26 durch Deutschland, die Schweiz und große Teile Österreichs tobte, gingen geschätzte 100.000 Bauern zugrunde. Dieser Krieg war eine wesentliche revolutionäre Bewegung, die die feudale Macht von Staat und Kirche infrage stellte. Diesem Bauernkrieg lag daher auch die Religionsfrage zugrunde. Die Bauern waren damals gegen zu hohe Zehent- und Dienstleistungen, gegen das Verbot des Luthertums und auch gegen das ihrem Stande auferlegte Außenseitertum aufgestanden. Ihnen schlossen sich Bürger mit unterschiedlichen strukturellen, rechtlichen und religiös reformatorischen Ideen an. Das Bauernbild jener Zeit zeigte „den gegen die Obrigkeit mit dem Dreschflegel rebellierenden Landser“.[3187] Die Bilder langmähniger Bauern in zerrissenen Arbeitskleidern, ledernen Wämsern, mit Dreschflegeln, Sicheln und Mistgabeln bewaffnet, sind allseits bekannt.
Über diese Bauernkriege kamen kaisertreue Adelsfamilien zu neuen Rechten und Herrschaftsbesitzungen. Auf der anderen Seite war die Folge des Bauernkrieges die Entwaffnung, Verarmung und Machtlosigkeit des Bauernstandes. Auch fehlten vielfach die Männer als Ernährer. Durch den Krieg bekam einerseits die Alchemie mit ihrer Suche nach Bodenschätzen und der Hoffnung auf Gold und auch die frühe Industrie andererseits eine ganz neue, wesentliche Bedeutung (z. B. die Messingfabrik in Ebenau im Land Salzburg).
In Salzburg schloss sich ein großer Teil der Bevölkerung, auch der Stadt Salzburg, den Aufständischen an. Erzbischof Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (EB 1519–1540) wurde 1525 auf der Festung Hohensalzburg drei Monate festgehalten und belagert. Erst ein Heer des Schwäbischen Bundes konnte ihn befreien. An diese Zeit erinnern der „Bügermeisterturm“ (er sollte, mit seinen Geschützen, die Bürger meistern) als erster Geschützturm der Festung („Schlangenrondell“, nach den Religionsaufständen von 1523 erbaut) und die Nonnbergbasteien (1526) sowie die große Zisterne im Hof der Festung. In Salzburg waren die Gewerken und die Bergleute neben den Bauern wesentliche Rebellen. 1526 brach dann auch noch im Pinzgau eine Bauernrevolte aus. Einzig die Stadt Radstadt blieb dem Erzbischof treu, obwohl 5.000 Bauern unter Michael Gaismair (unter ihm wurde unter anderem für die Abschaffung der weltlichen Macht der Bischöfe gekämpft) die Stadt belagerten. Sie erhielt dafür den Titel „Die allzeit Getreue“.[3188] Die weiter andauernden Unruhen führten in Salzburg 1564 zu einer grausamen Niederschlagung der Protestanten.
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), der ein Religions-, Stände- und Staatenkonflikt war, der vor allem in Deutschland und Böhmen ausgetragen wurde, kam es wiederum zu einem hohen Steueraufkommen wie zu Einziehungen zum Militär. Daher waren auch jene Länder betroffen, in denen nicht direkt gekämpft und verwüstet wurde. In dieser Zeit präsentierten sich zwei Klischees, neben dem „rasenden Landser und gewalttätigen Bauern“ erschien der durch Abgaben ausgepresste und von Kriegswirren überlaufene „machtlose Bauer“. Hier nahm auch das Klischee des „deutschen Michels“, des „Tölpels“ seinen Ausgang. Von dieser Zeit an prägen negative städtische Klischees vom „Bauern“ die Zeit bis zum 19. Jahrhundert.[3189] Durch die große Verbreitung der damals noch recht neuen Druckgrafiken als Flugblätter an eine breite Bevölkerung kennen wir eine Fülle von Darstellungen besonders aus dem frühen 16. Jahrhundert und auch aus dem 17. Jahrhundert, die die Grausamkeiten auf beiden Seiten des Krieges darstellen. Eine Darstellung aus jener Zeit etwa zeigt das staatliche Selbstverständnis: Auf der Waage des Unrechts wiegt der gefesselte Bauer weit schwerer als der kriegerisch gerüstete Soldat.[3190] Im 17. und 18. Jahrhundert verlagert sich aber das Bild in Richtung des „fleißigen Untertanen“.
Im 18. Jahrhundert proklamierte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) den neuen Leitsatz „Zurück zur Natur!“, der viele neue Bauern-, Schäfer- und Naturbilder in den Oberschichten entstehen ließ. Wie weit weg diese Bilder von der Realität waren, drückt ein Ausspruch aus, der Marie Antoinette (1755–1793) – der französischen Kaiserin österreichischer Abstimmung – in den Mund gelegt wird, sei er nun wahr oder nicht. Sie soll gesagt haben, als man ihr von Bauernaufständen berichtete: „Wenn sie kein Brot haben, so sollen sie doch Kuchen essen!“
Neben dem Bild der gewaltigen, menschenleeren Landschaft, die nur ein Auserwählter, Mutiger bezwingen kann, entstand die Idylle des lieblich kindlichen Landvolkes in seinen bunten Trachten. So wurden Jäger und Sennen bzw. Sennerinnen zu Bezwingern der Natur stilisiert, die Alpinisten sahen sich selbst ebenfalls als Entdecker und Bezwinger von Grenzregionen. Unverbildete „Naturkinder“ und „Älpler“ wurden zum Freizeitvergnügen übersättigter Städter, an ihrer „rührenden Unbildung und Unverdorbenheit“ ergötzten sich die ersten Alpinisten und Sommerfrischler*innen und gaben dafür Trinkgeld. Die „Nationalkostüme der Älpler“ wurden städtische Karnevals- und Sommerfrischemode. Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) soll sich für ein Faschingsfest als Bauernmädchen verkleidet haben und seine Schwester Marianne ging einmal als altes Bettelweib, wie sie der Mutter nach Paris schrieb und in ihrem Tagebuch vermerkte.
