Klicken Sie bitte HIER, um zur Langtext-Version dieses Beitrags zu gelangen.
Die traditionelle Musik wird von Minderheiten[469] neben der Muttersprache als wichtigster Identifikationsfaktor gesehen. Sie hat die Qualität, die Gefühlsebene direkt anzusprechen und auch über Sprachgrenzen hinweg verstanden zu werden. Das heißt einerseits, man kann sich in ihr „zu Hause“ fühlen und andererseits, man kann damit Brücken zur Mehrheit bauen. Außerdem ist sie im Assimilationsprozess[470] ein stabileres Element als zum Beispiel die Sprache. Es kommt des Öfteren vor, dass Minderheitenangehörige ihre Sprache nicht mehr sprechen, sehr wohl aber in dieser Sprache singen können.
Auch Minderheitenangehörige sind Menschen mit Mehrfachidentitäten. Die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit ist nur ein Merkmal ihrer Identitätspalette. Es stellt sich die Frage, welche Musik nun für die jeweilige Minderheit die „eigene“ ist. Grundsätzlich ist es jener Musikstil, mit dem sich die jeweiligen Gewährspersonen identifizieren. Die stilistische Bandbreite ist groß und reicht von lokalen Stilen, zum Beispiel traditionellen Brauchliedern aus Kozluk, bis zu globalen Stilen des Ethno-Pop.
Bei den autochthonen Minderheiten sind die Musikstile von Akkulturation geprägt. Im jahrhundertelangen Zusammenleben haben sich kulturelle Berührungen ereignet, die sich in regionalen Musiktraditionen manifestieren, die aus einem Miteinander entstanden sind. Ganz deutlich wird dieses Phänomen bei der Musik der burgenländischen Kroaten oder der Kärntner Slowenen.
Die Roma stammen aus Indien und werden in Europa erstmalig im 12. Jahrhundert urkundlich genannt. Die Geschichte der Wanderung ist gleichzeitig eine der Verfolgung über die Jahrhunderte. Die Romakultur wurde bis vor kurzem schriftlos tradiert. Aufgrund der Wanderungsgeschichte ist eine große Gruppenvielfalt entstanden.
So unterschiedlich wie die Gruppen sind auch die Musikstile. Es gibt nicht die Romamusik, sondern viele davon. Es gibt aber ein Lied, mit dem sich sehr viele Romagruppen identifizieren, weil es nämlich die Romahymne ist, 1971 in London offiziell als solche anerkannt. Diese Romahymne existiert allerdings in sehr, sehr vielen Varianten. Sie basiert auf einer traditionellen Romamelodie aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Was kann dieses Lied alles über die Kultur aussagen? Zum einen, dass zum Selbstverständnis dieser Nation – und als solche definieren sich die Roma – nicht ein Territorium gehört, sondern vor allem die Geschichte. Zum anderen, dass die Gemeinschaft wesentlich zur Sozialstruktur gehört – „ich habe Roma getroffen“. Dieses Lied hat im ehemaligen Jugoslawien auch über Romakreise hinaus große Popularität erlangt, so hat es in Salzburg die Gruppe „Danica“ in ihrem Repertoire, obwohl keiner der Musiker Rom ist.
Die Musik von Minderheiten spielt sich sowohl im internen Kreis als auch im öffentlichen Raum ab. Was auf Bühnen präsentiert wird, läuft oft unter dem Schlagwort „Multi-Kulti“.[471] Die Bandbreite dessen, was man darunter versteht, ist groß. Es handelt sich oft um „ethnische“ Musik im weitesten Sinne und solche Events dienen der „Völkerverständigung“.
In Wien existiert eine unglaubliche Vielzahl von Ensembles, die zunehmend die verschiedensten Bühnen erobern. Als Wiener Markenzeichen dieser Szene gilt die 1990 gegründete „Wiener Tschuschenkapelle“. Sie spielen nach eigener Aussage „Tschuschenmusik“ und meinen damit traditionelle Musik aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, aus Griechenland, aus der Romakultur, aus Ungarn und sogar Russland. Die positive Umdeutung des pejorativen Wortes „Tschusch“ ist eine politische Botschaft und in manchen Liedern wird diese Botschaft vermittelt..
