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Heimat, so heißt es allenthalben, wird erfahrbar über Brauchtum. Bräuche schaffen Heimat. Von welchen Gedankengängen und Argumentationssträngen diese Aussagen üblicherweise getragen werden, sollen drei Beispiele knapp illustrieren. „Brauchtumspflege ist ein Teil der Heimatpflege, ja eigentlich ihr Mittelpunkt. Heimat suchen und Heimat finden, unser Brauchtum, egal ob alt oder jung, ist dazu ein Weg.” Neben solch weit greifenden Programmen finden sich spezifische Orientierungen wie etwa jene, die das Ziel der Brauchtumsarbeit darin sieht, „denen, die ‚noch (im Christentum; M.S.) zu Hause sind', zu ihrer weiteren Beheimatung zu verhelfen ”. Und schließlich fehlen nicht die Überlegungen, die den psychosozialen Defiziten unserer modern-rationalistischen Gesellschaft nachspüren, der der Mythos und das Numinose abhanden gekommen sind: „In einer wortreichen Welt wächst die Sehnsucht nach einer Inspiration durch Zeichen. Bräuche geben Geborgenheit, Riten stiften Beheimatung – Werte, die im postmodernen Lebensstil wieder gefragt sind”.[3060]
Solche Gedanken über die im Brauchtum beschlossenen Potentiale zur Ermöglichung von Identität für den Einzelnen und seiner Identifikation im Sozialraum stellen den Ausgangspunkt zu den folgenden Überlegungen dar. Diese gliedern sich in vier Abschnitte. Um das Thema vor den Gefahren nebulöser Sichtweisen und argumentativer Beliebigkeit zu bewahren, wendet sich der erste Abschnitt zunächst dem Begriff „Brauchtum” in der Volkskunde zu. Sind damit einige gedankliche Untiefen umschifft und ein einigermaßen fester Boden erreicht, können anschließend einige Spezifika des Brauchhandelns vorgestellt werden, die in besonderer Weise dafür geeignet erscheinen, Identität und Beheimatung zu unterstützen. Darauf folgt der Blick auf das moderne Leben der Gegenwart und das unter diesen Rahmenbedingungen gepflegte Brauchtum. Dabei wird zu prüfen sein, ob und inwiefern jener in der Literatur breit hypostasierte Zusammenhang zwischen Brauch und Heimat einer kritischen Prüfung standhalten kann. Der letzte Abschnitt versucht dazu ein Fazit zu ziehen.
Brauchtum ist eine zentrale Kategorie der Volkskunde als Wissenschaft seit ihren Anfängen im frühen 19. Jahrhundert. Die Erklärungsmuster für Bräuche haben sich seither allerdings völlig verändert. Betrachtete doch die Volkskunde der Romantik das Themenfeld hauptsächlich aus der Perspektive religiöser Vorstellungen, während es heute in der volkskundlichen Systematik der Sphäre des Handelns und Verhaltens zugerechnet wird. Damit ist zunächst jegliches Verhalten des Menschen gemeint. Nun ist das menschliche Verhalten bis auf wenige Ausnahmen [motorische Reflexe: Gähnen, Kniesehnenreflex, AAM = angeborener Auslösemechanismus, Instinktbewegungen, ererbte Persönlichkeitszüge] kulturell geformt und vermittelt. Und es dient dem sozialen Umgang zwischen den Menschen. Über das Verhalten präsentiert sich das Individuum dem Gegenüber; Verhalten steuert die Beziehungen zwischen den Menschen. Also ist menschliches Handeln grundsätzlich soziales Handeln, und deshalb wird dieser Bereich als „Soziale Kultur” bezeichnet.[3061]
Unter Brauch hat man jedoch nie einfach das menschliche Verhalten insgesamt gemeint, sondern immer nur einen speziellen Teil davon, der sich vom üblichen Alltagshandeln durch eine besondere Qualität des Vollzuges unterscheidet. Es haben sich in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit verschiedene Erklärungsmuster ergeben, die durchgängig eine spezielle Form des Handelns und Verhaltens bezeichnet wird: gewissermaßen ein „Verhalten plus X”. Dieses „X” erhielt unter den wechselnden Forschungsprämissen die verschiedensten inhaltlichen Füllungen. Um dieses „X” kreisten nicht zuletzt in der älteren Volkskunde folgenreiche Spekulationen. Im Hinblick auf die in unserer Gegenwart virulenten Auffassungen über Brauchtum möchte ich die beiden zentralen Konstruktionen des Brauchbegriffes vorstellen: das sind die Brauchdefinition der so genannten Romantischen Volkskunde des 19. Jahrhunderts und demgegenüber die Brauchdefinition der modernen Volkskunde.
a) die Volkskunde der Romantik:
Für den Ansatz der frühen Volkskunde im Zeitalter der Romantik lautet die zentrale These: Im gegenwärtigen deutschen Volksbrauch und Erzählgut lebt uralt heidnisches Glaubensgut fort.[3062] Mit dieser These geht eine Parallelisierung einher, derzufolge alles Brauchtum (ursprünglich) religiös ist, und das heißt für die damalige Volkskunde: alles Brauchtum ist Ausfluss vorchristlicher Kulte. Die massiven Schwächen dieser Theorie sind mittlerweile in mehreren Bereichen offen gelegt und grundsätzliche Fehler nachgewiesen, so dass diese Konzeption aus Sicht der modernen Volkskunde als widerlegt gelten kann. Allerdings hatte der romantische Ansatz zwei folgenschwere Konsequenzen für die Brauchforschung bis 1945 und die Brauchpflege bis in die Gegenwart.
Erstens entstand daraus die Annahme, dass sich die Volkskultur substanziell unterscheide von der Hochkultur bzw. bürgerlichen Kultur. Über die äußeren Formen der Volkskultur lasse sich die Volksseele erschließen, die aufgrund ihrer festen Bindung an Nationen und Ethnien unterschiedliche Kulturkreise formiere. Das Programm einer Volkscharakterologie versucht deshalb, die räumlich-geographischen Unterschiede und regionalen Eigenarten zu erschließen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Volkskultur in starrer Überlieferung unverändert über die Zeiten hinweg weitergegeben wird. Veränderungen werden in diesem Modell als Verfall interpretiert, der den ursprünglichen Sinn und Bedeutungshorizont der Bräuche zum Verschwinden bringt. Ausweis dieses Denkens sind Formulierungen wie „Sinnentlehrung”, „falscher Brauch”, „Formen ohne Inhalt”, Bräuche als „leere Hüllen”, die „sinnlos” geworden sind. Deshalb sucht die Volkskunde der so genannten Mythologischen Schule nach dem geschichtlichen bzw. vorgeschichtlichen Ursprung der Erscheinungen des Volkslebens: sie betreibt Rekonstruktion.[3063]
Zweitens kommen in dieser Konzeption die realen Menschen als Individuen mit eigenen Denk- und Handlungsansätzen nicht vor. Stattdessen sind sie passive Träger eines überindividuellen Volksgeistes, der durch sie hindurch wirkt. In diesem Volksgeist sind die schöpferischen Potentiale des Volkes eingeschmolzen. Der Begriff „Volk” aber stellt keine irgendwie in der Wirklichkeit fassbare, soziologische Größe dar, sondern ein überindividuelles Substrat aller schöpferischen Überlieferungsträger. Damit gerät das reale Brauchverhalten in seinem jeweiligen Kontext automatisch außer Blick; die Handelnden sind als Marionetten einer sich an ihnen vollziehenden Volkspersönlichkeit vernachlässigbar. Ins Zentrum der Betrachtung rücken dafür zum einen die Brauchrequisiten und zum anderen die dahinter vermuteten Ideen sowie die für ursprünglich erachteten Sinngebungen. Zur Standardsinngebung werden dabei abergläubische Denkformen, an die sich Standardinterpretationen des beobachtbaren Brauchhandelns anschließen. So wird etwa das Maibaumbrauchtum als Fruchtbarkeitskult interpretiert. Neben dem Fruchtbarkeitszauber dient vor allem die Dämonenabwehr (z. B. bei brauchtümlichen Lärmaktionen) als gängiges Interpretament.