„Stimmen der Völker in Liedern“[3191], Märchen und Trachten wurden „ver-zeichnet“, nämlich so, wie sie die bürgerliche Bildungsgesellschaft sehen wollte. Realitätsfern und klischeehaft war auch dieses Bild vom Bauern, der in seiner Lebensgesamtheit dabei gar nicht wahrgenommen wurde. Zu Ende dieses Jahrhunderts kam im Zuge der Aufklärung ein weiteres Bauernbild auf den Plan. Die Statistiker und reisenden Wissenschaftler schufen aus sozioökonomischen Überlegungen heraus ihre Landesbeschreibungen, in denen das Bild des Bauern stets zwischen Pittoreske und Reformbedürftigkeit schwankt. Auch diese Regierungsbeamten konnten sich der fremden Idylle stadtferner Lebenswelten nicht entziehen, doch vor allem nahmen sie die sozialen, sanitären und wirtschaftlichen Missstände auf dem Lande wahr und machten oft gleichzeitig Vorschläge für Reformen. „Der gemeine [im Sinne von gewöhnlich, dem niederen Volk angehörig] Steirer“ ist eine dieser Schriften benannt, die die großen Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen der Städter*innen und der Landbewohner*innen aufzeigen.[3192] Für Salzburg kennen wir etwa die Schriften von Graf Spaur, Lorenz Hübner und J. A. Schultes.
Landwirtschaftliche Reformen und Versuchsanstalten, Anbau- und Aufzuchtspläne, gesundheitspolitische Maßnahmen versuchten dem Elend der Bauern entgegenzusteuern. Zur selben Zeit begannen die ersten Abwanderungen der Bauern in die Städte und Industriezentren. Für Salzburg gilt dies allerdings erst für das 19. Jahrhundert. Im Zuge der Industrialisierung spaltete sich im 19. Jahrhundert das Bauernbild vielfältig auf. Für die städtischen Oberschichten galt die ländliche Idylle in unterschiedlichen Facetten weiter, für die städtischen Unterschichten und besonders für die selbst vom Land abgewanderten Arbeiter und Dienstbotinnen wurde der Bauer zum „weltfremden Schollenhocker“. Der dummdreiste Bauer im kurzen Spenzer und Reindlhut wurde zum Typus im Volkstheater, zu einer Figur, die sich bis heute in medienpräsenten „Bauernbühnen“ neben anderen Stereotypen wie etwa „dem bösen Weib“, „dem weltfremden Professor“ und „der heiratswütigen Städterin“ erhalten hat.[3193] Die Arbeiterschaft dagegen, die sich auch aus einem großen Teil landflüchtiger Kleinbauern, weichender Erb*innen und Dienstbot*innen zusammensetzte, wurde in Stadt und Land als Bedrohung aller überkommenen Werte abgestempelt. Vielerlei karitative und sozioökonomische Initiativen versuchten, die „soziale Frage“ in den Städten (die schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen, den hohen Alkoholkonsum, die Notwendigkeit eines menschenwürdigen Nebenerwerbes etc.) zu lösen. In jener Zeit begann bewusst die gesellschaftliche Herausbildung eines neuen Bauernbildes, von dessen Ausläufern wir heute noch zehren. Auf der bürgerlichen Idyllisierung des Landlebens aufbauend, wurde die Sicht der Bauernschaft als Erhalter kulturellen Erbes und überlieferter Werte gefördert.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Kurse aller Arten für die bäuerliche Bevölkerung angeboten. Erstmalig erlernten die Bäuerinnen und Bauerntöchter das Kochen, Sticken und Stricken (Fähigkeiten, die noch ein Jahrhundert davor den bürgerlichen Hausfrauen beigebracht worden waren). Dabei sollte der Kochunterricht die bestmögliche Verwendung der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel und eine gesunde Ernährung gewährleisten und die weiblichen Handarbeiten einen finanziellen Nebenerwerb garantieren. Das Bild der Bäuerin als umfassend erfahrener Hauswirtschafterin ist also ein recht junges. Denn erstmalig in der Geschichte wurde nun in der Öffentlichkeit die Bäuerin bedeutsam. In den staatlichen Bestrebungen um die Stabilisierung und Imagebildung des Bauernstandes um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde sie zu einem Angelpunkt des bäuerlichen Wirtschaftsunternehmens. In den vergangenen Jahrhunderten war sie die Ehefrau und Wirtschaftsführerin des Bauern oder – wie in Salzburg gelegentlich – auch die Hofbesitzerin. Doch wie den Frauen anderer Stände auch kam ihr kein Gewicht in der Öffentlichkeit zu.
Auch das Bild des Bauernhofes als autarker und rentabler Wirtschaftsbetrieb ist ein Denkmodell des 19. Jahrhunderts, das stark durch die, zu jener Zeit entstehenden Großfarmen in Amerika geprägt wurde, sich in unserem Land aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzte.[3194] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rolle des Bauern (wiederum nur männlich gesehen) noch über den Dienst an der Gesellschaft definiert: „Die neue ländliche Gemeinschaft möge den Adel des Verstehens, Helfens und Dienens in ihrem Wappen tragen!“, so der Präsident der Landwirtschaftskammer Salzburg im Jahre 1954.[3195]
Diesem betriebswirtschaftlichen Denken steuerte auch das Bauernbild der NS-Zeit entgegen, das den Bauern und die Bäuerin als Keimzelle der Gesellschaft („Jeder stammt von Bauern ab“; „Nur im Bauerntum hat sich der germanische Mythos rein erhalten“) und Bewahrer germanischen Erbes verstand. Aus diesem Grunde wurden auch „Volkstum und Brauchtum“, speziell auf dem Sektor des Bäuerlichen gesehen, und alles Bäuerliche – und das, was man dafür halten wollte – besonders verherrlicht und zum Vorbild stilisiert. Denn alle anderen Standeskulturen wurden bereits als „christlich-humanistisch“ bzw. „städtisch“ verfälscht bewertet. Alles „städtisch“, „modern“ oder „international“ Bewertete galt als minderwertig und schlecht. Darin wird sowohl die „Rückführung auf den [bäuerlichen] Nordstandpunkt“ als auch die Gegnerschaft zum international verschränkten und mit dem Wort „international“ agierenden Sozialismus und Kommunismus deutlich. Die meist ideologisch veränderten bäuerlichen Bräuche wurden als Relikte germanischen Kultes verstanden und die Bauernschaft mit deren Erhaltung betraut. So kam auch in Salzburg der „NS-Reichsbauernschaft“ die wesentliche Rolle in der „Volkstums- und Brauchtumspflege“ zu.[3196] Eine Rolle, die die Bauernschaft, mit wenig veränderten Ansprüchen, auch heute noch innehat und mit den Heimatvereinigungen teilt. Ein Beispiel, das auf all diesen vor knapp hundert Jahren entwickelten Sichtweisen und Bewertungen aufbaut und höchst unterschiedliche Meinungen bei Touristiker*innen und Kulturwissenschaftler*innen hervorruft, ist der „Salzburger Bauernherbst“, dessen Werbetexte „Erdigkeit“ und „Tradition“ heraufbeschwören und vielfach Bilder einer vorindustriellen ländlichen Idylle erzeugen, die jeder Realität Hohn lachen. Doch die Gäste scheinen sie zu lieben, die Strohpuppen und die ebenso puppenhaften, in sonntäglicher Tracht gewandeten Spinnerinnen, Krapfenbäckerinnen und Dreschflegel schwingenden jungen Burschen, die auf Vorderbühnen einer ländlichen Idylle agieren.