Diese Multi-Kulti-Szene ist in Salzburg kaum ausgeprägt, mit Ausnahme von einigen wenigen Ensembles (Danica, Claudia Lehmert[472] Klezmer Connection[473]). Das mag daran liegen, dass es wenig Auftrittsmöglichkeiten gibt, was wieder mit dem Fehlen der Vereinsszene, der Selbstorganisation von Minderheiten, zu tun hat.
Es ist dem Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Rahmen des Minderheitenschwerpunktes ein Anliegen, wenigstens einige der Forschungslücken zu schließen, die beim Thema Musik von Minderheiten in Österreich bestehen.
Da in Salzburg noch nie die Musik von Minderheiten ethnomusikologisch untersucht worden war, wurde im Mai 2003 erstmalig im Raum Stadt Salzburg inklusive Hallein eine Feldforschung in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Landesinstitut für Volkskunde und der Salzburger Volkskultur durchgeführt. Es hat sich eine unglaubliche musikalische Vielfalt erschlossen, die im Verborgenen blüht, weil vonseiten der Mehrheit bis jetzt noch nicht viel Interesse gezeigt wurde. Außerdem haben wir eine solch warme Gastfreundschaft, Offenheit und Begeisterung der dokumentierten Sänger und Musikanten erfahren, die uns gezeigt hat, dass solche Feldforschungen ganz wesentlich zum gegenseitigen kulturellen Verständnis zwischen Minderheiten und Mehrheit beitragen können.
Die Kontaktaufnahme hat sich als ungewöhnlich schwierig erwiesen und wir mussten sehr viel auf persönliche, auch private Kontakte zurückgreifen und auf der informellen Ebene arbeiten. Die ausführlichste Darstellung bezieht sich auf die Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien. Weiters werden die türkisch-alevitische Szene und tschechische Musik in Salzburg behandelt. Durch Kontakte einer Studentin widmete man sich in der Feldforschung auch der chinesisch/taiwanesischen Musiktradition.
Im 18. Jahrhundert nahm die Bevölkerung in Salzburg kontinuierlich ab. Ein wesentlicher Grund ist die erzwungene Auswanderung der Evangelischen 1731/1732. Ab 1816 gehörte Salzburg zur österreichisch-ungarischen Monarchie, was eine Binnenwanderung aus den anderen Ländern der Monarchie ermöglichte und es begann ein Jahrhundert mit kontinuierlicher Bevölkerungszunahme. In Salzburg waren die Zuwanderer überwiegend deutschsprachig. ArbeitsmigrantInnen aus anderen Teilen der Monarchie, die im Zuge des Eisenbahnbaues nach Salzburg kamen, bilden eher die Ausnahme. Die Wanderungsbilanz blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg positiv.
Während des Zweiten Weltkriegs nahm die Bevölkerung durch Südtiroler Umsiedler, Zuzug aus dem Deutschen Reich und ausländische Arbeiter stark zu. Als Teil der US-Besatzungszone 1945–1955 war Salzburg ein für Vertriebene und Flüchtlinge besonders attraktiver Raum. Einerseits waren das die schutzsuchenden Juden. Andererseits handelte es sich um „Volksdeutsche“ – Angehörige der deutschsprachigen Minderheiten in der Tschechoslowakei, dem Banat und Siebenbürgen –, die nach 1945 vertrieben wurden oder flüchteten. Ab 1964 begann die Arbeitsmigration aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei, wie im übrigen Österreich auch.