Auf diese mythologische Interpretationsweise baut eine zweite Forschungrichtung auf, die als psychologische Interpretationweise bezeichnet wird. Dabei wird nach den psychischen Urelementen des Volksmenschen gesucht. Dies geschieht nun nicht mehr national eingeschränkt, sondern universal – über die ganze Erde hinweg – mit dem Ziel, allgemein gültige psychische Urelemente zu ergründen und eine Mentalitätstheorie des primitiv-natürlichen Menschentums zu erstellen. Nach diesem Muster sind die großen volkskundlichen Brauchsammlungen bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts angelegt worden.[3064]
b) die Volkskunde der Gegenwart:
In der modernen Volkskunde hat sich ein grundlegender Perspektivenwechsel vollzogen. Im Gegensatz zur älteren Sichtweise steht nun der Mensch als konkretes Einzelwesen im Mittelpunkt. Die Forschung setzt jetzt beim aktiv handelnden Brauchakteur an. Seine Sinngebung der Brauchhandlung und seine Interessendominanten sind Angelpunkt der Brauchanalyse. Damit aber ist das Brauchgeschehen beeinflusst von den jeweiligen Zeitumständen, von den örtlichen Verhältnissen, der ganz bestimmten Umwelt und von sozialen Umständen, dem gesellschaftlichen Milieu, der Gesellschaftsstruktur insgesamt. Bei dieser Betrachtungsweise werden die Braucherscheinungen mit den jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Brauchträger in Beziehung gesetzt. Über diesen Rückbezug auf den jeweiligen Sitz im Leben rückt die konkrete Funktion eines Brauches in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Bedeutung einer Brauchhandlung ergibt sich damit nicht mehr aus einem außengeleiteten und übergeordneten – abgehobenen – Sinn, sondern aus den konkreten Zielsetzungen, Zweckbestimmungen und Deutungen der Beteiligten.
So verbergen sich hinter vielen traditionellen Brauchhandlungen nicht etwa vorchristliche bzw. abergläubisch-magische Orientierungen, sondern beispielsweise konkrete Bezüge auf die gängige obrigkeitliche Rechtspraxis. Für die Wegsperren im Hochzeitsbrauchtum waren die früher üblichen Mauten, Zölle, Pflastergebühren und Brückengelder vorbildgebend. Bei Brautkranz und Brautkrone treten zu herrschaftlich- rechtlichen Zusammenhängen auch theologische Bezüge auf die Krone Mariens und die Zeichen ihrer jungfräulichen Reinheit. Bei den im Maibrauchtum vielfach formalisierten und stilisierten Kontakten zwischen den Geschlechtern geht es oft um die Versittlichung dieser Beziehungen, indem das Verhältnis zwischen Mann und Frau mithilfe brauchtümlich sanktionierter Vollzüge in eine kulturell akzeptable Form gebracht wird.
Von solchen Überlegungen ausgehend müssen bei der Erklärung eines Brauches drei Ebenen berücksichtigt werden. Zum einen sind das die Gestaltungselemente und Erscheinungsformen (also die Requisiten, der Termin etc.), zum anderen die Brauchausübenden und deren Adressaten mit ihren jeweiligen Einstellungen und Sinngebungen, sowie drittens die Brauchfunktion. Auf dieser Ebene der Funktion geht es sowohl um die objektive Funktion (Welche Auswirkung hat der Brauch auf die Adressaten?) als auch um das Selbstverständnis der Akteure und der Betroffenen (Welche eigene Deutung haben sie?).
Daraus folgt, dass Brauchhandlungen an zwischenmenschliche Kontakte gebunden sind und als Gruppenhandeln realisiert werden. Daraus ergibt sich auch, dass Brauchformen über einen bestimmten Zeitraum hinweg gleich bleiben und dass sie weiterüberliefert werden, solange sich an den Lebensumständen und den Einstellungen der Brauchträger nichts Wesentliches ändert. Diese beiden Aspekte hatte die ältere Volkskunde unter dem Begriffspaar Gemeinschaft und Tradition sehr stark überbewertet. Doch gleichzeitig werden jene alten Bestimmungskriterien Tradition und Gemeinschaft, mit denen zeitliche und soziale Stabilität ausgedrückt wird, von anderen Kräften stark relativiert. So schränken Veränderung und Neuerungen, die sich infolge gewandelter Lebensumstände ergeben, eine ungebrochene Überlieferungsfestigkeit ebenso ein wie persönliche Interessen und Sinngebungen, die den Brauchausübenden subjektorientierte Handlungsanleitungen ermöglichen.
Infolgedessen ist es zum Beispiel nach diesem Modell völlig einleuchtend, dass sich die Funktion eines Brauches ganz entscheidend verändern kann, obwohl seine Gestaltungsformen gleich geblieben sind.[3065] Überhaupt ist jede Brauchform für sich als eine komplexe Form anzusehen, in der die drei Ebenen der Phänomene, der Brauchträger und der Funktionen zusammen eine Struktur bilden, die sich immer dann verändert, wenn sich auf einer der drei Ebenen ein Wandel vollzieht. Dabei lässt sich die Variabilität auf der Ebene der Gestaltungsformen auf eine beschränkte Anzahl von Grundfiguren und Grundhaltungen zurückführen. Sie bilden, um mit Herbert Schwedt zu sprechen, eine Art Alphabet, dessen Buchstaben in immer neuer Zusammensetzung jeweils neuen Sinn ergeben.[3066] Die Ebene der Funktionen weist dagegen eine große Bandbreite auf. Sie ist von der jeweiligen Trägerschicht abhängig und ändert sich mit ihr. Die spezifischen Bedürfnisse und das Selbstverständnis der Akteure können verschiedene Motive haben: etwa Kontakt nach innen, Binnensolidarität, Überhöhung des Alltags, Symbolhaftigkeit oder Selbstdarstellung der Gruppe nach außen. Hier stehen in aller Regel psychische und soziale Bedürfnisse im Vordergrund.