Je städtischer und mobiler die Gesellschaft wurde, je mehr Urlaub und Freizeit zu integrativen Bestandteilen der Alltagskultur wurden, desto verdichteter und vielfältiger wurden die Klischees des Bauernstandes in unserer Zeit. Im Zusammenhang mit Tourismus- und Produktwerbung ebenso wie mit europaweiten, öffentlichen Regionalkulturinitiativen entstanden die eingangs erwähnten Bilder, zu denen noch viele weitere kommen werden. So bleibt die Frage, ob und wie solchen Klischees und Stereotypen zu begegnen ist? Von außen herangetragene Klischees werden sich nur dort in realitätshältige Bilder verwandeln lassen, wo direkter Kontakt und Engagement für die eigene Sache möglich sind. Wichtiger erscheint es aber, dass das eigene Standesbild unbeeinflusst von den Klischees weitergetragen werden muss, um nicht durch langsame Übernahme der Fremdbilder zum internalisierten Klischee zu werden, das die Entwicklung einer autarken Standeskultur verhindern würde. Positiv an solchen Klischees ist aber auch, dass sie das Interesse an regionalen Produkten und regionale Absatzmärkte fördern.
Das stattliche Bauernanwesen des „Vorderbrandstätthofes“, etwa eineinhalb Wegstunden von der Ortschaft Taxenbach entfernt, lässt sich urkundlich bis zum Jahre 1698 zurückverfolgen – damals wurde es „Pfeffer Lehen“ genannt. In dieser Gegend hatten einst die Kelten gesiedelt und Bergbau betrieben, wie Gräberfelder, Gerätschaften und andere Funde bezeugen. Ab dem 10. Jahrhundert, nach dem Ende der römischen Herrschaft und der Landnahme durch die Bajuwaren, wurden die Gebirgsgegenden von Neuem besiedelt. Das Land Salzburg bildete noch kein in sich geschlossenes Territorium und erst im 13. Jahrhundert ging das Gebiet des Pinzgaus auf dem Tauschweg in den Besitz der Salzburger Erzbischöfe über. Taxenbach, das der Sage nach acht Burgen hatte, gehörte zu den frühesten Ortschaften und wird bereits im Jahr 1323 als Markt erwähnt.
So abgeschieden diese Gegend lange Zeit war, blieb sie dennoch nicht unberührt vom Weltgeschehen. Zwei große historische Umbrüche wurden in ihrer Grausamkeit auch für die Bewohner dieses Hofes persönlich spürbar. Zweimal war auf diesem Bauernhof ein Besitzer um seiner Gesinnung willen der Gewalt einer Obrigkeit, die Abweichung von der verordneten Linie und Freiheit der Meinung nicht duldete, anheim gefallen. Hier sollen die beiden Schilderungen Geschichte über persönliche Schicksale fassbar machen und die Klischeebilder vom „Bauern“ relativieren.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte die Reformation auch im geistlichen Fürstentum Salzburg Einzug gehalten und war bald von den Salzburger Erzbischöfen mit Gewalt niedergerungen worden. Die religiöse Aufbruchbewegung konnte aber, trotz aller Verfolgungen, niemals ganz ausgerottet werden. Vor allem in den Gebirgstälern hatte sich der Geheimprotestantismus noch lange mit großer Zähigkeit erhalten. Auch im Pinzgau versammelten sich nach getaner Arbeit die lutherisch Gesinnten in ihren Häusern und der Hausvater las aus der, tagsüber verborgenen, Bibel vor.
In Taxenbach predigte der, dieser neuen Glaubenslehre zugeneigte Priester Konstantin Schafhauser öffentlich im lutherischen Sinne und gewann beachtliche Anhängerschaft. Die Protestant*innen kümmerten sich kaum noch um Verbote und forderten offen die Spendung des heiligen Abendmahles in beiderlei Gestalt. Erzbischof Johann Jakob von Kuen-Belasy (1560–1586) reiste 1564 selbst in den Pinzgau, um die Unruhen zu beseitigen. Er stieß auf hartnäckigen Widerstand und ging mit dafür angeworbenen Soldaten mit Waffengewalt am 24. Jänner 1565 gegen die protestantische Bevölkerung vor.
Das war jedoch nur der Anfang der nun einsetzenden Ketzerverfolgung und bereits damals wurden viele zur Auswanderung gezwungen. Der Vorderbrandstätthof wurde bei diesen Vorfällen zwar nicht ausdrücklich erwähnt, doch waren die Bauernfamilien in der Umgebung von Taxenbach in jener Zeit nahezu alle protestantisch.
Im Jahr 1732 kam es schließlich im Gebiet des Pongaus und des Pinzgaus zur großen Erhebung der protestantischen Bauern, die sich nun offen zur Augsburgischen Konfession bekannten. Sie bekräftigten dies in einer berühmt gewordenen Versammlung in Schwarzach (Salzlecker) mit einem Treueschwur und richteten an Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian (1727–1744) das Ansuchen um Gewährung freier Religionsausübung. Die harte, unnachgiebige Antwort auf dieses Begehren war wiederum der Befehl zur Auswanderung, falls sie sich nicht bekehren wollten. Es blieb kaum Zeit, um die Bauerngüter zu verkaufen und der Winter stand vor der Tür. Außerdem wurde verfügt, dass alle Kinder unter 14 Jahren zur Umerziehung zurückgelassen werden mussten.
1732 wird auch der Vorderbrandstätthof als evangelisch genannt. Der damalige Besitzer, Paul Lainer, war selbst als Prediger hervorgetreten und hatte das Evangelium verkündet. Er blieb auch jetzt, vor die Entscheidung gestellt, seinem Glauben treu. So gehörte auch er zu den fast 25.000 Menschen, die damals gewaltsam vertrieben wurden. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen bot den Emigrant*innen in seinem Land Zuflucht und Aufnahme, so kam Paul Lainer nach Königsberg.