Das Land Salzburg hat nach der Volkszählung von 2001 einen Ausländeranteil von 11,8 %. Das ist, verglichen mit anderen Bundesländern, relativ hoch. Dies hat damit zu tun, dass vor allem im Gastgewerbe ausländische Arbeitskräfte gebraucht werden und der Tourismus in Salzburgs Wirtschaft eine große Rolle spielt. Das Bild, das Salzburg von sich selbst den Touristen präsentiert, hat wohl auch damit zu tun, wie MigrantInnen hier leben. Es wird eine Scheinwelt erzeugt, geprägt von einem „Sound of Music-Image“, in der MigrantInnen zwar als Arbeitskräfte aufscheinen, aber nicht als kulturelle Akteure teilhaben.
Der in Salzburg herrschende Mangel an Selbstorganisation, an Kulturvereinen und Vertreterorganisationen von Ausländern ist auffällig. Auch das fast vollkommene Fehlen einer lebendigen „Multi-Kulti-Szene“ im kulturellen Bereich, von Organisationen, die sich um ein Miteinander von MigrantInnen und InländerInnen bemühen, ist erstaunlich. Es gibt zwar Vereine von MigrantInnen, diese treten aber in der Öffentlichkeit kaum auf. Und wenn sie das tun wollen, so scheitert es oft an den fehlenden Subventionen.
Die Ausländerberatungsstelle, eine Einrichtung des AMS, die Zuwanderer, Asylanten und Flüchtlinge berät und in den Arbeitsprozess eingliedern soll, kann nur bedingt weiterhelfen und beklagt, dass einerseits die Vereine der MigrantInnen fehlen, mit denen man zusammenarbeiten könnte, andererseits eine Stelle in Salzburg fehlt, die eine Anlaufstelle für Integration wäre (nach dem Modell des „Wiener Integrationsfonds“). Natürlich ist die derzeitige restriktive Ausländergesetzgebung des Bundes auch nicht gerade förderlich.
Die Wohnsituation begünstigt eine Ghettobildung, es gibt gewisse Stadtteile, in denen überdurchschnittlich viele Ausländer wohnen. Das ist nicht integrationsfördernd und ruft oft negative Reaktionen der Einheimischen hervor, die sich zurückgedrängt fühlen. Was das Thema Ausländerfeindlichkeit betrifft, so konnten wir unterschiedliche Bewertungen feststellen. Die Klienten der Ausländerberatungsstellen beklagen keine derartigen Vorfälle, unsere Gesprächspartner reagierten differenziert auf dieses Thema.
Ohne die politischen, historischen und soziologischen Rahmenbedingungen zu kennen, wird man musikalische Phänomene möglicherweise falsch auslegen, denn Musik findet nicht im luftleeren Raum statt. Sowohl die Musizierenden als auch jene, die Musik konsumieren, werden von ihrer Lebenssituation geprägt. Die Musik selbst hat je nach politischem Umfeld bestimmte Bedeutungen, die sich ändern können. Letzteres trifft insbesondere auf die Musik der MigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu. Die Bosnier, Serben und Kroaten, die in Salzburg leben, sind zum Teil ArbeitsmigrantInnen aus den 60er- und 70er-Jahren und zum Teil Flüchtlinge von 1992.
Die erste Generation der ArbeitsmigrantInnen kommt aus einem Jugoslawien, das sozialistisch regiert wurde und in dem „Brüderlichkeit und Einheit“ die Devise politischen und kulturellen Handelns nach 1945 war. Durch die Neugründung der Staaten Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro und Makedonien änderte sich dieser Umgang mit Volkskultur grundlegend. Traditionelle Musik wurde nunmehr zum Ausdruck des „Nationalen“, das teilweise erst konstruiert werden musste, da die Teilrepubliken multiethnisch gewesen waren und sich manche Musikstile nicht eindimensional zuordnen lassen.[474] Auf der inoffiziellen Ebene der Gebrauchsmusik wurden diese Trennungen allerdings nur bedingt mitgemacht.