Je nach dem Beteiligungsgrad an einer Brauchhandlung variiert damit auch die Einstellung dem Brauch gegenüber: Auf der einen Seite befinden sich die zentralen Akteure, denen der Brauch quasi Herzenssache ist. Sie identifizieren sich üblicherweise voll mit seinen zentralen Werten und konkreten Inhalten. Auf der anderen Seite stehen die nur passiv Beteiligten. Hierzu zählen einerseits die zufälligen Besucher und neutral eingestellten Passanten bzw. die Nichtteilnehmer. Ihnen sind allenfalls die allgemeinen Werte der Brauchhandlung bekannt, die Aktion besitzt für sie keine hohe Relevanz. Sie nehmen etwa nur aus bloßer Gewohnheit teil und konsumieren das Brauchangebot ohne größere innere Anteilnahme – oder sie halten sich ganz abseits. Andererseits ist auch an die negativ Betroffenen und Beschädigten zu denken, wie etwa bei einem Rügebrauch.[3067]
Viele Brauchhandlungen sind als offene Funktionssysteme zu verstehen, die je nach den Zeitumständen und den Bedürfnissen der jeweiligen Träger ausgestaltet, bewertet und gedeutet werden. Ebenso kann ein Brauch gleichzeitig mehrere Funktionen haben: für eine Gruppe mehrere Funktionen wie Repräsentation, Geselligkeit, pädagogische Funktion oder für die Ausführenden die eine und für die Betroffenen eine andere Funktion.[3068]
Kehren wir nun zurück zu der Ausgangsfeststellung, wonach Brauch ein spezifisches soziales Verhalten ist, ein „Verhalten plus X”. Was unterscheidet dann das brauchtümliche Handeln vom übrigen sozialen Verhalten aus der Sicht der Volkskunde nach 1945? Als Ausgangspunkt kann die ältere Definition von Josef Dünninger aus dem Jahre 1962 dienen, die heute freilich als zu eng gefasst und zu streng reglementiert eingeschätzt wird: „Brauchtum ist gemeinschaftliches Handeln, das durch die Tradition gewahrt, von der Sitte gefordert, in Formen vorgeprägt, mit Formen gesteigert ist, das ein Inneres sinnbildlich ausdrückt und funktionell an Ort und Zeit gebunden ist."[3069] In gewisser Weise nüchterner klingt eine Definition aus den 1980er Jahren: „Brauch ist zuallererst eine soziale Kategorie, bei der ein soziales Handeln bestimmendes Moment ist. Brauch ist keine beliebige, spontane Handlung, sondern ist gekennzeichnet durch Regelmäßigkeit und Wiederkehr der Handlung, eine den Brauch ausübende Gruppe, für die dieses Handeln eine Bedeutung erlangt, sowie einen durch Anfang und Ende gekennzeichneten Handlungsablauf, dessen formale wie zeichenhafte Sprache der Trägergruppe bekannt sein muß.”[3070] Brauch umfasst damit alle Formen festlicher und spielerischer Art, wenn sie sich in bestimmtem Rhythmus oder bei gleichen Anlässen wiederholen.[3071] Das moderne volkskundliche Denken zum Brauch orientiert sich damit einerseits an Konzepten des sozialen Handelns und andererseits an Theorien der Kommunikation.[3072]
Seit den 1990er Jahren wird verstärkt eine Erweiterung des Brauchbegriffes diskutiert. Dies betrifft etwa den Brauch in Kleingruppen und den Familienbrauch, wie er sich in der Gestaltung des Alltags- und Feiertagslebens zu erkennen gibt. Dazu werden Tagesabläufe und Formen der partnerschaftlichen Arbeitsteilung genauso gerechnet wie familieneigene Formen der Zuwendung. Insbesondere trifft man hier auf Verhaltensweisen, die oft nur auf den Bereich einer Einzelfamilie beschränkt sind und speziell auf die Bedingungen und Erfahrungen der einzelnen Familien zugeschnitten sind, aber trotzdem alle Merkmale von Brauchhandlungen aufweisen, wie eine regelmäßige Wiederkehr, Gemeinsamkeit der Ausübung etc. Bisher unberücksichtigte Brauchphänomene entdeckt man auch bei jugendlichen Subkulturen, die auf ihrer Suche nach neuen Gruppenidentitäten besonders augenfällig mit brauchgemäßen Formen arbeiten.[3073] Insgesamt geht die Tendenz dahin, den Brauchbegriff auf die sozialen Regelmäßigkeiten im Arbeits- und Freizeitleben der gegenwärtigen Industriegesellschaften anzuwenden. Es wird vorgeschlagen, auch die nur bedingt verbindlichen Spiel- und Veranstaltungsformen hierunter zu fassen.[3074] Allerdings ist auch beobachtbar, dass in der aktuellen Standortdiskussion des Faches Volkskunde das Forschungsfeld Brauchtum so gut wie keine Rolle mehr spielt.[3075]
Die Grenzen zum Bereich der Konventionen, der Gewohnheiten und des habitualisierten Sozialverhaltens werden mit dieser weicheren Brauchdefinition durchlässiger. So sind für den Brauch in dieser Auffassung ein gemeinsamer Vollzug und die Gruppenbezogenheit des Handelns nicht mehr ausschlaggebend. Vielmehr kann auch individuelles Handeln zum Brauch zählen, wenn es außengeleitet ist und der individuelle Vollzug in Analogie zum Vollzug anderer Träger stattfindet. Beispiele dafür wären das individuelle Entzünden einer Wetterkerze oder die privat vollzogene Wallfahrt. Brauchhandlungen in dieser erweiterten Auffassung sind nur noch durch eine gewisse Regelmäßigkeit und Beständigkeit der Wiederholung sowie durch eine Sinngebung, die über den einfachen Vollzug einer Handlung auf etwas anderes hinausweist, gekennzeichnet. Hier ist etwa an regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten zu denken, wenn diese von einer bestimmten Zeremonie begleitet werden, an einen bestimmten Termin gebunden sind und eine explizite Sinnzuweisung tragen – wie etwa die eines täglichen Fixpunktes im Familienleben, als Abschlussessen oder als Festessen.[3076]
Im vorangehenden Abschnitt stand die Absicht im Vordergrund, zum Begriff und zur Sache „Brauchtum” einen allgemeinen Zugang aus der Sicht der gegenwärtigen Volkskunde zu legen. Darauf aufbauend kann nun der Blick geschärft auf ein paar Spezifika der Brauchhandlung gerichtet werden, die Potentiale in sich bergen, aus denen sich eine Verbindung zu Heimat und Heimatgefühl schlagen lässt. Was üblicherweise in das Wort Heimat gekleidet ist, wird im Folgenden unter dem Begriff der Identität subsumiert, um konsequenter auf die sozialen und psychischen Komponenten des Beheimatungsprozesses einzugehen.[3077] Insgesamt möchte ich im Folgenden vier Kennzeichen von Brauch ansprechen, an denen sich Möglichkeiten der Beheimatung und der Ausbildung von Identität zeigen lassen.