Der Vorderbrandstätthof wurde, wie die anderen Höfe der Vertriebenen, in katholische Hände übergeben. In rascher Folge wechselten die Eigentümer und immer wieder musste der Hof wegen Verschuldung nach kurzer Zeit versteigert, verkauft und unter seinem Wert abgegeben werden.
Schließlich erwarb Michael Oblasser im Jahr 1868 den Vorderbrandstätthof, der bis heute im Besitz dieser Familie blieb. Da Michael Oblasser noch in jungen Jahren starb, musste sein Neffe Stefan, geboren am 17. Dezember 1877, schon mit 18 Jahren den schwer verschuldeten Hof übernehmen, der ihm jedoch erst 1904 offiziell übertragen wurde. Es gelang ihm, sich mit harter Arbeit zu behaupten, die Schulden abzutragen und sogar die 84 Hektar große Alm zu kaufen. Stefan Oblasser galt als harter Mann, der auch beim Verkauf von Rindern und Pferden hartnäckig auf seinen Forderungen bestand. Die wirtschaftlichen Verhältnisse und Lebensbedingungen waren schlecht, mitunter mussten sogar die Kinder hungern. Dennoch hatte mit ihm der Hof einen Aufschwung genommen und unter den Bauern genoss Stefan Oblasser Achtung und Ansehen.
Im Jahre 1905 verheiratete er sich mit Katharina Etzer. Möglicherweise erfolgte diese Eheschließung nicht alleine aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern es mag persönliche Zuneigung mit im Spiel gewesen sein. Denn es ist erstaunlich, dass Oblasser seiner Braut sogar einen Verlobungsring schenkte, was in jener Zeit unter Bauern keineswegs üblich war. Ebenso sollte die Hochzeit als herausragendes Ereignis besonders festlich begangen werden. Das Paar reiste dazu eigens nach Salzburg, wo in der Wallfahrtskirche Maria Plain die Hochzeit stattfand.
Der Alltag des bäuerlichen Lebens, der danach folgte, war allerdings bar jeder Romantik. Er bestand ausschließlich aus harter mühevoller Arbeit. Das Paar hatte insgesamt 18 Kinder, darunter dreimal Zwillinge, doch überlebten nur 10 Kinder. Die Kindersterblichkeit war in jener Zeit noch groß.
In den bürgerlichen Schichten regten sich bereits die ersten Emanzipationsbewegungen der Frauen, die nach Selbstständigkeit und eigener Persönlichkeitsentfaltung drängten sowie nach Anerkennung ihrer Rechte als Mensch gegenüber dem Mann. Dagegen herrschten in bäuerlichen Kreisen noch lange die traditionellen patriarchalischen Verhältnisse, worauf Katharine Spindelegger, eine Nachfahrin der Oblasser, hinweist. Der Gedanke der Nützlichkeit stand an oberster Stelle und neben dem Vieh wurden auch Frauen und Kinder vor allem als Arbeitskräfte bewertet. Der Bauer war ihr Herr, dem sie zu absolutem Gehorsam verpflichtet waren. So musste auch Katharina Oblasser, obwohl sie unmittelbar vor der Geburt eines Kindes stand, bis zuletzt auf dem Feld arbeiten. Den Kindern ging es nicht viel besser. Sie wuchsen einfach heran und wurden so bald wie möglich zur Arbeit herangezogen. Da die Mutter genötigt war, auf dem Feld zu arbeiten, wurden die Kinder den älteren Geschwistern zur Obhut anvertraut.
Der älteste Sohn von Stefan und Katharina Oblasser, Johann Oblasser, wurde am 26. Dezember 1902 geboren. Sein Leben fiel in eine bewegte Zeit und wie kein anderes Mitglied der Familie sollte er im Nationalsozialismus in den Strudel politischer Ereignisse hineingerissen werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Österreich noch unter der Herrschaft der Habsburger stand, ahnte das freilich niemand. Nach dem Ersten Weltkrieg, der die Donaumonarchie beendete, hatten sich die politischen Verhältnisse grundlegend gewandelt und ein neues Zeitalter zog herauf. Österreich war eine Republik geworden und wurde bereits zwei Jahrzehnte später vom Deutschen Reich annektiert.
Vorerst hatte sich jedoch im Leben auf dem Bergbauernhof, weitab vom Brennpunkt der politischen Ereignisse, nur wenig verändert. Dann aber machte sich die Herrschaft der neuen Machthaber bis in die entlegensten Dörfer geltend. Die Tragik des Schicksals, das Johann Oblasser traf, bestand darin, dass er, ohne ein Aufrührer zu sein, dennoch zum Opfer eines Regimes wurde, das seinem Wesen und Denken fremd war.
Die drei ersten Lebensjahre verbrachte Hans Oblasser im Elternhaus der Mutter, zu Hinterbrandstätt, dem höchst gelegenen Bergbauernhof am Sonnberg bei Taxenbach. Unmittelbar daneben befindet sich Vorderbrandstätt, der Hof der Familie Oblasser. Auch Hans Oblasser musste bereits als Fünfjähriger „kindsen“, also die Geschwister beaufsichtigen. Als ihm eines Tages langweilig wurde, packte er den selbst gezimmerten Kinderwagen und fuhr damit aufs Feld, wo die Eltern und alle anderen ihre Arbeit verrichteten. Dabei geschah es, dass er plötzlich den Kinderwagen losließ und dieser über den Abhang rollte. Ohne Rücksicht darauf, dass er ja selbst noch ein Kind war, wurde er dafür mit harten Schlägen bestraft. Ein anderes Mal starb in seinen Armen ein Geschwisterchen. Derartige Ereignisse waren damals auf einem Bauernhof keine Seltenheit. Das Essen, ohnehin karg genug, musste verdient sein und wer keine Arbeitsleistung erbrachte, der hatte im Grunde kein Anrecht ernährt zu werden. Die psychologische Wirkung, die von dieser Lebenseinstellung auf die Heranwachsenden ausging, war erstaunlich. Bestrafung, erlittenes Unrecht, Mangel an Mitgefühl führten keineswegs dazu, dass die Betroffenen aufgrund solcher Erfahrungen später anders mit ihren Mitmenschen umgingen, vielmehr blieb das elterliche Handeln auch im negativen Sinn prägendes Vorbild. So berichtet es Katharine Spindelegger, die Tochter des Haus Oblasser.