Während des Krieges wurden auch in Salzburg die gesamtjugoslawischen Vereine aufgelöst, es wurden allerdings kaum neue, nationale, gegründet. Ohne den national-politischen offiziellen Rahmen ist der Umgang mit traditioneller Musik wesentlich entspannter. Die Gewährspersonen aus dem ehemaligen Jugoslawien verfügten alle (!) über ein ausgesprochen gesamtjugoslawisches Repertoire und waren auch bereit, es zu präsentieren. Es ist sehr außergewöhnlich, dass musikalisch die gesamtjugoslawische Identität weit über die ethnische gestellt wird.
Zoran Šijaković ist der Gründer und Leiter dieses Ensembles. Er wurde in Novi Sad geboren, wo er am Nationaltheater beschäftigt war und lebt heute in Braunau/Inn. Er verließ seine Heimat aufgrund einer Liebesbeziehung, die ihn nach Braunau führte. Schon als Kind begann er zu singen und wuchs praktisch in einem Kulturverein auf, wo er vor allem als Tänzer agierte. Tamburica lernte er erst mit 26 Jahren. Er verdiente sich sein Studium in Salzburg mit Singen in Gaststätten, jenen die von „Gastarbeitern“ frequentiert wurden und hat deshalb ein sehr großes Repertoire. Er leitete auch ein Tanzensemble in Salzburg, das aus Geldmangel aufgelöst wurde.
Das Ensemble Danica spielt traditionelle Musik aus dem ehemaligen Jugoslawien mit dem Anspruch, „authentische“ Volksmusik zu präsentieren. Bei unserer längeren Diskussion darüber, was mit authentisch gemeint ist, kommt heraus, dass es jene Musik ist, die sie alle aus ihrer Kindheit in Erinnerung haben. Es soll so klingen „wie früher“. Dazu werden die entsprechenden Instrumente eingesetzt und es wird auf jegliche Elektronik verzichtet.
Das Repertoire bezieht das gesamte ehemalige Jugoslawien ein und ist ebenso ethnisch gemischt wie die Gruppe selbst. Zoran Šijaković sieht sein Publikum vorwiegend in der Mehrheit, nicht bei den Zuwanderern. Diese, sagt er, wollen das „Gasthausrepertoire“ und damit sind volkstümliche, populäre Lieder gemeint. Und Danica will sich von diesem musikalischen Segment deutlich abheben.
Jede Gemeinschaft braucht Rituale. Diese wiederum brauchen Musik. Natürlich trifft das auch auf die Zuwanderergemeinschaften zu. Der wichtigste Brauchanlass, bei dem Musik eine entscheidende Rolle spielt, ist die Hochzeit. Hochzeiten der Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien werden meist in Österreich gefeiert und bilden einen Höhepunkt im Leben. Es ist wichtig zu repräsentieren, was durch die Anzahl der Gäste, die Menge des Essens und die Qualität der Musik geschieht. Dafür werden Musiker gebraucht, die solchen Anlässen gerecht werden können. Die übliche Besetzung besteht aus ein bis zwei Keyboards, Violine, Akkordeon, Gesang.
Während der Feldforschung wurden Musiker einzeln aufgesucht, die alle bei Hochzeiten und sonstigen Feiern Gebrauchsmusik für die Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien spielen oder spielten. Die Familie Kosti (Keyboard), den Akkordeonisten Pawlow und den Geiger Stanojevi, der aufgrund seines Alters nicht mehr als Hochzeitsmusiker aktiv ist.
Der Stil, der bei Hochzeiten vorzugsweise verwendet wird, ist die so genannte „nova komponovana muzika“, eine Art volkstümlicher Ethno-Pop aus dem ehemaligen Jugoslawien, der sich größter Beliebtheit erfreut. Aber auch ältere traditionelle Melodien spielen eine Rolle. Die Musiker erzählen, dass sich durch den Krieg die musikalischen Erwartungen der Hochzeitsgäste geändert haben. Man muss wissen, was man für wen spielt. Allerdings können diese Musiker jede der ethnischen Gemeinschaften bedienen, weil sie das gesamtjugoslawische Repertoire beherrschen.