Ein erstes Kennzeichen liegt in der Funktion des Brauches als Ordnungsfaktor. Bräuche lassen sich insofern als Suche und Versuche verstehen, Regelmäßigkeit und Sicherheit zu schaffen. Als Ordnungsfaktoren entlasten sie durch vorgegebene Konzepte, die dem Einzelnen Entscheidungen abnehmen bzw. vorstrukturieren, ihn damit für anderes freisetzen und letztlich die Lebensmöglichkeiten sichern und fördern. Bräuche bilden Prozesse der Überlieferung von Ordnungen. Damit stellen sie eine über Zeichen und Symbole verlaufende innere Verfestigung von gesellschaftlich relevanten Momenten dar. Mit ihnen wird das gesellschaftliche Miteinander formalisiert und geregelt, über sie wird „Gemeinschaft” und Identität hergestellt. Ferner setzen Bräuche Zeit- und Zielpunkte; sie funktionieren als zeitliches Gliederungssystem, das die Eintönigkeit unterbricht. Solchermaßen schaffen sie Zeit, indem sie Intervalle ins soziale Leben bringen.[3078]
Ein zweites Kennzeichen lässt sich in der besonderen, expressiven Kommunikations- und Darstellungsform, die für die Mehrzahl der Bräuche typisch ist, ausmachen. Sie gipfeln in den Aspekten der Symbolisierung und Transformation. In den Bräuchen greift man eine speziell zugerichtete, stilisierte und formelhafte Kommunikationsform. Bräuche stellen einen in besonderer Weise zugerichteten Code im zwischenmenschlichen Austausch dar. Sie bilden sozusagen eine bunte Rede über das jeweilige gesellschaftliche Leben und seine Grundfragen einschließlich der Werthorizonte. Mit ihren besonderen Darstellungsmöglichkeiten gehören sie zum Feld der ausdrucksmäßig gestalteten und zuweilen symbolisch überhöhten Lebensbeziehungen. So sind etwa die religiösen Riten und auch religiöses Brauchtum als ein menschlicher Versuch deutbar, Gotteserfahrung auf eine verträgliche und angenehme Weise zugänglich zu machen. Theologische Erkenntnisse und ethische Normen lassen sich unter Umständen leichter verdeutlichen, wenn sie in ein allgemeines Verhaltensrepertoire eingeschmolzen sind. Damit können sie zur Verinnerlichung von theologischem Wissen und von frommem Handeln beitragen. Sie können einerseits die Einbildungskraft steigern und die religiöse Erlebnisfähigkeit intensivieren, andererseits aber auch geistige Prozesse grob materialisieren.[3079]
Diese besonderen Gestaltungs- und Ausdruckspotentiale von Brauchtum sorgen für seine Sonderstellung gegenüber dem Alltag. Bräuche nehmen eine über den Alltag erhöhte Ebene ein, ohne allerdings dessen Inhalte und Gesetzmäßigkeiten zu verlassen. Obwohl sie integraler Bestandteil der Alltagskultur sind, besitzen Bräuche – besonders die Festbräuche – gleichwohl einen eigentümlich kontrastiven Akzent gegenüber dem Alltag. Bräuche spiegeln nicht nur die gesellschaftliche Realität, vielmehr decken sie gesellschaftliche Sachverhalte und Probleme auf, ja sie vergrößern und verstärken diese sogar. Bräuche und Feste stabilisieren einerseits etwa ideologische Wertvorstellungen, auch werden sie ökonomisch und hierarchisch instrumentalisiert und zudem als exponierte Möglichkeiten personaler und gruppenhafter Selbstdarstellung in Anspruch genommen. Ferner befriedigen sie vermittels ihrer gehobenen Festformen auch übersteigerte Vitalbedürfnisse (übermäßiges Essen und Trinken, Sich-Ausleben, Raufen, Ekstase etc.). Andererseits können Bräuche aber auch kritische und oft psychisch anstrengende Bedeutungen haben. Sie können damit Triebkräfte für gesellschaftliche Veränderungen sein. Wenn im täglichen Leben eine bestimmte Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben, Gemeinsamkeiten und Einsamkeit, Freiheit und Zwang herrscht, so hat ein Brauch bzw. ein Fest sowohl auf der Gewinn- wie auch der Verlustseite oft größere Auswirkungen. Hieraus ließe sich etwa für jeden Festbrauch eine Art Gewinn- und Verlustrechnung erstellen. Wenn ein solches ökonomisches Modell angewandt wird, merkt man schnell, dass die Auswirkungen eines Festes sich weit über das eigentliche Festgeschehen hinaus erstrecken. Dies wird dann greifbar, wenn man etwa das Ausmaß der Vorbereitungen bei der Anfertigung der Aussteuer für die Braut mit einbezieht.[3080]
In den Bräuchen und ihren Ausdrucksformen demonstrieren die Brauchträger ihre Normen, sie belegen die dazu benutzten Zeichen mit ihren Bedeutungszuweisungen. Damit demonstrieren sie ihre Normen und ihre Wunschvorstellungen, die nicht mit der gesellschaftlichen Realität übereinstimmen müssen. Bräuche bilden in diesem Sinne ein Mikrosystem innerhalb des Makrosystems der Allgemeinkultur und artikulieren den Spannungsbogen zwischen dem, was die Brauchausübenden als Wunsch symbolisch ausdrücken und der Realität des Erreichbaren.”[3081]
Dies leitet über zu einem dritten Kennzeichen, das den Brauch als Möglichkeit zur Eigenaktivität begreift. In Brauchhandlungen können Individuen und Gruppen nicht ausschließlich Selbstdarstellung betreiben. Ihnen eröffnet sich vielmehr an exponierter Stelle eine konkrete Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeit, die bei vielen Bräuchen in die teilnehmende Öffentlichkeit hineinreicht. Bräuche institutionalisieren vielfach geradezu den direkten Umgang mit einem sozialen Gegenüber, der vielleicht im Alltag in dieser unmittelbaren Form nicht immer möglich ist. Damit hat der Einzelne die Chance, eigeninitiierte Impulse in seiner Umgebung zu setzen. Auf der Handlungsebene der Bräuche lassen sich Auseinandersetzungen zwischen Menschen im Schutz formalisierter, symbolischer bzw. außeralltäglicher Routinen führen. Somit bieten Brauchvollzüge auch Freiräume an, die den Teilnehmern Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein ermöglichen. Dabei kann sich in Bräuchen der Einzelne als aktiver Partner und Mitgestalter seines sozialen Nahraumes erleben. Ein Prozess der Beheimatung lässt sich auf diese Weise auf den Weg bringen bzw. unterstützen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dies ausschließlich die Sicht der (erfolgreichen) Akteure referiert. Bei den passiv Betroffenen kann genau das Gegenteil der Fall sein.[3082]