Trotz harter Arbeit und kargem Leben hatte Hans eine fröhliche Natur. In seiner Jugend galt er als „lustiger Mensch“, war tanzfreudig und sang in Gesellschaft gerne „Gstanzl“. Es heißt, er habe einmal drei Nächte durchgefeiert und dabei Geld im Wert einer Kuh verspielt. Der Vater brachte allerdings dafür weniger Verständnis auf. Er zweifelte, wenn auch zu Unrecht, an den wirtschaftlichen Fähigkeiten des Sohnes und zögerte lange, bis er dem schon 39-jährigen Sohn im Jahr 1941 den Hof übergab. Noch bevor sich Johann Oblasser verheiratete, hatte er mit der Magd eines Nachbarn einen Sohn namens Richard, der 1926 geboren wurde, sowie aus einer sieben Jahre dauernden Beziehung mit der Dirn des Grainzbergbauern einen Sohn Stefan, der 1929 auf die Welt kam. Beide wuchsen in Vorderbrandstätt auf, denn der Vater bekannte sich zu den Söhnen.
Im Jahre 1936 heiratete Johann Oblasser Elisabeth Lechner, geboren am 31. Mai 1908, eine Bergbauerntochter aus Hochegg in St. Georgen im Pinzgau. Sie hatten einander kennen gelernt, da der Hocheggbauer am Griesergraben, nahe dem bäuerlichen Anwesen, eine Mühle besaß, zu der Hans das Getreide über den Großsonnberg mit dem Pferdefuhrwerk bringen musste. Erst später gab es in Vorderbrandstätt eine eigene Mühle am nahe gelegenen Bach, die schließlich durch eine Mühle am Bauernhof ersetzt wurde.
Die junge Bäuerin Elisabeth Oblasser hatte es nicht leicht. Eher zierlich von Gestalt und zugleich empfindsam, hatte sie nicht die Kraft, sich gegenüber den vierzehn Familienmitgliedern durchzusetzen. Erstaunlicherweise war es jedoch der alte Bauer, der versuchte, ihr den Rücken zu stärken. Zur Schwiegermutter war das Verhältnis eher gespannt und vor allem die Schwestern ihres Mannes glaubten sich durch sie verdrängt und machten ihr das Leben schwer.
Das Alltagsleben auf einem Bergbauernhof hatte sich bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum verändert und war von einer heute kaum mehr vorstellbaren Härte und Kargheit. Es gab kaum technische Hilfsmittel und landwirtschaftliche Maschinen zur Erleichterung der Arbeitsvorgänge, so musste nahezu alles händisch gemacht werden. Vor allem in den Gebirgsgegenden war die Bewirtschaftung eines Bauerngutes kein Gewinn bringendes Unternehmen, sondern in erster Linie ein Betrieb, der der Selbstversorgung diente. Hier wurde alles Lebensnotwendige eigenhändig hergestellt: Nahrung, Kleidung, Wäsche, Geräte, Werkzeug und selbst Heilmittel für Mensch und Tier. Ungeheurer Arbeitsaufwand war damit verbunden, der vom Anbau des Getreides bis zum Backen des Brotes, vom gewonnenen Flachs bis zur Herstellung des Tuches, vom Scheren der Schafe bis zum Stricken der Jacken und Strümpfe führte. Bareinnahmen aber hatte die Familie kaum, denn was hergestellt wurde, benötigte man für den Eigenbedarf. So geriet man immer wieder in Schulden, wenn bei auftretenden Krankheiten ein Arzt gebraucht oder das Vieh von einer Seuche heimgesucht wurde. Höchste Arbeitsleistung war vonnöten, um das Erforderliche zu bewältigen. Für die Kinder blieb zum Spielen und Lernen kaum Zeit und doch war der Bergbauernhof die geliebte Heimat, die man nicht missen wollte.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie war Österreich zu einem Kleinstaat geworden, der um seine Lebensfähigkeit rang. Wie in allen Ländern, die den Krieg verloren hatten, war auch hier die wirtschaftliche Lage bedrohlich und die Arbeitslosigkeit groß. In Deutschland aber war ein Mann an die Macht gekommen, der bald das Schicksal Europas bestimmen sollte: Adolf Hitler. Ihm jubelten die Menschen auch in Österreich zu. Er versprach Arbeit und Wohlstand, versprach den Aufstieg des „deutschen Volkes aus Schmach und Erniedrigung“. Am 13. März 1938 wurde Österreich ein Teil des Deutschen Reiches. Auch Salzburg war im Bann des „Führers“. Ein großer Teil der Bevölkerung hatte sich ihm angeschlossen und blickte voll Hoffnung in die Zukunft. Nur wenige gab es, die heimlichen Widerstand leisteten. Auf dem Vorderbrandstätthof war man freilich zurückhaltend. Man misstraute dem Verlauf der Dinge, rüttelten doch die neuen Machthaber an Glauben und Kirche. Doch es war gefährlich, sich ihnen zu widersetzen.
Schon bald war alles anders gekommen, als man erhofft und erwartet hatte. Hitler hatte den Krieg erklärt. Auf dem Vorderbrandstätthof hatte der 19-jährige Peter, ein Bruder von Hans Oblasser, den Einrückungsbefehl erhalten. Ahnungslos, was ihn erwartete, folgte er ihm freudig, befreite er ihn doch von der schweren Arbeit auf dem Hof. Die Enttäuschung kam bald. Die Ausbildung in der Kaserne, der eiserne Drill, dem er unterworfen wurde, war von solcher Unmenschlichkeit und Härte, dass er schwer erkrankte. Im Linzer Lazarett besuchte ihn die Mutter.
1944 dauerte der Krieg bereits sechs Jahre und wer sich nicht von den Propagandareden täuschen und blenden ließ, wusste, dass er verloren war. Obgleich unter der bäuerlichen Bevölkerung immer noch ein großer Teil dem „Führer“ anhing, hatten sich dennoch auch Widerstandsgruppen gebildet. Eine solche Gruppe gab es damals auch in Goldegg-Wengg. Ihr Organisator war der Zementwarenerzeuger K. W. aus St. Johann, der der Kommunistischen Partei angehörte. Diese Untergrundtätigkeit – sie unterstützte offenbar Deserteure gegen das Regime – war von den Behörden aufgespürt worden. Zwei dieser Deserteure hatten auf dem Vorderbrandstättgut gegen den Willen von Hans Oblasser Zuflucht gesucht. Zumindest einer der Deserteure war mit einer Schwester des Bauern befreundet. Nach dem Ende des Krieges, als Hans Oblasser selbst um Unterstützung nach dem inzwischen erlassenen Fürsorgegesetz für die Opfer des Nationalsozialismus einkam, hatte er angegeben, er habe die Deserteure im Auftrag des K. W. geschützt. Tatsächlich war es aber vor allem ein Gefühl des Mitleides gewesen, das ihn zu seinem Handeln veranlasste, denn der Kommunistischen Partei ist Hans Oblasser keinesfalls nahe gestanden. Jedenfalls blieben die beiden Deserteure einige Zeit auf seinem Anwesen und er versorgte sie auch mit Jause und Zigaretten. Das sollte ihm bald zum Verhängnis werden.