Die türkisch/alevitische Szene in Salzburg scheint anders strukturiert zu sein als die bosnisch-kroatisch-serbische. Sie besteht aus Türken, die Sunniten sind, aus Türken, die Aleviten sind und aus Kurden. Dies deckt sich durchaus mit dem gesamtösterreichischen Bild. Die Gesprächspartner während der Feldforschung repräsentierten ebenfalls diese Zusammensetzung, obwohl die Aleviten in der Überzahl waren. Die Religion der Aleviten ist eine Glaubensrichtung innerhalb des Islam, die sich durch besondere Offenheit und Toleranz auszeichnet und in der Musik auch im Gottesdienst eine ganz besondere Rolle spielt. Die Saz (türkische Langhalslaute) gilt als zu verehrendes Instrument und Lieder zur Saz (in türkischer Sprache) sind wesentlich.
Der Einfluss des Herkunftslandes Türkei zeigt sich nicht nur in den volksmusikalischen Traditionen, die aus der Heimat mitgebracht wurden, sondern auch in der Gebrauchsmusik bei Hochzeiten und Beschneidungsfeiern und in der Kunstmusik. Die Musik der türkischen Zuwanderer in Salzburg ist also stilistisch äußerst vielfältig: die alevitische Tradition, regionale Volksmusikstile, populäre Gebrauchsmusik und Kunstmusik.
Ein gängiges Vorurteil, das an dieser Stelle hinterfragt werden soll, lautet: Die Türken sind nicht zu integrieren, weil sie „so anders“ und weil sie Muslime sind. Während der Feldforschung entstand der Eindruck, dass die türkischen Gewährspersonen ganz genauso wie Angehörige anderer Kulturen reagierten. Nach einer gewissen anfänglichen Skepsis, die aus dem erstmaligen Erleben einer Feldforschungssituation resultiert, waren ein großes Entgegenkommen und eine große Bereitschaft zu bemerken.
Das Erstaunen, dass sich Österreicher für die türkische Kultur interessieren, war groß, denn normalerweise erleben die türkischen Zuwanderer ein solches Interesse oder diese Form der Annäherung nicht. Sie werden in ihrer eigenen Welt allein gelassen. Die Religion, sei es nun die alevitische oder die sunnitische, spielt weder eine integrative noch eine desintegrative Rolle. Es wurde allerdings mangels musikalischer Ansprechpartner auch nicht bei den „Moschee-Vereinen“ recherchiert.
Aus vielen Studien geht hervor, dass die Ghettoisierung von Zuwanderern mit ihrer schwierigen Lebenssituation und mit der Ausgrenzung – der strukturellen und alltäglichen Diskriminierung – vonseiten der Mehrheit zu tun. Die Musik scheint jedenfalls ein ideales Mittel zu sein, einander näher zu kommen.
Das Salzburger Mozarteum hat genauso wie die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien eine große Zahl ausländischer Studierender. Diese jungen Musiker kommen aus ihren Heimatländern nach Europa, um westeuropäische klassische Musik zu studieren. Diese musikalische Orientierung geht manchmal einher mit einem Ablegen der eigenen musikalischen Wurzeln, die manchmal vom westeuropäischen Musiksystem verschieden sind. Jene Studierenden werden im universitären Zusammenhang nie auf ihre Heimattraditionen angesprochen. Dies liegt am Ausbildungssystem und an den Studierenden selbst, die ausschließlich in der Welt der westeuropäischen Kunstmusik erfolgreich sein wollen. Es liegt aber auch am Desinteresse des Umfeldes.