Die Bedeutung von Brauch als Identitätsstütze und Integrationsmöglichkeit bildet schließlich ein viertes Kennzeichen. Bräuche können, sofern sie Ordnung herstellen, den Beteiligten Halt geben. Sie fördern damit Sicherheit und Selbstvertrauen. Die aktive wie auch passive Teilnahme an einer Brauchhandlung schafft persönliche Bindung zu Ort und sozialem Umfeld. Mit der Teilnahme an Bräuchen integriert sich der Teilnehmende in die Gruppe, die in diesem Bereich ihrer Lebensgestaltung etwas von ihrer Identität findet und zu einem Ausdruck gemeinsamer Interessen kommt. Brauchtum fungiert damit als Gestaltungsrahmen für eine ausgeglichene, satisfaktionierte, identitätsfördernde Lebensgestaltung und Ichfindung als kompetentes Sozialwesen. Brauchtum kann demzufolge eine Identitätsstütze bilden und zu einem integrierten Dasein verhelfen.,
Gegenüber den traditionellen Lebensverhältnissen, in denen die Volkskunde das Brauchtum entdeckt und analysiert hat, hat sich unsere Gegenwart in wichtigen Punkten verändert. Unter dem Eindruck der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich notwendigerweise sowohl die Brauchformen und Brauchinhalte wie auch das allgemeine Selbstverständnis dem Brauch gegenüber gewandelt. Diese gesellschaftlichen Veränderungen sollen nur mit einigen Schlagworten angedeutet werden: Industrialisierung, Säkularisierung, Privatisierung und Individualisierung, sowie nicht zuletzt die Informations- und Medienrevolution. In deren Folge wandelten sich nicht nur die Familienstrukturen und die Wohnverhältnisse, erfolgte nicht nur eine Technisierung und Kommerzialisierung des Alltags und der Lebensverhältnisse zusammen mit steigender Mobilität, sondern die weitgehend innerweltliche Interpretation des menschlichen Lebens rückte auch den Einzelnen deutlich ins Zentrum. Daraus ging eine fortschreitende Pluralisierung der Normen und Normsysteme hervor. Eine fortschreitende Segmentierung der Gesellschaft erzeugt ein Nebeneinander verschiedener, auch konkurrierender Normbegriffe in einer sozialen Gruppe. Dies führt zur wachsenden Aufspaltung und Inhomogenität des kulturellen Systems und der Bräuche.[3083] Damit wird die intendierte Allgemeinverbindlichkeit von Sitte und Brauch relativiert. Folglich lassen sich eine Intimisierung von Lebensfesten sowie eine Kommerzialisierung von Jahresfesten beobachten. Auch nimmt der Wegfall traditioneller Werte und Orientierungen dem Einzelnen die Möglichkeit der Anlehnung an unhinterfragte allgemeingeteilte Selbstverständlichkeiten. Das macht eine je individuell zu leistende Orientierungsarbeit notwendig. Damit aber wachsen Rechtfertigungsdruck, Unsicherheit und Orientierungsschwierigkeit. Es lassen sich im Anschluss an dieses Szenario ein paar Konsequenzen darstellen, die sich für die Fortführung tradierter Brauchformen im Sinne einer bewussten Heimatpflege (innerhalb und außerhalb der heimatpflegerischen Institutionen) ergeben:
a) Binnenexotismus: Heimat als Kulisse:
Die steigende Wertschätzung von Heimat in der Moderne geht mit dem gleichzeitigen Zerfall der traditionellen geistigen und räumlichen Horizonte einher: beide Bewegungen müssen in ihrem Zusammenhang und in ihrer Gegenläufigkeit gesehen werden. Gerade die Einwirkung und Verarbeitung von Fremderfahrungen, die unsere Gesellschaft insgesamt längst intensiv prägen, provozieren den Rückgriff auf die Heimat. Dabei ergibt sich der paradoxe Sachverhalt, dass die bekenntnishaften Bindungen an die Heimat deutlich unter dem Gesetz der Fremde stehen. Das heißt: das Exotische und das Heimatliche nähern sich einander an, indem etwa das Malerisch- Schöne und Pittoreske der Heimat in den Vordergrund drängt und damit eine Gegenwelt zur bestehenden Realität konstruiert. In vielen Fällen trifft das Heimatliche mit dem Exotischen zusammen – etwa bei internationalen Trachtenfesten. Diese ursprünglich entgegengesetzten Tendenzen nach Exotik und nach Heimat vereinigen sich jetzt zu einer Art Binnenexotik, weil das Exotische nicht mehr jenseits eines festen Horizonts liegt, sondern inmitten der erfahrbaren Welt erlebt wird. Im Strudel dieser direkten Wechselwirkungen existieren keine autonomen Bezirke mehr.
Die bewusste Pflege traditionalistischer Heimatwelten gerät damit nach dem Verlust der früheren stabilen Horizonte in der Gegenwart leicht zu einem schauspielhaften Akt, dem anstelle der ehemaligen Lebensbezüge nur noch eine Bühnenkulisse gelingt. Was also heute in der Regel zur Heimatkultur erklärt wird, ist gerade aus der Kenntnis und Auseinandersetzung mit den vielfältigen Außeneindrücken aus aller Welt heraus entwickelt und geformt. Tatsächlich lässt sich Heimat in dieser Gestalt nicht mehr analog zu früheren Zuständen wirklich herstellen. Vielmehr gelingt sie nur noch in metaphorisch-übertragenem Sinne, denn die moderne Lebenswelt bringt den Zerfall der Horizonte wie auch die Verfügbarkeit der kulturellen Güter unweigerlich mit sich.[3084]
b) Ritualisierung: die Erstarrung von Brauchformen:
Wenn Brauchformen nicht mehr flexibel vollzogen werden, sondern zu streng formgebundenen Handlungen erstarren, nähern sie sich den Riten an. Für Riten ist aber kennzeichnend, dass ihre Handlungen mit bestimmten Formeln verbunden sind, deren akkurate Handhabung kodifiziert ist und routinemäßig zelebriert wird. Zugleich werden Riten feierlich vollzogen, ihre Handlungen sind mythisch überhöht. Ihr mythischer Sinn lässt sich nur über internes, tradiertes Wissen erschließen, das die jeweilige soziale Gruppe an ihre Mitglieder systematisch und kanonisiert überliefert und dadurch Mitglieder von Nichtmitgliedern trennt. Jede Nachlässigkeit gegenüber oder gar Abweichung von einem fixierten Modus gereicht zum Frevel und wird sanktioniert.[3085] Für derartiges durch heimatpflegerische Einflüsse ritualisiertes Brauchverhalten bedeutet dies dreierlei:
Überlieferte Bräuche bestehen heute in der Regel dort fort, wo sich Eliten für ihre Erhaltung einsetzen – und dahinter stehen in aller Regel bestimmte Interessen und Ideologien. Damit besteht innerhalb der Heimatpflege die große Gefahr, dass Volkskultur und Brauchtum zur Sache einiger weniger werden, die letztlich bestimmen, was als Volkskultur oder Brauchtum gelten darf und was nicht.
Solchermaßen festgelegte Brauchhandlungen lassen für den einzelnen Teilnehmer und erst recht für den passiv Beteiligten kaum mehr Freiräume zu geistiger Eigeninterpretation und aktiver Eigeninitiative, die sich an jeweils aktuellen Bedürfnissen orientieren, welche sich ihrerseits an der gesellschaftlichen Wirklichkeit bemessen.