Einer der beiden Burschen, K. P., hatte nämlich wenig später an einer Tanzveranstaltung in Goldegg teilgenommen. Zu vorgerückter Stunde und unter Alkoholeinfluss erzählte er prahlerisch, dass er sich drei Wochen lang versteckt auf dem Vorderbrandstätthof aufgehalten habe, ohne aufgespürt worden zu sein. Da wurden einige Anwesende plötzlich hellhörig. K. P. musste für seine politischen Ansichten mit dem Leben büßen.
Im Juni 1944 umstellte mitten in der Nacht, gegen zwei Uhr früh, eine Polizeitruppe von etwa 25 Mann den Vorderbrandstätthof. Die Leute der SS befahlen sämtlichen Hausbewohnern und Nachbarn anzutreten. Sie drangen in das Haus und suchten in allen Winkeln und Ecken nach Menschen und Waffen die hier versteckt sein sollten. Gefunden hatten die Männer nichts, aber dass Hans Oblasser kein Nationalsozialist war, wusste man. Bisher hatte man allerdings keine Handhabe gegen ihn. Nun aber hatte ihn K. P. verraten. Am 7. Juli 1944 erschien nachmittags ein Gendarm am Hof, verhaftete den Bauern und brachte ihn nach Taxenbach – Oblasser wusste, dass jeder Widerstand zwecklos war.
Bis Högmoos mussten sie die Wegstrecke zu Fuß zurücklegen, dann ging es mit dem Motorrad nach Taxenbach. Was dort geschah, ist unbekannt. Offenbar war Oblasser nicht der Einzige, den man verhaftet hatte. Die Bäuerin ahnte bereits Schlimmes und als ihr Mann nicht mehr nach Hause kam, entschloss sie sich, obwohl sie schon knapp vor der Entbindung stand, die eineinhalb Stunden zu Fuß nach Taxenbach zu gehen, um etwas über seinen Verbleib in Erfahrung zu bringen. Sie traf ihren Mann nicht mehr an, denn man hatte ihn bereits nach Salzburg überstellt. Dort war Hans Oblasser der Gestapo übergeben worden, die ihn ohne Gerichtsverhandlung in das Polizeigefängnis überstellte. Dort verbrachte er etwa einen Monat bis zum 11. August 1944, danach kam er ins KZ Dachau wegen „Bandenunterstützung“ bzw. „Unterschlupfgewährung an Partisanen“.
Unverrichteter Dinge, doch voll Unruhe und Sorge um das Schicksal ihres Mannes, kehrte die Bäuerin auf den Hof zurück. Kurz darauf kam sie nieder und gebar ein Mädchen, das Maria genannt wurde. Es war eine schwere Geburt und das Leben der Mutter hing an einem seidenen Faden. Sechs Tage lang war sie bewusstlos, dann war die Krise überstanden. Ihr Überleben hatte sie dem selbstlosen Einsatz des Sprengelarztes, Dr. S. Sch., zu verdanken. Obwohl er überzeugter Nationalsozialist war, bedeutete ihm der hippokratische Eid mehr als politische Gesinnung. Später sollte es ihm zugute kommen, denn Hans entlastete ihn bei der Entnazifizierung.
Als dem Bauernhof Zwangsarbeiter zugeteilt wurden, sorgte man dafür, dass ein besonders feindlich gesinnter Pole auf den Vorderbrandstätthof kam. Böswillig wurde der Bäuerin eine behördlich zur Ablieferung veranlasste Buttermenge von 45 kg auf 145 kg abgeändert. Im Gegensatz dazu war die Zwangsarbeiterin Anna aus der Ukraine außerordentlich gutmütig und hatte vor allem ein Herz für Kinder. Ihre Fürsorge war für die Mutter im Spital eine große Erleichterung.
In dieser schweren Zeit wusste die Bäuerin von ihrem Mann lange nichts. Die Bäurin, sie ist die Mutter von Elisabeth Oblasser, verstarb im März 1946. Es schien als wollte das Unglück kein Ende nehmen.
Hans Oblasser war einen Monat nach seiner Verhaftung als politischer Häftling in das Konzentrationslager Dachau überstellt worden und erhielt die Nummer 91541. Er musste sich erst zurechtfinden in diesem Schreckenslager, dessen menschenverachtendes Motto „Arbeit macht frei!“ lautete. Dachau war mit Auftrag von Heinrich Himmler vom 21. März 1933 ursprünglich für 5.000 Häftlinge errichtet worden; insgesamt wurden dort mehr als 200.000 Häftlinge interniert und vielfach ermordet. Da gab es neben den politischen Häftlingen, die durch ein rotes Dreieck gekennzeichnet waren, Kriminelle mit einem grünen Dreieck, "Bibelforscher" mit einem violetten und "Asoziale" mit einem schwarzen. „Zigeuner“ hatten einen braunen Winkel und Juden erkannte man an dem zusätzlichen Judenstern. Jeder aber hatte auf der gestreiften Häftlingsmontur die Häftlings-Nummer aufgenäht. Hier war man kein Mensch mehr, sondern nur noch eine Nummer. Die Häftlinge wurden zu schwerer Arbeiten herangezogen.
Am 7. Oktober 1944 traf endlich das erste Lebenszeichen von ihm am Vorderbrandstätthof ein. Es war ein kurzer Brief aus Dachau, datiert vom 25. September 1944. Er muss Freude und Schrecken ausgelöst haben – nun wusste man zwar, dass er lebte, dies aber unter schrecklichen Bedingungen. Die Briefe der Häftlinge wurden zensuriert und unterlagen genauen Bestimmungen. Auch ihr Umfang war vorgeschrieben. Der Inhalt musste so abgefasst sein, dass er keine Beanstandung hervorrief. Es sind neun solcher Schreiben aus Dachau und Buchenwald erhalten, die Hans Oblasser an seine Frau, die Eltern und Kinder richtete. Der Briefwechsel mit der Familie war vielfach der einzige Lichtstrahl, der die Gefangenen aufrechterhielt, ihnen Trost und Hoffnung gab.