Durch eine Wiener Studentin aus Taiwan wurde in der Feldforschung über eine ihrer Freundinnen ein Treffen mit sieben Salzburger Studierenden aus Taiwan und China arrangiert. Es stellte sich heraus, dass ihnen die taiwanesische Musiktradition nicht sehr vertraut ist, trotzdem können sie natürlich Lieder aus ihrer Heimat und singen diese auch. Dokumentiert wurden Volks- und Kinderlieder. Im Laufe ihrer Ausbildung in ihrer Heimat mussten alle auch wenigstens ein chinesisches Instrument erlernen. Das heißt, es wäre ein gewisses musikalisches Grundpotenzial vorhanden, nur haben die Gewährspersonen das Gefühl, dass sie zu wenig Experten sind. Durch das Fehlen einer chinesischen/taiwanesischen community sind in Salzburg die geselligen Anlässe, zu denen diese Musik gebraucht würde, nicht vorhanden. Dass den Befragten die musikalische Herkunftstradition trotzdem sehr wichtig ist, lässt sich daran ablesen, dass alle Befragten angegeben haben, sie wollten sie ihren Kindern weitergeben.
Die Fluchtbewegung aus der ehemaligen Tschechoslowakei 1968 brachte einige Flüchtlinge auch nach Salzburg, unter ihnen Lidmilia Angerer, Mädchenname Vsetickova. Sie flüchtete 1968 und heiratete einen Salzburger. Sie ist Mitglied des Tschechischen Clubs in Salzburg. Frau Angerer ist eine jener Gewährspersonen, die ihr Leben anhand von Liedern erzählen können. Sie hat nie professionell gesungen, aber Lieder haben ihr Leben begleitet. Sie hat in Prag drei Regime erlebt, da sie 1942 geboren wurde: zuerst die Nazis, dann die Kommunisten, dann den Prager Frühling (1968) bis zum Einmarsch der Russen. Ihr Repertoire ist reichhaltig und besteht aus Kinder-, Brauch-, religiösen Liedern. Immer wieder werden wichtige Stationen ihres Lebens von Musik begleitet. In der Feldforschung spricht sie ausführlich über ihr Leben und besonders über ein Lied, das wesentliche Wendepunkte in ihrem Leben markiert hat: die Hymne des Heiligen Wenzel.
Die Familie Vereno hat zwar keine tschechischen Wurzeln, jedoch gilt die Liebe des gesamten und äußerst vielfältigen musikalischen Tuns vor allem der tschechischen Musik. Der Dudelsack war hier der Auslöser, weil der Sohn Michael bereits im Alter von drei Jahren verkündete, er würde Dudelsack-Spieler werden. Er blieb sehr konsequent bei seiner Vorliebe, die von der Mutter, Dr. Helga Vereno, sehr gefördert wurde. Der oberösterreichische Dudelsackspezialist Rudi Lughofer öffnete ihnen den Weg in die österreichische Bordun-Szene. Die beiden musizieren viel gemeinsam auf unterschiedlichsten Instrumenten und ihr Repertoire beinhaltet eine Menge tschechischer Lieder. Auch in der grenzüberschreitenden musikalischen Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik ist Helga Vereno sehr aktiv.
[468] Kurzfassung von Melanie Lanterdinger
[469] Minderheit ist ein vielfältig definierbarer Begriff. Grundsätzlich lassen sich in der Wissenschaft einerseits ethnisch-territoriale und andererseits politisch-soziologische Definitionen finden. Gemeint sind damit immer Gruppen von Menschen, die sich aufgrund eines „Merkmals“ von der Mehrheit unterscheiden. Minderheit muss nicht unbedingt eine Gruppe geringerer Zahl heißen, sondern meist eine Gruppe minderer Macht. Das hegemoniale Verhältnis der Mehrheit zur Minderheit definiert also die Minderheit. Die Unterlegenheit äußert sich in verschiedenen Formen zum Beispiel in sozialer Ausgrenzung, begrenzten Chancen am Arbeitsmarkt, weniger politischen Rechten, rechtlicher Ungleichstellung. Es werden bei den einzelnen Gruppen ganz verschiedene Formen der Diskriminierung wirksam. In Österreich unterscheiden wir ethnische/religiöse und soziale Minderheiten. Siehe auch unter „Mehr zum Thema“ dieses Beitrags.