Gerade jenes Zusammenspiel von starrer Reglementierung und quasi mythischer Bedeutungsaufladung führt zur Entsozialisierung der Bräuche. Das heißt, das Brauchhandeln vollzieht sich nicht mehr als direkte Kommunikation mit einem konkreten Gegenüber, sondern als abgehoben- symbolische Rede mit einer passiven bzw. amorphen Öffentlichkeit. Folge davon ist einerseits eine Perfektionierung des Brauchkomplexes, der zunehmend Vorführcharakter erhält (Schaubräuche, Bühnenveranstaltungen), und andererseits die klare Abtrennung der Akteure von der übrigen Bevölkerung, die auf die Rolle des passiven Zuschauers reduziert wird und ansonsten ausgeschlossen bleibt. Der Brauchablauf folgt dabei der Logik von Theateraufführungen: Es gibt Zuschauer, die für die Vorführung Eintritt entrichten müssen. Für die Brauchaktion gilt der Maßstab der künstlerischen Werktreue. Vor den Zuschauern, die passiv rezipieren und nicht mehr direkt Betroffene sind, läuft der Brauch wie ein Film ab und erfüllt sich in seiner ausgefeilten Choreographie. Stößt solche Brauchvorführung auf ein erfolgreiches Publikumsecho, folgen Wiederholungen, die losgelöst von den traditionellen Terminbindungen stattfinden.[3086]
Die Bemühungen, Bräuche zu normieren sowie über Kontrollen und Sanktionen durchzusetzen, sind nur so lange wirksam, wie sie die betreffende Gruppe als Bestandteile ihres Verhaltenscodes akzeptiert. Andernfalls verkommen sie zuweilen zu Spielen oder folkloristischen Darbietungen, oder sie werden auf randständige Brauchausübende, etwa Kinder, abgedrängt.[3087]
Bräuche sind geschichtlich, sie sind unmittelbar abhängig von politischen, religiösen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen. Die Industrialisierung und ihre Folgen haben einen tiefen und wesentlichen Einschnitt in der Brauchgeschichte bewirkt. Und weiter: Bräuche entwickeln sich aus dem Zusammenleben der Menschen. Sie demonstrieren und symbolisieren dieses Zusammenleben.
Inzwischen hat sich in der Bevölkerung das Bezugssystem von Sitte und Brauch deutlich gewandelt. Die ehedem engen Horizonte sind geöffnet, die allgemeinen Verbindlichkeiten zerfallen zugunsten der Individualisierung usw. Statt der wohlgeordneten Volkslebenskonstruktion mit ihren außengeleiteten Rahmenbedingungen und übergreifenden Wertstrukturen sieht sich der Einzelne einem relativ frei wählbaren Angebot gegenüber, aus dem er sich seine Lebensweise selbst basteln kann bzw. muss. Daraus entstehen persönliche Lebensstile wie Collagen oder Patchworkarbeiten. Im Angesicht dieser Tendenzen haben die alten Bräuche vielfach ihren von der Volkskunde festgestellten binnengesellschaftlichen Sinn verloren. Gesellschaft tritt allgemein als Orientierungspunkt kulturellen Handelns tendenziell zurück.[3088]
Heimat gerät in diesem Zusammenhang zunehmend zur Projektion der verlorenen Volkskultur-Identität. Dabei vollzieht sich die Bewegung des Begriffes weg von den Personen und dem Sozialverband und hin auf den geographischen Raum. Der Raum soll nun das erfüllen und leisten, was vormals die sozial dichte Identitätsstruktur traditioneller Gemeinschaften geleistet hatte, wie man glaubt. Also wird der Raum mit den in dieser ehemaligen Identitätsstruktur eingeschlossenen Werten und Elementen ausgestattet.[3089]
Es ist nicht schwer zu bemerken, dass ein Brauchvollzug unter denjenigen Regelmechanismen, die im zweiten Abschnitt besonders hervorgehoben wurden, nicht recht mit dem weiten und sentimentalisierten Heimatbegriff der Moderne zusammenpasst. Der Wert- und Einstellungshorizont des Brauches ist auf kurze Distanzen, konkrete Umstände und konkrete Personenkreise ausgerichtet. Hier ist allerdings für die Beteiligten eine gesteigerte Form der Identifikation gegeben: es vollziehen sich Rollenzuweisung und Rollenfindung, jeweils positiv wie negativ. Auf jeden Fall ist Brauch eine sehr unvermittelte (und vielfach auch gnadenlose) Form der Kommunikation. Besonders für die Akteure bietet er über die außeralltägliche und in zeremonielles Gewand gekleidete, mit überindividueller Bedeutung aufgeladene Aktivität eine herausgehobene Möglichkeit der persönlichen Identitätsarbeit.
Somit lassen sich zwei Grundbedingungen beinahe rezepthaft benennen, die für die Lebensfähigkeit modernen Brauchhandelns ausschlaggebend sind: erstens die Interaktion und Aufeinander-Bezogenheit der Akteure durch äußerliche (wirtschaftliche, soziale etc.) Bedingungen und Verhältnisse; zweitens emotionale Beziehungen und Zuwendungen zwischen den Beteiligten. Beides kann sich natürlich nur dann realisieren, wenn die Personen miteinander bekannt sind. Dabei müssen die beiden Bedingungen nicht notwendig positiv-harmonisch ausgestaltet sein, vielmehr sind ebenso ihre negativ-belastenden Spielformen in Rechnung zu stellen.
Hieraus lässt sich ein aktiver Heimatbegriff entwickeln, dessen Ausgangspunkt die faktische Ortsgebundenheit jeder Brauchhandlung darstellt. Der Lokalbezug der Brauchhandlung lässt sich bei positivem Empfinden des Brauches (und auch bei negativem) im Raum festschreiben. Über eine „emotionale Raumzuwendung aufgrund der Mitgestaltungsmöglichkeiten und Aktivitätsentfaltungen” wird eine Identifikation mit dem jeweiligen geographischen Raum möglich.[3090] Somit kann über aktiv-konkreten Brauchvollzug der Raum zum Satisfaktionsraum werden, und damit zur Heimat. Dabei gilt es abschließend ausdrücklich zu betonen, dass die dargestellten Rahmenbedingungen für das Brauchhandeln den Ausübenden grundsätzlich nicht bewusst sein müssen. Gerade emotional-affektive Hintergrundtönungen können jedoch im Vergleich zu rational-durchdachten Zugängen äußerst stabile Beziehungsmuster herstellen. Daher ist es kaum verwunderlich, wenn das Heimatbewusstsein am stärksten von unbewussten Momenten genährt wird.
Verwendete Literatur:
[Bausinger 1986] Bausinger, Hermann: Volkskultur in der technischen Welt. Frankfurt am Main [u. a.] 1986.
[Bausinger 1978b] Bausinger, Hermann: Identität. In: Bausinger, Hermann [u. a.]: Grundzüge der Volkskunde. Darmstadt 1978, S. 204–263.
[Bausinger 1983b] Bausinger, Hermann: Auf dem Wege zu einem neuen, aktiven Heimatverständnis. In: Der Bürger im Staat 33/4 (1983), S. 211–216.
[Beck/Vossenkuhl/Ziegler 1996] Beck, Ulrich; Vossenkuhl, Wilhelm; Ziegler, Ulf Erdmann: Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben. München 1995.
[BeckerM 1996] Becker, Michael: Brauchen wir Bräuche? In: Landesverband Salzburger Volkskultur (Hg.): Salzburger Volkskultur 20/2 (1996), S. 73–75.