Wegen der Überfüllung des Lagers wurde Hans Oblasser, wie die meisten politischen Häftlinge, am 12. Dezember 1944 nach Buchenwald (gegründet 1937; im Jahre 1945 lebten dort 112.000 Häftlinge) überstellt, wo er in einem Steinbruch arbeitete. Auch hier prangte ein Motto „Jedem das Seine!“ menschenverachtend über den Toren. Buchenwald lag neun Kilometer von Weimar entfernt am Ettersberg. Diese Strecke mussten die Häftlinge zu Fuß zurücklegen, angetrieben von den Aufsehern der SS, die mit Knüppeln und Peitschen auf sie einhieben. Der Weg wurde die Blutstraße genannt, da viele den Marsch nicht überlebten. Erst später legte man eine Bahnstraße an. Die Verpflegung war unzureichend und oft verdorben, sodass auch Oblasser bereits in Dachau die Ruhr bekommen hatte. Offenbar war er mit Heilkräutern und ihrer Wirkung vertraut und wurde gesund.
Zu den Leidensgenossen, denen sich Hans Oblasser angeschlossen hatte, gehörte der Priester Andreas Rieser, der später auch in Bramberg im Pinzgau tätig war. Rieser hatte bereits sieben Jahre im Konzentrationslager verbracht und es war ihm gelungen, eine gewisse Vertrauensstellung bei den Befehlshabern zu erlangen. Solche Häftlinge benützte man, um die Aufsicht über andere zu führen und für Ordnung zu sorgen. Ohne ihn wäre Hans Oblasser möglicherweise einem so genannten „Himmelfahrtskommando“ zum Opfer gefallen. Gab es nämlich irgendeine Verfehlung oder ein sonstiges Geschehen, das den Unmut der leitenden SS-Mannschaft hervorrief, ließ man als Strafverfügung die Häftlinge antreten und jeder Zehnte wurde erschossen. So geschah es auch diesmal. Rieser hatte jedoch die Häftlings-Nummer, die Oblasser trug, von der Liste gestrichen und durch die eines bereits Verstorbenen ersetzt. So kam Oblasser noch einmal davon. Nun folgten noch ein paar Briefe aus Buchenwald, deren Inhalte sich kaum wesentlich von jenen aus Dachau unterschieden. Hans Oblasser wurde nun unter der „Häftlings-Nummer“ 38454 geführt.
Inzwischen näherte sich der Krieg seinem Ende. Die Fronten lösten sich auf, die Amerikaner waren bereits im Vormarsch. Im Lager waren etwa 50.000 Häftlinge, niemand wusste, wie alles enden würde. Hans Oblasser dürfte am 12. April 1945 einem Fußtransport von etwa 200 Häftlingen aus Buchenwald nach Flossenbürg zugeteilt worden sein, wo er dann acht Tage blieb. Am 25. April sollten die Insassen dieses Lagers wegen des Anmarsches der US-Truppen nach München überstellt werden. Die Kriegslage und das unausweichliche Heranrücken der siegreichen Armeen aus Ost und West verschärften die Übergriffe der SS-Aufseher, die den Fußtransport begleiteten und brutal auf die Häftlinge einschlugen, wenn sie nicht schnell genug marschierten. Ihre Zahl verringerte sich zusehends, denn so mancher überlebte diesen Marsch nicht. Auch Hans Oblasser wurde geschlagen und dabei sein Knie so schwer verletzt, dass er zu Boden stürzte und nicht mehr aufstehen konnte. Der Marsch wurde ohne ihn fortgesetzt. Er versuchte sich aufzuraffen. Sein einziger Gedanke war: Flucht. Um Deckung zu finden, schleppte er sich durch einen kleinen nahe gelegenen Wald. In der Ferne entdeckte er ein Gehöft. Es war das Anwesen des Xaver Simel, Bauer in Ascha bei Straubing. Erfreut war die Bäuerin keineswegs, als er um Aufnahme bat, aber der Bauer erlaubte ihm zu bleiben. Dennoch traute man ihm nicht. Auch war es ein Risiko, einem entkommenen Häftling Unterkunft zu gewähren. Hans musste sich zunächst im Heustadel versteckt halten. Allmählich fassten die Leute Vertrauen zu ihm und schließlich wies man ihm sogar eine Kammer zu. Dass er am Bauernhof bei der Arbeit half, kam ihm ebenfalls zustatten. Bald darauf hatten die Amerikaner das Land besetzt und der Krieg war zu Ende: Am 5. Mai 1945 hatte Deutschland kapituliert.
Hans Oblasser blieb noch sechs Wochen am Hof, wohl wegen seiner Schwäche und dem verletzten Knie, vielleicht auch aus Sorge, die Entfernung nicht bewältigen zu können. Der Simel-Bauer bot ihm auch an, für immer auf seinem Hof zu bleiben. In der Heimat zweifelte man bereits an seinem Überleben, denn der Schwager, Anton Mayer, der auch zwei Jahre in Buchenwald und in Flossenbürg war, war schon sechs Wochen früher zu Hause. Hans Oblasser ließ sich eine Skizze für den Weg machen, die Marschroute ging von Ascha über Straubing, Landau, Simbach und Altötting und weiter bis an die Grenze Österreichs – an die 180 Kilometer. Er hatte sich zu Fuß auf den Weg gemacht, nur hin und wieder hielt ein Auto an, um ihn ein Stück mitzunehmen. Das Landratsamt von Landshut hatte ihm als Österreicher einen Passagierschein und einen Gutschein für Marschverpflegung ausgestellt.
Irgendwie kam er bei Freilassing über die Grenze, doch bis in den Pinzgau war es immer noch ein weiter Weg. Endlich hatte er – im Juni 1945 – Taxenbach erreicht. Hans Oblasser hatte in der Zeit beim Simel-Bauern in Ascha so zugenommen, sodass ihn seine Familie erst aus nächster Nähe erkannte. Die Großmutter kochte ein „Muas“, wie man es nur im Pinzgau kennt und dann saßen sie beisammen, des Erzählens war die ganze Nacht kein Ende. Was sie nicht sagten und dennoch über allem Erzählen stand, war der Gedanke, dass es einen gnädigen Gott gab, der sie allesamt behütet hatte. An jener Stelle aber, von der vor fast einem Jahr der Bauer vom Hof geholt worden war, wurde aus Dankbarkeit eine Kapelle errichtet. Nach Jahrzehnten ist sie verfallen und später ließen die Tochter Maria und ihr Mann dort ein Bildstöckl errichten. Die geschnitzte Madonna, die es ziert, ist ein Beitrag der Tochter Katharina als Erinnerung an das überstandene Unheil.