[470] Unter Assimilation ist im landläufigen Sinn gemeint, dass kulturelle Traditionen aufgegeben werden, sozusagen verschwinden und durch andere ersetzt werden. Bei diesem Prozess ist meist zu beobachten, dass eine Minderheit sich an eine Mehrheit anpasst, sich assimiliert. Bei ethnischen Minderheiten wird als Zeichen der Assimilation meist der Sprachverlust gesehen. Eng in Verbindung damit steht die Vokalmusik, wobei zu beobachten ist, dass die gesungene Sprache meist länger erhalten bleibt als die gesprochene. Für eine ausführliche Begriffsdiskussion siehe den Anhang unter „Mehr zum Thema“ dieses Beitrags.
[471] Das Wort „Multikulti“, das sich im Sprachgebrauch eingebürgert hat, kommt von Multikulturalität oder Multikulturalismus. „Multi“ stammt aus dem Lateinischen und steht in verschiedenen Wortzusammensetzungen für „viel, vielerlei“. Es geht also offensichtlich um „viele Kulturen“. Das wäre an sich noch relativ wertfrei, denn dass auf der Welt viele Kulturen existieren, wird wohl niemand leugnen. Es geht aber um diese vielen Kulturen im eigenen Land. Und in diesem Zusammenhang wird das Wort nicht mehr wertfrei gebraucht. Es wird für politische Zwecke instrumentalisiert und zwar von allen Seiten unterschiedlich. Auch im wissenschaftlichen Diskurs finden wir sehr unterschiedliche Konnotationen, Interpretationen und Bewertungen.
[472] Die Salzburgerin Claudia Lehmert – Künstlername „Athena“ – ist eine Sängerin und Musikerin, die sich der griechischen Musik verschrieben hat. Sie hat die Sprache gelernt und beschäftigt sich intensiv mit griechischer Musik. Eine gewisse Barriere, die durch ihre Outsider-Position vorhanden ist, überwindet sie so gut, dass sie bereits mehrmals in Griechenland äußerst erfolgreich konzertiert hat. Sie gilt inzwischen als Insiderin. Claudia Lehmert ist in verschiedenen Ensembles tätig, auch über die Grenzen Österreichs hinaus. Die griechische community in Salzburg ist zu klein und Auftrittsmöglichkeiten so dünn gesät, dass sie oft im Ausland konzertiert, insbesondere in Deutschland. Ihr Repertoire ist vielfältig und reicht von verschiedenen Volksmusikstilen über den Rebetiko bis zu Mikis Theodorakis.
[473] Die „Klezmer Connection“ besteht aus Marion Ellmer, Peter Aradi, Bernie Rothauer, Georg Winkler und Hubert Kellerer. Die Besetzung ist Gesang, Gitarre, Klarinette, Akkordeon und Perkussion – also eine Besetzung wie sie in der Tradition der Klezmorim, der jüdischen Gebrauchsmusikanten Osteuropas, durchaus zu finden ist. Jüdischer Herkunft ist allerdings keiner der Musikanten. Das Projekt wurde wesentlich beeinflusst durch eine wissenschaftliche Arbeit, die Georg Winkler am Mozarteum über Klezmer schrieb. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung und das praktische Tun ergänzten sich. Die Musiker, fast alle Profis, spielen auf hohem Niveau. Dass sie gerade Klezmer ausgewählt haben, entspricht durchaus einem Trend, der auch in anderen Teilen Österreichs festzustellen ist. Es hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Klezmer so vielfältig ist und so viele Stile mit einschließt, dass Musikern eine große Freiheit der künstlerischen Entfaltung offen steht.
[474] Die Politik nimmt allerdings auf wissenschaftliche Ergebnisse nicht Rücksicht und in der nationalen Propaganda gilt die Tamburica inzwischen als rein kroatisch, das Akkordeon als serbisch und die Sevdalinke, eine bosnische urbane Liedgattung mit stark melismatischer Melodik werden als muslimisch betrachtet.