[Bimmer 1994] Bimmer, Andreas C.:Brauchforschung. In: Brednich, Rolf W. (Hg.): Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der europäischen Ethnologie. 2. Aufl. Berlin 1994 (Ethnologische Paperbacks), S. 375–396.
[Bringéus 1990] Bringéus, Nils-Arvid: Der Mensch als Kulturwesen. Eine Einführung in die Europäische Ethnologie. Würzburg 1990.
[Burckhardt-Seebass 1997] Burckhardt-Seebass, Christine (Hg.): Zwischen den Stühlen fest im Sattel? Eine Diskussion um Zentrum, Perspektiven und Verbindungen des Faches Volkskunde. Göttingen 1997.
[Cremer/Bundeszentrale 1990] Cremer, Will; Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Bonn 1990.
[DünningerJ 1979] Dünninger, Josef: Brauchtum. In: Stammler, Wolfgang (Hg.): Deutsche Philologie im Aufriss. 2. unveränderter Nachdr. Bd. 3. Berlin 1979, Sp. 2571–2640.
[Gennep 1909] Gennep, Arnold van: Les rites de passage. Paris 1909.
[Gerndt 1986a] Gerndt, Helge: Kultur als Forschungsfeld. Über volkskundliches Denken und Arbeiten. 2. Aufl. München 1986.
[Greverus 1978a] Greverus, Ina-Maria: Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie. München 1978 (Beck’sche Schwarze Reihe 182).
[GrimmJ 1968] Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. 3 Bde. Nachdr. der 4. Aufl. Berlin 1875–1878. Graz 1968.
[Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1927] Bächtold-Stäubli, Hanns (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bde. Berlin [u. a.] 1927–1942 (Handwörterbücher zur deutschen Volkskunde/Abt. 1: Aberglaube).
[Hansen 1995] Hansen, Klaus P.: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen [u. a.] 1995.
[Harmening 1979] Harmening, Dieter: Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters. Berlin 1979.
[Harmening 1987] Harmening, Dieter: Superstitio – Aberglaube. In: Harvolk, Edgar (Hg.): Wege der Volkskunde in Bayern. Ein Handbuch. München [u. a.] 1987 (Beiträge zur Volkstumsforschung 23 / Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 25), S. 261–292.
[Hartinger 1992] Hartinger, Walter: Religion und Brauch. Darmstadt 1992.
[Harvolk 1987b] Harvolk, Edgar: Brauch- und Festforschung. In: Harvolk, Edgar (Hg.): Wege der Volkskunde in Bayern. Ein Handbuch. München 1987 (Beiträge zur Volkstumsforschung 23 / Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 25), S. 335–352.
[KohlKH 1993] Kohl, Karl-Heinz: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung. München 1993.
[KüblerHD 1994] Kübler, Hans-Dieter: Kommunikation und Massenkommunikation. Münster [u. a.] 1994.
[Leach 1978] Leach, Edmund: Kultur und Kommunikation. Zur Logik symbolischer Zusammenhänge. Frankfurt am Main 1978.
[LippC 1993] Lipp, Carola: Der industrialisierte Mensch. Zum Wandel historischer Erfahrung und wissenschaftlicher Deutungsmuster. In: Dauskart, Michael; Gerndt, Helge (Hg.): Der industrialisierte Mensch. Hagen 1993, S. 17–43.
[Mannhardt 1904] Mannhardt, Wilhelm:Wald- und Feldkulte. Bd. 1: Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme. Mythologische Untersuchungen. 2. Aufl. Berlin 1904.
[MezgerW 1993] Mezger, Werner: Sankt Nikolaus zwischen Kult und Klamauk. Zur Entstehung, Entwicklung und Veränderung der Brauchformen um einen populären Heiligen. Ostfildern 1993.
[MoserH 1961] Moser, Hans: Maibaum und Maienbrauch. Beiträge und Erörterungen zur Brauchforschung. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1961), S. 115–159.
[Neckel 1993] Neckel, Sighard: Die Macht der Unterscheidung. Beutezüge durch den modernen Alltag. Frankfurt am Main 1993.
[Rauchenecker 1989] Rauchenecker, Herbert: Mit Bräuchen leben. Alte und neue Formen christlichen Feierns. München 1989.
[Sartori 1910] Sartori, Paul: Sitte und Brauch. 3 Bde. Leipzig 1910–1914.
[Scharfe 1970] Scharfe, Martin: Zum Rügebrauch. In: Hessische Blätter für Volkskunde 61 (1970), S. 45–68.
[Scharfe 1991] Scharfe, Martin (Hg.): Brauchforschung. Darmstadt 1991.
[SchulzeG 1992] Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1992.
[SchwedtH/SchwedtE 1984] Schwedt, Herbert; Elke Schwedt: Schwäbische Bräuche. Stuttgart 1984.
[SeifertM 1998a] Seifert, Manfred: Brauchtum. Überlegungen zu einem zentralen Gegenstandsbereich der Volkskunde. In: Rektor der Universität Passau (Hg.): Studientagung zur Kulturarbeit in Niederbayern an der Universität Passau 1997. Passau 1998 (Nachrichten und Berichte Sonderheft, Nr. 18), S. 81–98.
[Stagl 1990] Stagl, Justin: Ritual, Zeremoniell, Etikette: Formen der Verhaltensnormierung. In: Jahrbuch für Volkskunde 13 (1990), S. 7–21.
[Toelken 1986] Toelken, Barre: Industriekultur oder Folklore der Alltagswelt. In: Jeggle, Utz [u. a.] (Hg.): Volkskultur in der Moderne. Probleme und Perspektiven empirischer Kulturforschung. Reinbek 1986, S. 219–228.
[Turner 1989] Turner, Victor: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt am Main [u. a.] 1989.
[Weber-Kellermann 1985] Weber-Kellermann, Ingeborg: Saure Wochen - Frohe Feste. Fest und Alltag in der Sprache der Bräuche. München [u. a.] 1985.
[WeigandK/Alpines Museum 1997] Weigand, Katharina; Alpines Museum des Deutschen Alpenvereins (Hg.): Heimat. Konstanten und Wandel im 19./20. Jahrhundert. Vorstellungen und Wirklichkeiten. München 1997.
[WolfHM 1992] Wolf, Helga Maria: Das BrauchBuch. Alte Bräuche, neue Bräuche, Antibräuche. Freiburg im Breisgau [u. a.] 1992.
[Zender 1977] Zender, Matthias: Brauch und Fest. In: Wiegelmann, Günter; Zender, Matthias; Heilfurth, Gerhard: Volkskunde. Eine Einführung. Berlin 1977, S. 132–148.
[3059] Erstveröffentlicht unter: [SeifertM 1998b].
[3060] In der Reihenfolge der Zitate: [BeckerM 1996], S. 75; [Rauchenecker 1989], S. 175; [WolfHM 1992], S. 297.
[3061] [Greverus 1978a], besonders S. 69f.