Hans Oblasser starb am 6. Dezember 1971 im Alter von 69 Jahren, seine zweite Frau verstarb 1991 im 83. Lebensjahr. Sein Sohn Bruno und dessen Frau Theresia bewirtschafteten den Bergbauernhof bis zur Übergabe an ihren Sohn Albert im Jahr 2001.[3198]
[3182] Dieser Beitrag stellt eine leicht veränderte und erweiterte Form eines gleichnamigen Artikels der Autorin dar, der im Pustet-Verlag im Jahrbuch „Der Salzburger Bauer“, Salzburg 1999, erschienen ist.
[3183] „Die neue ländliche Gemeinschaft möge den Adel des Verstehens, Helfens und Dienens in ihrem Wappen tragen!“ Geleitwort von NR. Isidor Grießer, Präsident der Landwirtschaftskammer Salzburg. In: Walleitner, Josef: Dienst am Landvolk. Salzburg 1954, S. 7.
[3184] Bauer, Wolfgang; Franz Rest; Cyriak Schwaighofer (Hg.): Sind die Bauern noch zu retten? Über die Zukunft einer alpinen Kultur. 2. Goldegger Herbstgespräche. Goldegg 1994.
[3185] Schmeller, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch. Sonderausgabe und Nachdruck der von G. Karl Frommann bearbeiteten 2. Ausgabe. München 1872–1877. München 1985. Band 1/1, Sp. 187f: Bauer: von gpaur, Wort auch in Nachbarschaft. „bäurisch gehen“, 16. Jahrhundert als Gegensatz zu städtisch bürgerlich verwendet. Im 15./16. Jahrhundert Bauer nur für Hofbesitzer verwendet, Ehrentitel wie „Meister“.
[3186] Gronemeyer, Marianne: Die Natur als Pflegefall. Plädoyer für eine neue bäuerliche Kultur. In: Bauer, Wolfgang; Franz Rest; Cyriak Schwaighofer (Hg): Sind die Bauern noch zu retten? Über die Zukunft einer alpinen Kultur. 2. Goldegger Herbstgespräche. Goldegg 1994, S. 189–201.
[3187] Bild des Petrarca-Meisters, o. J., 16. Jahrhundert: Auf der Waage des Unrechts wiegt der gefesselte Bauer schwerer als der kriegerische Herr. In: Waas, Adolf: Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit 1300–1525. 2. Aufl. München 1976, S. 134: Abbildung und S. 284–287: Abbildungsverzeichnis.
[3188] Siehe: https://web.archive.org/web/20170919144714/www.salzburgcoins.at/Landesfuersten/html/L02_Lang.htm und http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.b/b171610.htm sowie den Beitrag von Rainer, Johann: Die Glaubensspaltung http://www.religionen.at/ (Stichwort: Religionen aus Österreich, Die Glaubensspaltung), vgl. dort: Rainer, Johann: Die Glaubensspaltung. Religion und Kirche in Österreich. Herausgegeben vom Institut für Österreichkunde. Wien 1972, S. 45–47.
[3189] Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 5. Aufl. Freiburg 1988. Bd. 1, S. 107: In allen Sprichwörtern kommt der Bauer – aus städtischer Sicht – immer schlecht weg: derb, dumm, unwissend, unerfahren: unter anderem „Auf Bauernfang gehen“, „Der Bauer schlägt ihm ins Genick“ = aus der fremden Rolle fallen.
[3190] Bild des Petrarca-Meisters, o. J., 16. Jahrhundert: Auf der Waage des Unrechts wiegt der gefesselte Bauer schwerer, als der kriegerische Herr. In: Waas, Adolf: Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit 1300–1525. 2. Aufl. München 1976, S. 134: Abbildung und S. 284–287: Abbildungsverzeichnis.
[3191] Die Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ sammelte Johann Gottfried Herder ab 1765 und gab sie erstmals 1778/79 in zwei Bänden heraus. Mit dieser Sammlung begannen die romantische „Rückbesinnung der Völker auf ihre Wurzeln“ und damit alle jene Sammeltätigkeiten, die schließlich zur Gründung des Faches Volkskunde führten.
[3192] Waltner, Lisl: Der gemeine Steirer. Volkscharakter an Beispielen. Berichte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wien 1982.
[3193] Schmidt, Leopold: Volkstracht in Niederösterreich. Eine Einführung nach Erscheinungsform. Funktion und Geschichte. (= Niederösterreichische Volkskunde, Bd. 5). Linz 1969, S. 49f.
[3194] Blum, Jerome (Hg.): Die bäuerliche Welt. Geschichte und Kultur in sieben Jahrhunderten. München 1982.
[3195] Geleitwort von NR. Isidor Grießer, Präsident der Landwirtschaftskammer Salzburg. In: Walleitner, Josef: Dienst am Landvolk. Salzburg 1954, S. 7.
[3196] Kerschbaumer, Gert: Rekonstruktion und Dokumentation. In: Haas, Walburga (Hg.): Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 8). Salzburg 1996, S. 266–293.
[3197] Kurzfassung von Ilona Holzbauer und Ulrike Kammerhofer-Aggermann. Eine ausführliche Dokumentationsschrift dieses Titels wurde dem Salzburger Landesinstitut für Volkskunde von Frau Kathrin Spindelböck, einer Tochter des genannten Hans Oblasser, für die Bibliothek überlassen. Wir danken Frau Spindelböck ebenso wie der Autorin, Frau Dr. Eltz-Hoffmann, herzlich für die Genehmigung, an dieser Stelle eine Zusammenfassung dieser Arbeit bringen zu dürfen. Die Dokumentationsschrift lautet: Eltz-Hoffmann, Lieselotte von: Vom Vorderbrandstätthof und dem Schicksal des Pinzgauer Bergbauern Johann Oblasser. Maschinschrift. Salzburg 2004, 44 Seiten, zahlreiche Bilder und 16 Abbildungen, 6 Seiten Dokumentation.
[3198] Die Darstellung beruht auf den Berichten von Katharina Spindelböck, einer Tochter von Hans Oblasser, die auch die dokumentarischen Unterlagen beschaffte und die entsprechenden Nachforschungen anstellte. Die Familiengeschichte erschien anlässlich des sechzigsten Jahrestages der Verhaftung des Vorderbrandstättbauern Johann Oblasser.