[3062] Als Standardwerke der älteren Forschung, die inzwischen grundlegender fachlicher Kritik unterzogen worden ist, seien lediglich genannt: [GrimmJ 1968], besonders Bd. 1: Einleitung, S. 1–10; [Mannhardt 1904]; [Sartori 1910]. Einen kritischen Überblick über die Kernaussagen der älteren volkskundlichen Brauchforschung liefert [Hartinger 1992], S. 5–72. Von Dieter Harmening stammen die entscheidenden quellenkritischen Untersuchungen zur so genannten Volksgeisttheorie: [Harmening 1979] sowie [Harmening 1987], S. 261–292.
[3063] Einen guten Überblick zur volkskundlichen Brauchforschung gibt [Bimmer 1994], S. 375–395. Siehe auch [Scharfe 1991] und mit speziellem Blick auf Bayern [Harvolk 1987b], S. 335–352. Exemplarische Zugänge präsentieren ferner [Weber-Kellermann 1985]; [SchwedtH/SchwedtE 1984]; [MezgerW 1993].
[3064] Vgl. als Standardwerke der älteren Forschung, die inzwischen grundlegender fachlicher Kritik unterzogen worden sind, seien lediglich genannt: [GrimmJ 1968], besonders Bd. 1: Einleitung, S. 1–10; [Mannhardt 1904]; [Sartori 1910]. Einen kritischen Überblick über die Kernaussagen der älteren volkskundlichen Brauchforschung liefert [Hartinger 1992], S. 5–72. Von Dieter Harmening stammen die entscheidenden quellenkritischen Untersuchungen zur so genannten Volksgeisttheorie: [Harmening 1979] sowie [Harmening 1987], S. 261–292. Sowie [Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1927].
[3065] Ein besonders instruktives Beispiel hierfür ist der Maibaum. Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von [MoserH 1961].
[3066] [SchwedtH/SchwedtE 1984], S. 144; [Weber-Kellermann 1985], S. 10–17, besonders S. 15–17.
[3067] [Gerndt 1986a], S. 30–35; [Bringéus 1990], S. 165–188, hier S. 171f.
[3068] [SchwedtH/SchwedtE 1984], S. 10.
[3069] [DünningerJ 1979], hier Sp. 2575. Zu den Begriffen Sitte und Brauch siehe unter anderem den kurzen Überblick bei [Bimmer 1994], S. 376f.
[3070] [Bimmer 1994], S. 375.
[3071] [Zender 1977], hier S. 135.
[3072] [Bimmer 1994], S. 376 f.; [Weber-Kellermann 1985], S. 10–17.
[3073] [Greverus 1978a], S. 264–266.
[3074] [Bimmer 1994], S. 390–395 und Scharfe, Martin: Einleitung. In: [Scharfe 1991], S. 1–26 oder auch [Harvolk 1987b], hier S. 335.
[3075] Dies zeigte sich exemplarisch etwa bei der Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Basel 1996. Vgl. dazu [Burckhardt-Seebass 1997], besonders die Zusammenschau auf S. 34–36.
[3076] Weiterführend hierzu [Stagl 1990].
[3077] Zur kulturwissenschaftlichen Auffassung von Identität siehe etwa [Greverus 1978a], S. 227–279 oder auch [Bausinger 1978b]. Zum Heimatbegriff vgl. unter anderem [Bausinger 1983b]; [Cremer/Bundeszentrale für politische Bildung 1990]; [WeigandKAlpines Museum 1997].
[3078] [Stagl 1990]; [Hansen 1995], besonders S. 102–114. Der Aspekt der Ordnungsfunktion von Brauchaktionen ist in der volkskundlichen Literatur sehr breit behandelt worden. Allerdings verbirgt sich hinter diesem Argument eine gewisse Gefahr einseitigen Brauchverständnisses. Namentlich im Gefolge funktionalistischer Kulturkonzeptionen wurde die systemstabilisierende Wirkung von Brauchvollzügen einseitig überbetont, was zum Teil stark harmonisierende Vorstellungen von Brauch entstehen ließ. Vgl. [KohlKH 1993], S. 137–140. Arnold van Gennep ist diesem Kennzeichen von Bräuchen als erster systematisch nachgegangen und hat von völkerkundlichen Untersuchungen ausgehend das Konzept der Übergangsriten entwickelt. Sein maßgebliches Werk [Gennep 1909] (in deutscher Übersetzung [Gennep 1986]). Darunter begreift van Gennep solche Bräuche, die den Wechsel von einer Lebensstufe zur anderen begleiten und damit erleichtern (z. B. Taufe, Hochzeit, Gesellentaufe, Rekrutenfeier). Dieses an individuellen und sozialen Lebenslaufmustern ausgebildete Konzept führte Edmund Leach weiter und wendete es auch auf Bräuche und Feste an, die Intervalle im sozialen Leben markieren und damit soziale Zeit schaffen (z. B. Karneval). Siehe dazu zusammenfassend [Leach 1978], S. 98–101. Vgl. auch [Turner 1989], besonders S. 28–94.
[3079] [Weber-Kellermann 1985], S. 15–17; [Stagl 1990], besonders S. 11–13.
[3080] [Bringéus 1990], S. 172 f. [Gerndt 1986a], S. 85–93.
[3081] [Weber-Kellermann 1985], S. 21.
[3082] Dieses dritte Kennzeichen ist bisher in der volkskundlichen Literatur nur sehr spärlich diskutiert worden (vgl. [Weber-Kellermann 1985] oder [Scharfe 1970]). Meines Erachtens handelt es sich hier jedoch um einen zentralen Faktor des Brauchhandelns, vor allem im Zusammenhang mit der Identitätsfrage und dem Nachdenken über Beheimatungspotentiale in brauchtümlichen Aktivitäten.
[3083] [Toelken 1986], hier S. 227f.
[3084] [Bausinger 1986], S. 85–93. Zu den problematischen Folgen dieses Vorganges siehe unter anderem [Greverus 1978a], S. 220–230.
[3085] [KüblerHD 1994], S. 39f.; [Stagl 1990]. Eine griffige Darstellung hierzu gibt [Bringéus 1990], S. 174–179.
[3086] Eine derartige Termindiffusion lässt sich exemplarisch an einem traditionell stringent termingebundenen Heiligenfest zeigen: Die Leonhardiritte in Oberbayern haben sich in den letzten Jahren längst vom Patronatstag des Heiligen Leonhard am 6. November gelöst und wurden z. B. im Jahr 1994 im Landkreis Rosenheim über drei Wochenenden verteilt (vom 22.10. bis zum 6.11.). Die Konsequenz dieser Praxis war, dass am eigentlichen Patronatstag nur vier der neun registrierten Ritte stattfanden. Siehe dazu auch [SeifertM 1998a].
[3087] Dieser Vorgang ist beim Heischebrauchtum im Weihnachtsfestkreis oder beim Maibaumbrauch gut zu beobachten. Vgl. dazu [SeifertM 1998a].
[3088] [LippC 1993], hier S. 28–36; [SchulzeG 1992]; [Neckel 1993]; [Beck/Vossenkuhl/Ziegler 1996]; [Greverus 1978a], S. 153f.
[3089] Ein plakatives Beispiel für diesen Vorgang referiert [Greverus 1978a], S. 249–252.
[3090] [Greverus 1978a], S. 267.